TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/3 W237 2248591-1

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Veröffentlicht am 03.12.2021
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Entscheidungsdatum

03.12.2021

Norm

AlVG §10
AlVG §38
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §13 Abs2
VwGVG §13 Abs5

Spruch


W237 2248591-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin WERNER als Vorsitzenden sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Armin KLAUSER und Mag. Elke DE BUCK-LAINER als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Scheibbs vom 04.11.2021, GZ: 2021-0566-3-018391, betreffend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegen den einen befristeten Verlust der Notstandshilfe aussprechenden Bescheid vom 20.10.2021 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin erhob mit Schriftsatz vom 25.10.2021 eine näher begründete Beschwerde gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Scheibbs (in der Folge: AMS) vom 20.10.2021, mit dem es gemäß § 38 iVm § 10 AlVG den Verlust des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf Notstandshilfebezug für die Dauer von sechs Wochen vom 13.10. bis 23.11.2021 aussprach und gemäß § 10 Abs. 3 AlVG keine Nachsicht erteilte.

Mit Bescheid vom 04.11.2021 schloss das AMS dieser Beschwerde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG die aufschiebende Wirkung aus, weil eine diesbezüglich vorzunehmende Interessenabwägung zu Ungunsten der Beschwerdeführerin ausfalle.

2. Die Beschwerdeführerin erhob gegen diesen Bescheid mit – als „Vorlageantrag“ bezeichnetem – Schreiben vom 20.11.2021 Beschwerde. Diese legte das AMS dem Bundesverwaltungsgericht unter Anschluss der maßgeblichen Teile des Verwaltungsakts am 24.11.2021 vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführerin lebt mit ihrem Mann und ihrem 15-jährigen Sohn im gemeinsamen Haushalt. Sie bezieht – gehäuft unterbrochen durch Krankengeldbezug – seit November 2014 Notstandshilfe und hatte zwei Monate im Jahr 2017, ansonsten jeweils für wenige Tage in den Jahren 2018, 2020 und 2021 eine geringfügige Beschäftigung. Seit dem Jahr 2014 wurde die Auszahlung der Notstandshilfe 14 Mal für jeweils ein paar Tage bis einige Wochen eingestellt, weil die Beschwerdeführerin Kontrolltermine versäumte; in den letzten Jahren hatten diese Einstellungen auch keine aufschiebende Wirkung (mehr). Derzeit werden zu einem Gesamtbetrag von knapp 15.000,– € aus zumindest acht Forderungen Exekutionen gegen die Beschwerdeführerin geführt.

1.2. Mit Bescheid vom 20.10.2021 sprach das AMS den Verlust der Notstandshilfe für die Dauer von sechs Wochen von 13.10. bis 23.11.2021 aus, weil die Beschwerdeführerin die Aufnahme einer ihr zumutbaren Beschäftigung als Reinigungskraft dadurch vereitelt habe, dass sie sich auf den ihr zugesandten Stellenvorschlag nicht beworben habe. Das AMS sah den Anspruchsverlust zudem weder ganz noch teilweise nach.

Mit Schriftsatz vom 25.10.2021 erhob sie dagegen Beschwerde, die derzeit beim AMS – welches vom Erlass einer Beschwerdevorentscheidung bislang nicht absah und auch die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht bis dato nicht vorlegte – anhängig ist. Ihre Beschwerde begründet die Beschwerdeführerin damit, dass ihr eine Vielzahl von Stellenvorschlägen laufend zugesandt werde und es keine Absicht darstelle, wenn „hin und wieder mal […] Stellen […] untergingen“. Außerdem habe es „in letzter Zeit öfters einen Stromausfall“ gegeben, weshalb ihr Computer nicht alles gespeichert habe. Überhaupt sei seit dem Wechsel ihrer AMS-Betreuerin nichts mehr so, wie es einmal war. Ihr würden Stellen vorgeschlagen werden, die hinsichtlich sowohl ihrer Lokalität als auch der Arbeitszeiten der Betreuungsvereinbarung mit dem AMS entgegenstünden. Die Beschwerdeführerin beschwert sich weiters, dass ihre Gesundheitsdaten weitergegeben worden seien.

Mit dem angefochtenen Bescheid schloss das AMS der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aus. Begründend hält es fest, dass bei der Beschwerdeführerin „Langzeitarbeitslosigkeit verbunden mit Arbeitsunwilligkeit“ vorliege. Auch die „bereits betriebenen Exekutionen“ ließen die Einbringlichkeit der Forderung bei vorläufiger Anweisung der Notstandshilfe als gefährdet scheinen.

Ihre – als „Vorlageantrag“ bezeichnete – Beschwerde gegen diesen Bescheid begründete die Beschwerdeführerin mit den wortgleichen Ausführungen wie in ihrer Beschwerde vom 25.10.2021 gegen den Bescheid vom 20.10.2021. Sie brachte lediglich ergänzend vor, dass ihre AMS-Betreuerin sie laufend in die Irre führe.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen sind unstrittig und ergeben sich zweifelsfrei aus dem vorgelegten Verwaltungsakt. Die Beschwerdeführerin gab ihren Familienstand und ihre Wohnverhältnisse zuletzt im Antrag auf Notstandshilfe vom 22.07.2021 an. Die Feststellungen zum Bezug der Notstandshilfe in den letzten Jahren bzw. zu den Unterbrechungen derselben fußen auf einer im Verwaltungsakt aufliegenden Darstellung des Bezugsverlaufs. Das AMS ließ sich auch eine Aufstellung der gegen die Beschwerdeführerin geführten Exekutionen aufstellen und fügte diese dem Verwaltungsakt bei; soweit es im angefochtenen Bescheid auf die „bereits betriebenen Exekutionen“ Bezug nahm, trat die Beschwerdeführerin dem in der gegenständlichen (als „Vorlageantrag“ bezeichneten) Beschwerde auch nicht entgegen. Dass diese trotz der fälschlichen Bezeichnung als Beschwerde gegen den die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung verfügenden Bescheid vom 04.11.2021 zu verstehen ist, machte die Beschwerdeführerin auf Nachfrage durch das AMS per E-Mail am 23.11.2021 selbst klar.

3. Rechtliche Beurteilung:

Der angefochtene Bescheid wurde der Beschwerdeführerin ausweislich des im Akt in Kopie aufliegenden Rückscheins am 08.11.2021 durch Hinterlegung zugestellt. Die am 20.11.2021 erhobene Beschwerde ist somit gemäß § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG rechtzeitig.

Zu A)

3.1. Nach dem im vorliegenden Fall anzuwendenden § 13 Abs. 1 VwGVG (zur Aufhebung des § 56 Abs. 3 AlVG idF des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz – Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, BGBl. I Nr. 71/2013, vgl. VfGH 02.12.2014, G 74/2014) hat eine rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG aufschiebende Wirkung.

Gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG (vgl. § 64 Abs. 2 AVG) kann die Behörde die aufschiebende Wirkung mit Bescheid ausschließen, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheids wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist.

Gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG hat die Beschwerde gegen einen Bescheid, der die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde ausgeschlossen hat, keine aufschiebende Wirkung. Sofern die Beschwerde nicht als verspätet oder unzulässig zurückzuweisen ist, hat die Behörde dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Das Verwaltungsgericht hat über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden und der Behörde, wenn diese nicht von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absieht, die Akten des Verfahrens zurückzustellen.

3.2. Die Entscheidung über Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung (VwGH 01.09.2014, Ra 2014/03/0028). Die vom Verfassungsgerichtshof im o.a. Erkenntnis aufgezeigten Rechtsschutzdefizite bestehen bei der hier anzuwendenden Regelung nicht. § 13 Abs. 2 VwGVG ermöglicht es, den in der Praxis bestehenden Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Einbringung allenfalls unberechtigt empfangener Geldleistungen zu begegnen und das Interesse der Versichertengemeinschaft, die Einbringlichkeit von (vermeintlich) zu Unrecht gewährten Leistungen an den einzelnen Versicherten ohne Zuwarten auf eine rechtskräftige Entscheidung im Falle der Bekämpfung eines Bescheides sicherzustellen, zu berücksichtigen, indem die berührten öffentlichen Interessen mit den Interessen des Leistungsempfängers abgewogen werden. Stellt sich im Zuge dieser Interessenabwägung heraus, dass der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheids wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist, so kann die Behörde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde mit Bescheid ausschließen.

Das Tatbestandsmerkmal „Gefahr im Verzug“ bringt zum Ausdruck, dass die Bestimmung (der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung) nur das Eintreten erheblicher Nachteile für eine Partei bzw. gravierender Nachteile für das öffentliche Wohl verhindern soll (vgl. Hengstschläger/Leeb, § 64 AVG, Rz 31; Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte², § 13 VwGVG, K 12).

Um die vom Gesetzgeber außerdem geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können (vgl. zur Interessenabwägung nach § 30 Abs. 2 VwGG VwGH 14.02.2014, Ro 2014/02/0053), hat ein Notstandshilfebezieher insbesondere die nicht ohne weiteres erkennbaren Umstände, die sein Interesse an einer Weitergewährung untermauern, sowie die in seiner Sphäre liegenden Umstände, die entgegen entsprechender Feststellungen des AMS für die Einbringlichkeit einer künftigen Rückforderung sprechen, spätestens in der Begründung (§ 9 Abs. 1 Z 3 VwGVG) seiner Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darzutun und zu bescheinigen, zumal das Verwaltungsgericht gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden hat.

Ein im öffentlichen Interesse gelegener Bedarf nach einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ist im Allgemeinen insbesondere bei der Verhängung einer Sperrfrist mangels Arbeitswilligkeit gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG (iVm § 38 AlVG) gegeben, deren disziplinierender Zweck weitgehend verloren ginge, wenn sie erst Monate nach ihrer Verhängung in Kraft treten würde. Die Interessenabwägung kann vor allem dann zu Gunsten einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ausschlagen, wenn für den Fall einer vorläufigen Weitergewährung einer Leistung die Einbringlichkeit des Überbezuges gefährdet ist. Ob eine solche Gefährdung vorliegt, hat das AMS zu ermitteln und gegebenenfalls auf Grund konkret festzustellender Tatsachen über die wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Partei festzustellen (Müller in Pfeil [Hrsg.], AlVG-Komm, § 56, Rz 3f und 19). Wirkt der Notstandshilfebezieher an den Feststellungen über die Einbringlichkeit nicht mit, kann von einer Gefährdung derselben ausgegangen werden (Müller in Pfeil [Hrsg.], AlVG-Komm, § 56, Rz 19). Eine maßgebliche Gefährdung der Einbringlichkeit des Überbezugs wäre allerdings dann nicht anzunehmen, wenn die prima facie beurteilten Erfolgsaussichten der Beschwerde eine Rückforderung der weiter gezahlten Notstandshilfe unwahrscheinlich machen (vgl. zur Erfolgsprognose VwGH 09.05.2016, Ra 2016/09/0035).

3.3. Im vorliegenden Fall ist zunächst festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin kein substantiiertes Vorbringen darüber erstattete, dass sie der sofortige Vollzug des Bescheids vom 20.10.2021 über den Verlust der Notstandshilfe für die Dauer von sechs Wochen unverhältnismäßig hart treffen würde. Angesichts der Angaben der Beschwerdeführerin in ihrem Antrag auf Notstandshilfe, wonach sie mit ihrem in Leistungsbezug stehenden Ehemann und ihrem 15-jährigen Sohn im gemeinsamen Haushalt lebe, hatte das AMS auch keine Veranlassung zur Annahme, die Beschwerdeführerin würde in eine unverhältnismäßige Notlage geraten, wenn ihr die Notstandshilfe für die Dauer von sechs Wochen nicht ausbezahlt wird. Dies ist mangels diesbezüglich konkreter Angaben auch für das Bundesverwaltungsgericht nicht erkennbar, zumal der Beschwerdeführerin seit dem Jahr 2014 die Auszahlung der Notstandshilfe schon über ein Dutzend Mal jeweils ein paar Tage bis einige Wochen eingestellt wurde, weil sie Kontrolltermine versäumte (wobei diese Einstellungen in den letzten Jahren auch keine aufschiebende Wirkung hatten).

Zudem ist prima facie nicht ersichtlich, dass ihre Beschwerde gegen die Verhängung der Sperrfrist wahrscheinlich Erfolg haben wird, spricht sie in ihren Beschwerden doch selbst davon, dass „hin und wieder mal […] Stellen […] untergingen“. Schließlich kann dem AMS auch – in Ermangelung eines entsprechenden Vorbringens der Beschwerdeführerin in der Beschwerde – nicht entgegengetreten werden, wenn es die Einbringlichkeit des Rückforderungsanspruchs angesichts der gegen die Beschwerdeführerin betriebenen Exekutionen aus zumindest acht sonstigen Forderungen in Zweifel zieht.

Eine Abwägung der Interessen der Beschwerdeführerin an der Weiterzahlung der Notstandshilfe mit den öffentlichen Interessen an der Wirksamkeit von Maßnahmen iSd § 10 Abs. 1 AlVG und an der Einbringlichkeit von Rückforderungsansprüchen ergibt somit ein Überwiegen der öffentlichen Interessen. Angesichts der im vorliegenden Fall gegebenen Umstände ist auch von einem so gravierenden Nachteil für die berührten öffentlichen Interessen auszugehen, dass Gefahr im Verzug vorliegt (insoweit vergleichbar VwGH 11.04.2018, Ro 2017/08/0033).

3.4. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Zur Frage des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden gegen den Verlust von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung wegen Vereitelungshandlungen im Sinne des § 10 AlVG ist einheitliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vorhanden, die auch auszugsweise in der Begründung zu Spruchteil A zitiert wird.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung - Entfall Erfolgsaussichten Gefahr im Verzug Konkretisierung Notstandshilfe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W237.2248591.1.00

Im RIS seit

22.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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