Entscheidungsdatum
28.10.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W119 2199594-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Armenien, vertreten durch seine Mutter XXXX , diese vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.6.2018, Zahl: 820935500 - 160703630/BMI-EAST_OST, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß, §§ 3, 8, 10 Abs. 1 Z 3, 15b, Abs. 1, 57 AsylG, § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 und Abs. 9, 53 Abs. 1 und 2 FPG als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 55 Abs. 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der minderjährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Armenien, gelangte zusammen mit seinen Eltern (GZ W119 2199592 und GZ W119 2199595) im Juni 2012 über die Slowakei, wo er um die Gewährung internationalen Schutzes ansuchte, illegal in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten. In weiterer Folge begab er sich nach Österreich und suchte am 24.7.2012 um Asyl an.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.9.2012 wurde dieser Asylantrag gemäß § 5 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 in die Slowakei ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des damals zuständigen Asylgerichtshofes vom 2.10.2012 gemäß §§ 5 und 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen und der Beschwerdeführer am 28.10.2012 in die Slowakei überstellt.
Nach etwa fünfstündigem Aufenthalt kehrte der Beschwerdeführer mit seinen Eltern am selben Tag ins österreichische Bundesgebiet zurück. Sie suchten jedoch nicht um Asyl an, sondern begaben sich in eine Flüchtlingsunterkunft einer NGO, wo sie weitere neun Monate verbrachten, ohne behördlich gemeldet zu sein. Eine Meldung erfolgte am 5.6.2013
Am 20.8.2014 stellte der Beschwerdeführer durch seine gesetzliche Vertretung erneut einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde dieser Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass die Slowakei für die Prüfung gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung in die Slowakei gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 11.5.2015, GZ W192 1429516-2/2E, gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet ab und stellte gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 BFA-VG fest, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig gewesen war.
Am 25.4.2018 stellte seine gesetzliche Vertretung für den Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.
Im Rahmen ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gaben die Eltern des Beschwerdeführers im Wesentlichen zunächst an, verheiratet zu sein, aus Jerewan zu stammen sowie dem armenisch apostolischen Glauben und der armenischen Volksgruppe anzugehören. Der Beschwerdeführer sei in XXXX geboren, die Familie habe zeitweilig auch dort gelebt.
Für den Beschwerdeführer wurde kein eigener Fluchtgrund vorgebracht.
Am 1.6.2018 wurden die Eltern des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen und erklärten im Wesentlichen zunächst, armenische Staatsangehörige und in Jerewan geboren zu sein, wo sie zuletzt auch gelebt hätten. Sie gehörten der der Volksgruppe der Armenier und dem armenisch apostolischen Glauben an.
Der Vater des Beschwerdeführers habe in Armenien acht Jahre die Schule besucht und sei Lkw-Fahrer gewesen. Zudem schnitze er Figuren aus Holz, welche er am Flohmarkt verkaufe. Sein Haupteinkommen sei als Lkw-Fahrer gewesen, während seiner Auslandsaufenthalte habe er auf Baustellen gearbeitet. Besitztümer im Heimatland habe er keine, seine dortige finanzielle Situation sei mittelmäßig gewesen.
Die Mutter des Beschwerdeführers habe in Armenien 10 Jahre die Grundschule besucht, sei gelernte Friseurin (ein Jahr Berufsschule) und habe von zu Hause als Friseurin gearbeitet. Zudem sei sie von ihrem Mann (dem Vater des Beschwerdeführers) versorgt worden und auch putzen gegangen. Ihre Mutter besitze ein Haus bzw. in XXXX eine Wohnung und ein Geschäft, eine ihrer Schwestern habe auch zwei Wohnungen und zwei Geschäfte, die finanzielle Situation sei mittel gewesen. Mit ihren Angehörigen, der Mutter und ihren beiden Schwestern, die sich derzeit in XXXX befänden, telefoniere sie fast jeden Tag über das Internet. Die Familie habe „uns“ ständig Kleidung und auch Geld geschickt.
Der Beschwerdeführer sei gesund, in XXXX geboren, gehe hier in die Schule und beherrsche die deutsche Sprache. Eigene Fluchtgründe habe er nicht.
Mit Verfahrensanordnung gemäß § 15b AsylG iVm § 7 Abs. 1 VwGVG wurde dem Beschwerdeführer in weiterer Folge am 1.6.2018 mitgeteilt, dass er ab dem 4.6.2018 in einem näher genannten Quartier durchgehend Unterkunft zu nehmen habe. Das Bundesamt werde im verfahrensabschließenden Bescheid über die Anordnung der Unterkunftnahme absprechen.
Mit gegenständlichem Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Armenien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Gemäß § 15b Abs. 1 AsylG wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, ab 4.6.2018 und einem näher genannten Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VII.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VIII.).
Dagegen wurde Beschwerde in vollem Umfang erhoben.
Mit Beschluss vom 6.7.2018, GZ L526 2199594-1/5Z, erkannte das Bundesverwaltungsgericht dieser Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zu.
Am 28.9.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Armenisch eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, zu der das Bundesamt als Verfahrenspartei nicht erschienen ist.
Dabei wurden zunächst folgende Unterlagen vorgelegt:
einige Unterstützungsschreiben für die Familie, Schreiben des Flüchtlingsprojekts Ute Bock von 2014 und von 2020, Schulbestätigung, Schulzeugnisse, Sportzertifikate, Untermietvertrag von Ute Bock.
Der Vater des Beschwerdeführers brachte im Wesentlichen vor, in Armenien acht Jahre lang die Schule besucht, beim Bundesheer gedient und sehr früh geheiratet zu haben. Diese Ehe sei nicht so erfolgreich gewesen, er habe aus ihr jedoch zwei Töchter, mit denen er telefoniere. Er sei LKW-Fahrer und deswegen immer unterwegs gewesen. Dann habe er seine jetzige Ehefrau (die Mutter des Beschwerdeführers) geheiratet, sie hätten Armenien verlassen und seien im Jahr 2012 nach Österreich gekommen. Weil sie durch die Slowakei eingereist seien, hätten sie wieder zurückkehren müssen, seien in die Slowakei abgeschoben worden und wieder nach Österreich eingereist, damit der Beschwerdeführer die Schule besuchen könne. Er selbst sei Maler, Künstler, stelle Vasen sowie Lampenschirme und Mosaike her. Im Bundesgebiet befinde sich seit vier oder fünf Jahren seine Schwester mit ihrer Familie, seine Mutter lebe in Armenien, ebenso wie eine Tante, sie telefonierten ständig, mittlerweile auch wieder mit seiner Mutter. Auch die beiden Töchter (die Halbschwestern des Beschwerdeführers) seien in der Heimat.
Die Mutter des Beschwerdeführers brachte im Wesentlichen vor, von 1986 bis 1992 die Schule in Armenien besucht zu haben und dann von 1992 bis 1996 in Russland gewesen zu sein. Gelernt habe sie den Beruf der Friseurin, hätte aber sehr wenig in diesem Beruf gearbeitet. in Russland, in XXXX , habe sie ein kleines Geschäft gehabt und in Armenien in einem Geschäft gearbeitet, außerdem als Friseurin und Kellnerin. Nachgefragt, ob sie Verwandte in der Heimat habe, antwortete sie: „Ja, ich vermisse sie sehr. Ich habe eine Schwester, auch Cousinen. Mit meinen Cousinen war ich sehr gut befreundet. Meine Schwiegermama ist dort.“ Ihre Mutter befinde sich mit der anderen Schwester in XXXX .
Der Beschwerdeführer sei in XXXX geboren worden, in Österreich im Kindergarten gewesen und besuche nun die Schule. Vor der Corona Zeit habe er auch Taekwondo gemacht und den ersten Platz bei einem Wettbewerb errungen. Er habe viele Freunde, spreche nicht sehr gut, aber Armenisch auf normalem Niveau.
Am 11.10.2021 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme zu den ausgehändigten Länderinformationen ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Einvernahmen seiner Eltern vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamts sowie der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 28.9.2021, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid, der im Verfahren vorgelegten Schriftsätze sowie der Einsichtnahme in die Verwaltungs- und Gerichtsakten, das österreichische Strafregister sowie das Zentrale Melderegister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
Der minderjährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Armeniens und gehört der Volksgruppe der Armenier an. Er wurde in XXXX geboren, lebte jedoch zuletzt in Jerewan, wo auch seine Eltern herstammen. Seine Muttersprache ist Armenisch.
Er gelangte zusammen mit seinen Eltern (GZ W119 2199592 und GZ W119 2199595) im Juni 2012 über die Slowakei, wo er um die Gewährung internationalen Schutzes ansuchte, illegal in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten. In weiterer Folge begab er sich nach Österreich und suchte am 24.7.2012 um Asyl an.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.9.2012 wurde dieser Asylantrag gemäß § 5 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 in die Slowakei ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des damals zuständigen Asylgerichtshofes vom 2.10.2012 gemäß §§ 5 und 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen und der Beschwerdeführer am 28.10.2012 in die Slowakei überstellt.
Nach etwa fünfstündigem Aufenthalt kehrte der Beschwerdeführer mit seinen Eltern am selben Tag ins österreichische Bundesgebiet zurück. Sie suchten jedoch nicht um Asyl an, sondern begaben sich in eine Flüchtlingsunterkunft einer NGO, wo sie weitere neun Monate verbrachten, ohne behördlich gemeldet zu sein. Eine Meldung erfolgte am 5.6.2013
Am 20.8.2014 stellte der Beschwerdeführer durch seine gesetzliche Vertretung erneut einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde dieser Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass die Slowakei für die Prüfung gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung in die Slowakei gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 11.5.2015, GZ W192 1429516-2/2E, gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet ab und stellte gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 BFA-VG fest, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig gewesen war.
Am 25.4.2018 stellte seine gesetzliche Vertretung für den Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.
Der Beschwerdeführer ist gesund und gehört keiner Covid 19-Risikogruppe an.
Sein Vater hat eine abgeschlossene heimatliche Schulbildung und war zuletzt als LKW-Fahrer tätig. Während seiner Aufenthalte ua. in der Russischen Föderation arbeitete er auf Baustellen. Zudem stellte er Kunstgegenstände zum Verkauf her.
Die Mutter besuchte in Armenien die Schule, sie hat eine abgeschlossene Schulbildung, ist gelernte Friseurin (ein Jahr Berufsschule) und war in Armenien auch als solche tätig. Zudem arbeitete sie dort in einem Geschäft und auch als Kellnerin, ging putzen und hatte während ihres zwischenzeitigen Aufenthaltes in XXXX ein eigenes kleines Geschäft. Die finanzielle Situation in der Heimat war ihren eigenen Angaben vor der Behörde nach mittelmäßig.
Eine Großmutter und eine Großtante väterlicherseits des Beschwerdeführers leben noch in Armenien, ebenso wie seine beiden Halbschwestern väterlicherseits und eine Tante mütterlicherseits. Die Großmutter und eine weitere Tante mütterlicherseits leben in XXXX . Die Eltern des Beschwerdeführers stehen mit ihren Angehörigen in der Heimat in ständigem Kontakt, von den Angehörigen mütterlicherseits wurden sie auch im Bundesgebiet unterstützt.
Für den Beschwerdeführer waren keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht worden. Armenien gilt zudem als sicherer Herkunftsstaat im Sinne der Verordnung der Bundesregierung, mit der Staaten als sichere Herkunftsstaaten festgelegt werden (Herkunftsstaaten-Verordnung – HStV).
Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.
Im Bundesgebiet befinden sich die Mutter (GZ W119 2199595) des Beschwerdeführers und sein Vater (GZ W119 2199592), deren Verfahren mit Erkenntnissen des heutigen Tages unter Erlassung von Rückkehrentscheidungen negativ entschieden wurden.
Der Beschwerdeführer besucht im Bundesgebiet die Schule, sein letztes Zeugnis (Schuljahr 2020/2021) war von der fünften Schulstufe bzw. der 1. Klasse Mittelschule. Zudem nahm er vor Corona an Sportwettbewerben teil.
Die gesamte Familie war während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet durchgehend von karitativer Unterstützung abhängig und nicht selbsterhaltungsfähig (vgl. GZ W119 2199595 und GZ W119 2199592).
Im Übrigen werden die Ausführungen im Verfahrensgang der Entscheidung zugrunde gelegt.
Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Armenien, generiert am 9.2.2021, Version 5:
Letzte Änderung: 13.11.2020
Sofern nicht anders angegeben, schließen die Themenbereiche des LIB Armenien die Situation in der separatistischen Entität Bergkarabach (Republik Arzach / Nagorny Karabach), die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört, nicht ein.
1. COVID-19
Letzte Änderung: 09.11.2020
Informationen zur COVID-19-Situation in Armenien werden hauptsächlich in diesem Kapitel ihren Eingang finden. Vereinzelte Informationen finden sich jedoch auch in den nachfolgenden Kapiteln.
Aufgrund der derzeitigen Situation in Armenien (siehe dazu auch die KI vom 28.9.2020 betreffend Berg-Karabach) können daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt aktuelle seriöse Informationen zur COVID-19-Situation nur eingeschränkt zur Verfügung gestellt werden.
Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://ww w.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der John Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/i ndex.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.
Reisewarnung (Sicherheitsstufe 6) aufgrund der gegenwärtigen militärischen Kampfhandlungen um die Region Berg-Karabach und der Verhängung des Kriegsrechts. Zur Eindämmung des Coronavirus (COVID-19) wurde bis vorerst 11.01.2021 ein landesweites „Quarantäne-Regime“ erlassen. Weiterhin gelten die Maskenpflicht in allen öffentlichen Räumen und „Social Distancing“ sowie Hygieneregeln für die Geschäftswelt (BmeiA 9.11.2020).
Am 16. März 2020 rief die Regierung Armeniens den Ausnahmezustand aus, der fünf Mal verlängert wurde und am 11.September 2020 durch die Nationale Quarantäne ersetzt wurde, die nun bis 11.1.2021 gilt.
Armenien ist das am stärksten von COVID-19 betroffene Land im Südkaukasus. Trotz der Notsituation funktionieren fast alle Sektoren der armenischen Wirtschaft wieder, nachdem Unternehmen Anfang Mai wiedereröffnen durften, um den wirtschaftlichen Zusammenbruch abzuwehren.
Das Einreiseverbot in die Republik Armenien für nicht-armenische Staatsbürger vom 17.3.2020 wurde am 12.8.2020 aufgehoben, sofern der Grenzübertritt nicht auf dem Landweg erfolgt.
Der Grenzübertritt auf dem Landweg ist nur für folgende Personen gestattet:
• Armenische Staatsangehörige und ihre Familienangehörigen;
• Nicht-armenische Staatsangehörige mit einem legalen Aufenthaltstitel in Armenien
• Personen diplomatischer Vertretungen, konsularischer Einrichtungen, internationaler Organisationen und ihre Familienangehörige;
• Personen, die zu Beerdigungen und Gedenkfeiern kommen, wenn sie nahe Verwandte des Verstorbenen sind (Eltern, Ehepartner, Kinder, Geschwister)
• Fahrer des internationalen Güterverkehrs, Güterzüge
• Andere Sonderfälle mit spezieller Sondergenehmigung des Kommandanten, Vize-Pemierministers Tigran Avinyan
Die Einreise nach Armenien ist mit einem negativen PCR-Testergebnis aus Österreich, das max. 72 Stunden vor der Einreise gemacht wurde, gestattet. Das Testergebnis soll auf Englisch bzw. Russisch oder Armenisch ausgestellt werden. Alle Einreisenden, die ohne ein dokumentiertes PCR-Testergebnis einreisen, müssen sich auf eigene Kosten einem PCR-Test im Labor am Flughafen unterziehen und sich dort unter Quarantäne stellen bis das Ergebnis bekannt wird. Die Ergebnisse dieser PCR-Tests werden im ARMED-System registriert und der getesteten Person innerhalb von 48 Stunden zur Verfügung gestellt.
Die internationalen regulären Flugverbindungen nach/von Jerewan sind derzeit eingeschränkt. Air France aus Paris und Austrian Airlines aus Wien fliegen Armenien jeweils drei Mal pro Woche an. Da sich die Flugpläne jedoch jederzeit ändern können, ist ständige Überprüfung der aktuellen Situation auf der Homepage von Austrian Airlines notwendig.
Am 19.3.2020 haben die armenischen Behörden ein vorübergehendes Ausfuhr-Verbot für bestimmte medizinische Waren erlassen, um die Versorgung des Landes sicherzustellen und eine weitere Ausbreitung des Coronavirus in Armenien einzudämmen. Das betrifft Güter wie medizinische Schutzausrüstung, Beatmungsgeräte, COVID-19-Test Kits, Atemschutzmasken, medizinische Masken, Desinfektionsmittel auf Alkoholbasis und andere Artikel.
Anfang Mai 2020 wurden die Ausgangsbeschränkungen und Reisebeschränkungen innerhalb Armeniens aufgehoben.
Cafés und Restaurants dürfen seit 4.5.2020 im Freien den Betrieb wiederaufnehmen.
Stufenweise ist seit 18. Mai 2020 auch der Indoor-Betrieb in Lokalen sowie in allen Geschäften und Einkaufszentren unter Auflagen erlaubt. Ebenfalls wurde am 18. Mai 2020 der öffentliche Verkehr wiederaufgenommen. Alle Gewerbe- und Industriebetriebe dürfen unter den vorgegebenen Hygiene-und Sicherheitsmaßnahmen wieder öffnen.
Seit Anfang Juni gilt in Armenien eine allgemeine Masken-Pflicht für alle Personen und Kinder ab 6 Jahren an öffentlichen Orten inklusive öffentliche Verkehrsmitteln sowie Taxis.
Alle Schulen und Universitäten sind seit 15. September 2020 unter bestimmten Auflagen und Vorsichtsmaßnahmen wiedereröffnet. Einige Kurse je nach Universität bzw. Hochschule werden jedoch weiterhin online angeboten. Kindergärten sind seit 18. Mai 2020 wieder geöffnet.
Das Versammlungsverbot wurde beschränkt aufgehoben. Erlaubt sind nun öffentliche und private Versammlungen bei Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern und mit obligatorischen Gesichtsmasken in einem Kreis von max. 60 Personen (WKO 5.11.2020).
Quellen:
? BMeiA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (9.11.2020): Armenien, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/armenien/, Zugriff 9.11.2020
? WKO – Wirtschaftskammer Österreich (5.11.2020): Coronavirus: Situation in Armenien, https: //www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-armenien.html, Zugriff 9.11.2020
2. Politische Lage
Letzte Änderung: 02.09.2020
Armenien (arm.: Hayastan) umfasst knapp 29.800 km² und hatte im ersten Quartal 2019 eine Einwohnerzahl von 2,96 Millionen, was einen Rückgang von 0,3% zum Vergleichszeitraum des Vorjahres ausmachte (ArmStat 7.5.2019). Davon sind laut der Volkszählung von 2011 98,1% ethnische Armenier. Den Rest bilden kleinere Ethnien wie Jesiden und Russen (CIA 14.2.2019).
Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 findet in Armenien ein umfangreicher Reformprozess auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene hin zu einem demokratisch und marktwirtschaftlich strukturierten Staat statt. Die vorgezogenen Parlamentswahlen am 9.12.2018 konnten nach übereinstimmender Meinung aller Wahlbeobachter als frei und fair bezeichnet werden. Die im Dezember 2015 per Referendum gebilligte Verfassungsreform zielt auf den Umbau von einer semi-präsidialen in eine parlamentarische Demokratie ab. Die Änderungen betreffen u.a. eine Ausweitung des Grundrechtekatalogs sowie die weitere Stärkung des Parlaments (auch der Opposition). Das Amt des Staatspräsidenten wurde im Wesentlichen auf repräsentative Aufgaben reduziert, gleichzeitig die Rolle des Premierministers und des Parlaments gestärkt (AA 27.4.2020). Der Premierminister und der Präsident werden vom Parlament gewählt. Der Premierminister ist der Regierungsvorsitzende, während der Präsident vorwiegend zeremonielle Funktionen ausübt (USDOS 11.3.2020).
Oppositionsführer Nikol Paschinjan wurde im Mai 2018 vom Parlament zum Premierminister gewählt, nachdem er wochenlange Massenproteste gegen die Regierungspartei angeführt und damit die politische Landschaft des Landes verändert hatte. Er hatte Druck auf die regierende Republikanische Partei durch eine beispiellose Kampagne des zivilen Ungehorsams ausgeübt, was zum schockartigen Rücktritt Serzh Sargsyans führte, der kurz zuvor das verfassungsmäßig gestärkte Amt des Premierministers übernommen hatte, nachdem er zehn Jahre lang als Präsident gedient hatte (BBC 20.12.2018; vgl. AA 27.4.2020). Bei den als „Samtene Revolution“ bezeichneten Demonstrationen im April/Mai 2018 verhielten sich die Sicherheitskräfte zurückhaltend. Auch die Demonstranten waren bedacht, keinerlei Anlass zum Eingreifen der Sicherheitskräfte zu bieten (AA 27.4.2020).
Am 9.12.2018 fanden vorgezogene Parlamentswahlen statt, welche unter Achtung der Grundfreiheiten ein breites öffentliches Vertrauen genossen. Die offene politische Debatte, auch in den Medien, trug zu einem lebhaften Wahlkampf bei. Das generelle Fehlen von Verstößen gegen die Wahlordnung, einschließlich des Kaufs von Stimmen und des Drucks auf die Wähler, ermöglichte einen unverfälschten Wettbewerb (OSCE/ODIHR 10.12.2018). Die Allianz des amtierenden Premierministers Nikol Paschinjan unter dem Namen „Mein Schritt“ erzielte einen Erdrutschsieg und erreichte 70,4% der Stimmen. Die ehemalige mit absoluter Mehrheit regierende Republikanische Partei (HHK) erreichte nur 4,7% und verpasste die 5-Prozent-Marke, um in die 101-Sitze umfassende Nationalversammlung einzuziehen. Die Partei „Blühendes Armenien“ (BHK) des Geschäftsmannes Gagik Tsarukyan gewann 8,3%. An dritter Stelle lag die liberale, pro-westliche Partei „Leuchtendes Armenien“ unter Führung Edmon Maruyian, des einstigen Verbündeten von Paschinjan, mit 6,4% (RFE/RL 10.12.2018; vgl. ARMENPRESS 10.12.2018).
Zu den primären Zielen der Regierung unter Premierminister Paschinjan gehören die Bekämpfung der Korruption und Wirtschaftsreformen (RFL/RL 14.1.2019; vgl. FH 4.3.2020) sowie die Schaffung einer unabhängigen Justiz (168hours 20.7.2018; vgl. FH 4.3.2020). Seit Paschinjans Machtübernahme hat sich das innenpolitische Klima deutlich verbessert und dessen Regierung geht bestehende Menschenrechts-Defizite weitaus engagierter als die Vorgängerregierungen an, auch wenn immer noch Defizite bei der konsequenten Umsetzung der Gesetze bestehen (AA 27.4.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (27.4.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030001/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_27.04.2020.pdf , Zugriff 23.6.2020
? ARMENPRESS – Armenian News Agency (10.12.2018): My Step – 70.44%, Prosperous Armenia – 8.27%, Bright Armenia – 6.37%: CEC approves protocol of preliminary results of snap elections, https://armenpress.am/eng/news/957626.html , Zugriff 21.3.2019
? ArmStat - Statistical Committee of the Repbulic of Armenia (7.5.2019): Economic and Financial Data for the Republic of Armenia, https://armstat.am/nsdp/ , Zugriff 8.5.2019
? BBC News (20.12.2018):Armenia country profile, https://www.bbc.com/news/world-europe-17398605, Zugriff 21.3.2019
? CIA - Central Intelligence Agency (30.4.2.2019): The World Factbook, Armenia; https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/am.html , Zugriff 7.5.2019
? FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Armenia, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2020 , Zugriff 24.4.2020
? OSCE/ODIHR – Organization for Security and Cooperation in Europe/ Office for Democratic Institutions and Human Rights et alia (10.12.2018): Armenia, Parliamentary Elections, 2 April 2017: Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/armenia/405890?download=true , Zugriff 21.3.2019
? RFE/RL – Radio Free Europe/ Radio Liberty (10.12.2018): Monitors Hail Armenian Vote, Call For Further Electoral Reforms, https://www.rferl.org/a/monitors-hail-armenia-s-snap-polls-call-for-further-electoral-reforms/29647816.html , 21.3.2019
? RFE/RL – Radio Free Europe/ Radio Liberty (14.1.2019): Pashinian Reappointed Armenian PM After Securing Parliament Majority, https://www.rferl.org/a/pashinian-reappointed-armenian-pm-after-securing-parliament-majority/29708811.html , Zugriff 21.3.2019
? USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf , Zugriff 13.3.2020
? 168hours (20.7.2018): Fight against corruption and creation of independent judiciary main pillars of government’s economic policy – PM Paschinjan, https://en.168.am/2018/07/20/26637.html ,Zugriff 21.3.2019
3. Sicherheitslage
Letzte Änderung: 30.11.2020
Im Ende September 2020 aufgeflammten Konflikt um die von Armenien kontrollierte Region Bergkarabach gelang es unter Vermittlung Russlands einen Waffenstillstand zu erreichen. Armenien, das als Schutzmacht für Bergkarabach agiert, stimmte unter massivem Druck der Neun-Punkte-Erklärung zu. In der Erklärung verpflichteten sich die Parteien zu einem vollständigen Einstellen aller Kampfhandlungen auf den zuletzt gehaltenen Positionen. Darüber hinaus werden die von Armenien im ersten Karabach-Krieg Anfang der 1990er Jahre eroberten sieben aserbaidschanische Bezirke rund um Bergkarabach schrittweise bis 1.12.2020 an Baku zurückgegeben. Vier davon gingen bereits im Zuge der Kampfhandlungen seit September weitgehend an Aserbaidschan verloren. Mit der Erklärung wurde ebenso eine russische Peacekeeping-Mission etabliert welche 1.960 Mann umfasst und die den Waffenstillstand entlang der Kontaktlinie auf Seiten Bergkarabachs sichern soll. Neben den Peacekeepern soll auch ein außerhalb Karabachs befindliches Zentrum zur Überwachung der Waffenruhe entstehen. Ebenso vereinbart wurde ein Austausch der Kriegsgefangenen und gefallenen Soldaten. Der letzte Punkt der Vereinbarung weist auf die Öffnung aller Wirtschafts- und Transportwege in die Region hin. Dem zufolge muss Armenien Verkehrsverbindungen zwischen den westlichen Regionen der Republik Aserbaidschan und der südwestlich von Armenien gelegenen und an die Türkei grenzenden aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan sicherstellen. Der Status von Bergkarabach wurde in der Erklärung offen gelassen (IFK 11.2020).
In einer gemeinsamen Erklärung haben sich Russlands Präsident Wladimir Putin, sein aserbaidschanischer Amtskollege Ilham Alijew und der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan auf eine neue Grenzziehung und die Stationierung eines russischen Militärkontingents zur Sicherung des neuen Status quo im Konflikt um Berg-Karabach geeinigt. Aserbaidschan übernimmt rund die Hälfte des abtrünnigen Gebiets, darunter die zweitgrößte Stadt Schuscha, die strategisch von immenser Bedeutung ist (DerStandard 10.11.2020).
Paschinjan wurde zur Zielscheibe nationalistischen Hasses (DerStandard 10.11.2020). Tausende Menschen demonstrierten in Jerewan gegen die Waffenruhe. Sie beschimpften Paschinian als „Verräter“ und forderten seinen Rücktritt. Hunderte der Demonstranten stürmten den Regierungssitz und das Parlamentsgebäude (Krone 10.11.2020). Die Polizei ging mit Gewalt gegen Demonstranten vor. Es gab dutzende Festnahmen, auch weil Kundgebungen wegen des geltenden Kriegsrechts und wegen der Coronavirus-Pandemie nicht erlaubt sind. Unter den Festgenommenen waren auch mehrere Parlamentsabgeordnete (DerStandard 11.11.2020 vgl. ZeitOnline 11.11.2020).
Die Türkei und Russland richten ein Zentrum zur Überwachung der Waffenruhe zwischen Aserbaidschan und Armenien ein. Laut dem türkischen Präsident Tayyip Erdo?an soll das Zentrum „auf von der Besatzung befreitem aserbaidschanischem Gebiet“ entstehen. Eine entsprechende Vereinbarung sei unterschrieben worden. Die Türkei werde sich laut Erdogan zusammen mit Russland an Friedenskräften beteiligen, um die Umsetzung der Waffenruhe zu beobachten. Dagegen stellte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erneut klar, dass das Zentrum zum Monitoring der Waffenruhe auf aserbaidschanischem Gebiet angesiedelt werde und nicht in Gebieten in Berg-Karabach, die zuvor von Aserbaidschan erobert worden waren. Er wies abermals zurück, dass auch die Türkei Friedenstruppen entsendet, da eine gemeinsame Mission nicht gesprochen wurde (DerStandard 11.11.2020).
Quellen:
? DerStandard (10.11.2020): Umstrittener Waffenstillstand in Bergkarabach, https://www.derstandard.at/story/2000121604696/umstrittener-waffenstillstand-in-bergkarabach , Zugriff 12.11.2020
? DerStandard (11.11.2020): Erdogan verkündet Einigung auf Überwachung der Feuerpause in Bergkarabach, https://www.derstandard.at/story/2000121627117/erdogan-verkuendet-vereinbarung-zur-ueberwachung-der-waffenruhe-massenproteste-in-armenien , Zugriff 12.11.2020
? IFK – Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (11.2020): Bergkarabach: Neuordnung der regionalen Machtverhältnisse, https://www.bundesheer.at/php_docs/download_file.php?adresse=/pdf_pool/publikationen/ifk_monitor_65_lampalzer_bergkarabach_nov_20_web.pdf , Zugriff 27.11.2020
? Krone (10.11.2020): Einigung auf Waffenruhe in Berg-Karabach, https://www.krone.at/2272372 , Zugriff 12.11.2020
? ZeitOnline (11.11.2020): Tausende Armenier protestieren gegen Abkommen mit Aserbaidschan, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-11/bergkarabach-konflikt-armenien-aserbaidschan-abkommen-massenproteste-nikol-paschinjan , Zugriff 12.11.2020
4. Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 02.09.2020
Die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter ist in Art. 162 und 164 der Verfassung verankert. Die Verfassung von 2015 hat die bisher weitreichenden Kompetenzen des Staatspräsidenten bei der Ernennung von Richtern reduziert. Das Vertrauen in das Justizsystem ist allerdings weiterhin schwach, da die Mehrzahl der Richter ihre Ämter unter der Vorgängerregierung erlangt hat. Die im Oktober 2019 verabschiedete Reform zur Justizstrategie zielt auf einen personellen Wechsel im Justizapparat ab. Verfahrensgrundrechte, wie rechtliches Gehör, faires Gerichtsverfahren und Rechtshilfe werden laut Verfassung gewährt. In Bezug auf den Zugang zur Justiz gab es in den letzten Jahren bereits Fortschritte, die Zahl der Pflichtverteidiger wurde erhöht und kostenlose Rechtshilfe kommt einer breiteren Bevölkerung zugute. Die Einflussnahme durch Machthaber auf laufende Verfahren war in der Vergangenheit in politisch heiklen Fällen verbreitet. Die derzeitige Regierung unter Premierminister Paschinjan hat sich von solchen Praktiken distanziert (AA 27.4.2020).
Zwar muss von Gesetzes wegen Angeklagten ein Rechtsbeistand gewährt werden, doch führt der Mangel an Pflichtverteidigern außerhalb Jerewans dazu, dass dieses Recht den Betroffenen verwehrt wird (USDOS 11.3.2020). Richter stehen unter systemischem politischem Druck und Justizbehörden werden durch Korruption untergraben. Berichten zufolge fühlen sich die Richter unter Druck gesetzt, mit Staatsanwälten zusammenzuarbeiten, um Angeklagte zu verurteilen. Der Anteil an Freisprüchen ist extrem niedrig (FH 4.3.2020). Allerdings entließen viele Richter nach der ’Samtenen Revolution’ im Frühjahr 2018 etliche Verdächtige in politisch sensiblen Fällen aus der Untersuchungshaft, was die Ansicht von Menschenrechtsgruppen bestätigte, dass vor den Ereignissen im April/Mai 2018 gerichtliche Entscheidungen politisch konnotiert waren, diese Verdächtigen in Haft zu halten, statt gegen Kaution freizulassen (USDOS 11.3.2020).
Trotz gegenteiliger Gesetzesbestimmungen zeigt die Gerichtsbarkeit keine umfassende Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Die Verwaltungsgerichte sind hingegen verglichen zu den anderen Gerichten unabhängiger. Sie leiden allerdings unter Personalmangel. Nach dem Regierungswechsel im Mai 2018 setzte sich das Misstrauen in die Unparteilichkeit der Richter fort und einige Menschenrechtsanwälte erklärten, es gebe keine rechtlichen Garantien für die Unabhängigkeit der Justiz. NGOs berichten, dass Richter die Behauptungen der Angeklagten, ihre Aussage sei durch körperliche Übergriffe erzwungen worden, routinemäßig ignorieren. Die Korruption unter Richtern ist weiterhin ein Problem. Die am 10. Oktober 2019 verabschiedete Strategie für die Justiz- und Rechtsreform 2019-2023 zielt darauf ab, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz und das Justizsystem zu stärken und die Unabhängigkeit der Justiz zu fördern (USDOS 11.3.2020).
Die Verfassung und die Gesetze sehen das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess vor, aber die Justiz setzt dieses Recht nicht durch. Ebenso sieht das Gesetz die Unschuldsvermutung vor, Verdächtigen wird dieses Recht jedoch in der Regel nicht zugesprochen. Das Gesetz verlangt, dass die meisten Prozesse öffentlich sind, erlaubt aber Ausnahmen, auch im Interesse der ’Moral’, der nationalen Sicherheit und des ’Schutzes des Privatlebens der Teilnehmer’. Gemäß dem Gesetz können Angeklagte Zeugen konfrontieren, Beweise präsentieren und den Behördenakt vor einem Prozess einsehen. Allerdings haben Angeklagte und ihre Anwälte kaum Möglichkeiten, die Aussagen von Behördenzeugen oder der Polizei anzufechten. Die Gerichte neigen währenddessen dazu, routinemäßig Beweismaterial zur Strafverfolgung anzunehmen. Zusätzlich verbietet das Gesetz Polizeibeamten, in ihrer offiziellen Funktion auszusagen, es sei denn, sie waren Zeugen oder Opfer (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (27.4.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030001/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_27.04.2020.pdf , Zugriff 23.6.2020
? FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Armenia, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2020 , Zugriff 24.4.2020
? USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf , Zugriff 13.3.2020
5. Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 02.09.2020
Die Polizei ist für die innere Sicherheit zuständig, während der Nationale Sicherheitsdienst (NSD oder eng. NSS) für die nationale Sicherheit, die Geheimdienstaktivitäten und die Grenzkontrolle zuständig ist (USDOS 11.3.2020, vgl. AA 27.4.2020). Beide Behörden sind direkt der Regierung unterstellt. Ein eigenes Innenministerium gibt es nicht. Die Beamten des NSD dürfen auch Verhaftungen durchführen. Hin und wieder treten Kompetenzstreitigkeiten auf, z.B. wenn ein vom NSD verhafteter Verdächtiger ebenfalls von der Polizei gesucht wird (AA 27.4.2020).
Der Sonderermittlungsdienst führt Voruntersuchungen in Strafsachen durch, die sich auf Delikte von Beamten der Gesetzgebungs-, Exekutiv- und Justizorgane beziehen und von Personen, die einen staatlichen Sonderdienst ausüben. Auf Verlangen kann der Generalstaatsanwalt solche Fälle an die Ermittler des Sonderermittlungsdienstes weiterleiten (SIS o.D., vgl. USDOS11.3.2020, HRW 14.1.2020). Der NSD und die Polizeichefs berichten direkt an den Premierminister. NSD, SIS, die Polizei und das Untersuchungskomitee unterliegen demzufolge der Kontrolle der zivilen Behörden (USDOS 11.3.2020).
Obwohl das Gesetz von den Gesetzesvollzugsorganen die Erlangung eines Haftbefehls verlangt oder zumindest das Vorliegen eines begründeten Verdachts für die Festnahme, nahmen die Behörden gelegentlich Verdächtige fest oder sperrten diese ein, ohne dass ein Haftbefehl oder ein begründeter Verdacht vorlag. Nach 72 Stunden muss laut Gesetz die Freilassung oder ein richterlicher Haftbefehl erwirkt werden. Angeklagte haben ab dem Zeitpunkt der Verhaftung Anspruch auf Vertretung durch einen Anwalt bzw. Pflichtverteidiger. Die Polizei vermeidet es oft, betroffene Personen über ihre Rechte aufzuklären. Statt Personen formell zu verhaften, werden diese vorgeladen und unter dem Vorwand festgehalten, eher wichtige Zeugen denn Verdächtige zu sein. Hierdurch ist die Polizei in der Lage, Personen zu befragen, ohne dass das Recht auf einen Anwalt eingeräumt wird (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (27.4.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030001/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_27.04.2020.pdf , Zugriff 23.6.2020
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Armenia, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/armenia , Zugriff 16.1.2020
? SIS - Special Investigation Service of Republic of Armenia (o.D.): History http://www.ccc.am/en/1428926241 , Zugriff 24.6.2020
? USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf , Zugriff 13.3.2020
6. Korruption
Letzte Änderung: 02.09.2020
Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen bei behördlicher Korruption vor. Das Land hat eine Hinterlassenschaft der systemischen Korruption in vielen Bereichen. Nach der „Samtenen Revolution“ im Mai 2018 eröffnete die Regierung eine Untersuchung, die die systematische Korruption in den meisten Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens aufdeckte und es wurden zahlreiche Strafverfahren gegen mutmaßliche Korruption durch ehemalige Regierungsbeamte und ihre Angehörigen, Parlamentarier und in einigen Fällen auch durch Angehörige der Justiz und ihre Verwandten und einige wenige derzeitige Regierungsbeamte eingeleitet. 2018 machte die Regierung die Korruptionsbekämpfung zu einer ihrer obersten Prioritäten und setzte ihre Maßnahmen zur Beseitigung der Korruption im Laufe des Jahres fort. Obwohl Spitzenbeamte die „Ausrottung der Korruption“ im Land ankündigten, stellten lokale Beobachter fest, dass Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung einer weiteren Institutionalisierung bedürfen (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020, SWP 5.2020).
Die Regierung unternimmt Schritte, die Antikorruptionsmechanismen des Landes zu stärken. Im Oktober 2019 veröffentlichte sie einen Drei-Jahres-Aktionsplan, der die Schaffung eines neuen Antikorruptionsausschusses bis 2021 vorsieht. Die Regierung plant auch, die bestehende Kommission zur Korruptionsprävention zu stärken (FH 4.3.2020; vgl. SWP 5.2020).
Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2019 von Transparency International belegte Armenien mit 44 Punkten Rang 77 von 180 untersuchten Ländern (TI 23.1.2020), im Vergleich zum Vorjahr mit 35 Punkten und Rang 105 von 180 Staaten (TI 2018).
Quellen:
? FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Armenia, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2020 , Zugriff 24.4.2020
? SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (5.2020): Korruption und Korruptionsbekämpfung im Südkaukasus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2020S08_suedkaukasus.pdf , Zugriff 12.6.2020
? TI - Transparency International (2018): Corruption Perceptions Index 2018, https://www.transparency.org/country/ARM , Zugriff 29.3.2019
? TI - Transparency International (23.1.2020): Corruption Perceptions Index 2019 – Full Data Set,https://files.transparency.org/content/download/2450/14822/file/2019_CPI_FULLDATA.zip , Zugriff 11.2.2020
? USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf , Zugriff 13.3.2020
7. NGOs und Menschrechtsaktvisten
Letzte Änderung: 02.09.2020
Die Zivilgesellschaft ist in Armenien aktiv und weitgehend in der Lage, frei zu agieren. Das Gesetz über öffentliche Unternehmen und das Stiftungsrecht wurden kürzlich mit einer Reihe positiver Änderungen verabschiedet, darunter die Möglichkeit, direkt einkommensschaffende oder unternehmerische Aktivitäten durchzuführen; weiters die Möglichkeit von Freiwilligenarbeit sowie die Möglichkeit für Umweltorganisationen, die Interessen ihrer Mitglieder in Umweltfragen vor Gerichten zu vertreten. Es gibt jedoch noch eine Reihe von Herausforderungen. Zum Beispiel die gesetzlichen Bestimmungen in Bezug auf Steuerverpflichtungen im Zusammenhang mit der Erzielung von Einnahmen, das Fehlen klarer Regeln für den Zugang zu öffentlichen Mitteln sowie klarer Regelung für die Verwendung privater Daten. Einschränkungen gibt es für zivilgesellschaftliche Organisationen, die mit sensiblen Themen wie den Rechten von Minderheiten und einigen Gender-spezifischen Fragen arbeiten (OHCHR 16.11.2018). Nichtregierungsorganisationen (NGOs) fehlen lokale Mittel und sind weitgehend auf ausländische Geber angewiesen (FH 4.3.2020).
Trotz der Einschränkungen war die Zivilgesellschaft bei den Protesten im Jahr 2018 aktiv und wurde im Jahr 2019 aktive Teilnehmerin an den von der Regierung geführten Reformbemühungen, insbesondere im Bereich der Wahlreform. Armenische NGOs machen seither bedeutende Fortschritte bei der Stärkung ihrer organisatorischen Kapazitäten und operieren mit weniger Einmischung der Behörden (FH 4.3.2020).
Quellen:
? FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Armenia, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2020 , Zugriff 24.4.2020
? OHCHR – UN Office of the High Commissioner for Human Rights (16.11.2018): Statement by the United Nations Special Rapporteur on the rights to freedom of peaceful assembly and of association, Clément Nyaletsossi VOULE, at the conclusion of his visit to the Republic of Armenia, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=23882&LangID=E , Zugriff 29.3.2019
8. Ombudsperson
Letzte Änderung: 02.09.2020
Die vom Parlament gewählte und als unabhängige Institution in der Verfassung verankerte
„Ombudsperson für Menschenrechte“ muss einen schwierigen Spagat zwischen Exekutive und
den Rechtsschutz suchenden Bürgern vollziehen (AA 27.4.2020). Das Büro der Ombudsperson
hat das Mandat, die Menschenrechte und Grundfreiheiten auf allen Regierungsebenen vor
Missbrauch zu schützen. Das Büro verbessert seine Reichweite in den Regionen und die Zusammenarbeit
mit regionalen Menschenrechtsorganisationen. Im Jahr 2019 startete das Büro
eine Kampagne zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Verfahren zur Meldung häuslicher
Gewalt. Das Büro berichtet weiterhin über einen deutlichen Anstieg der Zahl der Bürgerbeschwerden
und Besuche, was zu den gestiegenen Erwartungen und dem Vertrauen der Öffentlichkeit
in die Institution beitrug (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (27.4.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030001/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_27.04.2020.pdf , Zugriff 23.6.2020
? USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf , Zugriff 13.3.2020
9. Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 28.09.2020
Die Verfassung enthält einen ausführlichen Grundrechtsteil modernen Zuschnitts, der auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte mit einschließt. Durch Verfassungsänderungen im Jahr 2015 wurde der Grundrechtekatalog noch einmal erheblich ausgebaut. Ein Teil der Grundrechte können im Ausnahmezustand oder im Kriegsrecht zeitweise ausgesetzt oder mit Restriktionen belegt werden. Gemäß Verfassung ist der Kern der Bestimmungen über Grundrechte und –freiheiten unantastbar. Extralegale Tötungen, Fälle von Verschwindenlassen, unmenschliche, erniedrigende oder extrem unverhältnismäßige Strafen, übermäßig lang andauernde Haft ohne Anklage oder Urteil bzw. Verurteilungen wegen konstruierter oder vorgeschobener Straftaten sind nicht bekannt (AA 27.4.2020).
Zu den bedeutendsten Menschenrechtsverletzungen gehören: Folter; willkürliche Inhaftierung, wenn auch mit weniger Berichten; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; Gewalt oder die Androhung von Gewalt gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender oder intersexuelle Personen (LGBTI) und der Einsatz von erzwungener oder obligatorischer Kinderarbeit (USDOS 11.3.2020, vgl. HRW 14.1.2020). Die Regierung unternimmt Schritte zur Untersuchung und Ahndung von Missbrauch gegen aktuelle und ehemalige Beamte und Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020).
Die Regierung Armeniens erfüllt die Mindeststandards für die Beseitigung des Menschenhandels nicht vollständig, unternimmt aber erhebliche Anstrengungen, um dies zu erreichen. Sie nahm Gesetzesänderungen und Verordnungen zur Stärkung der Gesundheits- und Arbeitsaufsichtsbehörde vor und führte Schulungen für Strafverfolgungsbeamte durch. Die Behörden erhöhten die Zahl der Ermittlungen und Strafverfolgungen, und die Kommission zur Identifizierung von Opfern funktionierte weiterhin gut. Die Regierung hat seit 2014 keine Verurteilung wegen Zwangsarbeit mehr erhalten. Es fehlt an proaktiven Identifizierungsbemühungen, wie z.B. Standardindikatoren zur Überprüfung gefährdeter Bevölkerungsgruppen. Die Opfer von Menschenhandel sahen sich, wie die Opfer anderer Verbrechen, mit einem eingeschränkten Zugang zur Justiz konfrontiert, u.a. aufgrund fehlender opferorientierter Verfahren und formeller Maßnahmen zum Schutz der Opfer und Zeugen (USDOS 25.6.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (27.4.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030001/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_27.04.2020.pdf , Zugriff 23.6.2020
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Armenia, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/armenia , Zugriff 16.1.2020
? USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf , Zugriff 13.3.2020
? USDOS – US Department of State (25.6.2020): 2020 Trafficking in Persons Report: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2036210.html , Zugriff 28.9.2020
10.Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 02.09.2020
Die Religionsfreiheit ist verfassungsrechtlich garantiert und darf nur durch Gesetze und nur soweit eingeschränkt werden, wie dies für den Schutz der staatlichen und öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral notwendig ist. Gemäß Verfassung wird zudem die Freiheit der Tätigkeit von religiösen Organisationen garantiert. Es gibt keine verlässlichen Angaben zum Anteil religiöser Minderheiten an der Gesamtbevölkerung; Schätzungen zufolge machen sie weniger als 5% aus. Auch in den 2015 beschlossenen Verfassungsänderungen genießt die Armenisch-Apostolische Kirche (AAK) nach wie vor Privilegien, die anderen Religionsgemeinschaften nicht zuerkannt werden (Zulässigkeit der Eröffnung von Schulen, Herausgabe kirchengeschichtlicher Lehrbücher, Steuervorteile u. a. bei Importen, Wehrdienstbefreiung von Geistlichen, Kirchenbau). Religionsgemeinschaften sind nicht verpflichtet, sich registrieren zu lassen. Religiöse Organisationen mit mindestens 200 Anhängern können sich jedoch amtlich registrieren lassen und dürfen dann Zeitungen und Zeitschriften mit einer Auflage von mehr als 1.000 Exemplaren veröffentlichen, regierungseigene Gelände nutzen, Fernseh- oder Radioprogramme senden und als Organisation Besucher aus dem Ausland einladen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Religionsgemeinschaften die Registrierung verweigert wurde bzw. wird. Bekehrungen durch religiöse Minderheiten sind zwar gesetzlich verboten; missionarisch aktive Glaubensgemeinschaften wie die Zeugen Jehovas oder die Mormonen sind jedoch tätig und werden staatlich nicht behindert. Dies wird von offiziellen Vertretern der Zeugen Jehovas bestätigt (AA 27.4.2020).
In Artikel 18 der Verfassung wird die Armenische Apostolische Kirche als „Nationalkirche“ anerkannt, die für die Erhaltung der armenischen nationalen Identität verantwortlich ist. Religiöse Minderheiten haben in der Vergangenheit über Diskriminierung berichtet und einige hatten Schwierigkeiten, Genehmigungen für den Bau von Gotteshäusern zu erhalten (FH 4.3.2020). Mitglieder religiöser Minderheiten werden bei der Beschäftigung im öffentlichen Dienst benachteiligt (USDOS 11.3.2020).
Menschenrechtsaktivisten äußerten weiterhin ihre Besorgnis über die Zustimmung der Regierung, dass die AAK am Unterricht an Schulen mitwirkt und die Zugehörigkeit zur AAK mit der nationalen Identität oft gleichsetzt wird, was die staatliche und gesellschaftliche Diskriminierung anderer religiöser Organisationen verstärkt (USDOS 10.6.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (27.4.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030001/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_27.04.2020.pdf , Zugriff 23.6.2020
? FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Armenia, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2020 , Zugriff 24.4.2020
? USDOS – U.S. Department of State (10.6.2020): Armenia 2019 International Religious Freedom Report, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/06/ARMENIA-2019-INTERNATIONALRELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf , Zugriff 24.6.2020
? USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf , Zugriff 13.3.2020
11. Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 02.09.2020
Die gesetzlich garantierte Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung werden generell respektiert (USDOS 11.3.2020, vgl. FH 4.3.2020).
Aufgrund des zentralistischen Staatsaufbaus und der geringen territorialen Ausdehnung gibt es kaum Ausweichmöglichkeiten gegenüber zentralen Behörden. Bei Problemen mit lokalen Behörden oder mit Dritten kann jedoch ein Umzug Abhilfe schaffen (AA 27.4.2020).
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hat Armenien die Einreise von Personen untersagt, die weder Staatsbürger Armeniens noch Familienangehörige eines Staatsbürgers oder rechtmäßige Bewohner Armeniens sind. Reisende, denen die Einreise nach Armenien gestattet ist, müssen sich 14 Tage lang in Selbstquarantäne begeben. Georgien und Armenien haben bilateral ihre Landgrenze bis auf weiteres geschlossen. Staatsbürger Armeniens oder Georgiens dürfen in ihre jeweiligen Länder zurückkehren. Ebenso ist die Grenze zwischen dem Iran und Armenien für die meisten Reisenden geschlossen (USEMB 23.4.2020; vgl. Gov.am o.D.). Eine landesweite Ausgangssperre wurde am 16.3.2020 ausgerufen, alle Personen mussten Deklarationsformulare und Ausweise stets bei sich tragen (Garda 31.3.2020; vgl. USEMB 23.4.2020). Verstöße gegen die Quarantänebestimmungen und Ausgangsbeschränkungen waren gesetzlich strafbar (USEMB 23.4.2020; vgl. Gov.am o.D.). Die Bestimmungen wurden jedoch häufig nicht eingehalten und nicht durchgesetzt (ChH 4.6.2020; vgl. TASS 4.6.2020). Bis Anfang Mai 2020 wurden die meisten Beschränkungen wieder aufgehoben (RFE/RL 2.6.2020; vgl. EN 3.6.2020, TASS 4.6.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (27.4.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030001/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_27.04.2020.pdf , Zugriff 23.6.2020
? ChH – Chatham House (4.6.2020): South Caucasus States Set to Diverge Further due to COVID-19, https://www.chathamhouse.org/expert/comment/south-caucasus-states-set-diverge-further-due-covid-19 , Zugriff 5.6.2020
? FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Armenia, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2020 , Zugriff 24.4.2020
? Garda World (31.3.2020): Armenia: Government extends emergency restrictions due to COVID-19 March 31 – April 10 /update 6, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/327866/armenia-government-extends-emergency-restrictions-due-to-covid-19-march-31-april-10-update-6 , Zugriff 24.4.2020
? Gov.am – The Government of the Republic of Armenia (o.D.): COVID-19 Travel restrictions, https: //www.gov.am/en/covid-travel-restrictions/ , Zugriff 24.4.2020
?