Index
41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
Aufenthaltsrecht Bosnien-Herzegowina 1995 §1 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rigler und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Neumair, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 16. März 1995, Zl. SD 340/95, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 16. März 1995 wurde der Beschwerdeführer, der über einen seitens der Jugoslawischen Föderation ausgestellten Reisepaß verfügt, gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen.
Der Beschwerdeführer versuche, seine Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid vor allem mit dem Hinweis auf Art. 8 Abs. 2 MRK zu unterstützen und verweise darauf, daß seine Ehegattin und zwei Kinder seit Mai 1992 in Österreich lebten, führe aber dann auch aus, daß er aus Bosanski Samac in Bosnien stammen würde und daß dort kriegerische Auseinandersetzungen stattfänden, sodaß er nicht dorthin zurückkehren könnte, und daß er in Österreich als de facto Flüchtling anerkannt worden wäre.
Der Beschwerdeführer sei im November 1992 erstmals polizeilich in Erscheinung getreten. Er habe damals zugegeben, daß er im Mai 1992 nach Österreich gekommen und in der Folge der Schwarzarbeit nachgegangen wäre. Er würde wissen, daß er ohne Sichtvermerk nur drei Monate in Österreich hätte bleiben dürfen. Er sei damals wegen Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes sowie des Meldegesetzes (Unterlassen der polizeilichen Anmeldung) bestraft worden. Am 23. Februar 1993 habe er von der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf einen (bloß) bis Ende März 1993 gültigen Sichtvermerk mit dem Zusatz "de facto Flüchtling" erhalten, dies aber offenbar nur deshalb, weil er angegeben habe, zwei Tage zuvor mit einem Bus über Ungarn in Österreich eingereist zu sein.
Im Mai 1993 sei dann eine neuerliche Bestrafung wegen illegalen Aufenthalts nach dem Fremdengesetz erfolgt.
Mit Bescheid des "Amtes der Wiener Landesregierung vom 19.06.1994" sei ein Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mit der Begründung zurückgewiesen worden, daß dieser am 1. Juli 1993 nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt gewesen wäre und daher nur einen Erstantrag vom Ausland aus stellen hätte können.
Im August 1994 sei der Beschwerdeführer neuerlich wegen unerlaubten Aufenthaltes nach dem Fremdengesetz bestraft worden. Der Beschwerdeführer sei Inhaber eines (serbischen) Reisepasses der Jugoslawischen Föderation. Als solcher sei er als Staatsangehöriger dieses Staates anzusehen. Es bestehe kein Grund zur Annahme, daß er damit nicht auch den Schutz dieses Staates gefunden habe. Damit kämen ihm aber, möge er seine Heimat auch wegen der bewaffneten Konflikte verlassen haben, nicht die Bestimmungen der "Verordnung über das vorübergehende Aufenthaltsrecht von Kriegsflüchtlingen aus Bosnien, BGBl. Nr. 1038/1994", zugute.
Daran vermöge auch der Umstand nichts zu ändern, daß der einzige kurzfristige Sichtvermerk, den der Beschwerdeführer aufgrund seiner Angaben erwirkt habe, mit dem Zusatz "de facto Flüchtling" eingetragen worden sei.
Der Beschwerdeführer sei jedenfalls nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. In einem solchen Fall sei die Ausweisung zu verfügen, sofern dem nicht § 19 FrG entgegenstehe.
Ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinn des § 19 FrG liege jedenfalls vor, da sich seine Familienangehörigen ebenfalls im Bundesgebiet befänden. Der mit der Ausweisung verbundene Eingriff - von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei abgesehen worden, obgleich an sich die Voraussetzungen gegeben gewesen wären - sei aber dennoch im Interesse der öffentlichen Ordnung, d.h. eines geordneten Fremdenwesens, somit zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele, dringend geboten. Der seit längerer Zeit unrechtmäßige Aufenthalt, vor allem aber auch das weitere Verbleiben des Beschwerdeführers im Bundesgebiet nach und trotz einer Bestrafung wegen des unerlaubten Aufenthaltes sowie der Umstand, daß dem Beschwerdeführer - mangels Erfüllung der im § 6 Abs. 2 erster Satz des Aufenthaltsgesetzes normierten Voraussetzung, daß ein Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz vom Ausland aus zu stellen sei - auch nicht die erforderliche Bewilligung nach diesem Gesetz erteilt werden dürfe, gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maße. Eine Abstandnahme von der Ausweisung könnte dem Beschwerdeführer entgegen der genannten, ein wesentliches Element der mit dem Aufenthaltsgesetz getroffenen Regelung darstellenden Bestimmung den tatsächlichen, jedoch nicht rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer verschaffen, was dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens zuwiderlaufen würde.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Erstbehörde hat die Auffassung vertreten, daß der Beschwerdeführer aufgrund der Ausstellung des "serbischen Passes ... jedenfalls dieser Volksgruppe zuzurechnen ... und somit ein unerlaubter Aufenthalt gegeben" sei.
In der dagegen gerichteten Berufung hat der Beschwerdeführer ausgeführt, daß er "als de-facto-Flüchtling anerkannt" worden sei, daran ändere "auch die Ausstellung eines serbischen Passes nichts. Er stammt aus Bosanski-Samac, dieser Ort liegt in Bosnien, wo seit April 1992 kriegerische Auseinandersetzungen stattfinden"; eine Rückkehr dorthin sei ausgeschlossen.
2.1. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid festgestellt, daß sich der Beschwerdeführer seit "Mai 1992" - damit zu einem Zeitpunkt, als es in Bosnien-Herzegowina bereits zu bewaffneten Konflikten gekommen war (vgl. Der Fischer Weltalmanach 1993, Sp 92 ff) - in Österreich aufhält (wenngleich der Beschwerdeführer - als er 1992 "polizeilich in Erscheinung" trat -, selbst angegeben hat, daß er bereits "seit etwa 18 Monaten in Österreich aufhältig" sei).
Dessen ungeachtet hat sich die belangte Behörde aber mit dem unter Punkt II. 1. dargestellten Vorbringen des Beschwerdeführers, dessen Relevanz für den Beschwerdefall im Hinblick auf das kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina eingeräumte vorübergehende Aufenthaltsrecht in Österreich (vgl. § 12 des Aufenthaltsgesetzes und die darauf gestützten Verordnungen der Bundesregierung, beginnend mit der Verordnung BGBl. Nr. 402/1993, für den vorliegenden Fall maßgeblich die Verordnung BGBl. Nr. 1038/1994) unschwer zu erkennen ist, nicht auseinandergesetzt.
Aufgrund des unter Punkt II. 1. dargestellten nachvollziehbaren Berufungsvorbringens, dessen Eignung darzutun, daß vorliegend ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht nach der genannten Sonderregelung zum Tragen komme, nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, war es der belangten Behörde verwehrt, ohne weiters, d.h. ohne diesbezügliche Ermittlungen und darauf gründende Feststellungen, allein angesichts des Umstandes, daß dem Beschwerdeführer ein Reisepaß der "Jugoslawischen Föderation" ausgestellt wurde, zu dem Schluß zu gelangen, der Beschwerdeführer sei - ausschließlich - Staatsangehöriger dieses Staates. Der belangten Behörde wäre es vielmehr - unter weiterer Mitwirkung des Beschwerdeführers - oblegen, die Frage zu klären, ob nicht ungeachtet der Ausstellung des besagten Reisepasses der Beschwerdeführer, wie von ihm behauptet, weiterhin (allenfalls auch) bosnischer Staatsangehöriger war.
2.2. Da nach dem Gesagten nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde, wäre der Sachverhalt nicht in der bezeichneten Hinsicht ergänzungsbedürftig geblieben, zu einem anderen (für den Beschwerdeführer günstigen, nämlich die Anwendbarkeit der genannten Verordnung bejahenden und folglich die Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltes verneinenden) Ergebnis hätte gelangen können, erweist sich die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Ausweisung schon im Grunde des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG als rechtswidrig (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. März 1996, Zl. 95/18/0494).
3. Aber auch die Auffassung der belangten Behörde, daß der Beschwerdeführer als "Inhaber eines (serbischen) Reisepasses der Jugoslawischen Föderation" (mit der Gültigkeitsdauer vom 17. Dezember 1992 bis zum 17. Dezember 1997) als Staatsangehöriger dieses Staates anzusehen sei und kein Grund zur Annahme bestehe, "daß er damit nicht auch den Schutz dieses Staates gefunden" habe und daher die "Bestimmungen der Verordnung über das vorübergehende Aufenthaltsrecht von Kriegsflüchtlingen aus Bosnien, BGBl. Nr. 1038/1994", für ihn nicht zum Tragen kämen, geht fehl.
Gemäß § 1 Abs. 1 dieser Verordnung haben Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina und deren Ehegatten und minderjährige Kinder, die aufgrund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese verlassen mußten, anderweitig keinen Schutz fanden und vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet.
Das Tatbestandsmerkmal, anderweitig Schutz gefunden zu haben verlangt, daß sich eine Person, die im Sinn dieser Verordnung ihre Heimat verlassen mußte, tatsächlich zwischen dem Verlassen ihrer Heimat und der Einreise in Österreich an dem Ort befunden haben muß, wo sie nach Auffassung der belangten Behörde Schutz gefunden hat. Der Umstand, daß dem Beschwerdeführer von der Vertretungsbehörde der Bundesrepublik Jugoslawien in Wien ein Paß ausgestellt wurde, bedeutet somit nicht, daß der Beschwerdeführer im Sinne der Verordnung anderweitig Schutz gefunden hat.
Infolge Verkennens dieser Rechtslage unterließ die belangte Behörde auch relevante Feststellungen darüber, ob der Beschwerdeführer im Hinblick auf die Anwendbarkeit der genannten Verordnung "anderweitig" Schutz gefunden hat und belastete damit den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
4. Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, da eine Aufhebung eines Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit einer Aufhebung infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995180891.X00Im RIS seit
22.10.2001