TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/1 W150 2248626-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.12.2021
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Entscheidungsdatum

01.12.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1 Z3
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs1
FPG §76 Abs2 Z1
FPG §76 Abs3 Z1
FPG §76 Abs3 Z3
FPG §76 Abs3 Z9
VwG-AufwErsV §1 Z5
VwGVG §35 Abs1

Spruch


W150 2248626-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geb. XXXX .1992, StA. GEORGIEN, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung, FN 525828b, gegen den Bescheid der BFA, Regionaldirektion Wien (BFA-W) vom 05.11.2021, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.11.2021 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG idgF, § 76 Abs. 2 Z 1 FPG idgF iVm § 76 Abs. 3 Z 1, 3 und Z 9 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG idgF, § 76 Abs. 2 Z 1 FPG idgF iVm § 76 Abs. 1, 3 Z 1, Z 3 und Z 9 FPG idgF wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorliegen.

III. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG idgF iVm § 1 Z 5 VwG-AufwErsV idgF, hat die beschwerdeführende Partei dem Bund Aufwendungen in Höhe von 887,20 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

IV. Der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG idgF abgewiesen.

B)

Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge auch: „BF“), ein Staatsangehöriger der Republik Georgien stellte nach illegaler Einreise am 17.03.2018 in das Bundesgebiet erstmals am 18.03.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Anlässlich der Erstbefragung am 18.03.2018 durch Organwalter der LPDion NÖ, PI Schwechat Wiener Straße gab er zusammengefasst im Wesentlichen und soweit verfahrensrelevant, als Fluchtgrund an, dass er ein Mädchen geliebt hätte, dessen Vater gegen diese Beziehung gewesen sei und ihn habe verhaften lassen. Das Gericht hätte ihn zu Unrecht wegen Diebstahls zu acht Jahren Haft verurteilt, wovon er sechs Jahre abgesessen habe. Unterlagen, die seine Unschuld beweisen würden, könne er sich nachschicken lassen.

3. Am 18.04.2018 wurde er vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch: „BFA“ oder „belangte Behörde“), unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Georgisch einvernommen. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen befragt u.a. an: „Ich habe mich ein Mädchen verliebt und der Familie des Mädchens hat das nicht gepasst, weil ich ein ganz einfacher armer Bursche bin. Das Mädchen hat mich auch geliebt und wir wollten sogar heiraten. Ich habe sie sogar nach Hause gebracht und meinen Eltern vorgestellt und diese waren auch damit einverstanden, dass sie für immer bei mir bleibt. Aber schon am selben Tag am Abend wurde sie mir von dem Vater des Mädchens entrissen. Gleich am 2.Tag wurde ich festgenommen und für Diebstahl zur Verantwortung gezogen. Es gab sogar einen angeblichen Zeugen, aber die Sache war für alle klar. Der Vater meiner Freundin war ein wichtiger Beamter bei der Polizei und hat mir diese Sache angelastet, um mich von seiner Tochter fernzuhalten. Der angebliche Zeuge war seine Vertretung in der Arbeit und ich wurde verurteilt. Normalerweise bekommt man für ein solches Delikt maximal bis zu 7 Jahre Freiheitsstrafe. Ich habe aber 8 Jahre bekommen. Ich nehme an, dass der Vater meiner Freundin viele Verbindungen zu Richtern und Staatsanwälten hat. So bin ich als ein unschuldiger Mensch im Gefängnis gelandet, aber nach 2 Jahren meiner Gefängniszeit wurde der Vater meiner Freundin auch wegen Amtsmisshandlung festgenommen und verurteilt. Er wurde zu drei Jahren verurteilt. Er musste ein volles Jahr absitzen. Er wurde nicht nur entlassen, sondern hat kurz vor meiner Enthaftung seinen alten Arbeitsplatz zurückbekommen. Der Regierungswechsel hat in dieser Angelegenheit eine Rolle gespielt. Der Vater meiner Freundin hat daher seine Arbeit schnell wieder zurückbekommen. Der Regierungswechsel hat auch bewirkt, dass ich begnadigt wurde. Nach meiner Entlassung habe ich glich den Kontakt zu meiner Freundin wieder aufgenommen. Wir haben und 2- bis 3-Mal getroffen und ihr Vater der inzwischen seine Macht wieder zurückerlangt hat, hat angefangen mich zu bedrohen, dass ich wieder etwas angehängt bekomme und dass ich am besten vorher verschwinden solle. Es gab einige Zwischenfälle. Ich wurde einmal in ein Polizeiauto gezerrt und in die Polizeiabteilung gebracht und dort richtig zusammengeschlagen. Die Partei korrigiert die Aussage dahingehend, dass gesagt wurde, Ich sollte nicht das Land sondern nur die Region verlassen. Ich habe mich nur dort wohlgefühlt und sonst nirgendwo in Georgien Fuß fassen konnte. Wegen der Krankheit, welche einen bleibenden Schaden bei mir hinterlassen hat, Nachgefragt: allgemeine Schwäche nicht im Stande zu sein schwere körperliche Arbeit zu verrichten. Haben meine Freunde und meine Familie das Geld zusammengelegt und so konnte ich das Land verlassen.“ Weiters erläuterte er, dass er in Georgien alle Rechtsmittel ausgeschöpft hätte und dass er die Unterlagen für die gesamte Strafsache einschließlich Berufungen zu Hause in Georgien liegen hätte.

Im Rahmen dieser Befragung wurde der BF auch sehr detailliert über die in Österreich geltenden meldegesetzlichen Bestimmungen belehrt.

3. Mit Bescheid vom 19.04.2018, Zl. XXXX , wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Georgien (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte es dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen diesen eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, wonach seine Abschiebung nach Georgien zulässig sei (Spruchpunkt III.). Zugleich wurde der Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.) und dem BF die Unterkunftnahme in einer bestimmten Betreuungsstelle bestimmten Rückkehrberatungseinrichtungen des Bundes ab 18.04.2018 (sic!) aufgetragen (Spruchpunkt IV.). Begründend führte das BFA im Wesentlichen und soweit verfahrensrelevant zusammengefasst, aus, dass die vom BF im Verfahren vorgebrachte individuelle Gefährdungslage nicht glaubhaft sei, weder von staatlichen Institutionen noch von sonstigen machtausübenden Gruppierungen Bedrohungen gegenüber seiner Person vorlägen, er in Georgien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten Verfolgung ausgesetzt sei. Eine asylrechtlich relevante Verfolgung habe er nicht vorgebracht. Weiters verfüge er im Heimatland über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte und würde deshalb nach seiner Rückkehr auch Unterstützungs- und Unterkunftsmöglichkeiten vorfinden. Er sei arbeitsfähig und habe auch vor der Ausreise für seinen Lebensunterhalt sorgen können. Er würde somit nicht in eine wirtschaftlich oder finanziell aussichtslose Lage geraten. Bei Georgien handle es sich zudem um einen sicheren Herkunftsstaat (VO der BReg, BGBl. II Nr. 177/2009). Er habe keine verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte in Österreich, die eine Bindung zu Österreich darstellen würden, soziale Kontakte, die eine Bindung zu Österreich darstellten, gäbe es nicht, er befinde sich in der Grundversorgung, gehe keiner Arbeit nach und habe keinen Deutschkurs absolviert. Sein Aufenthalt in Österreich werde ausschließlich aus Mitteln der Bundesverwaltung finanziert. Dieser Bescheid erwuchs in I. Instanz am 22.05.2018 in Rechtskraft.

4. Am 26.04.2018 beging der BF in einem Drogeriemarkt in Wien einen versuchten Ladendiebstahl betreffend Nachfüllrasierklingen (Gesamtwert EUR 497,10).

5. Am 24.05.2018 stellte der BF einen Antrag auf freiwillige Ausreise, der in weiterer Folge genehmigt wurde. Da der BF dann zum geplanten Ausreisetermin nicht erschien, übermittelte die damit betraute Organisation am 27.06.2018 das von ihr beschaffte Heimreisezertifikat dem BFA.

6. Am 26.06.2018 beging der BF in einem Drogeriemarkt in Wien einen versuchten Ladendiebstahl betreffend Aufsätze für elektrische Zahnbürsten (Gesamtwert EUR 124,95) und durch Organe der LPDion Wien festgenommen.

7. Am 27.06.2018 wurde der BF durch das BFA niederschriftlich einvernommen. Diese Einvernahme musste zunächst abgebrochen werden, da der BF angab, TBC zu haben und die im 7. Monat schwangere Dolmetscherin daraufhin die Einvernahme abbrach. Mit einem neuen Dolmetsch wurde diese fortgesetzt. Dabei gab der BF u.a. an, dass er in Georgien bedingt verurteilt worden sei, weil er eine Flasche Alkohol gestohlen habe, davon seien vier Jahre noch offen, zwei habe er abgesessen, bei einer Rückkehr würde man ihn vom Flughafen weg sofort einsperren. Im Anschluss daran wurde über den BF mit Mandatsbescheid die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung verhängt und ihm mit Verfahrensanordnung ein Rechtsberater zur Seite gestellt. Die angegebene TBC-Erkrankung bestätigte sich in weiterer Folge trotz durchgeführter medizinischer Untersuchung am 28.06.2018 nicht.

8. Am 28.06.2018 wurde vom BFA ein Abschiebeauftrag (Luftweg) für den 03.07.2018 erteilt.

9. Am 02.07.2018 wurde dem BF Zehrgeld in der Höhe von EUR 50,- ausgefolgt und er danach vom PAZ Hernalser Gürtel in das PAZ Rossau überstellt. Bei der dortigen Aufnahme wurden Kaubewegungen des BF festgestellt und, nachdem dieser der Aufforderung, den Mund zu öffnen nicht nachkam, Nachschau gehalten. Dabei wurden zwei in eine Schnur eingewickelte Rasierklingen sichergestellt. Besondere Sicherheitsmaßnahmen (zB Sicherheitsgewand) wurden daher aufgrund der Gefahr der Selbstverletzung ergriffen.

10. Am 03.07.2018 um 12:00 Uhr wurde der BF mittels Charterflug nach Georgien abgeschoben.

11. Am 07.10.2021 beging der BF in einem Drogeriemarkt in Wien einen versuchten Ladendiebstahl betreffend Parfüms (Gesamtwert EUR 298,85) und wurde im Anschluss daran durch Organe der LPDion Wien festgenommen. In weiterer Folge wurde über den BF am 08.10.2021 die Untersuchungshaft verhängt.

12. Am 22.10.2021 wurde der BF durch das BFA vom Ergebnis der Beweisaufnahme in der Angelegenheit „Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm Einreiseverbot, in eventu Erlassung eines ordentl. Schubhaftbescheides gem. § 76 FPG“ verständigt und ihm dazu Parteiengehör eingeräumt.

13. Mit Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 05.11.2021, 115 Hv 73/21d, wurde der BF wegen des Vergehens des – zT versuchten - gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 Abs. 1, erster Fall, zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten, davon 9 Monate bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren nachgesehen, verurteilt. Dabei wurden u.a. Tathandlungen des BF unter Verwendung einer mit Alufolie präparierten Umhängetasche jeweils in Wien am 15.09., 20.09., 05.10. und 07.10.2021 festgestellt.

13. Nach Entlassung aus der Strafhaft wurde der BF am 05.11.2021 festgenommen, dem BFA vorgeführt und vom BFA unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die georgische Sprache einvernommen. Dabei wurde ihm zu Beginn der Einvernahme u.a. der Verhandlungsgegenstand („Rückkehrentscheidung iVm Einreiseverbot, Schubhaft, Abschiebung) erläutert. Dabei gab der BF im Wesentlichen und soweit verfahrensrelevant zusammengefasst, an, dass er am 02.09.2021 aus Georgien nach Polen und von dort mit einem Bekannten nach Österreich gereist sei. Er sei am 13.09.2021 hier angekommen und habe um Asyl ansuchen wollen. Er habe zuerst in einem Hotel, danach bei einem Freund in der Josefstädter Straße Unterkunft genommen; Adresse und Name des Bekannten seien ihm nicht mehr erinnerlich. Zur Frage, wie er den Aufenthalt im Bundesgebiet finanziert habe, gab er an bei der Einreise EUR 900,- gehabt zu haben, jetzt habe er noch EUR 300,-. Er sei im Bundesgebiet keiner legalen Beschäftigung nachgegangen, Familienangehörige oder enge Freunde habe er nicht im Bundesgebiet, seine Angehörigen lebten in Georgien, wo er auf Baustellen gearbeitet und monatlich etwa EUR 150,- verdient hätte. Er habe weder strafrechtliche noch politische Probleme in Georgien. Nachdem ihm mitgeteilt wurde, dass eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot in der Höhe von fünf Jahren erlassen und er so schnell wie möglich nach Georgien abgeschoben werde, gab der BF an, einen Asylantrag stellen zu wollen. Da für das BFA Gründe zur Annahme bestanden, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde, wurde dies im Rahmen der Niederschrift schriftlich festgehalten und dem BF zur Kenntnis gebracht.

14. Daraufhin wurde mit verfahrensgegenständlichem Mandatsbescheid vom 05.11.2021 über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendigenden Maßnahme angeordnet. Das BFA stellte dazu im Wesentlichen und soweit verfahrensrelevant zusammengefasst, begründend fest, dass der BF georgischer Staatsbürger sei, in arbeitsfähigem Alter, ledig und ohne Sorgepflichten. Er habe Er habe einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und sei bereits einmal nach Georgien abgeschoben worden, da gegen ihn eine Rückkehrentscheidung im Zuge seines seinerzeitigen negativ entschiedenen Asylantrages erlassen wurde. Der BF sei im Bundesgebiet noch nie behördlich gemeldet gewesen, sei keiner angemeldeten Beschäftigung nachgegangen, es bestehe keine begründete Aussicht, dass er eine Arbeitsstelle finde und er habe keinen Antrag auf einen Aufenthaltstitel gestellt. Er verfüge nicht über ausreichend Barmittel, um seinen Unterhalt zu finanzieren. Er sei in keiner Weise integriert. Der BF halte sich illegal in Österreich auf, wurde wegen des gewerbsmäßigen Diebstahles verurteilt, sei bei der Begehung von einem Diebstahlsdelikt auf frischer Tat betreten worden. Im bisherigen Verfahren habe er sich unkooperativ verhalten, sei nicht aus Eigenem mit der Behörde in Kontakt getreten, sondern in Österreich untergetaucht, indem er das Meldegesetz missachtet und keine Adresse bekanntgegeben habe.

15. In der am 24.11.2021 vom BF im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung erhobenen Beschwerde führte dieser im Wesentlichen und soweit verfahrensrelevant zusammengefasst aus, dass die Voraussetzungen zur Anordnung von Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens (Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, Fluchtgefahr und Verhältnismäßigkeit) im gegenständlichen Fall nicht vorlägen.

Bezüglich der mangelnden Fluchtgefahr wurde ins Treffen geführt, dass dem BF keine mangelnde Mitwirkung an diesen Verfahren vorgeworfen werden könne; er habe an den Einvernahmen mitwirkt und sei in der Untersuchungshaft auch „greifbar“ gewesen. Der BF habe zudem an seinem letzten Asylverfahren im Jahr 2018 mitgewirkt und sich damals einer Abschiebung nicht entzogen. Auch gereiche eine fehlende familiäre/soziale Integration des BF im ggstl. Fall nicht nachvollziehbar zur Annahme einer Fluchtgefahr, da der BF erst (wieder) seit wenigen Wochen in Österreich sei. Die Mittellosigkeit und fehlende soziale Integration in Bezug auf noch nicht lange aufhältige Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, allein sei noch kein tragfähiges Argument für das Bestehen eines Sicherungsbedarfs. Der BF verfüge zudem über eine private Wohnmöglichkeit bei seinem Bekannten, XXXX , in 1160 Wien, an welcher er für die belangte Behörde greifbar wäre.

Die bloße Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung sei für sich genommen nicht geeignet, eine Gefahr für die öffentliche Ordnung zu begründen. Der BF sei in Österreich erstmals zu einer unbedingten Haftstrafe von einem Monat verurteilt worden; bereits die niedrige Strafzumessung ließe erkennen, dass vom BF keine erhebliche Gefahr ausgehe.

Es sei eine spezielle Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Einbeziehung der voraussichtlichen Dauer des Asylverfahrens durchzuführen. Der BF habe einen begründeten Asylantrag gestellt. Er habe seit Abschluss seines letzten Asylverfahrens in Österreich und seiner Abschiebung nach Georgien neue Verfolgungshandlungen erlitten und habe hierfür Beweismittel. Daher sei der Asylantrag des BF inhaltlich zu prüfen und die Dauer des Asylverfahrens nicht absehbar. Auch im Falle einer Haftfähigkeit sei die Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen. Der BF sei gesundheitlich beeinträchtigt und bereits zweifach an Tuberkulose erkrankt gewesen; die Haftsituation belaste ihn stärker als durchschnittliche Schubhäftlinge.

Der BF beantragte daher, neben Kostenzuspruch, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes, die Behebung des angefochtenen Bescheides, den Ausspruch, dass die Anordnung von Schubhaft und die bisherige Anhaltung in Schubhaft in rechtswidriger Weise erfolgt sei, weiters dass die Voraussetzungen zur weiteren Anhaltung des BF nicht vorlägen.

16. Am 29.11.2021 übermittelte das BFA auf Anforderung des BVwG vom 25.11.2021 ein amtsärztliches Gutachten vom gleichen Tage, dem zufolge der BF klinisch unauffällig, subjektiv beschwerdefrei, derzeit Haft- und Prozessfähig sei.

17. Am 30.11.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Unter anderem gab der BF dabei an, dass er nach Österreich gekommen sei, um einen Asylantrag zu stellen. Er habe deshalb nicht gleich nach der von ihm mit 13./14.09.2021 angegebenen Einreise in das Bundesgebiet einen Asylantrag gestellt, da er keine Person habe auffinden können, die ihn zu einer Asylstelle hätte bringen können. Er sei über Tschechien mit einem PKW eingereist, den eine andere Person hat gelenkt habe. Er wisse nicht, wie diese Person heiße, der er Geld gegeben habe. Er habe sich leider nicht auf Deutsch ausdrücken können, zudem hätte er erfahren, dass das Aufnahmezentrum wegen der Pandemie geschlossen sei. Auf Vorhalt, warum er nicht auf die Polizeiinspektion gegangen sei, wo er bereits 2018 seinen Asylantrag gestellt habe, führte er aus, dass er nicht gewusst habe wie er wieder zu dieser Stelle komme.

Als Fluchtgründe gab er an, dass er in Georgien Probleme mit hochrangigen Polizeibeamten habe. Er habe in Georgien zwar keine Straftat begangen, aber bereits in Strafhaft gesessen. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er, festgenommen und gefoltert zu werden. So genau könne er das nicht sagen, aber er wisse, dass er in Georgien große Probleme bekommen werde. In Polen oder in Tschechien habe er deswegen keinen Asylantrag gestellt, weil er zum ersten Mal Asyl in Österreich angesucht habe, und zwar im Jahr 2018. Damals habe man mir nicht geglaubt. Jetzt habe er jedoch alle Beweise bei sich. Diese seien ein Gerichtsurteil und medizinische Dokumentationen, aber die habe er gerade nicht bei sich. Im Gerichtsurteil stehe, dass er wegen Diebstahls verurteilt wurde. Auf den Vorhalt, er habe bei seiner Einvernahme am 05.11.2021 gesagt: „Ich habe weder strafrechtliche noch politische Probleme in Georgien“ führte er aus, er habe gemeint, er habe in Georgien keine politischen Probleme. Ob das die Übersetzerin bei der Einvernahme falsch übersetzt habe, wisse er nicht. Er habe 2018 seine Verfolgungsgründe angegeben, nämlich seine Probleme mit der Polizei.

In Österreich habe er einen Tschetschenen aus Georgien kennengelernt. Er habe ihm geholfen und ihm ermöglicht, bei ihm in seiner Wohnung zu übernachten. Meldebehördlich habe er sich dort nicht angemeldet, weil er eigentlich um Asyl ansuchen wollte, deshalb habe er sich nicht angemeldet. Er hätte auch nicht gewusst, wie man sich in Österreich anmeldet. Auf die Frage, wo die von ihm erwähnten Dokumente seien, die er als Beweismittel vorlegen wolle, gab er an, dass bei seinem Freund namens XXXX seien, bei dem er gewohnt habe. Seine Unterlagen habe er bei ihm vergessen. Er habe leider keine Telefonnummer von XXXX und kenne auch die Adresse nicht. Aber er könne die Dokumente aus Georgien durch seinen Anwalt wiederbeschaffen. XXXX habe ihm auch die mit Alufolie ausgekleidete Tasche gegeben.

Einen Wohnsitz in Österreich habe er nicht aber er könne bei einem Freund namens XXXX wohnen. An dessen Nachnamen könne er sich nicht mehr erinnern. Er dürfe dort ohne Miete wohnen. Er müsse nichts zahlen. Dazu führte die Vertreterin der belangten Behörde aus, dass sich diese Unterkunftnahme nicht als Wohnsitz für den BF eigne, denn der vorgelegte Mietvertrag des in Aussicht genommenen Unterkunftgebers enthalte ein Untermietverbot. Dieser befände sich dieser selbst in einem laufenden Asylverfahren, habe niederschriftlich angegeben, selber nicht in dieser Wohnung zu wohnen und weise zudem fünf rechtskräftige Verurteilungen auf. Zudem sei gestern durch die PI Koppstraße versucht worden, eine Hauserhebung an der angeführten Adresse durchzuführen. Diese konnte aber nicht durchgeführt werden, zumal den Polizeibeamten nicht die Tür geöffnet wurde, obwohl mindestens zwei Personen in der Wohnung wahrnehmbar gewesen wären.

Auf die Frage seitens der Vertreterin der belangten Behörde, warum er anlässlich der Erstbefragung nichts von Folter erwähnt habe, führte die die Vertreterin des BF aus, dass die Erstbefragung nicht der Ermittlung der Fluchtgründe diene. Auf weiteren Vorhalt, dass er aber von selber bei dieser Erstbefragung sehr viel zu seinen Fluchtgründen ausgesagt habe, z.B. dass ihm der Diebstahl eines Pferdes vorgeworfen worden sei und dass er eine Beziehung zu einem Mädchen gehabt hätte, also Details so ausführlich dargestellt habe und als letzten Satz gesagt habe, dass das alle seine Fluchtgründe seien gab er an, dass er es nicht wisse.

Im Übrigen ergab sich im Zuge der Verhandlung nichts substanziell Neues außer, dass der Freund, bei dem der BF wohnen könne, derzeit an Corona erkrankt sei. Zur behaupteten schlechten Gesundheitssituation des BF wurden keine Befunde vorgelegt. Der erkennende Richter brachte den Parteien anschließend das aktuelle Gutachten des Amtsarztes vom gestrigen Tage zur Kenntnis.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Aufgrund der Aktenlage wird folgender Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird der oben dargelegte Verfahrensgang zur Feststellung erhoben.

1.2. Der volljährige BF ist Staatsangehöriger Georgiens, nicht österreichischer Staatsbürger oder Unionsbürger und verfügt über keine Aufenthaltsberechtigung in Österreich oder in einem anderen Mitgliedsstaat der EU.

Die Muttersprache des BF ist Georgisch, er spricht kein Deutsch. Seine Familienangehörigen leben in Georgien.

Es existieren keine sonstigen Anhaltspunkte, die auf eine Integration des BF in Österreich hinweisen.

Der BF leidet an keiner schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankung. Es gibt keinen Nachweis dafür, dass der BF einer der COVID-19-Risikogruppen angehören würde.

Der BF verfügt über einen gültigen georgischen Reisepass.

1.3. Die Anordnung der Schubhaft ist allein dem bisher gesetzten Verhalten des BF zuzurechnen, nämlich:
- Obwohl dem BF die österreichischen fremdenrechtlichen Bestimmungen bekannt waren, reiste der BF illegal in das Bundesgebiet ein.

- Obwohl dem BF die österreichischen meldegesetzlichen Bestimmungen detailliert bekannt waren, missachtete er die Bestimmungen des österreichischen Meldegesetzes und hielt sich in Österreich im Verborgenen auf.

- Der BF ging in Österreich weder 2018 einer legalen Beschäftigung nach, noch nach seiner illegalen Wiedereinreise im Jahre 2021, sondern beging bereits ab dem zweiten Tag nach dem von ihm angegebenen Zeitpunkt seiner Wiedereinreise Diebstähle, um sich durch ihre wiederkehrende Begehung längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen.

- Der Aufenthalt der BF im Bundesgebiet gefährdet die öffentliche Ordnung und Sicherheit.

- Der BF ist nicht vertrauenswürdig, er machte innerhalb weniger Tage widersprüchliche Angaben zu seinen Fluchtgründen.

- Der BF weist zum Entscheidungszeitpunkt eine strafgerichtliche Verurteilung wegen mehrerer gewerbsmäßig begangener Diebstähle auf. Er befand sich zuletzt bis 05.11.2021 in Strafhaft.

- Der BF ist nicht kooperationswillig. Der BF versuchte bereits 2018 durch Untertauchen seiner drohenden Abschiebung zu entgehen und versuchte weiters, am Vortag seiner damaligen Außerlandesschaffung diese durch Selbstverletzung zu vereiteln. Der BF ist weiterhin nicht ausreisewillig.

- Der BF hat aus dem Stande der Anhaltung einen offensichtlich unbegründeten Folgeantrag auf internationalen Schutz zum Zwecke der Verfahrensverzögerung gestellt.

1.4. Es bestand zum Zeitpunkt der Schubhaftanhaltung erhebliche Fluchtgefahr seitens des BF und es besteht diese Fluchtgefahr zum Entscheidungszeitpunkt noch immer.

1.5. Der BF ist de facto mittellos.

1.6. Der BF hatte bis dato keinen Wohnsitz in Österreich und es steht ihm auch für den Fall seiner Haftentlassung kein gesicherter Wohnsitz zur Verfügung.

1.7. Die aufgrund der aktuellen Covid-19 Pandemie ergriffenen Maßnahmen der Bundesregierung schränken die Verhängung der Schubhaft nicht ein.

1.8. Eine Grobprüfung des Folgeantrages des BF ergibt, dass nach Ansicht des zuständigen Einzelrichters dieser Asylantrag keinen glaubhaften Kern aufweist, sich die dargetanen Sachverhaltselemente zudem auf die gleiche Sache beziehen, die bereits Gegenstand der abweisenden rechtskräftigen Entscheidung vom 19.04.2018, Zl. XXXX , war und daher voraussichtlich als unzulässig zurückzuweisen oder unbegründet abzuweisen sein wird. Die Antragstellung erfolgte offensichtlich ausschließlich aus Verzögerungsabsicht.

1.9. Die Abschiebung des BF erscheint trotz der momentanen COVID-19 bedingten allgemeinen Einschränkungen nach Abschluss des Asylverfahrens als zeitnah möglich. Die Einreise nach Georgien ist möglich. Georgien ist ein sicherer Drittstaat.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten fremden- und asylrechtlichen Verwaltungsakten des Bundesamtes zu der Zl. XXXX , sowie den vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes und Auszügen aus GVS, IZR, ZMR, der Anhaltedatei und aus den Ausführungen in der gegenständlichen Beschwerde vom 24.11.2021 sowie den Ausführungen des BF, seines Vertreters und der belangten Behörde in der mündlichen Verhandlung am 30.11.2021.

2.1. An der georgischen Staatsangehörigkeit des BF bestanden nie Zweifel. Die Feststellung, dass der BF über einen gültigen serbischen Reisepass verfügt, ergibt sich aus dem Verfahren und ist unstrittig. Die Einschätzung seiner Sprachkenntnisse beruhen auf seinen diesbezüglichen Angaben bzw. in der vor dem BVwG durchgeführten mündlichen Verhandlung.

2.2. Die Feststellung zu den rechtskräftigen Entscheidungen im bisherigen fremdenrechtlichen Verfahren ergeben sich aus den Verfahrensakten und hg. Gerichtsakten. Die Angaben zu seiner Delinquenz ergeben sich aus einer aktuellen Strafregisterabfrage, dem vorliegenden Urteil zu seiner strafgerichtlichen Verurteilung, die sich auf mehrere Tathandlungen, begangen sowohl anlässlich seines ersten Aufenthaltes in Österreich im Jahre 2018, als auch anlässlich seiner neuerlichen illegalen Einreise in das Bundesgebiet im Jahre 2021.

2.3. Eine legale Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers im Bundesgebiet wurde bis dato nicht einmal ansatzweise behauptet und es kam auch sonst im Verfahren diesbezüglich nichts hervor.

2.4 Das Fehlen der Vertrauenswürdigkeit und Kooperationsbereitschaft (und auch der fehlenden Ausreisewilligkeit) des BF ergeben sich insbesondere daraus, dass er nach rechtskräftiger Erlassung der Rückkehrentscheidung im Jahre 2018 zunächst offensichtlich zum Schein einen Antrag auf freiwillige Rückreise gestellt hatte, dann jedoch nicht zum Abreisezeitpunkt erschienen ist. Er hat auch in weiter Folge nicht mit den Behörden kooperiert, sondern hat versucht, durch Selbstverletzung seine damalige Abschiebung zu vereiteln.

2.5. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers beruhen auf den im fremdenrechtlichen Verfahren und in der im jetzigen Verfahren durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem BVwG entstandenen Eindruck, den – zum Teil widersprüchlichen - eigenen Angaben des BF, dem fast tagesaktuellen amtsärztlichen Gutachten und des Fehlens anderslautender medizinischer Befunde.

2.6. Die Angaben zur fehlenden Ausreisewilligkeit ergeben sich zusätzlich noch aus dem offensichtlich nicht mit Zwecken der Asylantragstellung in Österreich erklärbarem illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet, sondern vielmehr mit der durch strafgerichtliches Urteil erwiesenen gewerbsmäßigen Begehung von Ladendiebstählen. Weiters aus der Stellung eines offensichtlich nur aus Verzögerungsabsicht gestellten Folgeantrages unmittelbar vor Erlassung des Schubhaftbescheides. Davor hatte der BF den Kontakt zu Behörden gemieden. Dass ihm – trotz bereits einmal im Jahre 2018 durchlaufenen Asylverfahrens in Österreich – wochenlang unklar gewesen sein soll, wie und wo man in Österreich einen Asylantrag stellen könne, ist absolut unglaubwürdig. Selbst in Strafhaft stellte er noch keinen Asylantrag, sondern erst, als ihm durch Organwalter des BFA seine Inschubhaftnahme und baldige Abschiebung bekanntgegeben wurde. Diese Verzögerungsabsicht wurde vom BFA schriftlich festgehalten und dies dem BF in georgischer Sprache unmittelbar zur Kenntnis gebracht.

2.7. Die Angaben zum Fehlen einer gesicherten Wohnmöglichkeit ergeben sich aus dem bisherigen Fehlen einer behördlichen Meldung des BF, dem Fehlen eines Naheverhältnisses des BF zum behaupteten Unterkunftgeber, dem Umstand, dass der Unterkunftgeber selbst infolge einer rechtkräftigen Rückkehrentscheidung derzeit nur aufgrund der Anfechtung des diesbezüglichen Erkenntnisses vor dem VwGH und der dazu gewährten aufschiebenden Wirkung seiner Revision noch nicht abgeschoben werden kann, weiters dem Umstand, dass der Unterkunftgeber eigenen Angaben zufolge selbst nicht in dieser Wohnung wohnt, laut versuchter Polizeierhebung anscheinend andere – unbekannte - Personen in der Wohnung aufhältig sind und der vorgelegte Mietvertrag ein Untermietverbot beinhaltet. Ob der Unterkunftgeber selbst mehrere Vorstrafen aufweist, wurde in diesem Zusammenhang nicht als Kriterium herangezogen.

2.8. Das Vorliegen einer Covid-19 Pandemie und die dazu ergangenen Maßnahmen der österreichischen Bundesregierung sind notorisch. Die Pandemie wurde von der WHO am 11.03.2020 ausgerufen. Innerstaatliche Einschränkungen welche die Vollziehung der Schubhaft in Österreich einschränken, sind durch die aktuell geltenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie nicht gegeben.

2.9. Die Ausführungen zu den Reisemöglichkeiten bzw. –beschränkungen ergeben sich aus den aktuellen im Internet für jedermann abrufbaren Informationen des BMEIA (https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/georgien/)

2.10. Die übrigen Fakten ergeben sich aus der diesbezüglich unbedenklichen Aktenlage.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: „Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein.“

Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet:

㤠22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

Das Bundesverwaltungsgericht ist somit gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG für die Entscheidung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.

Der mit „Festnahmeauftrag“ betitelte § 24 Abs. 3 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet (auszugsweise):

„Ein Festnahmeauftrag kann gegen einen Fremden auch dann erlassen werden,

1. wenn die Voraussetzungen zur Verhängung der Schubhaft nach § 76 FPG oder zur Anordnung gelinderer Mittel gemäß § 77 Abs. 1 FPG vorliegen und nicht aus anderen Gründen die Vorführung vor das Bundesamt erfolgt;

2. wenn er seiner Verpflichtung zur Ausreise (§§ 52 Abs. 8 und 70 Abs. 1 FPG) nicht nachgekommen ist;

3. wenn gegen den Fremden ein Auftrag zur Abschiebung (§ 46 FPG) erlassen werden soll oder

4. …“

Der mit „Festnahme“ betitelte § 40 Abs. 5 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet:

„Stellt ein Fremder während einer Anhaltung auf Grund eines Festnahmeauftrags gemäß § 34 Abs. 3 Z 1 oder 3 einen Antrag auf internationalen Schutz, kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 gelten dabei sinngemäß.“

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

4. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Dazu die Materialien des Gesetzgebers:

Zu Abs. 2a:

Nach geltender Rechtslage ist eine Anordnung der Schubhaft zwecks Sicherstellung einer Außerlandesbringung bzw. zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung zulässig, sofern dies wegen Fluchtgefahr notwendig ist, außerdem die Haft verhältnismäßig ist und sich der Haftzweck mit einem gelinderen Mittel nicht wirksam verwirklichen lässt.

Eine "Fluchtgefahr" gemäß § 76 Abs. 3 sowie eine Fluchtgefahr im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. Nr. L 180 vom 29.06.2013 S. 31 (im Folgenden: "Dublin-Verordnung"), liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder die Abschiebung wesentlich erschweren wird. In § 76 Abs. 3 Z 1 bis 9 werden in einer auf der Judikatur des VwGH basierenden demonstrativen Aufzählung jene Kriterien aufgezählt, die bei der Prüfung des Vorliegens von Fluchtgefahr zu berücksichtigen sind. Auch wenn die Verhängung von Schubhaft gemäß höchstgerichtlicher Judikatur nicht der Aufdeckung oder Verhinderung von Straftaten oder ihrer Sanktionierung dient, sondern der Erfüllung eines administrativen Sicherungszweckes (vgl. VwGH 30.08.2007, 2006/21/0107; 22.11.2007, 2006/21/0189; 17.03.2009, 2007/21/0542; 20.10.2011, 2008/21/0191; 22.12.2009, 2009/21/0185 uvw. sowie VfGH 08.03.1994, G 112/93 = VfSlg. 13715), erhöht ein allfälliges strafrechtliches Fehlverhalten des Fremden in der Vergangenheit das öffentliche Interesse an der Überwachung der Ausreise (vgl. § 46 Abs. 1 Z 1) bzw. der baldigen Durchsetzung der Abschiebung und ist daher mittelbar auch für die Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Schubhaft von Bedeutung. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des VwGH (VwGH 17.03.2009, 2007/21/0542; 23.09.2010, 2009/21/0280; 22.12.2009, 2009/21/0185).

Auf eine etwaige Straffälligkeit des Fremden wird nach dem bisherigen Gesetzeswortlaut nicht ausdrücklich abgestellt. Es ist daher angezeigt, nunmehr in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des VwGH explizit zu normieren, dass im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung neben anderen Faktoren auch das bisherige strafrechtliche Fehlverhalten des Fremden zu berücksichtigen ist, insbesondere, ob sich aufgrund der Schwere der Straftaten das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößert. Klarzustellen ist, dass der vorgeschlagene Abs. 2a ein strafrechtliches Fehlverhalten des Fremden nicht zu einer notwendigen Voraussetzung für die Anordnung der Schubhaft macht. Vielmehr ergibt sich aus dem Wort "auch" und der Bezugnahme auf ein "allfälliges" strafrechtliches Fehlverhalten, dass bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht nur einem strafrechtlichen Fehlverhalten, sondern auch anderen Faktoren Bedeutung zukommen kann. Ebenso wenig ist aus Abs. 2a ein Umkehrschluss des Inhalts zu ziehen, dass über einen Fremden, dem keine strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen zur Last liegen, anstelle der Schubhaft nur mehr ein gelinderes Mittel angeordnet werden dürfte.

Zu Abs. 1:

Dieser Absatz entspricht weitestgehend dem bisherigen Abs. 1 und Abs. 1a. Die Definition der Schubhaft bleibt unverändert. Unter "Fremde" im Sinne dieser Bestimmung sind sowohl illegal als auch rechtmäßig aufhältige Fremde sowie Asylwerber zu verstehen. Bei rechtmäßig aufhältigen Fremden müssen jedoch naturgemäß stärkere Hinweise für eine Fluchtgefahr vorliegen als bei unrechtmäßig aufhältigen Fremden (Verhältnismäßigkeit). Gegen Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte kann Schubhaft aufgrund von § 1 Abs. 2 FPG nicht verhängt werden.

Zu Abs. 2:

Dieser Absatz soll bestimmen, unter welchen grundlegenden Voraussetzungen Schubhaft zulässig ist. Eine Schubhaft ist demgemäß zur Sicherung eines Verfahrens zulässig und sofern zudem Fluchtgefahr bzw. Sicherungsbedarf besteht. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wird nun dezidiert in die Bestimmung aufgenommen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (ua. B 362/06 vom 24. Juni 2006; B 1330/06 sowie B 1331/06 vom 15. Juni 2007) ist die Behörde verpflichtet, von der Anwendung der Schubhaft jedenfalls Abstand zu nehmen, wenn sie im Einzelfall nicht notwendig und verhältnismäßig ist. Betreffend das Kriterium der Verhältnismäßigkeit gilt, dass die Behörde verpflichtet ist, auf eine möglichst kurze Dauer der Schubhaft hinzuwirken. Diesbezüglich erörterte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19. Mai 2011, 2008/21/0527, "dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig" (VwGH vom 19. Mai 2011, 2008/21/0527). Die Bestimmung ist in zwei Ziffern gegliedert, um die Schubhaftfälle außerhalb des Anwendungsbereiches der Dublin-Verordnung (Z 1) von den Dublin-Fällen (Z 2) zu unterscheiden. Für letztere gelten die Voraussetzungen der Dublin-Verordnung unmittelbar, weshalb sich in diesen Fällen die Vorraussetzung der Verhältnismäßigkeit und der erheblichen Fluchtgefahr direkt aus dem Unionsrecht ergibt (siehe Art. 28 Abs. 2 Dublin-Verordnung). Weiters siehe Erläuterungen zu Abs. 3 Z 6.

Zu Abs. 3:

In diesem Absatz werden die Tatbestände, welche bei der Feststellung der Fluchtgefahr insbesondere zu berücksichtigen sind, näher determiniert. Es handelt sich bei der Schubhaftverhängung bzw. der Beurteilung, ob Fluchtgefahr vorliegt, nach wie vor um eine Abwägungsentscheidung, in die die in den Ziffern des Abs. 3 genannten Kriterien einfließen. Trotz der umfassenden Neuformulierung des § 76 FPG ist damit keine grundlegende rechtliche Änderung intendiert. Die genannten Kriterien zum Vorliegen von Fluchtgefahr spiegeln die herrschende Rechtsprechung insbesondere des Verwaltungsgerichtshofes zur Schubhaft wider. Es handelt sich daher lediglich um die Festschreibung der gängigen Judikatur. Insbesondere wurde durch die Formulierug des Absatz 3 der neuesten VwGH-Rechtsprechung vom 19. Februar 2015 (GZ Ro 2014/21/0075) Rechnung getragen. Grundsätzlich ist eine Inhaftnahme zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren gemäß Art. 28 Abs. 2 Dublin-Verordnung zulässig, sofern eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, die Haft verhältnismäßig ist und sich gelindere Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Fluchtgefahr wird in Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung mit dem Vorliegen von Gründen im Einzelfall definiert, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und annehmen lassen, dass sich der Betreffende dem laufenden Überstellungsverfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte. Der VwGH hielt dazu fest, dass die Bestimmungen des bisherigen § 76 Abs. 2 keine - gesetzlich festgelegten - objektiven Kriterien für die Annahme von erheblicher Fluchtgefahr iSd Dublin-Verordnung enthielten. Die Dublin-Verordnung verlange gesetzlich festgelegte Kriterien zur Konkretisierung der in der Verordnung für die Schubhaftverhängung normierten Voraussetzung des Vorliegens von Fluchtgefahr. Diese Kriterien fanden nunmehr durch die deklarative Aufzählung der Tatbestände Eingang in Absatz 3 und lassen allesamt annehmen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Bei Dublin-Fällen ist insbesondere auch Z 6 zu beachten. Die Definition der Fluchtgefahr gilt für sämtliche Schubhaftfälle, also auch für jene im Rahmen der Dublin - Verordnung (Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung).

Z 1:

Der Begriff Rückkehr stammt aus der Rückführungsrichtlinie (Art. 3 Z 3) und umfasst sowohl die freiwillige als auch die erzwungene Rückführung. Diese Ziffer ist sowohl durch Art. 15 der Rückführungsrichtlinie als auch Art. 8 Neufassung der Aufnahmerichtlinie gedeckt. Zudem gibt es hierzu bereits gefestigte höchstgerichtliche Judikatur. So hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass die bereits manifestierte wiederholte Weigerung bei der Abschiebung mitzuwirken sowie deren erfolgreiche Vereitelung ausreichend Sicherungsbedarf begründet (VwGH vom 11. Juni 2013, 2012/21/0114 und vom 30. August 2011, 2008/21/0588). In einem frühen Stadium des Asylverfahrens bedarf es besonderer Umstände, die ein Untertauchen des betreffenden Fremden schon zu diesem Zeitpunkt konkret befürchten lassen. In einem späteren Stadium des Asylverfahrens, insbesondere nach Vorliegen einer durchsetzbaren Ausweisung, können unter Umständen auch weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung für die Annahme eines Sicherungsbedarfs genügen (VwGH vom 23. September 2010, 2007/21/0432).

Z 2:

Diese Bestimmung findet sich im Wesentlichen bereits im bisherigen § 76 Abs. 2 Z 3 und ist auch je nach betroffenem Personenkreis sowohl in Art. 8 lit. d Neufassung der Aufnahmerichtlinie sowie in Art. 15 Rückführungsrichtlinie vorgesehen.

Z 3:

Die Notwendigkeit der Schubhaft kann sich daraus ergeben, dass sich der Fremde vor der Einreise in das Bundesgebiet in einem anderen Staat dem behördlichen Zugriff entzogen und hierüber nach seiner Einreise zusätzlich falsche Angaben gemacht hat (VwGH vom 28. Juni 2007, 2006/21/0051). Zur Prüfung des Sicherungserfordernisses ist auf alle Umstände des konkreten Falles Bedacht zu nehmen, um die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens, als schlüssig anzusehen. Dabei kommt insbesondere dem bisherigen Verhalten des Fremden Bedeutung zu. Die konkrete Situation des Asylwerbers muss geprüft werden, auch wenn er als Fremder vorher in einem sicheren Drittland einen Asylantrag gestellt hat (vgl. VwGH vom 30. August 2007, 2006/21/0027).

Z 4:

Wenn der Asylwerber einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) gestellt hat und der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben wurde, kann Schubhaft verhängt werden. Erforderlich ist jedoch eine bereits tatsächlich erfolgte (und nicht nur für die Zukunft in Aussicht gestellte) Aufhebung des faktischen Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 (VwGH vom 17. November 2011, 2010/21/0514).

Z 5:

Liegt eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor, so kann ab diesem Zeitpunkt die Schubhaft daher jedenfalls (auch) der Sicherung der Abschiebung dienen. Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kommt aber nur dann in Betracht, wenn mit der Möglichkeit einer Abschiebung auch tatsächlich zu rechnen ist (VwGH vom 28. August 2012, 2010/21/0517). In späteren Stadien des Asylverfahrens - insbesondere nach Vorliegen einer durchsetzbaren Ausweisung - können schon weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung die Annahme eines Sicherungsbedarfs rechtfertigen (VwGH 20. Oktober 2011, 2008/21/0191). Z 6: Auch bei Fällen mit Dublin-Bezug ist darauf zu achten, dass die Schubhaftverhängung keine Standardmaßnahme gegen Asylwerber sein darf (VwGH vom 28. Februar 2008, 2007/21/0391). Siehe auch Erläuterungen zu Z 3.

Z 6:

berücksichtigt insbesondere die bisherige Judikatur des VwGH, wonach für die Schubhaftverhängung "besondere Gesichtspunkte vorliegen [müssen], die erkennen ließen, es handle sich um eine von den typischen "Dublin-Fällen" abweichende Konstellation, in der mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auf Grund konkreter Anhaltspunkte auf eine drohende Verfahrensvereitelung durch den Fremden geschlossen werden könne" (Zl Zl 2014/21/0075 sowie Zl 2013/21/0170 mwN).

Z 7:

Unter diese Ziffer fallen unter anderem Fälle, in denen sich der Fremde aktuell dem gelinderen Mittel entzogen hat (§ 77 Abs. 1 FPG), da dann angenommen werden kann, dass der Zweck der Schubhaft nicht durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Ebenso fallen darunter jene Fälle, in denen sich der Fremde schon in der Vergangenheit dem gelinderen Mittel entzogen hat, in der Zwischenzeit nicht greifbar war und nun wieder aufgetaucht ist. Grundsätzlich gilt der Vorrang des gelinderen Mittels (VfGH vom 3. Oktober 2012, G140/11 ua - G86/12 ua). Fehlt ein Sicherungsbedürfnis, darf jedoch weder gelinderes Mittel noch Schubhaft angeordnet werden (VwGH vom 17.10.2013, 2013/21/0041).

Z 8:

Die Verletzung von Auflagen, Mitwirkungspflichten, der Gebietsbeschränkung oder Meldeverpflichtung kann ein Indiz für das Vorliegen von Fluchtgefahr sein, wobei auch hier gilt, den konkreten Einzelfall zu berücksichtigen. Der Tatbestand der Verletzung der Gebietsbeschränkung fand sich bisher in § 76 Abs. 2a Z 2 (VwGH vom 26. August 2010, 2010/21/0234).

§ 76 Abs. 3 Z 8 stellt klar, dass die Verletzung von Meldepflichten ein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Fluchtgefahr sein kann. Dies gilt nicht nur für die Verletzung der bisher ausdrücklich genannten Meldepflichten, sondern auch für die Missachtung des § 38b SPG. Es ist daher sachgerecht, diese Bestimmung in die Aufzählung aufzunehmen.

Z 9:

Dem Gesichtspunkt einer "sozialen Verankerung in Österreich" kommt im Zusammenhang mit der Verhängung der Schubhaft wesentliche Bedeutung zu. Dabei kommt es u.a. entscheidend auf das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit oder auf die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes an (VwGH vom 30. August 2011, 2008/21/0107). Je länger somit der Fremde bereits in Österreich ist und je stärker er hier sozial verwurzelt ist, desto stärker müssen auch die Hinweise und Indizien für eine vorliegende Fluchtgefahr sein. Dabei ist zu beachten, dass Mittellosigkeit und fehlende soziale Integration in Bezug auf (noch nicht lange aufhältige) Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, allein noch keine tragfähigen Argumente für das Bestehen eines Sicherungsbedarfs sind (VwGH vom 28. Mai 2008, 2007/21/0233).

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

§ 54 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG lautet (auszugsweise):
(1) Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich auf

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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