Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*, vertreten durch VertretungsNetz – Erwachsenenvertretung Standort Villach, 9500 Villach, Marksgasse 7/1. Stock, dieses vertreten durch Dr. Stella Spitzer-Härting, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Land Kärnten, *, vertreten durch Dr. Manfred Angerer und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, wegen 5.737,60 EUR sA, über die Rekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 28. April 2021, GZ 4 R 79/21s-15, womit aus Anlass der Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 15. Jänner 2021, GZ 40 C 548/20k-11, und das diesem vorausgegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Den Rekursen wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos aufgehoben.
Dem Berufungsgericht wird die Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rekursverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.
Text
Begründung:
[1] Der Kläger ist gemäß § 11 Kärntner Mindestsicherungsgesetz (K-MSG) im Pflegeheim D* zur stationären Pflege und Betreuung untergebracht. Er bezieht monatlich eine Waisenpension samt Ausgleichszulage, Pflegegeld der Stufe 6 und erhöhte Familienbeihilfe. 2017 betrug die Waisenpension samt Ausgleichszulage 889,84 EUR, 2018 909,42 EUR und 2019 933,06 EUR. Zu den Kosten seiner Unterbringung im Pflegeheim musste der Kläger mit 80 % seiner Waisenpension, mit 46 EUR von seinem Pflegegeld und mit 80 % der erhöhten Familienbeihilfe beitragen.
[2] Für den Zeitraum Juli 2017 bis 31. 12. 2019 begehrt der Kläger – nach Einschränkung – die Rückzahlung des irrtümlich geleisteten Kostenbeitrags aus der erhöhten Familienbeihilfe von insgesamt 5.737,60 EUR. Die beklagte Partei als Sozialhilfeträger habe ihm die Kostenbeitragsleistung aus der erhöhten Familienbeihilfe zu Unrecht vorgeschrieben, zumal diese nur dann zur Deckung der Grundleistung herangezogen werden könne, wenn der gesamte Lebensunterhalt vom Pflegeheim gedeckt werde, was hier jedoch nicht der Fall sei.
[3] Die beklagte Partei wendete ein, die vom Pflegeheim nicht gedeckten Aufwendungen wie Friseur, Pflegeprodukte, Massage, Bekleidung und Schuhe würden auch alle anderen Personen in stationärer Pflege treffen, die nicht behinderungsbedingt untergebracht sind. Der Kläger könne seine Aufwendungen ohnehin aus den ihm verbliebenen Zuwendungen decken. Die Zahlung einer Nichtschuld durch den Kläger liege somit nicht vor.
[4] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und vertrat die Auffassung, dass durch die Unterbringung des Klägers im Pflegeheim dessen Lebensunterhalt nicht vollends gesichert sei. Vielmehr habe der Kläger neben behinderungsbedingten Sonderausgaben – wie jede andere Person – Ausgaben für seine täglichen Bedürfnisse, sodass im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die erhöhte Familienbeihilfe nicht zur Leistung eines Beitrags zu den Kosten der Sozialhilfe herangezogen werde könne.
[5] Aus Anlass der Berufung hob das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichts und das diesem vorausgegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Ein Rückforderungsanspruch entsprechend § 1431 ABGB gehöre nicht auf den ordentlichen Rechtsweg, wenn das zugrunde liegende Rechtsverhältnis als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren sei. Da die Vorschreibung der für Leistungen der sozialen Mindestsicherung – wie hier der Leistung nach § 11 K-MSG – einzusetzenden eigenen Mittel oder über Rückerstattungspflichten wegen zu Unrecht in Anspruch genommener Leistungen gemäß § 57 Abs 4 K-MSG mittels schriftlichem Bescheid, somit mittels hoheitlichem Verwaltungsakt, zu erfolgen habe, gehöre auch der Anspruch des Klägers vor die Verwaltungsbehörden.
[6] Die Rekurse beider Streitteile sind zulässig (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO); sie sind auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[7] 1. Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs kommt es in erster Linie auf den Wortlaut des Klagebegehrens und darüber hinaus auf die darin enthaltenen Tatsachenbehauptungen an. Entscheidend bleibt stets die Natur des erhobenen Anspruchs. Maßgeblich ist somit, ob nach dem Inhalt der Klage ein privatrechtlicher Anspruch erhoben wird, über den ordentliche Gerichte zu entscheiden haben (Ballon in Fasching/Konecny3 § 1 JN Rz 72 ff; Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO5 Vor § 1 JN Rz 6).
[8] 2. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass ein Rückforderungsanspruch entsprechend § 1431 ABGB dann nicht auf den ordentlichen Rechtsweg gehört, wenn das zugrundeliegende Rechtsverhältnis als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren ist, weil ein Beteiligter als Träger von hoheitlicher Gewalt auftritt, ohne dass es darauf ankommt, ob die Zahlung aufgrund einer bescheidmäßigen Verpflichtung erfolgte oder nicht (RS0033689; RS0033700; RS0033985). Demgemäß wurde etwa die Zuständigkeit der Gerichte für die Rückforderung zu Unrecht bezahlter Wertzuwachsabgaben (3 Ob 261/51 EvBl 1951/265), von Sozialversicherungsbeiträgen (3 Ob 365/50 JBl 1951, 160), Gemeindeabgaben (4 Ob 546/30 SZ 12/296), Arbeitslosenversicherungsbeiträgen (1 Ob 249/31 SZ 13/105), Verpflegungskosten-Beiträgen (3 Ob 657/32 SZ 14/178) und Kammerumlagen (3 Ob 624/77 SZ 51/161) ebenso verneint wie die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen der Krankenversicherung gegenüber einem Vertragsarzt (vgl auch die Beispiele bei Ballon in Fasching/Konecny³ I § 1 JN Rz 113 ff).
3. Das Kärntner Mindestsicherungsgesetz in der Fassung LGBl 2020/107 lautet auszugsweise:
„§ 8 Abs 1: Soziale Mindestsicherung wird in folgenden Bereichen geleistet:
lit a: Soziale Mindestsicherung in stationären und teilstationären Einrichtungen (§ 11, …)
Abs 2: Ein Rechtsanspruch besteht auf Leistungen der sozialen Mindestsicherung nach § 11 Abs 2 und § 14 Abs 1 und Abs 2 iVm § 16 Abs 2 Kärntner Sozialhilfegesetz sowie Abs 3 lit a …
§ 11 Abs 1: Soziale Mindestsicherung kann mit Zustimmung der hilfesuchenden Person durch Unterbringung, Verpflegung sowie Betreuung und Hilfe in stationären oder teilstationären Einrichtungen … geleistet werden, wenn andere Formen sozialer Mindestsicherung nicht möglich sind oder mit einem unangemessenen Mehraufwand verbunden wären …
Abs 2: Hilfesuchende, die soziale Mindestsicherung nach Abs 1 in einer stationären Einrichtung erhalten, haben Anspruch auf ein Taschengeld in Höhe von 18 % des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes für Alleinstehende, soweit ihnen nicht nach § 6 Abs 6 ein Betrag ihres Einkommens verbleibt und wenn es sich nicht um die Unterbringung von Pflegekindern im Sinne des zweiten Abschnittes des Kärntner Kinder- und Jugendhilfegesetzes handelt.
§ 6 Abs 1: Die eigenen Mittel umfassen das gesamte Einkommen und das verwertbare Vermögen der hilfesuchenden Person.
Abs 2: Als Einkommen gelten … alle Einkünfte, die der hilfesuchenden Person zufließen.
Abs 2a: Nicht als Einkommen gelten
lit a: Leistungen nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 …
lit b: Familienbeihilfe einschließlich des Erhöhungsbetrages, ausgenommen die hilfesuchende Person, für die Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, bezieht Leistungen nach § 11 oder § 14 Abs 3 lit b;
lit c: Pflegegeld nach dem Bundespflegegeldgesetz oder nach gleichartigen gesetzlichen Bestimmungen oder andere pflegebezogene Geldleistungen des Hilfesuchenden selbst oder eines vom Hilfesuchenden gepflegten Haushaltsangehörigen; Pflegegeld oder andere pflegegeldbezogene Geldleistungen des Hilfesuchenden selbst gelten als Einkommen, wenn die hilfesuchende Person Leistungen nach den §§ 11, 14 Abs 3 lit b oder 15 bezieht.
Abs 6: bei sozialer Mindestsicherung in stationären Einrichtungen (§ 11) sind 20 % des Einkommens einschließlich der Sonderzahlung nicht als Einkommen zu berücksichtigen (Taschengeld) …
Abs 9: Der Hilfesuchende hat zu den Kosten für folgende Leistungen entsprechend seiner finanziellen Leistungskraft beizutragen:
lit a: soziale Mindestsicherung in stationären Einrichtungen und Unterbringung zu Wohnzwecken gemäß § 11 Abs 1 …
§ 52 Abs 1: Leistungen der sozialen Mindestsicherung setzen einen Antrag voraus, sind aber auch ohne einen solchen anzubieten, wenn Umstände bekannt werden, die eine Leistung erforderlich machen.
§ 53: Auf das Verfahren über die Leistung sozialer Mindestsicherung finden die Vorschriften des AVG 1991 Anwendung, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.
§ 57 Abs 4: Über Leistungen sozialer Mindestsicherung, auf die ein Rechtsanspruch besteht (§ 8 Abs 2), über die für diese einzusetzenden eigenen Mittel sowie über Rückerstattungspflichten (§ 59 Abs 3) und die Einstellung der Leistungen (§ 59 Abs 5) ist … mit schriftlichem Bescheid abzusprechen.
§ 60: Behördliche Aufgaben
Abs 1: Der Landesregierung obliegt
lit a: die Unterbringung von Hilfesuchenden in psychiatrischen Krankenanstalten (Abteilungen) sowie in geriatrischen Krankenanstalten (Abteilungen) im Rahmen der sozialen Mindestsicherung bei Krankheit gemäß § 14 Abs 3 lit a.
lit b: In den Fällen der lit a sowie in Fällen einer Unterbringung nach § 11 oder § 14 Abs 3 lit b oder nach dem Kärntner Chancengleichheitsgesetz die Entscheidung über sonstige erforderliche Maßnahmen des dritten Abschnitts.
Abs 2: Den Bezirksverwaltungsbehörden obliegt
lit a: die Gewährung von Leistungen nach dem dritten Abschnitt, soweit ein Rechtsanspruch besteht (§ 8 Abs 2) und soweit nicht durch Abs 1 anderes bestimmt ist.
lit b: alle behördlichen Maßnahmen soweit sie nicht unter Abs 1 fallen und durch dieses Gesetz nichts anderes bestimmt ist.“
[9] 4. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist nicht ausschlaggebend, dass die Vorschreibung der für Leistungen der sozialen Mindestsicherung einzusetzenden eigenen Mittel oder über Rückerstattungspflichten wegen zu Unrecht in Anspruch genommener Leistungen gemäß § 57 Abs 4 K-MSG mittels schriftlichem Bescheid zu erfolgen hat. Diese Regelung bezieht sich nämlich lediglich auf Leistungen sozialer Mindestsicherung, auf die ein Rechtsanspruch besteht (§ 8 Abs 2 K-MSG), auf die für diese einzusetzenden eigenen Mittel sowie auf Rückerstattungspflichten (§ 59 Abs 3 K-MSG) und die Einstellung der Leistungen (§ 59 Abs 5 K-MSG), soweit § 57 Abs 5 und 6 K-MSG nichts anderes bestimmen.
[10] Aus dieser Bestimmung ergibt sich somit, dass nur über jene Leistungen sozialer Mindestsicherung zu entscheiden ist, auf die ein Rechtsanspruch besteht. § 8 Abs 2 K-MSG zählt jene Leistungen der sozialen Mindestsicherung auf, bei denen dies der Fall ist. Die Unterbringung, Verpflegung sowie Betreuung und Hilfe in stationären oder teilstationären Einrichtungen gemäß § 11 Abs 1 K-MSG ist in dieser Aufzählung nicht enthalten. Auf diese Leistung der sozialen Mindestsicherung besteht somit auch kein Rechtsanspruch (1 Ob 64/16t [ErwG 2.]).
[11] 5. Zudem unterscheidet das K-MSG unter dem Titel „Zuständigkeit und Kostentragung“ zwischen „behördlichen Aufgaben“ (§ 60 K-MSG) und „nicht behördlichen Aufgaben“ (§ 61 K-MSG). Die Maßnahme der Unterbringung von Hilfesuchenden in Einrichtungen gemäß § 11 K-MSG zählt demnach zu den „nicht behördlichen Aufgaben“ des Landes (§ 61 Abs 1 lit y K-MSG). Ausdrücklich wird das Land dabei als „Träger von Privatrechten“ bezeichnet (vgl auch 1 Ob 64/16t [ErwG 2.]).
[12] 6. Der Kläger bezieht derzeit die Leistung der sozialen Mindestsicherung gemäß § 11 Abs 1 K-MSG. Diese Leistungen werden von der beklagten Partei somit als Trägerin von Privatrechten erbracht. Aus diesem Grund kommt weder eine Entscheidung über die Erbringung dieser Leistungen noch eine Rückforderung nach § 1431 ABGB im Verwaltungsweg in Betracht.
[13] 7. Nichtigerklärung des Verfahrens und Zurückweisung der Klage durch das Berufungsgericht erfolgten somit rechtsirrig. Eine sofortige Entscheidung in der Sache selbst ist bei der Entscheidung über einen Rekurs nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO aber nicht vorgesehen (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO e contrario), weshalb mit Aufhebung des angefochtenen Beschlusses vorzugehen war.
[14] 8. Für das weitere Verfahren ist allerdings auf Folgendes hinzuweisen:
[15] Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ist bei Feststellung des Gesamteinkommens, das der Bemessung des Kostenbeitrags zugrunde gelegt wird, die Hinzurechnung der Familienbeihilfe nach § 43 Abs 3 iVm § 11 Abs 3 BehindertenG nur dann zulässig, wenn „im Rahmen dieser Maßnahme durch Unterbringung und Verpflegung der Lebensunterhalt des Behinderten sichergestellt“ wird. Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen eine die Heranziehung der Familienbeihilfe für Sozialhilfemaßnahmen, durch die der Lebensunterhalt (einschließlich Unterbringung und Verpflegung) vollends gesichert ist, vorsehende Bestimmung keine verfassungsrechtlichen Bedenken; die Intention des Bundesgesetzgebers, der § 12a FLAG erlassen hat, schließt eine solche Heranziehung nicht aus (VfGH B 1129/91). Die Familienbeihilfe sei als Betreuungshilfe gedacht, die ausschließlich für jene Person, für die sie bezahlt werde, zu verwenden sei (unter Berufung auf 1 Ob 565/91). Dieser Verwendungszweck werde durch eine sozialhilferechtliche Kostenbeitragsregelung jedenfalls dann nicht unterlaufen, wenn sie den geschilderten Inhalt habe.
[16] Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kommt es entscheidend darauf an, ob der Lebensunterhalt des Hilfeempfängers einschließlich der besonderen Bedürfnisse, die dieser als behinderter Mensch hat, im Rahmen der Maßnahme, also im Rahmen der mit der Unterbringung erbrachten Leistungen, vollends gesichert ist. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, kann die Familienbeihilfe zur Leistung eines Beitrags zu den Kosten der Sozialhilfe nicht herangezogen werden (Ra 2014/10/0047 mwN).
[17] Die beklagte Partei verweist darauf, dass diese Entscheidungen jeweils zu landesgesetzlichen Regelungen ergingen, die keine dem § 6 Abs 2 lit b K-MSG entsprechenden Anrechnungsregeln enthielten. Ob § 6 Abs 2 lit b K-MSG einer verfassungskonformen Auslegung im Sinne einer teleologischen Restriktion zugänglich ist oder ob diese Regelung als verfassungswidrig anzufechten sein könnte, wird vom Berufungsgericht zu beurteilen sein. Dem Obersten Gerichtshof ist aus den dargelegten Gründen im derzeitigen Verfahrensstadium ein Eingehen auf diese Frage verwehrt.
[18] 9. Die Kostenaufhebung gründet auf § 51 Abs 2 ZPO.
Textnummer
E133300European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00176.21G.1020.000Im RIS seit
22.12.2021Zuletzt aktualisiert am
22.12.2021