TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/21 W189 2220334-2

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Veröffentlicht am 21.10.2021
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Entscheidungsdatum

21.10.2021

Norm

AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55 Abs1
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W189 2220334-2/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX alias XXXX , StA. ungeklärt alias Russische Föderation alias Armenien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU-GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.06.2021, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Einreise, erste Inschubhaftnahme sowie erstes Asylverfahren

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden auch BF) reiste am 01.02.2001 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet ein, ohne im Besitz eines gültigen Reisedokuments und Sichtvermerks zu sein. Er wurde am nämlichen Tag von Organen der Grenzüberwachung aufgegriffen und wurde in der Folge über ihn die Schubhaft zur Sicherung der Zurückschiebung in die Slowakei verhängt. Er befand sich von 02.02.2001 bis 13.03.2001 in Schubhaft. Im Rahmen der Einvernahme am 02.02.2001 vor einer Bezirkshauptmannschaft gab er an „ XXXX “ zu heißen, am XXXX in XXXX , Tschetschenien geboren zu sein. Er sei tschetschenischer Staatsangehöriger. Sein Vater sei Tschetschene, seine Mutter Armenierin. Er sei bei seiner Mutter in Russland ausgewachsen. Er sei in XXXX wohnhaft. Unter einem stellte der BF weiters seinen ersten Asylantrag im Bundesgebiet.

1.2. In der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 16.02.2001 gab er zu seinen persönlichen Verhältnissen ergänzend an, er habe einen Bruder in Kasachstan. Er habe als XXXX und XXXX in XXXX von 1997 bis 1998 gearbeitet und dort bis September 1999 gelebt. Danach habe er bis XXXX in Moskau gelebt. Einen Reisepass habe er nie gehabt, einen Führerschein hingegen schon, jener sei in Moskau von einem Polizisten zerrissen worden. Am 16.02.2001 wurde er erneut einvernommen und gab u.a. an, bis zum 7. Lebensjahr in XXXX gelebt zu haben, danach habe er in Armenien gelebt und sei, nachdem sich die Eltern geschieden hätten, mit seiner Mutter nach Russland gezogen. Er sei in der Ukraine, in Weißrussland aufhältig gewesen. Bevor er in Moskau gewesen sei, sei er in XXXX und XXXX aufhältig gewesen.

1.3. Mit Bescheid vom XXXX des Bundesasylamtes wurde der Asylantrag des BF abgewiesen und seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Russland als zulässig erklärt. In der dagegen eingebrachten Berufung brachte der BF u.a. vor, russischer Staatsangehöriger zu sein, und wurde das Rechtsmittel mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom XXXX abgewiesen. U. a. wurde in der Begründung ausgeführt, die vom BF behauptete Identität habe nicht festgestellt werden können.

2. Straffälligkeit, Erlassung des unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zweite Inschubhaftnahme, erste Heimreisezertifikat-Verfahren mit der Russischen Föderation

2.1. Der BF wurde erstmals im März 2001 (wegen eines versuchten Ladendiebstahls) angezeigt und wurde am XXXX erstmals rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von insgesamt 12 Monaten verurteilt, wovon 8 Monate unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurden, welche jedoch infolge abermaliger folgender strafrechtlicher Auffälligkeit letztlich widerrufen wurde.

2.2. Am XXXX wurde der BF vor einer Bundespolizeidirektion (im Folgenden auch BPD) niederschriftlich einvernommen und wurde über ihn am nämlichen Tag die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots, einer Ausweisung und der Abschiebung angeordnet. Am XXXX wurde gegen den BF von der nämlichen Behörde ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

2.3. Im November 2001 wurde bei der Botschaft der Russischen Föderation erstmals für den BF um Ausstellung eines Laissez-Passer (Heimreisezertifikat) ersucht. Jenem Ersuchen wurde nicht entsprochen, weil der BF unter der genannten Identität unter angegebener Adresse in der Russischen Föderation unbekannt sei. Auf Vorhalt jenes Umstandes hat der BF in einer Einvernahme betreffend Ausdehnung der Dauer der Schubhaft am 03.01.2002 angegeben, dass seine Identität sowie Adresse stimme. Der BF befand sich bis 12.02.2002 in Schubhaft. Am 23.08.2002 wurde der BF von der Schweiz infolge Einreise am 21.08.2002 unter Umgehung der Grenzkontrollen von den österreichischen Behörden rückübernommen und auf freiem Fuß angezeigt.

Der BF wurde in der Folge wiederholt – bis in das Jahr 2010 – straffällig, rechtskräftig verurteilt und befand sich deswegen auch mehrmals in Haft.

3. Zweites bzw. drittes Heimreisezertifikat-Verfahren mit der Russischen Föderation, dritte Inschubhaftnahme, Folgeantrag auf internationalen Schutz

3.1. Im Oktober 2006 wurde seitens einer Bezirkshauptmannschaft neuerlich versucht, bei der russischen Botschaft ein Heimreisezertifikat zu erlangen. Eine Identitätsprüfung sowie die Ausstellung eines Heimreisezertifikates wurden seitens der Botschaft der Russischen Föderation aufgrund unvollständig ausgefüllter Antragsformulare nicht vorgenommen.

3.2. Im Dezember 2006 wurde erneut mittels neu vorliegenden Antragsformular versucht, die Ausstellung eines Heimreisezertifikates bei der russischen Vertretungsbehörde zu erwirken. Eine Identitätsprüfung wurde seitens der Russischen Föderation aufgrund unvollständiger Ausfüllung des Antragsformulars – fehlende vollständige Adresse – nicht veranlasst.

3.3. Mit Bescheid vom XXXX wurde gegen den BF erneut – nach Verbüßung einer Straf- bzw. Verwaltungsstrafhaft – Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Im Zuge einer Einvernahme am 18.12.2006 vor einer BPD gab der BF u. a. an, nicht Staatsangehöriger der Russischen Föderation zu sein, in einem russischen Waisenhaus aufgewachsen zu sein und keine Staatsbürgerschaft zu besitzen, weil er staatenlos sei.

3.4. Am 31.12.2006 stellte der in Schubhaft befindliche BF einen Antrag auf internationalen Schutz. In der Erstbefragung vom 02.01.2007 gab er u.a. an, neben Vater sowie Mutter, über einen Bruder sowie eine Schwester zu verfügen und habe er nie einen Reisepass besessen. Über Bruder und Schwester sei sonst nichts bekannt. Der Vater befinde sich in Tschetschenien und die Mutter in Kasachstan. Näheres sei, abgesehen von einem genannten Alter, nicht bekannt. Im Zuge einer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 08.01.2007 gab er ferner an, in Russland eine Lebensgefährtin bzw. einen Sohn zu haben. U. a. führte er noch aus, in einem Waisenhaus ohne Eltern aufgewachsen und staatenlos zu sein. Mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid vom XXXX wurde der Antrag des BF wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Russland ausgewiesen. Der BF befand sich von 16.12.2006 bis 18.01.2007 in Schubhaft.

4. Viertes Heimreisezertifikat-Verfahren mit der Russischen Föderation

4.1. Ab August 2009 wurde neuerlich versucht, ein Heimreisezertifikat den BF betreffend hinsichtlich der Russischen Föderation zu erlangen und wurde der BF schließlich am XXXX 2010 zu einem Interview bei der russischen Botschaft vorgeführt, im Zuge dessen der BF das Formblatt ausfüllte. Eine Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation konnte nicht festgestellt werden.

4.2. Im Zuge fremdenrechtlicher Kontrollen erfolgten u.a. Anzeigen nach dem FPG, eine Verhängung der Schubhaft erfolgte aufgrund eines nicht erlangbaren Heimreisezertifikates nicht. Der BF trat auch verwaltungsstrafrechtlich in Erscheinung.

5. Herabsetzung des Aufenthaltsverbots, Heimreisezertifikat-Verfahren mit Armenien sowie weitere mit der Russischen Föderation

5.1. Im Dezember 2015 wandte sich der BF im Wege einer Landespolizeidirektion (im Folgenden auch LPD) an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden auch BFA) mit dem Ersuchen, sein Aufenthaltsverbot in Österreich aufzuheben. In jener Mitteilung gab er u.a. an, in den letzten 5 Jahren keine kriminellen Handlungen bzw. gesetzliche Verstöße begangen sowie die Zeit zur Integration genutzt zu haben. Der BF wurde in der Folge niederschriftlich vor dem BFA am 30.03.2016 einvernommen und gab u.a. an, er besitze kein gültiges Reise- bzw. Ausweisdokument und sei zwischen August 2010 sowie Juli 2012 in Österreich gewesen und nicht ausgereist. Er habe keine Schritte für eine freiwillige Ausreise unternommen. Befragt gab er hierzu an, wie könne er ausreisen und man solle ihm sagen, wohin er gehen solle. Er bestreite den Lebensunterhalt durch Zuwendungen von einer Organisation. Der BF führte weiters aus, zwei Kinder zu haben, welche mit seiner Ex-Lebensgefährtin in Russland leben würden. Er wisse jedoch nicht wo. Berichtigend führte er aus, dass nur ein Sohn von ihm sei, welcher bereits 16 Jahre alt sei. Sonstige Angehörige habe er in der Russischen Föderation nicht, jene seien alle schon gestorben. Er habe keine Angehörigen in Österreich, besuche ein bis zweimal im Monat die XXXX und habe er einen Deutschkurs A2 absolviert. Der BF wurde unter anderem seitens des BFA aufgefordert, von der Vertretungsbehörde (Russland oder Armenien) eine Bestätigung betreffend die Nichtausstellung eines Dokumentes vorzulegen.

Ferner wurde am nämlichen Tag eine Niederschrift zwecks Beantragung eines Heimreisezertifikates aufgenommen. Im Zuge dessen gab er an, in Tschetschenien geboren zu sein, mit 3 Jahren mit seiner Mutter nach XXXX übersiedelt zu sein und sich dort in einem Waisenhaus aufgehalten zu haben. Ferner führte er aus, seine zwei Elternteile seien im Jahr 2011 sowie 2012 verstorben und halte sich ein Bruder in Kasachstan auf. Zuletzt habe sich der BF in Russland in XXXX aufgehalten. Sein Sohn halte sich – zuletzt bekannt – in der genannten Stadt auf.

5.2. Mit Bescheid des BFA vom XXXX wurde gemäß § 68 Abs. 2 AVG der Bescheid vom XXXX , über welchen gegen den BF ein unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt wurde, aufgrund der Änderung des FPG 2005, auf die Dauer von 10 Jahren abgeändert.

5.3. Im April 2016 wurde ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates mit Armenien eingeleitet. Jenem wurde am XXXX 2016 seitens der Botschaft der Republik Armenien aufgrund fehlender Angaben bezüglich Passinformation und Registrierung in Armenien nicht entsprochen. Jenes Verfahren wurde in der Folge seitens des BFA weiter betrieben (neuerliche Antragstellung am XXXX 2017, Mitteilung der Botschaft vom XXXX 2017, dass weitere Informationen benötigt würden, Urgenzen seitens des BFA).

5.4. Der BF wurde am 13.07.2017 neuerlich vor dem BFA niederschriftlich einvernommen und gab er insbesondere an, noch keine Schritte für die freiwillige Ausreise unternommen zu haben. Er sei zehn Mal bei der Botschaft gewesen und würde er unter der angegebenen Identität in Russland und Tschetschenien nicht aufscheinen. Er müsse EUR 1.500 für eine Bestätigung bezahlen, dass er mit seinen Daten dort nicht aufscheine. Dem BF wurde u.a. vorgehalten, er verschleiere bewusst seine Identität und wurde der BF zwecks Heimreisezertifikatsverfahren mit Armenien zu seinen persönlichen Daten (u.a. Eltern, Schule, Ausbildung) erneut befragt. Auch wurde er nochmals aufgefordert, sich zu einer Vertretungsbehörde (Russland oder Armenien) zu begeben und eine schriftliche Bestätigung für die Nichtausstellung eines Dokumentes vorzulegen.

5.5. Am XXXX 2018 wurde das Ersuchen um Ausstellung eines Heimreisezertifikates betreffend den BF seitens der armenischen Behörden erneut abgelehnt, weil insbesondere eine armenische Staatsangehörigkeit des BF nicht bestätigt werden habe können. Das Verfahren wurde in der Folge seitens des BFA weiter betrieben. Der BF wurde im XXXX 2019 einem Interview durch Mitarbeiter der armenischen Behörden zugeführt, seine Daten in Armenien überprüft und wurde der BF negativ identifiziert; er spreche nur Russisch. Laut Delegationsleiter stamme er vermutlich aus der Russischen Föderation.

5.6. Im Oktober 2018 wurde seitens des BFA abermals ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates bei den russischen Behörden eingeleitet. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikates wurde mit Schreiben vom 30.01. XXXX (erneut) abgelehnt, weil betreffend den BF insbesondere kein Pass ausgestellt worden sei, er weder am Wohnort (Aufenthaltsort) angemeldet oder abgemeldet worden sei noch als Person registriert worden sei, die die Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation erworben habe. Aus der Information der Standesamtsbehörden in der Tschetschenischen Republik gehe hervor, dass in Bezug auf den BF keine Akteneintragungen vorhanden seien.

5.7. Am XXXX 2019 wurde erneut um Ausstellung eines Heimreisezertifikates bei der Russischen Föderation sowie um Durchführung eines Interviews ersucht. In der Folge wurde ein Termin am XXXX 2020 in der Konsularabteilung bei der Botschaft der Russischen Föderation vorgesehen, zu welchem der BF jedoch nicht erschienen ist. Schließlich erschien der BF am XXXX 2021 zu einem Interviewtermin. Das Interview wurde auf Russisch geführt und die Daten erneut nach Moskau zur Überprüfung geschickt.

6. Gegenständliches Verfahren

6.1. Am 29.01.2019 stellte der BF beim BFA gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikels 8 EMRK und brachte Integrationsunterlagen ein (Arbeitsvorvertrag vom XXXX 11.2018, ÖSD-Diplom A2 Grundstufe Deutsch 2 vom XXXX 12.2013 [Kopie], Versicherungsdatenauszug, Krankenversicherungsbeleg für grundversorgte Personen vom XXXX 07.2012, Mietvertrag vom XXXX 12.2017, Meldebestätigung vom XXXX 12.2012).

Durch seine damalige gewillkürte Rechtsvertretung brachte er insbesondere vor, dass er staatenlos und ein Waisenkind sei, bereits seit dem Jahr 2000 durchgehend im Bundesgebiet aufhältig sei und eine Ausreise nicht möglich sei. Bei Erteilung eines Aufenthaltstitels könne er einer geregelten Beschäftigung nachgehen und verfüge er über die notwendigen Deutschkenntnisse. Im Heimatland verfüge er über keine existentiellen Grundlagen und könne sich solche nicht schaffen.

6.2. Nach Erlassung einer Verfahrensanordnung sowie Einräumung einer vier wöchigen Frist am 08.04.2019 seitens des BFA, wonach u.a. aufgrund der fehlenden Unterlagen sowie der nicht festgestellten Identität der Antrag zurückgewiesen werden müsste, erstattete der BF durch Rechtsvertretung am 03.05.2019 eine Stellungnahme. In jener wurde insbesondere ausgeführt, er sei staatenlos und sei dies dem BFA hinlänglich bekannt, zumal eine Abschiebung noch nicht erfolgt sei. Der BF sei in einem Waisenhaus aufgewachsen, sei im Alter von vierzehn Jahren nach Sibirien geflüchtet, wo er zwei Jahre gelebt habe und sei schlussendlich danach nach XXXX gefahren. Seine Mutter sei eine Armenierin gewesen, sein Vater Tschetschene und der Großvater Türke. Der BF sei in XXXX geboren und habe er vor seiner Einreise in das Bundesgebiet in XXXX gelebt. Der BF habe nie einen Reisepass besessen und bestehe auch sohin keinerlei Möglichkeit, ein nationales Reisedokument in Anspruch zu nehmen. Der BF habe sich bereits über Aufforderung des BFA mit der Russischen Botschaft in Verbindung gesetzt und sei ein nationales Reisedokument nicht ausgestellt worden. Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht sei nicht gegeben und könne der BF bei Erteilung des Aufenthaltstitels einer geregelten Beschäftigung nachgehen.

6.3. Mit Bescheid vom XXXX wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 vom 29.01.2019 gemäß § 58 Abs. 10 iVm. Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 iVm. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG-DV 2005 zurückgewiesen.

Begründend wurde im Wesentlichen nach Anführung des Verfahrensgangs ausgeführt, die Identität des BF stehe nicht fest und seien seine Angaben durch keinerlei Dokumente belegt worden. Weder von der Russischen Föderation noch von Armenien habe die behauptete Identität verifiziert werden können. Es könne nicht festgestellt werden, dass der BF während seines Aufenthalts in Österreich Versuche unternommen hätte, die geltend gemachte Identität zu klären und nachzuweisen. Es könne nicht festgestellt werden, dass der BF mit seiner Vertretungsbehörde Kontakt aufgenommen hätte. Nicht festgestellt werden könne, dass die Beschaffung eines Reisepasses nicht möglich oder nicht zumutbar sei. Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen neben dem Verweis auf den Akteninhalt angeführt, dass der BF in der Vergangenheit schon die Antragsformulare nicht vollständig ausgefüllt hätte sowie auch mangelhafte Angaben gemacht worden seien, was eine Identifizierung unmöglich gemacht habe. Auch habe der BF unterschiedliche Angaben über einen möglichen Reisepass gemacht. Der BF habe offensichtlich von sich aus nicht den Kontakt zu seiner Vertretungsbehörde gesucht, um die Identität zu klären. Daraus ergebe sich ein unkooperatives Verhalten des BF. In rechtlicher Hinsicht bestehe nach wie vor eine als Rückkehrentscheidung geltende asylrechtliche Ausweisung. Seit der Erlassung jener Rückkehrentscheidung hätten sich keine wesentlichen Änderungen des Privat- und Familienlebens des BF ergeben. Vielmehr verfüge der BF – entgegen seiner Angaben im Antrag – nunmehr über eine Obdachlosenmeldung. Auch sei der BF keinesfalls seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen und verschleiere er nach Ansicht des BFA weiterhin seine Identität, um fremdenrechtliche Maßnahmen zu verhindern. Geeignete Unterlagen seien nicht vorgelegt worden und seien keine Nachweise erbracht worden, dass der BF seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen sei, obwohl ihm dies zumutbar sei. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

6.4. Dagegen erhob der BF durch seine Rechtsvertretung das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Insbesondere wurde ausgeführt, der BF habe nie einen Reisepass besessen und sich „einen mit richtigen Namen gekauft“. Auch habe der BF mehrmals bei der russischen Vertretungsbehörde vorgesprochen und sei in Erfahrung gebracht worden, dass er nicht registriert sei. Dem BF sei eine Ausreise aus dem Bundesgebiet nicht möglich. Dem mittlerweile seit Februar 2001 durchgehend im Bundesgebiet und geläuterten BF wäre bei richtiger Würdigung des Sachverhalts ein Aufenthaltstitel zu erteilen gewesen.

6.5. Am 08.11.2019 stellte der BF einen Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete. Mit Bescheid vom XXXX wurde der Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete vom 08.11.2019 – nach Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme sowie Stellungnahme seitens der Rechtsvertretung, in welcher u.a. das im gegenständlichen Verfahren getätigte Vorbringen des BF im Wesentlichen wiederholt wird – gemäß § 46a Abs. 4 iVm. 1 Z 3 FPG abgewiesen. Der Bescheid erwuchs in erster Instanz in Rechtskraft.

6.6. Mit dem mündlich verkündeten und in Rechtskraft erwachsenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.01.2021 zur Zahl W237 2220334-1 wurde der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm. § 58 Abs. 10 und 11 AsylG 2005 iVm. § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 stattgegeben und der angefochtene (zurückweisende) Bescheid des BFA vom XXXX behoben.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt:

„3. Die belangte Behörde stützte die Zurückweisung auf die beiden Tatbestände des § 58 Abs. 10 und Abs. 11 AsylG 2005. Beide Zurückweisungstatbestände sind im vorliegenden Fall aber nicht einschlägig:

3.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 58

Abs. 10 AsylG 2005 liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste. Vielmehr liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufweisen, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK gebieten. In einem solchen Fall ist eine – der Sache nach der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildete – Zurückweisung gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zulässig (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0102; 12.11.2015, Ra 2015/21/0101, mwN).

Da das Verfahren nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 jenem der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildet ist, ist Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht den Antrag auf Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels zurückgewiesen hat, die Behörde also auf Grundlage des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts (in Hinblick auf das begründete Antragsvorbringen) zu Recht davon ausgegangen ist, dass im Vergleich zur vorangegangenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände in Hinblick auf Art. 8 EMRK eingetreten ist.

Im       vorliegenden  Fall    wurde   gegenüber  dem     Beschwerdeführer  noch    keine

Rückkehrentscheidung erlassen. Die letzte ihn treffende aufenthaltsbeendende Maßnahme stammt – wie die belangte Behörde selbst festhielt – vom XXXX , als der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und er aus dem Bundesgebiet nach Russland ausgewiesen wurde. Seither ist eine Zeitspanne von 14 Jahren (!) verstrichen, was für sich genommen bereits jedenfalls eine maßgebliche Sachverhaltsänderung bedeutet. Außerdem ist dabei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer seit über einem Jahrzehnt nicht mehr straffällig war. Aufgrund eines sohin maßgeblich geänderten Sachverhalts seit Rechtskraft der asylrechtlichen Ausweisung ist der Zurückweisungstatbestand des § 58 Abs. 10 AsylG 2005 nicht erfüllt.

3.2. Soweit das Bundesamt die Zurückweisung auf § 58 Abs. 11 AsylG 2005 iVm § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG-DV 2005 stützte, ist Folgendes festzuhalten:

Gemäß 58 Abs. 11 AsylG ist der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nachkommt. Gemäß § 8 AsylG-DV 2005 sind u.a. ein gültiges Reisedokument (Z 1) und die Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument (Z 2) beizubringen. Nach § 4 AsylG-DV 2005 kann jedoch die Behörde auf begründeten Antrag von Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels nach § 8 leg.cit. zulassen. Dies im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen zur Wahrung des Kindeswohls (Z 1), zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK (Z 2) oder im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war (Z 3).

Der Verwaltungsgerichtshof sprach schon mehrfach aus, dass die Nichtvorlage eines gültigen Reisepasses grundsätzlich, wenn es nicht zu einer Heilung nach § 4 AsylG-DV 2005 zu kommen hat, eine auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützte Zurückweisung rechtfertigt (vgl. VwGH 17.05.2017, Ra 2017/22/0059, Rn. 24, und VwGH 21.9.2017, Ra 2017/22/0128, Rn. 15). Im Übrigen hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass die Nichtvorlage eines gültigen Reisedokuments bei Unterbleiben einer Antragstellung nach § 4 Abs. 1 Z 3 und § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG-DV grundsätzlich eine auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützte zurückweisende Entscheidung rechtfertigt (vgl. dazu VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0039; VwGH 14.042016, Ra 2016/21/0077).

Die Heilungsbestimmung des § 4 AsylG-DV 2005 stellt demgemäß auf einen Antrag ab. Der Verwaltungsgerichtshof ließ in seiner Rechtsprechung aber zu, dass dieser nicht ausdrücklich gestellt sein muss bzw. Eingaben im Verfahren als ein solcher Antrag gewertet werden können und das Bundesverwaltungsgericht allenfalls eine entsprechende Klärung herbeizuführen hat (vgl. VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0206, Rn. 13). Im vorliegenden Fall machte der Beschwerdeführer (ähnlich wie in dem genannten VwGH-Erkenntnis zugrundeliegenden Anlassfall) in seinem Schriftsatz vom 03.05.2019 bereits geltend, dass er nie einen Reisepass besessen habe und keine Möglichkeit bestehe, ein nationales Reisedokument in Anspruch zu nehmen, zumal ihm die russische Botschaft bereits mitgeteilt habe, dass ihm ein solches Dokument nicht ausgestellt werde. Diesen Standpunkt bekräftigte der Beschwerdeführer auch in seiner Beschwerde. In der heutigen Verhandlung ergab sich, dass der Beschwerdeführer mit dieser Eingabe bzw. seinem Vorbringen auf einen Antrag im Sinne des 4 AsylG-DV 2005 hinauswollte. Von einem entsprechenden Antrag hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Beurteilung also auszugehen.

Damit wird jene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einschlägig, in der er bei Vorliegen eines Heilungsantrags „in erster Linie und vorrangig die […] Voraussetzungen nach der Z 2 des § 4 Abs. 1 AsylG-DV 2005 zum Tragen kommen“ lässt (vgl. VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314 mwN). Die Heilung der mangelnden Dokumentenvorlage ist also „zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK“ zuzulassen.

Dies ist vorliegend geboten: Der Beschwerdeführer lebt seit 20 Jahren durchgehend im Bundesgebiet, was sein während dieser Zeit entfaltetes Privatleben nach der ständigen Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte besonders schützenswert macht. Zwar verkennt das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass die erste Hälfte des Aufenthalts von strafrechtlicher Delinquenz des Beschwerdeführers gekennzeichnet war und er insgesamt zehn Mal strafgerichtlich verurteilt wurde; dennoch muss berücksichtigt werden, dass sich der Beschwerdeführer seit nunmehr über zehn Jahren wohl verhält. Auch wenn der Beurteilung des Landesverwaltungsgerichts XXXX im Erkenntnis vom XXXX , wonach der Beschwerdeführer seine Identität bewusst verschleierte und die öffentlichen Interessen an seiner Außerlandesbringung sehr hoch zu gewichten sind, nicht entgegenzutreten ist, kann nicht außer Acht gelassen werden, dass die letzte aufenthaltsbeendende Maßnahme mit der asylrechtlichen Ausweisung vor nunmehr 14 Jahren gesetzt wurde und es den Fremdenpolizeibehörden nicht gelang, diese Ausweisung zu effektuieren.

Insgesamt rechtfertigt die äußerst lange Aufenthaltsdauer in Verbindung mit dem langjährigen Wohlverhalten und dem Umstand, dass der Beschwerdeführer mit seinem Antrag auch den Abschluss eines Deutschkurses auf dem Niveau A2 nachwies sowie einen Arbeitsvorvertrag für eine Tätigkeit als XXXX vorlegte, jedenfalls eine Heilung des Mangels der fehlenden Dokumente nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005. Bei diesem Ergebnis muss auf die Frage, inwieweit dem Beschwerdeführer die Beschaffung der erforderlichen Dokumente tatsächlich nicht möglich war, nicht weiter eingegangen werden.

Der Zurückweisungstatbestand des § 58 Abs. 11 AsylG 2005 kommt gegenständlich daher ebenfalls nicht zum Tragen.

4. Der die Zurückweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 aussprechende Bescheid ist daher aufzuheben. Die Behörde wird in weiterer Folge den Antrag inhaltlich zu beurteilen und dabei sämtliche für die Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK maßgeblichen Aspekte – nach Durchführung eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens, in dem die Einvernahme des Beschwerdeführers unumgänglich sein wird – zu ihrem Entscheidungszeitpunkt zu berücksichtigen haben.“

6.7. Einer Ladung zu einer in der Folge beim BFA anberaumten Einvernahme am 17.03.2021 kam der BF nicht nach.

6.8. Am 25.03.2021 verständigte das BFA den BF über seine Rechtsvertretung vom Ergebnis der Beweisaufnahme und ersuchte um Beantwortung genannter Fragen sowie um Vorlage von Belegen.

6.9. Die Rechtsvertretung des BF legte am 13.04.2021 ein Schreiben der XXXX sowie die Beantwortung der Fragen des BFA durch den BF vor.

6.10. Mit in Beschwerde gezogenem Bescheid vom XXXX wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikels 8 EMRK vom 29.01.2019 gemäß § 55 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.). Des Weiteren wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.) und wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG gegen den BF ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.).

Begründend wurde nach Anführung des Verfahrensgangs insbesondere ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass es sich bei dem BF um einen Staatsangehörigen der Russischen Föderation handle. Er sei gesund und arbeitsfähig. Der Aufenthalt des BF sei seit rechtskräftiger Abweisung des Asylbegehrens unrechtmäßig. Während jenen unrechtmäßigen Aufenthalts sei er durch die begangenen Straftaten sowie der zahlreich begangenen Verwaltungsübertretungen massiv negativ in Erscheinung getreten. Durch Verschleierung der wahren Identität habe der BF die weiteren fremdenrechtlichen Maßnahmen be- bzw. verhindert. Der BF sei ledig und ohne Sorgepflichten. Im Bundesgebiet verfüge er weder über familiäre noch berufliche Bindungen und sei er weder kranken- noch sozialversichert. Laut seinen Angaben verfüge er über zahlreiche Bekannte. Nun sei er aufrecht gemeldet und weise auch in den vorangegangenen Jahren immer eine aufrechte Meldung auf. Der BF habe kein Einkommen und habe den Lebensunterhalt in den ersten Jahren u.a. durch die von ihm begangenen strafbaren Handlungen bestritten. Von ca. 2007 bis 2016 habe er durch die öffentliche Hand sowie nun zuletzt durch Zuwendungen von seinen Bekannten den Lebensunterhalt bestritten. Während des Aufenthalts in Österreich sei er nie einer legalen Beschäftigung nachgegangen. Sonstige Bindungen seien lediglich durch eine vorgelegte Bestätigung aktenkundig. Betreffend die Lage im Herkunftsstaat werde u.a. darauf verwiesen, dass die aktenkundige Behandlung im Drogenersatzprogramm in der Russischen Föderation sowohl medikamentös, zwar nicht mit Methadon, sondern durch Alternativen, als auch therapeutisch behandelbar sei, zumal auch für Staatsangehörige der Russischen Föderation, auch für Rückkehrer, eine Pflichtversicherung bestehe. Zu den Gründen für die Erlassung des Einreiseverbotes wurde insbesondere festgestellt, der BF sei trotz mehrfacher Aufforderung seiner Ausreiseverpflichtung bis dato nicht nachgekommen und habe er über Jahre hinweg durch Verschleierung seiner wahren Identität die Außerlandesbringung mutwillig und rechtswidrig verhindert. Zudem stehe fest, dass er seine Mittel zum Unterhalt nicht nachweisen könne. Der BF sei in den ersten Jahren seines Aufenthalts im Bundesgebiet massiv straffällig geworden und werde auf die im Strafregister ersichtlichen Verurteilungen verwiesen, auch wenn die letzte Verurteilung bereits Jahre zurückliege. Aufgrund der Verurteilung sei bereits im Jahr 2001 gegen den BF ein Aufenthaltsverbot erlassen worden, welches bereits abgelaufen sei. Die am XXXX erlassene Ausweisung sei nach wie vor aufrecht und gelt nunmehr als Rückkehrentscheidung. Ferner wurde ausgeführt, der BF habe den überwiegenden Teil des Lebens in seinem Herkunftsstaat verbracht, sei dort sozialisiert worden und spreche die Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. Er sei erst im Alter von 27 Jahren nach Österreich eingereist. Da er volljährig und arbeitsfähig sei, werde davon ausgegangen, dass er vor der Ausreise aus dem Herkunftsstaat nicht in völliger sozialer Isolation gelebt habe und sei anzunehmen, dass er ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, selbstständig für das Überlebensnotwendige sorgen könne. Vielmehr habe der BF auch angegeben, in der Russischen Föderation mit der Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Sohn gelebt zu haben. Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen ausgeführt, es ergebe sich zweifelsfrei aus dem Akteninhalt, dass der BF durch Verschleiern seiner wahren Identität über Jahren hinweg, eine Abschiebung in das Heimatland verhindert habe. Die Durchsetzung fremdenrechtlicher Maßnahmen, insbesondere die Erlangung eines Heimreisezertifikates, sei ausschließlich aufgrund des Nichtpreisgebens von wichtigen Daten an die Vertretungsbehörden seitens des BF gescheitert. Dass er nicht in der Lage sei, die Mittel für den Unterhalt nachzuweisen, folge nunmehr aus den Ausführungen, dass er den Lebensunterhalt durch Zuwendungen von guten Freunden bestreite. Sein jahrelanges Missachten der Ausreiseverpflichtung, die zahlreichen, wenn auch schon zahlreich getilgten, Bestrafungen wegen Verwaltungsübertretungen sowie die strafgerichtlichen, ungetilgten Verurteilungen zeigen, dass dem BF an der Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung nichts gelegen sei und er nicht bereit sei, sich jener unterzuordnen. Rechtlich folge für die Interessenabwägung, dass ein Eingriff in familiäre Bindungen in Österreich im Fall des BF nicht in Betracht käme. Zwar ergebe sich aufgrund des mittlerweile 20-jährigen Aufenthalts des BF sowie der entstandenen Bindungen ein nicht unwesentlicher Eingriff durch die Behörde, doch würden diese Bindungen relativiert. Jene Bindungen seien zu einem Zeitpunkt entstanden, zu dem sich der BF des unsicheren Aufenthalts bewusst gewesen sei und habe der BF bewusst, trotz Aufforderung, nur zögerlich bzw. gar keine Angaben zur Person gemacht und so die Ausstellung eines Heimreisezertifikates verhindert. Der BF halte sich seit rechtskräftiger Abweisung seines Asylantrages nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Im gegenständlichen Verfahren habe der BF, abgesehen von einer namentlich genannten Bekannten, nur allgemein zahlreiche Freunde angeführt, ohne nähere Daten zu nennen. Sonstige soziale Bindungen seien nicht hervorgekommen. Der BF gebe nicht näheres von seiner Person preis. Vielmehr gehe es nicht an, dass der BF durch seinen illegalen Verbleib im Bundesgebiet seinen Aufenthalt erzwingen könne. Im Einzelnen ergebe sich für die Abwägung insbesondere, dass der BF seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sei und nicht aktenkundig sei, dass er sich selbstständig mit den Vertretungsbehörden in Kontakt gesetzt hätte, um ein Reisedokument zu erlangen. Sein illegaler Aufenthalt sei mittlerweile 20 Jahre. Zwar betrage die Aufenthaltsdauer mehr als 10 Jahre, doch sei auf das im Bundesgebiet dokumentierte Verhalten (zehn rechtskräftige Verurteilungen, Verwaltungsübertretungen, beharrliche Verbleiben im Bundesgebiet, Verschleiern der wahren Identität, Unterdrückung der im Besitz befindlichen Dokumente, wie Reisepass und Führerschein) hinzuweisen, was eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit manifestiere und die negative Einstellung des BF zur Rechtsordnung dokumentiere. Eine besondere Integration sei nicht zu erblicken. Eine positive Zukunftsprognose könne nicht abgegeben werden. Der BF habe absolut kein Unrechtsbewusstsein. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass der BF seinen Lebensunterhalt durch Zuwendungen von nicht näher angeführten Freunden bestreite und bis 2016 von der öffentlichen Hand gelebt habe. Auch habe er einen Teil seines Lebens (27 Jahre) nicht in Österreich verbracht. Die geltend gemachten integrationsbegründenden Umstände würden daher nicht hinreichen, dem BF unter dem Gesichtspunkt des Artikels 8 EMRK ein Privatleben in Österreich zu ermöglichen und würden die öffentlichen Interessen überwiegen. Dem BF sei es auch möglich, mit Freunden und Bekannten mittels den gängigen Telekommunikationsmitteln in Kontakt zu bleiben. Eine Erteilung des Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 komme daher nicht in Betracht. Aufgrund dessen sei auch eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Eine Abschiebung in die Russische Föderation sei zulässig, zumal Gegenteiliges nicht geltend gemacht worden sei und sich der Aktenlage nicht entnehmen lasse. Das erlassene Einreiseverbot folge aus dem jahrelangen straf- sowie verwaltungsstrafrechtlichen Fehlverhalten des BF, dem beharrlichen Verbleiben im Bundesgebiet und aufgrund dessen, dass er nicht nachweisen könne oder wolle, wie er tatsächlich seinen Lebensunterhalt im Bundesgebiet bestreite. Es sei daher eine negative Zukunftsprognose betreffend den BF abzugeben. Unter Berücksichtigung aller Umstände erweise sich die Verhängung des Einreiseverbots in der Dauer von fünf Jahren als angemessen, erforderlich und verhältnismäßig.

6.11. Dagegen richtet sich gegenständliche Beschwerde und Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

Begründend wurde im Wesentlichen auf den seit Februar 2001 durchgehenden Aufenthalt des BF im Bundesgebiet verwiesen. Der BF sei mittlerweile geläutert und habe sich mit dem Unwert seiner strafbaren Handlungen auseinandergesetzt. Es sei von einer positiven Zukunftsprognose den BF betreffend auszugehen. Der BF sei staatenlos und habe keinerlei Möglichkeit ein nationales Reisedokument in Anspruch zu nehmen. Die in Russland ausgestellten Dokumente seien über Zahlungen auf dem sogenannten „illegalen Wege“ erfolgt. Auch habe er glaubhaft dargelegt, mehrmals mit der russischen Vertretungsbehörde in Kontakt getreten zu sein und sei ihm kein Reisedokument ausgehändigt worden. Es sei ihm nicht möglich, das Bundesgebiet zu verlassen und sei sein weiterer Aufenthalt ihm nicht zum Nachteil zu gereichen. Auch sei darauf hinzuweisen, dass der BF im Alter von 14 Jahren nach Sibirien geflüchtet sei, wo er zwei Jahre lang gelebt habe und schlussendlich danach nach XXXX gekommen sei. Die Mutter sei armenische Staatsbürgerin gewesen, der Vater Tschetschene sowie der Großvater türkischer Staatsbürger. Der BF selbst sei in einem Waisenhaus aufgewachsen. Hingewiesen werde zudem auf die Möglichkeit einer geregelten Beschäftigung und dass der Aufenthalt finanziell abgesichert sei. Im Übrigen sei er ordnungsgemäß gemeldet und wohnhaft. Der BF gelte als sozial integriert. Nicht nachvollziehbar sei zudem, nach mehr als 20 Jahren ein Einreiseverbot zu verhängen; jenes hätte keinesfalls erlassen werden dürfen.

6.12. Am 31.05.2021 legte das BFA die Beschwerdevorlage samt Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht vor.

6.13. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.06.2021 eine öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Russisch durch, an welcher der BF sowie seine Rechtsvertretung teilnahmen. Ein Vertreter des BFA ist entschuldigt nicht erschienen.

Dem BF bzw. der Rechtsvertretung wurde aufgetragen, folgende Dokumente innerhalb von 14 Tagen dem Gericht vorzulegen:

–        Schriftstücke betreffend die Identität

–        Belege zu den geleisteten Ratenzahlungen

–        aktueller Arbeitsvorvertrag

–        aktueller Mietvertrag, Nachweis wie dieser bezahlt wird

6.14. Der BF legte am 14.07.2021 durch seine Rechtsvertretung Unterlagen betreffend die Ratenzahlungen (Bescheid Teilzahlung LPD XXXX vom XXXX sowie vom XXXX Zahlungsvereinbarung – Gerichtsvollzieher XXXX vom XXXX , Zahlungsanweisungen, Auftragsbestätigungen) sowie eine Bestätigung der Hausverwaltung betreffend die Wohnung des BF (Bestätigung zur Vorlage beim XXXX vom XXXX ) vor. Hinsichtlich der Vorlage der Einstellungszusage wurde um Verlängerung der Frist um weitere zwei Wochen ersucht. Des Weiteren wurde betreffend eine Vorlage von Schriftstücken betreffend die Identität des BF vorgebracht, dass der BF versucht habe, Kontakt mit XXXX herzustellen. Der BF habe hierbei in Erfahrung bringen können, dass jene im Jahr 2015 gestorben sei. Der Versuch den Sohn ausfindig zu machen, sei erfolglos geblieben.

6.15. Am 26.07.2021 wurde schließlich eine Einstellungszusage der „ XXXX “ vom XXXX vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF

1.1.1. Die Identität des BF steht derzeit nicht fest. Nach seinen Angaben ist er in XXXX , Tschetschenien geboren. Der BF ist volljährig und arbeitsfähig. Er leidet an keiner physischen oder psychischen (schweren oder lebensbedrohlichen) Erkrankung. Aufgrund seiner Angaben zu seiner Person ist der BF zum Entscheidungszeitpunkt über 47 Jahre alt. Der BF ist in einem Substitutionsprogramm und nimmt täglich Substitol zu sich.

Der BF spricht Russisch und nach seinen Angaben ein wenig Armenisch, Georgisch und Ukrainisch. Nach seinen Angaben ist seine Muttersprache Russisch.

Der BF reiste am 01.02.2001 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte seinen ersten Asylantrag. Er gab an, tschetschenischer bzw. russischer Staatsangehöriger zu sein.

Nunmehr gibt er an, staatenlos zu sein.

Der BF hat ferner angegeben, dass sein Vater Tschetschene sei, seine Mutter sei Armenierin. Sein Großvater sei Türke gewesen.

Ferner hat der BF angegeben, einen in Kasachstan befindlichen Bruder zu haben. In Russland habe er mit seiner Freundin einen Sohn gehabt. Ob er weitere Verwandte bzw. Angehörige hat, kann nicht festgestellt werden.

Nach seinen Angaben sind seine Eltern bereits verstorben. Seine ehemalige Freundin ist laut seinem Vorbringen im Jahr 2015 gestorben.

Es kann nicht festgestellt werden, dass sich aktuell außerhalb des Bundesgebietes, etwa in Russland, Armenien oder Kasachstan, Verwandte oder Angehörige des BF befinden und er mit diesen aktuell in Kontakt steht.

Die nähere Herkunft des BF kann nicht festgestellt werden. Bevor er in das Bundesgebiet eingereist ist, hat er – seinen Angaben zufolge – zuletzt in XXXX gelebt.

Festgestellt wird, dass der BF nicht im Bundesgebiet sozialisiert wurde.

Er hat im Laufe der Verfahren angegeben, dass er in Russland eine allgemein bildende Schule besucht hat und u.a. als XXXX gearbeitet habe. Jenen Beruf hat er nach seinen Angaben auch erlernt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF russischer oder armenischer Staatsangehöriger ist. Die Staatsangehörigkeit des BF ist ungeklärt.

1.1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX wurde der Asylantrag des BF abgewiesen und seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Russland als zulässig erklärt. Das dagegen erhobene Rechtsmittel wurde mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom XXXX abgewiesen.

Am XXXX wurde gegen den BF ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Am 31.12.2006 stellte der BF einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid vom XXXX wurde der Antrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Russland ausgewiesen.

Im Dezember 2015 wandte sich der BF an das BFA mit dem Ersuchen, sein Aufenthaltsverbot in Österreich zu beheben. Mit Bescheid des BFA vom XXXX wurde gemäß § 68 Abs. 2 AVG der Bescheid vom XXXX , über welchen gegen den BF ein unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt wurde, aufgrund der Änderung des FPG 2005, auf die Dauer von 10 Jahren abgeändert.

Am 08.11.2019 stellte der BF einen Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete. Mit Bescheid vom XXXX wurde der Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete vom 08.11.2019 gemäß § 46a Abs. 4 iVm. 1 Z 3 FPG abgewiesen.

Am 29.01.2019 stellte der BF beim BFA gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikels 8 EMRK.

Mit Bescheid vom XXXX wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 vom 29.01.2019 gemäß § 58 Abs. 10 iVm. Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 iVm. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG-DV 2005 zurückgewiesen.

Dagegen erhob der BF durch seine Rechtsvertretung das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Mit dem mündlich verkündeten und in Rechtskraft erwachsenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.01.2021 wurde der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm. § 58 Abs. 10 und 11 AsylG 2005 iVm. § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 stattgegeben und der angefochtene (zurückweisende) Bescheid des BFA behoben.

Mit in Beschwerde gezogenem Bescheid vom XXXX wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikels 8 EMRK vom 29.01.2019 gemäß § 55 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.). Des Weiteren wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.) und wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG gegen den BF ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.).

Dagegen richtet sich gegenständliche Beschwerde.

Die letzte den BF treffende rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme stammt vom XXXX 2007, als der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und er aus dem Bundesgebiet nach Russland ausgewiesen wurde.

Der BF ist seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen.

1.1.3. Es wurden mehrere Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats geführt, namentlich mit der Russischen Föderation (seit 2001) sowie Armenien (seit 2016), die alle ergebnislos verliefen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF durch Verschleierung seiner Identität die Außerlandesbringung mutwillig behindert hat.

1.2. Zur Situation des BF in Österreich

1.2.1. Der BF reiste am 01.02.2001 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und wurde am nämlichen Tag von Organen der Grenzüberwachung aufgegriffen. Der BF befand sich erstmals im Februar sowie März 2001 zur Sicherung der Zurückschiebung in Schubhaft. In der Folge wurde über ihn zweimal Schubhaft, nämlich Ende 2001 sowie Ende 2006, u.a. zur Sicherung der Abschiebung angeordnet, aus welche er jedoch mangels Erlangbarkeit eines Heimreisezertifikats entlassen wurde.

1.2.2. Der BF trat kurz nach seiner Einreise strafrechtlich in Erscheinung und weist insgesamt 10 strafgerichtliche Verurteilungen auf. Er war zwischen 2001 und 2010 wiederholt straffällig, beging hauptsächlich Vermögensdelikte (insbesondere Diebstähle; vornehmlich in Form von Ladendiebstählen und einmal in Form eines versuchten räuberischen Diebstahls), erfüllte regelmäßig die damalige Qualifikation der Gewerbsmäßigkeit und war auch in der Vergangenheit rückfällig im Sinne des § 39 StGB. Daneben wurde er im Jahr 2001 einmal wegen gefährlicher Drohung, im Jahr 2003 einmal wegen falscher Beweisaussage verurteilt.

Der BF trat zuletzt im Juni 2010 (gerichtlich) strafrechtlich in Erscheinung und wurde deswegen wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt. Bei der Strafbemessung wurde das reumütige Geständnis, seine Aussage hat wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen, mildernd gewertet. Als erschwerend wurden die einschlägigen gerichtlichen Vorverurteilungen beurteilt.

Der BF hat seine gerichtlichen Freiheitsstrafen vollzogen. Die Tilgung wird voraussichtlich mit XXXX 10.2028 eintreten.

Festgestellt wird, dass sich der BF in gerichtlich-strafrechtliche Hinsicht seit rund 11 Jahren wohlverhalten hat.

Im Zeitraum 2011 bis 2015 befand sich der BF fallweise, jedoch nur für kurze Zeiträume, in Polizeianhaltezentren, um Verwaltungs(ersatz)freiheitsstrafen zu verbüßen.

Aktuell liegen hinsichtlich des Beschwerdeführers bei der zuständigen LPD folgende ungetilgte verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen vor: zwei Übertretungen wegen § 120 Abs. 1a FPG; – unrechtmäßiger Aufenthalt; sowie eine Übertretung nach § 121 Abs. 3 Z 3 lit. a FPG). Es wurde eine Geldstrafe in Höhe von EUR 5.000,00 sowie EUR 2.500,00 verhängt. Die in der Vergangenheit mehrfach verhängten Verwaltungsstrafen sind mittlerweile getilgt.

Jene Geldstrafen bezahlt der BF in Form einer bescheidmäßig eingeräumten Ratenzahlung seitens der LPD.

Ebenso besteht eine Zahlungsvereinbarung hinsichtlich Parkgebühren in Höhe von gesamt EUR 2 XXXX , XXXX ( XXXX ), welche vom BF bedient wird.

Der BF steht zu seinen Taten und bereut sein Verhalten am Anfang seines Aufenthalts im Bundesgebiet. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt seitdem mit legalen Mitteln.

1.2.3. In der Vergangenheit verfügte er von März 2002 bis Februar 2003, Oktober 2003 bis Juni 2011 über eine durchgehende Meldung im Bundesgebiet.

Der BF ist seit 02.07.2012 bis dato (mit einer kurzen Unterbrechung im April bzw. Mai 2019) durchgehend im Bundesgebiet gemeldet. Während jener kurzen Unterbrechung war der BF obdachlos gemeldet.

Bis Ende 2017 bezog der BF Leistungen aus der Grundversorgung. Der BF ist bis dato über die Grundversorgung in Österreich krankenversichert.

Der BF hält sich nunmehr seit über 20 Jahren im Bundesgebiet auf. Nach Ende der asylrechtlichen Aufenthaltsberechtigung während des ersten Asylverfahrens ist der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet bis dato unrechtmäßig.

Der BF verfügt über ein ÖSD-Diplom A2 Grundstufe Deutsch 2 vom XXXX 12.2013. Es ist mit dem BF grundsätzlich möglich, ein fließendes Gespräch in deutscher Sprache zu führen.

Der BF gibt an, die B1-Deutsch-Prüfung absolvieren zu wollen und lernt er über österreichische Geschichte.

Der BF bewohnt ein separates möbliertes Zimmer mit Kochgelegenheit, Zentralheizung und Etagendusche/WC. Ein Mietvertrag liegt vor. Die monatliche Miete beträgt im Sommer EUR 2 XXXX ,00, im Winter (Oktober bis einschließlich April) inkl. Zentralheizung EUR 2 XXXX ,00 .

Der BF finanziert seinen Lebensunterhalt durch Zuwendungen von Privatpersonen sowie Organisationen. Eigene Einkünfte hat er derzeit nicht. Im Bundesgebiet hat er noch nie eine legale Beschäftigung ausgeübt bzw. war hierzu nie berechtigt.

Es liegt eine aktuelle Einstellungszusage für einen Arbeitsplatz in der Gastronomie vor. Es ist im Falle der Erteilung eines Aufenthaltstitels davon auszugehen, dass der BF beruflich tätig wird und auch selbsterhaltungsfähig sein wird.

Der BF verfügt über Freunde und Bekannte in Österreich. Er hilft beispielsweise seit vielen Jahren einer älteren Dame in ihrem Alltag (etwa durch Einkaufen, mit dem Hund spazieren und Gespräche) und steht auch in Kontakt mit ihrer Familie (Tochter).

Verwandte oder nahe Angehörige hat der BF in Österreich nicht. Es bestehen keine Abhängigkeitsverhältnisse.

2. Beweiswürdigung:

Der angeführte Verfahrensgang gründet sich auf den vorliegenden Verwaltungs- sowie Gerichtsakten.

2.1. Zur Person des BF

2.1.1. Die Identität des BF konnte mangels vorliegender identitätsbezeugender Dokumente nicht festgestellt werden. Auch konnte der BF bis dato seitens der um Mitwirkung ersuchten Vertretungsbehörden bzw. Behörden nicht identifiziert werden.

Dass er in XXXX geboren ist, hat er vor den Behörden stets angegeben. Seine Volljährigkeit ergibt sich aus den von ihn angegebenen Geburtsdatum und besteht kein Zweifel, dass der BF volljährig ist. Seine Arbeitsfähigkeit folgt insbesondere aus seinen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht (Verhandlungsprotokoll vom 22.01.2021 S. 5; Verhandlungsprotokoll vom 30.06.2021 S. 11). Dass der BF an keiner physischen oder psychischen (schweren oder lebensbedrohlichen) Erkrankung leidet, folgt ebenfalls aus seinen Angaben. Dass er in einem Substitutionsprogramm ist und täglich Substitol zu sich nimmt, ergibt sich aus seiner im Verwaltungsakt erliegenden Stellungnahme (Bd. 3 AS 907) sowie aus dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem.

Die Feststellungen zu seinen angegebenen Sprachkenntnissen wurden aufgrund der insoweit gleichlautenden Angaben des BF getroffen (Verhandlungsprotokoll vom 30.06.2021 S. 2 f).

Dass er am 01.02.2001 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist ist und seinen ersten Asylantrag gestellt hat, ergibt sich unstrittig aus den vorliegenden Verwaltungsakten. Ebenso konnten die Feststellungen zu seinen erstmaligen Angaben hinsichtlich seiner Staatsangehörigkeit vor den österreichischen Behörden getroffen werden.

Dass er nunmehr angibt, staatenlos zu sein, ergibt sich ebenfalls aus den diesbezüglichen Angaben des BF.

Dass sein Vater Tschetschene sei, seine Mutter Armenierin, hat der BF von Anfang an gegenüber den österreichischen Behörden angegeben. Dass der Großvater Türke sei, hat er erst in der Einvernahme vor dem LVwG XXXX am XXXX 2018 sowie im gegenständlichen Verfahren angegeben. Die Angaben zu seinem Bruder hat der BF durchgehend getätigt (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 30.06.2021 S. 5). Dass er in Russland eine Lebensgefährtin bzw. einen Sohn habe bzw. gehabt habe, hat der BF erst in seinem zweiten Verfahren auf internationalen Schutz, danach durchgehend angegeben. Die Existenz weiterer Verwandter bzw. Angehöriger kann nicht festgestellt werden, zumal der BF auch zuletzt befragt angegeben hat, wahrscheinlich schon Onkel und Tanten zu haben, aber es nicht zu wissen (Verhandlungsprotokoll vom 30.06.2021 S. 5 f). In einem – offensichtlich vom BF selbst ausgefüllten Erhebungsblatt einer Justizanstalt aus dem Jahr 2010 findet sich zwar die Angabe, dass er zwei Kinder hätte (Bd. 2. AS 917). Am 30.03.2016 hat er auch vor dem BFA ausgeführt, zwei Kinder zu haben, welche mit seiner Ex-Lebensgefährtin in Russland leben würden. Er wisse jedoch nicht wo. Berichtigend führte er aber bei jener Einvernahme aus, dass nur ein Sohn von ihm sei. In weiterer Folge erwähnte er nur mehr seinen Sohn (Verhandlungsprotokoll vom 30.06.2021, S. 6; Verhandlungsprotokoll vom 22.01.2021, S. 5). Mangels näherer und aktueller Angaben können keine darüberhinausgehenden Feststellungen getroffen werden. Dies gilt auch für die im zweiten Verfahren auf internationalen Schutz angegebene Schwester, von jener nichts bekannt sei. Diesbezüglich aktuelle und nähere Angaben liegen nicht vor und wurde eine solche Schwester nicht mehr vom BF erwähnt.

Dass seine Eltern nunmehr verstorben seien, gibt er seit der Einvernahme am 30.03.2016 an (vgl. zuletzt Verhandlungsprotokoll vom 30.06.2021, S. 5) und kann auch dem ausgehend vom Alter des BF, mangels gegenteiliger Anhaltspunkte, nicht entgegengetreten werden.

Nicht festgestellt werden konnte, ob sich tatsächlich aktuell außerhalb des Bundesgebietes, etwa in Russland, Armenien oder Kasachstan, Verwandte oder Angehörige des BF befinden und er mit diesen aktuell in Kontakt steht. Diesbezüglich stehen gegenständlich nur die entsprechenden, aktuellen Aussagen des BF sowie sein Vorbringen vom 14.07.2021 zur Verfügung (Verhandlungsprotokoll vom 30.06.2021, insbesondere S. 5, S. 7) und kann dem auch angesichts seiner Abwesenheit von mehr als 20 Jahren von seiner Heimat, nicht entgegengetreten werden, sodass gegenständliche Negativfeststellungen zu treffen waren.

Die nähere Herkunft des BF konnte nicht festgestellt werden, zumal er diesbezüglich unterschiedliche Angaben getätigt hat. So hat er im ersten Asylverfahren am 16.02.2001 vor dem damaligen Bundesasylamt angegeben, bis zum 7. Lebensjahr in XXXX gelebt zu haben, danach in Armenien gewesen zu sein, danach hätten sich die Eltern scheiden lassen und sei er mit seiner Mutter nach Russland gezogen. Er sei in der Ukraine, in Weißrussland aufhältig gewesen. Bevor er in Moskau aufhältig gewesen sei, sei er in XXXX und XXXX gewesen (Asylakt AS 31). Ab dem Jahr 2006 hat der erstmals erwähnt, in einem russischen Waisenhaus aufgewachsen zu sein (Bd. 1 AS 547) und gibt er nun an, ab dem achten Lebensjahr ins Kinderheim gegeben worden zu sein (Verhandlungsprotokoll vom 30.06.2021, S. 3). Im Jahr 2016 hat er vor dem BFA angegeben, in Tschetschenien geboren zu sein und mit 3 Jahren mit der Mutter nach XXXX übersiedelt zu sein (Bd. 3 AS 81). Aktuell gibt er an, gleich nach der Geburt von Tschetschenien nach XXXX gebracht worden zu sein (Verhandlungsprotokoll vom 30.06.2021, S. 5). Aufgrund der diesbezüglich widersprüchlichen Angaben können keine Feststellungen zur näheren Herkunft des BF getroffen werden. Bevor er in das Bundesgebiet eingereist ist, hat er– seinen Angaben zufolge – zuletzt in XXXX gelebt, diesbezüglich hat er, abgesehen von den, aktuell nicht mehr aufrecht erhaltenen Angaben zu seinem angegebenen Aufenthalt in Moskau von September 1999 bis Ende Jänner 2001 (vgl. Asylakt AS 31 ff)., im Wesentlichen gleichlautende Angaben gemacht (Verhandlungsprotokoll vom 30.06.2021, S. 3).

Da der BF erst im Februar 2001 in Österreich in Erscheinung getreten ist, ist festzustellen, dass er nicht im Bundesgebiet sozialisiert wurde.

Die Feststellungen zu seiner angegebener Schul- bzw. Berufsausbildung sowie beruflicher Erfahrung außerhalb des Bundesgebiets wurden aufgrund seiner diesbezüglichen Angaben im Laufe der Verfahren getroffen.

Mangels identitätsbezeugender Dokumente, aus denen die Staatsangehörigkeit des BF hervorgeht, und mangels Identifizierung durch die russischen sowie armenischen Behörden, kann eine Staatsangehörigkeit des BF derzeit nicht festgestellt werden.

2.1.2. Die Feststellungen zu den asyl- sowie fremdenrechtlichen Verfahren ergeben sich unstrittig aus den vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakten.

Dass der BF seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen ist, ergibt sich ebenso unstrittig aus vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakten.

2.1.3. Ebenso können die Feststellungen zu den in den Verwaltungsakten ersichtlichen ergebnislos geführten Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats mit der Russischen Föderation sowie Armenien getroffen werden.

Eine Feststellung, dass der BF durch Verschleierung seiner Identität die Außerlandesbringung mutwillig behindert hat, kann aus folgenden Gründen nicht getroffen werden:

Der BF hat im Zuge der behördlichen Verfahren in einem Zeitraum von über 20 Jahren hinsichtlich seiner fremden- sowie asylrechtlichen Verfahren durchwegs gleichlautende Angaben zu seinem Namen sowie Geburtsdaten gemacht. Dies gilt auch für die grundlegenden Angaben zu seinen Eltern und deren Staatsangehörigkeit. Es ist aus den Akten etwa nicht ersichtlich, dass er mit einer Aliasidentität aufgetreten ist. Der BF wurde sowohl von den russischen als auch armenischen Behörden interviewt und konnte er nicht als Staatsangehöriger identifiziert werden.

Es wird von der erkennenden Richterin nicht verkannt, dass Angaben des BF, insbesondere hinsichtlich seiner näheren Herkunft, teilweise widersprüchlich erscheinen, der BF zwei unbegründete Asylanträge gestellt hat sowie, aus dem Verfahrensgang ersichtlich, zu näheren persönliche Umstände erst nach und nach Angaben tätigte. Der BF war jedoch grundsätzlich für die Behörden stets greifbar und wandte sich auch im Dezember 2015 von sich aus an das BFA. Dass der BF etwa zur anberaumten Einvernahme beim BFA am 17.03.2021 unentschuldigt nicht erschienen ist, vermag zwar indizieren, dass jener nicht immer vollständig an seinen Verfahren mitgewirkt hat, ändert aber nichts daran, dass eine grundsätzliche Mitwirkung des BF an den Verfahren stets gegeben war, zumal er auch in der Folge den Vorhalt des BFA beantwortete. Kleinere Ungereimtheiten, wie etwa die Angaben des BF vor dem LVwG XXXX am XXXX , über „Slowenien“ anstatt über die „Slowakei“ nach Österreich gekommen zu sein, sind nach Ansicht der erkennenden Richterin in Anbetracht der verstrichenen Zeit seit der Einreise im Jahr 2001 isoliert vorliegend nicht als derart erheblich zu werten.

Eine bewusste Verschleierung der Identität des BF kann aufgrund gegenständlicher Aktenlage nicht objektiviert festgestellt werden. So hat der BF etwa durchgehend angegeben, nie einen Reisepass zu besitzen; in der Verhandlung vor dem LVwG XXXX am XXXX hat er zwar angegeben, die Reisepässe und Dokumente weggeschmissen zu haben, j

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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