TE Vwgh Erkenntnis 1996/10/24 95/18/0720

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Veröffentlicht am 24.10.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §9 Abs1;
AVG §6 Abs1;
FrG 1993 §17 Abs1;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1993 §54 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte

Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rigler und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Neumair, über die Beschwerde der S, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 8. November 1994, Zl. Fr 2097/94, betreffend Ausweisung und Zurückweisung eines Antrages auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion St. Pölten vom 22. Juni 1994 wurde die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, gemäß § 17 Abs. 1 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen.

2. Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung (vom 1. Juli 1994) und des u.e. an die "Oberbehörde" gerichteten Antrages gemäß § 54 Abs. 1 und 2 FrG erging unter dem Datum 8. November 1994 ein Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde), dessen Spruch wie folgt lautet:

"Gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1991 wird Ihrer Berufung keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt. Ihr Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung wird zurückgewiesen."

Der von der Beschwerdeführerin am 11. September 1989 gestellte Asylantrag sei mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. Dezember 1993 abgewiesen worden; dieser Bescheid sei seit 17. Dezember 1993 rechtskräftig. Damit sei die vorläufige Aufenthaltsberechtigung der Beschwerdeführerin erloschen. Dem Einwand der Beschwerdeführerin, sie habe von der Existenz des Ministerialbescheides keine Kenntnis erlangt, sei entgegenzuhalten, daß den Ermittlungen zufolge eine Angestellte des Rechtsanwaltes Dr. Werner Sch. - dieser sei von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 9. Mai 1990 mit ihrer Vertretung betraut worden - diesen Bescheid am 17. Dezember 1993 übernommen habe (Zustellung gemäß § 13 Abs. 4 Zustellgesetz). Die Beschwerdeführerin halte sich somit mangels Aufenthaltsberechtigung seit 18. Dezember 1993 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Die Beschwerdeführerin halte sich seit 9. September 1989 in Österreich auf. Auch ihr Gatte, ihre beiden Kinder und ihre Schwiegereltern hielten sich hier auf. Gatte und Kinder verfügten jedoch nach (negativem) Abschluß des Asylverfahrens gleichfalls über keine der im § 15 FrG angeführten Aufenthaltsberechtigungen. Aufgrund ihres unrechtmäßigen Aufenthaltes seien sie gemeinsam mit der Beschwerdeführerin ausgewiesen worden. Durch die Ausweisung werde in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin eingegriffen. Dennoch sei diese Maßnahme, weil zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens dringend geboten, nach § 19 FrG zulässig. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch die Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 MRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Dieses eminente öffentliche Interesse werde durch den nun schon zehnmonatigen unrechtmäßigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich in hohem Maß gefährdet. Des weiteren sei die Beschwerdeführerin hier nicht integriert und verfüge über keine "legalen beruflichen Bindungen". Die belangte Behörde sei "trotz Würdigung" der privaten Interessen der Beschwerdeführerin zu dem Ergebnis gelangt, daß die öffentlichen Interessen an einer Ausweisung schwerer wögen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf ihre Lebenssituation.

Bei der Erlassung des Ausweisungs-Bescheides sei nicht zu prüfen, in welches Land die Beschwerdeführerin allenfalls abgeschoben werde. Mit der Ausweisung sei nicht zwangsläufig ihre Abschiebung in ihr Heimatland verbunden.

Die Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung sei in einem selbständigen Verfahren zu treffen. Ein diesbezüglicher Antrag sei bei der örtlich zuständigen Sicherheitsbehörde einzubringen. Behörde i.S. des Fremdengesetzes sei, sofern nicht anderes bestimmt sei, die Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese. Der Antrag der Beschwerdeführerin sei demnach zurückzuweisen gewesen.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.

4. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Die Beschwerde vertritt die Ansicht, daß die Ausweisung gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 1991 unzulässig sei, weil das die Beschwerdeführerin betreffende Asylverfahren nicht abgeschlossen sei und ihr daher, wie von der Bezirkshauptmannschaft Baden am 11. September 1989 bescheinigt, ein vorläufiges Aufenthaltsrecht zukomme.

1.2. Mit diesem Vorbringen entfernt sich die Beschwerde von der diesen Fragenkreis betreffenden - unbestritten gebliebenen und in den vorgelegten Verwaltungsakten Deckung findenden - maßgeblichen Sachverhaltsfeststellung der belangten Behörde, derzufolge der den Asylantrag der Beschwerdeführerin abweisende Bescheid des Bundesministers für Inneres ihrem Rechtsvertreter am 17. Dezember 1993 zugestellt worden sei (siehe oben I. 2.). Von daher gesehen besteht für den Gerichtshof kein Anlaß, diesen Sachverhalt nicht der Überprüfung des bekämpften Bescheides zugrunde zu legen (siehe § 41 Abs. 1 VwGG). Der von der belangten Behörde aus der genannten Feststellung gezogene Schluß, daß der Beschwerdeführerin ab 18. Dezember 1993 keine vorläufige Aufenthaltsberechtigung (mehr) zukomme und sie sich seither - mangels Vorliegens einer anderen Berechtigung zum Aufenthalt - unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, begegnet keinen Bedenken.

Die behauptete inhaltliche Rechtswidrigkeit ist demnach nicht gegeben. Der Verfahrensrüge, daß die belangte Behörde nicht ermittelt habe, ob das Asylverfahren schon beendet gewesen sei, ist der Boden entzogen.

2.1. Die Beschwerde wirft der belangten Behörde vor, sie hätte erkennen müssen, daß wegen der familiären Bande der Beschwerdeführerin zu ihren zwei mj. Kindern und ihrer Pflichten ihnen gegenüber die Ausweisung in einer Weise in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin eingreife, daß diese Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele nicht dringend geboten sei. Eine Trennung der Beschwerdeführerin von ihrer Familie auf die "Dauer von mehr als einem Jahr, womöglich noch erheblich länger" (bis zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung), könne auch bei der prinzipiellen Möglichkeit der Erlangung kurzfristiger Einreiseerlaubnisse nur als äußerst schwerwiegender Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin gewertet werden, der in Anbetracht der bei Zurücklassung der beiden mj. Kinder - nur dies sei der Beschwerdeführerin angesichts der Verfolgungssituation in ihrer Heimat "überhaupt zusinnbar" - diese treffenden Folge der persönlichen Entfremdung sowie des Entzuges mütterlicher Obsorge und Unterhaltes nicht als dringend geboten angesehen werden könne.

2.2. Die belangte Behörde hat den Aufenthalt des Gatten und der beiden mj. Kinder der Beschwerdeführerin in Österreich zu ihren Gunsten berücksichtigt und ist dementsprechend zu der Annahme gelangt, daß mit der Ausweisung der Beschwerdeführerin ein im Grunde des § 19 FrG relevanter Eingriff in deren Privat- und Familienleben verbunden sei. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid aber auch - unwidersprochen - darauf hingewiesen, daß sich sowohl der Gatte als auch die beiden Kinder der Beschwerdeführerin unrechtmäßig in Österreich aufhielten und deshalb auch diese Personen ausgewiesen worden seien. Selbst wenn man ungeachtet der gegen alle Familienmitglieder erlassenen Ausweisung davon ausginge, daß die Beschwerdeführerin nicht gemeinsam mit ihrem Gatten und ihren Kindern aus Österreich ausreiste, also die Familie getrennt würde, wäre der durch die Ausweisung der Beschwerdeführerin bewirkte Eingriff in ihr Privat- und Familienleben nicht so hoch zu veranschlagen, daß die maßgeblichen öffentlichen Interessen zurückzustehen hätten. Denn den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften kommt aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 MRK) ein sehr hoher Stellenwert zu (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa das Erkenntnis vom 11. Juli 1996, Zl. 96/18/0035, mwN). Dieses Schutzgut hat durch den im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung ca. einjährigen unrechtmäßigen Aufenthalt (bei einem insgesamt etwas über fünfjährigen Aufenthalt) im Bundesgebiet eine erhebliche Beeinträchtigung erfahren, wozu kommt, daß - von der Beschwerde zutreffend erkannt - die Beschwerdeführerin rechtens nicht in der Lage ist, vom Inland aus eine Aufenthaltsbewilligung zu beantragen. Die gegenläufigen persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin sind von vergleichsweise geringem Gewicht, ist doch vor allem zu bedenken, daß die Bedeutung der Dauer des Aufenthaltes, der daraus resultierenden Integration wie auch des Aufenthaltes des Gatten und der beiden Kinder der Beschwerdeführerin durch die seit geraumer Zeit gegebene Unerlaubtheit des Aufenthaltes aller genannten Personen deutlich gemindert wird. Zu der von der Beschwerde ins Treffen geführten Verpflichtung der Beschwerdeführerin zur Obsorge und Leistung des Unterhaltes für ihre Kinder ist festzuhalten, daß nach dem Gesetz die Obsorge grundsätzlich beiden Elternteilen zukommt und auch beide Elternteile zum Unterhalt der Kinder beizutragen haben. Daß vorliegend diese Pflichten den Gatten der Beschwerdeführerin nicht träfen, wird in der Beschwerde nicht behauptet, sodaß auch der Vorwurf, die belangte Behörde habe nicht erhoben, "in welcher Art und Weise bei meiner erzwungenen Ausreise aus dem Bundesgebiet für meine Kinder hinsichtlich des Unterhaltes und der Obsorge Vorsorge getroffen ist", ins Leere geht.

3. Was die in Ansehung der Zurückweisung des Antrages auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung der Beschwerdeführerin in ihre Heimat aufgestellte Behauptung einer Rechtsverletzung dadurch, daß die belangte Behörde den Antrag nicht an die Erstbehörde weitergeleitet habe, anlangt, ist der Beschwerde entgegenzuhalten, daß der Beschwerdeführerin durch § 6 Abs. 1 AVG kein subjektives Recht auf Weiterleitung oder Weiterverweisung eingeräumt wird.

Da der belangten Behörde - ohne vorhergehende Befassung der Behörde erster Instanz - die Zuständigkeit zur meritorischen Entscheidung über den Antrag nach § 54 Abs. 1 FrG fehlte, geht schon deshalb die Rüge, sie habe nicht ermittelt, ob die Beschwerdeführerin in ihrer Heimat i.S. des § 37 Abs. 1 und 2 FrG gefährdet bzw. bedroht sei, ins Leere.

4. Da sich nach dem Gesagten die Beschwerde als zur Gänze unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Weiterleitung an die zuständige Behörde auf Gefahr des Einschreiters

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995180720.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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