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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des I in S, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. Juli 1995, Zl. 4.321.081/10-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und reiste am 15. August 1991 in das Bundesgebiet ein. Seinen am 23. August 1991 bei der Erstbehörde eingebrachten schriftlichen Asylantrag begründete er im wesentlichen damit, er sei kurdischer Abstammung und in seiner Heimatstadt Adana von den türkischen Behörden verhört und geschlagen worden, da man angenommen habe, daß er die Aufenthaltsorte von Mitgliedern der kurdischen Arbeiterpartei kenne. Insbesondere im Hinblick darauf, daß die türkische Polizei in der Annahme sei, daß er mit den Mitgliedern der Arbeiterpartei kooperiere, sei er den unmenschlichen Verhörmethoden der Polizei ausgesetzt gewesen und habe schwerwiegende Verfolgungshandlungen gegen sich selbst zu befürchten gehabt. Auch von den Mitgliedern der kurdischen Arbeiterpartei sei er in Adana gefährlich bedroht und erpreßt worden. Diese kurdischen Kämpfer hätten von ihm die Teilnahme an rebellischen Handlungen erzwingen wollen. Im Hinblick auf diese Umstände sei er nicht gewillt und auch nicht in der Lage, den Schutz seines Heimatlandes Türkei in Anspruch zu nehmen und in dieses zurückzukehren.
Anläßlich seiner am 3. September 1991 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich erfolgten niederschriftlichen Befragung gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen folgendes an:
"Seit etwa 4 Jahren gibt es in meiner Heimat die Auseinandersetzungen zwischen den Kurden und den Türken. Die türkischen Behörden vermuteten, daß ich mit den Kurden zusammenarbeite. Deshalb wurde ich so etwa einmal im Monat von der Polizei mitgenommen und verhört. Beim ersten Mal war ich 90 Tage bei der Polizei und wurde immer wieder gequält. Am schlimmsten waren die Quälereien mit elektr. Strom. Dabei wurde mir der Strom an den Hoden und an den Achseln angeschlossen. Bei den ersten Schikanen habe ich von meinem Körpergewicht von 90 kg auf 65 kg abgenommen. Bei den weiteren Verhören, sie dauerten immer mindestens 2 Tage, wurde ich neben der Strommißhandlung auch geschlagen. Dabei wurde ich etwa vor 2 Jahren am linken Jochbein und an der linken Augenbraue verletzt. Die Narben sind noch heute sichtbar. Seit ungefähr einem Jahr wurde ich jede Woche von der Polizei abgeholt und gefoltert. Dabei wollten sie von mir immer die Verstecke der Kurden wissen. Ich habe mich jedoch nie für eine der beiden Parteien eingesetzt. Das wurde mir jedoch von der Polizei nicht geglaubt.
Auf der anderen Seite haben mir die Kurden mein Vieh umgebracht, weil sie glaubten, daß ich sie verraten habe. So haben mich die Kurden dreimal in die Berge verschleppt und mich gequält. Ich habe weder für die Kurden, noch für die Türken mich eingesetzt, weil ich Angst um meine Familie hatte. Auf der einen Seite glaubte mir die türkische Polizei nicht, daß ich als Türke mit kurdischer Abstammung nicht mit den Kurden zusammenarbeite und andererseits nahmen die Kurden an, daß ich sie an die Türken verrate. Diese Situation war für mich unerträglich, sodaß ich flüchtete.
Angeben möchte ich noch, daß ich im Frühjahr 1989 von der Polizei während eines Verhöres mit dem Umbringen bedroht worden war. Ein Polizist nahm seine Waffe, steckte sie mir in den Mund und drückte ab. Daß die Waffe nicht geladen war, wußte ich nicht. Wegen dieser Scheinhinrichtung war ich einige Monate lang in ärztlicher Behandlung und mußte Tabletten einnehmen."
Mit auf die Einzelsituation des Beschwerdeführers nicht eingehendem Formularbescheid vom 16. Oktober 1991 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich fest, der Beschwerdeführer erfülle die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht.
In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung bekräftigte der Beschwerdeführer im wesentlichen seine bereits in erster Instanz gemachten Angaben.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 16. Mai 1994 wurde diese Berufung abgewiesen und ausgesprochen, Österreich gewähre dem Beschwerdeführer kein Asyl.
Infolge der dagegen gerichteten Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 24. Jänner 1995, Zl. 94/20/0423, den bekämpften Bescheid der belangten Behörde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes auf (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit dessen Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94), sodaß das Berufungsverfahren neuerlich bei der belangten Behörde anhängig wurde.
Mit Manuduktionsschreiben der belangten Behörde vom 29. Juni 1995 wurde dem Beschwerdeführer freigestellt, "einfache Verfahrensmängel" des Verfahrens erster Instanz und sich allenfalls daraus ergebende Sachverhaltsänderungen geltend zu machen.
Dem kam der Beschwerdeführer insoweit nach, als er sein Berufungsvorbringen dahingehend ergänzte, sein Cousin als PKK Mitglied bekannt, sei am 21. März 1995 bei der Explosion einer Bombe ums Leben gekommen. Im Frühjahr 1995 sei der Vater des Beschwerdeführers unter Bezichtigung der Unterstützung der PKK verhaftet worden. Der Beschwerdeführer legte hiezu in Kopie einen Zeitungsartikel samt Übersetzung vor.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG (neuerlich) ab und sprach aus, Österreich gewähre ihm kein Asyl. Sie übernahm die - lediglich in der Wiederholung der Angaben des Beschwerdeführers in erster Instanz sowie seinen Berufungsausführungen bestehende - Sachverhaltsdarstellung ihres Bescheides vom 16. Mai 1994 und fügte dem nunmehr eine andere rechtliche Beurteilung an, nämlich die mangelnde Glaubhaftmachung der Verfolgung, da eine solche einem "rationalen Kosten-Nutzen-Kalkül" gehorche, indem auch für staatliche Organe Grund für die Annahme bestehen müsse, der Asylwerber sei ein Gegner des herrschenden Systems und die Verfolgung würde dem begegnen. Sei der Asylwerber nur in untergeordneter Rolle politisch tätig gewesen oder sei sonst allgemein kein schlüssiges Motiv für den potentiellen Verfolgerstaat feststellbar, erscheine eine Verfolgung nicht glaubhaft. Doch selbst im Falle der Glaubhaftmachung vermöchten die von einem Beschwerdeführer relevierten Verhaftungen und Folterungen asylrechtlich relevante Verfolgung nicht darzustellen, weil diese ja erfolgt seien, um von ihm Informationen über die Angehörigen der PKK zu erlangen, daher Grund für die Verhöre und Folterungen lediglich ein bei ihm vermutetes Sonderwissen über PKK-Angehörige gewesen seien, nicht jedoch seine Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kollektiv. Das Vorbringen des Asylwerbers betreffend das Vorgehen der Kurden gegen ihn enthalte nicht auch die Behauptung, türkische Behörden hätten dies geduldet bzw. keinen Grund für die Annahme, der Beschwerdeführer hätte dies - erfolglos - nicht zur Anzeige bringen können. Im übrigen führt die belangte Behörde - offensichtlich beweiswürdigend - aus:
"Die erkennende Behörde wird in Ihrer Ansicht, daß Ihr Vorbringen eines gewissen Tatsachensubstrates enträt, auch dadurch bestärkt, daß Sie ja angaben in Adana gelebt zu haben. Adana ist die fünftgrößte Stadt in der Türkei mit
ca. 1,5 Millionen Einwohner, welche sich überdies außerhalb der Unruhegebiete befindet, weshalb es der erkennenden Behörde nicht nachvollziehbar ist, warum ausgerechnet Ihre Person, bei der die Integration in die türkische Gesellschaft weitestgehend bereits vollzogen war, dies ergibt sich aus Ihrer niederschriftlichen Einvernahme vom 03.09.1991, wo Sie angaben, als Offizier beim türkischen Militär in Verwendung gewesen zu sein und "etwas" kurdisch zu sprechen, für die türkischen Behörden von Interesse gewesen sein soll und haben außerdem anläßlich Ihrer erstinstanzlichen Befragung nicht einmal geringste politische Aktivitäten ausgeführt."
Zum Vorbringen in der Berufungsergänzung verwies die belangte Behörde im übrigen lediglich darauf, ausschließlich gegen die Person eines Asylwerbers selbst gerichtete Verfolgungshandlungen könnten in seinem Asylverfahren von Relevanz sein. Der in der Berufungsergänzung ausgedrückten Vermutung allenfalls vorliegender Verständigungsschwierigkeiten begegnete sie mit dem Hinweis auf § 15 AVG.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Obwohl die Beschwerdeausführungen nahezu wortgleich mit jenen der - die anders begründete Entscheidung der belangten Behörde vom 16. Mai 1994 bekämpfende - Vorbeschwerde sind, kommt ihnen im Ergebnis Berechtigung zu. Insoweit allerdings der Beschwerdeführer in der Beschwerde erstmals behauptet, "nunmehr" liege ihm eine Anklageschrift wegen öffentlicher Beleidigung und Verhöhnung der ideellen Persönlichkeit des Staates sowie Mitgliedschaft an einer illegalen Organisation vor, wobei er daran anknüpfend auf die ergänzende Mitteilung vom 19. Oktober 1995 mit der Aufforderung zum Dienstantritt für den Frontdienst des türkischen Militärs verweist, kann auf dieses Vorbringen im Hinblick auf das Neuerungsverbot des § 41 VwGG nicht mehr eingegangen werden.
Im Ergebnis zutreffend rügt jedoch der Beschwerdeführer die von der belangten Behörde vorgenommene "Beweiswürdigung". Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß sich der Verweis der belangten Behörde auf ein "rationales Kosten-Nutzen-Kalkül" eines angeblichen Verfolgerstaates als letztlich inhaltsleere Scheinbegründung darstellt, die einer Schlüssigkeitsprüfung nicht standhält (vgl. dazu zuletzt das hg. Erkenntnis vom 12. September 1996, Zl. 95/20/0198 und die dort wiedergegebene Judikatur). Auch geht die Begründung der belangten Behörde fehl, wenn sie vermeint, die vom Beschwerdeführer behaupteten Verhöre und Folterungen hätten allein ihren Grund darin gehabt, ein bei ihm vermutetes "Sonderwissen" über PKK-Angehörige zu entdecken, hat der Beschwerdeführer doch bereits anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung eindeutig dargelegt, daß auch ihm selbst eine unterstützende Tätigkeit, wenn nicht gar Mitgliedschaft zur PKK - zu Recht oder zu Unrecht ist in diesem Zusammenhang belanglos - unterstellt wurde. Das Ansinnen der belangten Behörde, der Beschwerdeführer hätte sich dem von seiten der Freischärler auf ihn ausgeübten Druck durch eine Anzeige bei den türkischen Behörden entledigen können, grenzt gerade im Hinblick darauf, daß eben diese türkischen Behörden ihn mehrfach verhört und zumindest unter dem Verdacht, selbst PKK-Sympathisant zu sein, gefoltert haben, an Zynismus. Die Behörde bleibt auch letztlich jegliche Begründung dafür schuldig, warum sie es als nicht glaubhaft gemacht ansehen kann, daß auch ein sogenannter "assimilierter" Kurde in eine wie die von ihm beschriebene Zwangssituation zwischen PKK-Freischärlern einerseits und den türkischen Behörden andererseits geraten kann.
Da der angefochtene Bescheid somit an wesentlichen Begründungsmängeln leidet, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200551.X00Im RIS seit
20.11.2000