TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/22 G303 2235380-1

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Veröffentlicht am 22.10.2021
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Entscheidungsdatum

22.10.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


G303 2235380-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Vorsitzende sowie die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS und den fachkundigen Laienrichter Herbert WINTERLEITNER als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich, vom 27.07.2020, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, nach Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung vom 03.09.2020 und Vorlageantrag vom 21.09.2020, zu Recht erkannt:

A)

I.       Der Beschwerde wird stattgegeben und die Beschwerdevorentscheidung vom 03.09.2020 ersatzlos behoben.

II.      Der Grad der Behinderung beträgt 60 (sechzig) v.H. (von Hundert). Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses liegen vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) brachte am 13.11.2019 über die Zentrale Poststelle beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark, (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (Parkausweis) ein. Dem Antrag war ein Konvolut an medizinischen Beweismitteln, ein Pflegegeldgutachten der Pensionsversicherungsanstalt sowie eine Bescheinigung des Daueraufenthalts für EWR-Bürger angeschlossen.

Der Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises gilt entsprechend dem Antragsformular der belangten Behörde auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass.

2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt.

2.1. Im eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Fachärztin für Innere Medizin und Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 27.04.2020, wurde basierend auf einer persönlichen Untersuchung der BF am 11.02.2020, festgestellt, dass der Gesamtgrad der Behinderung 40 v.H. betrage.

3. Aufgrund eines nachgereichten Befundes wurde die medizinische Sachverständige Dr. XXXX ersucht ein weiteres Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage zu erstatten. Im Rahmen dieses Sachverständigengutachtens vom 21.06.2020 wurde jedoch eine Änderung des Gesamtbehinderungsgrades nicht festgestellt.

4. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 22.06.2020 wurde der BF zum Ergebnis der Beweisaufnahme ein schriftliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG gewährt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung eine schriftliche Stellungnahme einzubringen.

4.1. Eine Stellungnahme langte nach der vorliegenden Aktenlage nicht ein.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 27.07.2020 wurde der Grad der Behinderung der BF mit 40 % festgesetzt und festgestellt, dass die BF die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle, weswegen ihr Antrag vom 13.11.2019 abgewiesen wurde. Gestützt wurde die Entscheidung der belangten Behörde auf das eingeholte, oben angeführte, ärztliche Sachverständigengutachten. Danach betrage der Grad der Behinderung 40%. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens wurden dem angefochtenen Bescheid als Beilage angeschlossen. In der rechtlichen Begründung wurden die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes angeführt.

6. Mit handschriftlich verfasstem Schreiben vom 14.08.2020, bei der belangten Behörde eingelangt am 19.08.2020, erhob die BF fristgerecht Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid. Darin brachte die BF unter Vorlage weiterer medizinischer Beweismittel vor, dass sie „drei gebrochene Beckenknochen, sieben Schrauben im Becken, Hüfte und im linken Bein habe, im rechten Bein an Neuropathie leide und im linken Arm sieben Schrauben habe, im Schädel seien 6 cm Knochen weg“.

7. Im Rahmen des Verfahrens zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung holte die belangte Behörde eine als „Sofortige Beantwortung“ bezeichnete medizinische Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes der belangten Behörde ein. In der medizinischen Stellungnahme vom 03.09.2020 wurde ausgeführt, dass auch aus den neu vorgelegten Befunden seit 04/2020 keine wesentlichen neuen Erkenntnisse ableitbar seien. Es bestehe ein chronisches Schmerzsyndrom ohne Ausschöpfung der medikamentösen und polymodalen therapeutischen Möglichkeiten. Aus den körperlichen Befunden sei keine hochgradige Gehbehinderung mit Erfordernis von zwei Stützkrücken ableitbar. Es seien bereits zwei ärztliche Gutachten im Jahr 2020 (einmal durch persönliche Untersuchung, einmal aktenmäßig) eingeholt worden. Die Gutachten seien schlüssig und nachvollziehbar, auch in Zusammenschau mit dem Vorgutachten aus dem Jahr 2018. Der wesentliche Entlassungsbrief des Landesklinikum XXXX im September 2019, wo eine Abklärung der chronischen Schmerzsymptomatik erfolgt sei, sei leider unvollständig. Somit bleibe die Einschätzung des Vorgutachtens in Zusammenschau der Befundlage unverändert aufrecht.

8. Mit Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde vom 03.09.2020 wurde die Beschwerde der BF abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt. Mit einem Grad der Behinderung von 40 % würden die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht vorliegen.

In der Begründung wurde auf die ärztliche Begutachtung durch den Ärztlichen Dienst der belangten Behörde verwiesen. Danach betrage der Grad der Behinderung 40%. Das Aktengutachten von Dr. XXXX sowie die als „Sofortige Beantwortung“ bezeichnete medizinische Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes wurden in Kopie der Beschwerdevorentscheidung beigelegt und sind zum Bestandteil der Begründung dieses Bescheides erklärt worden. In der rechtlichen Beurteilung wurden die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes angeführt.

9. Mit Schriftsatz vom 08.09.2020, bei der belangten Behörde eingelangt am 09.09.2020, erhob die BF durch ihre rechtsfreundliche Vertretung abermals Beschwerde (richtigerweise: Beschwerdeergänzung) gegen den oben angeführten Bescheid. Es wurde beantragt ein ergänzendes medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen, der Beschwerde stattzugeben und der BF einen Behindertenpass auszustellen.

Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass bei der Begutachtung die vorliegenden Beckenschäden sowie Funktionseinschränkungen der unteren Extremitäten nicht berücksichtigt worden seien, die seit dem Verkehrsunfall im Jahr 2017 bestehen würden. Die BF könne ohne Hilfe zweier Krücken keine Wegstrecken bewältigen. Die BF leide an Schmerzen auch beim Sitzen. Zudem würden Gleichgewichtsstörungen und Kreislaufprobleme auftreten. Bei der BF sei auch eine Arthrose im Bereich des linken Hüftgelenkes gegeben und es bestehe ein deutlicher Beckenschiefstand bei Beinlängendifferenz. Zudem bestehe bei der BF eine Polyneuropathie, welche im ärztlichen Entlassungsbrief des LK XXXX vom 05.10.2019 diagnostiziert wurde. Darüber hinaus leide die BF an Schäden der Wirbelsäule sowie an einer erworbenen arteriovenösen Fistel. Des Weiteren wurden weitere medizinische Beweismittel vorgelegt. In der Beschwerdeergänzung wurde auch ausgeführt, dass die BF – entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid – sehr wohl zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung genommen habe, indem diese zwei ärztliche Stellungnahmen in Vorlage brachte.

10. Mit Schriftsatz vom 21.09.2020 stellte die rechtsfreundliche Vertretung der BF fristgerecht einen Vorlageantrag. Darin wurden die Ausführungen, welche im Rahmen der Beschwerdeergänzung dargelegt wurden, wiederholt.

11. Die gegenständliche Beschwerde, der Vorlageantrag und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden von der belangten Behörde vorgelegt und sind am 24.09.2020 beim Bundesverwaltungsgericht eingegangen.

12. Mit Schriftsatz vom 09.11.2020 gab die rechtsfreundliche Vertretung der BF bekannt, dass das Vollmachtsverhältnis aufgelöst wurde.

13. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde seitens des erkennenden Gerichtes ein fachärztliches Sachverständigengutachten eingeholt.

13.1. Im medizinischen Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Facharzt für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie, vom 30.05.2021 wird, basierend auf der persönlichen Untersuchung der BF am 26.05.2021, im Wesentlichen folgendes festgehalten:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer bzw. des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Generalisierte Erkrankung des Bewegungsapparates mit Auswirkungen fortgeschrittenen Grades

Unterster Richtsatzwert. Berücksichtigt sind die Beschwerden betreffend das Achsenskelett, die stattgehabte Speichenfraktur mit operativer Behandlung links sowie die Hüftgelenksluxationsfraktur links, ebenso mit stattgehabter operativer Behandlung.

02.02.03

50

2

Leichtes Asthma bronchiale

Unterster Richtsatzwert; fachärztliche Diagnostik; siehe auch Vorgutachten

06.05.02

30

3

Zustand nach Gamma Knife Operation 2016 bei AV-Malformation

Unterster Richtsatzwert – Analogposition

04.03.01

20

4

Beginnende Polyneuropathie

Fachärztlicher Befundbericht

04.06.01

10

Gesamtgrad der Behinderung 60 v. H.

Begründend für den Gesamtgrad der Behinderung (GdB) wurde ausgeführt, dass sich dieser aus der führenden Gesundheitsstörung 1 ergebe und werde durch die weiteren Gesundheitsstörungen 2 und 3 aufgrund der negativ wechselseitigen Beeinflussung um insgesamt eine Stufe angehoben. Die weitere Gesundheitsstörung 4 hebe aufgrund der Geringfügigkeit nicht weiter an.

14. Das Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme wurde den Verfahrensparteien im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG seitens des erkennenden Gerichtes mit Schreiben vom 16.06.2021 zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern.

14.1. Die Parteien erstatteten dazu keine Stellungnahme beziehungsweise Äußerung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF hat einen Wohnsitz im Inland.

Die BF leidet an folgenden behinderungsrelevanten Gesundheitsschädigungen:

1.       Generalisierte Erkrankung des Bewegungsapparates mit Auswirkungen fortgeschrittenen Grades (Grad der Behinderung: 50 %)

2.       Leichtes Asthma bronchiale (Grad der Behinderung: 30 %)

3.       Zustand nach Gamma Knife Operation im Jahr 2016 bei arteriovenösen-Malformation (Grad der Behinderung: 20 %)

4.       Beginnende Polyneuropathie (Grad der Behinderung: 10 %)

Im Vordergrund des Gesamtleidenszustandes der BF steht die generalisierte Erkrankung des Bewegungsapparates mit einem Grad der Behinderung von 50 %. Dieser Grad der Behinderung der führenden Gesundheitsschädigung wird durch die vorliegenden Funktionseinschränkungen „Asthma bronchiale“ und „Zustand nach Gamma Knife Operation bei arteriovenösen-Malformation“ wegen negativer wechselseitiger Leidensbeeinflussung um insgesamt eine Stufe angehoben. Die beginnende Polyneuropathie ist zu gering ausgeprägt, um eine Erhöhung des Grades der Behinderung insgesamt bewirken zu können.

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt somit 60 (sechzig) von Hundert (v.H.).

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten, der Beschwerde, dem Vorlageantrag sowie nunmehr aus dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Feststellung zum Wohnsitz der BF ergibt sich aus einem eingeholten Datenauszug des Zentralen Melderegisters.

Der Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 60 von Hundert wurde aufgrund des eingeholten fachärztlichen Sachverständigengutachtens von Dr. XXXX , Facharzt für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie, vom 30.05.2021, festgestellt.

Dieses ist schlüssig, vollständig, weist keine Widersprüche auf und steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen im Einklang. Das Sachverständigengutachten basiert auf einem nach persönlicher Untersuchung der BF erhobenen Befund. Es wurde dabei auf die Art der Leiden der BF und deren Ausmaß ausführlich eingegangen.

Die festgestellten behinderungsrelevanten Gesundheitsschädigungen und deren korrekte und nachvollziehbare Einschätzung bezüglich des Grades der Behinderung gemäß der anzuwendenden Einschätzungsverordnung samt Anlage ergeben sich daraus.

Im Vergleich zum Vorgutachten von Dr. XXXX , Fachärztin für Innere Medizin und Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 21.06.2020, das der Beschwerdevorentscheidung zugrunde liegt, wurden die Leiden der BF neu eingeschätzt. Die Unfallfolgen der BF wurden erstmals als generalisierte Erkrankung des Bewegungsapparates unter der Positionsnummer 02.02.03 mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. eingeschätzt. Diese Einschätzung umfasst die Beschwerden betreffend das Achsenskelett, die operativ behandelte Speichenfraktur links sowie die operativ behandelte Hüftgelenksluxationsfraktur links. Zudem wurden der Zustand nach Gamma Knife Operation bei einer arteriovenösen-Malformation und die beginnende Polyneuropathie als behinderungsrelevante Gesundheitsschädigungen erstmals eingeschätzt. Lediglich das Asthma bronchiale wurde aus dem Vorgutachten unverändert übernommen.

Der Inhalt des oben angeführten Sachverständigengutachtens von Dr. XXXX vom 30.05.2021 wurde von der BF als auch von der belangten Behörde im Rahmen des schriftlichen Parteiengehörs unbeeinsprucht zur Kenntnis genommen. Es blieb daher im gegenständlichen Beschwerdeverfahren unbestritten.

Es wurde somit ein Grad der Behinderung von 60 v.H. objektiviert.

Das oben angeführte Sachverständigengutachten von Dr. XXXX vom 30.05.2021 wird daher der gegenständlichen Entscheidung in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 BVwGG (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung [idgF]) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG (Bundesbehindertengesetz, BGBl. Nr. 283/1990 idgF) hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter gemäß § 45 Abs. 4 BBG mitzuwirken.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF) geregelt (§ 1 VwGVG).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 idgF) die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG, BGBl. Nr. 51/1991 idgF) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG steht es der Behörde im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG frei, den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen. Abweichend davon beträgt die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 46 BBG zwölf Wochen.

Gemäß § 15 VwGVG kann jede Partei binnen einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung der Beschwerdevorentscheidung bei der Behörde den Antrag stellen, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag).

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Das Verwaltungsgericht kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteienantrags, von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) noch Art. 47 GRC (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) entgegenstehen.

Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde größtenteils auf gutachterlicher Basis ermittelt. Die ärztliche Begutachtung basierte auch auf einer persönlichen Untersuchung der BF. Der verfahrensrelevante Inhalt des vorliegenden Sachverständigengutachtens wurde zudem von den Verfahrensparteien im Rahmen ihres schriftlichen Parteiengehörs nicht beeinsprucht.

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerdegründen und dem Begehren der BF geklärt erscheint, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG entfallen.

Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt.

Dem Absehen von der Verhandlung stehen hier auch Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht entgegen.

3.2. Zu Spruchteil A):

Unter Behinderung im Sinne des Bundesbehindertengesetzes ist gemäß § 1 Abs. 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 % auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist;

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen;

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten;

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. I Nr. 22/1970i n der geltenden Fassung, angehören.

Nach § 35 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG 1998), BGBl. I Nr. 400/1998 in der geltenden Fassung, sind die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Zuständige Stelle ist:

?        Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. I Nr. 183/1947).

?        Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.

?        In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des BBG, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 leg. cit. genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz,
BGBl. I Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010 in der geltenden Fassung) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen;

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 leg. cit. vorliegt.

Der Behindertenpass hat gemäß § 42 Abs. 1 BBG den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß § 45 Abs. 1 BBG nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

Es war aus folgenden Gründen spruchgemäß zu entscheiden:

Wie oben unter Punkt II.2. ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Facharzt für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie, vom 30.05.2021, zu Grunde gelegt, welches als nachvollziehbar, schlüssig und widerspruchfrei gewertet wurde.

Alle Gesundheitsschädigungen der BF wurden in dem vorliegenden Sachverständigengutachten berücksichtigt und für jedes einzelne behinderungsrelevante Leiden wurde ein Grad der Behinderung nach der anzuwendenden Anlage zur Einschätzungsverordnung korrekt eingeschätzt. Insgesamt wurde ein Grad der Behinderung in Höhe von 60 von Hundert festgestellt.

Die Gesamteinschätzung ist auch unter Bedachtnahme auf den durchgeführten Sachverständigenbeweis vorzunehmen (vgl. VwGH 19.11.1997, Zl. 95/09//0232; 04.09.2006, Zl. 2003/09/0062).

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 60 von Hundert und einem Wohnsitz im Inland sind die Voraussetzungen gemäß § 40 Abs. 1 BBG für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfüllt.

Der Beschwerde war daher spruchgemäß stattzugeben und festzustellen, dass der Grad der Behinderung der BF 60 (sechzig) v.H. (von Hundert) beträgt.

Was schließlich den Antrag der BF betrifft, ihr einen Parkausweis nach § 29b StVO auszustellen, so ist diesbezüglich festzuhalten, dass die belangte Behörde über diesen Antrag ausdrücklich bescheidmäßig nicht abgesprochen hat. Ebenso nicht über die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass, welche die rechtliche Voraussetzung für die Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b Abs.1 StVO ist.

Der äußerste Rahmen für die Prüfbefugnis des Bundesverwaltungsgerichtes ist die "Sache" des bekämpften Bescheides (VwGH 09.09.2015, Ra 2015/04/0012; 26.03.2015, Ra 2014/07/0077). Daher ist der Antrag der BF auf Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO mangels Vorliegens eines bekämpfbaren Bescheides nicht verfahrensgegenständlich. Dies gilt auch für den mitumfassten Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass.

3.3. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.

Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G303.2235380.1.00

Im RIS seit

22.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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