TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/24 W216 2240519-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.11.2021
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Entscheidungsdatum

24.11.2021

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W216 2240519-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marion STEINER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Benedikta TAURER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , bevollmächtigt vertreten durch den Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland (KOBV), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich, vom 01.02.2021, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Dem Beschwerdeführer wurde seitens des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; im Folgenden: belangte Behörde) im März 2020 ein bis 31.03.2021 befristeter Behindertenpass mit der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" ausgestellt. Es wurde eine Nachuntersuchung für März 2021 vorgesehen, da es zu einer Besserung des Leidens 1 durch eine operative Sanierung kommen könne.

2. Mit bei der belangten Behörde am 29.09.2020 eingelangtem Schreiben vom 28.09.2020 beantragte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung die Verlängerung seines befristeten Behindertenpasses.

2.1. Zur Überprüfung des Antrages wurde von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 19.11.2020, mit dem Ergebnis eingeholt, dass beim Beschwerdeführer ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. feststellbar sei, die Voraussetzungen für die Eintragung des Zusatzvermerkes "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass jedoch nicht vorlägen.

2.2. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 10.12.2020 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 45 Abs. 3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnis gebracht und ihm die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt dieses Schreibens eine schriftliche Stellungnahme einzubringen.

2.3. Mit dem bei der belangten Behörde am 29.12.2020 eingelangtem Schreiben vom 23.12.2020 erhob der Beschwerdeführer Einwendungen und führte im Wesentlichen aus, dass er an höhergradigen Schädigungen im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates leide. Erschwerend komme die Adipositas per magna hinzu und sei die Fortbewegung daher nach wie vor massiv erschwert. Eine objektiv belegbare Besserung im Vergleich zum Sachverständigengutachten vom März 2020 sei nicht eingetreten.

2.4. Zur Überprüfung der Einwendungen ersuchte die belangte Behörde um eine auf der Aktenlage basierende ergänzende medizinische Stellungnahme des bereits befassten Facharztes für Orthopädie, der in seiner Stellungnahme vom 01.02.2021 festhält, dass aus dem Körpergewicht des Beschwerdeführers nicht zwingend eine maßgebliche Gehbehinderung abzuleiten sei. Befunde, die eine Änderung der Beurteilung rechtfertigen würden seien nicht vorgelegt worden. Das Körpergewicht betreffend sei noch ein Therapiebedarf und eine Änderungsmöglichkeit gegeben, sodass langfristig daraus keine relevante Funktions-behinderung zu ziehen sei. In der Gesamtbeurteilung ergebe sich somit keine Änderung.

3. In der Folge wurde dem Beschwerdeführer seitens der belangten Behörde – basierend auf dem Ergebnis des medizinischen Ermittlungsverfahrens – ein unbefristeter Behindertenpass ausgestellt.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 01.02.2021 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 29.09.2020 auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 BBG unter Zugrundelegung der Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens ab. In der rechtlichen Beurteilung zitierte die belangte Behörde die maßgeblichen Bestimmungen des BBG.

4.1. Mit bei der belangten Behörde am 01.02.2021 eingelangtem Schreiben des Beschwerdeführers vom 29.01.2021 übermittelte dieser einen medizinischen Befund vom 20.01.2021.

5. Mit bei der belangten Behörde am 17.03.2021 eingelangtem Schreiben vom 16.03.2021 erhob der Beschwerdeführer – fristgerecht und unter Vorlage medizinischer Unterlagen – das Rechtsmittel der Beschwerde. Darin führt er aus, warum ihm eine Benützung öffentlicher Verkehrsmittel weiterhin nicht zumutbar sei. Eine operative Sanierung sei nicht erfolgt und sei sein Zustand im Vergleich zum März 2020 unverändert, weshalb es nicht nachvollziehbar sei, dass nunmehr die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht mehr vorlägen. Der Beschwerdeführer beantragte u.a. die Einholung von Sachverständigengutachten aus den Fachbereichen Orthopädie und Innere Medizin.

6. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht am 18.03.2021 zur Entscheidung vorgelegt.

6.1. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichts ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin sowie Fachärztin für Unfallchirurgie, basierend auf der persönlichen Begutachtung des Beschwerdeführers am 17.06.2021, mit dem Ergebnis eingeholt, dass die Voraussetzungen für die Eintragung des Zusatzvermerkes "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass nicht vorliegen.

6.2. Im Rahmen des vom Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17 VwGVG iVm § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs vom 07.10.2021 zum Ergebnis der Beweisaufnahme erhob die belangte Behörde keine Einwendungen.

6.3. Der Beschwerdeführer erstattete mit Schreiben vom 20.10.2021 eine Stellungnahme, in der er sich – unter erneuter Vorlage eines fachärztlichen Gutachtens vom 12.04.2019 – mit dem Ergebnis des Beweisverfahrens nicht einverstanden zeigte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Da sich der Beschwerdeführer mit der Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" in den Behindertenpass nicht einverstanden erklärt hat, war dies zu überprüfen.

1.       Feststellungen:

1.1.    Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland und besitzt einen Behindertenpass.

1.2.    Zur beantragten Zusatzeintragung:

Dem Beschwerdeführer ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.

1.2.1.  Art und Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen:

Allgemeinzustand gut, Ernährungszustand adipös.

Größe XXXX cm, Gewicht XXXX kg, Alter: XXXX Jahre

Caput/Collum: klinisch unauffälliges Hör- und Sehvermögen

Thorax: symmetrisch, elastisch

Atemexkursion seitengleich, sonorer Klopfschall, VA. HAT rein, rhythmisch.

Abdomen: Bauchdecke über Thoraxniveau, klinisch unauffällig, keine pathologischen Resistenzen tastbar, kein Druckschmerz.

Integument: unauffällig
Schultergürtel und beide oberen Extremitäten:

Rechtshänder. Der Schultergürtel steht horizontal, symmetrische Muskelverhältnisse.

Die Durchblutung ist ungestört, die Sensibilität wird als ungestört angegeben.

Die Benützungszeichen sind seitengleich vorhanden.

Ellbogen beidseits: äußerlich unauffällig, nicht verplumpt

Daumensattelgelenke beidseits: keine Subluxation, keine Rötung, Bewegungsschmerzen

Sämtliche weiteren Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig

Aktive Beweglichkeit: Schultern frei, Ellbogengelenke rechts S 0/5/120, links 0/0/130,

Unterarmdrehung frei, Handgelenke, Daumen und Langfinger seitengleich frei beweglich. Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar. Der Faustschluss ist komplett

Fingerspreizen beidseits unauffällig, die grobe Kraft in etwa seitengleich, Tonus und Trophik unauffällig

Nacken- und Schurzengriff sind uneingeschränkt durchführbar.
Becken und beide unteren Extremitäten:

Freies Stehen sicher möglich, Zehenballengang und Fersengang beidseits mit Anhalten und ohne Einsinken durchführbar.

Der Einbeinstand ist mit Anhalten möglich. Die tiefe Hocke ist zu einem Drittel möglich. Die Beinachse zeigt eine geringgradige Valgusstellung des rechten Kniegelenks, links geringgradig varisch. Symmetrische Muskelverhältnisse.

Beinlange ident.

Die Durchblutung ist ungestört, geringgradig Ödeme, distal geringgradig induriert, beidseits Varizen, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Beschwielung ist in etwa seitengleich.

Hüftgelenke beidseits: unauffällig

Kniegelenk beidseits: mäßig retropatellares Reiben und Krepitation, geringgradige Umfangsvermehrung, geringgradige Konturvergröberung, keine Überwärmung, kein Erguss, stabil.

Sämtliche weiteren Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig

Aktive Beweglichkeit: Hüften S0/90, IR/AR 10/0/30, Knie rechts 0/5/115, links 0/5/110,

Sprunggelenke und Zehen sind seitengleich frei beweglich

Das Abheben der gestreckten unteren Extremität ist beidseits bis 60° bei KG 5 möglich.
Wirbelsäule:

Schultergürtel und Becken stehen horizontal, in etwa im Lot, regelrechte Krümmungsverhältnisse. Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet, mäßig Hartspann, kein Klopfschmerz über der Wirbelsäule.

Aktive Beweglichkeit:

HWS: in allen Ebenen frei beweglich

BWS/LWS: FBA: 10 cm, Rotation und Seitneigen 30°

Lasegue bds. negativ, Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft auslösbar.
Gesamtmobilität – Gangbild:

Kommt selbständig gehend mit Crocs ohne Hilfsmittel, das Gangbild ist etwas kleinschrittig und behäbig, das linke Bein wird leicht gestreckt vorgeführt, insgesamt raumgewinnend Gesamtmobilität beim Aufstehen und Hinlegen bei Adipositas verlangsamt, jedoch selbstständig möglich

Das Aus- und Ankleiden wird selbständig im Sitzen durchgeführt.
Status psychicus:

Allseits orientiert; Merkfähigkeit, Konzentration und Antrieb unauffällig; Stimmungslage ausgeglichen.

1.2.2.  Art der Funktionseinschränkungen:

1)       Kniegelenksabnützung beidseits

2)       Varikositas beidseits

3)       Bluthochdruck

4)       Bewegungseinschränkung beider Ellbogengelenke, Abnützungserscheinungen beider Daumensattelgelenke

1.2.3.  Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:

Hinsichtlich der beim Beschwerdeführer festgestellten Gesundheitsschädigungen, ihrer Art und Schwere sowie ihrer Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel werden die diesbezüglichen Beurteilungen im Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 19.09.2021 der nunmehrigen Entscheidung zugrunde gelegt.

Beim Beschwerdeführer liegen keine Funktionsbeeinträchtigungen der oberen und unteren Extremitäten oder der Wirbelsäule vor, welche die Mobilität erheblich und dauerhaft einschränken. Der Beschwerdeführer ist in der Lage, kurze Wegstrecken entsprechend einer Entfernung von rund 300 bis 400 Metern aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe zurückzulegen. Dem Beschwerdeführer sind das Ein- und Aussteigen in ein öffentliches Verkehrsmittel, die Bewältigung von Niveauunterschieden, das Stehen, das Anhalten, die notwendige Fortbewegung innerhalb eines öffentlichen Verkehrsmittels und die Sitzplatzsuche in (fahrenden) öffentlichen Verkehrsmitteln möglich. Die Greiffunktionen sind erhalten. Ein neurologisches Defizit besteht nicht; die muskuläre Situation ist unauffällig

Der sichere und gefährdungsfreie Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln – auch während der Fahrt – ist gewährleistet.

Die beim Beschwerdeführer bestehende funktionelle Einschränkung beider Kniegelenke ist mittelgradig ausgeprägt. Eine erhebliche Einschränkung der Gangleistung ist dadurch nicht begründbar. Auch die Varizen beidseits mit geringgradiger Schwellungsneigung und der Bluthochdruck vermindern die Gangleistung nicht. Die Bewegungseinschränkung im Bereich beider Ellbogengelenke und die Abnützungserscheinungen beider Daumensattelgelenke sind geringgradig ausgeprägt und führen zu keiner erheblichen Erschwernis beim Benützen öffentlicher Verkehrsmittel.

Es liegen keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vor, welche sich maßgeblich auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirken. Es liegt keine maßgebliche cardiopulmonale Funktionseinschränkung vor. Der beim Beschwerdeführer vorliegende Bluthochdruck ist medikamentös kompensiert. Eine maßgebliche Einschränkung der Herzleistung ist den Befunden nicht zu entnehmen. Eine Lungenfunktionseinschränkung ist nicht belegt.

Ebenso wenig bestehen Hinweise auf das Vorliegen erheblicher Einschränkungen der psychischen, neurologischen oder intellektuellen Fähigkeiten und Funktionen sowie einer hochgradigen Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit. Auch eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems liegt beim Beschwerdeführer nicht vor.

Insgesamt spricht bei Berücksichtigung der gesundheitlichen Einschränkungen des Beschwerdeführers aus medizinischer Sicht nichts dagegen, dass ihm die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zugemutet wird.

Die vorgebrachten Schmerzen liegen nicht in einem Ausmaß vor, welches das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Überwinden von Niveauunterschieden und das Benützen öffentlicher Verkehrsmittel erheblich erschwerten.

2.       Beweiswürdigung:

Aufgrund der vorliegenden Beweismittel und des Aktes der belangten Behörde ist das Bundesverwaltungsgericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein ausreichendes Bild zu machen. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess, der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76).

Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: "Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (…)".

Zu 1.1.) Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.

Zu 1.2.) Die Feststellungen zu Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen sowie zum Nichtvorliegen erheblicher – die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bewirkender – Funktionseinschränkungen gründen sich – in freier Beweiswürdigung – in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die eingeholten und vorgelegten Beweismittel:

Das seitens des Bundesverwaltungsgerichts eingeholte Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin sowie Fachärztin für Unfallchirurgie ist – auch in Zusammenschau mit den durch die belangte Behörde eingeholten Sachverständigengutachten – vollständig, schlüssig, nachvollziehbar und frei von Widersprüchen. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Auch wurde zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel umfassend Stellung genommen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers erhobenen klinischen Befund, entsprechen unter Berücksichtigung der vorgelegten Beweismittel den festgestellten Funktionseinschränkungen. Die Krankengeschichte des Beschwerdeführers wurde umfassend und differenziert nach den konkret vorliegenden Krankheitsbildern auch im Zusammenwirken zueinander berücksichtigt. Die vorgelegten Beweismittel – so auch jenes mit der Beschwerdeschrift und erneut im Rahmen des Parteiengehörs vorgelegte "Fachärztliche Gutachten Innere Medizin" vom 12.04.2019 – sind in die Beurteilung eingeflossen. Die befasste Sachverständige hat sich eingehend damit auseinandergesetzt. Die Beweismittel enthalten keine neuen fachärztlichen Aspekte, welche unberücksichtigt geblieben sind, und sind nicht geeignet die gutachterlichen Feststellungen überzeugend in Frage zu stellen. Die Sachverständige hat einen umfassenden klinischen Befund erhoben und bewertet.

Anhand der Art und Schwere der festgestellten Gesundheitsschädigungen konnten dem Gutachten zufolge weder erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren und oberen Extremitäten oder der Wirbelsäule, der körperlichen Belastbarkeit, der psychischen, neurologischen oder intellektuellen Fähigkeiten und Funktionen noch eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit oder eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems objektiviert werden. Bei ihren Einschätzungen konnte sich die Sachverständige auf den von ihr erhobenen klinischen Untersuchungsbefund einschließlich des festgestellten Gangbildes sowie auf die vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Beweismittel stützen.

So kommt die fachärztliche Sachverständige hinsichtlich der beim Beschwerdeführer vorliegenden Leidenszustände im Einklang mit dem Untersuchungsbefund zu dem – fachärztlich überzeugenden – Ergebnis, dass die beim Beschwerdeführer beidseits vorliegenden Kniegelenksabnützung mittelgradig ausgeprägt sind und keine erhebliche Einschränkung der Mobilität begründen. Die weiteren Gelenke der unteren Extremitäten sowie die muskuläre Situation sind unauffällig. Auch die beidseits vorliegenden Varizen mit geringgradiger Schwellungsneigung und der beim Beschwerdeführer feststellbare Bluthochdruck vermindern die Gangleistung nicht. Der Beschwerdeführer leidet zwar unter Bewegungseinschränkungen im Bereich beider Ellbogengelenke und Abnützungserscheinungen beider Daumensattelgelenke, sie sind jedoch geringgradig ausgeprägt, sodass Haltegriffe erreicht werden können und auch die Greiffunktionen sind erhalten.

Die Sachverständige führt weiters aus, dass beim Beschwerdeführer keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vorliegen und begründet dies schlüssig damit, dass beim Beschwerdeführer insbesondere keine maßgebliche cardiopulmonale Funktionseinschränkung festgestellt werden konnte. Der diagnostizierte Bluthochdruck ist medikamentös kompensiert und eine maßgebliche Einschränkung der Herzleistung ist den Befunden nicht zu entnehmen. Auch eine Lungenfunktionseinschränkung ist nicht belegt.

Hinsichtlich der Möglichkeit des Beschwerdeführers in öffentliche Verkehrsmittel einzusteigen und diese zu verlassen führt die Sachverständige schlüssig aus, dass die mittelgradigen Funktionseinschränkungen im Bereich der Kniegelenke und die Adipositas permagna zu einer Erschwernis beim Überwinden von Niveauunterschieden, Einsteigen und Aussteigen führt. Es konnte jedoch im Bereich der weiteren Gelenke der unteren Extremitäten sowie beider oberen Extremitäten keine erhebliche Funktionseinschränkung festgestellt werden, sodass die Gesamtmobilität ausreichend ist und vor allem durch Benützung der Haltegriffe das Überwinden von Niveauunterschieden zumutbar und möglich ist. Die Verwendung von orthopädischen Schuhen, jedenfalls von Schuheinlagen, fördert die Stand- und Gangsicherheit, und stellt eine zumutbare therapeutische Option dar. Eine Intensivierung der analgetischen Therapie und multimodale konservative Behandlungen, auch zur Gewichtsreduktion, sind zumutbar und möglich.

Die von der belangten Behörde beigezogene fachärztliche Sachverständige beschreibt die wahrgenommene Gesamtmobilität anschaulich und hält in ihrem Sachverständigengutachten fest, dass der Beschwerdeführer selbständig gehend, mit Crocs und ohne Hilfsmittel zur Untersuchung gekommen ist. Das Gangbild gestaltet sich etwas kleinschrittig und behäbig, insgesamt raumgewinnend. Das Aus- und Ankleiden wird vom Beschwerdeführer selbständig im Sitzen durchgeführt. Der Beschwerdeführer ist diesen Ausführungen der fachärztlichen Sachverständigen nicht ausreichend substantiiert entgegengetreten und stehen die vorgelegten Befunde dieser Beurteilung auch nicht entgegen bzw. konnte aktuell eine Verbesserung der Gehleistung angegeben werden.

Soweit der Beschwerdeführer moniert, dass keine Besserung zur Begutachtung vom März 2020 eingetreten sei, ist ihm zu entgegnen, dass im Rahmen der persönlichen Untersuchung zwar eine Verlangsamung festgestellt wurde, eine zumutbare Gehleistung jedoch erzielt werden konnte (etwa 20 Minuten bei etwa 250 Meter). Hochgradige Knorpelschäden und hochgradige klinisch objektivierbare Funktionsdefizite im Bereich der Kniegelenke liegen – wie bereits festgehalten – nicht vor und sind die weiteren Gelenke der unteren Extremitäten nicht eingeschränkt. Unter zumutbarer analgetischer Therapie ist die Gehleistung nicht erheblich erschwert und können 300-400 Meter zurückgelegt werden, sodass im Vergleich zur Begutachtung vom März 2020 aus heutiger Sicht eine Verbesserung eingetreten ist.

Aus dem Gutachten ergeben sich auch keinerlei Hinweise auf maßgebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen oder dem Vorliegen einer hochgradigen Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit.

Die bestehenden Funktionseinschränkungen erreichen somit – wie dargelegt – kein entsprechend schweres Ausmaß, um die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu rechtfertigen.

Das seitens des Bundesverwaltungsgerichts eingeholte Sachverständigengutachten steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Dem – nicht als unschlüssig zu erkennenden – Sachverständigengutachten, insbesondere dem im klinischen Befund beschriebenen Ausmaß der objektivierten Funktionseinschränkungen, ist der Beschwerdeführer in dem ihm vom Bundesverwaltungsgericht eingeräumten Parteiengehör nicht ausreichend substantiiert entgegengetreten. Die Einwendungen des Beschwerdeführers waren nicht geeignet, den vorliegenden Sachverständigenbeweis in Zweifel zu ziehen und eine Änderung des Ermittlungsergebnisses herbeizuführen, zumal die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Leidenszustände von der vom Bundesverwaltungsgericht befassten Sachverständigen in ihrem Gutachten gehörig gewürdigt und mittels einer ebenso ausführlichen wie schlüssigen Begründung in fachlicher Hinsicht entkräftet wurden. Die Krankengeschichte des Beschwerdeführers wurde umfassend und differenziert nach den konkret vorliegenden Krankheitsbildern auch im Zusammenwirken zueinander berücksichtigt. Die Angaben des Beschwerdeführers konnten somit nicht über den erstellten Befund hinaus objektiviert werden.

Zur Erörterung der Rechtsfrage, ob dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist, siehe die rechtlichen Erwägungen unter Punkt II 3.1.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichtes mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A)
1.         Zur Entscheidung in der Sache:

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)

Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. (§ 42 Abs. 1 BBG)

Der Behindertenpass ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist. (§ 42 Abs. 2 BBG)

Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen. (§ 45 Abs. 1 BBG)

Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu. (§ 45 Abs. 2 BBG)

Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist u.a. jedenfalls einzutragen:

3.       die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-        erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-        erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-        erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-        eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-        eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

(§ 1 Abs. 4 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen auszugsweise)

Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

(§ 1 Abs. 5 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen)

In den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II 495/2013 wird u.a. Folgendes ausgeführt:

Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise):

Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.

Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.

Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.

Die Begriffe "erheblich" und "schwer" werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.

Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

-        arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

-        Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

-        hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

-        Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

-        COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

-        Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

-        mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:

-        Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr

-        hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten

-        schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen

?        nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128, und die dort angeführte Vorjudikatur sowie vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0242, vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.

Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt. (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080)

Betreffend das Kalkül "kurze Wegstrecke" wird angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof von einer unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 – 400 m ausgeht. (vgl. u.a. Ro 2014/11/0013 vom 27.05.2014, 2012/11/0186 vom 27.01.2015)

Wie unter Punkt II.2. bereits ausgeführt, sind das Beschwerdevorbringen und die vorliegenden Beweismittel nicht geeignet darzutun, dass die gutachterliche Beurteilung nicht dem tatsächlichen Leidensausmaß des Beschwerdeführers entspräche. Dem Vorbringen und den vorgelegten Beweismitteln konnten keine fundierten Anhaltspunkte entnommen werden, welche geeignet wären, das Ergebnis des eingeholten Sachverständigenbeweises zu entkräften.

Soweit in der Beschwerde die Einholung von weiteren medizinischen Sachverständigengutachten beantragt wird, ist dazu auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den vergleichbaren Bestimmungen des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG) zu verweisen, wonach die Behörde im Zusammenhang mit der Einschätzung des Grades der Behinderung verpflichtet ist, zur Klärung medizinischer Fachfragen ärztliche Gutachten einzuholen. Das Gesetz enthält aber keine Regelung, aus der erschlossen werden kann, dass ein Anspruch auf die Beiziehung von Fachärzten bestimmter Richtung bestünde. Es besteht demnach kein Anspruch auf die Zuziehung eines Facharztes eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt vielmehr auf die Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten an (vgl. VwGH 24.06.1997, Zl. 96/08/0114). Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, wird das eingeholte Sachverständigengutachten als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet.

Gegenständlich liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, dass die Befassung einer Sachverständigen der Fachrichtungen Unfallchirurgie und Allgemeinmedizin sachwidrig erfolgt ist.

Es ist beim Beschwerdeführer von einer ausreichenden Funktionsfähigkeit des Stütz- und Bewegungsapparates auszugehen. Schwerwiegende Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit, ein Immundefizit, Einschränkung der Sinnesfunktionen oder maßgebende psychische Probleme welche geeignet wären, die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu begründen, sind weder in den vorgelegten Befunden dokumentiert noch konnten solche Leidenszustände im Rahmen der persönlichen Untersuchung objektiviert werden.

Die vorgebrachten Schmerzen konnten auf Grund der vorliegenden Gesamtmobilität nicht in einem Ausmaß festgestellt werden, welche die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erheblich erschweren.

Der Beschwerdeführer kann sich im öffentlichen Raum selbstständig fortbewegen und es ist ihm möglich, eine kurze Wegstrecke aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, ohne Unterbrechung, zurückzulegen. Die festgestellten Defizite wirken sich nicht maßgebend auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens aus. Der sichere und gefährdungsfreie Transport im öffentlichen Verkehrsmittel ist nicht erheblich eingeschränkt und somit gewährleistet.

Daher ist dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel derzeit zumutbar. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Prüfung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" nach Maßgabe des § 41 Abs.2 BBG in Betracht kommt.

Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen kein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.

2.       Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(§ 24 Abs. 1 VwGVG)

Die Verhandlung kann entfallen, wenn

1.       der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.       die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

(§ 24 Abs. 2 VwGVG)

Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. (§ 24 Abs. 3 VwGVG)

Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. (§ 24 Abs. 4 VwGVG)

Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden. (§ 24 Abs. 5 VwGVG)

Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen für den beantragten Zusatzvermerk sind die Art, das Ausmaß und die Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.

Zur Klärung des Sachverhaltes wurden daher von der belangten Behörde sowie vom Bundesverwaltungsgericht ärztliche Sachverständigengutachten eingeholt. Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, wurden diese als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet.

Der Beschwerdeführer hat vom zugrunde gelegten Sachverständigenbeweis vollinhaltlich Kenntnis erlangt. Im Rahmen des ihm seitens des Bundesverwaltungsgerichts eingeräumten Parteiengehörs hatte er die Möglichkeit sich zu äußern bzw. Beweismittel vorzulegen. Das Vorbringen war – wie bereits ausgeführt – jedoch nicht geeignet, relevante Bedenken an den sachverständigen Feststellungen und Beurteilungen hervorzurufen. Der Beschwerdeführer wurde sowohl im behördlichen Verfahren als auch im Beschwerdeverfahren persönlich untersucht. Die vorgebrachten Argumente und vorgelegten Beweismittel wurden im eingeholten Sachverständigengutachten berücksichtigt, soweit diese einschätzungsrelevante Aspekte enthalten bzw. noch aktuell sind. Sohin ist der Sachverhalt geklärt. Daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben. Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist auch kein absoluter. (VfGH vom 09.06.2017, E 1162/2017)

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

In den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II 495/2013 wird ausgeführt, dass damit präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden sollen. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt. Es war sohin keine – von der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abweichende – Neuregelung beabsichtigt. Vielmehr wird in den Erläuterungen ausdrücklich festgehalten, dass im Hinblick auf die ab 01.01.2014 eingerichtete zweistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit, um Rechtssicherheit zu gewährleisten und die Einheitlichkeit der Vollziehung der im Behindertenpass möglichen Eintragungen sicherzustellen, die Voraussetzungen, die die Vornahme von Eintragungen im Behindertenpass rechtfertigen, in einer Verordnung geregelt werden sollen.

Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.

Schlagworte

Behindertenpass öffentliche Verkehrsmittel Sachverständigengutachten Zumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W216.2240519.1.00

Im RIS seit

22.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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