Entscheidungsdatum
07.12.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W129 2248226-2/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter DDr. Markus GERHOLD über die Beschwerde von XXXX (Erstbeschwerdeführerin), Erziehungsberechtigte des am XXXX geborenen XXXX (Zweitbeschwerdeführer), beide vertreten durch Scheucher Rechtsanwalt GmBH, gegen den Bescheid der Bildungsdirektion für Wien vom 27.10.2021, Zl. 9131.103/0216-Präs3a1/2021, zu Recht:
A)
I. Gemäß § 32 VwGVG wird das mit Erkenntnis vom 24.11.2021, W129 2248226-1/2E, abgeschlossene Beschwerdeverfahren von Amts wegen wieder aufgenommen.
II. In Erledigung des wieder aufgenommenen Beschwerdeverfahrens wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Mit ausgefülltem Formblatt vom 13.07.2021 meldete die Erstbeschwerdeführerin die Teilnahme des Zweitbeschwerdeführers am Unterricht in einer (näher benannten) Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht im Schuljahr 2021/2022 (5. Schulstufe).
Beigelegt wurde ein Jahreszeugnis der (zuvor besuchten) Schule aus dem Schuljahr 2020/21 (5. Schulstufe), wonach der Zweitbeschwerdeführer nicht zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe berechtigt sei.
2. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 27.10.2021 untersagte die Bildungsdirektion für Wien (belangte Behörde) gemäß § 11 Schulpflichtgesetz (SchPflG) die Teilnahme des Zweitbeschwerdeführers am Unterricht an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht (Spruchpunkt I.). Weiters wurde die Verpflichtung der Eltern festgestellt, für die Erfüllung der Schulpflicht des Zweitbeschwerdeführers an einer öffentlichen oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule zu sorgen (Spruchpunkt II.). Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde wurde ausgeschlossen (Spruchpunkt III.).
Begründend führte die belangte Behörde auf das Wesentlichste zusammengefasst aus: Der schulpflichtige Zweitbeschwerdeführer habe aufgrund der negativen Beurteilung in zwei Pflichtgegenständen im Schuljahr 2020/21 die 5. Schulstufe nicht erfolgreich abgeschlossen und sei nicht zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe berechtigt.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 29.05.2020, Ro 2020/10/0007) und des Bundesverwaltungsgerichtes sei ein rechtzeitiges Antreten zur Externistenprüfung noch vor Ende des Schuljahres 2021/22 nicht zulässig.
3. Dagegen erhob die Erstbeschwerdeführerin fristgerecht am 03.11.2021 das vorliegende Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Begründend führte sie – hier auf das Wesentlichste zusammengefasst – aus:
Ihr Sohn habe eine spezielle Lese-Rechtschreibschwäche, welche sich an der (nunmehr besuchten) Schule in den viel kleineren Gruppen deutlich gebessert habe. Es sei abzusehen, dass die (nunmehr besuchte) private Schule im Schuljahr 2021/22 das Öffentlichkeitsrecht erhalten werde. In einer Zeit, in der viele Schülerinnen und Schüler mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen hätten, sei es unverständlich, wenn ihr Sohn aus dem Klassenverband, in welchen er sich gut integriert habe, gerissen werde und mit einer weiteren Herausforderung kämpfen müsste.
4. Mit Begleitschreiben vom 11.11.2021 (eingelangt am 12.11.2021) legte die belangte Behörde die Beschwerde samt den Verfahrensakten dem Bundesverwaltungsgericht vor.
5. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.11.2021, W129 2248226-1/2E, wurde die Beschwerde abgewiesen. Die Zustellung erfolgte (erst) mit 01.12.2021.
6. Am 30.11.2021 brachten die Beschwerdeführer, nunmehr rechtsfreundlich vertreten, elektronisch einen als „Bescheidbeschwerde“ titulierten Schriftsatz ein. Auf das Wesentlichste zusammengefasst wurde vorgebracht, dass das Schreiben vom 03.11.2021 nur als freundliche Anfrage an die belangte Behörde, nicht aber als Rechtsmittel zu werten sei. Erst am 16.11.2021 hätten die Beschwerdeführer von der belangten Behörde erfahren, dass der Akt dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt worden sei. Die rechtsfreundliche Vertretung habe am heutigen Tag (30.11.) das Bundesverwaltungsgericht zwecks Einholung der Aktenzahl kontaktiert, um einen „ergänzenden und präzisierenden Schriftsatz einbringen zu können“, und habe in Erfahrung gebracht, dass das Verfahren bereits am 24.11.2021 entschieden worden sei. Eine Zustellung sei jedoch noch nicht erfolgt.
Es werde ein Gutachten über eine spezielle Leserechtschreibschwäche des Zweitbeschwerdeführers vorgelegt.
Die vom Beschwerdeführer besuchte Schule habe in den beiden letzten Schuljahren das Öffentlichkeitsrecht jeweils rückwirkend erhalten, auch für 2021/22 sei es – auf Dauer – beantragt worden. Ein Inspektionsbesuch sei erfolgreich abgeschlossen worden, ein zweiter sei für Jänner 2022 vereinbart. Es sei davon auszugehen, dass der Schule auch für das Schuljahr 2021/22 das Öffentlichkeitsrecht verliehen werde.
Auf diesen Aspekt sei die belangte Behörde mit keinem Wort eingegangen.
Die Behörde habe die Bestimmungen des § 11 iVm §§ 5 und 24 SchPflG willkürlich interpretiert.
Auch habe die Behörde den Bescheid mit einer Verspätung im Ausmaß von acht Wochen erlassen, dies widerspreche der Judikatur des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach die behördliche Entscheidung binnen Frist von einem Monat zu erlassen sei.
Zudem leide der Zweitbeschwerdeführer unter einer genetischen Erkrankung (Klinefelter-Syndrom), dies stelle eine psychische Belastung dar, welche kumulativ mit einem erzwungenen Schulwechsel katastrophale Auswirkungen haben könnte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Der am XXXX geborene Zweitbeschwerdeführer (und Sohn der Erstbeschwerdeführerin) erfüllte im Schuljahr 2020/21 seine Schulpflicht durch die Teilnahme am Unterricht an der privaten Montessori-Schule (mit Öffentlichkeitsrecht) XXXX .
Das am 02.07.2021 ausgestellte Jahreszeugnis (5. Schulstufe) weist in den Pflichtgegenständen „Gesellschaft“ und „Sprache“ eine negative Beurteilung auf.
Der Zweitbeschwerdeführer ist zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe nicht berechtigt.
Mit Ende des Schuljahres 2020/21 verließ der Zweitbeschwerdeführer die genannte Schule.
Mit ausgefülltem Formblatt vom 13.07.2021 meldete die Erstbeschwerdeführerin die Teilnahme des Zweitbeschwerdeführers am Unterricht an der XXXX , einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht, im Schuljahr 2021/2022 (5. Schulstufe). Über den Antrag dieser Privatschule auf Verleihung des Öffentlichkeitsrechtes für das Schuljahr 2021/2022 wurde noch nicht abgesprochen, eine Inspektion der Schule durch die zuständige Behörde ist für Anfang 2022 geplant.
Mit Bescheid der Bildungsdirektion für Wien vom 27.10.2021, Zl. 9131.103/0216-Präs3a1/2021, wurde die Teilnahme des Zweitbeschwerdeführers am Unterricht an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht untersagt (Spruchpunkt I.). Weiters wurde die Verpflichtung der Eltern festgestellt, für die Erfüllung der Schulpflicht des Zweitbeschwerdeführers an einer öffentlichen oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule zu sorgen (Spruchpunkt II.). Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde wurde ausgeschlossen (Spruchpunkt III.). Die Zustellung erfolgte mit 02.11.2021 durch persönliche Übernahme.
Mit Mail vom 03.11.2021 brachten die Beschwerdeführer das Rechtsmittel der Beschwerde ein.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.11.2021, Zl. W129 2248226-1/2E, wurde die Beschwerde abgewiesen. Die Zustellung erfolgte (erst) mit 01.12.2021.
Mit Schreiben ihrer rechtsfreundlichen Vertretung vom 30.12.2021 brachten die Beschwerdeführer einen als (erstmalige) Beschwerde titulierten Schriftsatz ein. Erstmals vorgebracht in diesem Schriftsatz wurden die genetisch bedingte Erkrankung des Zweitbeschwerdeführers (Klinefelter-Syndrom), die Absolvierung der ersten positiven Inspektion der Schule im Rahmen der beantragten Verleihung des Öffentlichkeitsrechtes (auch) für das Schuljahr 2021/22 sowie der rechtliche Einwand der verspäteten Entscheidung durch die belangte Behörde.
2. Beweiswürdigung
Die Feststellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt und sind größtenteils unstrittig. Hinsichtlich der seitens der Beschwerdeführer aufgeworfenen Frage, ob bereits das Schreiben vom 03.11.2021 als Beschwerde zu qualifizieren ist oder nicht, wird auf die rechtlichen Ausführungen verwiesen.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zur Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens
3.1.1. Mit Bescheid der Bildungsdirektion für Wien vom 27.10.2021, Zl. 9131.103/0216-Präs3a1/2021, wurde die Teilnahme des Zweitbeschwerdeführers am Unterricht an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht untersagt (Spruchpunkt I.). Weiters wurde die Verpflichtung der Eltern festgestellt, für die Erfüllung der Schulpflicht des Zweitbeschwerdeführers an einer öffentlichen oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule zu sorgen (Spruchpunkt II.). Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde wurde ausgeschlossen (Spruchpunkt III.). Die Zustellung erfolgte mit 02.11.2021 durch persönliche Übernahme.
Mit Mail vom 03.11.2021 brachten die Beschwerdeführer das Rechtsmittel der Beschwerde ein.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.11.2021, Zl. W129 2248226-1/2E, wurde die Beschwerde abgewiesen. Die Zustellung erfolgte (erst) mit 01.12.2021.
3.1.2. Im Schriftsatz vom 30.11.2021 vertraten die Beschwerdeführer im Wege ihrer rechtsfreundlichen Vertretung den Standpunkt, dass ihr Schreiben vom 03.11.2021 lediglich als allgemeines Schreiben an die Behörde, nicht aber als Rechtsmittel gedacht war. Dieser Standpunkt werde insbesondere durch den letzten Absatz des Schreibens gestützt („Wir, als Eltern, ersuchen daher die Bildungsdirektion Wien unter Erwägung dieser Umstände, den Bescheid bis zur Entscheidung über das Öffentlichkeitsrecht für das Schuljahr 2021/22 zurückzuziehen. Wir als Eltern würden selbstverständlich dafür sorgen, dass alle eventuellen Anforderungen oder damit verbundenen Auflagen in Zusammenarbeit mit der Schule eingehalten und erfüllt werden.“). Auch hätten die Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt bewusst keine anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen. Auch habe die Behörde den Beschwerdeführern die Information über die Weiterleitung des Schreibens als Beschwerde an das BVwG erst am 16.11.2021 erteilt, auf diese Weise habe die Behörde die Hälfte der Rechtsmittelfrist entzogen.
3.1.3. Diesem Standpunkt ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes aus folgenden Gründen nicht Folge zu leisten:
Das Schreiben der Beschwerdeführer vom 03.11.2021 nimmt in der Betreffzeile Bezug auf den ergangenen Bescheid der belangten Behörde und legt etwa zu zwei Dritteln dieselben grundsätzlichen Argumente für eine (aus Sicht der Beschwerdeführer) positive Erledigung des Antrages dar wie der Schriftsatz der rechtsfreundlichen Vertretung vom 30.11.2021. Gerade der zitierte letzte Absatz des Schreibens vom 03.11.2021 zielt auf eine Beseitigung des angefochenen Bescheides ab („Wir… ersuchen… den Bescheid… zurückzuziehen.“). Die Eingabe wies somit ein Mindestmaß an Konkretisierung auf und war insofern jedenfalls rechtlich (als Beschwerde) einordenbar (vgl. VwGH 30.09.2019, Ra 2018/01/0503).
Auch herrscht im Verwaltungsverfahren weder absoluter noch relativer Anwaltszwang (VwSlg 1982 A/1951), sondern der Grundsatz der Vertretungsfreiheit (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 10, Rz 1). Die Erteilung der Vollmacht an die rechtsfreundliche Vertretung zu einem (erst) späteren Zeitpunkt kann somit keinesfalls dafür herangezogen werden, dem Schreiben vom 03.11.2021 bereits aus diesem Grund die Qualifikation als Beschwerde abzusprechen.
Vergleichbares gilt für die am 16.11.2021 erhaltene Information der Beschwerdeführer durch die belangte Behörde, dass das Schreiben vom 03.11.2021 als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht weitergeleitet wurde. Zweifelsfrei wurde der Bescheid vom 27.10.2021 am 02.11.2021 zugestellt, auch enthält er eine – wenngleich rechtswidrige (nach § 27 SchPflG beträgt die Rechtsmittelfrist in den Fällen des § 11 Abs 3 SchPflG lediglich 5 Tage) – Rechtsmittelbelehrung dahingehend, dass binnen Frist von vier Wochen das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben werden kann. Somit ist der Standpunkt, dass eine Verkürzung um die halbe Rechtsmittelfrist vorliege, völlig unzutreffend, da der Beginn der Rechtsmittelfrist bereits mit der Zustellung des anzufechtenden Bescheides erfolgte und dies den Beschwerdeführer aufgrund der (wenngleich hinsichtlich der Dauer der Rechtsmittelfrist unrichtigen) Rechtsmittelbelehrung auch bewusst gewesen musste.
Wie sich aus dem Text des Schriftsatzes vom 30.11.2021 ergibt, ist sogar die rechtsfreundliche Vertretung noch am selben Tag davon ausgegangen, dass das bereits das Schreiben vom 03.11.2021 als Beschwerde zu werten ist, da man am 30.11.2021 beim Bundesverwaltungsgericht die Geschäftszahl des Beschwerdeverfahrens erfragte, „um einen ergänzenden und präzisierenden Schriftsatz einbringen zu können“ (S.3 erster Absatz).
3.1.4. Somit ist das am 24.11.2021 vom zuständigen Richter unterfertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes als Entscheidung über eine Beschwerde zu qualifizieren, wobei das verwaltungsgerichtliche Beschwerdeverfahren (erst) mit der Zustellung am 01.12.2021 rechtskräftig abgeschlossen wurde.
3.1.5. Das Vorbringen vom 30.11.2021 wurde somit noch vor Eintritt der Rechtskraft erstattet; auch erweist sich das Vorbringen in drei nicht unerheblichen Details als neu im Vergleich zum Beschwerdevorbringen vom 03.11.2021. Die Nichtberücksichtigung des neuen Vorbringens belastet aufgrund der offenkundigen Verletzung des Grundsatzes des Parteiengehörs das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.11.2021, W129 2248226-1/2E, mit Rechtswidrigkeit, dies gilt – wie Johannes Fischer wörtlich in seinem Beitrag „Der Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte – in Theorie und Praxis“ (ZVG 2017,50) ausführte – auch und gerade dann, „wenn der Richter seine schriftliche Entscheidung schon unterfertigt hat, der Zustellvorgang bereits läuft, jedoch noch nicht zugestellt werden konnte“ (aaO, 58).
3.1.6. Da das neue Vorbringen zumindest grundsätzlich eine Eignung aufweist, ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeizuführen (relativer Charakter des Wiederaufnahmegrundes), war das Verfahren nach § 32 Abs 1 Z 2 iVm Abs 3 VwGVG wiederaufzunehmen. Ob das Vorbringen auch tatsächlich zu einem im Hauptinhalt des Spruchs anders lautenden Erkenntnis führt, ist davon strikt zu trennen und im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, 2. Aufl., § 32 VwGVG, Rz 9).
3.2. Zur Abweisung der Beschwerde
3.2.1. Gemäß Art. 14 Abs. 7a B-VG beträgt die Schulpflicht zumindest neun Jahre und es besteht auch Berufsschulpflicht.
Gemäß § 1 SchPflG besteht für alle Kinder, die sich in Österreich dauernd aufhalten, allgemeine Schulpflicht.
Gemäß § 2 SchPflG beginnt die allgemeine Schulpflicht mit dem auf die Vollendung des sechsten Lebensjahres folgenden 1. September und dauert neun Schuljahre.
Gemäß § 4 SchPflG sind unter den in den §§ 5 bis 10 genannten Schulen öffentliche oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schulen zu verstehen.
Gemäß § 5 Abs. 1 SchPflG ist die allgemeine Schulpflicht durch den Besuch von allgemein bildenden Pflichtschulen sowie von mittleren oder höheren Schulen zu erfüllen.
Gemäß § 11 Abs. 1 SchPflG kann die allgemeine Schulpflicht auch durch die Teilnahme am Unterricht an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 genannten Schule mindestens gleichwertig ist.
Gemäß § 11 Abs. 2 SchPflG kann die allgemeine Schulpflicht ferner durch die Teilnahme an häuslichem Unterricht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 genannten Schule – ausgenommen die Polytechnischen Schule – mindestens gleichwertig ist.
Gemäß Abs. 3 leg. cit. haben die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten die Teilnahme ihres Kindes an einem im Abs. 1 oder 2 genannten Unterricht der Bildungsdirektion jeweils vor Beginn des Schuljahres anzuzeigen. Die Bildungsdirektion kann die Teilnahme an einem solchen Unterricht untersagen, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die im Abs. 1 oder 2 geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichtes nicht gegeben ist oder wenn gemäß Abs. 2a eine öffentliche Schule oder eine mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schule mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung zu besuchen ist.
Gemäß § 11 Abs. 4 SchPflG ist der zureichende Erfolg eines im Abs. 1 oder 2 genannten Unterrichtes jährlich vor Schulschluss durch eine Prüfung an einer im § 5 genannten entsprechenden Schule nachzuweisen, soweit auch die Schüler dieser Schulen am Ende des Schuljahres beurteilt werden. Wird ein solcher Nachweis nicht erbracht, so hat die Bildungsdirektion anzuordnen, dass das Kind seine Schulpflicht im Sinne des § 5 zu erfüllen hat.
Nach § 25 Abs 1 zweiter Satz SchUG gilt eine Schulstufe (nur) dann als erfolgreich abgeschlossen, wenn das Jahreszeugnis in allen Pflichtgegenständen eine Beurteilung aufweist und in keinem Pflichtgegenstand die Note „Nicht genügend“ enthält.
Gemäß § 42 Abs 6 SchUG gilt als „Grundvoraussetzung für die Zulassung zur Ablegung einer Externistenprüfung (…)“ unter anderem: Hat der Prüfungskandidat vor dem Antritt zur Externistenprüfung eine Schule besucht und eine oder mehrere Stufen dieser Schule nicht erfolgreich abgeschlossen, so darf er zur Externistenprüfung über eine Schulstufe der betreffenden Schulart (Form, Fachrichtung) oder über die Schulart (Form, Fachrichtung) frühestens zwölf Monate nach der zuletzt nicht erfolgreich abgeschlossenen Schulstufe antreten.
3.2.2. Der Zweitbeschwerdeführer hat die erste Klasse Mittelschule (5. Schulstufe) im Schuljahr 2020/21 nicht erfolgreich abgeschlossen.
Dies bedeutet jedoch, dass eine Sperrfrist von (vollen) 12 Monaten, gerechnet ab 02.07.2021, für einen Antritt zu einer Externistenprüfung besteht, sodass ein rechtzeitiger Antritt und Nachweis der erfolgreichen Externistenprüfung noch vor Ende des Schuljahres 2021/22 (in Wien am 01.07.2022) knapp, aber doch unzulässig und somit nicht möglich ist.
Bereits vor diesem normativen Hintergrund ist der Bildungsdirektion für Wien nicht entgegenzutreten, wenn sie die ihr von der Erstbeschwerdeführerin angezeigte Teilnahme am Unterricht an einer privaten Schule (derzeit ohne Öffentlichkeitsrecht) von vornherein für unzulässig erachtete und daher untersagt hat.
3.2.3. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass der nunmehr vom Zweitbeschwerdeführer besuchten Schule in den vergangenen Jahren für je ein Schuljahr das Öffentlichkeitsrecht verliehen wurde. Daraus ist jedoch nicht zu schließen, dass eine solche Verleihung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch für das Schuljahr 2021/22 erfolgen wird. Nach der Systematik des Privatschulgesetzes (vgl. § 15 PrivSchG) erfolgt zunächst eine Verleihung des Öffentlichkeitsrecht für ein Jahr, in weiterer Folge („nach Maßgabe der Unterrichtserfolge“) ist auch eine Verleihung für mehrere Schuljahre oder („wenn Gewähr für eine fortdauernde Erfüllung der gesetzlichen Bedingungen besteht“) auch auf Dauer möglich. Dafür ist typischerweise eine Beobachtungsphase von mehreren Schuljahren erforderlich (VwGH 24.04.2007, 2005/10/0197).
Es käme einer Aushöhlung dieser Prinzipien des § 15 PrivSchG gleich, wenn bereits im Vorhinein die (neuerliche) Verleihung des Öffentlichkeitsrechtes, somit zB vor erfolgter Durchführung der erforderlichen Schulinspektionen, mit Bestimmtheit angenommen wird.
Dies gilt selbst dann, wenn eine erste Inspektion der Schule bereits erfolgreich absolviert wurde, eine zweite jedoch noch bevorsteht.
3.2.4. Das Bundesverwaltungsgericht bezweifelt nicht, dass sich der Zweitbeschwerdeführer an der von ihm seit September 2021 besuchten Schule wohl fühlt, es kann jedoch keinesfalls automatisch angenommen werden, dass der Besuch einer öffentlichen Schule oder einer privaten Schule mit (bestehendem) Öffentlichkeitsrecht die von den Beschwerdeführern erwartete (besondere) Betreuung des Zweitbeschwerdeführers grundsätzlich nicht gewährleisten könnte. Nach Art 14 Abs 5a B-VG kommt allen Schulen der verfassungsgesetzliche Auftrag zu, den Schülerinnen und Schülern die bestmögliche geistige, seelische und körperliche Entwicklung zu ermöglichen.
3.2.5. Soweit im Schriftsatz der rechtsfreundlichen Vertretung vom 30.11.2021 der verspätete Zeitpunkt der Erlassung des behördlichen Bescheides moniert und auf die ergangene Judikatur des Bundesverwaltungsgerichtes verwiesen wird, ist zu entgegnen, dass die in der früheren Rechtslage (vor dem Schuljahr 2018/19) vorgesehene Entscheidungsfrist von höchstens einem Monat vom Gesetzgeber mit der Novelle BGBl. I Nr. 35/2018 ersatzlos behoben wurde.
Es ist den Beschwerdeführern zuzubilligen, dass die behördliche Entscheidung, deren Grundlagen im Wesentlichen bereits zum Zeitpunkt des Antrages vom 13.07.2021 bekannt waren, angesichts der Dringlichkeit und im Vergleich zur alten Rechtslage nicht gerade zeitnahe (27.10.2021) erfolgte, doch muss letztlich dahingestellt bleiben, ob die belangte Behörde tatsächlich „ohne unnötigen Aufschub“ iSd § 73 Abs 1 AVG entschieden hat, da selbst eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht nicht mit einem Anspruch auf Entscheidung im Sinne des Antrages verknüpft ist, sondern gegebenenfalls selbst vor Ablauf der sechs Monate „lediglich“ einen Amtshaftungsanspruch begründen könnte (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG, § 73 Rz 47).
3.2.6. Im Endergebnis ist die Beschwerde daher auch unter Berücksichtigung des Vorbringens vom 30.11.2021 als unbegründet abzuweisen.
3.2.7. Eine Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG entfallen, weil eine mündliche Erörterung keine weitere Klärung erwarten lässt (siehe Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, 2. Auflage [2018] § 24 VwGVG Anm. 13 mit Hinweisen zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sowie VfGH 18.06.2012, B 155/12; EGMR Tusnovics v. Austria, 07.03.2017, 24.719/12). Außerdem ist das Schulrecht nicht von Art. 6 EMRK und auch nicht von Art. 47 GRC erfasst (siehe VfGH 10.03.2015, E 1993/2014, sowie VwGH 23.05.2017, Ra 2015/10/0127; 27.03.2019, Ra 2019/10/0017, jeweils m.w.N.).
3.3. Zur Unzulässigkeit der Revision [Spruchpunkt B)]
3.3.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
3.3.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass ein rechtzeitiger Antritt und Nachweis der erfolgreichen Externistenprüfung noch vor Ende des Schuljahres 2021/22 (in Wien am 01.07.2022) nicht zulässig und somit nicht möglich ist, entspricht der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
allgemeine Schulpflicht Beschwerde Externistenprüfung negative Beurteilung Öffentlichkeitsrecht Parteiengehör Pflichtgegenstand Privatschule Schulunterricht Unterrichtserfolg Untersagung WiederaufnahmeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W129.2248226.2.00Im RIS seit
22.12.2021Zuletzt aktualisiert am
22.12.2021