TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/31 L516 2169212-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.08.2021
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Entscheidungsdatum

31.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L516 2169212-1/30E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Pakistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.08.2017, Zahl 1113735500-160629669, nach mündlicher Verhandlung am 22.03.2021, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs 1, § 8 Abs 1, § 57, § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs 2 Z 2 und Abs 9 sowie § 46 FPG und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger und stellte am 04.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.

Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache am 22.03.2021 eine mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer teilnahm; die belangte Behörde erschien nicht.

1. Sachverhaltsfeststellungen:

[regelmäßige Beweisquellen-Abkürzungen: AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; EB=Erstbefragung; EV=Einvernahme; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht; S=Seite; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich; SD=Staatendokumentation des BFA; LIB=Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA]

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen in Pakistan

Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführten Namen und das dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan, gehört der Volksgruppe der Punjabi, dem Clan/Stamm der XXXX (auch: XXXX ), sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Sein Name lautet XXXX , sein Geburtsdatum XXXX und der Name seines Vaters XXXX (NS EB 04.05.2016 S 1f; NS EV 13.02.2017 S 4; OZ 7)

Er stammt aus dem Dorf XXXX in der Nähe des Ortes XXXX in der Nähe von Faisalabad, Provinz Punjab. Er besuchte in Pakistan zehn Jahre lang die Grundschule und arbeitete in der Landwirtschaft seiner Eltern. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Er verließ sein Heimatdorf etwa zwei bis drei Jahre vor seiner Ausreise und hielt sich danach in Lahore, Qasur (andere Schreibweise auch: Kasur) und Karachi auf. Der Vater des Beschwerdeführers ist verstorben. Die Mutter des Beschwerdeführers lebt in der Stadt XXXX , in der örtlichen Umgebung des Heimatortes des Beschwerdeführers. Zwei Brüder des Beschwerdeführers namens XXXX und XXXX leben in Pakistan mit ihren jeweiligen Familien ( XXXX in Multan, der siebtgrößten Stadt Pakistans mit 1,9 Millionen Einwohnern), ein Bruder namens XXXX befindet sich laut Beschwerdeführer gegenwärtig im Gefängnis und der vierte Bruder namens XXXX lebt in Bahrain. Der Beschwerdeführer ist der jüngste seiner Brüder. Die fünf Schwestern des Beschwerdeführers sind verheiratet und leben mit ihren eigenen Familien in Pakistan. Der Beschwerdeführer hat zu seiner Mutter sowie zu seinem Bruder in Bahrain Kontakt; der Mutter geht es gut. (NS EB 04.05.2016 S 1-3; NS EV 13.02.2017 S 4, 5; VS 22.03.2021 S 5-7)

Der Beschwerdeführer ließ sich im Jahr 2015 einen Reisepass ausstellen und verließ Pakistan ungefähr im Jänner 2016 illegal. (NS EB 04.05.2016 S 3, 4)

1.2 Zu den Lebensverhältnissen in Österreich

Der Beschwerdeführer reiste spätestens am 04.05.2016 in Österreich ein, stellte hier den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und hält sich seither gestützt auf das vorläufige Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz seit nunmehr rund etwas mehr als fünf Jahren ununterbrochen in Österreich auf. Er bezieht seit Jänner 2021 keine Leistungen mehr aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde. Der Beschwerdeführer war bisher nicht erwerbstätig, ist jedoch arbeitsfähig und arbeitswillig und hat sich bereits bemüht, eine Arbeitsstelle zu finden. Er verfügt über eine Einstellungszusage für den Fall des Erhalts einer Aufenthaltsberechtigung und einen Arbeitsvorvertrag. Der Beschwerdeführer lernte Deutsch über das Internet bzw über die Kirche, eine Prüfung hat er nicht abgelegt. Er kann sich auf Deutsch verständigen und lesen, jedoch nicht schreiben. Der Beschwerdeführer ist nicht Mitglied in einem Verein. Er lebt in Österreich aktuell in keiner partnerschaftlichen oder familienähnlichen Beziehung. In Österreich hat der Beschwerdeführer keine Verwandten. (IZR, GVS, VS 22.03.2021 S 5; Einstellungszusage OZ 16; VS 22.03.2021, Beilage 5 Arbeitsvorvertrag)

Der Beschwerdeführer wurde von einem österreichischen Landesgericht mit seit 18.06.2020 rechtskräftigem Urteil vom 18.06.2020 wegen §§ 146, 147 Abs 1 und 2, § 142 Abs 2 StGB (Raub und Schwerer Betrug) zu einer Feiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt bei einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt. Er wurde am 25.09.2020 aus der Strafhaft entlassen. (Strafregister der Republik Österreich)

Das BFA sprach mit Bescheid vom 29.01.2020 aus, dass der Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs 2 Z 1-3 AsylG sein Recht zum Aufenthalt in Österreich ab dem 29.01.2020 verloren habe; mangels Erhebung einer Beschwerde erwuchs dieser Bescheid mit Ablauf der Rechtsmittelfrist in Rechtskraft. (OZ 9, 10)

1.3 Zum Gesundheitszustand

Der Beschwerdeführer ist gesund. (VS 22.03.2021 S 4, 5)

1.4 Der Beschwerdeführer brachte zur Begründung seines Antrages auf internationalen Schutz – zusammengefasst – vor:

Bei der Erstbefragung am 04.05.2016 brachte der Beschwerdeführer vor, er sei noch sehr jung gewesen, als sein Vater wegen eines Mordes verdächtigt und auch angeklagt worden sei. Soweit er sich erinnern könne, sei sein Vater im Jahr 2015 verstorben. Die Opferfamilie haben nach dem Tod des Vaters begonnen, die Familie des Beschwerdeführers einzuschüchtern. Sein Bruder XXXX sei zweimal attackiert worden und auf diesen sei auch geschossen worden. Die nächste Person, die ins Visier geraten sei, sei der Beschwerdeführer gewesen. Er und sein Bruder seien auch beschuldigt worden, auf die anderen geschossen zu haben. Er fürchte, von der Opferfamilie umgebracht zu werden. (NS EB 04.05.2016 S 5)

Bei der Einvernahme am 13.02.2017 beim BFA führte der Beschwerdeführer aus, er habe sein Dorf verlassen, als er Probleme gehabt habe. Er habe dann zwei bis drei Jahre sein Dorf verlassen, habe dann einen Monat und fünf Tage bei der Familie eines Freundes gewohnt und danach in Lahore sowie in der Nähe von Qasur [auch: Kasur; Stadt südlich von Lahore, Anm] und kurz in Karachi. Sein Vater habe im Zuge einer Feindschaft jemandem umgebracht. Die Familie des Ermordeten sei nun mit der Familie des Beschwerdeführers verfeindet. Die Gegner würden der Gruppierung Jamaat ud-Dawa angehören. 2007 sei sein Bruder XXXX von den Gegnern belästigt worden, weshalb XXXX nach Bahrain gegangen sei. Der Beschwerdeführer sei dann der einzige gewesen, der noch nicht verheiratet gewesen sei. 2013 habe er an einem religiösen Umzug teilgenommen. Die Gegner hätten auf den Umzug geschossen und dabei fünf Personen getroffen. Drei der Getroffenen seien Cousins des Beschwerdeführers gewesen. Nach jenem Vorfall habe der Beschwerdeführer das Dorf verlassen. Er habe sich versteckt in verschiedenen Städten aufgehalten. Im Mai 2015 sei er einmal in das Dorf zurückgekehrt; er sei von seinem Bruder XXXX mit dem Motorrad abgeholt worden und nach ungefähr drei Kilometer vor dem Dorf habe er bemerkt, dass man sie mit einem Auto verfolge. Nach einiger Zeit seien sie von jenem Auto gerammt worden, sein Bruder habe schwere Fußverletzungen erlitten und sei nun behindert. Der Beschwerdeführer sei auch verletzt worden, sei bewusstlos gewesen und erst im Krankenhaus in XXXX wieder aufgewacht. Man habe ihm gesagt, dass sein Bruder ins Krankenhaus Faisalabad gebracht worden sei, da jener schwerer verletzt worden sei. Die Familie des Beschwerdeführers habe ihm gesagt, dass er von den Gegnern verfolgt werde. Seine anderen Brüder seien dadurch auch bedroht, er solle das Dorf verlassen und nicht mehr zurückkehren. Daraufhin habe der Beschwerdeführer den Entschluss gefasst, Pakistan zu verlassen. Als er in Lahore gewesen sei, habe er das Gefühl gehabt, von Männern verfolgt zu werden. Er sei weitergezogen und habe später das Land verlassen. Er habe noch vorzubringen, dass die Gegner anfangs seine Kühe gestohlen hätten, Später hätten sie begonnen, ihn zu bedrohen und ihn anzugreifen. Er sei sehr oft persönlich bedroht worden. Er habe Anrufe erhalten und sei auch persönlich bedroht worden, er bekomme auch Drohungen auf Facebook. Die Drohungen auf Facebook habe er jedoch gelöscht, weil es schmutzige Beschimpfungen gewesen seien. Seine Cousins, die bei dem genannten Umzug angeschossen worden seien, hätten aus Rache einen Mann der Gegner umgebracht; die Feindschaft werde immer tiefer. Er sei insgesamt fünf Mal persönlich bedroht worden. Drei Mal bei ihm zu Hause und zwei Mal auf einer Kreuzung. Seiner Mutter sei ausgerichtet worden, dass man ihn umbringe, sobald man ihn finde. Einmal sei er bedroht worden, als er auf einer Tankstelle gewesen, da hätten die Gegner gerufen „haltet ihn fest“, aber er habe entkommen können. Bei der Bedrohung bei ihm zu Hause seien ein Mann namens XXXX und sein Sohn sowie zwei Männer gekommen und sie hätten nach dem Beschwerdeführer gefragt. Seine Familie habe gesagt, dass er nicht zu Hause sei. Den Brüdern in Pakistan gehe es jetzt gut, man bedrohe diese nicht, sie würden nur beschuldigt. Er werde bedroht, weil er der letzte sei, der ledig sei, alle anderen hätten Familie und Kinder. Von staatlicher Seite drohe ihm nichts. (NS EV 13.02.2017 S 6-9)

Mit der Beschwerde vom 24.08.2017 wurde das bisherige Vorbringen in geraffter Form wiederholt und dabei in einem Satz erwähnt, dass es nach dem Jahr 2007 später zu einem Streit zwischen dem Beschwerdeführer und einem Sohn der verfeindeten Familie gekommen sei (ohne dies weiter auszuführen) und diese im Jahr 2013 einen religiösen Umzug dazu benutzt habe, um die drei Cousins des Beschwerdeführers anzuschießen. (Beschwerde 24.08.2017 S 2 (AS 229 ff)) Mit der Beschwerde wurden vorgelegt: drei Schriftstücke, die als pakistanische Polizeianzeigen (FIR) aus dem Jahr 2007 (FIR Nr 652, Anzeige vom 02.12.2007: Anzeige von einem Onkel wegen der Ermordung eines seiner Söhne), 2010 (FIR Nr 269, Anzeige vom 14.05.2010: Anzeige von der Familie des Beschwerdeführers über einen Viehdiebstahl) und 2016 (FIR Nr 520, Anzeige vom 20.09.2016: Anzeige von der verfeindeten Familie gegen zwei Brüder des BF wegen eines Überfalls) bezeichnet wurden (AS 244-246), sowie ein Zeitungsbericht über einen Anschlag auf den religiösen Umzug im Jahr 2013 (AS 247 f).

In der mündlichen Verhandlung am 22.03.2021 vor dem Bundesverwaltungsgericht führte der Beschwerdeführer zur Begründung seines Antrages – zusammengefasst – aus, er komme aus einer sehr gefährlichen Umgebung, wo es tagtäglich zu Unruhen komme. Der Mann mit dem der Beschwerdeführer Probleme habe, gehöre zur Partei Jamaat ud-Dawa, die sehr gefährlich sei. In den letzten 10 Jahren seien 370 junge Männer im Dorf des Beschwerdeführers ermordet worden. Der Vater des Beschwerdeführers habe eine jahrelange Feindschaft mit einem Mann namens XXXX , einem Anhänger der Jamaat ud-Dawa gehabt. Nach dem Tod des Vaters sei die Feindschaft weitergegeben worden. Sie Söhne des XXXX seien nun hinter dem Beschwerdeführer her. Die Familie des Beschwerdeführers habe ein persönliches Problem mit der Jamaat-ud Dawa gehabt. Die Jamaat-du Dawa habe später behauptet, dass es ein religiöses Problem sei, doch dies stimme nicht, der Beschwerdeführer sei weder bei einer politischen noch islamischen Partei. Man habe ihm das allerdings nicht angelastet. Das heiße, alle religiösen Gruppierungen, die es in seiner Umgebung gebe, seien gegen den Beschwerdeführer geworden. Der Beschwerdeführer wisse nun selbst nicht, wer sein Feind sei. Das alles habe vor seiner Geburt begonnen. Es habe mit einem Mord zu tun. Er wisse nicht, ob sein Vater ein Mörder gewesen sei oder nicht. Es sei schon eine langjährige Feindschaft. Der Beschwerdeführer sei damals sehr klein gewesen. Sein Vater habe der Familie gesagt, dass er jenen Mord nicht begangen habe für den er beschuldigt worden sei. So lange der Vater am Leben gewesen sei, habe der Vater das Problem selbst geregelt. Dann sei der Vater gestorben und der Beschwerdeführer sei dran gewesen. Sein Bruder XXXX sei von XXXX und dessen Söhnen in ein Problem verwickelt worden und auf diesen Bruder sei von jenen ein Anschlag verübt worden. Zwei Tage später hätten jene einen bewaffneten Anschlag auf das Haus der Familie des Beschwerdeführers verübt. Damals sei der Beschwerdeführer noch ein Kind gewesen und in die vierte Klasse gegangen. Da die Familie Angst gehabt um seinen Bruder XXXX gehabt habe, sei jener nach Bahrain geschickt worden. Sie hätten also vorsichtig und in ständiger Angst leben müssen. Das habe bedeutet, dass sie nachts nicht hinaus hätten dürfen. Der Beschwerdeführer sei damals noch ein Kind gewesen. So sei die Zeit vergangen. Der Beschwerdeführer habe eines Tages einmal in der Schule ein Kampfspiel gespielt. Das sei ein berühmtes Kampfspiel in Pakistan und Indien. Es sei zu einem großen Streit gekommen. Er sei mit seinem Freund dort gewesen, der Sohn des XXXX namens XXXX sei mit dessen Freund dort gewesen. Es sei ein normaler Streit gewesen, nichts Heftiges. Kurz bevor der Beschwerdeführer wieder zu Hause gewesen sei, sei im Vorhof des Hauses ein Anschlag auf den Beschwerdeführer verübt worden. Jener sei bewaffnet gewesen. Sie seien von den örtlichen Dorfbewohnern getrennt worden. So habe das begonnen. Das sei der Beginn seines großen Problems gewesen. Der Streit sei in der zehnten Klasse gewesen, er sei damals ungefähr 16, 17 Jahre alt gewesen. Nachdem eine Zeit vergangen gewesen sei, habe er gedacht, dass die Lage nun ruhiger werde und es in Ordnung sein werde. Er sei dann am Tag des EID-Festes im Jahr 2013 mit seinen zwei Cousins in die Moschee gegangen, um zu beten. Plötzlich seien jene aufgetaucht. Sie hätten einen Anschlag mit Pistolen verübt und dabei seien sieben Personen ums Leben gekommen. Er und ein anderer Cousin seien sofort vom Tatort geflohen. Er sei sich sicher gewesen, dass sie ihn ermorden würden. Sie seien in eine andere Stadt geflüchtet. Der Vorfall habe sich in der Moschee ereignet. Der Vorfallstag sei der Tag des EID-Festes gewesen, das heiße, es sei eine Menschenmasse unterwegs gewesen. Danach habe er sein Dorf verlassen, sei aber einige Male versteckt zu seiner Familie gekommen. Zwischen 2013 und 2015 sei er in Lahore und Karachi gewesen, er habe aber mit seinen Kampfspielgegnern und Schulfreunden Kontakt gehalten. An einem Freitag habe er seine Mutter besuchen wollen. Als ihn sein Bruder vom Bahnhof abgeholt habe, seien sie verfolgt worden, zu Sturz gekommen und seien verletzt worden. Es sei auch ein Anschlag auf das Haus des Beschwerdeführers verübt worden: Mit vielen Pistolen sei auf das Haus geschossen worden. Der Mutter sei zum Glück nichts passiert. Seinen Brüdern sei es möglich, in Pakistan zu leben. Man schade ihnen jedoch immer wieder. Es gebe falsche Anzeigen gegen sie, aber sie würden sich nicht wehren. Auch nicht, wenn sie belästigt, geschimpft oder geschlagen würden. Der Beschwerdeführer habe sich damals gewehrt, deshalb seien die Feinde hinter ihm her, weil er mit den Söhnen von XXXX namens XXXX und XXXX die Streitigkeiten gehabt habe. Diese würden sich an ihm rächen wollen. Er habe in Lahore und Karachi in einer Fabrik gearbeitet und davon gelebt. Als er in Lahore in einer Fabrik gearbeitet habe, habe ihm ein Mitarbeiter gesagt, dass er gesucht werde. Er habe große Angst gehabt und sei in eine andere Stadt geflohen. Obwohl der Beschwerdeführer damals nicht seine richtigen Daten angegeben hatte, sei er trotzdem gesucht worden. (VS 22.03.2021 S 8-13)

In der Verhandlung legte der Beschwerdeführer vor: medizinische Dokumente über seine ärztliche Behandlung in Pakistan im Mai 2015 sowie zwei Schriftstücke, die von ihm als pakistanische Polizeianzeigen (FIR) aus dem Jahr 2013 (FIR Nr 28, Anzeige vom 25.01.2013 über Anschlag auf Prozession im Jahr 2013) und 2014 (FIR Nr 68, Anzeige 05.02.2014: Anzeige von der Familie des Beschwerdeführers wegen eines Problems) bezeichnet wurden (VS 22.03.2021 S 4; VS 22.03.2021 Beilagen # 1-4)

1.5 Zur Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens und Gefährdung bei einer Rückkehr nach Pakistan

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach nahe und entferntere Familienangehörige im Laufe der letzten zwanzig Jahre im Heimatdorf und der Heimatregion des Beschwerdeführers in mehrere Gewaltvorfälle involviert waren, ist glaubhaft.

Nicht glaubhaft ist, dass der Beschwerdeführer das eigentliche Ziel der Verfolgung ist und seine Familienangehörigen wegen seiner Person bedroht sind. Es ist auch nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer außerhalb seines Heimatdorfes oder außerhalb der näheren Umgebung des Heimatdorfes bedroht oder verfolgt wurde. Er hat mit seinem Vorbringen nicht glaubhaft gemacht und es ergibt sich auch sonst nicht, dass er im Falle einer Rückkehr in seine Heimat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit – in ganz Pakistan – einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung von erheblicher Intensität ausgesetzt wäre.

1.6 Zur Lage in Pakistan

Politische Lage

Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber-Pakhtunkhwa sowie dem Hauptstadtterritorium Islamabad (AA 25.9.2020). Die vormaligen FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) sind nach einer Verfassungsänderung im Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert worden (ET 25.5.2018). Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete Gilgit-Baltistan und Azad Jammu & Kashmir auf der pakistanisch verwalteten Seite Kaschmirs (AA 25.9.2020).

Pakistan ist gemäß seiner Verfassung eine parlamentarische Demokratie. Seit der Unabhängigkeit wurde die demokratische Entwicklung jedoch mehrfach von längeren Phasen der Militärherrschaft unterbrochen. Zuletzt kehrte Pakistan 2008 zur Demokratie zurück. Bei den Parlamentswahlen am 25.7.2018 gewann die bisherige Oppositionspartei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI). Seit August 2018 führt PTI-Chef XXXX als Premierminister eine Koalitionsregierung an (AA 29.9.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Sicherheitslage allgemein

Die Sicherheitslage in Pakistan ist landesweit unterschiedlich und wird von verschiedenen Faktoren wie politischer Gewalt, Gewalt von Aufständischen, ethnischen Konflikten und konfessioneller Gewalt beeinflusst. Die Sicherheitslage im Inneren wird auch von Auseinandersetzungen mit den Nachbarländern Indien und Afghanistan beeinflusst, die gelegentlich gewalttätig werden (EASO 10.2020).

Sicherheitslage - Punjab und Islamabad

Die Bevölkerung der Provinz Punjab beträgt laut Zensus 2017 110 Millionen. In der Provinzhauptstadt Lahore leben 11,1 Millionen Einwohner (PBS 2017d; vgl. EASO 10.2020). Die Bevölkerung des Hauptstadtterritoriums beträgt laut Zensus 2017 ca. zwei Millionen Menschen (PBS 2017d).

Beim einzigen 2019 aus Islamabad gemeldeten Terroranschlag wurden zwei Polizisten getötet und ein weiterer bei einem Angriff auf einen Sicherheitsposten verletzt (PIPS 2020).

Im südlichen Punjab sind militante Netzwerke und Extremisten präsent, Lashkar-e Taiba (LeT) und JeM haben dort ihre Hauptquartiere und unterhalten religiösen Einrichtungen. Die Abteilung für Terrorismusbekämpfung im Punjab (CTD) hat 2019 und im ersten Halbjahr 2020 ihre Operationen gegen Militante fortgesetzt. Es kam dabei zu Festnahmen und zur Tötung von (mutmaßlichen) Kämpfern der TTP, HuA, LeJ und ISKP. Vom 1. Jänner bis 31. Juli 2020 zählte PIPS neun Vorfälle im Punjab, fünf davon wurden als Terroranschläge erfasst (EASO 10.2020; vgl. PIPS 2020).

Rechtsschutz, Justizwesen

Das Gesetz garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 11.3.2020). Nach der Verfassung ist die politische Gewalt zwischen Legislative, Exekutive und Judikative aufgeteilt. In der Praxis wird diese Aufteilung in Pakistan jedoch nicht strikt eingehalten (BS 2020). Die pakistanische Verfassung und die gesamte pakistanische Rechtsordnung basieren weitgehend auf dem britischen Rechtssystem. Wenngleich gemäß Art. 227 der Verfassung alle Gesetze grundsätzlich im Einklang mit der Scharia stehen müssen, ist deren Einfluss auf die Gesetzgebung trotz Bestehens des Konsultativorgans Council of Islamic Ideology jedoch eher beschränkt, abgesehen von bestimmten Bereichen wie beispielsweise den Blasphemiegesetzen (ÖB 5.2020).

Der Supreme Court ist das pakistanische Höchstgericht und kann sich in Fällen von öffentlichem Interesse auch der Rechtsdurchsetzung bei Grundrechtsverletzungen, die gemäß Verfassung in die Zuständigkeit der High Courts fällt, annehmen. Die fünf High Courts fungieren u.a. als Berufungsinstanz gegen Beschlüsse und Urteile von Special Courts sowie als Aufsichts- und Kontrollorgane für alle ihnen unterstehenden Gerichte. Ferner bestehen Provinz- und Bezirksgerichte, Zivil- und Strafgerichte sowie spezialisierte Gerichte für Steuern, Banken und Zoll. Des Weiteren existiert gemäß Verfassung ein Federal Shariat Court, der zur Prüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Islam angerufen wird und diesbezüglich auch von sich aus tätig werden kann. Er fungiert zusätzlich zum Teil als Rechtsmittelinstanz in Delikten nach den Hudood Ordinances von 1979, die eine v.a. Frauen stark benachteiligende Islamisierung des Strafrechts brachten und durch den Protection of Women (Criminal Law Amendment) Act 2006 in Teilen etwas entschärft wurden. In Azad Jammu und Kaschmir (AJK) sowie in Gilgit-Baltistan gibt es eigene Justizsysteme (ÖB 5.2020).

Die oberen Gerichte und der Supreme Court werden allerdings als glaubwürdig eingestuft (USDOS 11.3.2020).

Im Zivil-, Straf- und Familienrecht gibt es öffentliche Verhandlungen, es gilt die Unschuldsvermutung, und es gibt die Möglichkeit einer Berufung. Angeklagte haben das Recht auf Anhörung und auf Konsultation eines Anwalts. Die Kosten für die rechtliche Vertretung vor den unteren Gerichten muss der Angeklagte übernehmen, in Berufungsgerichten kann auf öffentliche Kosten ein Anwalt zur Verfügung gestellt werden (USDOS 11.3.2020). Das National Accountability Bureau (Antikorruptionsbehörde) kann Verdächtige 15 Tage lang ohne Anklageerhebung festhalten (mit gerichtlicher Zustimmung verlängerbar) und ihnen vor der Anklageerhebung den Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigern. Für Straftaten im Rahmen dieser Behörde kann keine Kaution hinterlegt werden, und nur dessen Vorsitzender ist befugt, über die Freilassung von Gefangenen zu entscheiden (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 2020).

Die Justiz verteidigt ihre nach Ende der Militärherrschaft zurückgewonnene Unabhängigkeit und bemüht sich, den Rechtsstaat in Pakistan zu stärken. Gleichzeitig steht sie weiterhin unter dem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee. Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind hochgradig ineffizient (AA 29.9.2020). Zudem ist die Justiz in der Praxis oft von externen Einflüssen beeinträchtigt: Korruption, Einschüchterung und Unsicherheit; einem großen Rückstau an Fällen und niedrigen Verurteilungsquoten bei schweren Straftaten; von Angst vor Repressionen durch extremistische Elemente bei Fällen von Terrorismus, Blasphemie oder öffentlichkeitswirksamen politischen Fällen (USDOS 11.3.2020; vgl. HRCP/FIDH 10.2019; HRW 14.3.2020). Viele Gerichte unterer Instanzen bleiben für Korruption und den Druck von wohlhabenden Personen und einflussreichen religiösen und politischen Akteuren anfällig. Es gibt Beispiele, wo Zeugen, Staatsanwälte oder ermittelnde Polizisten in High Profile Fällen von unbekannten Personen bedroht oder getötet wurden. Verzögerungen in zivilen und Kriminalfällen sind auf ein veraltetes Prozessrecht, unbesetzte Richterstellen, ein schlechtes Fallmanagement und eine schwache rechtliche Ausbildung zurückzuführen. Der Rückstand sowohl in den unteren als auch in den höheren Gerichten beeinträchtigt den Zugang zu Rechtsmitteln oder eine faire und effektive Anhörung (USDOS 11.3.2020). Zivile Streitigkeiten, insbesondere wegen Eigentum und Geld, sind ein häufiger Grund für Mordfälle in Pakistan. Die oftmals Jahrzehnte dauernden Verzögerungen bei Urteilen durch Zivilgerichte können zu außergerichtlicher Gewaltanwendung zwischen den Streitparteien führen (JPP 4.10.2018). De facto spielt in weiten Landesteilen das staatliche Recht für die meisten Pakistaner kaum eine Rolle. Rechtsstreitigkeiten werden nach Scharia-Recht oder nach lokalen Rechtsbräuchen gelöst. Im WJP Rule of Law Index belegt Pakistan Platz 120 von 128 untersuchten Staaten (AA 29.9.2020). Neben dem bisher dargestellten staatlichen Justizwesen bestehen also vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. Hier drohen vor allem Frauen menschenunwürdige Bestrafungen (ÖB 5.2020).

Polizei

Die Effizienz der Arbeit der Polizeikräfte variiert von Bezirk zu Bezirk und reicht von gut bis ineffizient (USDOS 11.3.2020). In der Öffentlichkeit genießt die vor allem in den unteren Rängen schlecht ausgebildete, gering bezahlte und oft unzureichend ausgestattete Polizei kein hohes Ansehen. So sind u.a. die Fähigkeiten und der Wille der Polizei im Bereich der Ermittlung und Beweiserhebung gering. Staatsanwaltschaft und Polizei gelingt es häufig nicht, belastende Beweise in gerichtsverwertbarer Form vorzulegen (AA 29.9.2020). Zum geringen Ansehen der Polizei tragen Korruptionsanfälligkeit, unrechtmäßige Übergriffe und Verhaftungen sowie Misshandlungen von in Polizeigewahrsam Genommenen ebenso bei (AA 29.9.2020; vgl. HRCP 4.2020).

Mangelnde Bestrafung von Übergriffen, begangen von Angehörigen der Sicherheitskräfte, trägt zu einem Klima der Straflosigkeit bei. Interne Ermittlungen und Strafen können bei Übergriffen bzw. Misshandlungen vom Generalinspektor, den Bezirkspolizeioffizieren, den District Nazims, Provinzinnenministern oder Provinzministerpräsidenten, dem Innenminister, dem Premierminister und den Gerichten angeordnet werden. Die Exekutive und Polizeibeamte sind ebenfalls dazu befugt, in solchen Fällen eine strafrechtliche Verfolgung zu empfehlen, die gerichtlich angeordnet werden muss. Das Gerichtssystem bleibt das einzige Mittel, um Missbrauch durch Sicherheitskräfte zu untersuchen (USDOS 11.3.2020).

Blutfehden, Ehrverbrechen und andere relevante traditionelle Praktiken

Blutrache ist vor allem im ländlichen Bereich Pakistans noch immer ein verbreitetes Phänomen. Die meisten Fälle dürfte es in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa geben, Blutfehden kommen aber auch in den ländlichen Gebieten Sindhs und Punjabs vor. Auslöser für Blutfehden zwischen Familien sind Ehrverletzungen, die aus einem Mord eines Angehörigen, der Respektlosigkeit gegenüber einem weiblichen Familienmitglied, einer Beleidigung, Verletzung von Eigentumsrechten (Bewässerungskanäle, Land) etc. bestehen können. Das Konzept der Ehre (ghairat), das vor allem in der paschtunischen Bevölkerung Khyber Pakhtunkhwas besonders stark ausgeprägt ist, verlangt es, eine Ehrverletzung zu rächen. Blutfehden führen oft dazu, dass Familien über Generationen miteinander verfeindet sind und in ständiger Angst davor leben, dass eines ihrer Familienmitglieder aus Rache getötet wird (ÖB 5.2020).

Das Gesetz über Ehrenmorde aus dem Jahr 2004 (Honour Killing Act), sowie das Gesetz zur Verhütung frauenfeindlicher Praktiken aus dem Jahr 2011 und das Strafrechtsänderungsgesetz (Straftaten im Namen oder unter dem Vorwand der Ehre) aus dem Jahr 2016 stellen Ehrentötungen“ (Karo Mari) unter Strafe (AA 29.9.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Eine wesentliche Neuerung ist die Abschaffung des Konzepts der Vergebung (diyat). Bis zur Einführung des Gesetzes konnte die Familie der Ermordeten dem Täter vergeben, was zur automatischen Straffreiheit des Täters führte und damit einer strafrechtlichen Verfolgung entgegenstand. Der Implementierung der Anti Honour Killings Bill steht die große Bedeutung des informellen Justizwesens in vielen ländlichen und von Stammesstrukturen geprägten Teilen Pakistans entgegen (ÖB 5.2020).

Trotz dieser Gesetze wurden Berichten zufolge Hunderte von Frauen Opfer sogenannter Ehrenmorde, wobei viele Fälle nicht gemeldet wurden und unbestraft blieben. Polizei und NGOs berichteten, dass eine verstärkte Medienberichterstattung es den Strafverfolgungsbeamten ermöglichte, gegen derartige Verbrechen vorzugehen (USDOS 11.3.2020). Opfer von Eheverbrechen sind hauptsächlich Frauen, allerdings sind auch Männer betroffen. Medien berichteten, dass in den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 78 Personen, darunter 50 Frauen, bei Ehrenmorden getötet wurden (USDOS 11.3.2020). Human Rights Watch schätzte 2019, dass nach wie vor jedes Jahr etwa 1.000 sogenannte Ehrenmorde stattfinden (AA 29.9.2020; vgl. HRW 17.1.2019). Ehrenmorde kommen hauptsächlich in ländlichen Gebieten, allerdings auch in Städten vor (UKHO 2.2020). Die Mehrzahl der Morde wird dabei von der Familie der Frau verübt (ÖB 5.2020).

Blutfehden führen oft dazu, dass Familien über Generationen miteinander verfeindet sind und in ständiger Angst davor leben, dass eines ihrer Familienmitglieder aus Rache getötet wird. Besonders in Punjab und Khyber Pakhtunkhwa ist es üblich, zur Beendigung von Blutfehden eine junge Frau (oft Mädchen unter 18 Jahren) als Blutzoll an eine verfeindete Familie zu übergeben. Die Zwangsverheiratung eines Mädchens kann dabei nicht nur als Sühne für einen erfolgten Mord, sondern auch für andere Ehrverletzungen, die von dessen Vater, Bruder oder Onkel begangen wurden, erfolgen. Der Criminal Law (Third Amendment) Act 2011 stellt diese Praxis des badla-a-sulh (auch: wanni oder swara; Gabe eines Mädchens/einer Frau zur Beilegung von Streitigkeiten) unter Strafe von bis zu sieben Jahren Haft. Auch Zwangsverheiratung ist darin mit bis zu sieben Jahren Freiheitsstrafe bedroht. Trotz des Verbots ist die Praxis noch immer weit verbreitet. Es fehlen offizielle Statistiken, laut der NGO CAMP dürften aber 20% aller Fälle von Gewalt gegen Frauen auf swara/wanni zurückzuführen sein. Es gibt allerdings eine Reihe von NGOs, die sich um solche Frauen kümmern, sowie staatliche Einrichtungen wie Crisis Center for Women in Distress und Shaheed Benazir Bhutto Centers for Women, die jeweils einer kurzfristigen Erstbetreuung dienen, wie auch rund 200 Frauenhäuser (Dar-ul- Aman). Ferner können sich Opfer allenfalls direkt an die Human Rights Cell des Supreme Court wenden (ÖB 05.2020).

Grundversorgung und Wirtschaft

Derzeit macht der landwirtschaftliche Sektor ca. ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, der industrielle Sektor trägt zu einem Viertel des BIP bei und der größte Sektor für Handel und Dienstleistung trägt bis zu über 50 % des BIP bei. Trotz des geringsten Anteils am BIP ist der landwirtschaftliche Sektor immer noch sehr wichtig, weil mehr als 40 % der Bevölkerung in diesem Sektor direkt beschäftigt sind und die Existenz von mehr als 60 % der ländlichen Bevölkerung direkt oder indirekt von diesem Sektor abhängt. Neben den verheerenden Wettereinflüssen, wie Flut auf der einen und Dürre auf der anderen Seite, führt u.a. der Mangel an modern-technologischem Feldmanagement und Weiterverarbeitungsmöglichkeiten zu einer verhältnismäßig niedrigen Produktivität in diesem Sektor. Gepaart mit anderen soziopolitischen Faktoren führt dies zudem zu einer unsicheren Nahrungsmittelversorgung im Land (GIZ 9.2020).

Die Arbeitslosigkeit lag mit Stand 2017 offiziell bei etwa 7,8 % (CIA 24.9.2020). Kritisch ist vor allem die Situation von jungen erwerbslosen/arbeitslosen Männern zwischen 15 und 30 Jahren. Eine hohe Arbeitslosigkeit gepaart mit einer Verknappung natürlicher Ressourcen - vor allem auf dem Land - führte zur verstärkten Arbeitsmigration in große Städte und traditionell auch in die Golfstaaten. Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten und Gastarbeitern nach Pakistan belaufen sich gegenwärtig auf ca. 5 % des BIP (GIZ 9.2020).

Das Tameer-e-Pakistan-Programm ist eine Armutsbekämpfungsmaßnahme, um Einkommensquellen für Arme zu verbessern und Arbeitsplätze im Land zu schaffen (IOM 2019). Das Kamyab Jawan Programm, eine Kooperation des Jugendprogramms des Premierministers und der Small and Medium Enterprises Development Authority (SMEDA), soll durch Bildungsprogramme für junge Menschen im Alter zwischen 15 und 29 die Chancen am Arbeitsmarkt verbessern (Dawn 11.2.2019).

Sozialbeihilfen

Es gibt keine Arbeitslosenunterstützung (ILO 2017). Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern bezahlen das Gehalt der letzten 30 Tage des Dienstverhältnisses multipliziert mit der Dauer des Dienstverhältnisses in Jahren als Abfindung (USSSA 3.2019; vgl. ILO 2017).

Der staatliche Wohlfahrtsverband überprüft anhand spezifischer Kriterien, ob eine Person für den Eintritt in das Sozialversicherungssystem geeignet ist. Die Sozialversicherung ist mit einer Beschäftigung im privaten oder öffentlichen Sektor verknüpft (IOM 2019).

Das Benazir Income Support Program und das Pakistan Bait-ul-Mal vergeben ebenfalls Unterstützungsleistungen (USSSA 3.2019). Pakistan Bait-ul-Mal ist eine autonome Behörde, die finanzielle Unterstützung an Notleidende, Witwen, Waisen, Invalide, Kranke und andere Bedürftige vergibt. Dabei liegt der Fokus auf Rehabilitation, Bildungsunterstützung, Unterkunft und Verpflegung für Bedürftige, medizinische Versorgung für mittellose kranke Menschen, Aufbau kostenloser medizinischer Einrichtungen, berufliche Weiterbildung sowie finanzielle Unterstützung für den Aufbau von selbständigen Unternehmen (PBM o.D).

Das Benazir Income Support Programme zielt auf verarmte Haushalte insbesondere in abgelegenen Regionen ab. Durch Vergabe von zinsfreien Krediten an Frauen zur Unternehmensgründung, freie Berufsausbildung, Versicherungen zur Kompensation des Verdienstausfalles bei Tod oder Krankheit des Haupternährers und Kinderunterstützungsgeld sollen insbesondere Frauen sozial und ökonomisch gestärkt werden (ILO 2017).

Die Edhi Foundation ist - nach eigenen Angaben - die größte Wohlfahrtstiftung Pakistans. Sie gewährt u.a. Unterkunft für Waisen und Behinderte, eine kostenlose Versorgung in Krankenhäusern und Apotheken, sowie Rehabilitation von Drogenabhängigen, kostenlose Heilbehelfe, Dienstleistungen für Behinderte sowie Hilfsmaßnahmen für die Opfer von Naturkatastrophen (Edhi o.D.).

Die pakistanische Entwicklungshilfeorganisation National Rural Support Programme (NRSP) bietet Mikrofinanzierungen und andere soziale Leistungen zur Entwicklung der ländlichen Gebiete an. Sie ist in 70 Bezirken der vier Provinzen – inklusive Azad Jammu und Kaschmir – aktiv. NRSP arbeitet mit mehr als 3,4 Millionen armen Haushalten zusammen, welche ein Netzwerk von ca. 217.000 kommunalen Gemeinschaften bilden (NRSP o.D).

Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen fällt vorwiegend in die Zuständigkeit der Provinzen. In der Organisation wird zwischen Primär-, Sekundär- und Tertiärversorgung unterschieden. Die Primärversorgung erfolgt in Basic Health Units (BHU) und Rural Health Centers mit einem Einzugsbereich von 25.000 bis 100.000 Menschen. Die Sekundärversorgung erfolgt in Tehsil Head Quarters und District Head Quarters mit einem Einzugsbereich von 500.000 bis 3 Millionen Menschen. Diese Einrichtungen bieten eine große Zahl ambulanter und stationärer Behandlungen an. Der tertiäre Sektor bietet eine hoch spezialisierte stationäre Versorgung (IJARP 10.2017). Im Verhältnis gibt es einen Arzt für 957 Personen, ein Krankenhausbett für 1.500-1.600 Personen und einen Zahnarzt für 9.730 Personen. Das relative Verhältnis des medizinischen Personals zur Bevölkerungszahl hat sich in den vergangenen Jahren leicht verbessert (HRCP 3.2019; vgl. HRCP 18.4.2018).

In staatlichen Krankenhäusern, die i.d.R. europäische Standards nicht erreichen, kann man sich bei Bedürftigkeit kostenlos behandeln lassen. Da Bedürftigkeit offiziell nicht definiert ist, reicht die Erklärung aus, dass die Behandlung nicht bezahlt werden kann. Allerdings trifft dies auf schwierige Operationen, z.B. Organtransplantationen, nicht zu. Hier können zum Teil gemeinnützige Stiftungen die Kosten übernehmen. Die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten ist sichergestellt (AA 29.9.2020). In Punjab erklärte der Gesundheitsminister im Februar 2019, dass die Verteilung von Krankenversicherungskarten in 36 Distrikten der Provinz gestartet wurde und bis Ende des Jahres 2019 abgeschlossen sein wird. Die Krankenversicherung umfasst die Behandlung von acht Krankheiten (z.B Kardiologie, Neurologie usw.) bis zu einem Grenzwert von 720.000 PKR (ca. 3.800 EUR; Anm.). Die Krankenversicherung gilt sowohl für die öffentlichen und privaten Krankenhäuser (HRCP 4.2020).

Es gibt staatliche Sozialleistungen für Angestellte in Betrieben mit mehr als fünf Mitarbeitern und bis zu einem Gehalt von 18.000 PKR (ca. 96 EURO) pro Monat (22.000 PKR in Punjab) sowie für von ihnen abhängige Personen. Ausgenommen von den Sozialleistungen sind Mitarbeiter in Familienbetrieben und Selbständige. Für Mitarbeiter im öffentlichen Dienst und der Eisenbahn sowie Mitglieder der Armee, der Polizei und der örtlichen Verwaltung gibt es eigene Systeme. Begünstigte erhalten allgemeinmedizinische Leistungen, Medikamente, Krankenhausbehandlungen und Krankentransporte. Während der Krankheit wird 75 % des Gehalts weiterbezahlt (100 % bei Tuberkulose und Krebs; in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa generell 50 % Gehaltsfortzahlung). Die Begünstigung setzt sich bei Beendigung des Dienstverhältnisses für sechs Monate oder für die Dauer der Krankheit (je nachdem, welcher Zeitpunkt früher eintritt) fort (USSSA 3.2019). Das staatliche Wohlfahrts-Programm Bait-ul-Mal vergibt Unterstützungsleistungen und fördert die Beschaffung von Heilbehelfen (PBM o.D.). Die nichtstaatliche Entwicklungshilfeorganisation Aga Khan Development Network betreibt landesweit 450 Kliniken, fünf Krankenhäuser sowie ein Universitätskrankenhaus in Karatschi und fördert zahlreiche Projekte auf lokaler Ebene, um den Zugang zur Grundversorgung zu verbessern (AKDN o.D.).

Die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten ist sichergestellt, wobei diese für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich sind. In den modernen Krankenhäusern in den Großstädten kann - unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit - eine Behandlungsmöglichkeit für die meisten in Rede stehenden Krankheiten festgestellt werden. Auch die meisten Medikamente, wie z.B. Insulin, können in den Apotheken in ausreichender Menge und Qualität erworben werden (AA 29.9.2020).

In Punjab erklärte der Gesundheitsminister im Februar 2019, dass die Verteilung von Krankenversicherungskarten in 36 Distrikten der Provinz gestartet wurde und bis Ende des Jahres 2019 abgeschlossen sein wird. Die Krankenversicherung umfasst die Behandlung von acht Krankheiten (z.B. Kardiologie, Neurologie usw.) bis zu einem Grenzwert von 720.000 PKR. Die Krankenversicherung gilt sowohl für die öffentlichen und privaten Krankenhäuser (HRCP 4.2020).

Mehr als 15 Millionen Menschen in Pakistan leiden an einer psychischen Erkrankung (BBC 29.9.2016; vgl. Dawn 13.5.2019), jedoch gibt es nur etwa 500 qualifizierte Psychiater, vorwiegend in den Großstädten. In konservativen Regionen ist eine psychische Erkrankung mit einem sozialen Stigma verbunden (Dawn 13.5.2019; vgl. BBC 29.9.2016). Der Mangel an Psychiatern in peripheren Regionen sowie die Kosten der Behandlung sind für durchschnittliche Menschen unleistbar (Dawn 13.5.2019; vgl. Dawn 15.7.2019). Die Telefonseelsorge Talk2Me ist kostenlos und rund um die Uhr erreichbar und führt 75-90 psychologische Beratungen pro Woche durch (Dawn 13.5.2019).

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährleistet Bewegungsfreiheit im Land sowie uneingeschränkte internationale Reisen, Emigration und Repatriierung. Die Regierung schränkt den Zugang zu bestimmten Gebieten der ehemaligen FATA und Belutschistan aufgrund von Sicherheitsbedenken ein (USDOS 11.3.2020). Die starke Militärpräsenz in den Gebieten Azad Jammu and Kashmir (AJK) sowie Gilgit-Baltistan (GB) und die Gefahr von Beschuss und anderer Gewalt entlang der Grenzkontrolllinie schränken die Bewegungsfreiheit der Zivilbevölkerung im Land ein (FH 4.3.2020a). Es gibt einige rechtliche Beschränkungen für Reisen und die Möglichkeit, den Wohnsitz, die Beschäftigung oder die Hochschuleinrichtung zu wechseln. In einigen Teilen des Landes behindern die Behörden aus Sicherheitsgründen routinemäßig die interne Mobilität (FH 4.3.2020b).

Meldewesen

Pakistan verfügt über eine der weltweit umfangreichsten Bürger-Registrierungssysteme. Die zuständige Behörde ist die National Database & Registration Authority (NADRA) (PI 1.2019). Die Provinzen Belutschistan, Khyber Pakhtunkhwa, Punjab und Sindh sowie das Hauptstadtterritorium Islamabad haben ein System für die Registrierung der Bewohner. In den Provinzen Azad-Jammu und Kaschmir, Gilgit-Baltistan und den ehemaligen FATA konnten laut IRBC keine Infos über solche Registrierungssyteme gefunden werden. In allen vier Provinzen besteht jedoch eine Meldepflicht. Die Gesetze werden allerdings nur lückenhaft umgesetzt, aber Vergehen werden in allen Provinzen streng geahndet. Die zuständige Behörde zur Erhebung der Meldedaten ist die Polizei. Die Bezirksleiter der Polizei sind für die lückenlose Erfassung der Bewohner in ihren Bezirken verantwortlich (IRBC 23.1.2018).

Bei gemieteten Räumlichkeiten ist es die Pflicht des Mieters oder Vermieters oder auch des Immobilienhändlers, der Polizei zusammen mit dem Mietvertrag vollständige Angaben über den Mieter zu machen. In den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa müssen zusätzlich noch zwei Referenzpersonen genannt werden, die den Bewohner identifizieren können. Hotels sind verpflichtet, Informationen über ihre Gäste zu übermitteln sowie diese Informationen zu archivieren und für die Polizei jederzeit einsehbar zu halten (IRBC 23.1.2018).

Um als Wähler in einem Wahlkreis registriert zu werden, muss man mittels Digitaler Nationaler Identitätskarte (NIC) nachweisen, Bewohner dieses Wahlkreises zu sein (ECP o.D.). Auf der NIC ist neben der permanenten Adresse auch die derzeitige Wohnadresse der Person angeführt (VB 4.11.2018).

Dokumente

Pakistan verfügt über eines der weltweit umfangreichsten Bürger-Registrierungssysteme. Die zuständige Behörde ist die National Database & Registration Authority (NADRA) (PI 1.2019). NADRA ist für die Ausstellung unterschiedlicher Ausweisdokumente zuständig (NADRA o.D.). Über 96 % der Bürger Pakistans verfügen über biometrische Personalausweise (PI 1.2019). Die National Identity Card (NIC) wird für Staatsbürger über 18 Jahre ausgestellt und ist mit einer einzigartigen 13-stelligen Personennummer versehen (NADRA o.D.). Die 2012 eingeführte Smart National Identity Card (SNIC) hat auf einem Chip zahlreiche biometrische Merkmale gespeichert und soll bis 2020 die älteren Versionen der NIC vollständig ersetzen (PI 1.2019). Eine SNIC wird benötigt, um beispielsweise Führerschein oder Reisepass zu beantragen, ein Bankkonto zu eröffnen und eine SIM-Karte oder Breitbandinternet zu erhalten (PI 1.2019; vgl. NADRA o.D.).

Weitere durch NADRA ausgestellte Dokumente sind die Pakistan Origin Card (POC) für ausländische Staatsbürger, die früher pakistanische Staatsangehörige waren bzw. deren Eltern oder Großeltern pakistanische Staatsbürger sind oder waren; National Identity Card for Overseas Pakistanis (NICOP) für Pakistani im Ausland, Emigranten oder Personen mit Doppelstaatsbürgerschaft; Child Registration Certificates (CRC) für alle Personen unter 18 Jahren (NADRA o.D.).

Dokumentenfälschungen sind in Pakistan ein weit verbreitetes Phänomen, v.a. von manuell angefertigten Dokumenten. Um gefälschte Dokumente zu erlangen, werden meist Bestechungsgelder bezahlt und/oder politischer Einfluss bzw. Kontakte von Familie und Freunden genutzt. Manche Dokumente sind sogar online oder in Märkten erhältlich. Folgende Dokumente werden regelmäßig gefälscht: Zeugnisse, akademische Titel, Empfehlungsschreiben, Geburts-, Todes-, Heirats- und Scheidungsurkunden, finanzielle Belege/Bestätigungen bzw. Kontoauszüge, Besitzurkunden, polizeiliche Dokumente (u.a. First Information Reports / FIRs), Einreise- und Ausreisestempel in Reisepässen sowie ausländische Visa (ÖB 5.2020).

Angesichts weit verbreiteter Korruption und des unzureichenden Zustands des Zivilstandswesens ist es einfach, fiktive oder verfälschte Standesfälle (Geburt, Tod, Eheschließung) in ein echtes Personenstandsregister eintragen zu lassen und auf der Basis dieser Eintragung formal echte Urkunden ausgestellt zu bekommen. Merkmale auf modernen Personenstandsurkunden und Reisepässen zur Erhöhung der Fälschungssicherheit können bereits bei der Dateneingabe durch korruptionsanfällige Verwaltungsbeamte mühelos unterlaufen werden. Es ist in Pakistan problemlos möglich, ein (Schein-)Strafverfahren gegen sich selbst in Gang zu bringen, in dem die vorgelegten Unterlagen (z.B. „First Information Report“, FIR) dann formal echt sind. Ebenso ist es ohne große Anstrengungen möglich, Zeitungsartikel, in denen eine Verfolgungssituation geschildert wird, gegen Bezahlung oder dank Beziehungen veröffentlichen zu lassen (AA 29.9.2020).

[Beweisquelle: LIB Februar 2021 mwN]

Jamaat du-Dawa

Die Jamaat ud-Dawa Pakistan, wörtlich: „Gemeinde der Da'wa Pakistan“ (auch Jama'at ud-Da'wah) ist eine 2002 in Lahore (Pakistan) gegründete Organisation. Hafis Mohammad Said gründete Jamaat ud-Dawa als Nachfolgeorganisation der von ihm gegründeten Laschkar-i-Toiba, nachdem diese als terroristische Vereinigung verboten worden war. Jamaat ud-Dawa, eine der größten Hilfsorganisationen Pakistans, finanziert sich durch Spenden der Mitglieder und Sammlungen. Die Organisation mit ihrer Zentrale in Muridke engagiert sich im kulturellen Bereich durch den Betrieb einer Universität sowie von Internaten, Krankenhäusern und sozialen Einrichtungen. Auch bei dem Erdbeben im Oktober 2005 in Pakistan stellte die Organisation Helfer. Ferner unterhält sie Koranschulen.

Nach den Terroranschlägen in Mumbai im November 2008, in deren Folge Vermutungen aufkamen, dass die Jamaat ud-Dawa den Tätern nahestehen könnte, ergriff die pakistanische Regierung Maßnahmen wie Hausarrest für Hafis Mohammad Said sowie acht weitere ranghohe Mitarbeiter und Verhaftung von über 40 Mitarbeitern der Organisation und etwa 150 Unterstützern. Ferner wurden 72 Büros und vier Krankenhäuser der Jamaat ud-Dawa geschlossen und Vermögen der Organisation eingefroren. Die Vereinten Nationen erklärten die Jamaat ud-Dawa zur terroristischen Organisation. Daraufhin demonstrierten am 12. Dezember 2008 hunderte Menschen vor dem UN-Büro in Kaschmir gegen das Vorgehen gegen Jamaat-ud-Dawa, wobei auch Parolen gegen die USA und Indien gerufen wurden. Die pakistanische Regierung stellte das Hauptquartier von Jamaat ud-Dawa in Muridke unter staatliche Aufsicht. Der Sprecher von Jamaat-ud-Dawa erklärte, dass die Organisation alle Verbindungen zu gewalttätigen Gruppen beendet habe: „Es gibt absolut keine Verbindung zu Lashkar[-i-Toiba]. Wir sind eine rein humanitäre Wohlfahrtsorganisation.“

Hafis Mohammad Said wurde im November 2017 von einem pakistanischen Gericht nach 10 Monaten aus dem Hausarrest entlassen.

[Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Jamaat_ud-Dawa]

Zur aktuell vorherrschenden Pandemie aufgrund des Coronavirus (Covid-19, SARS-CoV-2)

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Europäischem Zentrum für die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) haben das höchste Risiko für eine schwere Erkrankung durch SARS-CoV-2 Menschen im Alter von über 60 Jahren sowie Menschen mit Grunderkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen und Krebs. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

(Beweisquelle: www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/; www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html; www.oesterreich.gv.at/)

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf den Verwaltungsverfahrensakt des BFA, den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes und das Ergebnis der durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung jeweils in Klammer angeführt.

2.1 Zur Person des Beschwerdeführers und den Lebensverhältnissen in Pakistan (oben 1.1)

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, die er im Zuge des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, waren auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse nicht zu bezweifeln. Das BFA übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht elektronisch die Vorderansicht der pakistanischen National Identity Card, aus der sich die festgestellten Identitätsdaten des Beschwerdeführers ergeben (OZ 7)

Seine Ausführungen zu seiner Schulbildung, seiner Arbeitstätigkeit, sowie zu seinen Familienangehörigen in Pakistan und in BahraIn vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung waren kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei und decken sich auch im Wesentlichen mit seinen diesbezüglichen Schilderungen vor dem BFA, sodass auch dieses Vorbringen als glaubhaft erachtet werden konnte. Die Feststellungen zu seinen Aufenthaltsorten vor seiner Ausreise und seinem Ausreisezeitpunkt ergeben sich aus den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers.

2.2 Zu seinen Lebensverhältnissen in Österreich (1.2)

Seine Angaben zu seiner Einreise und seinem Aufenthalt in Österreich, zu seiner aktuellen Lebenssituation erwiesen sich in der mündlichen Verhandlung als kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei, und stehen auch im Einklang mit den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszügen aus den behördlichen Datenregistern (IZR, ZMR, GVS, Strafregister) bzw. der Antragstellung auf internationalen Schutz und der vorgelegten Einstellungszusage und dem Arbeitsvorvertrag.

2.3 Zum Gesundheitszustand

Die getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen eigenen Angaben, an denen kein Zweifel hervorgekommen ist.

2.4 Zum Vorbringen und mangelnden Gefährdung im Falle der Rückkehr (oben 1.4 – 1.5)

2.4.1 Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen beruhen auf seinen protokollierten Aussagen im Zuge der Einvernahme vor dem BFA sowie im Rahmen der mündlichen Verhandlung und auf seinen schriftlichen Eingaben.

2.4.2 Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach nahe und entferntere Familienangehörige im Laufe der letzten zwanzig Jahre im Heimatdorf und der Heimatregion des Beschwerdeführers in mehrere Gewaltvorfälle involviert waren, ist deshalb glaubhaft, da dieses Vorbringen insoweit mit den von ihm vorgelegten Anzeigen von 2007, 2010, 2013, 2014 und 2016 in Einklang steht.

2.4.3 Die Feststellungen, wonach es nicht glaubhaft ist, dass der Beschwerdeführer das eigentliche Ziel der Verfolgung ist und seine Familienangehörigen wegen seiner Person bedroht sind, es auch nicht glaubhaft ist, dass der Beschwerdeführer außerhalb seines Heimatdorfes oder außerhalb der näheren Umgebung des Heimatdorfes bedroht oder verfolgt wurde und der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen nicht glaubhaft gemacht hat und es sich auch sonst nicht ergibt, dass er im Falle einer Rückkehr in seine Heimat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit – in ganz Pakistan – einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung von erheblicher Intensität ausgesetzt wäre, beruhen auf folgenden Erwägungen:

2.4.3.1 Der Beschwerdeführer nannte bei der Erstbefragung und bei der Einvernahme vor dem BFA als Grund für die Verfolgung eine Feindschaft seines Vaters, im Zuge derer der Vater jemanden umgebracht haben soll (NS EB 04.05.2016 S 5; NS EV 13.02.2017 S 6). In der Einvernahme vor dem BFA erklärte er den Umstand, dass es seinen Brüdern, Schwestern und seiner Mutter gut gehe (auch wenn seine Brüder mit falschen Probleme hätten) damit, dass er der letzte sei der ledig sei, alle anderen Familie und Kinder hätten (NS EV 13.02.2017 S 8). Diese Erklärung erweist sich als nicht schlüssig, da nicht nachvollziehbar ist, weshalb seine in Pakistan lebenden Familienangehörigen trotz der geschilderten Feindschaft nur deshalb nicht bedroht wären, weil diese Familie und Kinder haben.

Bei der Erstbefragung hatte er auch angegeben, dass nach dem Tod des Vaters sein Bruder XXXX zweimal attackiert und auf diesen geschossen worden sein soll (NS EB 04.05.2016 S 5), was auch dagegenspricht, dass der Beschwerdeführer das eigentliche Ziel der Verfolgung sein soll.

In der Beschwerde erwähnte der Beschwerdeführer in einem Satz, dass es zu einem Streit zwischen dem Beschwerdeführer und einem Sohn der verfeindeten Familie gekommen wäre, doch unterließ er es, dies in der Beschwerde näher darzulegen (Beschwerde S 2). Erstmals rund fünf Jahre nach seiner Antragstellung begründete der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung, dass er als Schüler in der Schule bei einem Kampfspiel einen Streit mit Sohn des XXXX namens XXXX gehabt habe und deshalb ausgerechnet hinter ihm her seien (VS 22.03.2021 S 9, 12). Es ist nicht nachvollziehbar und damit nicht glaubhaft, weshalb er diese Erklärung nicht bereits bei der Einvernahme vor dem BFA am 13.02.2017 gemacht hätte, wenn diese den Tatsachen entsprechen würde. Seine Rechtfertigung in der mündlichen Verhandlung, wonach er bei der Einvernahme sehr wohl einen Streit in der Schule genannt habe und er auch nicht gesagt habe, dass er verfolgt werden, da er ledig sei, überzeugt nicht, zumal sich diesbezüglich keine Anhaltspunkte dafür geben, dass es bei der Einvernahme am 13.02.2017 zu einer unvollständigen oder falschen Protokollierung gekommen wäre. Sein Hinweis darauf, dass auch sein Volksgruppenname „ XXXX “ fälschlich als Nachname angenommen worden sei, ist insofern unberechtigt, als der Nachname XXXX bei der Erstbefragung am 04.05.2016 aufgenommen wurde und bei der späteren Einvernahme vor dem BFA sehr wohl der Name richtig mit „ XXXX “ protokolliert wurde. (NS 13.02.2017 S 4) Der Beschwerdeführer behauptete in der Verhandlung auch, dass es bei der Einvernahme „einige Missverständnisse“ gegeben habe, zeigte jedoch keine konkreten Fehler auf. So brachte er in der Verhandlung zunächst auch vor, dass er bei einem bestimmten Vorfall an einer Tankstelle geschlagen worden sei (VS 22.03.2021 S 10) und behauptete zunächst nach entsprechendem Vorhalt in der Verhandlung, wonach er das beim BFA nicht angegeben hatte, dass er das „natürlich“ beim BFA gesagt hätte. Erst nach einem weiteren Vorhalt gestand er in der Verhandlung zu, dass er doch nicht geschlagen worden sei. (VS 22.03.2021 S 13).

Der Beschwerdeführer brachte bei der Einvernahme vor, dass er mehrere persönlich Male bedroht worden sei und dass er auch noch zwei Tag vor der Einvernahme Drohungen auf Facebook erhalten habe. (NS EV 13.02.2017 S 7) Vom BFA dazu aufgefordert, die Facebook-Drohungen vorzuzeigen, gab der Beschwerdeführer an, dass es „schmutzige Beschimpfungen“ gewesen seien und er diese gelöscht habe. (NS EV 13.02.2017 S 7) Dabei erweist es sich jedoch als nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer einen solchen Beleg für die erhaltenen Drohungen gelöscht hätte, wenn es solche tatsächlich gegeben hätte.

Der Beschwerdeführer gab in der Einvernahme auch an, insgesamt fünf Mal persönlich bedroht worden zu sein, davon dreimal bei ihm zu Hause und zweimal an einer Kreuzung, wobei er nie zu Hause gewesen wäre. Vom BFA dazu aufgefordert, die Bedrohungen näher zu beschreiben, schilderte in einem Satz einen Vorfall bei einer Tankstelle, wo die Gegner „Haltet ihn fest“ gerufen hätten und einmal sei XXXX mit seinem Sohn und zwei Männern zum Haus seiner Familie gekommen und sie hätten nach dem Beschwerdeführer gefragt, wobei seine Familie gesagt habe, dass er nicht da sei. (NS EV 13.02.2017 S 7, 8) Ausgehend davon, dass der Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge bis zu seinem Alter von 21 Jahren im Jahre 2013 in seinem Heimatdorf gelebt und auch in der Landwirtschaft gearbeitet hat und er sich demnach nicht versteckt hielt, und er auch eine detailliertere Beschreibung jener Ereignisse unterließ, spricht dies dafür, dass diese Schilderung entweder keinem realen Ereignis entspricht, oder aber - auch für den Beschwerdeführer selbst - eher unbedeutend war, so dass nähere Schilderungen nicht möglich waren.

Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung zu dem Überfall auf eine religiöse Veranstaltung in seinem Heimatort im Jahr 2013 an, dass dies ein Anschlag auf ihn gewesen sei und man versucht habe, ihn bei diesem EID-Fest zu ermorden. Er führte dazu aus, dass der Vorfall in der Moschee stattgefunden habe. (VS 22.03.2021 S 4, 10) Dagegen sprechen jedoch der vom Beschwerdeführer vorgelegte Bericht aus der Zeitung Dawn sowie die von ihm vorgelegte polizeiliche Anzeige, die er selbst erstattet haben will (VS 22.03.2021 S 4, 10, Beilage Dawn 26.01.2013 und FIR Nr 28, Anzeige vom 25.01.2013 (Übersetzung OZ 26)) Laut Übersetzung wurde die Anzeige nicht vom Beschwerdeführer, sondern vom Vater seines Cousins namens Muhammad Yassen erstattet (welcher laut Beschwerde schon eine Anzeige im Jahr 2007 erstattet hatte (Beschwerde S 8)) und der Vorfall wird in der Anzeige und dem Zeitungsbericht auch anders dargestellt als vom Beschwerdeführer behauptet. So sprechen die Anzeige und der Zeitungsbericht davon, dass der Anschlag auf einen religiösen Umzug verübt wurde, als diese durch eine Straße führte (Dawn 26.01.2013 „According to XXXX ’s Sadar Police, the Eid-i-Milad procession came under attack when it was passing through a village“; FIR Nr 28, Anzeige 25.01.2013 (Übersetzung OZ 26): „Wir waren im Jänner 2013 gegen 12 Uhr Mittag auf der Akara Road unterwegs, als wir den Lärm hörten, dass einige Personen angefangen haben, die Straße zu blockieren, indem sie einfach auf der Straße saßen. … haben sich vorgenommen, diesen Umzug zu stören. …. Danach fingen sie an, mit Waffen zu schießen. … Inzwischen haben die anderen einfach wild in der Luft herum geschossen ….“ (OZ 26)) Aus diesen Dokumenten ergibt sich, dass dieser Vorfall weder in der Moschee stattgefunden hat noch gezielt gegen den Beschwerdeführer gerichtet war und sich damit nicht so zugetragen hat, wie dies vom Beschwerdeführer behauptet wurde, was gegen die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens spricht, dass er das Ziel des Anschlages gewesen wäre sowie, dass er überhaupt bei diesem Ereignis persönlich dabei gewesen wäre.

Soweit der Beschwerdeführer vorbrachte, dass er bei einem Besuch in seinem Heimatdorf im Jahr 2015 mit seinem Bruder XXXX auf dem Motorrad von einem Auto

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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