TE Vwgh Beschluss 2021/11/23 Ra 2021/20/0379

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Veröffentlicht am 23.11.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52
FrPolG 2005 §52 Abs5
MRK Art8
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des T I, vertreten durch Mag. Nikolaus Rast und Mag. Mirsad Musliu, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. August 2021, W232 2237836-1/10E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Dem (im Jahr 1999 geborenen) Revisionswerber, einem aus Tschetschenien stammenden russischen Staatsangehörigen, wurde im Instanzenzug mit Bescheid vom 18. November 2004 vom (damals zuständigen) unabhängigen Bundesasylsenat Asyl durch Erstreckung gemäß § 11 Abs. 1 Asylgesetz 1997 - abgeleitet von seinem Vater - gewährt.

2        In der Folge wurde der Revisionswerber mehrfach straffällig.

3        Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 10. Juli 2015 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens des schweren Raubes gemäß §§ 142 Abs. 1, 143 2. und 3. Fall StGB, des Vergehens der Urkundenunterdrückung gemäß § 229 Abs. 1 StGB, des Vergehens der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs. 1 StGB und des Vergehens gemäß § 50 Abs. 1 Z 2 WaffG unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG und § 28 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt, wobei der unbedingte Strafteil sechs Monate betrug und eine Probezeit von drei Jahren festgesetzt wurde.

4        Am 8. Juli 2016 wurde der Revisionswerber vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens des Raubes gemäß § 142 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel gemäß § 241e Abs. 3 StGB unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG und § 28 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten verurteilt und die Probezeit des bedingt nachgesehenen Strafteils der Verurteilung vom 10. Juli 2015 auf fünf Jahre verlängert.

5        Mit Bescheid vom 2. November 2020 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) aberkannt und festgestellt werde, dass ihm gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Die Behörde erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise fest.

6        Am 10. März 2021 wurde der Revisionswerber vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs. 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt.

7        Die gegen den Bescheid vom 2. November 2020 erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht, das von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen hatte, mit Erkenntnis vom 17. August 2021 mit der Maßgabe, dass das Einreiseverbot auf fünf Jahre herabgesetzt werde, als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Der Revisionswerber wendet sich in der Begründung für die Zulässigkeit der von ihm erhobenen Revision ausschließlich gegen die im Rahmen der Erlassung einer Rückkehrentscheidung erfolgte Interessenabwägung nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz und gegen die Erlassung eines Einreiseverbotes.

12       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen worden ist - nicht revisibel. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose sowie für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots (vgl. VwGH 17.2.2021, Ra 2020/20/0393, mwN).

13       Das Bundesverwaltungsgericht hat im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK die maßgeblichen Umstände - v.a. den zumindest über 15 Jahre dauernden rechtmäßigen Aufenthalt des Revisionswerbers, die mangelnden integrationsbegründenden Schritte und die wiederholte Straffälligkeit - berücksichtigt und ist vertretbar zum Ergebnis gekommen, dass die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung überwögen.

14       Wenn die Revision in diesem Zusammenhang betont, das Bundesverwaltungsgericht weiche von der Rechtsprechung zu einem mehr als zehn Jahre dauernden Aufenthalt im Zusammenhang mit der Aufenthaltsbeendigung ab, ist ihr entgegen zu halten, dass die Judikatur zum zehnjährigen Aufenthalt nur für die Frage maßgeblich ist, ob einem unrechtmäßig aufhältigen Fremden ein aus Art. 8 EMRK ableitbares Aufenthaltsrecht zuzugestehen ist. Außerdem käme diese Judikaturlinie, die sich in der Regel nur auf strafrechtlich unbescholtene Fremde bezieht, im gegenständlichen Fall auch wegen der Straffälligkeit des Revisionswerbers nicht zum Tragen (vgl. VwGH 7.10.2021, Ra 2020/21/0192, mwN).

15       Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, dass die vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorgenommene Gewichtung der festgestellten Umstände, im Besonderen vor dem Hintergrund der massiven Straffälligkeit des Revisionswerbers selbst unter Bedachtnahme auf den langen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet unvertretbar wäre. Auch die Bemessung der Dauer des Einreiseverbots ist fallbezogen angesichts des vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Sachverhalts nicht als unvertretbar anzusehen.

16       Wenn der Revisionswerber vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht hätte eine Verhandlung durchführen müssen, um sich im Hinblick auf die Abwägung nach Art. 8 EMRK und auf die bei der Verhängung des Einreiseverbotes erforderliche Gefährdungsprognose von ihm einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, bleibt er schuldig, darzulegen, aus welchen konkreten Gründen die Voraussetzungen des fallbezogen anzuwendenden § 21 Abs. 7 BFA-VG für die Abstandnahme von einer Verhandlung (vgl. ausführlich zur Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen und auch hier maßgeblichen Wendung „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“, VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018) - insbesondere vor dem Hintergrund seines unsubstantiierten Vorbringens in der Beschwerde - nicht gegeben gewesen seien.

17       Es trifft zwar zu, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer Verhandlung bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen besondere Bedeutung zukommt. Daraus ist aber noch keine „absolute“ (generelle) Pflicht zur Durchführung einer Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 15.4.2020, Ra 2020/20/0114, mwN). Dass das Bundesverwaltungsgericht - vor allem angesichts der massiven und wiederholten Straffälligkeit des Revisionswerbers - nicht von einem solch eindeutigen Fall ausgehen durfte, zeigt der Revisionswerber nicht ansatzweise auf.

18       Wenn der Revisionswerber rügt, Feststellungen seien unzureichend getroffen und das aktuelle Länderinformationsblatt zur Russischen Föderation nicht hinreichend berücksichtigt worden, liegt eine vom Verwaltungsgerichtshof insoweit in inhaltliche Behandlung zu nehmende Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG schon deshalb nicht vor, weil der Revisionswerber in den Revisionsgründen darauf nicht mehr zurückkommt (vgl. etwa VwGH 4.8.2021, Ra 2021/20/0180, mwN). Im Übrigen wird der Revisionswerber mit dem in der Begründung für die Zulässigkeit der Revision enthaltenen Vorbringen der von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes diesbezüglich geforderten Relevanzdarlegung nicht gerecht (vgl. etwa VwGH 14.9.2021, Ra 2020/20/0405, mwN).

19       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 23. November 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200379.L00

Im RIS seit

22.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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