TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/22 G303 2212008-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.09.2021
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Entscheidungsdatum

22.09.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch


G303 2212008-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Rumänien, vertreten durch XXXX , XXXX , XXXX XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 20.11.2018, Zl. XXXX , betreffend Aufenthaltsverbot, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.06.2021, zu Recht:

A)       Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Oberösterreich, wurde gegen den Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

Die belangte Behörde begründete die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der BF trotz des im Jahr 2008 erlassenen Aufenthaltsverbotes, in Deutschland wieder straffällig geworden sei. Aufgrund der Häufigkeit der strafbaren Handlung gegen fremdes Vermögen, sowie auch, dass der BF trotz Aufenthaltsverbot in Österreich erneut straffällig geworden sei, ergebe sich aus dem Verhalten des BF eindeutig eine kriminelle Neigung. Weder hohe Geldstrafen noch die einschlägigen Verurteilungen, nicht einmal ein zuvor erlassenes Aufenthaltsverbot, die Anwesenheit der Familie in Österreich oder eine Arbeitstätigkeit habe den BF davon abgehalten, strafbare Handlungen zu begehen. Das Verhalten des BF stelle eine tatsächliche gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar und berühre die wesentlichen Grundinteressen der Gesellschaft, nämlich das Grundinteresse an der Verhinderung und Bekämpfung von Delikten gegen fremdes Vermögen, des nicht rechtmäßigen Aufenthalts und der Kriminalität überhaupt. In Österreich würden die Eltern sowie weitere Verwandte leben, mit welchen der BF nicht in Wohngemeinschaft lebe und kein Abhängigkeitsverhältnis bestehe. Der BF habe eine österreichische Lebensgefährtin. Er sei während seines Aufenthaltes in Österreich seit 2014 ca. 4 Monate einer Beschäftigung als Arbeiter nachgegangen. Die restliche Zeit habe er Notstands- bzw. Überbrückungshilfe bezogen. Der BF sei zwar in Österreich aufgewachsen und habe hier die Schule besucht, dennoch sei gegen ihn ein Aufenthaltsverbot erlassen worden und er habe sich von 2009 bis 2014 nicht in Österreich befunden. Eine besondere Integration in Österreich oder am österreichischen Arbeitsmarkt habe nicht erkannt werden können.

2. Mit dem am 18.12.2018 beim BFA eingebrachten und mit 13.12.2018 datierten Schriftsatz erhob der BF durch seinen damaligen bevollmächtigten Rechtsvertreter Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid in vollem Umfang. Es wurde beantragt, das Aufenthaltsverbot zu Gänze zu beheben, in eventu die Befristung des Aufenthaltsverbotes von 5 Jahren angemessen herabzusetzen.

Begründend wurde vorgebracht, dass vom BF keine Gefahr ausgehe, die mit einem Aufenthaltsverbot entgegen zu wirken wäre. Das BFA habe sich auf die Verurteilung und eine Anzeige gestützt und auf ein Aufenthaltsverbot aus dem Jahr 2008 verwiesen. Der BF sei damals ausgereist und habe das Aufenthaltsverbot eingehalten. Erst im Jahr 2014 sei er erneut nach Österreich eingereist. Der BF sei vom Landesgericht XXXX am XXXX zu einer Geldstrafe verurteilt worden, dies zeige, dass keine derartige Gefährdung von seiner Person ausgehe, andernfalls eine unbedingte Freiheitsstrafe verhängt worden wäre. Der weitere Vorwurf des Diebstahls und der Sachbeschädigung seien nicht bestätigt worden. Eine Verurteilung sei nicht erfolgt. Ansonsten habe der BF versucht seit seiner Einreise im Jahr 2014 ein ordentliches, rechtskonformes Leben zu führen. Seine gesamte Familie befinde sich in Österreich, nämlich seine Lebensgefährtin, Onkeln, Tanten, Großmutter und Mutter. Die belangte Behörde habe seinem Familien- und Privatleben zu wenig Bedeutung beigemessen. Seine Mutter sei krank und der BF wolle für sie da sein.

3. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 03.01.2019 vom BFA vorgelegt.

4. Mit Beschluss des BVwG vom 07.01.2019, GZ: G303 2212008-1/4Z, wurde der Beschwerde des BF die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

5. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der gegenständlichen Rechtssache am 24.06.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher eine Dolmetscherin, der BF und seine Mutter als bevollmächtigte Vertreterin des BF, persönlich teilnahmen. Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil und erstattete einen Teilnahmeverzicht. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde der BF dazu aufgefordert binnen 4 Wochen eine Bestätigung über einen in Aussicht gestellten Dienstvertrag oder einen neuen Dienstvertrag vorzulegen. Die bevollmächtigte Vertreterin des BF wurde aufgefordert binnen 4 Wochen ärztliche Befunde über ihren Gesundheitszustand vorzulegen.

6. Am 28.06.2021 wurde ein Befund von Dr. XXXX , Facharzt für Neurologie und Psychiatrie betreffend XXXX (bevollmächtigte Vertreterin des BF) übermittelt.

7. Am 07.07.2021 brachte der BF einen Dienstvertrag von der XXXX GmbH vom 01.07.2021 in Vorlage, wonach der BF als Verkaufsberater beschäftigt ist.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum). Er ist Staatsangehöriger von Rumänien.

Der BF kam als fünfjähriges Kind mit seinen Eltern erstmals nach Österreich. Er war im Zeitraum von 09.09.1998 bis 15.10.2009 durchgehend mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet. Der BF besuchte hier die Volks- und Hauptschule und absolvierte ein Jahr eine Lehre als Autolackierer.

Am 02.07.1996 wurde dem BF in Österreich erstmals eine Aufenthaltsbewilligung mit Gültigkeit bis 02.07.1998 erteilt. In der Folge wurden dem BF laufend befristete Aufenthaltsbewilligungen erteilt. Am 04.01.2001 wurde dem BF eine unbefristete Niederlassungsbewilligung erteilt. Am 05.04.2006 wurde dem BF eine Daueraufenthaltskarte EG erteilt.

Aufgrund mehrerer strafbarer Handlungen wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion XXXX vom 03.12.2008 gegen den BF ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich erlassen. Dieser Bescheid erwuchs mit 21.12.2008 in Rechtskraft.

Am 04.07.2009 wurde der BF aus der Strafhaft entlassen. Der BF ist am 03.08.2009 nach Rumänien ausgereist.

Der BF hielt sich von 2009 bis 2014 in Schweden, Deutschland und Rumänien auf.

Er ist nunmehr seit 12.08.2014 bis dato durchgehend mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet.

Der BF weist in Österreich folgende rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen auf:

01) BG XXXX vom XXXX .01.2006 RK XXXX .02.2006

§ 127, 15 StGB

Geldstrafe von 60 Tags zu je 2,00 EUR (120,00 EUR) im NEF 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Anordnung der Bewährungshilfe

Jugendstraftat

Vollzugsdatum XXXX .07.2009

zu BG XXXX RK XXXX .02.2006

Bedingte Nachsicht der Strafe wird widerrufen

BG XXXX vom XXXX .11.2007

02) BG XXXX vom XXXX .09.2006 RK XXXX .10.2006

§ 27 (1) SMG

Freiheitsstrafe 5 Wochen, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Jugendstraftat

Vollzugsdatum XXXX .10.2008

zu BG XXXX RK XXXX .10.2006

Bedingte Nachsicht der Strafe wird widerrufen

BG XXXX vom XXXX .02.2007

3) BG XXXX vom XXXX .11.2007 RK XXXX .11.2007

§ 15, 127 StGB

Datum der (letzten) Tat XXXX .08.2007

Geldstrafe von 120 Tags zu je 2,00 EUR (240,00 EUR) im NEF 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, davon Geldstrafe von 60

Tags zu je 2,00 EUR (120,00 EUR) im NEF 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Anordnung der Bewährungshilfe

Junge(r) Erwachsene(r)

Vollzugsdatum XXXX .05.2015

zu BG XXXX RK XXXX .11.2007

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG XXXX vom XXXX .10.2008

zu BG XXXX RK XXXX .11.2007

(Teil der) Geldstrafe nachgesehen, endgültig

BG XXXX vom XXXX .01.2013

zu BG XXXX RK XXXX .11.2007

Unbedingter Teil der Geldstrafe vollzogen am XXXX .05.2015

BG XXXX vom XXXX .05.2015

04) LG XXXX vom XXXX .08.2008 RK XXXX .08.2008

§§ 15 (1) 127, 129 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat XXXX .05.2008

Geldstrafe von 240 Tags zu je 2,00 EUR (480,00 EUR) im NEF 120 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

Junge(r) Erwachsene(r)

Vollzugsdatum XXXX .06.2009

05) LG XXXX vom XXXX .10.2008 RK XXXX .10.2008

§§ 15 (1) 127, 130 (1. FALL) StGB

§ 223 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat XXXX .09.2008

Freiheitsstrafe 12 Monate

Junge(r) Erwachsene(r)

Vollzugsdatum XXXX .07.2009

zu XXXX RK XXXX .10.2008

zu BG XXXX RK XXXX .10.2006

zu BG XXXX RK 04.02.2006

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am XXXX .07.2009, bedingt, Probezeit 5 Jahre

LG XXXX vom XXXX .05.2009

zu XXXX RK XXXX .10.2008

zu BG XXXX XXXX .10.2006

zu BG XXXX RK XXXX 02.2006

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am XXXX .07.2009, endgültig

LG XXXX vom XXXX .07.2014

06) LG XXXX vom XXXX .11.2015 RK XXXX .11.2015

§ 15 StGB § 127 StGB

§ 125 StGB

Datum der (letzten) Tat XXXX .04.2015

Geldstrafe von 180 Tags zu je 4,00 EUR (720,00 EUR) im NEF 90 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

Vollzugsdatum XXXX .09.2017

07) BG XXXX vom XXXX .06.2020 RK XXXX .06.2020

§ 50 (1) Z 2 WaffG

Datum der (letzten) Tat XXXX .02.2020

Geldstrafe von 160 Tags zu je 9,00 EUR (1.440,00 EUR) im NEF 80 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

Vollzugsdatum XXXX .02.2021

Festgestellt wird, dass der BF die mit den oben genannten Urteilen festgestellten strafbaren Handlungen begangen und das in den Urteilen jeweils näher umschriebene strafbare Verhalten gesetzt hat.

Der BF wurde zuletzt mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX .06.2020, Zl. XXXX wegen unbefugten Waffenbesitzes gemäß § 50 Abs. 1 Z 2 WaffG zu einer Geldstrafe von 160 Tagsätzen zu je 9 EUR (1.440,00 EUR), im Nichteinbringungsfall 80 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, rechtskräftig verurteilt.

Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der BF im Besitz eines schwarzen Metall-Schlagringes gewesen ist, welcher im Zuge einer am 15.02.2020 durchgeführten Hausdurchführung seitens der Polizeiinspektion Leonding sichergestellt wurde.

Der BF wurde mit Urteil des Amtsgerichtes XXXX vom XXXX .03.2014, Zl. XXXX , wegen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Am 29.10.2018 wurde gegen den BF ein europäischer Haftbefehl von der Bundesrepublik Deutschland erlassen, da der BF die Bewährungsauflagen nicht eingehalten hat und nach Österreich gezogen ist. Der BF befand sich zunächst vom XXXX .11.2018 bis XXXX .12.2018 in der Justizanstalt XXXX in Übergabehaft und in weiterer Folge neun Monate in Deutschland in Haft.

Der BF ist seit 01.07.2021 bei der XXXX GMBH als Verkaufsberater beschäftigt. Davor ging er lediglich kurzfristigen Beschäftigungen nach und bezog überwiegend Notstandshilfe/Überbrückungshilfe.

Der BF spricht fließend Deutsch und wurde in Österreich sozialisiert.

Der BF lebt mit seiner Mutter, XXXX , geb. am XXXX , rumänische Staatsangehörige, im gemeinsamen Haushalt in XXXX . Die Mutter des BF ist psychisch krank. Sie ist schizophren, leidet an Panikattacken und Depressionen. Der BF unterstützt seine Mutter im Alltag und auch finanziell, welche wiederum die Miete für die gemeinsame Wohnung bezahlt. In Österreich leben neben seiner Mutter noch die Großmutter und ein Cousin des BF.

Der BF hat eine minderjährige Tochter, die bei ihrer Mutter in Rumänien lebt. Er hat jedoch zu seiner Tochter keinen Kontakt. Über weitere Angehörige verfügt der BF im Herkunftsland nicht.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde, der Beschwerde und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität, zur Staatsangehörigkeit und zu den erteilten Aufenthaltstiteln des BF getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Die Feststellungen zur Einreise, Schulbildung und Lehre beruhen auf den eigenen glaubwürdigen Angaben des BF vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen zu den Hauptwohnsitzmeldungen des BF in Österreich beruhen auf den Eintragungen im Zentralen Melderegister (ZMR).

Die Feststellung zum verhängten Aufenthaltsverbot vom 03.12.2008 sowie der Ausreise des BF am 03.08.2009 beruht auf den unbestritten gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid.

Aus dem Strafregister ist ersichtlich, dass der BF am XXXX .07.2009 aus der Strafhaft entlassen wurde.

Die festgestellten Aufenthalte des BF von 2009 bis 2014 beruhen auf den eigenen Angaben des BF vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF und die zugrundeliegende strafbare Handlung der letzten Verurteilung konnten anhand des vorliegenden Strafregisterauszuges sowie der Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft XXXX vom XXXX .03.2020 und aufgrund des Abschlussberichtes der Landespolizeidirektion XXXX vom 15.03.2020 festgestellt werden.

Die strafgerichtliche Verurteilung des BF in Deutschland beruht auf das im Akt befindliche Urteil des Amtsgerichtes XXXX vom XXXX .03.2014, Zl. XXXX , sowie auf einer Abfrage des Europäischen Strafregister-Informationssystems ECRIS.

Die Feststellung zur Übergabehaft des BF ergibt sich aus dem Zentralen Melderegister und der Vollzugsinformation. Die festgestellte neunmonatige Haft in Deutschland beruht auf den eigenen Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen zu den beruflichen Tätigkeiten des BF und zum Bezug der Notstandshilfe/Überbrückungshilfe gründen sich auf einem Auszug aus dem Register des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger. Zudem brachte der BF einen Dienstvertrag seines derzeitigen Arbeitgebers in Vorlage.

Die Feststellungen zu den persönlichen und familiären Verhältnissen und zu den Lebensumständen des BF in Österreich beruhen auf den glaubwürdigen Angaben des BF und seiner Mutter in der mündlichen Verhandlung.

Der Gesundheitszustand der Mutter des BF konnte anhand eines fachärztlichen Befundes, der den Krankheitsverlauf beschreibt, sowie der Angaben der Mutter in der mündlichen Verhandlung festgestellt werden.

Glaubhaft konnte der BF in der mündlichen Verhandlung darlegen, dass er seine Mutter unterstützt, die wiederum angab, dass sie die Mietkosten für die gemeinsame Wohnung bezahlt.

Die festgestellten Deutschkenntnisse des BF beruhen auf der eigenen Wahrnehmung der erkennenden Richterin in der mündlichen Verhandlung sowie der Tatsache, dass der BF seine gesamte Schulausbildung in Österreich absolviert hat. Aufgrund dessen und des Umstandes, dass der BF sich - mit Ausnahme des Zeitraumes von 2009 bis 2014 seit seinem fünften Lebensjahr in Österreich befindet, konnte festgestellt werden, dass er hier sozialisiert wurde.

Dass der BF eine Tochter in Rumänien hat und dort über keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte verfügt, beruht auf seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

3.1. Zum Aufenthaltsverbot:

Gemäß § 67 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

Gemäß § 67 Abs. 3 FPG kann ein Aufenthaltsverbot unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

Gemäß § 67 Abs. 4 FPG ist bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

Wenn der Fremde nach dem Maßstab der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG; vgl. § 2 Abs. 4 Z 18 FPG) das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, ist es geboten, auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 Abs. 1 FPG den erhöhten Gefährdungsmaßstab des § 66 Abs. 1 letzter Halbsatz FPG heranzuziehen. Demnach darf eine Ausweisung nur „aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit“ verfügt werden. Dieser Gefährdungsmaßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen des FPG über dem Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs. 1 FPG (siehe VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057).

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG). Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (§ 9 Abs. 2 BFA-VG).

3.1.1. Die Anwendung dieser Rechtslage auf den hier maßgeblichen Sachverhalt ergibt Folgendes:

Der BF ist Staatsangehöriger von Rumänien und somit als Angehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union EWR-Bürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Vorauszuschicken ist, dass sich der BF nicht in einem grundsätzlich ununterbrochenen zehn Jahre übersteigenden Zeitraum im Bundesgebiet aufgehalten hat, da er erst im August 2014 wieder nach Österreich eingereist ist und bereits im November 2018 das Aufenthaltsverbot verfügt wurde. Daher kommt der qualifizierte Tatbestand des § 67 Abs. 1 5. Satz FPG (d.h. nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib im Bundesgebiet) nicht als Prüfungsmaßstab des vorliegenden Aufenthaltsverbots zur Anwendung.

Auch liegt kein zumindest fünfjähriger kontinuierlicher und rechtmäßiger Aufenthalt in Österreich zum Zeitpunkt der Verfügung des Aufenthaltsverbotes vor, weswegen der BF das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt im Sinne des Art. 16 Freizügigkeitsrichtlinie nicht erworben hat, zumal auch der Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe grundsätzlich geeignet ist, die Kontinuität des Aufenthalts zu unterbrechen (vgl. VwGH 24.03.2015, Ro 2014/21/0079). Daher ist bei der Prüfung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 zweiter Satz FPG (d.h. „tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) anzuwenden.

Bei der Stellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 67 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es demnach nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf das diesen zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (vgl. VwGH 19.02.2013, Zl. 2012/18/0230).

§ 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") enthält einen höheren Gefährdungsmaßstab als § 53 Abs. 3 FPG ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit"; siehe VwGH 07.05.2014, 2013/22/0233).

§ 67 FPG dient der Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG; vgl § 2 Abs. 4 Z 18 FPG), und zwar insbesondere der Umsetzung von deren Art 27 und 28 (VwGH Fr 2016/21/0020), und ist in erster Linie in Fällen schwerer Kriminalität anzuwenden (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 67 FPG K1).

Obwohl der BF seit seiner Wiedereinreise ins Bundesgebiet im August 2014 erneut zweimal in Österreich straffällig wurde, erfüllt sein Verhalten den anzuwendenden Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG nicht, weil es sich dabei jeweils um Vergehen gehandelt hat und es konnte jeweils mit einer Geldstrafe das Auslangen gefunden werden. Der BF bezieht aktuell ein regelmäßiges Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit und besteht somit keine maßgebliche Wiederholungsgefahr für die Begehung von weiteren Vermögensdelikten. Der BF verfügt über ein schützenswertes Familien- und Privatleben im Bundesgebiet und spricht fließend Deutsch. Er ist in Österreich aufgewachsen, absolvierte hier seine Schulausbildung und verbrachte hier insgesamt die meiste Zeit seines bisherigen Lebens.

Er lebt mit seiner psychisch kranken Mutter in einem gemeinsamen Haushalt und unterstützt sie. Da die Mutter des BF wiederum die gemeinsame Wohnung finanziert, kann zumindest zum Entscheidungszeitungspunkt von einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis ausgegangen werden.

Entgegen der von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid dargelegten Ansicht, konnte somit nach Abwägung aller Umstände nicht erkannt werden, dass auf Grund des persönlichen Verhaltens des BF eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche und eine ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr vorliegen würde, bzw. dass nach Abwägung aller Interessen, insbesondere der starken Intensität des Privat- und Familienlebens aufgrund des insgesamt langen und rechtmäßigen Aufenthalts des BF in Österreich, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung das persönliche Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen würde, weshalb sich das erlassene Aufenthaltsverbot letztlich als rechtswidrig erwiesen hat.

Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF in einer Gesamtabwägung dieser Umstände somit im Ergebnis nicht erfüllt sind, war der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

3.2. Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B.):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung EU-Bürger Gefährdungsprognose Interessenabwägung Privat- und Familienleben strafrechtliche Verurteilung Unionsrecht Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G303.2212008.1.00

Im RIS seit

22.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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