Entscheidungsdatum
28.10.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W119 2199592-1/22E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Armenien, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.6.2018, Zahl: 356022901 - 160703656/BMI-EAST_OST, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 Abs. 1 Z 3, 15b, Abs. 1, 57 AsylG, § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 und Abs. 9, 53 Abs. 1 und 2 FPG als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 55 Abs. 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Armenien, gelangte zusammen mit seiner Gattin (GZ W119 2199595) und dem gemeinsamen minderjährigen Sohn (GZ W119 2199594) im Juni 2012 über die Slowakei, wo er um die Gewährung internationalen Schutzes ansuchte, illegal in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten. In weiterer Folge begab er sich nach Österreich und suchte am 24.7.2012 um Asyl an.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.9.2012 wurde dieser Asylantrag gemäß § 5 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 in die Slowakei ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des damals zuständigen Asylgerichtshofes vom 2.10.2012 gemäß §§ 5 und 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen und der Beschwerdeführer am 28.10.2012 in die Slowakei überstellt.
Nach etwa fünfstündigem Aufenthalt kehrte der Beschwerdeführer mit seinen Angehörigen am selben Tag ins österreichische Bundesgebiet zurück. Sie suchten jedoch nicht um Asyl an, sondern begaben sich in eine Flüchtlingsunterkunft einer NGO, wo sie weitere neun Monate verbrachten, ohne behördlich gemeldet zu sein. Eine Meldung erfolgte am 5.6.2013
Am 20.8.2014 stellte der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Ehefrau und dem Sohn erneut einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde dieser Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass die Slowakei für die Prüfung gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung in die Slowakei gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 11.5.2015, GZ W192 1308402-4/2E, gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet ab und stellte gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 BFA-VG fest, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig gewesen war.
Am 25.4.2018 stellte der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Ehefrau und dem Sohn den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.
Anlässlich seiner niederschriftlichen Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag erklärte der Beschwerdeführer im Wesentlichen, armenischer Staatsangehöriger, in Jerewan geboren und verheiratet zu sein. Er gehöre dem christlichen Glauben und der armenischen Volksgruppe an. Seine Muttersprache sei Armenisch, er spreche auch Russisch. In der Heimat habe er zehn Jahre die Grundschule besucht und sei zuletzt Lkw-Fahrer gewesen. Seine Mutter und die Schwester lebten in Armenien, der Vater sei verstorben.
Zu seinem Fluchtgrund brachte er folgendes vor:
„Ich bin mit meiner Familie freiwillig in mein Heimatland zurückgekehrt. Nach einem Monat meiner Rückkehr habe ich meinen armenischen Führerschein bekommen und fuhr für ein Sammeltaxi. Das Fahrzeug gehörte einem Bekannten, namens XXXX . Wir haben einen Unfall gehabt und XXXX ist bei dem Unfall gestorben. Ich habe den Unfallgegner gesehen und hab mit ihm einen Streit begonnen. Danach wurde ich ins Spital gebracht. In weiterer Folge wurde ein Mann zwecks Gegenüberstellung ins Spital gebracht, der angeblich der Unfallgegner war. Das hat aber nicht gestimmt. Ich habe meinen Unfallgegner erkannt und wusste dass dieser der Sohn des Bruders des Präsidenten war. Es handelt sich um Vaik, Familienname unbekannt.
Offensichtlich wollten sie den „echten“ Unfallgegner schützen und es kam stattdessen eine fremde Person. Ich wurde zur Polizeistation gebracht und aufgefordert zu unterschreiben, dass der Unfallgegner ein ganz ein anderer war. Ich habe mich geweigert, das zu unterschreiben. Dann wurde ich von den Polizisten mit dem Leben bedroht, wenn ich angeben werde, dass es der Sohn des Bruders des Präsidenten war, der den Unfallwagen gelenkt hat.
Ich habe alle Gründe, welcher zu meiner Flucht dienen genannt, es liegen keine weiteren Gründe vor.“
Am 1.6.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen und erklärte im Wesentlichen zunächst, seine Dokumente auf der Reise nach Österreich in Moskau verloren zu haben. Er sei armenischer Staatsangehöriger, in Jerewan geboren und habe dort zuletzt auch gemeinsam mit seiner Frau und seinem Sohn sechs bis sieben Monate bis zur Ausreise in einem Mietshaus gelebt.
Bis Dezember 1997 sei er in seinem Elternhaus in Jerewan wohnhaft gewesen, dann in das Haus seines Vaters übersiedelt, immer wieder arbeitsbedingt für zwei bis drei Monate nach Russland gefahren und wieder nach Armenien zurückgekehrt. 2012 sei er nach Österreich gekommen und 2017 abgeschoben worden.
Seine jetzige Partnerin habe er vor zehn Jahren kennengelernt, sie hätten einen gemeinsamen Sohn, der in XXXX geboren sei. Bereits zuvor sei er von 1996 bis zur Scheidung im Jahre 2001 oder 2002 verheiratet gewesen und es gebe eine Tochter aus dieser Ehe, die sich vermutlich bei ihrer Mutter befinde. Der Beschwerdeführer habe keinen Kontakt mehr zu den beiden.
Er gehöre der Volksgruppe der Armenier und dem armenisch apostolischen Glauben an. In Armenien habe er acht Jahre die Schule besucht und sei Lkw-Fahrer gewesen. Zudem schnitze er Figuren aus Holz, welche er am Flohmarkt verkaufe. Sein Haupteinkommen sei als Lkw-Fahrer gewesen, während seiner Auslandsaufenthalte habe er auf Baustellen gearbeitet. Besitztümer im Heimatland habe er keine, seine dortige finanzielle Situation sei mittelmäßig gewesen.
Derzeit sei ihm von einer NGO eine Wohnung zur Verfügung gestellt wurden und er verkaufe diverse Sachen am Flohmarkt. Barmittel oder Erspartes habe er nicht.
Ausdrücklich erklärte er, dass im Herkunftsland kein offizieller Haftbefehl gegen ihn bestehe.
Zu seinem Fluchtgrund brachte er folgendes vor:
„Ich möchte anmerken, dass ich Probleme mit Zeitangaben habe. Als ich im Juni 2016 nach Armenien zurückgekehrt bin, habe ich 2 Monate später angefangen, als Taxifahrer zu arbeiten. Das Auto gehörte einem Freund von mir. Wenn wir Aufträge für weite Strecken bekommen haben hat er mich angerufen und wir sind zu zweit gefahren. Am 18. Oder 19. Juli 2016 gab es einen Autounfall. Mein Freund ist gefahren. Ich war am Beifahrersitz. Der Fahrgast war bereits ausgestiegen, das war bereits auf dem Rückweg. Es war ein Gasauto. 200 Meter von einer Tankstelle entfernt blieb das Auto stehen. Er ging zu Fuß zur Tankstelle und hat einen Benzinkanister mitgebracht. Er hat den Benzin in das Auto gegossen. Ich stand auf der rechten und er auf der linken Seite des Autos, da kam ein Auto mit einer enormen Geschwindigkeit und prallte auf unser Auto. Ich flog auf die Seite und er mindestens 20 Meter auf die andere Seite und schlug mit dem Kopf gegen den Beton. Die Passanten haben sich um uns versammelt. Es waren ca. 15 bis 20 Personen. Irgendwie konnte ich aufstehen und ging zu dem Jeep, welcher auf uns geprallt war. Der Fahrer saß noch am Fahrersitz, er hatte ein weißes Unterleibchen an und war stark betrunken. Ich erkannte ihn sofort. Er ist Abgeordneter und gleichzeitig der Neffe des Präsidenten XXXX . Ich fragte den Fahrer mit lauter Stimme, was er da angerichtet hat und ging zu meinem Freund. Er war bewusstlos, er wurde mit der Rettung ins Krankenhaus in XXXX eingeliefert. Ich bin mitgefahren. Als ich aus Behandlungsraum hinausgegangen war, sah am Gang im Krankenhaus mehrere Angehörige und Verwandte von meinem Freund. Auch Bekannte von dem Unfallgegner waren dort. Das habe ich erst im Nachhinein erfahren. Sie wollten sich erkundigen ob mein Freund noch am Leben oder verstorben ist. Die Polizei hat mich noch im Krankenhaus als Zeuge befragt. Sie haben meine Telefonnummer genommen und mir gesagt, dass Sie Kontakt aufnehmen werden. Ich wurde am nächsten Tag von der Polizei angerufen und musste zur Dienststelle kommen. Ein Inspektor sagte dort zu mir, dass Sie mir eine Person nennen würden und mir ein Foto zeigen würden und ich sollte diese Person als Fahrer des Unfallgegners bestätigen. Meine Probleme haben zu diesem Zeitpunkt begonnen. Ich habe ihm nicht widersprochen, wir haben uns ausgemacht, dass sich der Polizist bei mir melden wird. Ich wurde einige Male von der Polizei angerufen und vorgeladen. Ich habe jedes Mal einen Vorwand befunden und bin nicht hingegangen. Ich habe die Polizei vertröstet. Anschließend kamen manchmal Autos und sind ganz langsam um mich herumgefahren. Das waren Warnungen. Meine Frau wurde auf der Straße von einem Auto aus angesprochen. Sie haben ihr gesagt, dass sie mir ausrichten solle, dass ich mich an das Abgemachte halten solle. Ich hatte panische Angst, weil von diesem Menschen große Gefahr ausgehen kann. Am Tag des Unfalles näherte sich im Krankenhaus eine Journalistin mit dem Namen […]. Ich habe ihr auch alles erzählt. Sie hatte mir an diesem Tag ihre Telefonnummer gegeben und ich sollte mich mit ihr in Verbindung setzten, weil sie als Berichterstatterin bei Unfällen zuständig sei. Nach diesen Drohungen habe ich die Journalistin angerufen. Ich habe Ihr alles erzählt, was die Polizei von mir verlangt hatte. Ich sagte zu Ihr, dass ich es niemals tun würde eine andere Person als Fahrer anzuzeigen. Am 18. Juli …. Ich kann mich an den genauen Tag nicht erinnern. Ich glaube am 18. oder 19. Juli kamen zwei uniformierte Polizisten und nahmen mich mit. Sie brachten mich zur Polizeidienststelle. Ich wurde in einen Raum gebracht und es kamen 2 Männer in ziviler Kleidung in den Raum und haben mich gezwungen einen anderen Mann als Fahrer zu bestätigen. Sie haben mich geschlagen, weil ich dies nicht tun wollte. Sie haben mich mit dem Umbringen bedroht, wenn ich die Anzeige nicht in Ihrem Sinne machen würde. Sie haben mich erniedrigt, beleidigt und geschlagen. Danach ließen Sie mich frei und haben mir 1 bis 2 Tage zum Überlegen gegeben. Ich ging nach der Freilassung direkt zu der Journalistin und habe ihr alles erzählt. Sie hat mir versprochen einen Artikel über diesen Fall zu schreiben. Sie hat mir aber geraten, aus Armenien auszureisen.
Unsere gesamte Reise hat sie organisiert und wir konnten Armenien dank dieser Frau verlassen und in Österreich einreisen. Wir haben Österreich als Zielland vorgezogen, weil wir schon einmal hier gewesen sind.“
Nachdem er von der Polizei entlassen worden sei, habe er sehr starke seelische, aber keine körperlichen Verletzungen gehabt. Sein Freund sei am zweiten Tag nach dem Unfall gestorben. Der Unfall habe sich unter einer Brücke im Stadtteil XXXX ereignet, es seien 15 bis 20 Personen anwesend gewesen.
Dies seien alle Fluchtgründe, es bestünde Lebensgefahr.
Der Beschwerdeführer und seine Angehörigen lebten seit Jahren in Österreich und hätten sich sehr integriert. Sein Sohn gehe hier in die Schule und beherrsche die deutsche Sprache. Zurzeit würden sie von einer NGO unterstützt, da das Verfahren zugelassen worden sei, würden sie in Kürze Grundversorgung erhalten. Weitere Verwandte, außer seiner Gattin und seinem Sohn, gebe es im Bundesgebiet nicht. Der Beschwerdeführer besuche zwei Kurse und sei ehrenamtlich bei einer Firma tätig. Er schnitze Gegenstände aus Holz und bringe seinen Sohn zum Sport.
Mit Verfahrensanordnung gemäß § 15b AsylG iVm § 7 Abs. 1 VwGVG wurde dem Beschwerdeführer in weiterer Folge am 1.6.2018 mitgeteilt, dass er ab dem 4.6.2018 in einem näher genannten Quartier durchgehend Unterkunft zu nehmen habe. Das Bundesamt werde im verfahrensabschließenden Bescheid über die Anordnung der Unterkunftnahme absprechen.
Mit gegenständlichem Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Armenien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Gemäß § 15b Abs. 1 AsylG wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, ab 4.6.2018 und einem näher genannten Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VII.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VIII.).
Dagegen wurde Beschwerde in vollem Umfang erhoben.
Mit Beschluss vom 6.7.2018, GZ L526 2199592-1/6Z, erkannte das Bundesverwaltungsgericht dieser Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zu.
Am 28.9.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Armenisch eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, zu der das Bundesamt als Verfahrenspartei nicht erschienen ist.
Dabei wurden zunächst folgende Unterlagen vorgelegt:
einige Unterstützungsschreiben für den Beschwerdeführer und seine Angehörigen, Schreiben des Flüchtlingsprojekts Ute Bock von 2014 und von 2020, Einstellungszusage, Schulbestätigung für den Sohn, Schulzeugnisse des Sohnes, Arbeitszeugnis für die Gattin des Beschwerdeführers, Untermietvertrag von Ute Bock.
Der Beschwerdeführer brachte im Wesentlichen vor, in Armenien acht Jahre lang die Schule besucht, beim Bundesheer gedient und sehr früh geheiratet zu haben. Diese Ehe sei nicht so erfolgreich gewesen, er habe aus dieser jedoch zwei Töchter, mit denen er telefoniere. Der Beschwerdeführer sei LKW-Fahrer und deswegen immer unterwegs gewesen. Dann habe er seine jetzige Ehefrau geheiratet, sie hätten Armenien verlassen und seien im Jahr 2012 nach Österreich gekommen. Weil sie durch die Slowakei eingereist seien, hätten sie wieder zurückkehren müssen, seien in die Slowakei abgeschoben worden und nach 20 Tagen wieder nach Österreich eingereist, damit ihr Sohn die Schule besuchen könne.
Der Beschwerdeführer sei Maler, Künstler, stelle Vasen sowie Lampenschirme und Mosaike her. Er habe sehr gute Freunde in Österreich gefunden. Sein Kind sei hier im Kindergarten gewesen und besuche nun die Schule.
Im Bundesgebiet befinde sich seit vier oder fünf Jahren die Schwester des Beschwerdeführers mit ihrer Familie, seine Mutter lebe in Armenien, ebenso wie eine Tante, sie telefonierten ständig, mittlerweile auch wieder mit seiner Mutter. Auch die beiden Töchter seien in der Heimat. Dass beim Bundesamt nur eine Tochter protokolliert worden sei, sei ein Fehler.
Ausdrücklich erklärte der Beschwerdeführer, keine gesundheitlichen Probleme zu haben, alles sei in Ordnung. Seine früher angegebenen Beschwerden seien vergangen.
Der Beschwerdeführer sei vor 16 Jahren alleine in Österreich gewesen und von Österreich wieder nach Armenien gefahren.
Sein Sohn sei in XXXX geboren worden und der Beschwerdeführer habe dort auch seine Gattin geheiratet. Als der Sohn zwei Jahre alt gewesen sei, sei die Familie von XXXX über Armenien, die Ukraine und die Slowakei nach Österreich gekommen. Von Traiskirchen aus seien sie in die Slowakei zurückgeschickt wurden, hätten dort einen Bus genommen und seien mit einem Taxi nach Wien gereist, wo sie bei Ute Bock gelebt hätten. Abgesehen davon, dass die Familie immer wieder in die Slowakei zurückgeschoben worden sei, hätten sie sich bis 2017 ständig in Österreich aufgehalten.
2017 seien sie nach Armenien zurückgereist, hätten dort sieben Monate lang gelebt und seien dann nach Österreich zurückgekehrt. Da diese Dublin Regelung nicht mehr gültig gewesen sei, habe die Familie die weißen Karten bekommen.
Grund für die Rückkehr nach Österreich im Jahr 2017 sei ein Autounfall gewesen. Der Beschwerdeführer wäre mit seinem Auto auf der rechten, das andere Auto auf der linken Seite gestanden. Es habe einen Unfall gegeben und sein Auto sei auf der Seite beschädigt worden, auf der sein Freund gesessen sei. Letzterer sei einige Meter weggeschleudert und getötet worden. Als dann Menschen herumgestanden seien, habe der Beschwerdeführer den Fahrer des anderen Autos erkannt, er wäre betrunken gewesen und gehörte zur Familie des Expräsidenten. Man hätte ihn mit jemandem austauschen wollen, damit nicht herauskomme, dass er betrunken gefahren sei. Da der Beschwerdeführer bei den Befragungen immer die Wahrheit gesagt habe, habe man versucht, ihn mit einem anderen Foto umzustimmen, damit er erkläre, dass er jemand anderen gesehen hätte. Soweit er wisse, habe diese Person (der Unfallgegner) keinen Beruf. Vorgehalten, beim Bundesamt habe er angegeben, er wäre Abgeordneter gewesen, verneinte der Beschwerdeführer dies, der Onkel wäre Parlamentarier. Seine weiteren Angaben vor der Behörde vorgehalten, wonach der Onkel Präsident gewesen sei, antwortete der Beschwerdeführer, er wäre der Sohn des Bruders des Präsidenten.
Nach dem Unfall habe man seinen verletzten Freund ins Spital gebracht, der Beschwerdeführer sei mit einem anderen Auto dorthingekommen. Auf Vorhalt, er habe vor der Behörde erklärt, in der Rettung mit seinem Freund mitgefahren zu sein, erwiderte der Beschwerdeführer, er erinnere sich nicht genau.
Nachgefragt, was im Spital passiert sei, antwortete der Beschwerdeführer, die Nachricht wäre überall verbreitet worden. Ob er schon dort gebeten worden sei, eine andere Person als Unfalllenker zu identifizieren, wisse er nicht mehr. Nachgefragt, wann er das erste Mal zu dieser Falschaussage aufgefordert worden wäre, brachte der Beschwerdeführer vor, es habe ein paar Male gegeben. Entweder hätten sie ihn schon zum ersten Mal im Spital dazu aufgefordert, oder erst am nächsten Tag. Kurz darauf erklärte er, es wäre schon jemand von diesen Menschen zu ihm ins Spital gekommen. Diese Menschen habe er nicht gekannt, einer von denen habe sich als Polizeimitarbeiter vorgestellt. Man hätte ihn aufgefordert, seine Aussage so zu konstruieren, dass es ein anderer Unfalllenker gewesen sei. Er sei zu ihm gekommen, um ihn aufzufordern, aber es seien noch andere Personen dabei gewesen. Der Beschwerdeführer habe zugesagt, es so zu machen, sei jedoch nicht hingegangen. Nachgefragt, wohin er hätte gehen sollen, erklärte er, er hätte sie aufsuchen sollen, um eine schriftliche Aussage zu machen. Man habe ihm eine Adresse gegeben, er vermute, dass es sich um eine Polizeidienststelle handele. Einmal sei er zur Polizei gebracht worden, wo man ihm gesagt habe, wenn er seine Aussage nicht abändere, „würde dies oder jenes passieren“. Der letzte Vorfall sei gewesen, dass seine Frau mitgenommen worden wäre. Nach diesem Vorfall seien sie abgereist.
Der Beschwerdeführer könne sich nicht daran erinnern, wann er zur Polizei gebracht worden sei. Dort hätte man ihn unter Druck gesetzt und gesagt, er solle erklären „dass es so war und nicht anders“. Nachgefragt was dann passiert wäre, antwortete der Beschwerdeführer, das andere hätte seine Frau betroffen. Vorgehalten dass er beim Bundesamt angegeben habe, er wäre in der Polizeidienststelle geschlagen, mit dem Umbringen bedroht und erniedrigt worden, bejahte er, man hätte ihn unter Druck gesetzt.
Weiters vorgehalten, er habe bei der Behörde erklärt, dass dieser Unfall im Juli 2016 passiert sei und nun, er wäre erst 2017 nach Österreich gereist, antwortete der Beschwerdeführer, er wisse nicht wie diese Zahlenunterschiede passiert seien.
Eine Journalistin habe ihnen bei der Ausreise geholfen, sie habe wahrscheinlich von dieser Geschichte erfahren, er wisse nicht, woher. Vorgehalten, der Beschwerdeführer habe vor der Behörde ausgesagt, die Journalistin bereits am Tag des Unfalles kennengelernt und ihr dort alles berichtet zu haben, bejahte der Beschwerdeführer dies, soweit er sich erinnere, wäre sie am nächsten Tag im Spital gewesen.
Sein Freund sei einige Tage nach dem Unfall im Spital gestorben.
Im Bundesgebiet arbeite der Beschwerdeführer als Freiwilliger, indem er seiner künstlerischen Passion nachgehe. Weil sein Leben jetzt ein bisschen ruhiger geworden sei, verbringe er viel Zeit bei der XXXX , danach übe er seine künstlerische Tätigkeit aus. Seine Deutschkursbestätigungen wären wahrscheinlich zu Hause. Der Beschwerdeführer habe österreichische Freunde.
Nachgefragt, was noch für seine Integration in Österreich spreche, antwortete der Beschwerdeführer, sie lehrten ihr Kind, dass es so leben müsse, wie die Österreicher hier. Sie verbrächten viel Zeit mit dem Zeugen, ihre Familien seien befreundet und Letzterer habe bezüglich der Einstellungszusage geholfen, der Arbeitgeber sei sein Freund. Zu seiner Schwester hätten sie täglich Kontakt, ihr Haus befinde sich ca. 120 m entfernt.
Das Kind gehe morgens in die Schule, vor der Corona Zeit habe der Sohn auch Taekwondo besucht und den ersten Platz bei einem Wettbewerb gemacht. Er habe viele Freunde, spreche nicht so gut, aber schon normal Armenisch.
Im Rahmen der Verhandlung wurde ein Freund der Familie als Zeuge einvernommen. Dieser gab an, die Familie 2015 oder 2016 als Deutschlehrer in der XXXX kennengelernt zu haben und mit ihr freundschaftlich verbunden zu sein. Es habe wechselseitige Einladungen gegeben, der Sohn könne unter schwierigen Bedingungen eine solide Schulausbildung absolvieren. Das Kind wäre ein wiffer Österreicher und es imponierte dem Zeugen, dass sie unter schwierigen Bedingungen zusammenhielten. Er selbst habe versucht, über persönliche Beziehungen die Einstellungszusagen der Eltern zu erreichen und sei bei den Vorstellungsgesprächen dabei gewesen.
Die Deutschkenntnisse der Familie seien erbärmlich, könnten aber in jenen Bereichen, in denen sie eine Arbeit annehmen könnten, als ausreichend angesehen werden. Sie verstünden die deutsche Sprache.
Am 11.10.2021 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme zu den ausgehändigten Länderinformationen ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Einvernahmen vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamts sowie der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 28.9.2021, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid, der im Verfahren vorgelegten Schriftsätze sowie der Einsichtnahme in die Verwaltungs- und Gerichtsakten, das österreichische Strafregister sowie das Zentrale Melderegister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Armeniens, gehört der Volksgruppe der Armenier und dem armenisch apostolischen Glauben an. Er stammt aus Jerewan.
Erstmals hatte er am 28.11.2005 einen Asylantrag im Bundesgebiet gestellt, der am 4.10.2006 (rechtskräftig am 24.10.2006) abgewiesen worden war. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer ausgewiesen und von der Bundespolizeidirektion Graz ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Rückkehrverbot gegen ihn erlassen, welches am 15.2.2007 von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark auf fünf Jahre herabgesetzt wurde. Am 16.11.2006 stellte der Beschwerdeführer im Stande der Schubhaft erneut einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid vom 15.2.2007 zurückgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Berufung wies der Unabhängige Bundesasylsenat am 20.2.2007 ab.
Am 4.9.2007 wurde der Beschwerdeführer auf dem Luftweg nach Armenien abgeschoben
Er gelangte im Juni 2012 über die Slowakei, wo er um die Gewährung internationalen Schutzes ansuchte, neuerlich illegal in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten. In weiterer Folge begab er sich nach Österreich und suchte am 24.7.2012 um Asyl an. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.9.2012 wurde dieser Asylantrag gemäß § 5 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 in die Slowakei ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des damals zuständigen Asylgerichtshofes vom 2.10.2012 gemäß §§ 5 und 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen und der Beschwerdeführer am 28.10.2012 in die Slowakei überstellt.
Nach etwa fünfstündigem Aufenthalt kehrte der Beschwerdeführer am selben Tag ins österreichische Bundesgebiet zurück, suchte jedoch nicht um Asyl an, sondern begab sich in eine Flüchtlingsunterkunft einer NGO, wo er weitere neun Monate verbrachte, ohne behördlich gemeldet zu sein. Eine Meldung erfolgte am 5.6.2013.
Am 20.8.2014 stellte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Mit Bescheid des Bundesamtes wurde dieser Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass die Slowakei für die Prüfung gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung in die Slowakei gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.). Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 11.5.2015, GZ W192 1308402-4/2E, gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet ab und stellte gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 BFA-VG fest, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig gewesen war.
Am 25.4.2018 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.
Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen gesunden, arbeits- und leistungsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf. Er gehört keiner Covid 19-Risikogruppe an.
Er hat eine abgeschlossene heimatliche Schulbildung und war zuletzt als LKW-Fahrer tätig. Während seiner Aufenthalte ua. in der Russischen Föderation arbeitete er auf Baustellen. Zudem stellte er Kunstgegenstände zum Verkauf her.
Seine Mutter und eine Tante leben noch in Armenien, ebenso wie seine beiden Töchter aus erster Ehe. Der Beschwerdeführer steht mit seinen Angehörigen in der Heimat in ständigem Kontakt.
Der Beschwerdeführer konnte sein Fluchtvorbringen nicht glaubhaft machen, er ist in der Heimat nicht von Verfolgung bedroht. Armenien gilt zudem als sicherer Herkunftsstaat im Sinne der Verordnung der Bundesregierung, mit der Staaten als sichere Herkunftsstaaten festgelegt werden (Herkunftsstaaten-Verordnung – HStV).
Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.
Im Bundesgebiet befinden sich die Gattin (GZ W119 2199595) des Beschwerdeführers und der gemeinsame minderjährige Sohn (GZ W119 2199594), deren Verfahren mit Erkenntnissen des heutigen Tages unter Erlassung von Rückkehrentscheidungen negativ entschieden wurden.
Zudem lebt die Schwester des Beschwerdeführers mit ihrer eigenen Familie in Österreich, eine finanzielle Abhängigkeit oder eine besondere Bindungsintensität zum Beschwerdeführer existiert trotz des vorgebrachten täglichen Kontaktes nicht.
In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über eine Einstellungszusage einer Cateringfirma im Falle der Erteilung eines Aufenthaltstitels. Aus dieser geht jedoch weder hervor, in welcher Funktion und zu welchem Gehalt der Beschwerdeführer aufgenommen werden soll, noch ob die Anstellung befristet, Vollzeit oder Teilzeit geplant ist.
Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet niemals ein legales Einkommen erwirtschaftete und nicht selbsterhaltungsfähig ist. Er bzw. seine Familie ist auf die Unterstützung karitativer Organisationen angewiesen. Der Anordnung der belangten Behörde zur Unterkunftnahme kam die Familie nicht nach, sie ist durchgehend beim Flüchtlingsprojekt Ute Bock gemeldet.
Der Beschwerdeführer konnte keine Deutschkursteilnahmebestätigungen oder positiven Zertifikate vorliegen und bildete sich im Bundesgebiet auch sonst nicht weiter. Er spricht nur wenig Deutsch.
Der Beschwerdeführer konnte im Bundesgebiet soziale Kontakte knüpfen und diverse Unterstützungsschreiben vorlegen. Er ist bei Projekten aktiv.
Der Beschwerdeführer war bereits mit Urteil vom 21.6.2006 (rk am 27.6.2006) im Bundesgebiet wegen §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten verurteilt worden. Die Probezeit wurde auf drei Jahre festgesetzt.
Des Weiteren wurde er mit Urteil vom 7.3.2014, rechtskräftig seit 11.3.2014, wegen strafbarer Handlungen nach §§ 15, 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Wochen verurteilt. Die Probezeit wurde auf drei Jahre festgesetzt.
Im Übrigen werden die Ausführungen im Verfahrensgang der Entscheidung zugrunde gelegt.
Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Armenien, generiert am 9.2.2021, Version 5:
Letzte Änderung: 13.11.2020
Sofern nicht anders angegeben, schließen die Themenbereiche des LIB Armenien die Situation in der separatistischen Entität Bergkarabach (Republik Arzach / Nagorny Karabach), die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört, nicht ein.
1. COVID-19
Letzte Änderung: 09.11.2020
Informationen zur COVID-19-Situation in Armenien werden hauptsächlich in diesem Kapitel ihren Eingang finden. Vereinzelte Informationen finden sich jedoch auch in den nachfolgenden Kapiteln.
Aufgrund der derzeitigen Situation in Armenien (siehe dazu auch die KI vom 28.9.2020 betreffend Berg-Karabach) können daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt aktuelle seriöse Informationen zur COVID-19-Situation nur eingeschränkt zur Verfügung gestellt werden.
Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://ww w.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der John Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/i ndex.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.
Reisewarnung (Sicherheitsstufe 6) aufgrund der gegenwärtigen militärischen Kampfhandlungen um die Region Berg-Karabach und der Verhängung des Kriegsrechts. Zur Eindämmung des Coronavirus (COVID-19) wurde bis vorerst 11.01.2021 ein landesweites „Quarantäne-Regime“ erlassen. Weiterhin gelten die Maskenpflicht in allen öffentlichen Räumen und „Social Distancing“ sowie Hygieneregeln für die Geschäftswelt (BmeiA 9.11.2020).
Am 16. März 2020 rief die Regierung Armeniens den Ausnahmezustand aus, der fünf Mal verlängert wurde und am 11.September 2020 durch die Nationale Quarantäne ersetzt wurde, die nun bis 11.1.2021 gilt.
Armenien ist das am stärksten von COVID-19 betroffene Land im Südkaukasus. Trotz der Notsituation funktionieren fast alle Sektoren der armenischen Wirtschaft wieder, nachdem Unternehmen Anfang Mai wiedereröffnen durften, um den wirtschaftlichen Zusammenbruch abzuwehren.
Das Einreiseverbot in die Republik Armenien für nicht-armenische Staatsbürger vom 17.3.2020 wurde am 12.8.2020 aufgehoben, sofern der Grenzübertritt nicht auf dem Landweg erfolgt.
Der Grenzübertritt auf dem Landweg ist nur für folgende Personen gestattet:
• Armenische Staatsangehörige und ihre Familienangehörigen;
• Nicht-armenische Staatsangehörige mit einem legalen Aufenthaltstitel in Armenien
• Personen diplomatischer Vertretungen, konsularischer Einrichtungen, internationaler Organisationen und ihre Familienangehörige;
• Personen, die zu Beerdigungen und Gedenkfeiern kommen, wenn sie nahe Verwandte des Verstorbenen sind (Eltern, Ehepartner, Kinder, Geschwister)
• Fahrer des internationalen Güterverkehrs, Güterzüge
• Andere Sonderfälle mit spezieller Sondergenehmigung des Kommandanten, Vize-Pemierministers Tigran Avinyan
Die Einreise nach Armenien ist mit einem negativen PCR-Testergebnis aus Österreich, das max. 72 Stunden vor der Einreise gemacht wurde, gestattet. Das Testergebnis soll auf Englisch bzw. Russisch oder Armenisch ausgestellt werden. Alle Einreisenden, die ohne ein dokumentiertes PCR-Testergebnis einreisen, müssen sich auf eigene Kosten einem PCR-Test im Labor am Flughafen unterziehen und sich dort unter Quarantäne stellen bis das Ergebnis bekannt wird. Die Ergebnisse dieser PCR-Tests werden im ARMED-System registriert und der getesteten Person innerhalb von 48 Stunden zur Verfügung gestellt.
Die internationalen regulären Flugverbindungen nach/von Jerewan sind derzeit eingeschränkt. Air France aus Paris und Austrian Airlines aus Wien fliegen Armenien jeweils drei Mal pro Woche an. Da sich die Flugpläne jedoch jederzeit ändern können, ist ständige Überprüfung der aktuellen Situation auf der Homepage von Austrian Airlines notwendig.
Am 19.3.2020 haben die armenischen Behörden ein vorübergehendes Ausfuhr-Verbot für bestimmte medizinische Waren erlassen, um die Versorgung des Landes sicherzustellen und eine weitere Ausbreitung des Coronavirus in Armenien einzudämmen. Das betrifft Güter wie medizinische Schutzausrüstung, Beatmungsgeräte, COVID-19-Test Kits, Atemschutzmasken, medizinische Masken, Desinfektionsmittel auf Alkoholbasis und andere Artikel.
Anfang Mai 2020 wurden die Ausgangsbeschränkungen und Reisebeschränkungen innerhalb Armeniens aufgehoben.
Cafés und Restaurants dürfen seit 4.5.2020 im Freien den Betrieb wiederaufnehmen.
Stufenweise ist seit 18. Mai 2020 auch der Indoor-Betrieb in Lokalen sowie in allen Geschäften und Einkaufszentren unter Auflagen erlaubt. Ebenfalls wurde am 18. Mai 2020 der öffentliche Verkehr wiederaufgenommen. Alle Gewerbe- und Industriebetriebe dürfen unter den vorgegebenen Hygiene-und Sicherheitsmaßnahmen wieder öffnen.
Seit Anfang Juni gilt in Armenien eine allgemeine Masken-Pflicht für alle Personen und Kinder ab 6 Jahren an öffentlichen Orten inklusive öffentliche Verkehrsmitteln sowie Taxis.
Alle Schulen und Universitäten sind seit 15. September 2020 unter bestimmten Auflagen und Vorsichtsmaßnahmen wiedereröffnet. Einige Kurse je nach Universität bzw. Hochschule werden jedoch weiterhin online angeboten. Kindergärten sind seit 18. Mai 2020 wieder geöffnet.
Das Versammlungsverbot wurde beschränkt aufgehoben. Erlaubt sind nun öffentliche und private Versammlungen bei Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern und mit obligatorischen Gesichtsmasken in einem Kreis von max. 60 Personen (WKO 5.11.2020).
Quellen:
? BMeiA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (9.11.2020): Armenien, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/armenien/, Zugriff 9.11.2020
? WKO – Wirtschaftskammer Österreich (5.11.2020): Coronavirus: Situation in Armenien, https: //www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-armenien.html, Zugriff 9.11.2020
2. Politische Lage
Letzte Änderung: 02.09.2020
Armenien (arm.: Hayastan) umfasst knapp 29.800 km² und hatte im ersten Quartal 2019 eine Einwohnerzahl von 2,96 Millionen, was einen Rückgang von 0,3% zum Vergleichszeitraum des Vorjahres ausmachte (ArmStat 7.5.2019). Davon sind laut der Volkszählung von 2011 98,1% ethnische Armenier. Den Rest bilden kleinere Ethnien wie Jesiden und Russen (CIA 14.2.2019).
Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 findet in Armenien ein umfangreicher Reformprozess auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene hin zu einem demokratisch und marktwirtschaftlich strukturierten Staat statt. Die vorgezogenen Parlamentswahlen am 9.12.2018 konnten nach übereinstimmender Meinung aller Wahlbeobachter als frei und fair bezeichnet werden. Die im Dezember 2015 per Referendum gebilligte Verfassungsreform zielt auf den Umbau von einer semi-präsidialen in eine parlamentarische Demokratie ab. Die Änderungen betreffen u.a. eine Ausweitung des Grundrechtekatalogs sowie die weitere Stärkung des Parlaments (auch der Opposition). Das Amt des Staatspräsidenten wurde im Wesentlichen auf repräsentative Aufgaben reduziert, gleichzeitig die Rolle des Premierministers und des Parlaments gestärkt (AA 27.4.2020). Der Premierminister und der Präsident werden vom Parlament gewählt. Der Premierminister ist der Regierungsvorsitzende, während der Präsident vorwiegend zeremonielle Funktionen ausübt (USDOS 11.3.2020).
Oppositionsführer Nikol Paschinjan wurde im Mai 2018 vom Parlament zum Premierminister gewählt, nachdem er wochenlange Massenproteste gegen die Regierungspartei angeführt und damit die politische Landschaft des Landes verändert hatte. Er hatte Druck auf die regierende Republikanische Partei durch eine beispiellose Kampagne des zivilen Ungehorsams ausgeübt, was zum schockartigen Rücktritt Serzh Sargsyans führte, der kurz zuvor das verfassungsmäßig gestärkte Amt des Premierministers übernommen hatte, nachdem er zehn Jahre lang als Präsident gedient hatte (BBC 20.12.2018; vgl. AA 27.4.2020). Bei den als „Samtene Revolution“ bezeichneten Demonstrationen im April/Mai 2018 verhielten sich die Sicherheitskräfte zurückhaltend. Auch die Demonstranten waren bedacht, keinerlei Anlass zum Eingreifen der Sicherheitskräfte zu bieten (AA 27.4.2020).
Am 9.12.2018 fanden vorgezogene Parlamentswahlen statt, welche unter Achtung der Grundfreiheiten ein breites öffentliches Vertrauen genossen. Die offene politische Debatte, auch in den Medien, trug zu einem lebhaften Wahlkampf bei. Das generelle Fehlen von Verstößen gegen die Wahlordnung, einschließlich des Kaufs von Stimmen und des Drucks auf die Wähler, ermöglichte einen unverfälschten Wettbewerb (OSCE/ODIHR 10.12.2018). Die Allianz des amtierenden Premierministers Nikol Paschinjan unter dem Namen „Mein Schritt“ erzielte einen Erdrutschsieg und erreichte 70,4% der Stimmen. Die ehemalige mit absoluter Mehrheit regierende Republikanische Partei (HHK) erreichte nur 4,7% und verpasste die 5-Prozent-Marke, um in die 101-Sitze umfassende Nationalversammlung einzuziehen. Die Partei „Blühendes Armenien“ (BHK) des Geschäftsmannes Gagik Tsarukyan gewann 8,3%. An dritter Stelle lag die liberale, pro-westliche Partei „Leuchtendes Armenien“ unter Führung Edmon Maruyian, des einstigen Verbündeten von Paschinjan, mit 6,4% (RFE/RL 10.12.2018; vgl. ARMENPRESS 10.12.2018).
Zu den primären Zielen der Regierung unter Premierminister Paschinjan gehören die Bekämpfung der Korruption und Wirtschaftsreformen (RFL/RL 14.1.2019; vgl. FH 4.3.2020) sowie die Schaffung einer unabhängigen Justiz (168hours 20.7.2018; vgl. FH 4.3.2020). Seit Paschinjans Machtübernahme hat sich das innenpolitische Klima deutlich verbessert und dessen Regierung geht bestehende Menschenrechts-Defizite weitaus engagierter als die Vorgängerregierungen an, auch wenn immer noch Defizite bei der konsequenten Umsetzung der Gesetze bestehen (AA 27.4.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (27.4.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030001/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_27.04.2020.pdf , Zugriff 23.6.2020
? ARMENPRESS – Armenian News Agency (10.12.2018): My Step – 70.44%, Prosperous Armenia – 8.27%, Bright Armenia – 6.37%: CEC approves protocol of preliminary results of snap elections, https://armenpress.am/eng/news/957626.html , Zugriff 21.3.2019
? ArmStat - Statistical Committee of the Repbulic of Armenia (7.5.2019): Economic and Financial Data for the Republic of Armenia, https://armstat.am/nsdp/ , Zugriff 8.5.2019
? BBC News (20.12.2018):Armenia country profile, https://www.bbc.com/news/world-europe-17398605, Zugriff 21.3.2019
? CIA - Central Intelligence Agency (30.4.2.2019): The World Factbook, Armenia; https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/am.html , Zugriff 7.5.2019
? FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Armenia, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2020 , Zugriff 24.4.2020
? OSCE/ODIHR – Organization for Security and Cooperation in Europe/ Office for Democratic Institutions and Human Rights et alia (10.12.2018): Armenia, Parliamentary Elections, 2 April 2017: Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/armenia/405890?download=true , Zugriff 21.3.2019
? RFE/RL – Radio Free Europe/ Radio Liberty (10.12.2018): Monitors Hail Armenian Vote, Call For Further Electoral Reforms, https://www.rferl.org/a/monitors-hail-armenia-s-snap-polls-call-for-further-electoral-reforms/29647816.html , 21.3.2019
? RFE/RL – Radio Free Europe/ Radio Liberty (14.1.2019): Pashinian Reappointed Armenian PM After Securing Parliament Majority, https://www.rferl.org/a/pashinian-reappointed-armenian-pm-after-securing-parliament-majority/29708811.html , Zugriff 21.3.2019
? USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf , Zugriff 13.3.2020
? 168hours (20.7.2018): Fight against corruption and creation of independent judiciary main pillars of government’s economic policy – PM Paschinjan, https://en.168.am/2018/07/20/26637.html ,Zugriff 21.3.2019
3. Sicherheitslage
Letzte Änderung: 30.11.2020
Im Ende September 2020 aufgeflammten Konflikt um die von Armenien kontrollierte Region Bergkarabach gelang es unter Vermittlung Russlands einen Waffenstillstand zu erreichen. Armenien, das als Schutzmacht für Bergkarabach agiert, stimmte unter massivem Druck der Neun-Punkte-Erklärung zu. In der Erklärung verpflichteten sich die Parteien zu einem vollständigen Einstellen aller Kampfhandlungen auf den zuletzt gehaltenen Positionen. Darüber hinaus werden die von Armenien im ersten Karabach-Krieg Anfang der 1990er Jahre eroberten sieben aserbaidschanische Bezirke rund um Bergkarabach schrittweise bis 1.12.2020 an Baku zurückgegeben. Vier davon gingen bereits im Zuge der Kampfhandlungen seit September weitgehend an Aserbaidschan verloren. Mit der Erklärung wurde ebenso eine russische Peacekeeping-Mission etabliert welche 1.960 Mann umfasst und die den Waffenstillstand entlang der Kontaktlinie auf Seiten Bergkarabachs sichern soll. Neben den Peacekeepern soll auch ein außerhalb Karabachs befindliches Zentrum zur Überwachung der Waffenruhe entstehen. Ebenso vereinbart wurde ein Austausch der Kriegsgefangenen und gefallenen Soldaten. Der letzte Punkt der Vereinbarung weist auf die Öffnung aller Wirtschafts- und Transportwege in die Region hin. Dem zufolge muss Armenien Verkehrsverbindungen zwischen den westlichen Regionen der Republik Aserbaidschan und der südwestlich von Armenien gelegenen und an die Türkei grenzenden aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan sicherstellen. Der Status von Bergkarabach wurde in der Erklärung offen gelassen (IFK 11.2020).
In einer gemeinsamen Erklärung haben sich Russlands Präsident Wladimir Putin, sein aserbaidschanischer Amtskollege Ilham Alijew und der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan auf eine neue Grenzziehung und die Stationierung eines russischen Militärkontingents zur Sicherung des neuen Status quo im Konflikt um Berg-Karabach geeinigt. Aserbaidschan übernimmt rund die Hälfte des abtrünnigen Gebiets, darunter die zweitgrößte Stadt Schuscha, die strategisch von immenser Bedeutung ist (DerStandard 10.11.2020).
Paschinjan wurde zur Zielscheibe nationalistischen Hasses (DerStandard 10.11.2020). Tausende Menschen demonstrierten in Jerewan gegen die Waffenruhe. Sie beschimpften Paschinian als „Verräter“ und forderten seinen Rücktritt. Hunderte der Demonstranten stürmten den Regierungssitz und das Parlamentsgebäude (Krone 10.11.2020). Die Polizei ging mit Gewalt gegen Demonstranten vor. Es gab dutzende Festnahmen, auch weil Kundgebungen wegen des geltenden Kriegsrechts und wegen der Coronavirus-Pandemie nicht erlaubt sind. Unter den Festgenommenen waren auch mehrere Parlamentsabgeordnete (DerStandard 11.11.2020 vgl. ZeitOnline 11.11.2020).
Die Türkei und Russland richten ein Zentrum zur Überwachung der Waffenruhe zwischen Aserbaidschan und Armenien ein. Laut dem türkischen Präsident Tayyip Erdo?an soll das Zentrum „auf von der Besatzung befreitem aserbaidschanischem Gebiet“ entstehen. Eine entsprechende Vereinbarung sei unterschrieben worden. Die Türkei werde sich laut Erdogan zusammen mit Russland an Friedenskräften beteiligen, um die Umsetzung der Waffenruhe zu beobachten. Dagegen stellte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erneut klar, dass das Zentrum zum Monitoring der Waffenruhe auf aserbaidschanischem Gebiet angesiedelt werde und nicht in Gebieten in Berg-Karabach, die zuvor von Aserbaidschan erobert worden waren. Er wies abermals zurück, dass auch die Türkei Friedenstruppen entsendet, da eine gemeinsame Mission nicht gesprochen wurde (DerStandard 11.11.2020).
Quellen:
? DerStandard (10.11.2020): Umstrittener Waffenstillstand in Bergkarabach, https://www.derstandard.at/story/2000121604696/umstrittener-waffenstillstand-in-bergkarabach , Zugriff 12.11.2020
? DerStandard (11.11.2020): Erdogan verkündet Einigung auf Überwachung der Feuerpause in Bergkarabach, https://www.derstandard.at/story/2000121627117/erdogan-verkuendet-vereinbarung-zur-ueberwachung-der-waffenruhe-massenproteste-in-armenien , Zugriff 12.11.2020
? IFK – Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (11.2020): Bergkarabach: Neuordnung der regionalen Machtverhältnisse, https://www.bundesheer.at/php_docs/download_file.php?adresse=/pdf_pool/publikationen/ifk_monitor_65_lampalzer_bergkarabach_nov_20_web.pdf , Zugriff 27.11.2020
? Krone (10.11.2020): Einigung auf Waffenruhe in Berg-Karabach, https://www.krone.at/2272372 , Zugriff 12.11.2020
? ZeitOnline (11.11.2020): Tausende Armenier protestieren gegen Abkommen mit Aserbaidschan, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-11/bergkarabach-konflikt-armenien-aserbaidschan-abkommen-massenproteste-nikol-paschinjan , Zugriff 12.11.2020
4. Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 02.09.2020
Die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter ist in Art. 162 und 164 der Verfassung verankert. Die Verfassung von 2015 hat die bisher weitreichenden Kompetenzen des Staatspräsidenten bei der Ernennung von Richtern reduziert. Das Vertrauen in das Justizsystem ist allerdings weiterhin schwach, da die Mehrzahl der Richter ihre Ämter unter der Vorgängerregierung erlangt hat. Die im Oktober 2019 verabschiedete Reform zur Justizstrategie zielt auf einen personellen Wechsel im Justizapparat ab. Verfahrensgrundrechte, wie rechtliches Gehör, faires Gerichtsverfahren und Rechtshilfe werden laut Verfassung gewährt. In Bezug auf den Zugang zur Justiz gab es in den letzten Jahren bereits Fortschritte, die Zahl der Pflichtverteidiger wurde erhöht und kostenlose Rechtshilfe kommt einer breiteren Bevölkerung zugute. Die Einflussnahme durch Machthaber auf laufende Verfahren war in der Vergangenheit in politisch heiklen Fällen verbreitet. Die derzeitige Regierung unter Premierminister Paschinjan hat sich von solchen Praktiken distanziert (AA 27.4.2020).
Zwar muss von Gesetzes wegen Angeklagten ein Rechtsbeistand gewährt werden, doch führt der Mangel an Pflichtverteidigern außerhalb Jerewans dazu, dass dieses Recht den Betroffenen verwehrt wird (USDOS 11.3.2020). Richter stehen unter systemischem politischem Druck und Justizbehörden werden durch Korruption untergraben. Berichten zufolge fühlen sich die Richter unter Druck gesetzt, mit Staatsanwälten zusammenzuarbeiten, um Angeklagte zu verurteilen. Der Anteil an Freisprüchen ist extrem niedrig (FH 4.3.2020). Allerdings entließen viele Richter nach der ’Samtenen Revolution’ im Frühjahr 2018 etliche Verdächtige in politisch sensiblen Fällen aus der Untersuchungshaft, was die Ansicht von Menschenrechtsgruppen bestätigte, dass vor den Ereignissen im April/Mai 2018 gerichtliche Entscheidungen politisch konnotiert waren, diese Verdächtigen in Haft zu halten, statt gegen Kaution freizulassen (USDOS 11.3.2020).
Trotz gegenteiliger Gesetzesbestimmungen zeigt die Gerichtsbarkeit keine umfassende Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Die Verwaltungsgerichte sind hingegen verglichen zu den anderen Gerichten unabhängiger. Sie leiden allerdings unter Personalmangel. Nach dem Regierungswechsel im Mai 2018 setzte sich das Misstrauen in die Unparteilichkeit der Richter fort und einige Menschenrechtsanwälte erklärten, es gebe keine rechtlichen Garantien für die Unabhängigkeit der Justiz. NGOs berichten, dass Richter die Behauptungen der Angeklagten, ihre Aussage sei durch körperliche Übergriffe erzwungen worden, routinemäßig ignorieren. Die Korruption unter Richtern ist weiterhin ein Problem. Die am 10. Oktober 2019 verabschiedete Strategie für die Justiz- und Rechtsreform 2019-2023 zielt darauf ab, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz und das Justizsystem zu stärken und die Unabhängigkeit der Justiz zu fördern (USDOS 11.3.2020).
Die Verfassung und die Gesetze sehen das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess vor, aber die Justiz setzt dieses Recht nicht durch. Ebenso sieht das Gesetz die Unschuldsvermutung vor, Verdächtigen wird dieses Recht jedoch in der Regel nicht zugesprochen. Das Gesetz verlangt, dass die meisten Prozesse öffentlich sind, erlaubt aber Ausnahmen, auch im Interesse der ’Moral’, der nationalen Sicherheit und des ’Schutzes des Privatlebens der Teilnehmer’. Gemäß dem Gesetz können Angeklagte Zeugen konfrontieren, Beweise präsentieren und den Behördenakt vor einem Prozess einsehen. Allerdings haben Angeklagte und ihre Anwälte kaum Möglichkeiten, die Aussagen von Behördenzeugen oder der Polizei anzufechten. Die Gerichte neigen währenddessen dazu, routinemäßig Beweismaterial zur Strafverfolgung anzunehmen. Zusätzlich verbietet das Gesetz Polizeibeamten, in ihrer offiziellen Funktion auszusagen, es sei denn, sie waren Zeugen oder Opfer (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (27.4.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030001/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_27.04.2020.pdf , Zugriff 23.6.2020
? FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Armenia, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2020 , Zugriff 24.4.2020
? USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf , Zugriff 13.3.2020
5. Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 02.09.2020
Die Polizei ist für die innere Sicherheit zuständig, während der Nationale Sicherheitsdienst (NSD oder eng. NSS) für die nationale Sicherheit, die Geheimdienstaktivitäten und die Grenzkontrolle zuständig ist (USDOS 11.3.2020, vgl. AA 27.4.2020). Beide Behörden sind direkt der Regierung unterstellt. Ein eigenes Innenministerium gibt es nicht. Die Beamten des NSD dürfen auch Verhaftungen durchführen. Hin und wieder treten Kompetenzstreitigkeiten auf, z.B. wenn ein vom NSD verhafteter Verdächtiger ebenfalls von der Polizei gesucht wird (AA 27.4.2020).
Der Sonderermittlungsdienst führt Voruntersuchungen in Strafsachen durch, die sich auf Delikte von Beamten der Gesetzgebungs-, Exekutiv- und Justizorgane beziehen und von Personen, die einen staatlichen Sonderdienst ausüben. Auf Verlangen kann der Generalstaatsanwalt solche Fälle an die Ermittler des Sonderermittlungsdienstes weiterleiten (SIS o.D., vgl. USDOS11.3.2020, HRW 14.1.2020). Der NSD und die Polizeichefs berichten direkt an den Premierminister. NSD, SIS, die Polizei und das Untersuchungskomitee unterliegen demzufolge der Kontrolle der zivilen Behörden (USDOS 11.3.2020).
Obwohl das Gesetz von den Gesetzesvollzugsorganen die Erlangung eines Haftbefehls verlangt oder zumindest das Vorliegen eines begründeten Verdachts für die Festnahme, nahmen die Behörden gelegentlich Verdächtige fest oder sperrten diese ein, ohne dass ein Haftbefehl oder ein begründeter Verdacht vorlag. Nach 72 Stunden muss laut Gesetz die Freilassung oder ein richterlicher Haftbefehl erwirkt werden. Angeklagte haben ab dem Zeitpunkt der Verhaftung Anspruch auf Vertretung durch einen Anwalt bzw. Pflichtverteidiger. Die Polizei vermeidet es oft, betroffene Personen über ihre Rechte aufzuklären. Statt Personen formell zu verhaften, werden diese vorgeladen und unter dem Vorwand festgehalten, eher wichtige Zeugen denn Verdächtige zu sein. Hierdurch ist die Polizei in der Lage, Personen zu befragen, ohne dass das Recht auf einen Anwalt eingeräumt wird (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (27.4.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030001/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Armenien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_27.04.2020.pdf , Zugriff 23.6.2020
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Armenia, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/armenia , Zugriff 16.1.2020
? SIS - Special Investigation Service of Republic of Armenia (o.D.): History http://www.ccc.am/en/1428926241 , Zugriff 24.6.2020
? USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Armenia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ARMENIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf , Zugriff 13.3.2020
6. Korruption
Letzte Änderung: 02.09.2020
Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen bei behördlicher Korruption vor. Das Land hat eine Hinterlassenschaft der systemischen Korruption in vielen Bereichen. Nach der „Samtenen Revolution“ im Mai 2018 eröffnete die Regierung eine Untersuchung, die die systematische Korruption in den meisten Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens aufdeckte und es wurden zahlreiche Strafverfahren gegen mutmaßliche Korruption durch ehemalige Regierungsbeamte und ihre Angehörigen, Parlamentarier und in einigen Fällen auch durch Angehörige der Justiz und ihre Verwandten und einige wenige derzeitige Regierungsbeamte eingeleitet. 2018 machte die Regierung die Korruptionsbekämpfung zu einer ihrer obersten Prioritäten und setzte ihre Maßnahmen zur Beseitigung der Korruption im Laufe des Jahres fort. Obwohl Spitzenbeamte die „Ausrottung der Korruption“ im Land ankündigten, stellten lokale Beobachter fest, dass Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung einer weiteren Institutionalisierung bedürfen (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020, SWP 5.2020).
Die Regierung unternimmt Schritte, die Antikorruptionsmechanismen des Landes zu stärken. Im Oktober 2019 veröffentlichte sie einen Drei-Jahres-Aktionsplan, der die Schaffung eines neuen Antikorruptionsausschusses bis 2021 vorsieht. Die Regierung plant auch, die bestehende Kommission zur Korruptionsprävention zu stärken (FH 4.3.2020; vgl. SWP 5.2020).
Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2019 von Transparency International belegte Armenien mit 44 Punkten Rang 77 von 180 untersuchten Ländern (TI 23.1.2020), im Vergleich zum Vorjahr mit 35 Punkten und Rang 105 von 180 Staaten (TI 2018).
Quellen:
? FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Armenia, https://freedomhouse.org/country/armenia/freedom-world/2020 , Zugriff 24.4.2020
? SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (5.2020): Korruption und Korruptionsbekämpfung im Südkaukasus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2020S08_suedkaukasus.pdf , Zugriff 12.6.2020
? TI - Transparency International (2018): Corruption Perceptions Index 2018, https://www.transparency.org/country/ARM , Zugriff 29.3.2019
? TI - Transparency International (23.1.2020): Corruption Perceptions Index 201