Entscheidungsdatum
19.05.2021Norm
AsylG 2005 §12a Abs3Spruch
L512 2231321-3/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marlene JUNGWIRT über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Republik Türkei, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Max KAPFERER, Dr. Thomas LECHNER, Dr. Martin DELLASEGA, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West, vom XXXX , Zl. XXXX ,
1. beschlossen:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 12a Abs. 4 iVm Abs. 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
2. zu Recht erkannt:
A) Der Antrag auf aufschiebende Wirkung wird als unzulässig zurückgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als „BF“ bezeichnet), ein Staatsangehöriger der Republik Türkei (in weiterer Folge „Türkei“ genannt), stellte nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet am XXXX seinen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz.
Am 13.07.2016 erfolgte seine Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. In der Folge wurde das Verfahren zugelassen.
Der BF brachte mehrere Beweismittel in Vorlage, darunter amtliche Schriftstücke aus der Türkei in türkischer Sprache, deren vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (kurz: BFA) angeforderte Übersetzung am 06.08.2019 dort einlangte.
Am 20.03.2019 wurde der BF vor dem BFA zu seinem Antrag auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen. Dabei wurden ihm auch die Länderinformationen der Behörde zur Lage in der Türkei zur Kenntnis gebracht und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme dazu eingeräumt, worauf er verzichtete.
Am 23.01.2020 erfolgte seine weitere niederschriftliche Einvernahme vor dem BFA, an deren Ende ihm abermals Länderinformationen zum Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht wurden und ihm neuerlich Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme hierzu eingeräumt wurde, worauf er abermals verzichtete.
Im Zuge der Einvernahme legte er weitere Beweismittel vor, die in Kopie zum Akt genommen wurden.
I.2. Mit dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX der Antrag auf internationalen Schutz des BF vom XXXX hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z. 2 iVm § 6 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig ist (Spruchpunkt V). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 9 FPG wurde gegen den BF ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde ihm keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VII). Gemäß § 18 Abs. 1 Z. 2 und 5 BFA-VG wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VIII).
I.3. Gegen den am XXXX zugestellten Bescheid vom XXXX wurde mit E-Mail des zugleich bevollmächtigten rechtsanwaltlichen Vertreters des BF fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang erhoben.
I.4. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , GZ: XXXX , wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
I.5. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , GZ: XXXX , wurde die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I, II, III, IV, V und VII mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt I zu lauten hat: „Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom XXXX wird bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG idgF abgewiesen.“ sowie, dass Spruchpunkt VII zu lauten hat: „Gemäß § 55 Abs. 1 iVm Abs. 2 erster Satz FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung“. In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt VI des angefochtenen Bescheides aufgehoben. Die Revision wurde gemäß Art 133 Abs 4 B-VG für nicht zulässig erachtet.
Begründend wurde zusammengefasst dargelegt, dass der BF zwar unter anderem erstinstanzlich wegen XXXX strafgerichtlich verurteilt wurde, allerdings erwuchs diese Verurteilung bislang nicht in Rechtskraft. Darüber hinaus knüpft das inkriminierte Verhalten des BF nicht lediglich an dessen oppositionelle politische Überzeugung an, sondern handelt es sich bei der in Rede stehenden Organisation sowohl in der Türkei als auch nach europäischem Verständnis um eine bewaffnete terroristische Vereinigung. Sowohl die Mitgliedschaft (vgl. § 278b Abs. 2 StGB) in einer solchen als auch die Gutheißung terroristischer Straftaten (vgl. § 282a Abs. 2 StGB) als jeweils vergleichbare Delikte stellen auch hierorts gerichtlich strafbare Handlungen mit erheblicher Strafdrohung (bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe) dar.
Aus seinem Vorbringen, dass er aufgrund der Teilnahme an Demonstrationen von der türkischen Polizei verfolgt worden sei, sowie dass sein Studentenheim von einer faschistischen Gruppe überfallen worden sei, war keine asylrelevante Verfolgung abzuleiten. Im Übrigen stellen Maßnahmen des Staates, die nur der Ausforschung von gesuchten Personen dienen (Befragungen, Hausdurchsuchungen, kurzfristige Haft) – wie die von ihm behaupteten Ermittlungsschritte der türkischen Polizei infolge seiner Teilnahme an Demonstrationen – ohne dass die Maßnahmen in Wahrheit auf die Verfolgung des Betroffenen aus asylrechtlich relevanten Gründen abzielen, keinen Asylgrund dar. Die behaupteten Übergriffe seitens der türkischen Sicherheitskräfte im Gefolge dieser Anhaltungen stellten sich als nicht glaubhaft dar. Im Übrigen fehlt auch diesen Ereignissen am erforderlichen zeitlichen Zusammenhang zur Ausreise im Jahr XXXX . Auch aus den behaupteten Diskriminierungen aufgrund der kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit und der alevitischen Religionszugehörigkeit war keine asylrelevante Verfolgung abzuleiten.
Am 13.10.2020 erwuchs dieses Erkenntnis in Rechtskraft.
I.6. Gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , GZ: XXXX , wurde Revision beim Verfassungsgerichtshof sowie ein Antrag auf aufschiebende Wirkung erhoben.
Am 27.10.2020 stellte der BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Dieses Verfahren ist gegenwärtig anhängig.
Am 19.11.2020 wurde gegen den BF gemäß § 77 Abs. 1 und 3 iVm § 76 Abs. 2 Ziffer 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG das gelindere Mittel zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet.
Mit Schriftsatz vom 20.11.2020 erhob der BF außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof und beantragte zugleich, der außerordentlichen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Am XXXX wurden der BF gemäß § 34 Abs. 3 Ziffer 3 BFA-VG iVm § 40 Abs. 1 Ziffer 1 BFA-VG – zum Zwecke der Abschiebung festgenommen und in das XXXX verbracht. Anhand des BFA-Auftrages wurde der BF am selben Tag in das XXXX überstellt. Eine Information hinsichtlich der bereits terminisierten Abschiebung am XXXX in den Herkunftsstaat Türkei wurde dem BF am XXXX nachweislich ausgehändigt.
Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom XXXX , GZ: XXXX , wurde dem in der Beschwerdesache gestellten Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gemäß § 85 Abs. 2 und 4 VfGG keine Folge gegeben, weil nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses für den Beschwerdeführer kein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.
Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom XXXX , GZ: XXXX , wurde der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen. Die Behandlung der Beschwerde wurde abgelehnt. Die Beschwerde wurde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
I.7. Am 24.11.2020 stellte der BF erneut einen (zweiten) gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der niederschriftlichen Befragung vor der Polizei gab der BF dabei an, dass seine alten Gründe aufrecht bleiben. Er würden in der Türkei gesucht werden, er hätte eine Strafe abzubüßen. Nach Rückkehr in die Türkei hätte der BF sofort eine Gefängnisstrafe anzutreten.
Am 24.11.2020 wurde der BF niederschriftlich erstbefragt. Der BF gab unter anderem an: Seine alten Gründe würden aufrecht bleiben. Er werde vom Gericht in der Türkei gesucht. Er habe eine Strafe abzusitzen. Sein Vater habe ihm berichtet, dass man noch immer in der Türkei nach dem BF suche. Wenn er zurückkehre, werde er sofort vom Flughafen abgeführt und ins Gefängnis gebracht. Weil er ins Ausland geflohen sei, habe er nun auch extra eine Strafe abzusitzen.
Im Falle einer Rückkehr werde er sofort verhaftet. Dem BF würde eine Vernehmung und Folter, sowie eine Gefängnisstrafe erwarten. Die Folter im Gefängnis werde er nicht überleben.
Dem BF wurde am 24.11.2020 ein Aktenvermerk gem. § 40 Abs. 5 BFA-VG zugestellt. Darin wurde festgehalten, dass der gestellte Antrag auf internationalen Schutz zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde.
I.7. Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) – EAST-West, IFA-Zl.: XXXX vom XXXX , wurde gemäß § 12a Absatz 4 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, iVm § 57 Absatz 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 (AVG) idgF, festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 12a Absatz 4 Ziffer 2 AsylG nicht vorliegen. Der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG wurde Ihnen gemäß § 12a Absatz 4 AsylG nicht zuerkannt.
Der BF hat am 24.11.2020 Vorstellung gegen den Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) – EAST-West, Zl.: XXXX vom XXXX , erhoben.
Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , GZ: XXXX , wurde dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 30 Abs 2 VwGG nicht stattgegeben.
Am 25.11.2020 erging die Information, dass der BF als COVID-19 Kontaktperson der Kategorie 1 klassifiziert wurde. Deswegen wurde von den Gesundheitsbehörden ein Absonderungsauftrag für die Dauer von 10 Tagen erlassen. Aufgrund dieser Absonderung kam die Außerlandesbringung/Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat am XXXX nicht zu Stande.
In Hinblick auf die Absonderung und des voraussichtlichen Endes der Quarantäne wurde der XXXX als Abschiebetermin fixiert.
Am 04.12.2020 wurde ein Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 3 Ziffer 3 BFA-VG iVm. § 40 Abs. 1 Ziffer 1 BFA-VG – zum Zwecke der Abschiebung erlassen und bundesweit ausgeschrieben. Zur Erhebungen betreffend Vollziehung des Festnahmeauftrages wurde von Seiten der Polizei versucht, den BF an der Absonderungsadresse aufzufinden. Laut Informationen der dort tätigen Mitarbeitern war der BF zu diesem Zeitpunkt dort nicht mehr aufhältig, sondern in einem Krankenhaus. Gleichgehend wurde die Information erhalten, dass der BF von dort mehrmals Fluchtversuche unternommen habe, jedoch immer von der dort beauftragten Sicherheitsfirma an der Flucht gehindert werden konnten. Ebenfalls kam im Zuge dieser Erhebung zu Tage, dass der BF gegenüber Mitarbeitern der XXXX am XXXX angab, sich selbstständig in Quarantäne zu begeben. Dies wurde seitens des XXXX bewilligt. Eine ebenso erfolgte Nachschau an dieser Adresse war ergebnislos. Der BF ist seither untergetaucht.
Der Verwaltungsgerichtshof wies mit Beschluss vom XXXX , GZ: XXXX die eingebrachte Revision gegen das Erkenntnis des BVwG vom XXXX , GZ: XXXX , zurück.
Mit Schriftsatz vom 07.01.2021 wurde die rechtsfreundlichen Vertretung des BF nachweislich eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme im gegenständlichen Verfahren, zur Wahrung des Rechts auf Parteigehörs am 12.01.2021 zugestellt. Der BF wurden dabei ersucht, binnen einer Frist von 14 Tagen nach Zustellung dieses Schreibens im gegenständlichen Verfahren, im Rahmen eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen und so die Rechte und rechtlichen Interessen zu wahren.
Am 25.01.2021 langte eine Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme ein.
I.8. Mit Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX , wurde gemäß § 12 Absatz 4 AsylG festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 12 A Absatz 4 Ziffer 2 AsylG nicht vorliegen. Der faktische Abschiebeschutz wurde dem BF gemäß § 12a Absatz AsylG nicht zuerkannt.
Im Bescheid wurde der bisherige Verfahrensgang in Bezug auf den ersten bzw. nunmehr zweiten Antrag auf internationalen Schutz des BF dargelegt. Es wurden Feststellungen zur Person des BF, seinen Angaben im Rahmen des Asylverfahrens, der aktuellen COVID-19-Pandemie und zum Gesundheitszustand des BF, zur geplanten Abschiebung sowie zur Lage in der Türkei getätigt.
I.9. Die Verwaltungsakte des BFA langten am 17.05.2021 vollständig bei der zuständigen Gerichtsabteilung ein.
I.10. Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
Die Identität des BF steht fest. Der BF ist türkischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Kurden und der Religionsgemeinschaft der Aleviten an. Der BF ist ledig und hat keine Kinder.
Der BF leidet an keiner schweren oder lebensgefährlichen Krankheit oder ist immungeschwächt.
Der BF spricht Türkisch, ein wenig Kurdisch-Kurmanji, Englisch sowie Deutsch.
Der BF stellte nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet am XXXX seinen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz.
Mit dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX der Antrag auf internationalen Schutz des BF vom XXXX hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z. 2 iVm § 6 Abs. 1 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig ist. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 9 FPG wurde gegen ihn ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen. Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde ihm keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt. Gemäß § 18 Abs. 1 Z. 2 und 5 BFA-VG wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , GZ: XXXX , wurde die Beschwerde gegen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX gegen die Spruchpunkte I, II, III, IV, V und VII mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt I zu lauten hat: „Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom XXXX wird bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG idgF abgewiesen.“ sowie, dass Spruchpunkt VII zu lauten hat: „Gemäß § 55 Abs. 1 iVm Abs. 2 erster Satz FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung“. In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt VI des angefochtenen Bescheides aufgehoben. Die Revision wurde gemäß Art 133 Abs 4 B-VG für nicht zulässig erachtet.
Begründend wurde zusammengefasst festgehalten, dass keine asylrelevante Verfolgung bzw. keine Rückehrhindernisse vorliege.
Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom XXXX , GZ: XXXX , wurde dem in der Beschwerdesache gestellten Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gemäß § 85 Abs. 2 und 4 VfGG keine Folge gegeben, weil nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses für den Beschwerdeführer kein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.
Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom XXXX , GZ: XXXX , wurde der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen. Die Behandlung der Beschwerde wurde abgelehnt. Die Beschwerde wurde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , GZ: XXXX , wurde dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 30 Abs 2 VwGG nicht stattgegeben.
Der Verwaltungsgerichtshof wies mit Beschluss vom XXXX , GZ: XXXX , die eingebrachte Revision gegen das Erkenntnis des BVwG vom XXXX , GZ: XXXX zurück.
Am 27.10.2020 stellte der BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Dieses Verfahren ist gegenwärtig anhängig.
Am XXXX wurden der BF gemäß § 34 Abs. 3 Ziffer 3 BFA-VG iVm § 40 Abs. 1 Ziffer 1 BFA-VG – zum Zwecke der Abschiebung festgenommen und in das XXXX verbracht. Anhand des BFA-Auftrages wurde der BF am selben Tag in das XXXX überstellt. Eine Information hinsichtlich der bereits terminisierten Abschiebung am XXXX in den Herkunftsstaat Türkei wurde dem BF am XXXX nachweislich ausgehändigt.
Am 24.11.2020 stellte der BF erneut einen (zweiten) gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Dem BF wurde am 24.11.2020 ein Aktenvermerk gem. § 40 Abs. 5 BFA-VG zugestellt. Darin wurde festgehalten, dass der gestellte Antrag auf internationalen Schutz zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde.
Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) – EAST-West, IFA-Zl.: XXXX vom XXXX , wurde gemäß § 12a Absatz 4 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, iVm § 57 Absatz 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 (AVG) idgF, festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 12a Absatz 4 Ziffer 2 AsylG nicht vorliegen. Der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG wurde Ihnen gemäß § 12a Absatz 4 AsylG nicht zuerkannt.
Der BF hat am XXXX Vorstellung gegen den Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) – EAST-West, Zl.: XXXX vom XXXX , erhoben.
Die Lage in der Türkei hat sich seit der Entscheidung über den ersten Antrag auf internationalen Schutz des BF nicht geändert.
Zur Lage in Ihrem Herkunftsland:
COVID-19
Letzte Änderung: 26.01.2021
Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der Johns Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.
Am 11.3.2020 verkündete der türkische Gesundheitsminister, Fahrettin Koca, die Nachricht vom tags zuvor ersten bestätigten Corona-Fall (FNS 16.3.2020; vgl. DS 11.3.2020). Mit Jahresende 2020 wurden 2,18 Mio. Corona-Fälle und rund 21.000 Tote in der Türkei verzeichnet (JHU 30.12.2020).
Am 25.11.2020 erklärte Gesundheitsminister Fahrettin Koca, dass nunmehr alle positiv auf COVID-19 getesteten Personen in die Statistik aufgenommen werden. Ende Juli 2020 hatte das Gesundheitsministerium nämlich damit begonnen, die Corona-Infektionszahlen anzupassen, indem nur noch diejenigen, die tatsächlich Symptome entwickelten und einer Behandlung bedurften, statistisch gemeldet wurden. Dadurch blieben die offiziellen Zahlen in der Türkei im internationalen Vergleich niedrig. Auf diese Weise seien nach Medienberichten bis Ende Oktober 2020 bis zu 350.000 Corona-Infektionen verschwiegen worden (BAMF 30.11.2020). Das kam für den türkischen Ärzteverband nicht überraschend, der seit Monaten davor warnt, dass die bisherigen Zahlen der Regierung das Ausmaß der Ausbreitung verschleiern und dass der Mangel an Transparenz zu dem Anstieg beiträgt. Der Ärzteverband behauptet, dass die Zahlen des Ministeriums immer noch zu niedrig seien, verglichen mit ihrer eigenen Schätzung von mindestens 50.000 neuen Infektionen pro Tag. Die Krankenhäuser des Landes sind laut der Vorsitzenden des Ärzteverbandes, Sebnem Korur Fincanci, überlastet, das medizinische Personal ist ausgebrannt und die Contract-Tracer, die einst dafür bekannt waren, den Ausbruch unter Kontrolle zu halten, haben Schwierigkeiten, die Übertragungen zu verfolgen (AP 29.11.2020).
Beginnend mit 1.12.2020 ist ein Lockdown in Kraft getreten, welcher Ausgangssperren unter der Woche von 21.00 Uhr bis 5.00 Uhr umfasst. An den Wochenenden herrschte eine totale Ausgangssperre von Freitag 21.00 Uhr bis Montag 5.00 Uhr. An allen Orten, wo sich mehrere Menschen befinden, insbesondere auf Märkten und in Geschäften, gilt Maskenpflicht. Auf öffentlichen Plätzen wurde ein Rauchverbot auch im Freien eingeführt. Das Verbot zur Durchführung von öffentlichen Veranstaltungen durch staatliche und staatsnahe Organisationen sowie von Verbänden bleibt aufrecht. Sportveranstaltungen werden ohne Zuschauer durchgeführt. An Beerdigungen und Hochzeiten dürfen maximal 30 Personen teilnehmen. Feiern und Zusammenkünfte in häuslicher Umgebung sind untersagt. Gastronomische Einrichtungen bleiben tagsüber nur für Lieferservice geöffnet. Einkaufszentren und Lebensmittelgeschäfte dürfen nur zwischen 10.00 Uhr und 20.00 Uhr geöffnet haben. Beim Betreten von Einkaufszentren wird der sogenannten HES (Hayat Eve Sigar) - Code verlangt, ein behördlich verliehener elektronischer Schlüssel, mittels welchem der momentane Status der jeweiligen Person in Hinblick auf Corona verfolgt und überprüft werden kann. Er dient z.B. als Zutrittsvoraussetzung zu Ämtern oder eben Einkaufszentren. Beginnend mit 5.11.2020 müssen kulturelle Einrichtungen, wie Theater, ab 22.00 Uhr geschlossen sein. Kinos bleiben bis auf weiteres geschlossen. Alle Schulen inklusive Vorschulen sind geschlossen und werden bis auf weiteres nur mehr im Fernunterricht fortgeführt. Jugendliche unter 20 Jahren dürfen nur zwischen 13.00 Uhr und 16.00 Uhr die Wohnung verlassen. Die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln ist Ihnen untersagt. Ältere Menschen über 65 Jahre dürfen tagsüber nur während bestimmter Uhrzeiten (10.00 Uhr – 13.00 Uhr) die Wohnungen verlassen. Auch für diese Personengruppe ist die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln verboten (WKO 21.1.2021).
Ab 28.12.2020 müssen alle Personen, die mit dem Flugzeug in die Türkei reisen, einen Nachweis erbringen, dass sie innerhalb von 72 Stunden vor der Einreise mit einem PCR-Test negativ auf COVID-19 getestet wurden. Einreisende ohne einen negativen Test müssen entweder an ihrer gemeldeten Adresse in der Türkei oder in einer von der Regierung bezeichneten Einrichtung in Quarantäne gehen. Alle Personen, die über die Land- oder Seegrenzen in die Türkei einreisen, unterliegen ab dem 30.12.2020 den gleichen Anforderungen. Die Richtlinie wird mindestens bis zum 1.3.2021 in Kraft bleiben (Garda World 25.12.2020).
Am 30.12.2020 wurde das bis 17.1.2021 gültige Entlassungsverbot per Präsidialdekret um weitere zwei Monate verlängert (Hürriyet 30.12.2020).
In der zweiten Jänner-Woche 2021 ist mit den Impfungen begonnen worden. Zum Einsatz kommt das chinesische Vakzin der Firma Sinovac, dem am 13.1.2021 nach einem Eilverfahren eine Notzulassung erteilt wurde. Die Prüfung sei noch nicht abgeschlossen, sie werde parallel zur Impfkampagne fortgesetzt, teilten die Behörden mit. Prioritär werden die 1,1 Mio. Mitarbeiter des Gesundheitswesens sowie Menschen über 65 Jahren geimpft. Laut dem Generalsekretär der Ärztevereinigung werde die landesweite Impfkampagne voraussichtlich im Juli 2021 angeschlossen werden. Bei Lieferverzögerungen könne sie auch bis Dezember dauern. Türkische Mediziner haben infolge der Ergebnisse in Brasilien und Indonesien ihre Zweifel an der Wirksamkeit des Impfstoffs geäußert. Die türkische Rechtsmedizinerin und Vorsitzende der Ärztevereinigung Sebnem Korur Fincanci sagte, die Sicherheit des Impfstoffs stehe jedoch außer Frage und appellierte, sich impfen zu lassen. Als Folge der intransparenten Politik will sich allerdings nur jeder zweite impfen lassen (FAZ 14.1.2021).
Quellen:
? AP - Associated Press (29.11.2020): Turkey’s new virus figures confirm experts' worst fears, https://apnews.com/article/turkey-europe-coronavirus-pandemic-recep-tayyip-erdogan-07b8e18fa2268b847e84cd9702e9a895, Zugriff 11.1.2021
? BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (30.11.2020): Briefing Notes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041720/briefingnotes-kw49-2020.pdf, Zugriff 11.1.2021
? DS - Daily Sabah (11.3.2020): Turkey remains firm, calm as first coronavirus case confirmed, https://www.dailysabah.com/turkey/turkey-remains-firm-calm-as-first-coronavirus-case-confirmed/news, Zugriff 30.12.2020
? Hürriyet (30.12.2020): Entlassungsverbot der Türkei erneut verlängert, https://www.hurriyet.de/news_entlassungsverbot-der-tuerkei-erneut-verlaengert_143543902.html, Zugriff 30.12.2020
? FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (14.1.2021): Türkei beginnt mit Impfkampagne, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/tuerkei-impfung-gegen-corona-beginnt-mit-china-impfstoff-sinovac-17146041.html, Zugriff 15.1.2021
? FNS - Friedrich-Naumann-Stiftung (16.3.2020): Türkei Bulletin 5-2020, http://shop.freiheit.org/download/P2@876/248113/05-2020-T%C3%Bcrkei-Bulletin.pdf, Zugriff 30.12.2020
? Garda World (25.12.2020): Turkey: Government to tighten COVID-related international entry restrictions effective Dec. 28; flights with Netherlands resume /update 30, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/421926/turkey-government-to-tighten-covid-related-international-entry-restrictions-effective-dec-28-flights-with-netherlands-resume-update-30, Zugriff 11.1.2020
? Hürriyet (30.12.2020): Entlassungsverbot der Türkei erneut verlängert, https://www.hurriyet.de/news_entlassungsverbot-der-tuerkei-erneut-verlaengert_143543902.html, Zugriff 30.12.2020
? JHU - Johns Hopkins University & Medicine (30.12.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 30.12.2020
? WKO - Wirtschaftskammer Österreich (21.1.2020): Coronavirus: Situation in der Türkei, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-tuerkei.html#heading_Schutzmassnahmen_und_Geschaeftsleben, Zugriff 25.1.2021
Politische Lage
Letzte Änderung: 26.01.2021
Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte. Staats- und zugleich Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems am 9.7.2018 der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 24.8.2020; vgl. DFAT 10.9.2020), wobei das Amt des Ministerpräsidenten abgeschafft wurde (DFAT 10.9.2020; vgl. bpb 9.7.2018).
Die Verfassungsarchitektur ist weiterhin von einer fortschreitenden Zentralisierung der Befugnisse im Bereich des Präsidentenamtes geprägt, ohne eine solide und wirksame Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative zu gewährleisten. Da es keinen wirksamen Kontroll- und Ausgleichsmechanismus gibt, bleibt die demokratische Rechenschaftspflicht der Exekutive auf Wahlen beschränkt. Unter diesen Bedingungen setzten sich die gravierenden Rückschritte bei der Achtung demokratischer Normen, der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten fort. Die politische Polarisierung verhindert einen konstruktiven parlamentarischen Dialog. Die parlamentarische Kontrolle über die Exekutive bleibt schwach. Unter dem Präsidialsystem sind viele Regulierungsbehörden und die Zentralbank direkt mit dem Präsidentenamt verbunden, wodurch deren Unabhängigkeit untergraben wird. Mehrere Schlüsselinstitutionen, wie der Generalstab, der Nationale Nachrichtendienst, der Nationale Sicherheitsrat und der Souveräne Wohlfahrtsfonds, sind dem Büro des Präsidenten angegliedert worden (EC 29.5.2019). Der öffentliche Dienst wurde politisiert, insbesondere durch weitere Ernennungen von politischen Beauftragten auf der Ebene hoher Beamter und die Senkung der beruflichen Anforderungen an die Amtsinhaber (EC 6.10.2020).
Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder des Einkammerparlaments werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf (vor der Verfassungsänderung vier) Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Die Zehn-Prozent-Hürde, die höchste unter den OSZE-Mitgliedstaaten, wurde trotz der langjährigen Empfehlung internationaler Organisationen und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nicht gesenkt. Die unter der Militärherrschaft verabschiedete Verfassung garantiert die Grundrechte und -freiheiten nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates konzentriert und der Gesetzgebung erlaubt, weitere unangemessene Einschränkungen festzulegen. Die Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit und das Wahlrecht selbst werden durch die Verfassung und die Gesetzgebung übermäßig eingeschränkt (OSCE/ODIHR 21.9.2018).
Am 16.4.2017 stimmten 51,4% der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung im Sinne eines exekutiven Präsidialsystems (OSCE 22.6.2017; vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terror-Sympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).
Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdo?an mit 52,6% der Stimmen bereits im ersten Wahlgang die nötige absolute Mehrheit für die Wiederwahl. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AKP 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen MHP unter dem Namen „Volksbündnis“ verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekulare Republikanische Volkspartei (CHP) gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative ?yi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 27.6.2018). Trotz einer echten Auswahl bestand keine Chancengleichheit zwischen den kandidierenden Parteien. Der amtierende Präsident und seine AKP genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem (damals noch) geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit, auch in den Medien, ein (OSCE/ODIHR 21.9.2018).
Am 23.6.2019 fand in Istanbul die Wiederholung der Bürgermeisterwahl statt. Diese war von nationaler Bedeutung, da ein Fünftel der türkischen Bevölkerung in Istanbul lebt und die Stadt ein Drittel des Bruttonationalproduktes erwirtschaftet (NZZ 23.6.2019). Bei der ersten Wahl am 31.3.2019 hatte der Kandidat der oppositionellen CHP, Ekrem ?mamo?lu, mit einem Vorsprung von nur 13.000 Stimmen gewonnen. Die regierende AKP hatte jedoch das Ergebnis angefochten, sodass die Hohe Wahlkommission am 6.5.2019 schließlich die Wahl wegen formaler Fehler bei der Besetzung einiger Wahlkomitees annullierte (FAZ 23.6.2019; vgl. Standard 23.6.2019). ?mamo?lu gewann die wiederholte Wahl mit 54%. Der Kandidat der AKP, Ex-Premierminister Binali Y?ld?r?m, erreichte 45% (Anadolu 23.6.2019). Die CHP löste damit die AKP nach einem Vierteljahrhundert als regierende Partei in Istanbul ab (FAZ 23.6.2019). Bei den Lokalwahlen vom 30.3.2019 hatte die AKP von Staatspräsident Erdo?an bereits die Hauptstadt Ankara (nach 20 Jahren) sowie die Großstädte Adana, Antalya und Mersin an die Opposition verloren. Ein wichtiger Faktor war der Umstand, dass die pro-kurdische HDP auf eine Kandidatur im Westen des Landes verzichtete (Standard 1.4.2019) und deren inhaftierter Vorsitzende, Selahattin Demirta?, auch bei der Wahlwiederholung seine Unterstützung für ?mamo?lu betonte (NZZ 23.6.2019).
Die Gesetzgebungsverfahren sind nicht effektiv. Präsidialdekrete bleiben der parlamentarischen Beratung und Kontrolle entzogen (EC 6.10.2020; vgl. ÖB 10.2020). Präsidialdekrete können nur noch vom Verfassungsgericht aufgehoben werden (ÖB 10.2020). Parlamentarier haben kein Recht, mündliche Anfragen zu stellen. Schriftliche Anfragen können nur an den Vizepräsident und Minister gerichtet werden. Der Rechtsrahmen verankert zwar den Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialdekreten und bewahrt somit das Vorrecht des Parlaments, nichtsdestotrotz hat der Präsident bis Dezember 2019 53 Dekrete erlassen, die ein breites Spektrum sozioökonomischer Politikbereiche abdecken und eben nicht in den Geltungsbereich von Präsidialdekreten fallen (EC 6.10.2020). Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen, den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialdekrete zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen, das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft, das Regierungsbudget zu erstellen und 4 von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte sowie 12 von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat jedoch das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialdekreten beantragen kann (EC 29.5.2019).
Zunehmende politische Polarisierung verhindert weiterhin einen konstruktiven parlamentarischen Dialog. Die Marginalisierung der Opposition, insbesondere der HDP, hält an. Viele der HDP-Abgeordneten sowie deren beide ehemaligen Ko-Vorsitzende befinden sich nach wie vor in Haft (Stand Ende Dezember 2020), im Falle von Selahattin Demirta? trotz eines neuerlichen Urteils des EGMR, diesen sofort frei zu lassen (ZO 22.12.2020). Die Unzulänglichkeiten des Systems der parlamentarischen Immunität, das die Meinungsfreiheit von gewählten Amtsträgern außerhalb des Parlaments einschränkt, bleiben ungelöst (EC 6.10.2020).
Trotz der Aufhebung des zweijährigen Ausnahmezustands im Juli 2018 wirkt sich dieser negativ auf Demokratie und Grundrechte aus. Einige gesetzliche Bestimmungen, die den Regierungsbehörden außerordentliche Befugnisse einräumen und mehrere restriktive Elemente des Notstandsrechtes wurden beibehalten und ins Gesetz integriert (EC 6.10.2020). Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen bei Verdacht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Der neue Gesetzestext regelt auch im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können (ZO 25.7.2018). Mehr als 152.000 Beamte, darunter Akademiker, Lehrer, Polizisten, Gesundheitspersonal, Richter und Staatsanwälte, wurden durch Notverordnungen entlassen. Mehr als 150.000 Personen wurden während des Ausnahmezustands verhaftet und mehr als 78.000 aufgrund Vorwürfen mit Terrorismusbezug festgenommen (EC 29.5.2019).
Im September 2016 verabschiedete die Regierung ein Dekret, das die Ernennung von "Treuhändern" anstelle von gewählten Bürgermeistern, stellvertretenden Bürgermeistern oder Mitgliedern von Gemeinderäten, die wegen Terrorismusvorwürfen suspendiert wurden, erlaubt. Dieses Dekret wurde im Südosten der Türkei vor und nach den Kommunalwahlen 2019 großzügig angewandt (DFAT 10.9.2020). Mit Stand Oktober 2020 war die Zahl der Gemeinden, denen aufgrund der Lokalwahlen vom März 2019 ursprünglich ein Bürgermeister aus den Reihen der HDP vorstand (insgesamt 65) um 48 reduziert. Die Zentralregierung entfernte die gewählten Bürgermeister, hauptsächlich mit der Begründung, dass diese angeblich Verbindungen zu terroristischen Organisationen hatten, und ersetzte sie durch Treuhänder (EC 6.10.2020; vgl. bianet 2.10.2020). Die Kandidaten waren jedoch vor den Wahlen überprüft worden, sodass ihre Absetzung noch weniger gerechtfertigt war. Hunderte von HDP-Kommunalpolitikern und gewählten Amtsinhabern sowie Tausende von Parteimitgliedern wurden wegen terroristischer Anschuldigungen inhaftiert. Da keine Anklage erhoben wurde, verstießen laut Europäischer Kommission diese Maßnahmen gegen die Grundprinzipien einer demokratischen Ordnung, entzogen den Wählern ihre politische Vertretung auf lokaler Ebene und schadeten der lokalen Demokratie (EC 6.10.2020).
[siehe auch die Kapitel: Rechtsschutz/Justizwesen, Sicherheitsbehörden, Opposition und Gülen- oder Hizmet-Bewegung]
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Sicherheitslage
Letzte Änderung: 26.01.2021
Die Türkei steht vor einer Reihe von Herausforderungen im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit. Dazu gehören der wieder aufgeflammte Konflikt zwischen den staatlichen Sicherheitskräften und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Südosten des Landes, externe Sicherheitsbedrohungen im Zusammenhang mit der Beteiligung der Türkei an Konflikten in Syrien und im Irak sowie die Bedrohung durch Terroranschläge durch interne und externe Akteure (DFAT 10.9.2020).
Die Regierung sieht die Sicherheit des Staates durch mehrere Akteure gefährdet: namentlich durch die seitens der Türkei zur Terrororganisation erklärten Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, durch die auch in der EU als Terrororganisation gelistete PKK, durch, aus türkischer Sicht, mit der PKK verbundene Organisationen, wie die YPG in Syrien, durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) und weitere terroristische Gruppierungen, wie der linksextremistischen DHKP-C. Die Ausrichtung des staatlichen Handelns auf die "Terrorbekämpfung" und die Sicherung "nationaler Interessen" hat infolgedessen ein sehr hohes Ausmaß erreicht. Die Türkei musste von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften, vornehmlich durch die PKK und ihre Ableger, den sog. IS und im geringen Ausmaß durch die DHKP-C (AA 24.8.2020; vgl. SD 29.6.2016, AJ 12.12.2016).
Die Lage im Südosten des Landes ist weiterhin sehr besorgniserregend (EC 6.10.2020). Dort sind die Spannungen besonders groß und es kommt immer wieder zu Ausschreitungen und bewaffneten Zusammenstößen (EDA 28.12.2020).Die Regierung setzte die inneren und grenzüberschreitenden Sicherheits- und Militäroperationen im Irak und in Syrien sowie innerhalb des Landes fort (USDOS 24.6.2020; vgl. EC 6.10.2020). In den Grenzgebieten ist die Sicherheitslage durch wiederkehrende Terrorakte der PKK prekärer (EC 6.10.2020). In den größeren Städten und in den Grenzregionen zu Syrien kann es zu Demonstrationen und Ausschreitungen kommen (EDA 28.12.2020).
Laut der türkischen Menschenrechtsvereinigung (?HD) kamen 2019 bei bewaffneten Auseinandersetzungen 440 Personen ums Leben, davon 98 Angehörige der Sicherheitskräfte, 324 bewaffnete Militante und 18 Zivilisten (?HD 18.5.2020a). 2018 starben 502 Personen, davon 107 Sicherheitskräfte, 391 bewaffnete Militante und vier Zivilisten (?HD 19.4.2019). 2017 betrug die Zahl der Todesopfer 656 (?HD 24.5.2018) und 2016, am Höhepunkt der bewaffneten Auseinandersetzungen, 1.757 (?HD 1.2.2017). Die International Crisis Group zählte seit dem Wiederaufflammen der Kämpfe fast 5.200 Tote (PKK-Kämpfer, Sicherheitskräfte, Zivilisten) im Zeitraum Juli 2015 bis 10.12.2020. Im Jahr 2020 wurden bis zum 10.12.2020 311 Opfer registriert. Besonders hoch waren die Zahlen in den Monaten Mai bis September 2020 (ICG 20.12.2020). Es gab keine Entwicklungen hinsichtlich der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses zur Erzielung einer friedlichen und nachhaltigen Lösung (EC 6.10.2020).
Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage (EDA 8.10.2020). Im Grenzgebiet der Türkei zu Syrien und Irak, insbesondere in Diyarbak?r, Cizre, Silopi, Idil, Yüksekova und Nusaybin sowie generell in den Provinzen Mardin, ??rnak und Hakkâri bestehen erhebliche Gefahren durch angrenzende Auseinandersetzungen. In den Provinzen Hatay, Kilis, Gaziantep, ?anl?urfa, Diyarbak?r, Mardin, Batman, Bitlis, Bingöl, Siirt, Mu?, Tunceli, ??rnak, Hakkâri und Van besteht ein erhöhtes Risiko. In den genannten Gebieten werden immer wieder "zeitweilige Sicherheitszonen" eingerichtet und regionale Ausgangssperren verhängt. Zur Einrichtung von Sicherheitszonen und Verhängung von Ausgangssperren kam es bisher insbesondere im Gebiet südöstlich von Hakkâri entlang der Grenze zum Irak sowie in Diyarbak?r und Umgebung sowie südöstlich der Ortschaft Cizre (Dreiländereck Türkei-Syrien-Irak), aber auch in den Provinzen Gaziantep, Kilis, Urfa, Hakkâri, Batman und A?r? (AA 28.12.2020a).
Das türkische Parlament stimmte (mit Ausnahme der pro-kurdischen HDP) am 7.10.2020 einem Gesetzentwurf zu, das Mandat für grenzüberschreitende Militäroperationen sowohl im Irak als auch in Syrien um ein weiteres Jahr zu verlängern (BAMF 19.10.2020).
Die Sicherheitskräfte verfügen auch nach Beendigung des Ausnahmezustandes weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen (EDA 28.12.2020).
Quellen:
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Gülen- oder Hizmet-Bewegung
Letzte Änderung: 26.01.2021
Fethullah Gülen, muslimischer Prediger und charismatisches Zentrum eines weltweit aktiven Netzwerks, das bis vor kurzem die wohl einflussreichste religiöse Bewegung des Landes war, wird von seinen Gegnern als Bedrohung der staatlichen Ordnung betrachtet (Dohrn 27.2.2017). Während Gülen von seinen Anhängern als spiritueller Führer betrachtet wird, der einen toleranten Islam fördert, der Altruismus, Bescheidenheit, harte Arbeit und Bildung hervorhebt (BBC 21.7.2016), und als leidenschaftlicher Befürworter des interreligiösen und interkulturellen Austauschs dargestellt wird, beschreiben Kritiker Gülen als islamistischen Ideologen, der über ein strikt organisiertes Wirtschafts- und Medienimperium regiert und dessen Bewegung den Sturz der säkularen Ordnung der Türkei anstrebt (Dohrn 27.2.2017). Vor dem Putschversuch vom Juli 2016 schätzten internationale Beobachter die Zahl der Gülen-Mitglieder in der Türkei auf mehrere Millionen (DFAT 10.9.2020).
Erdo?an stand Gülen jahrzehntelang nahe. Beide hatten bis vor einigen Jahren ähnliche Ziele: die politische Macht des Militärs zurückzudrängen und den frommen Anatoliern zum gesellschaftlichen Aufstieg zu verhelfen (HZ 20.7.2016). Die beiden Führer verband die Gegnerschaft zu den säkularen, kemalistischen Kräften in der Türkei. Sie hatten beide das Ziel, die Türkei in ein vom türkischen Nationalismus und einer starken, konservativen Religiosität geprägtes Land zu verwandeln. Selbst nicht in die Politik eintretend, unterstützte Gülen die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) bei deren Gründung und späteren Machtübernahme, auch indem er seine Anhänger in diesem Sinne mobilisierte (MEE 25.7.2016). Gülen-Anhänger hatten viele Positionen im türkischen Staatsapparat inne, die sie zu ihrem eigenen Vorteil nutzten, und welche die regierende AKP tolerierte (DW 13.7.2018). Erdo?an nutzte wiederum die bürokratische Expertise der Gülenisten, um das Land zu führen und dann, um das Militär aus der Politik zu drängen. Nachdem das Militär entmachtet war, begann der Machtkampf (BBC 21.7.2016). Das Bündnis zwischen Erdo?an und Gülen begann aufzuweichen, als die Gülenisten in Polizei und Justiz zu unabhängig wurden. Das Klima verschärfte sich, als Gülen selbst Erdo?an für seinen Umgang mit den Protesten im Gezi-Park im Jahr 2013 kritisierte. Im Dezember 2013 kam es zum offenen politischen Zerwürfnis zwischen der AKP und der Gülen-Bewegung, als Gülen-nahe Staatsanwälte und Richter Korruptionsermittlungen gegen die Familie des damaligen Ministerpräsidenten Erdo?an sowie Minister seines Kabinetts aufnahmen (AA 24.8.2020). Erdo?an beschuldigte daraufhin Gülen und seine Anhänger, die AKP-Regierung durch Korruptionsuntersuchungen zu Fall bringen zu wollen, da mehrere Beamte und Wirtschaftsführer mit Verbindungen zur AKP betroffen waren, und Untersuchungen zu Rücktritten von AKP-Ministern führten (MEE 25.7.2016). Seitdem wirft die Regierung Gülen und seiner Bewegung vor, die staatlichen Strukturen an sich unterwandert zu haben (AA 24.8.2020). In der Folge versetzte die Regierung die an den Ermittlungen beteiligten Staatsanwälte, Polizisten und Richter (bpb 1.9.2014) und begann schon seit Ende 2013 darüber hinaus, in mehreren Wellen Zehntausende mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung in diversen staatlichen Institutionen zu suspendieren, zu versetzen, zu entlassen oder anzuklagen. Die Regierung hat ferner, unter dem Vorwand der Unterstützung der Gülen-Bewegung, Journalisten strafrechtlich v