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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des B in U, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. Februar 1995, Zl. 4.339.965/2-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und reiste am 13. August 1992 in das Bundesgebiet ein. Seinen am 17. August 1992 gestellten schriftlichen Asylantrag begründete er im wesentlichen dahingehend, er sei Kurde und stamme aus Sanliurfa, Deliler Köyi Bozova/Kurdistan. Dort herrschten ständige politische Auseinandersetzungen. Aufgrund seiner kurdischen Zugehörigkeit sei er der ständigen Verfolgung ausgesetzt und müsse befürchten, daß Gefahr für sein Leben und seine Freiheit bestehe.
Anläßlich seiner am 3. September 1992 vor dem Bundesasylamt erfolgten niederschriftlichen Befragung gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an:
"Ich bin deshalb nach Österreich gekommen, da ich in meiner Heimat seit Jänner 1990 Sympatisant der PKK bin und ich für diese, da ich ein kleines Unternehmen mit einem LKW hatte und daher für andere Sympatisanten der PKK mit diesem LKW kurdische Musikcasseten und eine Zeitung der PKK auslieferte. In meinem Dorf gab es sechs türkische Beamte, denen meine Tätigkeit bekannt wurde. Ich bin mit den politischen Zielen (Errichtung eines freien Kurdistan, auch auf türkischem Staatsgebiet) und die dazu angewendeten Mittel (Terroraktionen gegen türkische Einrichtungen und Personen) vollkommen einverstanden, würde jedoch persönlich niemanden töten.
Ich wurde in einer nahegelegenen Gendarmeriestation das erste mal am 6.2.1990, dazwischen ungefähr 10 mal jeweils etwa ein bis zwei Tage, das letzte Mal am 15.6.1992 9 Tage bis 24.6.1992 festgehalten, wobei mir jedesmal gesagt wurde, daß ich mit dieser Botentätigkeit der PKK aufhören soll. Nach meiner Entlassung am 24.6.1992 bekam ich den Auftrag mich täglich bei der Gendarmeriedienststelle zu melden, weshalb ich am 1.7.1992 Istanbul in einem Hotel Aufenthalt nahm. In diesem Hotel blieb ich bis zu meiner Ausreise. Ich war in Istanbul keinerlei Verfolgung durch die türkischen Behörden ausgesetzt und habe mich bis zum 1.8.1992 (Zeitpunkt der Ausreise) frei bewegt."
Im übrigen erklärte er über den Vorhalt einer etwaig anzunehmenden Verfolgungssicherheit in einem der Nachbarstaaten Österreichs, er habe bei seiner vierzehntägigen Reise mehrmals Halt gemacht, um den menschlichen Bedürfnissen nachzukommen und auch zum Essen, zu diesem Zwecke habe er sich auch von dem LKW (auf dessen Ladefläche er versteckt gewesen sei) entfernen können, sodaß er in ihm zwar nicht bekannten, jedoch unweigerlich vorhandenen Drittländern um Asyl hätte ansuchen können. Er habe dies aber nicht getan, da ihm der Chauffeur erst in Österreich gesagt habe, daß er hier um Asyl ansuchen könne. Er sei bei seiner vierzehntägigen Reise in keiner wie auch immer gearteten Weise verfolgt worden. Anhand einer Landkarte nehme er nunmehr an, er sei über Bulgarien und dann entweder über Jugoslawien oder Rumänien und sodann über Ungarn nach Österreich gekommen. Den Vorhalt, eine vierzehntägige Reise sei selbst mit einem "Schlepper-LKW" unglaubwürdig, dauere doch die Reise erfahrungsgemäß schlechtestenfalls fünf Tage, antwortete der Beschwerdeführer, er "habe nicht mehr anzugeben".
Mit Bescheid vom 3. September 1992 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers ab; es verneinte im wesentlichen unter Hinweis auf seine eigene Darstellung das Vorliegen wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im gesamten Territorium seines Heimatlandes, verneinte demzufolge die vorliegende Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 und nahm darüber hinaus den Asylausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. an, weil der Beschwerdeführer in Ungarn und Rumänien bereits vor Verfolgung sicher gewesen sei.
In der dagegen gerichteten Berufung machte der Beschwerdeführer lediglich folgendes geltend:
"In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird ausgeführt, daß meine Tätigkeit bei der PKK vom türkischen Staat zu verfolgen ist, da es sich bei der PKK um eine Terrororganisation handelt.
Es sei hiezu jedoch ausgeführt, daß die von der PKK geführten Tätigkeiten ausschließlich dazu dienen, die Interessen der Kurden zu schützen, zumal vom türkischen Staat die Angelegenheiten der Kurden dermaßen vernachläßigt sind, daß es zu ethnischen Auseinandersetzungen kommt.
Ich bin sohin schon als Kurde aufgrund der allgemein bekannten bürgerkriegsähnlichen Situation einer Verfolgung durch den türkischen Staat ausgesetzt. Dieser Umstand wurde im angefochtenen Bescheid von der erlassenden Behörde nicht beachtet. Es besteht daher begründete Furcht vor Verfolgung welche als zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes erforderlich ist.
Wenn im angefochtenen Bescheid auch die Frage der Sicherheit vor Verfolgung in einem Drittstaat angeschnitten und mir Unglaubwürdigkeit diesbezüglich angelastet wird, daß ich nicht wußte, durch welche Länder ich während meiner Flucht gereist sei, zumal ich zwei Wochen unterwegs war, so sei hier ausgeführt, daß meine geographischen Kenntnisse so unzureichend sind, daß eine Kenntnis, welches Land ich bereist habe, tatsächlich nicht gegeben war.
Ich habe mich "Schleppern" anvertraut in der Meinung und dem Versprechen dieser, daß ich in ein Land gebracht werde, wo ich vor Verfolgung sicher sei. Welches Land dies ist, war für mich zweitrangig.
Österreich war das erste Land, wo mir gesagt wurde, ich sei hier vor Verfolgung sicher und mußte ich dies auch als solches annehmen.
Nachdem bei mir wohlbegründete Furcht aufgrund meiner Nationalität und politischen Gesinnung vor Verfolgung durch den Staat vorliegt, ist meine Flüchtlingseigenschaft gegeben."
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab, wobei sie nach Darstellung des Verfahrensgangs und der von ihr zugrundegelegten Rechtslage das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers insbesondere auch deshalb verneinte, weil er selbst angegeben habe, daß er während seines Aufenthaltes in Istanbul keinen Verfolgungen durch die türkischen Behörden ausgesetzt gewesen sei und sich habe frei bewegen können. Überdies nahm auch die belangte Behörde den Ausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 als gegeben an, weil sich der Beschwerdeführer vor Einreise in das Bundesgebiet aufgrund der geographischen Lage Österreichs in einem der Nachbarstaaten Österreichs, die sämtliche Mitgliedstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention seien, Verfolgungssicherheit erlangt habe, wobei sie insbesondere darauf einging, daß die subjektive Kenntnis eines Asylwerbers vom Vorliegen der Verfolgungssicherheit rechtlich nicht relevant sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die belangte Behörde hat ihre abweisliche Entscheidung auf zwei Begründungselemente gestützt, nämlich
1.
das Vorliegen einer sogenannten "inländischen Fluchtalternative" in Istanbul und
2.
das Vorliegen von Verfolgungssicherheit in einem der Nachbarstaaten Österreichs.
Insofern sich die Beschwerdeausführungen daher mit anderen als den tragenden Argumenten des angefochtenen Bescheides befassen, fehlt ihnen die für die Entscheidung des vorliegenden Falles notwendige Relevanz, weshalb darauf nicht näher einzugehen war. Zum ersten von der belangten Behörde herangezogenen Abweisungsgrund, nämlich dem der inländischen Fluchtalternative, führt der Beschwerdeführer auf Seite 14 der Beschwerde aus:
"In der niederschriflichen Vernehmung des Bf wurde der Bf darüber, ob er in Istanbul Schutz vor Verfolgung hätte finden können, nicht gefragt. Der Bf hat sich auf seiner Flucht nur kurze Zeit in Istanbul aufgehalten, er hat sich dort versteckt. Unmöglich hätten gegen ihn Verfolgungsmaßnahmen getroffen werden können.
Der Bf hat zwar diese Behauptungen erstmals in der Beschwerde vorgebracht, doch wurde ihm im Verwaltungsverfahren keine Gelegenheit geboten, zur Frage der Verfolgungssicherheit in einem befriedeten Teil der Türkei bzw. Istanbul Stellung zu nehmen, es habe der Bf mit diesem Vorbringen nicht gegen das gem. § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot verstoßen.
Auch in Istanbul hätte den Bf Verfolgung von seiten der türkischen Behörden getroffen, hätte er sich länger dort aufgehalten, und hätte er sich offiziell dort angemeldet. Die belangte Behörde hat somit dadurch, daß sie den angefochtenen Bescheid ohne Vorliegen von entsprechenden Untersuchungen über die Verfolgungssituation von Kurden in Istanbul erlassen, ohne daß Gelegenheit für Parteiengehör gewährt worden wäre."
Angesichts der zuvor wörtlich wiedergegebenen eigenen Darstellung des Beschwerdeführers ist dieses Vorbringen unverständlich und aktenwidrig. Insoweit der Beschwerdeführer erstmals in der Beschwerde die Behauptung aufstellt, ihn hätten auch in Istanbul Verfolgungshandlungen von seiten der türkischen Behörden getroffen, hätte er sich länger dort aufgehalten und hätte er sich offiziell dort angemeldet, unterliegt diese dem auch vom Beschwerdeführer zutreffend zitierten Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG, welcher hier zur Anwendung gelangt, da dem Beschwerdeführer nicht nur anläßlich seiner mündlichen Einvernahme, sondern auch im Rahmen des Berufungsverfahrens die Möglichkeit eines entsprechenden Vorbringens - auch nach der durch die Aufhebung des Wortes "offenkundig" durch den Verfassungsgerichtshof mit dessen Erkenntnis vom 1. Juli 1994 geschaffenen neuen Rechtslage - gegeben gewesen wäre.
Verfahrensmängel wurden mit dem oben wörtlich wiedergegebenen Inhalt der Berufung weder ausdrücklich noch implizite geltend gemacht.
Ist aber bereits aufgrund des von der belangten Behörde gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 heranzuziehenden Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens erster Instanz klar, daß dem Beschwerdeführer Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 nicht zukommt, erübrigt sich auch ein Eingehen auf die weitere Begründung der belangten Behörde, es läge auch der Ausschlußtatbestand des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 vor, und die darauf eingehende Replik des Beschwerdeführers.
Abschließend sei nochmals darauf hingewiesen, daß es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entspricht, von der abzugehen kein Anlaß besteht, daß es auf die konkrete, vom Asylwerber darzustellende Einzelsituation des Betreffenden ankommt und die "allgemeinen Verhältnisse" im jeweiligen Heimatland eines Asylwerbers lediglich im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau Berücksichtigung finden kann.
Aus diesen Gründen erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200560.X00Im RIS seit
20.11.2000