TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/23 L507 2174120-2

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Veröffentlicht am 23.07.2021
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Entscheidungsdatum

23.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch


L507 2174120-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Libanon, vertreten durch RA Dr. Gregor Klammer, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein libanesischer Staatsbürger, reiste gemeinsam mit seiner (damaligen) Lebensgefährtin und deren beiden Töchtern rechtswidrig nach Österreich ein und stellte am 15.07.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

Hiezu wurde er am 16.07.2015 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. In der Folge wurde das Verfahren zugelassen.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 04.07.2016 wurde der Beschwerdeführer wegen Nötigung (§ 105 Abs. 1 StGB) und Freiheitsentziehung (§ 99 Abs. 1 StGB) zu Lasten seiner (damaligen) Lebensgefährtin und deren beiden Töchtern rechtskräftig zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Höhe von 5 Monaten verurteilt.

Am 07.09.2016 langte beim BFA ein Bericht der österreichischen Botschaft in Beirut vom 05.09.2016 zur Person des Beschwerdeführers ein. Unter einem wurden – jeweils in Kopie samt Übersetzung in die deutsche Sprache – eine Geburtsurkunde des Beschwerdeführers, ein Zivilregisterauszug, ein Zeugnis über seine berufliche Qualifikation, eine Ehebefähigungszeugnis vom XXXX und eine Arbeitsbescheinigung vom XXXX übermittelt.

Am 11.11.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) in Anwesenheit einer Vertrauensperson niederschriftlich einvernommen. Vorgelegt wurden von ihm als weitere Beweismittel – neben bereits vorgelegten – eine UNRWA-Familienregistrierungskarte, ein Ausbildungsnachweis zum Elektriker vom 04.09.2003, ein Unterstützungsschreiben seiner Vertrauensperson, wonach diese eine Eheschließung mit ihm beabsichtige, sowie zwei weitere Unterstützungsschreiben von Privatpersonen, ein Schreiben seines Bewährungshelfers, eine Urkunde über die bedingte Strafnachsicht und eine Bestätigung über den Besuch eines Deutschkurses sowie eine gemeinnützige Tätigkeit. Zu den länderkundlichen Informationen der Behörde gab der Beschwerdeführer eine kurze Stellungnahme ab.

Mit Schreiben des BFA vom 13.04.2017 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, eine Stellungnahme bzw. Unterlagen zur behaupteten Scheidung vorzulegen sowie ein Formblatt für eine Anfrage bei der UNRWA auszufüllen und zu übermitteln.

Am 04.05.2017 langte beim BFA eine Stellungnahme des Beschwerdeführers in deutscher Sprache, das ausgefüllte UNRWA-Formblatt, die bereits von ihm vorgelegte libanesische Ehefähigkeitsbescheinigung, ein Schreiben mit der Namhaftmachung von Zeugen und österreichische Zeitungsberichte seine damalige Lebensgefährtin betreffend ein.

2. Mit dem Bescheid des BFA vom 30.09.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß
§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung in den Libanon gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung eingeräumt (Spruchpunkt IV.).

Gegen diesen am 04.10.2017 dem Beschwerdeführer persönlich zugestellten Bescheid des BFA wurde mit Schriftsatz seiner Vertretung vom 16.10.2017 innerhalb offener Frist in vollem Umfang Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

3. Mit hg. Erkenntnis vom 03.04.2018, Zl. L502 2174120-1/5E, wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Mit Beschluss des VwGH vom 06.06.2018, Zl. Ra 2018/18/0280-4, wurde die gegen das hg. Erkenntnis vom 03.04.2018 erhobene außerordentliche Revision zurückgewiesen.

4. Am 27.01.2021 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der Schubhaft den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

Hiezu wurde er noch am selben Tag von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und brachte dabei vor, dass er mit einer österreichischen Frau „zusammen sei“ und sie demnächst heiraten würden. Die Frau sei auch bei Gericht gewesen, um die Heirat bewilligen zu lassen. Man habe dem Beschwerdeführer gesagt, nicht über die Hisbollah zu reden, was immer noch das herrschende Problem beim Beschwerdeführer sei. Dies sei immer noch aufrecht. Dem Beschwerdeführer wäre es recht, wenn sich die Politik in seinem Land ändern würde. Dann wäre es dort nicht mehr so schlecht.

Am 05.02.2021 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch einen Organwalter des BFA. Dabei brachte er im Wesentlichen vor, dass er 2015 in Österreich eingereist sei und seither das Bundesgebiet nicht verlassen habe. Seine Angaben bzgl. seines Fluchtgrundes im Zuge der ersten Antragstellung würden stimmen, wobei er mit einer Frau eingereist sei und diese Fluchtgründe nicht gestimmt hätten. Neu sei, dass er Probleme mit der Hisbollah habe. Er schreibe regelmäßig gegen die Hisbollah auf Facebook, weshalb er bedroht und sein „Facebook“ geschlossen worden sei. Seine Mutter sei bedroht und geschlagen worden. Im Libanon sei die Polizei nicht so wie in Österreich und man habe Angst. Deshalb habe seine Mutter nicht gesagt, von wem sie geschlagen worden sei. Im Libanon könne man „Hisbollah“ nicht sagen. Seine Freundin habe sehr viele Informationen. Er lüge nicht und sage die Wahrheit. Es sei im Libanon und auf der ganzen Welt bekannt, dass Hisbollah-Mitglieder gesuchte Kriminelle seien. Wenn man über die Hisbollah schimpfe, werde man bedroht und bekomme Probleme. Es gehe vielen Leuten in Deutschland so. Als Beweismittel für seine Fluchtgründe legte der Beschwerdeführer einen Brief sowie eine ärztliche Bestätigung betreffend seine Mutter vor. Zudem wurden dem BFA aufgezeichnete Sprachnachrichten der Mutter des Beschwerdeführers übergeben.

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom XXXX ,
Zl. XXXX , wurde der zweite Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers hinsichtlich des Status des Asylberichtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Ebenso wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Libanon zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.) bestehe. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keinen nach Rechtskraft des Erstverfahrens neu entstandenen glaubwürdigen Sachverhalt vorgebracht habe. Hinsichtlich des Privat- und Familienlebens in Österreich wurde festgehalten, dass sich seit der Entscheidung des BVwG vom 03.04.2018 keine wesentlichen Änderungen ergeben hätten und auch aus der zu berücksichtigenden Ländersituation kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt hervorgekommen sei. Zum Einreiseverbot wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sei und den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachweisen habe können.

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 02.03.2021 ordnungsgemäß zugestellt und dagegen am 11.03.2021 fristgerecht Beschwerde erhoben.

Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer mit seiner Lebensgefährtin zusammenwohne und von dieser versorgt werde. Zudem arbeite er freiwillig in der Flüchtlingsunterkunft mit, wo auch seine Lebensgefährtin tätig sei. Eine Heirat sei schon lange geplant, es fehle aber immer „irgendwas“, weshalb es noch nicht dazu gekommen sei. Eine Rückkehr in den Libanon sei nicht möglich, weil er über kein Reisedokument verfüge. Im Weiteren wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen seine nunmehrigen Antragsgründe und verwies darauf, dass er darüber mit einem Mitarbeiter der Diakonie gesprochen habe, der ihm geraten habe, einen Folgeantrag zu stellen. Beantrag wurde daher die Einvernahme dieses Mitarbeiters zum Beweis der Bedrohungen im Internet aufgrund seiner politischen Aktivitäten. Zwei Tage nach der Inschubhaftnahme im Dezember 2020 sei die Mutter des Beschwerdeführers von Milizen der Hisbollah attackiert worden. Davon habe die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers am 24.01.2021 erfahren und es dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mitgeteilt. Am nächsten Tag habe der Beschwerdeführer dann den gegenständlichen Antrag gestellt. Bei der Erstbefragung am 27.01.2021 habe sich der einvernehmende Beamte geweigert, die ärztliche Bestätigung vom Angriff auf die Mutter anzunehmen und dazu etwas ins Protokoll zu schreiben. Die Einvernahme habe ohne seinen Anwalt stattgefunden, zumal diesem ein späterer Beginn der Erstbefragung mitgeteilt worden sei. Der Beschwerdeführer habe keine Rückübersetzung erhalten, habe auf seinen Rechtsanwalt verzichten und das Protokoll unterschreiben müssen. Ihm sei mitgeteilt worden, dass sein Antrag abgelehnt werde, wenn er nicht auf den Rechtsanwalt verzichte. Im Weiteren erfolgten Ausführungen zum Schubhaftverfahren. Das gegenständliche Verfahren sei am XXXX im Übrigen nicht entscheidungsreif gewesen. Der Beschwerdeführer habe mehrmals darauf verwiesen, dass nur seine Lebensgefährtin Kontakt mit seiner Mutter in Bezug auf deren Angriff gehabt habe. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers sei aber nicht einvernommen worden und habe das BFA auch nicht die Übermittlung der Originaldokumente abgewartet. Beantragt wurde daher auch die Einvernahme der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers zum Beweis des Angriffes auf die Mutter des Beschwerdeführers. Zudem habe das BFA beim ausgesprochenen Einreiseverbot nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer von seiner Lebensgefährtin versorgt werde. Der Bescheid des BFA sei aus taktischen Gründen zwei Tage vor der Schubhaftverhandlung erlassen und der Rechtsvertreter darüber nicht informiert worden, weshalb er sich nicht hinreichend auf die Schubhaftverhandlung vorbereiten habe können. Aus dem gegenständlichen Bescheid ergebe sich auch nicht die in der Schubhaftverhandlung angekündigte Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes. Aus advokatorischer Vorsicht werde aber Beschwerde gegen eine Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes erhoben. Auffällig sei auch das aggressive Auftreten des BFA dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers gegenüber. Anschließend wurde – wie näher dargelegt – auf die konkrete Begründung des BFA eingegangen und noch angemerkt, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG gewährt hätte werden müssen. Zuletzt wurde der Integrationsstatus des Beschwerdeführers dargelegt.

6. Die Beschwerdevorlage langte am 17.03.2021 beim BVwG ein und wurde das Beschwerdeverfahren der nun zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung L507 zugewiesen.

Mit hg. Beschluss vom 19.03.2021, Zl. L507 2174120-2/3Z, wurde der Beschwerde gemäß
§ 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Er ist libanesischer Staatsbürger, Angehöriger der arabischen Volksgruppe sowie der sunnitisch-muslimischen Glaubensgemeinschaft.

Der Beschwerdeführer wurde in Beirut geboren. Seine Mutter stammte aus einer palästinensischen Familie, heiratete einen libanesischen Staatsangehörigen und erwarb dadurch die libanesische Staatsangehörigkeit ebenso wie ihre Kinder. Die Herkunftsfamilie des Beschwerdeführers ist bei der UNRWA in Beirut registriert.

Der Beschwerdeführer hat im Libanon für fünf Jahre die Grundschule besucht, 2003 schloss er erfolgreich eine berufliche Fachausbildung als Elektriker ab, danach war er bis zumindest Oktober 2014 als Mechaniker in einer KFZ Werkstätte in Beirut erwerbstätig. Seine Mutter und Geschwister leben nach wie vor im Libanon.

Der Beschwerdeführer verließ im Juni 2015 den Libanon auf dem Luftweg ausgehend von Beirut auf legale Weise in die Türkei und gelangte mit seiner damaligen Lebensgefährtin und deren beiden Töchtern aus einer früheren Ehe rechtswidrig nach Österreich, wo er am 15.07.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz stellte. Von seiner damaligen Lebensgefährtin lebt der Beschwerdeführer mittlerweile getrennt und seit April 2016 im Haus seiner derzeitigen Lebensgefährtin, einer österreichischen Staatsangehörigen. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers finanziert den Lebensunterhalt des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist erwerbsfähig, in Österreich bisher noch keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen und leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen.

Er wurde im Jänner 2016 wegen Selbstgefährdung kurzfristig in eine Krankenanstalt aufgenommen, ist im Übrigen gesund und befindet sich nicht in ärztlicher Behandlung.

Der Beschwerdeführer besuchte Deutschqualifizierungsmaßnahmen und spricht auf einem guten Niveau die deutsche Sprache. Er betätigte sich gelegentlich ehrenamtlich in kirchlichen Einrichtungen und hilft aktuell bei Arbeiten in der Flüchtlingsunterkunft, die von seiner Lebensgefährtin betrieben wird. Der Beschwerdeführer pflegt gewöhnliche soziale und freundschaftliche Kontakte.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vorwurfs der Nötigung und der Freiheitsentziehung zu Lasten der seiner Ex-Lebensgefährtin und deren Kindern zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in Höhe von 5 Monaten unter Verhängung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

1.2. Zur Lage im Libanon wird – wie bereits vom BFA – Folgendes festgestellt und werden die im angefochtenen Bescheid enthaltenen Feststellungen im Wesentlichen wörtlich – ohne Tabellen oder sonstige Grafiken – wiedergegeben:

Politische Lage

Libanon ist eine parlamentarische Demokratie nach konfessionellem Proporzsystem. Das politische System basiert auf der Verfassung von 1926, dem ungeschriebenen Nationalpakt von 1943 und dem im Gefolge der Taif-Verhandlungen am 30. September 1989 verabschiedeten „Dokument der Nationalen Versöhnung“ (AA 24.1.2020).

In diesem sogenannten Taif-Abkommen wurde festgelegt, dass die drei wichtigsten Ämter im Land auf die drei größten Konfessionen verteilt werden:

• Das Staatsoberhaupt muss maronitischer Christ sein

• Der Parlamentspräsident muss schiitischer Muslim sein

• Der Regierungschef muss sunnitischer Muslim sein (GIZ 3.2020)

Dieser Proporz bestimmt die gesamte Verwaltung und macht auch vor der Legislative nicht halt. Das Parlament mit seinen 128 Mitgliedern setzt sich nach dem Grundsatz der konfessionellen Parität wie folgt zusammen: 34 Maroniten, 27 Schiiten, 27 Sunniten, 14 griechisch-orthodoxe Christen, 8 Drusen, 8 melikitische/griechisch-katholische Christen, 5 orthodoxe Armenier, 2 Alewiten, 1 armenischer Katholik, 1 Protestant und 1 Vertreter einer Minderheit (GIZ 3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Die konfessionelle Fragmentierung des Landes bewirkt eine äußere Abhängigkeit von den jeweiligen Schutzmächten der konfessionellen Gruppen. Dies reduziert die Souveränität des Staates (GIZ 3.2020). Bei der im Abkommen von Taif vorgesehenen allmählichen Entkonfessionalisierung des politischen Systems gibt es bisher allerdings keine Fortschritte (AA 24.1.2020).

Die Hizbollah, die „Partei Gottes“, ist - wie auch jetzt – seit Jahrzehnten immer wieder Teil der libanesischen Regierung. Sie tritt dabei jedoch nicht nur als politische Partei, sondern häufig auch als soziale Organisation auf, die mit ihrem Angebot an sozialen und medizinischen Hilfsleistungen ärmeren Menschen in Not hilft. Der bewaffnete Arm der Hizbollah kämpft in Syrien an der Seite der Truppen des Regimes von Präsident Baschar al-Assad. Gleichzeitig stellt die Organisation das Existenzrecht Israels offen in Frage. Immer wieder kommt es zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen der Hizbollah und Israel (DF 30.4.2020). Die Hisbollah macht gleichzeitig Geschäfte gegen und mit dem Gesetz, schmuggelt Drogen und kontrolliert die Zollstationen am Hafen von Beirut. Dabei hilft ihr ein weltweites Netzwerk von Unterstützern in der Diaspora (Zeit 6.5.2020).

Die Hizbollah wird von den Vereinigten Staaten als terroristische Gruppe eingestuft. In der EU stand bislang nur der militärische Arm der Hizbollah auf der Terrorliste, bis Deutschland den Kurs nun verschärft und auch den politischen Arm der Hizbollah als terroristische Vereinigung bewertet und ein Betätigungsverbot der Organisation in Deutschland verfügt hat (Spiegel 30.4.2020; vgl. Spiegel 5.5.2020; DailyStar 6.11.2019).

Das Parlament des Libanon ist konfessionsübergreifend in zwei politische Blöcke gespalten, die einander unversöhnlich gegenüberstehen:

die von der schiitisch geprägten und vom Iran beeinflussten Hizbollah angeführte 8. März-Koalition und

die eher westlich orientierte, sunnitisch geprägte und von Saad Hariri (Future Movement; arab.: (al-)Mustaqbal) angeführte 14. März-Bewegung (GIZ 3.2020).

Die traditionelle Feindschaft zwischen diesen beiden Blöcken wurde durch den Konflikt im benachbarten Syrien zusätzlich vertieft. Die Polarisierung zwischen den beiden Lagern lähmt das Land politisch und ökonomisch, verstärkt konfessionelle Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten (GIZ 3.2020). Aufgrund schwer erzielbarer Mehrheiten war es auch jahrelang nicht möglich, ein Wahlgesetz zu verabschieden. Dies führte dazu, dass die Parlamentswahl 2013 ausgesetzt und das Mandat der Abgeordneten mehrfach verlängert wurde (GIZ 3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Am 31. Oktober 2016 wurde schließlich nach zweieinhalb Jahren und 45 gescheiterten Versuchen ein neuer Präsident gewählt. Mit der Wahl des maronitischen Christen Michel Aoun kam Bewegung in die libanesische Politik. Da Aoun als Kandidat der schiitischen Hizbollah für das Amt des Präsidenten galt, wurde er zunächst von Premierminister Saad Hariri abgelehnt. Dessen Zustimmung erfolgte erst, als Aoun Hariri im Gegenzug beauftragte, eine neue Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Diese wurde schließlich am 19. Dezember 2016 vereidigt (GIZ 3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Im Juni 2017 konnte man sich schließlich auf ein neues Wahlrecht einigen. Dieses sieht unter anderem eine Ablöse des Mehrheitswahlrechts durch das Verhältniswahlrecht vor. Hierdurch sollten kleinere Parteien und Wählergruppen gestärkt werden. Das Wahlgesetz enthält jedoch zahlreiche Einschränkungen der Verhältniswahl wie beispielsweise eine sehr hohe Einzugshürde bei zehn Prozent. Positiv ist jedoch, dass die Parteien nun faktisch gezwungen werden, konfessionsübergreifende Listen zu bilden (GIZ 3.2020).

Am 6. Mai 2018 fanden nach jahrelanger Pattstellung erstmals seit 2009 erneut Parlamentswahlen statt. 77 Listen mit insgesamt 597 Kandidaten waren für die Wahl um 128 Parlamentssitze in 26 Distrikten registriert. Die Anzahl der weiblichen Kandidaten nahm gegenüber der letzten Wahl auf 86 zu und betrug somit nun 14,4 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag insgesamt bei 49,2 Prozent. Die offiziellen Ergebnisse weisen die Sitze wie folgt zu: Future Movement [Anm.: arab. - (al-)Mustaqbal] 21; Free Patriotic Movement 20; Amal 17; Lebanese Forces 15; Hizbollah 12; Progressive Socialist Party 8; die "Determination (Azem)" Bewegung des ehemaligen Premierministers Mikati 4; Marada, die Syrian Social Nationalist Party, Kataeb und Tashnaq jeweils 3 Sitze. Zum ersten Mal gewann ein Kandidat der Zivilgesellschaft einen Sitz durch die Wahlliste "Koulouna Watani" in Beirut. Die Zahl der gewählten Frauen im Parlament stieg von vier auf sechs (UNSC 13.7.2018).

Die Hizbollah und ihre politischen Verbündeten - darunter auch das „Free Patriotic Movement“ (FPM), eine christliche Partei unter der Führung von Präsident Michel Aoun, die knapp zwanzig Sitze erringen konnte (AA 24.1.2020), besetzen nach dieser Wahl knapp die Hälfte der 128 Sitze im Parlament, während der vom Westen unterstützte sunnitische Saad al-Hariri (Premierminister bis Ende 2019, Anm.) mit 21 Parlamentsmitgliedern immer noch Führer des größten politischen Blocks ist (RFE 7.5.2018; vgl. ICG 9.6.2018). Der bisherige Premier Hariri wurde trotz Wahlverlusten neuerlich damit beauftragt, eine Regierung zu bilden (GIZ 3.2020).

Aufgrund der zunehmend prekären wirtschaftlichen Situation kam es schon Mitte Oktober 2019 zu massiven Protesten gegen Korruption und Misswirtschaft (Standard 12.2.2020; vgl. FAZ 24.1.2020). Ende Oktober gab Regierungschef Saad Hariri schließlich angesichts der Massenproteste auf und trat zurück (FAZ 24.1.2020).

Ende Januar 2020 wurde schließlich eine neue Regierung gebildet. Der neue Premierminister Hassan Diab wollte sich mit seiner technokratischen Regierung für umfassende Wirtschaftsreformen einsetzen. Diab selbst kam dank der Unterstützung der Hizbollah, der Amal-Bewegung und der Freien Patriotischen Bewegung von Präsident Michel Aoun an die Macht, die nun mit einigen kleineren Parteien gemeinsam über eine parlamentarische Mehrheit verfügten. Pro-westliche politische Rivalen wie etwa Hariris Future Movement, die größte sunnitische Partei des Landes, unterstützten die Regierung nicht (ECFR 4.2.2020).

Am 4. August 2020 ereignete sich im Hafen von Beirut eine verheerende Explosion mit mindestens 180 Toten und rund 6.000 Verletzten. 300.000 Menschen wurden obdachlos und große Teile der Stadt wurden stark beschädigt. Tausende zogen in der Folge zu Protesten auf die Straßen und forderten eine umfassendere Aufklärung der Hintergründe der Explosion. Die Regierung von Ministerpräsident Hassan Diab trat zurück (Standard 17.8.2020), nachdem dieser die endemische Korruption für die verheerende Explosion verantwortlich gemacht hatte (AJ 10.8.2020). Am 31. August 2020 wurde Mustapha Adib, bislang libanesischer Botschafter in Deutschland, von Staatspräsident Michel Aoun mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt (Spiegel 31.8.2020; vgl. Standard 31.8.2020).

Adib ist Sunnit, das ist gemäß Verfassung des Landes die Bedingung für den Premierposten. Sowohl die sunnitische Zukunftspartei von Ex-Premier Saad Hariri als auch die schiitische Hisbollah mit ihren Verbündeten sowie die maronitische Patriotenbewegung von Präsident Michel Aoun haben sich bereits öffentlich hinter Adib gestellt (Standard 31.8.2020, vgl. CNN 31.8.2020), was die Protestbewegung prompt als Fortsetzung des gescheiterten Proporzsystems ablehnte (Zeit 31.8.2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: November 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf, Zugriff 23.6.2020

AJ - Al Jazeera (10.8.2020): Lebanon president accepts gov't resignation after Beirut blast, https://www.aljazeera.com/news/2020/08/lebanon-pm-hassan-diab-resigns-anger-beirut-blast-200810135202076.html, Zugriff 24.8.2020

CNN (31.8.2020): Lebanese diplomat Mustapha Adib named Prime Minister-designate ahead of Macron visit, https://edition.cnn.com/2020/08/31/middleeast/lebanon-new-prime-minister-intl/index.html, Zugriff 31.8.2020

DailyStar (6.11.2019): Why is Lebanon in an economic and political mess?, https://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2019/Nov-06/495099-explainer-why-is-lebanon-in-an-economic-and-political-mess.ashx, Zugriff 12.5.2020

DF – Deutschlandfunk (30.4.2020): Andere Länder der EU werden dieser Linie folgen, https://www.deutschlandfunk.de/hisbollah-verbot-in-deutschland-andere-laender-der-eu.694.de.html?dram:article_id=475794, Zugriff 30.6.2020

ECFR – European Council on Foreign Relations (4.2.2020): Counterfeit change. Lebanon‘s new government, https://www.ecfr.eu/article/commentary_counterfeit_change_lebanons_new_government, Zugriff 15.5.2020

FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (24.1.2020): Ein Land vor dem Kollaps, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/proteste-in-libanon-ein-land-vor-dem-kollaps-16595022.html, Zugriff 15.5.2020

GIZ– Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020): Libanon – Geschichte und Staat: https://www.liportal.de/libanon/geschichte-staat/, Zugriff 16.6.2020

ICG – International Crisis Group (9.6.2018): In Lebanon’s Elections, More of the Same is Mostly Good News,
https://www.ecoi.net/de/dokument/1432128.html, Zugriff 30.6.2020

RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (7.5.2018): Iran-Backed Hizballah And Allies Make Big Gains In Lebanese Election, https://www.ecoi.net/de/dokument/1431871.html, Zugriff 30.6.2020

Spiegel (30.4.2020): Seehofer geht gegen Hisbollah vor, https://www.spiegel.de/politik/ausland/bundesinnenminister-horst-seehofer-csu-geht-mit-betaetigungsverbot-gegen-die-hisbollah-vor-a-9a2e5cb7-03af-4bc6-87f0-e363b938364f, Zugriff 15.5.2020

Spiegel (5.5.2020): Libanon bestellt deutschen Botschafter ein, https://www.spiegel.de/politik/ausland/hisbollah-verbot-libanon-bestellt-deutschen-botschafter-ein-a-67bed83b-6c6d-41b5-9d9c-cf079d1f2cf4, Zugriff 15.5.2020

Spiegel (31.8.2020): Libanons Präsident beauftragt Botschafter Adib mit Regierungsbildung, https://www.spiegel.de/politik/ausland/libanon-nach-beirut-katastrophe-mustapha-adib-mit-regierungsbildung-beauftragt-a-577e3b8f-71b6-47e4-814f-c4c6151e9e1b, Zugriff 1.9.2020

Standard (12.2.2020): Unmut nach erfolgreichem Vertrauensvotum für neue libanesische Regierung, https://www.derstandard.at/story/2000114474346/neue-libanesische-regierung-gewann-vertrauensabstimmung-im-parlament, Zugriff 15.5.2020

Standard (17.8.2020): Nach der Explosion in Beirut: Haftbefehl gegen Zollchef des Hafens, https://www.derstandard.at/story/2000119415098/nach-der-explosion-in-beirut-haftbefehl-gegen-zollchef-des-hafens, Zugriff 24.8.2020

Standard (31.8.2020): Berlin-Botschafter Adib soll als neuer Premier den Libanon aus der Krise führen, https://www.derstandard.at/story/2000119691285/berlin-botschafter-adib-soll-als-neuer-premier-den-libanon-aus, Zugriff 1.9.2020

UNSC - United Nations Security Council (13.7.2018): Implementation of Security Council resolution 1701 (2006); Report of the Secretary-General; Reporting period from 1 March 2018 to 20 June 2018 [S/2018/703], https://www.ecoi.net/en/file/local/1439147/1226_1532506886_n1822402.pdf Zugriff 20.6.2020

USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026426.html, Zugriff 12.5.2020

Zeit (6.5.2020): Schlechte Zeiten für die Schattenmacht, https://www.zeit.de/2020/20/hisbollah-terrormiliz-israel-libanon-deutschland/komplettansicht, Zugriff 28.8.2020

Zeit (31.8.2020): Macron macht Druck, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-08/emmanuel-macron-libanon-besuch-beirut-explosion-krise, Zugriff 1.9.2020

Sicherheitslage

Die libanesische Regierung hat weder die vollständige Kontrolle über alle Regionen des Landes noch über die Grenzen zu Syrien und Israel. Nach wie vor kontrolliert die Hizbollah den Zugang zu bestimmten Gebieten und hat überdies Einfluss auf einige Elemente innerhalb der libanesischen Sicherheitsdienste. Die Al-Nusrah-Front, der sogenannte Islamische Staat (IS) und andere sunnitische Terrorgruppen operierten auch 2019 weiterhin in unkontrollierten Gebieten entlang der unmarkierten libanesisch-syrischen Grenze. Andere terroristische Gruppen wie die Hamas, die Volksfront für die Befreiung Palästinas, das Generalkommando der Volksfront für die Befreiung Palästinas, Asbat al-Ansar, Fatah al-Islam, Fatah al-Intifada, Jund al-Sham, der Palästinensische Islamische Dschihad und die Abdullah-Azzam-Brigaden operierten weiterhin in Gebieten mit begrenzter Regierungskontrolle, vor allem in den 12 palästinensischen Flüchtlingslagern. Diese Lager werden als sichere Zufluchtsorte genutzt und sie dienen als Waffenverstecke (USDOS 24.6.2020a). Der staatlichen Kontrolle weitgehend entzogen, wird deren Sicherheit teilweise durch palästinensische bewaffnete Ordnungskräfte und Volkskomitees gewährleistet, die von der jeweils politisch bestimmenden Fraktion gestellt werden. Das deutsche Außenamt berichtet von teils schweren Auseinandersetzungen, zuletzt zwischen verschiedenen Palästinenserfraktionen in den Lagern Ain El-Hilweh und Mieh-Mieh. Das Lager Nahr el-Bared stellt insofern eine Ausnahme dar, da es unter libanesischer Kontrolle steht. Allerdings beschränkt sich die libanesische Armee auf Zugangskontrollen und die Sicherung der Umgebung (AA 24.1.2020).

Der Libanon und Israel befinden sich offiziell noch im Krieg. An der gemeinsamen Grenze im Südlibanon kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah (ORF 26.8.2020).

Es besteht ein hohes Risiko von nicht explodierten Bomben und Minen (MAG o.D.). Im September 2019 kam es dort nach der Aufdeckung von Tunnelanlagen durch israelisches Militär kurzfristig zu erhöhten Spannungen und gegenseitigem Artilleriebeschuss zwischen der Hizbollah und der israelischen Armee. Die Hizbollah beschoss israelische Militärstellungen und -fahrzeuge nahe der Ortschaft Avivim mit mehreren Panzerabwehrlenkraketen. Israel reagierte seinerseits mit Artilleriebeschuss auf Ziele im südlichen Libanon. Nach wenigen Stunden wurden die Gefechte beidseitig wieder eingestellt (AA 24.1.2020).

Die Bekaa-Ebene ist bekannt für Waffen- und Drogenhandel (Al Ahram 13.2.2020).

Die Sicherheitslage in der Bekaa-Ebene hat sich durch den bewaffneten Konflikt in Syrien zunehmend verschlechtert. Es sind bewaffnete Gruppierungen aktiv, und Grenzüberschreitungen durch Kämpfer sind häufig. Es kommt regelmäßig zu Zusammenstößen zwischen der Armee und militanten Gruppen, vor allem in und um Ersal, Ras Baalbek und Qaa. Spannungen zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen, aber auch innerhalb einzelner Gemeinschaften, können sich in bewaffneten Konfrontationen oder Anschlägen entladen (EDA 12.8.2020). In der Provinz Baalbek-Hermel gab es neben solchen Entführungen auch Plünderungen und Mordanschläge (Asharq al-Awsat 22.9.2019). Hermel gilt als Hochburg der Hizbollah (Al Ahram 13.2.2020).

Die Spannungen im Nordlibanon (insbesondere um die Stadt Tripoli und in der Region Akkar) haben sich durch den Konflikt in Syrien und die Ankunft zahlreicher Flüchtlinge weiter verschärft. Es kommt immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen verschiedenen politisch-religiösen Gruppierungen. Die Gefahr von Anschlägen und einer Eskalation der Lage ist groß (EDA 12.8.2020).

Die libanesische Armee (Lebanese Armed Forces - LAF) trägt die Hauptverantwortung für die Sicherung der Land- und Seegrenzen des Libanon, während das „Directorate of General Security“ (DGS) und der Zoll für die offiziellen Einreisepunkte zuständig sind. Die Effizienz der Kontrollen der Landgrenze des Libanon mit Syrien konnte in letzter Zeit durch ein von den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich und Kanada finanziertes Landgrenzsicherungsprojekt gesteigert werden, was die Festnahme von aus Syrien einreisenden IS-Mitgliedern ermöglichte (USDOS 24.6.2020b).

Infolge der Krise in Syrien haben die destabilisierenden regionalen, politischen und konfessionellen Spannungen deutlich zugenommen. So ist die Hizbollah erklärtes Ziel sunnitischer Extremisten, die sich mit Selbstmordanschlägen gegen schiitische Wohn- und Einflussgebiete für den Kampf der Schiiten-Miliz an der Seite von Baschar al-Assad in Syrien rächen wollen. Die größte christliche Partei des Landes (Free Patriotic Movement) ist demgegenüber politisch mit der Hizbollah verbündet und betrachtet diese als Stabilisierungsfaktor für Libanon und seine religiösen Minderheiten. Die politische und militärische Rolle von Hizbollah, die zumindest in ihren Hochburgen auch soziale, politische und sicherheitsbehördliche Aufgaben wahrnimmt, bleibt damit struktureller Streitpunkt für den Libanon (AA 24.1.2020).

Bei der von der UN geforderten Abrüstung aller bewaffneten Gruppen einschließlich der palästinensischen Milizen und dem militärischen Flügel der Hizbollah konnten bislang keine Fortschritte erzielt werden. Die Hizbollah bestätigte immer wieder, über entsprechende militärische Kapazitäten zu verfügen. Die libanesische Regierung ist somit weiterhin nicht in der Lage, die volle Souveränität und Autorität über ihr Territorium auszuüben (UNSC 13.7.2018).

Die allgemeine Sicherheitslage ist insbesondere durch die seit Oktober 2019 immer wieder stattfindenden Massenproteste und Verkehrsblockaden unübersichtlicher geworden (AA 24.1.2020). Der Zorn der Demonstranten konzentriert sich auf die wahrgenommene Korruption libanesischer Politiker, die das Land seit dem Bürgerkrieg von 1975-1990 beherrscht haben (DailyStar 6.11.2019). Im Zuge der Demonstrationen kommt es insbesondere in Beirut immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Straßenschlachten mit der Polizei, die zum Teil zahlreiche Verletzte fordern (Spiegel 20.1.2020; vgl. Zeit-Online 7.8.2020). Auch in der Hafenstadt Tripoli kam es zu schweren Auseinandersetzungen (Tagesspiegel 29.4.2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: November 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf, Zugriff 23.6.2020

Al Ahram (13.2.2020): Lebanon‘s security and economy at stake, http://english.ahram.org.eg/NewsContent/50/1203/363350/AlAhram-Weekly/World/Lebanon’s-security-and-economy-at-stake.aspx, Zugriff 3.9.2020

Asharq al-Awsat (22.9.2019): Beqaa Witnesses Wave of Kidnappings Amid Failure to Control Security, https://english.aawsat.com//home/article/1913576/lebanon-beqaa-witnesses-wave-kidnappings-amid-failure-control-security, Zugriff 31.8.2020

DailyStar (6.11.2019): Why is Lebanon in an economic and political mess?, https://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2019/Nov-06/495099-explainer-why-is-lebanon-in-an-economic-and-political-mess.ashx, Zugriff 12.5.2020

EDA – Eidgenössisches Department für auswärtige Angelegenheiten (12.8.2020): Reisehinweise für den Libanon, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/libanon/reisehinweise-libanon.html, Zugriff 7.7.2020

MAG – Mines Advisory Group (o.D.): Lebanon, https://www.maginternational.org/what-we-do/where-we-work/lebanon/, Zugriff 31.8.2020

ORF (26.8.2020): Israel greift nach Schüssen auf Soldaten Ziele im Libanon an, https://orf.at/stories/3178860/, Zugriff 1.9.2020

Spiegel (20.1.2020): Randale am Abgrund, https://www.spiegel.de/politik/ausland/schwere-proteste-im-libanon-randale-am-abgrund-a-eab1a8dd-2f7c-45b6-84b0-03febe804779, Zugriff 30.8.2020

Tagesspiegel (29.4.2020): Der Hunger ist größer als die Angst, https://www.tagesspiegel.de/politik/proteste-im-libanon-der-hunger-ist-groesser-als-die-angst/25784480.html, Zugriff 31.8.2020

UN – United Nations Security Council (13.7.2018): Bericht des UNO-Generalsekretärs zu Entwicklungen vom 1. März bis 20. Juni 2018 (Sicherheitslage; Entwaffnung bewaffneter Gruppen; politische Stabilität; weitere Themen) https://www.ecoi.net/en/file/local/1439147/1226_1532506886_n1822402.pdf, Zugriff 21.8.2018

USDOS – United States Department of State (24.6.2020a): Country Report on Terrorism 2019 - Chapter 4 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032504.html, Zugriff 6.7.2020

USDOS – United States Department of State (24.6.2020b): Country Report on Terrorism 2019 - Chapter 1 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032521.html, Zugriff 6.7.2020

Zeit (7.8.2020): Beirut. Konfrontationen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-08/proteste-beirut-explosion-korruption, Zugriff 31.8.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassungsinstitutionen, insbesondere Parlament, Regierung und Justizwesen, funktionieren im Prinzip nach rechtsstaatlichen Grundsätzen, sind aber in ihrer tatsächlichen Arbeit politischen Einflussnahmen ausgesetzt. Die Gewaltenteilung ist in der Verfassung zwar festgeschrieben, wird in der Praxis aber nur eingeschränkt respektiert; insbesondere in politisch brisanten Ermittlungsverfahren kommt es zu Versuchen der Einflussnahme auf die Justiz, z.B. bei der Ernennung von Staatsanwälten und Ermittlungsrichtern oder zum Schutz politischer Parteigänger vor Strafverfolgung. Neben den in mehrere Instanzen gegliederten und strukturell dem französischen Justizwesen angeglichenen Zivilgerichten existieren im Libanon konfessionelle Gerichtsbarkeiten, in deren Zuständigkeit die familienrechtlichen, bei den islamischen Religionsgemeinschaften auch die erbrechtlichen Verfahren fallen (AA 24.1.2020). Personen, die an zivil- und strafrechtlichen Routineverfahren beteiligt waren, baten manchmal um die Unterstützung prominenter Personen, um den Ausgang ihrer Verfahren zu beeinflussen (USDOS 11.3.2020). Die Einhaltung der in der Verfassung garantierten richterlichen Unabhängigkeit ist in der praktischen Durchführung durch verbreitete Korruption, chronischen Mangel an qualifizierten Richtern und zum Teil auch politische Einflussnahme eingeschränkt (AA 24.1.2020). Politische Führer versuchten zeitweise, die richterliche Behandlung politisch aufgeladener Fälle zu beeinflussen, und gegensätzliche politische und konfessionelle Fraktionen werfen sich jeweils unzulässige Einflussnahme vor. Beginnend mit Februar 2019 laufen auch Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Korruption, Bestechung und Manipulation von Gerichtsakten innerhalb der Sicherheits- und Justizorgane (USDOS 11.3.2020).

Eine Strafverfolgungs- und Strafbemessungspraxis, die nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität diskriminiert, ist im Libanon nicht gegeben. Allgemeine kriminelle Delikte werden im Rahmen feststehender straf- bzw. strafprozessrechtlicher Vorschriften nach insgesamt weitgehend rechtsstaatlichen Prinzipien verfolgt und geahndet (AA 24.1.2020).

Fragen des Personenstands werden nach wie vor in 15 separaten Personenstandsgesetzen geregelt, von denen keines die Grundrechte garantiert und in denen Frauen durchwegs diskriminiert werden (HRW 3.8.2020), und zwar in in Bezug auf die Ehe, das Sorgerecht für die Kinder, das Erbrecht und die Scheidung (USDOS 10.6.2020).

Das Rechtssystem unterscheidet im Strafrechtsbereich zwischen ordentlichen und Militärgerichten. Delikte gegen die Staatssicherheit, gegen das Militär oder deren Angehörige unterliegen dem Militärrecht (AA 24.1.2020). Diese sind zuständig für Fälle, an denen Militär-, Polizei- und Regierungsbeamte beteiligt sind, sowie für Fälle, in denen Zivilpersonen oder Militärs der Spionage, des Hochverrats, des Waffenbesitzes, der Wehrpflichtverletzung und der Begehung von Delikten gegen die Staatssicherheit, das Militär oder deren Angehörige bezichtigt werden. Es kann auch Zivilpersonen wegen Sicherheitsvorwürfen oder wegen Verstößen gegen den Militärkodex vor Gericht stellen (USDOS 11.3.2020). Die Zuständigkeiten der Militärgerichtsbarkeit werden vor allem beim Vorwurf des Terrorismus bzw. bei terroristischen Delikten mit islamistischem Hintergrund oftmals sehr extensiv ausgelegt. Militärgerichte verurteilen auch zivile Angeklagte wegen terroristischer Delikte mit islamistischem Hintergrund oft in Schnellverfahren und ohne ausreichenden Rechtsbeistand (AA 24.1.2020). Zivilgerichte können zwar auch über Militärangehörige verhandeln, aber das Militärgericht verhandelt diese Fälle häufig, auch bei nicht mit dem offiziellen Militärdienst in Zusammenhang stehenden Anklagen, oftmals in Schnellverfahren und ohne ausreichenden Rechtsbeistand. Menschenrechtsaktivisten äußerten die Befürchtung, dass solche Verfahren das Potenzial für Straflosigkeit schaffen (USDOS 11.3.2020).

Seit Jahren wird - wenn bislang auch ohne greifbare Fortschritte - erwogen, alle Militärverfahren ordentlichen Gerichten zu übertragen (AA 24.1.2020).

Regierungsführung und Justiz in den palästinensischen Lagern waren sehr unterschiedlich, wobei die meisten Lager unter der Kontrolle von gemeinsamen palästinensischen Sicherheitskräften standen, die mehrere Fraktionen vertraten (USDOS 11.3.2020).

Palästinensische Gruppen betreiben in den Flüchtlingslagern ein autonomes Justizsystem, das für Außenstehende meist undurchsichtig ist und sich der Kontrolle des Staates entzieht. Beispielsweise versuchten lokale Volkskomitees in den Lagern, Streitigkeiten durch informelle Vermittlungsmethoden zu lösen, überwiesen die betreffenden Personen im Falle schwerwiegender Vergehen (wie z.B. Mord und Terrorismus) aber gelegentlich zur Verhandlung an die staatlichen Behörden (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: November 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf, Zugriff 23.6.2020

HRW – Human Rights Watch: Lebanon (3.8.2020): UPR Submission 2020, 3. August 2020,
https://www.hrw.org/news/2020/08/03/lebanon-upr-submission-2020, Zugriff 14.8.2020

USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026426.html, Zugriff 12.5.2020

USDOS – United States Department of State (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031339.html, Zugriff 14.8.2020

Sicherheitsbehörden

Die führenden Positionen in den Sicherheitsbehörden werden u.a. nach konfessionellem Proporz vergeben. Die dem Innenministerium unterstehenden Forces de Sécurité Intérieure (FSI) [auch „Internal Security Force“ – ISF, Anm.] sind die allgemein zuständige Polizei und gleichzeitig auch Hilfsorgan der Justiz (z.B. zum Führen des Kriminalregisters). Sie wird durch einen sunnitischen General geleitet und steht dem ebenfalls sunnitischen Innenminister nahe. Die schiitisch geprägte Sûreté Générale (SG) übt neben Fragen der Ein- und Ausreisekontrollen auch eine nachrichtendienstliche Funktion aus. Ihr Leiter wird der AMAL-Partei von Parlamentspräsident Berri zugeordnet. Ein Polizeigesetz im engeren Sinne gibt es nicht (AA 24.1.2020).

Das Verhältnis zwischen den Bürgern und den staatlichen Sicherheitsbehörden, einschließlich des ISF und der Sûreté Générale (SG) ist nicht immer vertrauensvoll. Es wird beklagt, dass die Sicherheitsinstitutionen wie viele andere Staatsorgane von dem selben Klientelismus betroffen sind, der den Libanon als Ganzes durchzieht. Dieser Umstand stellt die Unparteilichkeit der Polizei in Frage. Auf der anderen Seite hat der Strategische Plan 2018-2022 des ISF die Organisation zu einem allgemeinen Wechsel zu mehr Verantwortlichkeit und Schutz der Menschenrechte verpflichtet. Die Verwirklichung solcher Ambitionen wird natürlich einige Zeit in Anspruch nehmen und nicht ganz reibungslos vor sich gehen (MEI 23.1.2019).

Das General Directorate for State Security (GDSS), das an den Premierminister berichtet, ist für Spionage und Staatssicherheit verantwortlich (USDOS 11.3.2020).

Die Lebanese Armed Forces (LAF) unter der Führung des Verteidigungsministeriums sind für die äußere Sicherheit verantwortlich, aber auch zur Festnahme von Verdächtigen aus Gründen der nationalen Sicherheit befugt. Sie inhaftierten auch mutmaßliche Drogenhändler, führten die Überwachung von Protesten durch, setzten Bauvorschriften im Zusammenhang mit Flüchtlingsunterkünften durch und intervenierten, um Gewalt zwischen rivalisierenden politischen Fraktionen zu verhindern. Die zivilen Behörden behielten die Kontrolle über die Streitkräfte der Regierung (USDOS 11.3.2020). Im Gegensatz zu den anderen Sicherheitskräften gilt die Armee trotz eines stets christlichen Oberbefehlshabers und zahlreicher christlicher Generäle als parteipolitisch und konfessionell weitgehend neutral und genießt grundsätzlich hohes Ansehen in allen Bevölkerungsteilen. Sie nimmt - beispielsweise durch zahlreiche Kontrollpunkte - auch Aufgaben der inneren Sicherheit wahr (AA 24.1.2020).

Daneben gibt es noch mehrere vorwiegend nachrichtendienstlich tätige Sicherheitsbehörden (Amn ad-Daula – Staatssicherheit; Amn al-Dschaisch – militärische Sicherheit; Sicherheitsdienst der Quwat al-Amn ad-Dakhili – Polizeikräfte; Nachrichtendienstliche Abteilung der Sûreté Générale). Alle genannten Institutionen und Dienste arbeiten verstärkt zusammen, auch wenn die Abgrenzung ihrer Kompetenzen nicht immer klar ist. Ihre Professionalisierung wird auch deutlich dahingehend beschränkt, dass bestimmte Institutionen einer bestimmten Konfession und somit dem entsprechenden politischen Lager zuzuordnen sind. Die daraus resultierenden Loyalitäten beeinflussen teilweise spürbar deren Arbeit (AA 24.1.2020).

Zudem haben die staatlichen Institutionen in Teilen des Landes keinen uneingeschränkten Zugriff (AA 24.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Zum Beispiel übernimmt die Hizbollah zumindest in ihren Hochburgen, d.h. in Teilen der Bekaa-Ebene, in südlichen Beiruter Vororten und Teilgebieten des Südens faktisch auch Aufgaben der Sicherheitsbehörden. Parallel bestehen kleinere bewaffnete Milizen der AMAL-Partei des Parlamentspräsidenten Nabih Berri, drusische Bürgerwehren sowie christliche Milizen (etwa in Nähe zur Kataeb-Partei oder zur griechisch-orthodoxen Kirche), die sich zuletzt im Spätsommer 2015 auch an Kampfhandlungen gegen aus Syrien einsickernde sunnitische Extremisten beteiligt haben (AA 24.1.2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: November 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf, Zugriff 15.5.2020

MEI – Middle East Institute (23.1.2019): Security sector reform and the Internal Security Forces in Lebanon, https://www.mei.edu/publications/security-sector-reform-and-internal-security-forces-lebanon, Zugriff 24.8.2020

USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026426.html, Zugriff 15.5.2020

Folter und unmenschliche Behandlung

Das Gesetz verbietet den Einsatz von Gewalttaten zur Erlangung eines Geständnisses oder von Informationen über ein Verbrechen (USDOS 11.3.2020). Dennoch wurden Folter und andere Misshandlungen weiterhin von allen Sicherheitsapparaten verübt (AI 18.2.2020). Auch wurden Fälle von Misshandlungen auf bestimmten Polizeistationen verzeichnet. Die Regierung leugnete den systematischen Einsatz von Folter, obwohl die Behörden einräumten, dass es bei Voruntersuchungen auf Polizeistationen oder militärischen Einrichtungen, bei denen Beamte Verdächtige ohne Anwalt verhörten, manchmal zu gewalttätigen Misshandlungen kam (USDOS 11.3.2020).

Seitens der Justiz werden Foltervorwürfe nur selten untersucht. Im März 2019 ernannte das Kabinett – wie im Anti-Folter-Gesetz von 2017 gefordert - die fünf Mitglieder des Nationalen Präventionsmechanismus gegen Folter (National Preventive Mechanism - NPM), ein Gremium innerhalb des zehnköpfigen Nationalen Menschenrechtsinstituts (National Human Rights Institute – NHRI), das die Aufgabe hat, die Menschenrechtssituation im Land zu überwachen. Hierzu werden Gesetze, Dekrete und Verwaltungsentscheidungen überprüft, es wird Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen nachgegangen und es werden regelmäßige Berichte über die Ergebnisse der Arbeiten herausgegeben. Das NPM beaufsichtigt die Umsetzung des Anti-Terrorgesetzes. Es ist befugt, regelmäßig unangekündigte Besuche an allen Haftorten durchzuführen, den Einsatz von Folter zu untersuchen und Empfehlungen zur Verbesserung der Behandlung von Gefangenen abzugeben (USDOS 11.3.2020). Da der Ministerrat es jedoch verabsäumt hat, die für die Operationalisierung des Mechanismus erforderlichen Dekrete zu erlassen bzw. ihm ein Budget zuzuweisen, kann dieser weiterhin nicht tätig werden (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020; USDOS 11.3.2020).

Obwohl Menschenrechtsorganisationen einige Verbesserungen bei der Behandlung von Häftlingen im Laufe des Jahres 2019 einräumten, berichteten diese Organisationen und ehemalige Häftlinge weiterhin, dass Drogenkonsumenten, Prostituierte und LGBTI-Personen durch Beamte der Internal Security Force (ISF) - unter anderem durch Androhung längerer Haft und Preisgabe ihrer Identität gegenüber Familie oder Freunden - misshandelt wurden, insbesondere in Haftanstalten außerhalb Beiruts. Analuntersuchungen von Männern, die der gleichgeschlechtlichen sexuellen Aktivität verdächtigt werden, sind in den Polizeidienststellen Beiruts zwar verboten, wurden aber in Tripoli und anderen Städten außerhalb der Hauptstadt weiterhin durchgeführt (USDOS 11.3.2020).

Ermittlungs- oder Strafverfahren wegen Foltervorwürfen sind bisher nur in Einzelfällen bekannt geworden. Jedwede Form „systematischer Folter“ streitet die Regierung ab. Es handle sich um „Exzesse Einzelner“, gegen die man noch stärker auf strafrechtlicher Grundlage vorgehen werde. Menschenrechtsorganisationen haben (anders als das Internationale Komitee des Roten Kreuzes seit 2007) keinen Zutritt zu den Militärgefängnissen und zum Verhörzentrum im Verteidigungsministerium (AA 24.1.2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf, Zugriff 15.5.2020

AI – Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025835.html, Zugriff 12.5.2020

HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022749.html, Zugriff 12.5.2020

USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026426.html, Zugriff 12.5.2020

Korruption

Klientelismus, politische und bürokratische Korruption sind im Libanon weit verbreitet (GIZ 3.2020; vgl. DW 23.10.2019). Selbst unter führenden Politikern sind Bestechungen im großen Stil keine Seltenheit. In ihrem Schutz bildeten sich weit verästelte Netzwerke organisierter Korruption. Mangelnde Transparenz und Korruption sind eine wesentliche Ursache für die missliche Lage des Landes (GIZ 3.2020). Amtsmissbrauch wird nur selten strafrechtlich verfolgt. Das Fehlen einer nennenswerten rechtlichen, administrativen und politischen Aufsicht führt zu einer sehr starken Wahrnehmung von Korruption im Land (BTI 29.4.2020).

Das Gesetz sieht zwar strafrechtliche Sanktionen für Korruption vor, wird aber von der Regierung nicht wirksam umgesetzt. Regierungsbeamte sowie Beamte von Behörden, Zoll und Justiz sollen sich ungestraft und in großem Umfang an korrupten Praktiken beteiligt haben (USDOS 11.3.2020).

Das Central Inspection Board (CIB), ein Aufsichtsorgan innerhalb des Amtes des Premierministers, ist für die Überwachung der Verwaltungsabteilungen, einschließlich Beschaffung und finanzielle Maßnahmen, zuständig und blieb weitgehend unabhängig von politischer Einflussnahme. Das CIB kann Mitarbeiter der nationalen und kommunalen Regierung inspizieren und ist berechtigt, ihre Absetzung zu beantragen oder Fälle zur Strafverfolgung weiterzuleiten. Die Befugnisse des CIB erstrecken sich allerdings nicht auf Kabinettsminister oder kommunale Führungskräfte. Der Sozialversicherungsfonds und der Rat für Entwicklung und Wiederaufbau, öffentliche Einrichtungen, die große Finanzströme verwalteten, liegen ebenfalls außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der CIB (USDOS 11.3.2020).

Korruption äußert sich in der Praxis insbesondere in systemischer Vetternwirtschaft, im Versagen der Justiz - vor allem bei der Untersuchung von Amtsvergehen - sowie in zahlreichen Fällen von Bestechung auf mehreren Ebenen innerhalb der nationalen und regionalen Regierungen und führt zur Abzweigung von Ressourcen, die für andere Ziele bestimmt sind. Einige wenige Richter wurden vom Dienst suspendiert, bis Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Annahme von Bestechungsgeldern von Anwälten und Vermittlern abgeschlossen waren (USDOS 11.3.2020). Journalisten, die in Korruptionsfällen recherchieren, werden immer wieder zu Geldstrafen verurteilt (GIZ 3.2020).

Unternehmen zahlen routinemäßig Bestechungsgelder und pflegen Beziehungen zu Politikern, um Aufträge zu erhalten oder ungünstige staatliche Maßnahmen zu vermeiden, Antikorruptionsgesetze werden nur locker durchgesetzt, und Klientelnetzwerke arbeiten im Allgemeinen unkontrolliert. Es gibt nur wenige Mechanismen für eine wirksame Überwachung der Staatsausgaben. Institutionen wie das Zentralinspektionsbüro und der Oberste Disziplinarrat sind nach wie vor massiv unterfinanziert und personell unterbesetzt. (FH 4.3.2020).

Die Korruption in der Regierung und im öffentlichen Sektor waren einer der Auslöser für die massiven Proteste, die am 17. Oktober 2019 begannen. Innerhalb des ersten Monats nach Beginn der Proteste nahm die Zahl der korruptionsbezogenen Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen zu (USDOS 11.3.2020).

Gemäß Transparency International‘s Corruption Perceptions Index 2020 liegt der Libanon im Jahr 2019 in Bezug auf Korruption auf Platz 137 von insgesamt 180 Staaten (TI 2020).

Quellen:

BTI - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Lebanon, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029489/country_report_2020_LBN.pdf, Zugriff 30.6.2020

DW – Deutsche Welle (23.10.2019): Lebanon's former PM denies corruption charges, https://www.dw.com/en/lebanons-former-pm-denies-corruption-charges/a-50950966, Zugriff 20.7.2020

FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030886.html, Zugriff 16.6.2020

GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020): Libanon – Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/libanon/geschichte-staat/, Zugriff 16.6.2020

TI – Transparency International (2020): Corruption by Country/Territory, https://www.transparency.org/en/countries/lebanon, Zugriff 16.6.2020

USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026426.html, Zugriff 12.5.2020

Allgemeine Menschenrechtslage

Der Libanon ist seit 1945 Gründungsmitglied der Vereinten Nationen (GIZ 3.2020). Die Präambel der libanesischen Verfassung hält ausdrücklich fest, dass der Libanon die Allgemeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen beachtet. Der Staat ist Vertragsstaat wichtiger internationaler Menschenrechtsabkommen. Jedoch wurden die meisten der Fakultativprotokolle zu den Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert, so beispielsweise auch das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (OP2-ICCPR) von 1991. Der Libanon ist bislang keinem internationalen Übereinkommen zum Status von Flüchtlingen beigetreten (AA 24.1.2020).

Das Land genießt im Vergleich zu anderen arabischen Ländern eine demokratische und rechtsstaatliche Tradition, die sich in einer aktiven Zivilgesellschaft und zahlreichen Nichtregierungsorganisationen ausdrückt. Jedoch lassen sich trotz gesetzlicher Regelungen grobe Verstöße gegen die Menschenrechte feststellen. Der Schutz von Migranten und Flüchtlingen wird nicht gemäß internationaler Standards gewährt, auch häufen sich Berichte von Misshandlungen und Folter bei Verhören. Eine offene Wunde des Libanons sind die seit dem Bürgerkrieg vermissten Menschen. Eine der größten Herausforderungen für die Menschenrechte im Libanon ist die Gratwanderung des libanesischen Staates zwischen der Garantie der Sicherheit und der Einhaltung der Freiheitsrechte (GIZ 3.2020).

Zu den wichtigsten Menschenrechtsverletzungen gehörten willkürliche oder ungesetzliche Tötungen durch nichtstaatliche Akteure, weiters wurden Vorwürfe der Folter durch Sicherheitskräfte erhoben. Auch gab es Berichte über eine exzessive Dauer der Untersuchungshaft, unangemessene und zunehmende Einschränkungen der Rede- und Pressefreiheit, nicht zuletzt durch Gesetze, die eine Reihe von Ausdrucksformen kriminalisieren. Darüber hinaus gab es hochgradige und weit verbreitete Korruption bei den Behörden, eine Kriminalisierung des Status oder Verhaltens von Homosexuellen, Bisexuellen, Transgender-Personen und Intersexuellen (LGBTI) sowie Kinderarbeit. Obwohl die Rechtsstruktur die Verfolgung und Bestrafung von Beamten vorsieht, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, blieb die Durchsetzung ein Problem und Regierungsbeamte genossen in solchen Fällen ein gewisses Maß an Straffreiheit. Gerichtsverfahren wurden umgangen oder beeinflusst (USDOS 11.3.2020).

Das libanesische Parlament hat im Oktober 2016 durch die Einrichtung eines Nationalen Menschenrechtsinstituts (NHRI) einen Schritt gesetzt, um die Menschenrechtssituation zu verbessern und die Anwendung von Folter im Land zu beenden. Das Institut soll die Menschenrechtslage im Libanon überwachen, Beschwerden über Verstöße entgegennehmen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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