TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/7 W185 2203700-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.05.2021
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Entscheidungsdatum

07.05.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs3 Satz1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch


W185 2203700-2/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard PRÜNSTER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.03.2021, Zl 1171610310-210094323, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF), ein Staatsangehöriger aus Afghanistan, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 23.10.2017 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

Am 23.10.2017 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Zu seinem Fluchtgrund befragt, brachte der BF vor, dass es in Afghanistan sehr unsicher sei und Krieg herrsche. Seine Familie hätte Grundstücksstreitigkeiten mit einem Onkel väterlicherseits gehabt, welcher Verbindungen zu den Taliban gehabt habe. Sein Onkel habe die Taliban zu ihnen nachhause geschickt und diese hätten den BF „mitnehmen“ wollen. Die Taliban hätten ihn töten oder in den Jihad schicken wollen. Seine Mutter habe Angst um ihn gehabt, zumal sein Vater Soldat gewesen und seit einem Bombenanschlag körperlich behindert sei.

Am 11.04.2018 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA oder Bundesamt) im inhaltlichen Verfahren niederschriftlich einvernommen. Dabei führte der BF zunächst an, in der Provinz Laghman geboren und aufgewachsen zu sein. Er sei Paschtune und sunnitischer Moslem. Er habe seinem Vater in der Landwirtschaft geholfen und als Mechaniker gearbeitet. Sein Vater habe seine Ausreise organisiert und finanziert. Der BF habe noch Kontakt zu seiner Schwester in Kandahar; deren Ehemann betreibe ein Lebensmittelgeschäft. Zum Rest seiner Familie habe er keinen Kontakt mehr; er kenne deren nunmehrigen Aufenthaltsort nicht. Seine Schwester und sein Schwager würden in Kabul leben. In Afghanistan würden sich noch ein Onkel (in Nangarhar), mit welchem die Familie keinen Kontakt habe und eine Tante mütterlicherseits (in Kandahar) aufhalten. Mit der Tante habe der BF keinen Kontakt, jedoch mit seinem Cousin, welcher in Istanbul aufhältig sei. Wegen des angeführten Onkels habe der BF Afghanistan verlassen. Zu seinem Fluchtgrund befragt brachte der BF vor, dass sein Vater, ein Offizier in der Volksarmee, bei einem Selbstmordanschlag ein Bein verloren habe. Sein Vater sei in der Folge arbeitslos gewesen und die Familie damit keine Einkommensquelle mehr. Sein Vater habe, als er noch Geld verdient habe, ein Grundstück gekauft. Sein Onkel habe jedoch behauptet, dass sein Vater dieses Grundstück bloß geerbte hätte und das Grundstück allen gehören würde. Sein Vater habe dem BF das Grundstück schließlich überschrieben. Es habe deswegen ständig Streit mit seinem Onkel gegeben. Sein Vater habe vorgeschlagen, dass der BF zur Volksarmee gehen solle, damit die Familie wieder ein Einkommen hätte. Der Onkel habe die Taliban wohl über diesen Plan informiert und die Taliban seien ein bis zwei Mal bei ihnen zuhause gewesen und hätten entschieden, dass das Grundstück dem angesprochenen Onkel gehören würde. Die Taliban hätten dem BF vorgeworfen, dass sein Vater gewollt hätte, dass er der afghanischen Polizei beitrete. Die Taliban hätten den BF zwei Mal mit einem Messer gestochen, doch seine Eltern hätten das Grundstück nicht hergeben wollen. Er sei dann fünf Tage im Spital gelegen. Seine Eltern hätten den Taliban gesagt, dass sie den BF zuerst versorgen würden und die Grundstücke anschließend den Taliban übergeben würden. Die Taliban hätten jedoch nicht gewusst, dass sein Vater die Grundstücke bereits auf den BF überschrieben gehabt habe. Als die Taliban seinen Vater erneut zur Rede gestellt hätten, habe sein Vater diesen gesagt, dass der BF „weg sei“ und dass die Grundstücke (bereits) dem BF gehören würden. Daraufhin hätten die Taliban erklärt, dass niemand auf dem Grundstück arbeiten oder leben dürfe. Als der BF bereits in Pakistan gewesen sein, habe ihm sein Vater am Telefon mitgeteilt, dass die Familie nicht mehr in Laghman, sondern in Jalalabad lebe. Die Grundstücke seien in der Folge von den Taliban übernommen worden. Bei einer Rückkehr würden sie den BF töten. Der BF habe sich nie bei der Volksarmee gemeldet, sondern habe nur den Dorfältesten von seinem Vorhaben berichtet.

Mit Bescheid vom 06.07.2018 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Weiters wurde in Spruchpunkt IV. ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass nicht glaubhaft sei, dass die Taliban einen Verkauf von Teilen des Grundstücks zugelassen hätte. Entgegen der Angaben vor dem BFA haben der BF vor dem Verein Menschenrechte angegeben, dass seine Eltern und seine Schwester noch in Laghman leben würden und der BF zu seiner Familie regelmäßig Kontakt über das Internet habe. Der BF habe sein Fluchtvorbringen nicht glaubhaft machen können.

Der BF erhob gegen diesen Bescheid vollumfänglich Beschwerde.

Mit Urteil eines Bezirksgerichtes vom 05.11.2019 wurde der BF rechtskräftig wegen des Vergehens der Sachbeschädigung gemäß § 125 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren (verlängert auf fünf Jahre) verurteilt.

Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 05.12.2019 wurde der BF wegen versuchten Einbruchsdiebstahls gemäß § 15 StGB §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1, 129 Abs. 2 Z 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monate, davon acht Monate bedingt und einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Der unbedingte Teil der Freiheitsstrafe wurde am 05.12.2019 vollzogen.

Schließlich wurde der BF mit Urteil eines Landesgerichtes vom 27.05.2020 rechtskräftig wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. Fall, 2. Fall und 8. Fall SMG und § 27 Abs. 2 SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Außerdem hat die Staatsanwaltschaft Anklage wegen § 15 StGB, §§ 83, 105, 106 StGB erhoben und wurde der BF von der LPD wegen Verdacht auf versuchten Widerstand gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung und wegen Verdacht auf Verstoß nach dem Waffengesetz angezeigt.

Das Bundesverwaltungsgericht führte in der gegenständlichen Rechtssache am 13.08.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein seiner bevollmächtigten Vertretung persönlich teilnahm und in der der BF zu seinen Fluchtgründen ausführlich befragt wurde.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.09.2020, W134 2203700-2/26E, wurde die Beschwerde des BF als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidung erwuchs am 29.09.2020 in Rechtskraft.

Begründend wurde ausgeführt, dass der BF nicht habe glaubhaft darlegen können, dass ihm eine weiträumige Verfolgung durch die Taliban oder seinen Onkel väterlicherseits drohen würde. Das Fluchtvorbringen habe sich aufgrund zahlreicher gravierender Widersprüche als unglaubhaft erwiesen; jedenfalls sei nicht mehr von einer aktuellen Verfolgung auszugehen. Der BF könne sich durch einen Umzug nach Kabul, Mazar-e-Sharif oder Herat dem Einflussbereich der Taliban und seines Onkels entziehen; dies sei ihm auch zumutbar. Eine Steigerung des Vorbringens sei darin zu erkennen, dass sein Vater nicht eines natürlichen Todes gestorben sei, sondern mit 3 Schüssen getötet worden sei. Der BF werde bei einer Rückkehr in eine dieser Städte nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage geraten. Er sei mit den kulturellen Gepflogenheiten und der Sprache seines Herkunftsstaates vertraut. Es sei dem BF auch möglich, im Zuge einer freiwilligen Rückkehr eine Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Beim BF handle es sich um einen jungen, arbeitsfähigen Mann; er sei, auch ohne die Unterstützung seiner Schwester bzw seines Schwagers, selbsterhaltungsfähig. Er habe im Herkunftsstaat auch schon in der Landwirtschaft und in einer Motorradwerkstatt gearbeitet. Auch die Corona-Situation stehe einer Rückkehr des BF nicht entgegen; er gehöre keiner Risikogruppe an.

Am 21.12.2020 wurde ein Festaufnahmeauftrag nach § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG angeordnet. Am 21.12.2020 wurde der BF einvernommen.

Mit Bescheid vom 19.01.2021 ordnete das BFA über den BF die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung an. Der BF wurde am selben Tag aufgrund Ankündigung einer Selbstverletzung aus der Schubhaft entlassen und in ein neurologisches Krankenhaus eingeliefert; am 21.01.2021 wurde der BF aus dem Krankenhaus entlassen. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus wurde der BF abermals festgenommen und in ein PAZ überstellt. Mit Mandatsbescheid ordnete das BFA über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung an. Gegen diesen Bescheid erhob der BF Beschwerde.

Am 22.01.2021 stellte der BF im Stande der Schubhaft den gegenständlichen 2. Asylantrag (Folgeantrag). Er führte hiezu aus, dass er seine bisher gemachten Angaben aufrechterhalte und sein Fluchtgrund immer noch derselbe sei. Zusätzlich komme hiezu, dass er seit dem Tod seines Vaters psychische Probleme habe und deswegen auch in Behandlung sei. Außerdem habe er Tattoos, was in Afghanistan verpönt sei.

Mit Schreiben vom 04.02.2021 wurde die Haftfähigkeit des BF amtsärztlich sowie fachärztlich (psychiatrisch) bestätigt.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.02.2021, GZ W155 2239162-1/14E, wurde die Beschwerde des BF gegen den Schubhaftbescheid als unbegründet abgewiesen und ausgesprochen, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorliegen würden.

Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 05.02.2021 wurde dem BF mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Am 22.02.2021 fand die Einvernahme des BF vor dem BFA statt. Hiebei gab der BF zusammengefasst an, sich aufgrund seiner psychischen Probleme in ärztlicher Behandlung zu befinden und Tabletten einnehmen zu müssen. Er leide unter Panikattacken und verletze sich selbst. Er habe Beweise, dass sein Vater vom Onkel väterlicherseits getötet worden sei. Bei einer Rückkehr würde der genannte Onkel auch den BF töten. Eine Schwester des BF halte sich in der Provinz Kandahar auf; mit der Genannten habe der BF Kontakt. In Österreich habe der BF immer Freundinnen gehabt. Derzeit befinde er sich in einer neuen Beziehung. Seine neue Freundin unterstütze ihn regelmäßig finanziell; er sei oft bei seiner Freundin aufhältig. Deren Familiennamen kenne er jedoch nicht. Über Befragen, was sich seit dem rechtskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens geändert habe, erklärte der BF, dass sich nichts geändert hätte. Seine Fluchtgründe würden nach wie vor bestehen. Der BF habe sich überall tätowieren lassen. Dies könne er nicht verstecken, was in Afghanistan ein Problem sei. Er habe angenommen, in Österreich bleiben zu können und wolle seine Freundin hier heiraten.

Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 19.03.2021 wurde der Antrag des BF vom 22.01.2021 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA- VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.), sowie, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für dessen freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde ein befristetes Einreiseverbot für die Dauer von zwei Jahren erlassen (Spruchpunkt VII).

Begründend führte das BFA aus, dass der BF im Folgeverfahren keine Fluchtgründe vorgebracht habe, die er nicht bereits im ersten Asylverfahren dargetan habe. Die vorgebrachten Gründe, weshalb es ihm nun nicht mehr möglich wäre, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren, seien nicht geeignet, eine neue, inhaltliche Entscheidung der Behörde zu bewirken und könne darin kein glaubhafter, neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden. Würden nur Nebenumstände modifiziert werden, die für die rechtliche Beurteilung in der Hauptsache unerheblich seien, so ändere dies nichts an der Identität der Sache. Der BF habe trotz mehrfacher Nachfrage weder in der Erstbefragung noch in der Einvernahme vor dem BFA neue Fluchtgründe vorgebracht, sondern angegeben, seine früheren Fluchtgründe aufrecht zu halten. Im nunmehrigen Verfahren habe der BF eine wiederholte Aufrollung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt. Es habe sich weder die persönliche Situation des BF noch die allgemeine Lage in seinem Heimatland geändert. Der BF leide an keiner schweren psychischen Erkrankung. Dies ergebe sich aus den Befunden und Gutachten der Amtsärzte vom 11.03.2021 und 04.02.2021. Der BF habe versucht, sich in der Schubhaft selbst zu verletzen. Er nehme regelmäßige Termine beim psychiatrischen Dienst wahr und nehme die Medikamente Trittico, Sertralin und Seroquel ein. Die psychischen Probleme des BF stünden eindeutig in Bezug zu der verhängten Schubhaft; die psychische Belastung sei auf ebendiese zurückzuführen.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde, verfasst vom rechtsfreundlichen Vertreter des BF, erhoben. Geltend gemacht wurden Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, Mangelhaftigkeit der Beweiswürdigung und inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie unrichtige rechtliche Beurteilung. Es wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass sich das BFA nicht mit der Situation von Personen mit Tätowierungen in Afghanistan auseinandergesetzt habe. Aus den Länderinformationen gehe hervor, dass Personen in Afghanistan sehr wohl Probleme aufgrund von Tätowierungen bekommen könnten. Auf die Anfragebeantwortung zu Afghanistan vom 08.02.2017: Lage von Personen mit Tätowierungen (insbesondere christlichen Symbolen); Lage von Personen, die einen westlichen Lebensstil führen bzw. westliche Lokale oder Geschäft betreiben, wurde verwiesen. Überdies sei der Grundsatz des Parteiengehörs verletzt worden. Der BF habe keine Gelegenheit gehabt, auf die Länderfeststellungen zu antworten bzw. zu reagieren. Auch habe sich das BFA nicht ausreichend mit dem Gesundheitszustand des BF auseinandergesetzt. Auch die Feststellungen des BFA zum Privat- und Familienleben des BF in Österreich seien mangelhaft. Das BFA habe es unterlassen, den BF zu seiner Beziehung zu einer österreichischen Staatsangehörigen zu befragen. Der BF habe eine Verfolgung aufgrund seiner Tätowierungen vorgebracht. Dies habe er bisher nicht vorgebracht, da er davon ausgegangen sei, in Österreich bleiben zu dürfen und seine Tätowierungen daher nicht relevant seien. Das BFA habe trotzdem angeführt, dass der BF keine neuen Fluchtgründe vorgebracht habe. Im gegenständlichen Fall könne nicht von einer Identität der Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG gesprochen werden, weswegen die Erlassung einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG unzulässig und rechtswidrig gewesen sei. Dem BF wäre sohin internationaler Schutz zu gewähren gewesen. Aufgrund der Länderinformationen könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass dem BF im Falle der Abschiebung nach Afghanistan eine reale Verletzung von Art. 3 EMRK drohe. Der BF habe sich seit rund vier Jahren nicht mehr in seiner Heimat aufgehalten und habe dort weder Besitz noch soziale oder familiäre Anknüpfungspunkte. Überdies sei er in Österreich integriert, spreche gut Deutsch, habe viele Freunde und eine österreichische Lebensgefährtin. Eine Abschiebung nach Afghanistan würde daher eine Verletzung seiner Rechte nach Art. 8 EMRK darstellen. Betreffend das Einreiseverbot wurde ausgeführt, dass das BFA keine Beurteilung des Persönlichkeitsbildes des BF vorgenommen habe. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde wurde angeregt.

Mit Schreiben des BFA vom 06.04.2021, beim Bundesverwaltungsgericht am 08.04.2021 eingelangt, wurde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

Mit Mail vom 08.04.2021 teilte das BFA mit, dass bei Vorlage der Beschwerde übersehen worden sei, mitzuteilen, dass sich der BF in Schubhaft befinde.

Am 16.04.2021 erhob das BFA einen Fristsetzungsantrag gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 2 iVm Abs. 7 B-VG an den VwGH. Es wurde ausgeführt, dass bei Beschwerden gegen zurückweisende Asylbescheide des BFA eine Entscheidungspflicht des Bundesverwaltungsgerichtes für die Erlassung eines Beschlusses über die aufschiebende Wirkung der Beschwerde bestehe. Dies gelte unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung vorlägen oder nicht vorliegen würden. Die Entscheidungs- bzw. Wartefrist betrage eine Woche ab Einlangen der Beschwerdevorlage. Die Entscheidungsfrist des Bundesverwaltungsgerichtes sei bereits abgelaufen.

Mit hg. Beschluss vom 21.04.2021, GZ W185 2203700-2/8Z, wurde der Beschwerde gem. § 17 Abs. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird der Verfahrensgang wie oben wiedergegeben.

Der BF stellte am 23.10.2017 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen zusammengefasst damit, von seinem Onkel väterlicherseits und von den Taliban aufgrund von familiären Grundstücksstreitigkeiten verfolgt bzw bedroht zu werden. Mit in Rechtskraft erwachsener Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.09.2020 wurde der Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen.

Am 22.01.2021 stellte der BF im Stand der Schubhaft den gegenständlichen Folgeantrag. Ergänzend zum bisherigen Vorbringen führte der BF zum Folgeantrag aus, seit dem Tod seines Vaters an psychischen Problemen zu leiden und deswegen auch in Behandlung zu sein. Er habe sich überall tätowieren lassen, was in Afghanistan verpönt sei.

Einer behaupteten Verfolgung des BF in Afghanistan aufgrund von Tätowierungen ist ein „glaubhafter Kern“ nicht grundsätzlich abzusprechen.

Das Vorbringen des BF zu seinen Fluchtgründen im Folgeantrag enthält im Vergleich zu den im rechtskräftig abgeschlossenen Erstverfahren vorgebrachten Fluchtgründen ein weiteres Vorbringen. Die Behörde hat sich mit der nunmehr behaupteten Sachverhaltsänderung (drohende Verfolgung nach einer Rückkehr aufgrund Tätowierung) in keiner Weise auseinandergesetzt.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt.

Die Feststellungen zum Verfahrensgang sowie zum Fluchtvorbringen des BF im ersten Verfahren auf internationalen Schutz stützen sich auf den unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des Verwaltungsaktes des BFA und des Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

Im Hinblick auf die Angaben des BF zu den Gründen für den Folgeantrag, nämlich sich überall tätowieren haben zu lassen und, dass diese Tatoos nicht verdeckbar seien, sowie den Berichten zu möglichen Folgen von Tätowierungen in Afghanistan (siehe etwa ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage von Personen mit Tätowierungen (insbesondere christlichen Symbolen), vom 08.02.2017; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: AFGHANISTAN „Tätowierungen“ vom 22.05.2018 sowie Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 16.03.1018: Tatoo-Studios in Kabul), kann nicht gesagt werden, dass der neue Sachverhalt prima vista unglaubwürdig wäre bzw grundsätzlich keinen „glaubhaften Kern“ aufweisen würde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).

Die Rechtskraft einer früher in der gleichen Angelegenheit ergangenen Erledigung steht einer neuen Sachentscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG nur dann nicht entgegen, wenn in den für die Entscheidung maßgebenden Umständen eine Änderung eingetreten ist. Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die "entschiedene Sache", das heißt durch die Identität der Sache, über die formell rechtskräftig abgesprochen wurde, mit der im neuerlichen Abspruch erfassten Sache bestimmt. Identität der Sache liegt dann vor, wenn einerseits weder in der für die Vorentscheidung maßgeblichen Rechtslage noch in den für die Beurteilung der in der Vorentscheidung als maßgebend erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten sind (VwGH 26.04.2019, Ra 2019/20/0174, mwN).

Im Folgeantragsverfahren können - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur neu entstandene Tatsachen, die einen im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren geänderten Sachverhalt begründen, zu einer neuen Sachentscheidung führen, nicht aber solche, die bereits vor Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens bestanden haben (vgl. VwGH 03.04.2019, Ra 2019/20/0104). Demnach sind behauptete Tatsachen, die bereits zur Zeit des ersten Asylverfahrens bestanden haben, die der Asylwerber jedoch nicht bereits im ersten Asylverfahren vorgebracht hat, von der Rechtskraft der über den Erstantrag absprechenden Entscheidung erfasst (vgl. VwGH 28.08.2019, Ra 2019/14/0091, mwN).

Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen - im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen. Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG somit nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH 18.09.2019, Ra 2019/18/0263, mwN).

Bei wiederholten Anträgen auf internationalen Schutz kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme. Eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Relevanz zukommt (vgl. VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0333, mwN).

Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrags mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden), auseinander zu setzen. Könnten die behaupteten neuen Tatsachen zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, bedarf es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubhaftigkeit (vgl. VwGH 31.08.2020, Ra 2020/18/0102, mwN).

Gegenständlich begründete der BF den vorliegenden, zweiten Antrag auf internationalen Schutz in der Erstbefragung hiezu sowohl mit den bereits im ersten Verfahren vorgebrachten Fluchtgründen als auch (neu) mit psychischen Problemen aufgrund des Todes seines Vaters sowie seiner zahlreichen Tatoos, welche nicht verdeckt werden könnten und aufgrund deren er in Afghanistan Verfolgung befürchte.

"Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG ist lediglich die Frage, ob die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrages durch das BFA gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgt ist. Das BVwG hat dementsprechend zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist (vgl. VwGH 18.09.2019, Ra 2019/18/0263, mwN).

Über den Rahmen der bloßen Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisungsentscheidung der Vorinstanz hinaus mit einer Entscheidung über den Gegenstand des Verfahrens (inhaltlicher Abspruch über den zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz) vorzugehen, ist dem Verwaltungsgericht deshalb verwehrt, da dadurch der sachlichen Prüfung des gestellten Antrages und damit den Parteien eine Instanz genommen würde (vgl. VwGH 05.08.2020, Ra 2020/20/0192, mwN). Diesfalls würde die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten werden.

Gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG ist das Verfahren zugelassen, wenn der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben ist. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Diese Sonderbestimmung gelangt für sämtliche Beschwerden im Zulassungsverfahren, wozu auch - wie im vorliegenden Fall - Beschwerden gegen eine vor Zulassung des Verfahrens ausgesprochene Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach § 68 AVG zählt, zur Anwendung (vgl. VwGH 14.01.2020, Ra 2019/18/0311, mwN).

Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise – für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status – auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl VfGH 29.06.2011, U 1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344mwN).

Für das Bundesverwaltungsgericht ist „Sache“ des gegenständlichen Verfahrens die Frage, ob das BFA den neuerlichen Antrag des BF auf internationalen Schutz zu Recht gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.

Für die vorliegende Beschwerde ergibt sich daraus Folgendes:

Der BF stützte seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz vom Oktober 2017 im Wesentlichen darauf, nach familiären Grundstückstreitigkeiten mit seinem Onkel väterlicherseits von diesem und auch von den Taliban, mit denen der Onkel in Verbindung gestanden sei, bedroht worden zu sein. Die Taliban hätten den BF „mitnehmen“, in den Jihad schicken oder töten wollen. Der besagte Onkel habe die Taliban darüber informiert, dass der BF angeblich habe zur Volksarmee gehen wollen. In der Folge sei auch sein Vater ermordet worden. Das Bundesverwaltungsgericht stellte mit Erkenntnis vom 21.09.2020, W134 2203700-2/26E, rechtskräftig fest, dass das Vorbringen der drohenden Verfolgung seitens seines Onkels und der Taliban nicht glaubhaft ist.

Im Rahmen der Befragung zum vorliegenden 2. Antrag auf internationalen Schutz und auch in der Einvernahme vor dem BFA bezog sich der BF abermals auf die familiären Grundstücksstreitigkeiten mit seinem Onkel und den Taliban und behauptete zusätzlich, seit der Ermordung seines Vaters an psychischen Problemen (Panikattacken; Selbstverletzung) zu leiden, in ärztlicher Behandlung zu stehen und Medikamente einnehmen zu müssen. Diesbezüglich ging die Behörde unter Bezugnahme auf die rechtskräftige Entscheidung im Vorverfahren, mit der das Vorbringen als solches für nicht glaubhaft befunden wurde, zu Recht davon aus, dass damit nur Nebenumstände modifiziert würden; ein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt habe nicht festgestellt werden können. Die psychischen Probleme des BF, welche nicht als schwere Erkrankung zu qualifizieren sei, stehe in Zusammenhang mit der verhängten Schubhaft.

Der BF brachte jedoch sowohl in der Erstbefragung als auch in der Einvernahme vor dem BFA am 22.02.2021 darüber hinaus weiter vor, sich „überall tätowieren“ haben zu lassen. Die Tatoos könne er nicht verdecken, was in Afghanistan „ein Problem“ sei. Tatoos seien in Afghanistan „verpönt“.

Damit wurde nach der vorab zitierten Judikatur grundsätzlich ein neuer Sachverhalt behauptet. Die Behörde muss Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch subsidiären Schutzstatus prüfen.

Mit diesem neuen Sachverhaltsvorbringen setzte sich die Behörde im angefochtenen Bescheid aber in keiner Weise auseinander. Vielmehr hat die Behörde, die sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des neuen Asylantrages mit der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des BF auseinander zu setzen hat, dieses Vorbringen völlig ignoriert. Das angeführte Vorbringen des BF hat keine Würdigung erfahren und wurde in die Beurteilung des BFA überhaupt nicht einbezogen.

Dem neuen Sachverhaltsvorbringen des BF, nämlich der Behauptung, aufgrund der nicht verdeckbaren Tätowierungen in Afghanistan Verfolgung zu befürchten bzw „Probleme“ zu bekommen, kann aber nicht von vorherein ein „glaubwürdiger Kern“ abgesprochen werden (siehe auch die oa einschlägigen Berichte/Anfragebeantwortungen zu Tätowierung in Afghanistan).

Das BFA hätte den Antrag des BF daher nicht wegen entschiedener Sache zurückweisen dürfen, sondern sich mit dem neuen Sachverhaltsvorbringen, in Wahrnehmung des Amtswegigkeitsgrundsatzes, auch inhaltlich auseinandersetzen und entsprechende Ermittlungen anstellen müssen. Bei näherer Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Angaben des BF ist nicht auszuschließen, dass das BFA auch insofern zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.

Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH vom 10.04.2013, Zl. 2011/08/0169 sowie dazu Walter/Thienel, „Verwaltungsverfahren Band I2“, E 84 zu § 39 AVG). Dieser Verpflichtung ist die Behörde im konkreten Fall nicht nachgekommen.

Angebotene Beweise dürfen nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen (vgl. etwa VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0069).

Im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren von Parteivorbringen, ist nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH willkürliches Verhalten einer Behörde gelegen (vgl. etwa VfSlg 10338/1985).

Es wäre erforderlich gewesen, zu folgenden Themenbereichen im Zusammenhang mit dem nunmehrigen Vorbringen des BF Ermittlungen zu führen und hiezu Feststellungen zu treffen:

In welchem Zeitraum und aus welchen Gründen konkret hat sich der BF tätowieren lassen? Welche Symbole (christliche?) hat sich der BF an welche Stellen des Körpers tätowieren lassen? Zu klären wäre weiters, ob es sich um permanente Tatoos handelt oder ob sich diese wieder entfernen lassen. Essentiell ist auch die Beantwortung der Frage, ob die Tätowierungen durch Kleidung ab- bzw verdeckbar sind bzw ob der BF bereit ist, die Tatoos wieder entfernen zu lassen.

Dem neuen Sachverhaltsvorbringen des BF kommt auch Entscheidungsrelevanz zu, da für die Asylgewährung die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich ist. Es ist demnach für die Zuerkennung des Asylstatus zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche „Vorverfolgung“ für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person vor dem Hintergrund der zu treffenden aktuellen Länderfeststellungen im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 12.06.2020, Ra 2019/18/0440, mwN).

Zusammengefasst ist seitens des erkennenden Gerichtes davon auszugehen, dass der BF mit seiner Behauptung, aufgrund seiner zahlreichen Tätowierungen im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer relevanten Verfolgung ausgesetzt zu sein, ein neues Sachverhaltsvorbringen erstattet hat, dem nicht schon im „Kern“ die Glaubwürdigkeit abgesprochen werden kann und über das – nach Vornahme entsprechender Ermittlungen –eine Entscheidung über den Gegenstand des Verfahrens zu erfolgen hat. Das BFA hätte nach dem Gesagten eine inhaltliche Prüfung des Antrages des BF auf internationalen Schutz durchführen müssen. Der (zweite) Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde somit zu Unrecht wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, weshalb der Beschwerde gemäß § 68 Abs. 1 AVG stattzugeben und der angefochtene Bescheid in allen Spruchpunkten zu beheben war.

Das Verfahren des BF ist damit gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG zugelassen.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, da die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war.

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht. Das erkennende Gericht zählt die einschlägige höchstgerichtliche Judikatur zur Zurückweisung von Folgeanträgen in Asylverfahren auf und weicht auch nicht davon ab.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung entschiedene Sache Folgeantrag glaubhafter Kern Rückkehrentscheidung behoben wesentliche Sachverhaltsänderung Zulassungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W185.2203700.2.01

Im RIS seit

21.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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