TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/8 W102 2176327-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.11.2021
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Entscheidungsdatum

08.11.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W102 2176327-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX alias XXXX ), geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Burgenland, vom XXXX , Zl. XXXX - XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.10.2021 zu Recht erkannt:

A)       

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.    Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, stellte am 12.02.2016 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 13.02.2016 gab der Beschwerdeführer zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, die Taliban hätten ihn für den Krieg rekrutieren wollen. Er sei deshalb auch bedroht worden. Seine Schwiegereltern hätten nicht gewollt, dass er seine Frau heirate. Sie würden immer Probleme machen und mit den Taliban zusammenarbeiten.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 04.08.2017 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, er sei als junger Bursche mit seiner Frau liiert gewesen und habe sie, als er erwachsen geworden sie, heiraten wollen. Ihre Familie habe gesagt, er dürfe sie nicht heiraten. Als sie bei ihrer Tante auf Besuch gewesen sei, sei er hingefahren, habe sie mitgenommen und zu sich nachhause gebracht. Sie seien angezeigt worden, die Polizei sei gekommen, sie hätten ihn mitgenommen und verhört. Er habe sie überzeugen können, dass sie einander lieben würden und einander versprochen seien. Sie seien freigesprochen worden und das Gericht habe der Heirat zugestimmt. Danach seien drei Personen aus dem Dorf der Frau von den Dorfältesten geschickt worden und hätten behauptet, die Frau gehöre zu ihnen und er dürfe sie nicht heiraten. Ein Regierungsabgeordneter aus dem Dorf der Frau hab erklärt, dass alles geklärt sei, diese Heirat mit dem Einverständnis beider geschehen sei und sie sie in Ruhe lassen sollten. Die drei hätten keine Ruhe gegeben und seien in ihrer Ortschaft zu den Taliban gegangen und hätten auch mit diesen gearbeitet. Sie hätten auch ein Attentat auf den Abgeordneten ausüben wollen, dabei seien seine Leute getötet worden, er aber nicht. Nach diesem Attentat sei auf ihr Haus geschossen worden. Das hätten sie bei der Polizei gemeldet. Die Dorfbewohner hätten gemeint, das seien Kriminelle bzw. Diebe. Einige Dorfälteste seien zur Polizei geschickt worden und hätten ausrichten sollen, dass das keine Diebe gewesen seien. Im nächsten Jahr im Ramadan als er alleine zuhause gewesen sei, die Mutter habe gekocht und Vater und Onkel seien zum Abendgebet in die Moschee gegangen, seine Frau sei bei ihrer Schwester zu Besuch gewesen, habe es an der Tür geklopft, er habe gedacht, der Vater komme zurück, habe die Tür aufgemacht und sei ohne Vorwarnung angegriffen worden. Sie hätten ihn geschlagen, er sei ohnmächtig geworden. Als er zu sich gekommen sei, habe er eine Infusion in der Hand gehabt. Nachdem sich alles beruhigt habe, hätten sie gemerkt, dass sie einige Sachen von zuhause mitgenommen hätten. Danach sei er angerufen worden, sie hätten ihm gesagt, einmal hätten sie auf sein Haus geschossen, beim zweiten Mal hätten sie ihn verprügelt und das dritte Mal sei ihm der Tod sich. Die Polizei habe gesagt, sie seien auf der Suche nach ihnen und würden alles machen, um sie zu finden und zu bestrafen. Sie seien nach Ghorband, Shinwar und hätten sich dem Bürgermeister der Taliban dort angeschlossen. Dieser habe ihm einen Drohbrief geschrieben, da habe er gemerkt, dass es ernst sei und Angst bekommen. Da sei gestanden, dass sie ihn töten würden. Da habe er beschlossen zu flüchten. Sie hätten der Familie der Frau Geld gezahlt, um den Streit zu schlichten. Nachdem sie das Geld gezahlt hätten, seien die Anfeindungen nicht mehr wie am Anfang. Er sei, nachdem er den Drohbrief bekommen habe, noch zwei bis drei Wochen zuhause gewesen. Es seien drei Brüder gewesen. Sie hätten ihn töten wollen. Er habe ihnen die Frau weggenommen. Es sei ein Trick gewesen, der Mullah habe vor diesem Vorfall versucht, ihn zu rekrutieren. Er habe ihn mit einem Trick für sich haben wollen.

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX , zugestellt am 17.10.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die belangte Behörde aus, das Fluchtvorbringen sei nicht glaubhaft. Es sei vor dem Hintergrund der Länderberichte nicht plausibel und würde nicht mit dem Inhalt der vorgelegten Dokumente im Einklang stehen. Es sei dem Beschwerdeführer unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse zumutbar, sich wieder in Afghanistan niederzulassen.

3.       Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX richtet sich die am 08.11.2017 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, Ermittlungsverfahren und Länderberichte seien mangelhaft. Die vorgelegten Beweismittel seien nicht fachmännisch überprüft worden. Die Beweiswürdigung sei mangelhaft und nicht nachvollziehbar. Dem Beschwerdeführer drohe asylrelevante Verfolgung, er erfülle die Kriterien des UNHCR. Er werde durch die Familie seiner Frau und durch die Taliban verfolgt. Der Beschwerdeführer habe sich der Zwangsrekrutierung widersetzt, ihm werde von den Taliban eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt. Die Familie der Frau verfüge über sehr viel Macht und Einfluss. Die Verfolgung drohe landesweit, der afghanische Staat sei nicht schutzfähig. Sicherheits- und Versorgungslage seien schlecht, eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 29.06.2021 wurde die gegenständliche Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und in der Folge der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 01.10.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin und eine Dolmetscherin für die Sprache Paschtu teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt.

Mit Schreiben vom 06.10.2021 brachte das Bundesverwaltungsgericht folgende aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein:

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan, Version 5, Stand 16.09.2021 (in der Folge: Länderinformationsblatt)

?        EASO COI Report: Afghanistan. Security situation update von September 2021

?        ACCORD, ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Überblick über aktuelle Entwicklungen und zentrale Akteure in Afghanistan von 16.09.2021 (2060457)

?        Danish Immigration Service, Afghanistan Recent developments in the security situation, impact on civilians and targeted individuals von September 2021

?        UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan von August 2021

?        EASO, Country Guidance: Afghanistan von Dezember 2020 (in der Folge: EASO Country Guidance)

?        EASO COI Report: Afghanistan. State Structure and Security Forces von August 2020

?        EASO COI Report: Afghanistan. Regierungsfeindliche Elemente (AGE) von August 2020

?        EASO COI Report: Afghanistan. Criminal law, customary justice and informal dispute resolution von Juli 2020

?        UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlininen)

?        EASO COI Report: Afghanistan. Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen von Dezember 2017

?        EASO COI Report: Afghanistan. Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017

und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Am 20.10.2021 langte die Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, der Beschwerdeführer befürchte eine Verfolgung durch die Taliban. Aufgrund der massiven Verschlechterung der Sicherheits- und Versorgungslage infolge der Machtübernahme der Taliban könne keinesfalls eine Rückkehrentscheidung getroffen werden. Diese würden weiterhin mit Menschenrechtsverletzungen gegen die afghanische Bevölkerung vorgehen. Die humanitäre Situation habe sich massiv verschlechtert.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Teilnahmebestätigungen für diverse Kurse

?        Empfehlungsschreiben

?        Heiratsurkunde

?        Tazkira

?        „Bestätigungsschreiben“

?        Zwei „Drohbriefe“

?        Bestätigung für ehrenamtliche Tätigkeit

?        Medizinische Unterlagen

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, geboren im Jahr XXXX und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu. Er spricht auch Dari.

Der Beschwerdeführer leidet an einer Anpassungsstörung und erhält hiergegen Medikamente. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf in der Provinz Parwan geboren. Er hat keine Schule besucht. Der Vater des Beschwerdeführers betreibt eine Landwirtschaft. Die Familie hat außerdem einen Obstgarten. Der Beschwerdeführer hat in der Landwirtschaft gearbeitet und außerdem Obst auf dem Markt verkauft. Der Beschwerdeführer hat drei Schwestern und einen Bruder.

Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat vier minderjährige Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter. Sie leben im Haushalt der Eltern des Beschwerdeführers im Herkunftsdorf.

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Einreise im Februar 2016 durchgehend im Bundesgebiet auf. Er hat laufend Deutschkurse, Vorträge und Workshops besucht.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Es wird nicht festgestellt, dass dem Beschwerdeführer Übergriffe durch die Familie seiner Ehefrau oder Bewohner von deren Herkunftsdorf drohen, weil der Beschwerdeführer seine Frau gegen den Willen ihrer Familie „entführt“ und geheiratet hat. Es wird nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer von den Taliban aufgefordert wurde, sich ihnen anzuschließen.

1.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Taliban sind seit Jahrzehnten in Afghanistan aktiv und haben Afghanistan von 1996 bis 2001 regiert. Seit 2001 haben sie einige Grundprinzipien bewahrt, u. a. eine strenge Auslegung des Scharia-Rechts in den von ihr kontrollierten Gebieten.

Seit dem Beginn des Abzuges internationaler Truppen am 01.05.2021 konnten die Taliban ihre Gebietskontrolle zunehmend ausweiten. So standen am 03.06.2021 90 Distrikte unter ihrer Kontrolle, während sich mit Stand 19.07.2021 229 Distrikte in Händen der Taliban befanden. Im Juli wurden auch wichtige Grenzübergänge erobert. Ende Juli/Anfang August kämpfte die Regierung gegen Angriffe der Taliban auf größere Städte, darunter Herat, Lashkar Gar und Kandahar. Im August 2021 beschleunigte sich der Vormarsch der Taliban, als sie 26 von 34 Provinzhauptstädten innerhalb von zehn Tagen einnahmen. Am 15.08.2021 haben die Taliban größtenteils friedlich Kabul eingenommen, alle Regierungsgebäude und Checkpoints der Stadt besetzt, den Krieg für beendet erklärt und das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen. Der afghanische Präsident war zuvor außer Landes geflohen. Die Taliban lehnen die Demokratie und ihren wichtigsten Bestandteil, die Wahlen, generell ab. Ende August 2021 kündigten die Taliban an, eine Verfassung auszuarbeiten, jedoch haben sie sich zu den Einzelheiten des Staates, den ihre Führung in Afghanistan errichten möchte, bislang bedeckt gehalten. Im September 2021 kündigten sie die Bildung einer „Übergangsregierung“ an. Entgegen früherer Aussagen handelt es sich dabei nicht um eine „inklusive“ Regierung unter Beteiligung unterschiedlicher Akteure, sondern um eine reine Talibanregierung. Darin vertreten sind Mitglieder der alten Talibanelite, die schon in den 1990er Jahren zentrale Rollen besetzte, ergänzt mit Taliban-Führern, die im ersten Emirat noch zu jung waren, um zu regieren. Die allermeisten sind Paschtunen. Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten.

Mit dem Vormarsch der Taliban haben Kampfhandlungen und konfliktbedingte Todesopfer drastisch zugenommen. Zwischen 01.01.2021 und 30.06.2021 dokumentierte UNAMA 5.183 zivile Opfer und fast eine Verdreifachung der zivilen Opfer durch den Einsatz von improvisierten Sprengsätzen durch regierungsfeindliche Kräfte. Zwischen Mai und Mitte August wurden über 3.750 zivile Opfer dokumentiert. Im Mai und Juli führte die Zunahme von Kampfhandlungen zu über 23.000 konfliktbezogenen Vorfällen, das sind beinahe doppelt so viele wie im Zeitraum Jänner bis April. Im Jahr 2021 wurden 550.000 Menschen intern vertrieben, 400.000 davon zwischen 01.05.2021 und Mitte August. Seit der Beendigung der Kämpfe zwischen den Taliban und den afghanischen Streitkräften ist die Zahl der zivilen Opfer deutlich zurückgegangen. Im August und September kam es zu Lokalen Kampfhandlungen, z.B. in Maidan Wardak und Daikundi. Anfang September kam es zudem zu schweren Kampfhandlungen im Panjshir-Tal, das die Taliban schließlich einnahmen.

Bereits vor der Machtübernahme intensivierten die Taliban gezielte Tötungen von wichtigen Regierungsvertretern, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten Die Taliban kündigten nach ihrer Machtübernahme an, dass sie keine Vergeltung an Anhängern der früheren Regierung oder an Verfechtern verfassungsmäßig garantierter Rechte wie der Gleichberechtigung von Frauen, der Redefreiheit und der Achtung der Menschenrechte üben werden. Es gibt jedoch glaubwürdige Berichte über schwerwiegende Übergriffe von Taliban-Kämpfern, die von der Durchsetzung strenger sozialer Einschränkungen bis hin zu Verhaftungen, Hinrichtungen im Schnellverfahren und Entführungen junger, unverheirateter Frauen reichen. Einige dieser Taten scheinen auf lokale Streitigkeiten zurückzuführen oder durch Rache motiviert zu sein; andere scheinen je nach den lokalen Befehlshabern und ihren Beziehungen zu den Führern der Gemeinschaft zu variieren. Es ist nicht klar, ob die Taliban-Führung ihre eigenen Mitglieder für Verbrechen und Übergriffe zur Rechenschaft ziehen wird. Auch wird berichtet, dass es eine neue Strategie der Taliban sei, die Beteiligung an gezielten Tötungen zu leugnen, während sie ihren Kämpfern im Geheimen derartige Tötungen befehlen. Einem Bericht zufolge kann derzeit jeder, der eine Waffe und traditionelle Kleidung trägt, behaupten, ein Talib zu sein, und Durchsuchungen und Beschlagnahmungen durchführen. Die Taliban-Kämpfer auf der Straße kontrollieren die Bevölkerung nach eigenen Regeln und entscheiden selbst, was unangemessenes Verhalten, Frisur oder Kleidung ist. Frühere Angehörige der Sicherheitskräfte berichten, dass sie sich weniger vor der Taliban-Führung als vor den einfachen Kämpfern fürchten würden. Es wurde von Hinrichtungen von Zivilisten und Zivilistinnen sowie ehemaligen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Personen, die vor kurzem Anti-Taliban-Milizen beigetreten waren, berichtet. Während die Nachrichten aus weiten Teilen des Landes aufgrund der Schließung von Medienzweigstellen und der Einschüchterung von Journalisten durch die Taliban spärlich sind, gibt es Berichte über die Verfolgung von Journalisten und die Entführung einer Menschenrechtsanwältin.

Die Auswirkungen der Machtübernahme durch die Taliban auf die humanitäre Lage sind noch nicht klar. Bedingt durch im Jahr 2021 signifikant höhere Anzahl ziviler Opfer und Vertreibungen ist mit höherem humanitärem Bedarf zu rechnen. UN-Generalsekretär Guterres spricht von einer humanitären und ökonomischen Krise und warnt vor dem Zusammenbruch der Grundversorgung.

Die Banken bleiben geschlossen. Die Vereinigten Staaten haben der Taliban-Regierung den Zugang zu praktisch allen Reserven der afghanischen Zentralbank in Höhe von 9 Mrd. $ verwehrt, die größtenteils in den USA gehalten werden. Auch der Internationale Währungsfonds hat Afghanistan nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban den Zugang zu seinen Mitteln verwehrt. Die afghanische Währung ist auf ein Rekordtief gefallen. Dies hat die Preise in die Höhe getrieben. Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Mehl, Öl und Reis sind innerhalb weniger Tage um bis zu 10-20 % gestiegen.

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. Es wird erwartet, dass 2021 bis zu 18,4 Millionen Menschen (2020: 14 Mio Menschen) auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden.

Bereits die erhöhte Konfliktintensität der letzten Monate hat zu Störungen in der Gesundheitsversorgung und gleichzeitig zu höherem Bedarf unter Verwundeten und intern Vertriebenen geführt. Die Konflikteskalation hat in Kombination mit Dürre und Überflutungen, der Coronavirus-Pandemie und konfliktbedingten Störungen des Zugangs zu humanitärer Hilfe die Lage im Hinblick auf die Lebensmittelversorgung verschlechtert, über 9,1 Millionen Menschen sind akut von Mangelernährung betroffen. Der Zugang zu humanitärer Unterstützung bleibt weiter schwierig. Humanitäre Organisationen fürchten um die Sicherheit ihrer Mitarbeiter*innen, weswegen mit einer Unterbrechung ihrer Arbeit zu rechnen ist, bis Bedingungen mit den Taliban verhandelt sind. IOM muss aufgrund der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration mit sofortiger Wirkung weltweit aussetzen.

Ethnische Paschtunen sind mit ca. 40% der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Die Taliban sind eine vorwiegend paschtunische Bewegung. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt.

2. Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, Muttersprache und sonstigen Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers beruhen auf seinen gleichbleibenden und plausiblen Angaben im Lauf des Verfahrens, die auch die belangte Behörde ihrer Entscheidung zugrunde legte. Zudem hat der Beschwerdeführer seine Tazkira in Vorlage gebracht (AS 163 ff.).

Zwar gab der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.10.2021 an, er sei gesund und es gehe ihm psychisch gut (OZ 10, S. 4). Kurz vorher gab der Beschwerdeführer jedoch auch an, er nehme aufgrund seiner psychischen Probleme Medikamente (OZ 10, S. 3) und brachte in der Folge seinen aktuellen „Verschreibungsplan“ in Vorlage (OZ 12), aus dem – wie vom Beschwerdeführer angegeben – hervorgeht, dass er an psychischen Problemen, nämlich einer Anpassungsstörung, leidet und hiergegen Antidepressiva erhält. Eine entsprechende Feststellung wurde getroffen.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers beruht auf dem im Akt einliegenden aktuellen Auszug aus dem Strafregister.

Die Feststellungen zu Herkunft und Lebensverhältnissen im Herkunftsstaat beruhen auf den plausiblen Angaben des Beschwerdeführers. Frau und Kinder hat der Beschwerdeführer zudem gleichbleibend angegeben und auch eine Heiratsurkunde in Vorlage gebracht (AS 153 ff.), an deren Echtheit und Richtigkeit zu Zweifeln keine Gründe ersichtlich waren.

Die Feststellungen zum Verbleib der Angehörigen des Beschwerdeführers beruhen auf seinen Angaben im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 04.08.2017 (AS 115). Hierzu gab der Beschwerdeführer in mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.10.2021 zwar an, er habe keinen Kontakt mehr zu seiner Familie und glaube nicht, dass sie noch leben (OZ 10, S. 3). Hierbei handelt es sich jedoch um eine sehr pauschale und floskelhafte Behauptung, die der Beschwerdeführer nicht weiter begründet. Sie steht insbesondere im Gegensatz zu den ansonsten sehr detaillierten und lebensnahen Angaben, die der Beschwerdeführer insbesondere im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 04.08.2017 zu Lebensverhältnissen und Verbleib seiner Familie gemacht hat (insbesondere AS 113-115).

Zu seinen Aktivitäten im Bundesgebiet hat der Beschwerdeführer diverse Bestätigungen vorgelegt (insbesondere OZ 12).

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Zunächst bestätigen zwar die UNHCR-Richtlinien (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 3. Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung, Buchstabe a) Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs), S. 59-60), sowie die EASO Country Guidance (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.6 Persons fearing forced recruitment by armed groups, Buchstabe a. Forced recruitment by the Taliban, S. 64), dass es – vor der Machtübernahme durch die Taliban – zu Zwangsrekrutierungen durch regierungsfeindliche Kräfte bzw. die Taliban kommen konnte. Aus den UNHCR-Richtlinien, Kapitel 8. Frauen und Männer, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen, S. 87 ff. geht weiter hervor, dass auch Männer wegen außerehelichen Beziehungen einem Misshandlungsrisiko ausgesetzt sein können. Der EASO COI Report: Afghanistan. Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen berichtet insbesondere von gezielter Gewalt gegen Paare und Männer wegen „Zina“. (Kapitel 3.6.6 Gezielte Gewalt gegen Paare und Männer wegen Zina, S. 55 ff.).

Allerdings erstattet der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen nicht im Kern gleichbleibend. So gab er zunächst in der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.02.2016 an, er habe zwei Probleme. Dass erste sei, dass die Taliban ihn hätten rekrutieren wollen und ihn aufgefordert hätten, in den heiligen Krieg gegen die Regierung zu ziehen. Das zweite Problem seien Probleme mit den Schwiegereltern, die nicht gewollt hätten, dass er seine jetzige Frau heirate und mit den Taliban zusammenarbeiten würden (AS 9). Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 04.08.2017 beschränkte sich der Beschwerdeführer in der freien Schilderung seiner Ausreisegründe dagegen auf die Darlegung von Streitigkeiten wegen der Hochzeit mit seiner Frau (AS 117-119). Erst auf Vorhalt, er habe von der in der Erstbefragung angegebenen Rekrutierung nichts erzählt, gibt der Beschwerdeführer an, es sei ein Trick gewesen. Der in seiner Schilderung auftretende Mullah habe vor dem Vorfall versucht, ihn zu rekrutieren und habe ihn mit einem Trick für sich haben wollen und den Zweck erfüllen (AS 123). Die lässt sich jedoch nicht sinnvoll in die Schilderung des Beschwerdeführers einflechten. So schließen sich die drei Brüder in der Schilderung des Beschwerdeführers dem genannten Mullah erst nachdem sie auf ihr Haus geschossen und ihn im Ramadan zuhause angegriffen und telefonisch bedroht hatten und der Beschwerdeführer bereits die Polizei eingeschaltet hatte (AS 119). Inwiefern also die Vorfälle ein Trick des Mullahs gewesen sein sollen, der als Absender des Drohbriefes kurz vor der Ausreise des Beschwerdeführers erstmals in der Schilderung auftritt, scheint damit nicht nachvollziehbar.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der Beschwerdeführer schließlich an, er habe von Dorfbewohnern erfahren, dass seine Schwiegerfamilie vorhabe, ihm etwas anzutun. Damit weicht der Beschwerdeführer allerdings stark von den Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme am 04.08.2017 ab, wo er die drei Brüder, die ihn angeblich bedrohen, lediglich als Bewohner des Dorfes seiner Frau bezeichnet (AS 119). Weiter behauptet der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung nunmehr bereits zu Beginn, die Taliban hätten gewollt, dass er sich ihnen anschließe und am Jihad teilnehme (OZ 10, S. 3), beschränkt sich allerdings in seinen Angaben lediglich auf diese Floskel und nimmt keinerlei Bezug auf den in der niederschriftlichen Einvernahme angeführten Mullah. Weiter muss sich der Beschwerdeführer den Vorwurf einer Steigerung des Fluchtvorbringens im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.10.2021 gefallen lassen. So gab er hier erstmals an, von den Taliban festgenommen und gefoltert worden zu sein (OZ 10, S. 3). Derartiges hat der Beschwerdeführer bis dahin nie erwähnt.

Weiter legt der Beschwerdeführer die Beweggründe für die Bedrohung durch die drei Brüder nicht nachvollziehbar dar. So gibt er selbst im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme an, seine Familie habe der Familie seiner Frau Geld bezahlt und sie seien nie gekommen, um ihre Tochter zu holen (AS 119). Kurz später gibt er auch an, die Schwiegermutter komme – wenngleich sehr selten – ihre Tochter besuchen und die Anfeindungen seien, nachdem sie Geld bezahlt hätten, nicht mehr wie am Anfang. Demnach war eine allfällige Streitigkeit mit der Familie der Ehefrau bereits bereinigt und ist daher nicht nachvollziehbar, warum dem Beschwerdeführer hieraus noch eine Bedrohung entstehen sollte. Insbesondere gelingt es dem Beschwerdeführer nicht, zwischen der behaupteten Bedrohung durch die drei Brüder und der Heirat mit seiner Frau einen konkreten, nachvollziehbaren Zusammenhang herzustellen. So gibt er zu deren Beweggründen lediglich floskelhaft an, sie hätten ihn töten wollen, sein Leben sei in Gefahr, er sei ihr Ziel gewesen. Er habe ihnen die Frau weggenommen (AS 121). Kurz vorher hatte der Beschwerdeführer allerdings noch angegeben, er glaube lediglich, der Schwiegervater habe seine Frau heimlich einem dieser Brüder versprochen (AS 121) und macht ansonsten keine nachvollziehbaren Angaben zu den Beweggründen der drei Brüder.

Auch die vorgelegten Beweismittel tragen zum Eindruck bei, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft ist. So geht aus der vom Beschwerdeführer vorgelegten Bestätigung der Dorfältesten (AS 169-171) hervor, der Beschwerdeführer sei in einer schlechten wirtschaftlichen Lage gewesen, habe deshalb die Brautgabe nicht bezahlen können und sei von deren Angehörigen ungerecht behandelt worden. Insofern deckt sich der in der vorgelegten Bestätigung geschilderte Auslöser für die „Entführung“ seiner Frau nicht mit den Angaben des Beschwerdeführers. So gibt der Beschwerdeführer zunächst keinen konkreten Auslöser dafür an, warum sich die Familie der Frau gegen die Verehelichung gestellt haben soll (AS 117) und gibt auf Nachfrage an, nicht zu wissen, warum die ihre Eltern gegen die Verehelichung gewesen seien, obwohl sie einander versprochen gewesen seien (AS 121). Aus dem zweiten Bestätigungsschreiben wiederum geht hervor, der Beschwerdeführer sei mit einer jungen Frau namens XXXX verlobt gewesen, die einige Zeit nach der Verlobung verstorben sei. Dieser Aspekt der Fluchtgeschichte wiederum findet in den Angaben des Beschwerdeführers keinerlei Erwähnung. Ebenso unerwähnt im Fluchtvorbringen bleibt der vom Beschwerdeführer vorgelegte erste Taliban Drohbrief, der auf 1390 (2011/2012) datiert ist und den Beschwerdeführer auffordert, sich zu stellen, ansonsten werde er viel Leid erfahren (AS 179-181). Auch grenzt der Beschwerdeführer die behaupteten Vorfälle in der niederschriftlichen Einvernahme am 04.08.2017 auf das Jahr 1394 bzw. 1393 ein, warum der Beschwerdeführer also 1390 einen Drohbrief bekommen hat, bleibt völlig unklar. Weiter geht aus beiden Drohbriefen nicht hervor, weswegen der Beschwerdeführer sich den Taliban überhaupt stellen sollte und bedroht wird.

Insgesamt erweist sich das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers als völlig inkonsistent und widersprüchlich und ist ein glaubwürdiger Kern, dessen Plausibilität sich vor dem Hintergrund der Länderberichte im Detail überprüfen ließe, nicht erkennbar.

2.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellungen zu den jüngsten Entwicklungen in Afghanistan sowie zur aktuellen Lage unter der Herrschaft der Taliban beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Version 5, Stand 16.09.2021, insbesondere Kapitel Politische Lage, Sicherheitslage, Grundversorgung und Wirtschaft und Medizinische Versorgung, auf dem EASO, COI Report: Afghanistan. Security situation update von September 2021, auf der ACAPS, Afghanistan. Humanitarien impact and trends analysis von 23.08.2021 und der UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan von August 2021.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Art. 6 Statusrichtlinie definiert als Akteure, von denen die Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden ausgehen kann, den Staat (lit. a), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (lit. b) und nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden im Sinne des Artikels 7 zu bieten.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner Judikatur grundsätzlich im Fall einer drohenden Ermordung durch Familienangehörige der „Geliebten“ bzw. von im Herkunftsstaat drohenden schweren gerichtlichen Strafen wegen außerehelichem Geschlechtsverkehr („Zina“) bzw. einer außerehelichen Beziehung bei Vorliegen einer religiösen Motivation der Verfolger davon aus, dass ein Asylgrund im Sinne der GFK gegeben ist (VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0141).

Der Verwaltungsgerichtshof differenziert in ständiger Judikatur zwischen der per se nicht asylrelevanten Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei von der Verfolgung, die an die tatsächliche oder unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen wird. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung kommt es dabei nicht an. Entscheidend ist daher, mit welcher Reaktion durch die Milizen aufgrund einer Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, gerechten werden muss und ob in ihrem Verhalten eine (unterstellte) politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (19.04.2016, VwGH Ra 2015/01/0079 mwN).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, konnte der Beschwerdeführer jedoch nicht glaubhaft machen, dass ihm Übergriffe durch die Familie seiner Ehefrau oder Bewohner von deren Herkunftsdorf drohen, weil der Beschwerdeführer seine Frau gegen den Willen ihrer Familie „entführt“ und geheiratet hat und auch nicht, dass der Beschwerdeführer von den Taliban aufgefordert wurde, sich ihnen anzuschließen. Der Beschwerdeführer konnte daher eine Verfolgungsgefahr im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht glaubhaft machen.

Die Beschwerde war daher hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides spruchgemäß als unbegründet abzuweisen.

3.2.    Zur Stattgebung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides (Subsidiärer Schutz)

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (VwGH 30.01.2018, Ra 2017/20/0406).

Um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 bzw 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass ein „real risk“ vorliegt, wenn stichhaltige Gründe („substantial grounds“) dafürsprechen, dass die betroffene Person im Falle der Rückkehr in die Heimat das reale Risiko (insbesondere) einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen hätte. Dafür spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob dieses reale Risiko in der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, in individuellen Risikofaktoren des Einzelnen oder in der Kombination beider Umstände begründet ist. Allerdings betont der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Rechtsprechung auch, dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Risiko im Sinne des Art. 3 EMRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen („in the most extreme cases“) diese Voraussetzung erfüllt (EGMR 28.11.2011, 8319/07 und 11.449/07, Sufi und Elmi, Rz 218, mit Hinweis auf EGMR 17.07.2008, 25.904/07, NA gegen Vereinigtes Königreich). In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen („special distinguishing features“), auf Grund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (EGMR 28.11.2011, 8319/07; 11.449/07, Sufi und Elmi, Rz 217).

Auch im ergangenen Urteil der Großen Kammer vom 23.08.2016, 59.166/12, JK et al gg Schweden, beschäftigte sich der EGMR mit seiner einschlägigen Rechtsprechung und führte insbesondere aus, dass die Beweislast für das Vorliegen eines realen Risikos in Bezug auf individuelle Gefährdungsmomente für eine Person grundsätzlich bei dieser liege (Rz 91, 96), gleichzeitig aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert sei, in Betracht zu ziehen seien und bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von jener anderer Personen im Herkunftsstaat unterscheide (Rz 94), im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden sei (Rz 97). Soweit es um die allgemeine Lage im Herkunftsstaat gehe, sei jedoch ein anderer Ansatz heranzuziehen. Diesbezüglich hätten die Asylbehörden vollen Zugang zu den relevanten Informationen und es liege an ihnen, die allgemeine Lage im betreffenden Staat (einschließlich der Schutzfähigkeit der Behörden im Herkunftsstaat) von Amts wegen festzustellen und nachzuweisen (Rz 98).

Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 orientiert sich an Art 15 lit. c Statusrichtlinie (RL 2011/95/EU) und umfasst – wie der Gerichtshof der Europäischen Union erkannt hat – eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als „willkürlich“ erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er auf Grund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (EuGH 17.02.2009, C-465/07, Elgafaji; 30.01.2014, C-285/12, Diakité).

Auch die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes sind von diesen Erwägungen getragen: Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen (VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0486).

Außerdem kann die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307 mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben sich die Asylbehörden und dementsprechend auch das Bundesverwaltungsgericht außerdem mit den Stellungnahmen, Positionen und Empfehlungen des UNHCR auseinanderzusetzen und, wenn sie diesen nicht folgen, begründet darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat gekommen sind. Die Verpflichtung hierzu finde sich auch im einschlägigen Unionsrecht (VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114).

UNHCR geht in seiner „UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan“ von August 2021 von einer rapiden Verschlechterung der Sicherheits- und Menschenrechtslage in großen Teilen des Landes aus, zeigt sich besorgt über die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung, fordert alle Länder dazu auf, der aus Afghanistan fliehenden Zivilbevölkerung Zugang zu ihrem Staatsgebiet zu gewähren und die Einhaltung des Non-Refoulement-Grundsatzes sicherzustellen. UNHCR hält es zudem nicht für angemessen, afghanische Staatsangehörige und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan internationalen Schutz mit der Begründung einer internen Flucht- oder Neuansiedelungsperspektive zu verwehren. Aufgrund der volatilen Situation in Afghanistan und die sich abzeichnende humanitäre Notlage fordert UNHCR die Staaten dazu auf, zwangsweise Rückführungen von afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan auszusetzen. Ein Moratorium solle bestehen bleiben, bis sich die Situation im Land stabilisiert habe und geprüft worden sei, wann die geänderten Umstände im Land eine Rückkehr in Sicherheit und Würde erlauben würde. Die Hemmung von zwangsweisen Rückführungen stelle eine Mindestanforderung dar, die bestehen bleiben müsse, bis sich die Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtslage in Afghanistan signifikant verbessert habe, sodass eine Rückkehr in Sicherheit und Würde von Personen, bei denen kein internationaler Schutzbedarf festgestellt wurde, gewährleistet werden kann.

Gegenständlich ist den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat zu entnehmen, dass es zuletzt zu einer starken Zunahme ziviler Opfer und einer Steigerung der Gewaltintensität gekommen ist. Diesbezüglich hat der Verfassungsgerichtshof jüngst bereits ausgesprochen, dass von einer extremen Volatilität der Sicherheitslage in Afghanistan auszugehen war, sodass eine Situation vorliegt, die bei einer Rückkehr die Gefahr einer Verletzung von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art. 2 und 3 EMRK nach sich zieht (VfGH 05.10.2021, E 3249/2021, insbesondere Rn. 16). Seit der Machtergreifung der Taliban ist die Lage im Herkunftsstaat höchst unübersichtlich und prekär. Insbesondere zeichnet sich im Hinblick auf die Versorgungslage eine Zuspitzung der Situation ab.

Daraus ergibt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auch unter Berücksichtigung der Position von UNHCR, dass die derzeitige Lage in Afghanistan für den Beschwerdeführer die akute Gefahr einer Verletzung von Art. 2 bzw. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention mit sich bringt bzw. dass eine für den Beschwerdeführer als Zivilperson ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts nicht auszuschließen ist. Eine Rückführung würde somit einen Verstoß gegen Art. 2 und 3 EMRK darstellen. Diese Beurteilung bezieht sich auf das gesamte Staatsgebiet.

Im Ergebnis war der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis VI. daher stattzugeben und dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

3.2.1   Zur befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits klargestellt, dass gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 die Gültigkeitsdauer aus Anlass der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltsberechtigung sowie bei der Erteilung der verlängerten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ausgehend vom Entscheidungszeitpunkt festzulegen ist (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).

Den Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27.04.2016, Ra 2015/05/0069 dahingehend präzisiert, dass bei Kollegialorganen der Zeitpunkt der Willensbildung (Beschlussfassung) und bei monokratischen Organen jener der Erlassung (Zustellung oder mündliche Verkündung) der Entscheidung maßgeblich ist (siehe auch Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG § 29 VwGVG [Stand 15.2.2017, rdb.at], Rz 17). Darauf, dass die rechtlichen Wirkungen eines Erkenntnisses (des Einzelrichters) erst mit dessen Zustellung eintreten, hat der Verwaltungsgerichthof auch im Zusammenhang mit der Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 hingewiesen (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).

Auch gegenständlich entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, weswegen datumsmäßige Festlegung der einjährigen Gültigkeitsdauer der den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern erteilten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte ausgehend vom Zeitpunkt der Zustellung des gegenständlichen Erkenntnisses zu erfolgen hat.

Das Bundesverwaltungsgericht erkannte dem Beschwerdeführer mit vorliegendem Erkenntnis den Status der bzw. des subsidiär Schutzberechtigten zu. Folglich war spruchgemäß eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr zu erteilen.

Die befristete Aufenthaltsberechtigung gilt damit ein Jahr ab Zustellung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts an den Beschwerdeführer.

4.        Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht folgt der unter 3. zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Im Hinblick auf das Fluchtvorbringen waren beweiswürdigende Erwägungen maßgeblich.

Schlagworte

befristete Aufenthaltsberechtigung gesamtes Staatsgebiet gesteigertes Vorbringen Glaubwürdigkeit mangelnde Asylrelevanz private Verfolgung Rückkehrsituation Sicherheitslage subsidiärer Schutz Verfolgungsgefahr Verschlechterung Versorgungslage Zwangsrekrutierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W102.2176327.1.00

Im RIS seit

22.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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