Entscheidungsdatum
20.09.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
G307 2245736-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde XXXX , geb. am XXXX , StA.: Polen, vertreten durch die Bundesbetreuungsagentur Gesellschaft mbH in 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 23.07.2021, Zahl XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich (im Folgenden: BFA) vom 02.04.2021 wurde der BF darüber in Kenntnis gesetzt, dass aufgrund seiner strafgerichtlichen Verurteilungen die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes beabsichtigt sei. Ferner wurde der BF über den Stand des Ermittlungsverfahrens informiert und zur Abgabe einer dahingehenden Stellungnahme binnen zehn Tagen ab Erhalt des Schreibens aufgefordert.
2. Hierauf erstattete der BF mit Schreiben vom 08.04.2021 eine Stellungnahme.
3. Mit dem oben im Spruch genannten Bescheid des BFA, dem BF persönlich zugestellt am 23.07.2021, wurde gegen diesen gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG gegen den BF ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), dem BF gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).
4. Mit per Fax am 20.08.2021 beim BFA eingebrachtem Schriftsatz erhob der BF durch die im Spruch angeführte Rechtsvertretung Beschwerde gegen den genannten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).
Darin wurde beantragt, der Beschwerde stattzugeben und den angefochtenen Bescheid zu beheben, in eventu das Aufenthaltsverbot ersatzlos zu beheben oder dessen Dauer herabzusetzen, in eventu den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung an die belangte Behörde zurückzuverweisen sowie eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
5. Die gegenständliche Beschwerde und der zugehörige Verwaltungsakt wurden dem BVwG vom BFA am 23.08.2021 vorgelegt, und langten am 25.08.2021 ein.
6. Mit Schreiben vom 30.08.2021 wurde dem BF Parteiengehör zu seinen finanziellen und persönlichen Verhältnissen seitens des BVwG eingeräumt, wobei die dahingehende Stellungnahme am 09.09.2021 hierorts einlangte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Namen und Geburtsdatum), ist polnischer Staatsangehöriger, ledig und Vater eines am XXXX geborenen Sohnes, für den ihm keine Obsorge zukommt. Er führte vormals eine Beziehung mit der Kindesmutter, XXXX .
Die Eltern des BF leben in Polen. Zu diesen hat der BF keinen Kontakt. Abgesehen von seinem Sohn leben keine Angehörigen oder Verwandten des BF in Österreich.
1.2. Der BF wuchs in Polen auf, besuchte dort die Schule und absolvierte die Reifeprüfung. Er zog im Jahr 2005 nach Österreich, ist seit 23.08.2005 im Bundesgebiet gemeldet und seitdem hier durchgehend aufhältig. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF mit seiner Exfrau wieder eine Beziehung führt.
1.3. Der BF war in Österreich vom 01.06.2005 bis 31.07.2018 bei insgesamt 5 Arbeitgebern in 14 Arbeitsverhältnissen unselbständig erwerbstätig. Rechnet man diese Zeiten zusammen, kommt der BF auf eine Beschäftigungszeit von 50 Monaten. Hinzu treten Zeiten als gewerblich Selbständiger für 20 Monate im Trockenbaugewerbe sowie solche der Arbeitslosigkeit von 14 ½ Monaten. Schließlich hat der BF 28 Monate an Zeiten der Schwerarbeitsbeschäftigung und, Winterfeiertagsentschädigung im Rahmen der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse zu verbuchen. Im Jahr 2012 bezog er für 6 Monate pauschales Kinderbetreuungsgeld. Rechnet man all die genannten Zeiträume zusammen, so kommt man auf 118 ½ Monate somit auf 9 Jahre und 10 ½ Monate. Seit XXXX 2018 geht der BF haftbedingt keiner Beschäftigung nach. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF für die Zeit nach seiner Haftentlassung über eine Einstellungszusage verfügt.
Der am 20.05.2010 gestellte Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung wurde von der BH XXXX am 09.09.2010 abgewiesen.
1.4. Über die Vermögenslage des BF sowie dessen Einkommensverhältnisse konnten keine Feststellungen getroffen werden. In der Vergangenheit war der BF in der Lage, sich mit den unter 1.3. angeführten Beschäftigung seine Existenz zu sichern.
1.5. Zu den Verurteilungen des BF:
1.5.1. Der BF wurde vom Landesgericht XXXX (LG XXXX ), zu XXXX , in Rechtskraft erwachsen am XXXX .2012, wegen versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung und schwerer Körperverletzung gemäß §§ 15, 269 Abs. 1, 1, Fall, 83 Abs. 1, §§ 83 Abs. 2 und 84 Abs. 2 Z 4 StGB zu einer auf 8 Monate bedingten Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt.
1.5.2. Mit Urteil des LG XXXX wurde der BF zu Zahl XXXX , in Rechtskraft erwachsen am XXXX .2014, wegen versuchten Diebstahls., versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt sowie versuchter Nötigung gemäß §§ 15, 127, 15, § 269 Abs. 1 1. Fall, 15, 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt 15 Monaten, davon 10 Monate bedingt auf 3 Jahre, verurteilt.
1.5.3. Mit Urteil des BG XXXX wurde zu Zahl XXXX , in Rechtskraft erwachsen am XXXX .2018, gegen den BF wegen versuchten Diebstahls keine Zusatzstrafe ausgesprochen.
1.5.4. Im Rahmen seiner jüngsten Verurteilung wurde der BF vom LG XXXX zu Zahl XXXX , in Rechtskraft erwachsen am XXXX .2018, wegen gefährlicher Drohung, fortgesetzter Gewaltausübung und Körperverletzung gemäß §§ 107 Abs. 1, 107b Abs. 1, 107b Abs. 3 Z 1, 1. Fall, 107b Abs. 4., 4. Fall, 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 3 Monaten verurteilt, wobei die ursprünglich erlassene Freiheitsstrafe vom OLG XXXX nach Berufung durch die StA XXXX von 6 Jahren auf 6 Jahre und 3 Monate hinaufgesetzt wurde.
Dem BF wurde im Zuge dieser Verurteilung angelastet, er habe zu einem nicht exakt feststellbaren Zeitpunkt im September/Oktober 2008 XXXX . am Körper verletzt, indem er ihr einen Faustschlag ins Gesicht und ihr, nachdem sie zu Boden gefallen war, Tritte gegen den Körper versetzt, wodurch sie Hämatome im Gesicht und am Körper davongetragen habe.
Ferner habe er gegenüber seiner Ex-Lebensgefährtin XXXX . (I) und gegenüber der im Tatzeitraum Unmündigen XXXX . (II) eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt durch Zufügung von Misshandlungen und Verletzungen am Körper sowie durch gefährliche Drohungen nach § 107 Abs. 1 StGB und Nötigungen nach § 105 Abs. 1 StGB ausgeübt, und zwar
I. gegen die Erstgenannte von XXXX .2009 bis XXXX .2012 sowie XXXX .2014 bis XXXX .2015, indem er ihr mit einer Regelmäßigkeit von zunächst etwa wöchentlich bis nach einigen Monaten mehrfach wöchentlich und vereinzelten Unterbrechungen von einigen Wochen insbesondere entweder Ohrfeigen oder Faustschläge ins Gesicht oder andere Körperregionen versetzt oder sie gefährlich mit zumindest einer Verletzung am Körper bedroht habe, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er die Zufügung von Schlägen durch Ausholbewegungen mit der zur Faust geballten Hand angedeutet, sie durch Gestiken mit Messern einschüchtert, sie verbal mit dem Umbringen oder mit dem Überschütten von Säure bedroht oder sie durch gefährliche Drohung mit zumindest der Zufügung von Körperverletzungen zu einer Unterlassung, nämlich der Abstandnahme davon, sich anderen mitzuteilen, genötigt habe, indem er ihr entsprechende Ankündigungen gemacht habe, sollte sie die fortgesetzten Gewaltanwendungen polizeilich zur Anzeige bringen oder gegen ihn sonst etwas unternehmen,
II. gegen die am XXXX geborene, sohin im nachgenannten Tatzeitraum unmündige XXXX , zwischen Herbst 2009 bis Spätsommer 2013, sohin länger als ein Jahr, mit einer Regelmäßigkeit von zunächst etwa wöchentlich bis nach einigen Monaten mehrfach wöchentlich und vereinzelten Unterbrechungen von einigen Wochen, indem er diese insbesondere durch Schläge mit einem Gürtel gegen den Körper, vor allem das Gesäß, durch Versetzen von Stößen, Schlägen und Ohrfeigen ins Gesicht und andere Körperregionen verletzt oder durch verbale Drohungen mit dem Umbringen oder durch Gestiken mit vorgehaltenem Messer bedroht habe, wodurch er zumindest eine Verletzung am Körper in Aussicht gestellt habe, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen oder sie zu einer Unterlassung zu nötigen, nämlich der Abstandnahme davon, sich anderen mitzuteilen oder die Polizei zu verständigen.
Schließlich wurde der BF im Rahmen dieser Entscheidung für schuldig befunden, er habe am XXXX .2016 XXXX . durch Übermittlung einer in polnischer Sprache verfassten Kurzmitteilung mit zumindest einer Verletzung am Körper bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er zumindest die Zufügung einer Körperverletzung angekündigt und ihr nahegelegt habe, auf sich und ihren neuen Lebensgefährten aufzupassen.
Als erschwerend wurden hiebei der lange Tatzeitraum, das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit einem Vergehen, die Tatbegehung während anhängigem Strafverfahrens und offener Probezeit sowie das Vorliegen von 6 einschlägigen Vorstrafen, als mildernd das teilweise, jedoch abschwächende Geständnis, das teilweise Vorliegen der Voraussetzungen nach § 31 As. 1 und 40 StGB sowie die durch die aufgezeigte Persönlichkeitsstörung herabgesetzte Schuldfähigkeit gewertet.
Es wird festgestellt, dass der BF die beschriebenen Verhaltensweisen gesetzt und die geschilderten strafbaren Handlungen begangen hat.
Die gegen dieses Urteil an den OGH erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Strafberufung von Seiten des BF sowie die Strafberufung der StA XXXX sowie die Beschwerde des BF gegen die Verlängerung der Probezeit wurden mit Beschluss desselben vom XXXX .2018, Zahl XXXX zurückgewiesen und zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde dem OLG XXXX zugeleitet.
Dieses wiederum erhöhte das Strafausmaß – wie bereits oben erwähnt – auf 6 Jahre und 3 Monate.
Der BF trat seine Strafe am XXXX .2018 an und ist das errechnete Strafende mit XXXX .2024 datiert.
1.5.5. Der BF ist ferner in Polen mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Zwischen 2001 und 2009 erfolgten mehrere Verurteilungen wegen Straftaten gegen die Freiheit, Würde der Person und Körperverletzungsdelikten, wobei zuletzt durch Entscheidung eines polnischen Gerichts am XXXX .2009 eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren wegen mehrfach begangenen Delikten der Körperverletzung und der gefährlichen Drohung eine Gesamtstrafe von zwei Jahren gebildet wurde.
Der BF ist seit XXXX .2018 in der Justizanstalt XXXX untergebracht und verbüßt dort derzeit seine Strafhaft.
1.6. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF an irgendwelchen Krankheiten leidet, arbeitsunfähig wäre oder über Deutschkenntnisse eines bestimmten Niveaus verfügt.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:
2.2.1. Insoweit oben Feststellungen zu Identität (Name und Geburtsdatum), Familienstand, Vaterschaft, Existenz der Ex-LG, Verbleib der Eltern des BF in Polen, fehlender Kontakt zu diesen, durchgehender Aufenthalt und Meldung des BF in Österreich und Schulbildung des BF getroffen wurden, beruhen diese auf den Aussagen des BF vor dem BFA am 26.11.2014, seinen Stellungnahmen vom 08.04.2021 und 07.09.2021, dem jüngsten Strafurteil des LG XXXX sowie dem Inhalt des auf den Namen des BF lautenden ZMR-Auszuges. Ferner ist die nunmehr 16jährige Aufenthaltsdauer des BF mit seinen Beschäftigungen, die sich wieder aus seinem Sozialversicherungsdatenauszug ergeben, in Einklang zu bringen.
Das Bestehen einer Einstellungszusage und das Führen einer Beziehung mit seiner Exfrau wurden in der jüngsten Stellungnahme zwar behauptet jedoch durch keinerlei Bescheinigungsmittel untermauert. Auch zu seinen Vermögens- und Einkommensverhältnissen in Bezug vor allem auf sein vormalige selbständige Tätigkeit konnte der BF keine Dokumente vorlegen, weshalb dahingehend keine Feststellungen getroffen werden konnten.
Die Verurteilungen, Entscheidungsgründe, der Strafantritt, die Feststellung, dass der BF die besagten Taten begangen sowie die beschriebenen Verhaltensweisen gesetzt hat sowie die bisher in Haft verbrachte Zeit sind aus der Urteilsausfertigung des LG XXXX und der Vollzugsdateninformation der Justizanstalt XXXX ersichtlich und folgen dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich. Die in Polen verübten Delikte sowie die dafür zuletzt verhängte Freiheitsstrafe/n ergeben sich ebenso aus der Urteilsausfertigung des LG XXXX . Der Rechtsgang zum OLG XXXX wie dem OGH sind dem in Akt einliegenden Urteil des OLG XXXX vom XXXX .2017 wie dem Beschluss des OGH vom XXXX .2018 zu entnehmen.
Der BF wurde im Jahr 2014 unter Beiziehung eines Dolmetschers der Sprache Polnisch einvernommen und lieferte auch sonst keine Bescheinigungen für die Existenz von Deutschkenntnissen eines bestimmten Niveaus, weshalb dahingehend nichts festgestellt werden konnte. Anhaltspunkte für das Vorliegen von Krankheiten oder einer Arbeitsunfähigkeit fanden sich auf Seiten des BF nicht.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:
3.1.1. Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jener der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 4 Z 8 leg cit als EWR-Bürger, jener Fremder, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.
Der BF als polnischer Staatsangehöriger ist sohin EWR-Bürger iSd. § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.
3.1.2. Der mit „Ausweisung“ betitelte § 66 FPG lautet:
„§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“
Der mit „Aufenthaltsverbot“ betitelte § 67 FPG lautet:
„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.
(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere
1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
2. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);
3. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder
4. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.
(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.
(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“
Der mit „Ausreiseverpflichtung und Durchsetzungsaufschub“ betitelte § 70 FPG lautet:
„§ 70. (1) Die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot werden spätestens mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige hat dann unverzüglich auszureisen. Der Eintritt der Durchsetzbarkeit ist für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde.
(Anm.: Abs. 2 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)
(3) EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen ist bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.
(4) Der Durchsetzungsaufschub ist zu widerrufen, wenn
1. nachträglich Tatsachen bekannt werden, die dessen Versagung gerechtfertigt hätten;
2. die Gründe für die Erteilung weggefallen sind oder
3. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige während seines weiteren Aufenthaltes im Bundesgebiet ein Verhalten setzt, das die sofortige Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gebietet.“
Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“
Der mit „Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate“ betitelte § 51 NAG lautet:
„§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1.
in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2.
für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3.
als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.
(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er
1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;
2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;
3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder
4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.
(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“.
Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet wie folgt:
„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.
(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von
1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;
2. Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder
3. durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.
(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie
1. zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;
2. sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder
3. drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;
Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.
(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.
(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn
1. sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;
2. der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder
3. der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.“
3.1.3. Der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA war aus folgenden Gründen stattzugeben:
Der BF hält sich seit Juni 2005, sohin seit mehr als 16 Jahren durchgehend in Österreich auf und ging seither wiederholt selbständigen wie unselbständigen Erwerbstätigkeiten nach. Demzufolge ist davon auszugehen, dass der BF mittlerweile ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht iSd. § 53a NAG erworben hat. Da der BF seit Beginn seiner ersten Beschäftigung zwar etwas mehr als 14 Monate Arbeitslosengeld, jedoch keine (sonstigen) staatlichen Leistungen bezog, ist davon auszugehen, dass er während der gesamten Zeitspanne seines Aufenthalts seine Existenz aus eigenem sichern konnte.
Da vom BF, der aufgrund seiner polnischen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich von § 67 FPG fällt, die Voraussetzung eines durchgehenden rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet seit mehr als 10 Jahren erfüllt ist, kommt für diesen der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1., 5. Satz für Unionsbürger zu Anwendung.
3.1.4. „Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. - noch zu § 86 FPG in der Fassung vor dem FrÄG 2011, der Vorgängerbestimmung des § 67 FPG - etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0197, und vom 21. Februar 2013, Zl. 2012/23/0042, mwN).“ (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0039)
Die Bestimmungen der § 67 Abs. 1 und 2 FrPolG 2005 und § 66 Abs. 1 FrPolG 2005, beide idF FrÄG 2011, sind vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2004/38/EG - Freizügigkeitsrichtlinie, deren Umsetzung sie dienen, zu verstehen. Demnach sind sie in ihrem Zusammenspiel dahin auszulegen, dass hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der genannten Richtlinie entspricht, heranzuziehen ist (Hinweis E 13. Dezember 2012, 2012/21/0181; E 12. März 2013, 2012/18/0228). Dieser Maßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen über dem Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011. (vgl. VwGH 22.01.2014, 2013/21/0135)
„Eine Ausweisung als Teil eines Aufenthaltsverbotes, das aus einer Ausreiseverpflichtung und der Verpflichtung besteht, innerhalb des festgelegten Zeitraums (oder auf Dauer) nicht zurückzukehren, stellt gegenüber dem Aufenthaltsverbot nicht ein Aliud, sondern ein Minus dar (vgl. VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0349; VwGH 20.12.2007, 2004/21/0328). Die Verneinung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegenüber dem Fremden hätte somit die Prüfung des Vorliegens der Tatbestandserfordernisse für die Erlassung einer (von der erstinstanzlichen Entscheidung des BFA umfassten) Ausweisung nach § 66 FrPolG 2005 nach sich ziehen müssen. Die ersatzlose Behebung des auf § 67 FrPolG 2005 gestützten Aufenthaltsverbotes (ohne weitere Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung nach § 66 FrPolG 2005 und damit ohne vollständige Erledigung des Gegenstandes des Beschwerdeverfahrens) widerspricht somit der Rechtslage.“ (vgl. VwGH 29.09.2020, Ra 2020/21/0196)
3.1.5. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihres Briefverkehrs.
Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit ein Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, wie sie eine Ausweisung eines Fremden darstellt, kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die Ausweisung einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt:
Die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, insbesondere die gegenständlichen Rückkehrentscheidung, setzt nach § 9 Abs. 1 BFA-VG unter dem dort genannten Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben voraus, dass ihre Erlassung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (vgl. VwGH vom 12.11.2015, Zl. Ra 2015/21/0101).
Wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche – in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte – Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:
• die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),
• das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),
• die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
• den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),
• die Bindungen zum Heimatstaat,
• die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie
• auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09).
Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u.a., Zl. 26940/10).
„Nach § 66 Abs. 2 FrPolG 2005 und § 9 BFA-VG 2014 ist bei Erlassung einer auf § 66 FrPolG 2005 gestützten Ausweisung eine Abwägung des öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts des EWR-Bürgers mit dessen Interesse an einem Verbleib in Österreich vorzunehmen, bei der insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter, der Gesundheitszustand, die familiäre und wirtschaftliche Lage, die soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß der Bindungen zum Heimatstaat sowie die Frage der strafgerichtlichen Unbescholtenheit zu berücksichtigen sind.“ (VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0049)
3.1.6. Gegen den BF als grundsätzlich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots sohin gemäß § 67 Abs. 1, 5. Satz FPG nur zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.
3.1.7. Der BF weist unbestritten vier Verurteilungen in Österreich und Polen mehrere Verurteilungen auf. Besonders schwer wiegt dabei die jüngste Verurteilung des BF zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten und 3 Jahren. Im Rahmen seines Verhaltens ging der BF über mehrere Jahre hindurch äußerst brutal und rücksichtslos gegenüber seiner Ex-LG und seinem eigenen Sohn vor. Obwohl er in der im Jahr 2014 mit ihm vor der belangten Behörde durchgeführten Einvernahme in Aussicht stellte, sich bessern und seine Aggressivität in den Griff bekommen zu wollen, verfiel er einem noch gravierenderen Verhalten, indem er über lange Zeit hindurch Gewalt gegen die ihm am nächsten stehenden Personen.
Es steht außer Zweifel, dass das vom BF insgesamt gezeigte Verhalten eine Gefährdung öffentlicher Interessen darstellt. So hat zur Frage der Gefährdung öffentlicher Interessen, insbesondere der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, im Falle von Gewalt- und Eigentumsdelikten (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474) der VwGH wiederholt Stellung bezogen, und eine dahingehende – maßgebliche – Gefährdung attestiert.
Im gegenständlichen Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich der BF hält seit über 16 Jahren durchgehend in Österreich aufhält und seit 01.06.2005 über mehrere Jahre hinweg Erwerbstätigkeiten in Österreich nachging. Darüber hinaus bezog er wiederholt teils über längere Zeiträume hinweg Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung (siehe VwGH 22.03.2011, 2009/18/0402, wonach Arbeitslosengeld keine Sozialhilfeleistung darstellt sondern als Versicherungsleistung als Einkommen anzurechnen ist). Es halten sich zwar die Ex-LG und sein Sohn im Bundesgebiet auf. Diesen gegenüber wurde er jedoch gewalttätig und ist daher nicht von einer engen Beziehung zu den beiden auszugehen. Dem BF muss jedoch jedenfalls – schon aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit und des langen Aufenthaltes in Österreich – ein gewisses Privatleben attestiert werden. Vor diesem Hintergrund ist unter Berücksichtigung des langen Aufenthaltszeitraumes des BF in Österreich vom Erwerb des unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechtes durch den BF iSd. § 53a iVm. §§ 51 Abs. 1 und. 52 Abs 1 Z 2 NAG auszugehen.
Zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung des BFA zurückgerechnet hält sich der BF zudem bereits seit mehr als 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet auf (vgl. EuGH 16.01.2014, C-400/12), bzw. wies bereits vor seiner ersten Verurteilung im Jahr 2012 einen mehr als 7jährigen durchgehenden Aufenthalt in Österreich auf (vgl. EuGH 17.04.2018, C-316/16 und C-424/16, Rn. 71: hinsichtlich der Beachtlichkeit von Aufenthaltszeiten vor der entscheidungsrelevanten Verurteilung). Selbst unter Berücksichtigung der vier inländischen Verurteilungen des BF ist vor dem Hintergrund seines langjährigen Aufenthaltes und seinen persönlichen Bezugspunkten in Österreich davon auszugehen, dass kein – einer Aufenthaltsunterbrechung gleichkommender – Integrationsabbruch durch seine Inhaftierung erfolgt ist (vgl. EuGH 17.04.2018, C-316/16 und C-424/16, Rn. 72) und gegenständlich der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 5. Satz FPG zur Anwendung gelangt.
Nicht jede Inhaftierung bewirkt nach Meinung des EuGH eine aufenthaltsunterbrechende Wirkung. Vielmehr hält dieser in seiner Entscheidung (vgl. EuGH 16.01.2014, C-378/12) fest, dass Zeiträume der Strafhaft die Kontinuität des für die Gewährung des verstärkten Schutzes erforderlichen Aufenthalts grundsätzlich unterbrechen. Er weist allerdings darauf hin, dass zur Klärung der Frage, inwieweit die Diskontinuität des Aufenthalts den Betroffenen daran hindert, in den Genuss des verstärkten Schutzes zu kommen, eine umfassende Beurteilung seiner Situation vorzunehmen ist. Bei dieser umfassenden Beurteilung, die geboten ist, um zu bestimmen, ob die Integrationsverbindungen zwischen dem Betroffenen und dem Aufnahmemitgliedsstaat abgerissen sind, können die nationalen Behörden die relevanten Umstände der Freiheitsstrafe berücksichtigen. Ebenso können sie im Rahmen dieser umfassenden Beurteilung berücksichtigen, dass sich die betroffene Person, hier der BF, in den 7 Jahren vor der Verbüßung seiner Freiheitsstrafe im Aufnahmemitgliedsstaat, aufgehalten hat. Wie bereits angeführt, ist der BF seit Mai 2005 in Österreich aufhältig. Er ging über eine nicht unbeachtliche Zeitspanne Erwerbstätigkeiten in Österreich und ist daher vom Aufbau einer gewissen Beziehung zu Österreich auszugehen. Der Lebensmittelpunkt des BF in wirtschaftlicher, sozialer und familiärer Hinsicht liegt seit 2005 in Österreich und hat der BF seine familiären und sozialen Bindungen in seinen Herkunftsstaat abgebrochen. Eine Gesamtbetrachtung aller Umstände ergibt, dass gegenständlich der Aufenthalt des BF während seines Haftaufenthaltes nicht als unterbrochen gilt.
Da vom BF, der aufgrund seiner polnischen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich von § 67 bzw. § 66 FPG fällt somit die Voraussetzung eines durchgehenden rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet seit mehr als 10 Jahren erfüllt ist, kommt für diesen der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 5. Satz FPG bzw. § 66 Abs. 3 FPG für Unionsbürger zu Anwendung.
3.1.8. Gegen den BF als grundsätzlich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots sohin gemäß § 67 Abs. 1 5. Satz – bzw. der Ausspruch einer Ausweisung gemäß § 66 Abs. 3 FPG – nur zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
„Mit § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG soll nämlich Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38 EG ("Freizügigkeitsrichtlinie" ; siehe § 2 Abs. 4 Z 18 FPG) umgesetzt werden, wozu der Gerichtshof der Europäischen Union bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollten; es sei vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweise, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein könne (siehe VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0248, Rn 6, mit dem Hinweis auf EuGH (Große Kammer) 23.11.2010, Tsakouridis, C-145/09, insbesondere Rn. 40, 41 und 49 ff, und daran anknüpfend EuGH (Große Kammer) 22.5.2012, P.I., C-348/09, Rn. 19 und 20 sowie Rn. 28, wo überdies - im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, der zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe geführt hatte - darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegender Merkmale" bedarf).“ (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091)
„Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. - noch zu § 86 FPG in der Fassung vor dem FrÄG 2011, der Vorgängerbestimmung des § 67 FPG - etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0197, und vom 21. Februar 2013, Zl. 2012/23/0042, mwN).“ (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0039)
Zudem gilt es festzuhalten, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen eigenständig und unabhängig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen sind (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096) und es bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes/Einreiseverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung geht. (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).
Das Verwaltungsgericht verkennt keinesfalls, dass die dem BF angelasteten Straftaten, insbesondere vor dem Hintergrund, teils einschlägiger Vorverurteilungen in Polen an sich in ihrer Gesamtheit schwer wiegen. Nach Beurteilung des vom BF gezeigten Verhaltens und der sich daraus ergebenden Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen sowie nach erfolgter Abwägung sich wiederstreitender öffentlicher und privater Interessen iSd. Art 8 EMRK, kommt das Gericht letztlich dennoch zum Schluss, dass sich die Verhängung einer aufenthaltsbeenden Maßnahme (Ausweisung oder Aufenthaltsverbot) im konkreten Fall als nicht zulässig erweist.
Demzufolge war der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid zur Gänze aufzuheben.
3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.
Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen. Der Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet.
Es konnte daher die gegenständliche Entscheidung auf Grund der Aktenlage getroffen und von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.
Zu Spruchteil B):
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung EU-Bürger Gefährdungsprognose Interessenabwägung Privat- und Familienleben strafrechtliche Verurteilung Unionsrecht VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:G307.2245736.1.00Im RIS seit
22.12.2021Zuletzt aktualisiert am
22.12.2021