Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des J in L, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres von 13. April 1995, Zl. 4.324.293/15-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. April 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Indien, der am 6. September 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 16. September 1991 den Antrag auf Asylgewährung gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 15. Oktober 1991, mit welchem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei, abgewiesen und ausgesprochen, daß Österreich dem Beschwerdeführer kein Asyl gewähre.
Der Beschwerdeführer hatte anläßlich seiner ersten niederschriftlichen Einvernahme im fremdenpolizeilichen Verfahren angegeben, er habe in Indien für die Sikh-Partei gearbeitet, diese habe ihn auch finanziell unterstützt. Die Sikh-Partei arbeite für die Gründung eines unabhängigen Sikh-Staates, Khalistan, und werde dafür von den indischen Behörden verfolgt. Einige Mitarbeiter des Beschwerdeführers seien bereits umgebracht worden, manche säßen im Gefängnis und würden mißhandelt. Auch ihn wolle die Polizei festnehmen, weshalb er das Land habe verlassen müssen. Er habe Indien 1989 verlassen, sei über den Iran, Tibet, Damaskus, einem ein Jahr und sieben Monate dauernden Aufenthalt in der Türkei, Rumänien und Ungarn nach Österreich gekommen.
Anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme im Asylverfahren am 8. Oktober 1991 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, er habe in Indien für die Sikh-Partei gearbeitet, welche ihn finanziell unterstützt habe. Diese Partei habe für die Gründung eines unabhängigen Sikh-Staates, Khalistan, gearbeitet. Deshalb seien er und seine Freunde von den indischen Behörden verfolgt worden. Einige Mitarbeiter seien bereits umgebracht worden, manche säßen im Gefängnis und würden mißhandelt. Auch ihn wolle die Polizei festnehmen, deshalb sei er geflohen. Parteifreunde hätten ihm gesagt, er solle nicht zurückkehren, dies sei viel zu gefährlich. Zum Fluchtweg gab er an, er habe Indien bereits Ende 1989 verlassen. Er sei über Syrien, Tibet, Damaskus, die Türkei, Rumänien und Ungarn nach Österreich gelangt.
In seiner Berufung gegen die formularmäßig gehaltene Entscheidung der ersten Instanz verwies der Beschwerdeführer im wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen. In einer Ergänzung vom 28. November 1991 brachte er vor, daß er im Falle einer Abschiebung nach Indien mit einer sofortigen Verhaftung wegen seiner politischen Aktivitäten zu rechnen habe. In dieser Ergänzung beantragte der Beschwerdeführer zum Nachweis seiner politischen Verfolgung die Einvernahme seines in Hamburg lebenden Bruders. Mit weiteren Ergänzungen vom 4. und 9. Dezember 1991 legte der Beschwerdeführer ein Schreiben seines indischen Rechtsanwaltes, N, vor. Diesem sei zu entnehmen, daß die Khalistan-Partei den Beschwerdeführer bei der Ausreise aus Indien unterstützt habe. Die regierende Partei greife in Indien noch immer hart gegen die Leiter und Mitglieder der Khalistan-Partei durch, speziell gegen jene, welche in der Vergangenheit im Ausland gearbeitet hätten. Die Polizei habe gegen den Beschwerdeführer eine Anklage erhoben, in der ihm vorgeworfen werde, interne Unruhen im Land verursacht zu haben, weil der Beschwerdeführer seiner ungesetzlichen Forderung für Khalistan habe gerecht werden wollen. Des weiteren habe man Anklage erhoben, da er Regierungssoldaten im Dienst anläßlich einer Prozession angegriffen hätte. Die nächste Verhandlung werde am 21. Jänner 1992 stattfinden. Mit einer weiteren Eingabe vom 20. Dezember 1991 beantragte der Beschwerdeführer zum Beweis der politischen Verfolgung die Einvernahme des Zeugen P.
Mit Schreiben vom 29. Jänner 1992 ersuchte die belangte Behörde die Erstbehörde um ergänzende Befragung des Beschwerdeführers zum Stand des gegen ihn geführten Verfahrens in Indien nach dem 21. Jänner 1992, zu näheren Ausführungen betreffend die Wahrnehmungen, welche sein in Deutschland lebender Bruder zur politischen Verfolgung des Beschwerdeführers machen könne, desgleichen zu den Wahrnehmungen des P, sowie um Präzisierung der Tätigkeiten des Beschwerdeführers für die Sikh-Partei und um genaue Darlegung, wie, wann und von welchen Behörden er verfolgt werde. Sein Bruder sei nie Mitglied der Sikh-Partei und nicht gemeinsam mit dem Beschwerdeführer politisch tätig gewesen. Er sei vor 15 Jahren von Indien nach Deutschland ausgewandert.
Mit einer weiteren Ergänzung vom 18. Februar 1992 legte der Beschwerdeführer ein Schreiben eines anderen ihn in Indien vertretenden Anwaltes, R, vor. Daraus sei zu entnehmen, daß wegen politischer Gründe, nämlich auf Grund der Aktivitäten des Beschwerdeführers für die "All India Sikh Student Federation" beim Gericht in Neu Delhi ein Verfahren anhängig sei. Die politischen Tätigkeiten des Beschwerdeführers seien von der Polizei als kriminelle Tätigkeiten registriert worden. Die Polizei habe mehrfach an seiner Heimatadresse nach ihm gesucht. Im Falle einer Rückkehr nach Indien habe der Beschwerdeführer gravierende Probleme zu gewärtigen.
Der Beschwerdeführer wurde am 13. März 1992 vor der Bundespolizeidirektion Linz in einer "Niederschrift", aus welcher weder der Name des Leiters der Amtshandlung noch der des Dolmetschers erkennbar ist, zum obgenannten Auftrag der belangten Behörde einvernommen. Er gab dabei an, es laufe in seiner Heimat ein Verfahren gegen ihn, die nächste Verhandlung fände in zwei bis drei Monaten statt. Er besitze keine Anklageschrift und es sei auch noch kein Urteil ausgesprochen worden. P habe er erst auf seiner Flucht nach Österreich in Ungarn kennengelernt. Dieser sei ebenfalls als Flüchtling unterwegs gewesen, und der Beschwerdeführer habe ihn vorher noch nie gesehen. Wo sich P aufhalte, wisse er nicht.
Die Tätigkeiten für die Sikh-Partei beschrieb der Beschwerdeführer folgendermaßen: Er sei seit 1975 aktiver Mitarbeiter, habe Parteiplakate an wichtigen Stellen in verschiedenen Städten angebracht. Er habe an unzähligen Demonstrationen teilgenommen und dabei auch bestehende staatliche Einrichtungen (Schilder, Hinweistafeln, Fensterscheiben etc.) beschädigt. Er habe mehrmals Bomben unter Brücken und auf Bahngleisen gelegt, die dann von anderen Mitgliedern ferngezündet worden seien. Dies sei fünf- bis sechsmal erfolgt, andere Male hätten die Zünder versagt. Diese Anschläge seien im Jahr 1989 durchgeführt worden. Im September 1989 sei ein Bahngleis gesprengt worden. Er habe die Lage erkundet und dann die Bombe unter den Gleisen angebracht. Andere Mitglieder hätten später die Zeituhr eingestellt. Als die Bombe explodierte, sei er nicht mehr am Tatort gewesen. Er vermute, daß durch die Anschläge ca. 50 bis 100 Tote, zahlreiche Verletzte und ein sehr hoher Sachschaden verursacht worden seien.
Des weiteren ergänzte der Beschwerdeführer, daß er 1978 nach Deutschland geflüchtet sei, bis dahin habe er nur an Demonstrationen teilgenommen, die angeführten Bombenanschläge hätten erst 1989 stattgefunden. Er habe 1978 in Hamburg um Asyl angesucht, sei abgelehnt worden, habe aber seinen Aufenthalt hinauszögern und heiraten können. Nach Auseinandersetzungen mit der Gattin sei er im Juni 1989 wieder nach Indien geflogen und gleich nach seiner Ankunft wegen des Verdachtes der Mitgliedschaft zur Sikh-Organisation verhaftet worden. Über Vermittlung der Organisation sei er nach sieben Tagen Haft wieder entlassen worden. Danach habe er an den angeführten Anschlägen teilgenommen. Im Dezember 1989 habe er Indien verlassen, weil er von der Organisation erfahren habe, daß er als Gesuchter auf einer Liste stehe und von der indischen Polizei festgenommen werden solle. Er habe erfahren, daß die Polizei unzählige Male bei ihm zu Hause nach ihm gesucht habe.
Die "Niederschrift" schließt mit dem Satz "Ich habe die vom Dolmetsch übersetzte Vernehmung voll verstanden und nichts hinzuzufügen". Vor und nach diesem Satz finden sich handschriftliche Einfügungen in nicht leserlicher Schrift.
Da der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich die Aussagen, der Beschwerdeführer hätte angeblich sofort nach seiner Abschiebung aus der Bundesrepublik Deutschland, wo er seit 1978 gelebt hatte, Bombenanschläge durchgeführt, "wenig glaubwürdig erschienen" (vgl. das Aktenvorlageschreiben der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich an die belangte Behörde vom 21. April 1992), wurde er unter Zuziehung eines Dolmetschers und im Beisein seines Anwaltes am 6. April 1992 neuerlich vernommen. Hierin bestritt der Beschwerdeführer die Angaben über die Beteiligung an Bombenanschlägen gemacht zu haben. Diese beruhten auf einem Mißverständnis, die Angaben seien ihm nicht vorgelesen worden. Er habe an Demonstrationen teilgenommen, deren Ziel es gewesen sei, auf friedlichem Wege einen eigenen Sikh-Staat zu erreichen. Er wisse nicht, was ihm vom indischen Gericht zur Last gelegt werde. Er hätte kein Geld gehabt, eine Kopie der Anklageschrift zu besorgen. Dieses habe er gegen Ende des Monats vor. Für die Sikh-Partei sei er deshalb wichtig gewesen, weil er für sie bei Demonstrationen "Leute auf die Straße bringen" habe können. Deshalb und weil die Partei ihre aktiven Mitglieder auch im Ausland schütze, sei er von der Partei unterstützt worden. Sodann wiederholte der Beschwerdeführer die Angaben betreffend seine Haft nach der Rückkehr nach Indien aus Deutschland. Er präzisierte, daß er sich in der Folge nicht nach Hause getraut habe, aus Furcht, von der Polizei verhaftet und gefoltert zu werden. Er habe erfahren, daß die Polizei nach ihm überall nachgefragt habe. Nachdem ihm die Partei einen Reisepaß besorgt habe, habe er Ende 1989 das Land verlassen.
Die belangte Behörde erließ daraufhin den Bescheid vom 15. März 1993, welcher infolge der Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94) mit dem hg. Erkenntnis vom 15. September 1994, Zl. 94/19/0456, aufgehoben wurde.
Die belangte Behörde gab dem Beschwerdeführer mit dem Schreiben vom 8. März 1995 im fortgesetzten Verfahren Gelegenheit, einfache Verfahrensmängel und daraus etwa folgende Sachverhaltsfeststellungen der Behörde erster Instanz, welche er im Rahmen seiner Berufung möglicherweise nicht releviert habe, zu rügen. Darüber hinaus teilte die belangte Behörde mit, daß sie es als notorische Tatsache ansehe, daß der Beschwerdeführer sich im Iran, in Rumänien und Ungarn aufgehalten und dort Sicherheit vor Verfolgung erlangt habe. Betreffend Ungarn wies die belangte Behörde auf ein "Gutachten vom 4.7.1994" des UNHCR hin, wonach in Ungarn trotz des territorischen Vorbehaltes zur Genfer Flüchtlingskonvention "faktisch lückenlose" Abschiebungssicherheit für außereuropäische Flüchtlinge und Asylwerber bestehe.
Mit der Berufungsergänzung vom 24. März 1995 bestritt der Beschwerdeführer die Annahme, er habe in Iran, Rumänien und Ungarn im Jahr 1991 Sicherheit vor Verfolgung erlangt. Er habe in den genannten Ländern entgegen der Behauptung der Behörde keinen Rückschiebungsschutz genossen. Die angenommene faktisch lückenlose Abschiebungssicherheit für außereuropäische Flüchtlinge und Asylwerber in Ungarn habe für das Jahr 1991, in dem der Beschwerdeführer geflüchtet sei, nicht gegolten.
Die belangte Behörde erließ daraufhin den nunmehr angefochtenen Bescheid. Sie begründete im wesentlichen, daß den Angaben des Beschwerdeführers auf Grund widersprüchlicher Aussagen die volle Glaubwürdigkeit abzusprechen sei. Als glaubwürdig könnten Fluchtgründe im allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstelle, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erschienen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringe. Den Befragungen des Beschwerdeführers seien verschiedene Dolmetscher beigezogen gewesen, weshalb allfällige Verständigungsschwierigkeiten im Rahmen der Einvernahmen auszuschließen seien. Die belangte Behörde führte folgende Widersprüche an:
"Sie geben im Bericht vom 20.12.1991 an, daß Herr P, ebenfalls ein Staatsangehöriger von Indien, Ihre politische Verfolgung beweisen könne.
In der Niederschrift vom 13.03.1992 haben Sie hingegen angeführt, daß Sie Herrn P erst auf Ihrer Flucht nach Österreich in Ungarn getroffen hätten und dieser nichts zu Ihrer politischen Verfolgung angeben könne.
Weitere Widersprüche ergeben sich hinsichtlich Ihren Angaben bezüglich Ihrer Verfolgung seitens der Behörden und der gegen Sie von der Polizei erhobenen Anklage.
In der Niederschrift vom 09.10.1991 behaupten Sie, daß die indischen Behörden Sie aufgrund Ihrer Mitgliedschaft zur Sikh-Partei verfolgt und daß die Polizei Sie wegen desselben Grundes verhaften wolle. In Ihrer Berufung gaben Sie an, daß die Polizei deshalb gegen Sie Anklage erhoben habe, da man Sie der Verursachung interner Unruhen im Land und der Angriffe gegen Regierungssoldaten beschuldige.
In Ihrer Niederschrift vom 13.03.1992 führen Sie an, daß Sie öffentliche Einrichtungen, wie zum Beispiel Straßenbeleuchtungen, Hinweisschilder oder Fensterscheiben beschädigt hätten und darüber hinaus mehrere Bomben unter Brücken und auf Bahngleise gelegt hätten. Aufgrund dessen seien Sie auf einer Liste gestanden und die Polizei habe Sie festnehmen wollen.
In der Niederschrift vom 06.04.1992 behaupten Sie, daß Sie nicht wüßten, warum das indische Gericht gegen Sie eine Anklage erhoben habe.
Weiters behaupten Sie in dieser Niederschrift, daß die Angaben darüber, daß Sie selbst Sprengkörper gelegt hätten, wie Sie in der Niederschrift vom 13.03.1992 angegeben haben, auf einem Mißverständnis beruhen.
Aufgrund dieser widersprüchlichen Aussagen ist Ihren Angaben die volle Glaubwürdigkeit abzusprechen.
Sie wurden im Rahmen Ihrer niederschriftlichen Befragung am 06.04.1992 auf Ihre widersprüchlichen Angaben aufmerksam gemacht, konnten diese jedoch nicht klären.
Ihr Versuch, Ihr Vorbringen vom 13.03.1992, wonach Sie sich an Terroranschlägen beteiligt hätten, insbesondere Bomben unter Brücken und Bahngleisen gelegt hätten, als Mißverständnis hinzustellen, da Ihnen die seinerzeitigen Angaben nicht vorgelesen worden seien, geht aus folgenden Gründen ins Leere:
Ihre niederschriftliche Befragung wurde unter Beiziehung eines Dolmetschers durchgeführt und wurde Ihnen der Inhalt der Niederschrift von diesem zur Kenntnis gebracht. Sie haben mit Ihrer Unterschrift bestätigt, die übersetzte Vernehmung voll verstanden und nichts hinzuzufügen zu haben und somit die Richtigkeit der Niederschrift bekräftigt.
Sie erläuterten zudem auf einer Länge von einer 3/4 Seite des Protokolls ausführlich Ihre Beteiligung an den Bombenanschlägen, sodaß ein Mißverständnis aufgrund einer fehlerhaften Protokollierung allein schon deshalb auszuschließen ist.
Überdies liefert gemäß § 15 AVG 1991 eine gemäß § 14 AVG 1991 aufgenommene Niederschrift (welche hier vorliegt) über den Verlauf und den Gegenstand der betreffenden Amtshandlung vollen Beweis und kann Ihre bloße Behauptung der Unrichtigkeit desselben nicht als (prinzipiell zulässiger) Gegenbeweis angesehen werden"
Eventualiter führte die belangte Behörde aus, daß es sich diesfalls um kriminelle Delikte handle, auf Grund welcher man in jedem rechtsstaatlichen Land zur Verantwortung gezogen werde. Gleiches gelte für Angriffe auf Regierungssoldaten und die Beschädigung von öffentlichen Einrichtungen. Eine darauf beruhende Verfolgung durch die Behörden deute nicht darauf hin, daß der Beschwerdeführer aus Gründen seiner politischen Gesinnung "(bzw. sonst illegitim)" verfolgt worden sei. Darüber hinaus bestünden ernsthafte Gründe für den Verdacht, daß es sich bei dem vom Beschwerdeführer geschilderten Vorfall um ein schweres, nicht politisches Verbrechen gehandelt habe, weswegen auf Grund der Ausschlußklausel des § 2 Abs. 2 Z. 1 Asylgesetz 1991 kein Asyl gewährt werden könne, da Art. 1 Abschnitt F lit. b der Genfer Flüchtlingskonvention anzuwenden sei.
Außerdem sei der Beschwerdeführer in Iran, Rumänien und Ungarn sicher vor Verfolgung gewesen. Er sei im Iran und in Rumänien keinerlei Verfolgung ausgesetzt gewesen und habe nicht befürchten müssen, ohne Prüfung seiner Fluchtgründe in seine Heimat abgeschoben zu werden. Denn diese Staaten seien Mitgliedstaaten der Genfer Konvention und es spreche nichts dafür, daß diese Staaten, die sich aus dieser Mitgliedschaft ergebenden Verpflichtungen, insbesondere das in Art. 33 verankerte Refoulement-Verbot, etwa vernachlässigten. Der Beschwerdeführer habe dem Vorhalt der belangten Behörde vom 8. März 1995 "nichts Einschlägiges" entgegengesetzt. Auch zur Situation in Ungarn habe der Beschwerdeführer "lediglich pauschal" behauptet, daß die angenommene lückenlose Abschiebungssicherheit für außereuropäische Flüchtlinge und Asylwerber für den Zeitpunkt seines Aufenthaltes in Ungarn nicht zugetroffen habe.
Der Beschwerdeführer sei daher gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 sicher vor Verfolgung gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Begründung der belangten Behörde zur Darlegung, daß den Angaben des Beschwerdeführers keine Glaubwürdigkeit zukomme, halten der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anzustellenden Schlüssigkeitsprüfung nicht stand.
Aus den Angaben des Beschwerdeführers betreffend P läßt sich kein entscheidungswesentlicher Widerspruch ableiten. Denn der Beschwerdeführer hat die Einvernahme dieses Zeugen mit der Berufungsergänzung vom 20. Dezember 1991 (nicht wie die belangte Behörde angibt, im "Bericht vom 20.12.1991") nur zum "Beweis der politischen Verfolgung" beantragt. Diese pauschale Beantragung enthält keine Details, welche Wahrnehmungen der Zeuge hätte ausführen sollen. Solche Details - nämlich daß der Zeuge über die Situation des Beschwerdeführers in seinem Heimatland KEINE persönlichen Wahrnehmungen hätte wiedergeben können - hat der Beschwerdeführer aber einzig in der Niederschrift vom 6. April 1992 gemacht.
Des weiteren sind keine widersprechenden Angaben des Beschwerdeführers darin zu ersehen, er habe einerseits behauptet, die Polizei habe gegen ihn Anklage erhoben, da man ihn der Verursachung interner Unruhen im Land und der Angriffe gegen Regierungssoldaten beschuldige, andererseits später, daß er nicht wisse, warum das indische Gericht gegen ihn Anklage erhoben habe. Denn die erste Angabe stammt nicht - wie die belangte Behörde fälschlicherweise begründet - aus der Berufung des Beschwerdeführers, sondern aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Schreiben seines angeblichen Rechtsanwaltes in Indien, stellt somit keine eigene Aussage des Beschwerdeführers dar. Mangels Kenntnis des genauen Inhaltes der Anklageschrift, in deren Besitz der Beschwerdeführer nicht war, liegt kein Widerspruch darin, daß er am 6. April 1992 aussagte, er wisse nicht genau, warum das indische Gericht gegen ihn eine Anklage erhoben habe.
Zum Inhalt der Aussagen in der "Niederschrift" vom 13. März 1992 rügt der Beschwerdeführer zunächst zutreffend, daß dieser "Niederschrift" sowohl die Benennung des Leiters der Verhandlung als auch die Benennung des Dolmetschers mangelt. Die "Niederschrift" entspricht daher dem § 14 Abs. 2 AVG nicht in voller Weise. Eine solche Niederschrift verliert nicht jeglichen Beweischarakter, sie unterliegt jedoch gemäß § 45 Abs. 2 AVG der freien Beweiswürdigung. Es obliegt dann nicht der Partei, den Gegenbeweis gegen die Richtigkeit des bezeugten Vorganges zu führen, vielmehr hat in diesem Fall die Behörde durch geeignete Ermittlungen von Amts wegen den Beweis über den Inhalt der Amtshandlung aufzunehmen (vgl. die in Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen
Verwaltungsverfahrens5, Seite 184, zitierte
hg. Rechtsprechung).
Im konkreten Fall hat der Beschwerdeführer in der Niederschrift vom 6. April 1992 ausdrücklich gerügt, daß der Inhalt der "Niederschrift" vom 13. März 1992 auf einem "Mißverständnis" beruhe, er die Aussagen betreffend seiner Beteiligung an Bombenanschlägen nicht getätigt habe und ihm die Niederschrift nicht übersetzt worden sei. Dazu kommt, daß die handschriftlichen Zusätze in der inkriminierten Niederschrift weder im angefochtenen Bescheid erwähnt worden sind noch die belangte Behörde einen Versuch zur Übersetzung dieser (fremdsprachlichen) Zusätze unternommen hat. Von der Richtigkeit des Inhaltes dieser "Niederschrift" vom 13. März 1992 kann daher nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Dadurch, daß die belangte Behörde dies - offenbar in unrichtigem Verständnis des § 15 AVG - verkannte, hat sie den angefochtenen Bescheid bereits mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
Steht aber die Richtigkeit des Inhaltes einer "Niederschrift" nicht fest, so ist dieser Inhalt ungeeignet, für die Begründung der Unglaubwürdigkeit auf Grund Widerspruches zu anderen Angaben des Vernommenen herangezogen zu werden.
Unter Außerachtlassung des Inhaltes der inkriminierten "Niederschrift" stellt sich aber das Vorbringen des Beschwerdeführers während des gesamten Verwaltungsverfahrens als in wesentlichen Punkten widerspruchsfrei dar. Auch die belangte Behörde hat keine weiteren, aus diesen Angaben des Beschwerdeführers etwaig resultierenden Widersprüche dargetan.
Die Eventualbegründung der belangten Behörde ist aus dem obgenannten Grund der Zweifelhaftigkeit der Richtigkeit des Inhaltes der "Niederschrift" vom 13. März 1992 ebenfalls rechtswidrig. Denn eine rechtliche Beurteilung kann nicht auf dem Inhalt einer zweifelhaften "Niederschrift" aufbauen. Es erübrigt sich daher, auf die auch grundsätzlich mit der hg. Rechtsprechung nicht im Einklang stehenden Ausführungen der belangten Behörde zu einem "kriminellen Delikt" unter Außerachtlassung seines politisch motivierten Hintergrundes einzugehen.
Für das fortgesetzte Verfahren sei noch bemerkt, daß die vom Beschwerdeführer behaupteten Sachverhaltsumstände seiner zwangsweisen Abschiebung aus Deutschland, seiner unmittelbar darauf folgenden Haft wegen Verdachtes der Angehörigkeit zur Sikh-Partei, seinem darauf durchgehenden Versteckthalten bis zur Möglichkeit zur Flucht mit dem durch die Partei erlangten Reisepaß samt der behaupteten Anklage grundsätzlich nicht ungeeignet scheinen, eine asylrechtlich relevante Verfolgung darzutun. Die belangte Behörde wird daher insbesondere zum behaupteten Gerichtsverfahren gegen den Beschwerdeführer nähere Umstände zu ermitteln haben.
Für den Beschwerdeführer wäre aber nichts gewonnen, hielte der ebenfalls von der belangten Behörde herangezogene Grund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 einer Überprüfung stand.
Die belangte Behörde hat grundsätzlich die Rechtslage zum Begriff der "Verfolgungssicherheit" im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 - im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ua. das Erkenntnis vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0357, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird) - richtig erkannt.
Die belangte Behörde übersieht jedoch, daß der Beschwerdeführer auf Grund des Vorhaltes vom 8. März 1995 in seiner Stellungnahme vom 24. März 1995 der Annahme der belangten Behörde, er habe während seines Aufenthaltes in Iran, Rumänien und Ungarn Sicherheit vor Verfolgung erlangt, in tatsächlicher Hinsicht ausdrücklich entgegengetreten ist. Er hat behauptet, keinen Rückschiebungsschutz genossen zu haben. Den Sonderfall Ungarn betreffend bringt er vor, die "faktisch lückenlose" Abschiebungssicherheit für außereuropäische Flüchtlinge und Asylwerber, welche in einem "Gutachten des UNHCR vom 4.7.1994" festgestellt werde, habe für das Jahr 1991, in dem der Beschwerdeführer sich in Ungarn aufgehalten habe, noch nicht zugetroffen. Damit macht der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen geltend, daß keine ausreichenden Ermittlungen gepflogen wurden, die die Annahme der belangten Behörde rechtfertigen könnten, der Iran, Rumänien oder Ungarn hätten von ihrer effektiv geltenden Rechtsordnung her bzw. faktisch einen dem Standard der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechenden Schutz geboten. Der Beschwerdeführer hat auf diese Weise nach Maßgabe der ihn im Verwaltungsverfahren treffenden Mitwirkungspflicht, ohne daß es demnach noch einer weiteren Konkretisierung seines Vorbringens bedurft hätte, auch die Wesentlichkeit der der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmängel aufgezeigt (vgl. dazu des näheren das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413). Ungarn betreffend ist noch zu ergänzen, daß es die belangte Behörde sowohl im Vorhalt vom 8. März 1995 als auch im angefochtenen Bescheid unterließ, näher darzulegen, weshalb sie zur Annahme gelangte, das "Gutachten vom 4.7.1994" beziehe sich bereits auf den Zeitraum des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Ungarn (1991). Dies hat der Beschwerdeführer zutreffend gerügt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. Februar 1996, Zl. 95/20/0085, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).
Es wurden sohin auch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Da eine Aufhebung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit einer Aufhebung wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellungfreie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200324.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
02.02.2011