TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/9 L516 2209443-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.06.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

09.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch


L516 2209443-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Pakistan, vertreten Mag. Martin TRIENDL, Rechtsanwalt, als Erwachsenenvertreter, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.10.2018, Zahl 1119612606-160864943/BMI-BFA_TIROL_AST_01, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF hinsichtlich Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 wird XXXX der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 09.06.2022 erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III bis VI des angefochtenen Bescheides werden gemäß § 28 Abs 2 VwGVG ersatzlos aufgehoben.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger und stellte am 20.06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens mit Bescheid vom 10.10.2018 (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs 1 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte (III.) gemäß § 57 AsylG keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ (IV.) gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG, stellte (V.) gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach aus, dass (VI.) gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.

1. Sachverhaltsfeststellungen:

[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; S=Seite; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich; SD=Staatendokumentation des BFA; LIB=Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA]

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan und gehört der Volksgruppe der Paschtunen und dem Stamm der XXXX an. Er war ursprünglich Angehöriger der sunnitischen Glaubensgemeinschaft, praktiziert aktuell jedoch keine Religion. Seine Identität steht fest. (NS EB 21.06.2016 S 1, 5; NS EV 05.12.2017 S 5 ff; BFA Staatendokumentation, Anfragebeantwortung 11.04.2018 S 1 (AS 545; Stellungnahme des Erwachsenenvertreters 28.01.2021 (OZ 27))

1.2 Zu seinen allgemeinen Lebensverhältnissen in Pakistan

Der Beschwerdeführer stammt aus XXXX in der Khyber Agency, Provinz Khyber Pakhtunkhwa (bis 2018 Gebiet der FATA). Er besuchte fünf Jahre lang die Schule, kann die Sprache Paschtu lediglich sprechen und lesen, jedoch nicht schreiben. Ab 2012 lebte er mit seiner Mutter und fünf Geschwistern (3 Brüder, 2 Schwester) in Peshawar, wo sie als Binnenvertriebene im XXXX von UNHCR in Zusammenarbeit mit der pakistanischen Regierung registriert wurden; sie lebten jedoch nicht im Camp selbst, sondern im Raum Peshawar. (NS EB 21.06.2016 S 1, 5; NS EV 05.12.2017 S 5 ff; BFA Staatendokumentation, Anfragebeantwortung 11.04.2018 S 1 (AS 545))

Er reiste jedenfalls nach dem Jahr 2014 aus Pakistan aus und in den Iran ein, von wo aus er nach längerem Aufenthalt in weiterer Folge über weiter Länder nach Österreich gelangte. (NS EB 21.06.2016 S 3, 4)

1.3 Zu seinen Lebensverhältnissen in Österreich

Im Juni 2016 reiste der Beschwerdeführer nach Österreich ein, wo er sich gestützt auf das vorläufige Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz seit nunmehr fünf Jahren ununterbrochen aufhält. Der Beschwerdeführer ist auf Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde angewiesen. Er hat einen Deutschkurs auf dem Niveau A2 besucht, jedoch keine zertifizierte Sprachprüfung absolviert. Er ist strafrechtlich unbescholten. Aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung musste für ihn ein Erwachsenenvertreter bestellt werden. (NS 05.12.2017 S 14; OZ 14; IZR; GVS; Bezirksgericht XXXX , Beschluss vom 31.07.2020 (OZ 25); Strafregister der Republik Österreich)

1.4 Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers

Beim Beschwerdeführer wurde in Österreich eine paranoide Schizophrenie, eine schizophrene Psychose, eine wahnhafte Störung, ausgeprägte Wahnsymptomatik mit Größenideen, Denkstörungen sowie einer völlig fehlenden Krankheitswahrnehmung und Krankeneinsicht diagnostiziert (Diagnosen F22.0, F20.0, F12.5, H55.01). Wegen ansteigender Selbst- und Fremdgefährdung erhielt der Beschwerdeführer seit dem XXXX eine Therapie in Form einer Depot Spritze mit einem starken Antipsychotika. Momentan sind zwar keine Medikamente erforderlich, die diagnostizierten Erkrankungen liegen jedoch davon unabhängig weiter vor und jederzeit mögliche Akutphasen und Schübe in Stress- und Konfliktsituationen gehören zum Krankheitsbild und sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Folge. Zeitweise war bereits die medizinische Behandlung des Beschwerdeführers in einer geschlossenen psychiatrischen stationären Einrichtung erforderlich. Die psychischen Voraussetzungen für eine Entscheidungsfähigkeit sind derzeit nicht gegeben, Es ist ihm durch seine Erkrankung unmöglich, den überwiegenden Teil seiner Angelegenheiten inklusive der Gesundheitssorge ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen, und er ist in vielen Bereichen des Alltags auf Hilfe angewiesen. Aufgrund der psychiatrischen Erkrankung des Beschwerdeführers musste für ihn ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter bestellt werden. (Sachverständigengutachten im Rahmen der Bestellung eines Erwachsenenvertreters vom 22.01.2020 (OZ 15, 16) BASB XXXX , Sachverständigengutachten nach Einschätzungsverordnung (OZ 17; schriftliche Stellungnahme 28.01.2017 (OZ 27))

1.5 Zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz

Der Beschwerdeführer brachte zur Begründung seines Antrages auf internationalen Schutz –zusammengefasst – vor, die Taliban und dabei namentlich insbesondere die Gruppierungen Lashkar-e-Islam, Ansar-ul-Islam und Naamdar hätten in seinem Heimatgebiet in der Khyber Agency sehr schnell sehr viele Orte erobert und es habe dort Krieg gegeben. Seine Familie sei von den Taliban, denen sich auch Cousins von ihm angeschlossen hätten, zunächst aufgefordert worden, sich den Taliban anzuschließen und den Taliban Geld zu geben. Schließlich seien sie von den Taliban aus ihrem Heimatdorf vertrieben worden, ihr Haus sei zerstört und ihre Grundstücke seien ihnen weggenommen worden. Seine Familie sei zunächst nach Hangu geflohen und habe später bis zu seiner Ausreise in Peshawar gelebt. Ihm und seiner Familie sei es nicht möglich, in das Heimatdorf zurückkehren, da die Situation sehr schlecht sei und die Cousins ihre Grundstücke in Besitz genommen hätten. (NS EB 21.06.2016 S 5; NS EV 05.12.2017 S 9 ff; Beschwerde, S 2)

1.5 Zur Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens

Das zuvor dargestellte Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er mit seiner Familie aufgrund der Kämpfe in seiner Heimatregion geflohen sei und zuletzt bis zu seiner Ausreise in Peshawar gelebt habe, ist glaubhaft. Der Beschwerdeführer lebte jedoch rund drei Jahre in Peshawar und war dort keiner konkreten Bedrohung ausgesetzt. Er hat damit nicht glaubhaft gemacht, dass er im Fall seiner Rückkehr dorthin zum gegenwärtigen Zeitpunkt tatsächlich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit individuell konkret einer unmittelbaren Bedrohung aufgrund ethnischen, religiösen oder politischen Gründen oder aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt sein wird.

1.6 Zur Lage in Pakistan:

Politische Lage

Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber-Pakhtunkhwa sowie dem Hauptstadtterritorium Islamabad (AA 25.9.2020). Die vormaligen FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) sind nach einer Verfassungsänderung im Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert worden (ET 25.5.2018). Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete Gilgit-Baltistan und Azad Jammu & Kashmir auf der pakistanisch verwalteten Seite Kaschmirs (AA 25.9.2020).

Pakistan ist gemäß seiner Verfassung eine parlamentarische Demokratie. Seit der Unabhängigkeit wurde die demokratische Entwicklung jedoch mehrfach von längeren Phasen der Militärherrschaft unterbrochen. Zuletzt kehrte Pakistan 2008 zur Demokratie zurück. Bei den Parlamentswahlen am 25.7.2018 gewann die bisherige Oppositionspartei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI). Seit August 2018 führt PTI-Chef Imran Khan als Premierminister eine Koalitionsregierung an (AA 29.9.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Sicherheitslage allgemein

Die Sicherheitslage in Pakistan ist landesweit unterschiedlich und wird von verschiedenen Faktoren wie politischer Gewalt, Gewalt von Aufständischen, ethnischen Konflikten und konfessioneller Gewalt beeinflusst. Die Sicherheitslage im Inneren wird auch von Auseinandersetzungen mit den Nachbarländern Indien und Afghanistan beeinflusst, die gelegentlich gewalttätig werden (EASO 10.2020).

Sicherheitslage - Punjab und Islamabad

Die Bevölkerung der Provinz Punjab beträgt laut Zensus 2017 110 Millionen. In der Provinzhauptstadt Lahore leben 11,1 Millionen Einwohner (PBS 2017d; vgl. EASO 10.2020). Die Bevölkerung des Hauptstadtterritoriums beträgt laut Zensus 2017 ca. zwei Millionen Menschen (PBS 2017d).

Beim einzigen 2019 aus Islamabad gemeldeten Terroranschlag wurden zwei Polizisten getötet und ein weiterer bei einem Angriff auf einen Sicherheitsposten verletzt (PIPS 2020).

Im südlichen Punjab sind militante Netzwerke und Extremisten präsent, Lashkar-e Taiba (LeT) und JeM haben dort ihre Hauptquartiere und unterhalten religiösen Einrichtungen. Die Abteilung für Terrorismusbekämpfung im Punjab (CTD) hat 2019 und im ersten Halbjahr 2020 ihre Operationen gegen Militante fortgesetzt. Es kam dabei zu Festnahmen und zur Tötung von (mutmaßlichen) Kämpfern der TTP, HuA, LeJ und ISKP. Vom 1. Jänner bis 31. Juli 2020 zählte PIPS neun Vorfälle im Punjab, fünf davon wurden als Terroranschläge erfasst (EASO 10.2020; vgl. PIPS 2020).

Sicherheitslage Khyber-Pakhtunkhwa

Die Provinz Khyber Pakhtunkhwa (KP) ist in 25 Bezirke (PBS 2017d) und sieben Tribal Districts unterteilt (Dawn 31.5.2018). Die FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) wurden Ende Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert (EASO 10.2020; vgl. AA 29.9.2020). Laut Zensus 2017 hat die Provinz [im Gebietsstand ab 1.6.2018] ca. 35,5 Millionen Einwohner, wovon ca. fünf Millionen auf dem Gebiet der ehemaligen FATA leben. Die Hauptstadt Peschawar hat 4,3 Millionen Einwohner (PBS 2017d).

Die Sicherheitslage in den Khyber Pakhtunkhwa Tribal Districts (KPTDs) hat sich im Jahr 2019 erheblich verbessert. Mit Ausnahme der Bezirke in Süd-Waziristan war in den übrigen sechs Bezirken der ehemaligen FATA ein erheblicher Rückgang an terroristischen Vorfällen und der daraus resultierenden Zahl an Opfern zu beobachten. Insgesamt wurde 2019 im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang der terroristischen Vorfälle um 16 Prozent und der Anzahl der Opfer um rund ein Viertel verzeichnet. Um andererseits die operative Kapazität terroristischer Gruppen in den ehemaligen FATA zu verringern, führten die pakistanischen Sicherheitskräfte im Rahmen der laufenden Militäroperationen im Jahr 2019 unter dem Code-Namen Radd-ul-Fasad nachrichtendienstlich gestützte Operationen (IBOs) durch. 2019 wurden insgesamt 54 solcher IBOs gemeldet, gegenüber 137 im Jahr 2018. Obwohl IBOs in allen Stammesbezirken von KP durchgeführt wurden, blieben Nord-Waziristan, Süd-Waziristan und Bajaur der Hauptschwerpunkt der Operationen. Am anfälligsten für terroristische Anschläge blieb, trotz eines Rückgangs derselben um 22 Prozent, die Provinz Nord-Waziristan (FRC 13.1.2020).

Die Operationen der Armee zur Aufstandsbekämpfung in KP (einschließlich der ehemaligen FATA) trugen langfristig zu einem höheren Sicherheitsniveau in der Provinz bei, und führten zu einer Verringerung des Einflusses der Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP - Pakistan Movement of Taliban) auf den größten Teil des Stammesgürtels. Diese Militäraktionen bewirkten jedoch auch die Vertreibung von Millionen von Bewohnern aus diesem Gebiet. Insgesamt hat sich die Sicherheit in diesen Gebieten verbessert, ist aber weiterhin fragil. Die Netzwerke der TTP bleiben sowohl auf afghanischer Seite als auch in einigen pakistanischen Bezirken entlang der Grenze aktiv (EASO 10.2020; vgl. FRC 13.1.2020). Die Bedrohung durch Gewalttaten der TTP bleibt aufrecht. Zahlreiche Taliban-Fraktionen konnten ihre Netzwerke auf afghanischer Seite der Grenze wieder herstellen und sind in der Lage, terroristische Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten in den KPTDs Nord- und Süd-Waziristan durchzuführen (FRC 13.1.2020; vgl. EASO 10.2020). Die militanten Gruppen haben ihre Taktiken, Strategien und Aussichten geändert, um sich an das veränderte Umfeld anzupassen. Anstelle von Selbstmordattentaten, die früher die bevorzugte und wirksamste Taktik waren, wenden die Militanten jetzt hauptsächlich gezielte Tötungsaktionen gegen Mitarbeiter von Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, politische Vertreter, Stammesälteste und Mitglieder von Anti-Taliban-Stammesmilizen der KPTD an (FRC 13.1.2020).

Die Pak Institute for Peace Studies (PIPS) dokumentierte im Jahr 2019 insgesamt 170 Gewaltvorfälle in der Provinz. Dies ist ein leichter Rückgang im Vergleich zu 2018 (183). PIPS zählte 125 Terroranschläge im Jahr 2019. Gemäß der Beobachtung von PIPS, setzten Militante im Jahr 2019 Taktiken wie Selbstmordattentate, Schusswaffen, Sprengsätze sowie Handgranaten und Raketen ein. Der Trend, dass Militante Zivilisten, Regierungsbeamte und -institutionen, Stammesälteste und Sicherheitspersonal angreifen, setzte sich im Jahr 2019 fort. Zu den Bezirken in KP, in denen 2019 die meisten Terroranschläge stattfanden, gehören Nord-Waziristan (53 Anschläge), Dera Ismael Khan (14 Anschläge) und Bajaur (11 Anschläge) (PIPS 2020; vgl. EASO 10.2020). In den ersten sieben Monaten des Jahres 2020 beobachtete PIPS insgesamt 100 Vorfälle, von denen 49 als terroristische Anschläge in der Provinz genannt wurden. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2020 fanden in folgenden Bezirken von KP die meisten terroristischen Angriffe statt: Nord-Waziristan, Bajaur und Peshawar (EASO 10.2020).

Stammesbezirk Khyber

Khyber grenzt im Westen an Afghanistan, im Stammesbezirk Orakzai im Süden, im Stammesbezirk Kurram im Südwesten und im Osten an Peshawar. Dieser Bezirk ist in drei untergeordnete Verwaltungseinheiten unterteilt: Der Stammesbezirk Bara, Jamrud und Landi Kotal. Khyber hat 986 973 Einwohner.

In den letzten Jahren führte die pakistanische Armee vier Militäroperationen in Khyber durch. Die letzte Militäroperation fand im Juli 2017 statt. Die pakistanische Armee kündigte im Juli 2017 an, dass sie im Rajgal Valley der Khyber Agency eine neue Militäroperation, die Operation Khyber-IV, eingeleitet habe. Bei dieser Offensive wurden Verstecke und Trainingslager von Militanten zerstört.

Im Jahr 2018 gab das FRC (Fata Research Centre) an, dass es 17 gewaltsame Zwischenfälle im Stammesbezirk Khyber gegeben habe. Dies ist ein erheblicher Rückgang um 85 % gegenüber 2017, als die FRC 115 gewaltsame Zwischenfälle meldete. Laut FRC wurden im Jahr 2018 24 Todesopfer gezählt (11 getötet und 13 verletzt). PIPS zählte 11 „Terroranschläge“ in Khyber, bei denen 7 getötet und 20 im Jahr 2018 verletzt wurden. Im Dezember 2018 beklagten sich die Stammesführer der Stammesbezirke Khyber über Razzien, die von den Sicherheitskräften auf der Suche nach Waffen durchgeführt wurden.

Vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2019 zählte die PIPS zwei „Terroranschläge“ im Stammesbezirk Khyber. Es wurden zwei Todesopfer gezählt (ein Todesopfer und ein Verletzter).

[Beweisquelle: EASO, Country of Origin Information Report: Pakistan Security Situation, Oktober 2019]

Stammesbezirk Khyber und Tirah – Lage bis 2013

Viele Taliban flohen während des NATO Eingriffes im Jahr 2001 in Afghanistan in die FATA, wo der pakistanische Staat lange Zeit nicht gegen sie vorging. Erst nach dem Vorrücken von Talibangruppen in das Swat-Tal und weitere Teile Khyber Pakhtunkhwas entstand ein Umdenken und Regierung und Armee schritten ein (siehe Kap. 3.3.1). Eine Kombination der Offensive und der U.S. Drohnen drängte die Führerschaft der Pakistanischen Taliban zurück. Die Staatsmacht konnte in Teilen der FATA wiederhergestellt werden, jedoch ist die Sicherheitslage unbeständig, da viele Militante in andere Gebiete der FATA flohen.

PIPS unterteilt die FATA in Gebiete mit Taliban Einfluss - wo eine staatliche Administration vorhanden ist, allerdings die Taliban weiterhin Netzwerke haben - und Gebiete unter Taliban Kontrolle - wo keine Administration aktiv ist. Auch wenn Medien die Lage oft vereinfachend so zusammenfassen, gibt es keine Agencies mehr, in denen das gesamte Gebiet unter der vollständigen Kontrolle der Taliban ist, auch wenn dies bei Teilen einiger Agencies der Fall ist. Die Taliban haben allerdings Netzwerke und damit Einfluss in allen Agencies. Die Attacken in den Agencies verdeutlichen den weiterhin bestehenden Einfluss der Taliban in den Agencies. Es gibt weiterhin Anschläge von Terroristen, Militärschläge und Tote sowohl bei den Militanten als auch dem Militär. Die unterschiedlichen Statements von Militär und den Taliban zu ihren Todesfällen entsprechen jeweils ihren Interessen.

Es gab einen Rückgang der Anschläge im Jahr 2012 von 42,5 Prozent in den Aufzeichnungen des PIPS, dennoch blieb das Gebiet mit 631 Todesopfern in 388 Anschlägen die brisanteste Region des Landes in Bezug auf die Zahl der Todesopfer. Innerhalb der FATA war die Khyber Agency am stärksten von Anschlägen betroffen.

Die Terrorschläge sind in Nord Wasiristan und Süd Wasiristan zurückgegangen, einige Teile dieser Agencies sind allerdings immer noch durch die Taliban okkupiert. In Nord Wasiristan hat das Militär seit 2006 Nicht-Angriffspakte mit Talibangruppen, die besagen, dass sich die dort ansässigen Gruppen auf ihre Gebiete begrenzen. Das Militär konsultierte dazu Stammesältere, welche mit den Taliban vermittelten.

In der Orkazai, Kurram und Khyber Agency gehen die Militäroperationen gegen die Taliban in einem kleinen Maßstab weiter („small scale operations“). Im Jahr 2012 wurden 107 operative Offensiven als Teil von Militäroperationen in der FATA durchgeführt – hauptsächlich in diesen drei Agencies - Orakzai, Khyber und Kurram, vereinzelt auch in Süd Wasiristan und Nord Wasirsitan.

Dies sind auch die Gebiete, in denen US Drohnenangriffe stattfinden. Von den 45 Drohnenangriffen in 2012 - ein Rückgang von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr - fanden 38 in Nord Wasiristan statt, 6 in Süd Wasiristan und einer in der Orakzai Agency.

Gefechte beschränken sich nicht auf solche zwischen Militär und Militante. Auch zwischen militanten Gruppierungen kommt es zu Gefechten. In einigen Fällen stoßen auch schiitische und sunnitische Stämme in der FATA zusammen. Die Siedlungsgebiete der Schiiten in der FATA konzentrieren sich auf die Orkazai und Kurram Agency.

Als weiterer sicherheitsrelevanter Faktor kommen Attacken und Schusswechsel über die afghanisch-pakistanische Grenze hinzu. Insgesamt wurden 2012 bei sicherheitsrelevanten Gewaltvorfällen in der FATA 2.893 Menschen getötet.

Regierungsstrategie ist es, kurz vor Militäroperationen gegen Taliban die Bevölkerung der jeweils betroffenen Agency bzw. Region zu informieren, das bedeutet, die Agency wird „notified“. Nach den Militäroperationen wird die Zone „denotified“ und damit vom Militär als sicher für die Rückkehr erklärt und somit für die Rückkehr freigegeben. Das Militär arbeitet in diesem Prozess mit den Zivilbehörden zusammen, die zum Teil bei der Rückkehr unterstützen. Für die Versorgung und den Schutz der intern Vertriebenen IDPs ist in erster Linie die pakistanische Regierung zuständig. UNHCR und andere Organisationen werden unterstützend zur Regierung tätig. Im Bereich der intern Vertriebenen (IDPs) sind ungefähr 100 NGOs tätig, mit denen UNHCR direkt zusammenarbeitet. Die Anzahl der Personen, die aus der FATA intern vertrieben sind, wurde im Zuge des Interviews von UNHCR auf ungefähr 750.000 geschätzt.

Der Wiederaufbau wurde in Teilen der FATA begonnen. In Bauvorhaben wie dem Transregional Highway, verschiedenen Wasserreservoirs und anderen Projekten sind hauptsächlich chinesische Firmen und Arbeiter vor Ort tätig. In Süd Wasiristan werden Geschäfte, Straßen und Schulen, auch für Mädchen, wiederaufgebaut, jedoch sind derzeit nur Teile der intern Vertriebenen zurückgekehrt. Der zuständige Political Agent arbeitet von Khyber Pakhtunkhwa aus, da die Taliban auf Führungspersonen zielen. Die Rehabilitation des Gebietes wird durch die Armee geführt.

Exkurs: Im Tirah Tal der Khyber Agency verstärkten sich die Gefechte Ende März, nachdem die Taliban mit Verbündeten in strategisch wichtige Gebiete vorrückten und das Militär mit einer größeren Operation darauf reagierte. Zahlreiche Opfer waren auf beiden Seiten zu beklagen. Mehr als 40.000 Menschen wurden in die Flucht getrieben, zum Teil hat die Regierung Transportmöglichkeiten zur Verfügung gestellt, aber auch humanitäre Hilfsorganisationen unterstützen in den bestehenden Camps für intern Vertriebene der Region. Die Zahl der Intern Vertriebenen stieg weiter an, im Juni bezifferte sie IRIN mit um die 80.000, in der benachbarten Kurram Agency mussten aufgrund von Militäroperationen um die 60.000 Menschen ihre Dörfer verlassen.

[Beweisquelle: Bundesasylamt, Bericht zur Fact Finding Mission Pakistan 2013, Juni 2013]

Wichtige Terrorgruppen

Die pakistanische Regierung setzt die Umsetzung des Antiterrorism Act von 1997, des National Counterterterrorism Authority (NACTA) Act, des Investigation for Fair Trial Act von 2014 und der Änderungen des Antiterrorism Act (ATA) von 2014 fort, die allen Strafverfolgungsbehörden, Staatsanwälten und Gerichten erweiterte Befugnisse in Terrorismusfällen einräumen. Militärische, paramilitärische und zivile Sicherheitskräfte führten in ganz Pakistan CT-Operationen gegen staatsfeindliche Kämpfer durch. Das pakistanische Recht erlaubt präventive Inhaftierung, lässt die Todesstrafe für terroristische Straftaten zu und ermächtigt spezielle Anti-Terrorismus-Gerichte, über Terrorismusfälle zu verhandeln (USDOS 24.6.2020).

Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP): Die TTP (auch pakistanische Taliban genannt) wurde 2007 von Baitullah Mehsud gegründet, der 2009 durch einen US-Drohnenangriff getötet wurde. Die ursprünglichen Ziele der Organisation waren die Umsetzung der Scharia und die Vertreibung der Koalitionstruppen aus Afghanistan. Die TTP ist eine Dachorganisation, die aus 13 verschiedenen pakistanischen Taliban-Fraktionen gebildet wird - ungefähr die Hälfte aller pakistanischen Taliban-Fraktionen. Die TTP besteht aus ca. 3.000 bis 5.000 aktiven Kämpfern in Afghanistan. Während die TTP auf der anderen Seite der Grenze im Osten Afghanistans Zufluchtsorte unterhält, hat sie Schläferzellen und Sympathisanten in Pakistan zurückgelassen. Afghanistan ist die Operationsbasis, aber die Gruppe führt im Allgemeinen keine Angriffe in Afghanistan durch. Die TTP konzentriert sich auf den Kampf gegen die pakistanische Regierung (EASO 10.2020).

Jamaat-ul Ahrar (JuA): Jamaatul Ahrar (JuA) ist eine Fraktion der TTP, operiert aber mit einer gewissen Eigenständigkeit aus der Provinz Nangarhar in Afghanistan heraus. Ziele der Gruppe sind Mitglieder der Sicherheitskräfte, Regierungsgebäude, Politiker, Minderheiten und Rechtsanwälte. Im August 2020 schloss sich JuA wieder der TTP an. Das Pakistan Institute for Peace Studies dokumentierte, dass die JuA im Jahr 2019 an einem Terroranschlag beteiligt war, verglichen mit 15 im Jahr 2018 (EASO 10.2020).

Islamic State Khorasan Province (ISKP): Die ersten Berichte über den ISKP (auch ISIS, ISIL, IS oder Daesh genannt) in Pakistan gehen auf Anfang 2015 zurück. Der ISKP sah eine weltweite Expansion des Kalifats vor und bezeichnete die Region Afghanistan, Pakistan, Iran und die zentralasiatischen Republiken als Wilayat Khorasan (ISKP - Islamischer Staat Provinz Khorasan). Im Mai 2019 kündigte der islamische Staat die Gründung des "Wilayat Pakistan" (Islamischer Staat - Provinz Pakistan, ISPP) an, nachdem er mehrere Angriffe in der Provinz Belutschistan für sich beansprucht hatte. Der ISKP hatte es geschafft, seinen Einfluss zu vergrößern, indem er taktische Bündnisse mit ähnlichen lokalen militanten Gruppen eingegangen war. Einem Bericht vom Januar 2020 zufolge ist der ISKP hauptsächlich in der Provinz Belutschistan präsent. Laut dem jährlichen Sicherheitslagebericht von PIPS 2019 haben die Sicherheitsbehörden mehrere Operationen in Belutschistan gegen den ISKP durchgeführt. PIPS dokumentierte im Jahr 2019 einen Terroranschlag des ISKP, im Vergleich zu fünf im Jahr 2018. Der ISKP ist für einige der tödlichsten Anschläge in Pakistan in den vergangenen zwei Jahren verantwortlich, darunter ein Anschlag auf eine Wahlkundgebung in Mastung, bei dem im Juli 2018 mehr als 130 Menschen getötet und 300 verletzt wurden (EASO 10.2020).

Paschtunen

Gemäß Volkszählung 2017 stellen paschtunische Muttersprachler mit 15,4 % der Bevölkerung (ca. 32 Millionen Menschen) die zweitgrößte Sprachgruppe Pakistans. Von ihnen leben ca. 22,6 Millionen in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa [inkl. ehem. FATA], wo sie ca. 77,7 % der Bevölkerung ausmachen; sowie ca. 3,7 Millionen in der Provinz Belutschistan, wo sie ca. 29,6 % der Bevölkerung ausmachen. Etwa zwei Millionen Paschtunen leben im Sindh, 1,3 Millionen im Punjab und 0,2 Millionen im Hauptstadtterritorium Islamabad (aggregiert aus PBS 2017a und PBS 2017c).

Viele Pakistanis assoziieren die Aktivitäten von Aufständischen im Land mit Paschtunen, die auf beiden Seiten der pakistanisch-afghanischen Grenze leben (DW 20.3.2017). Weil die pakistanische Taliban-Bewegung vornehmlich eine paschtunische Bewegung ist, sind viele Paschtunen durch eine Art Sippenhaft als "Islamisten" oder "militante Kämpfer" gebrandmarkt worden (EASO 10.2018). Zudem hegen Teile der pakistanischen Elite Ressentiments gegen die Paschtunen, weil diese zur Gründungszeit Pakistans separatistischen Bestrebungen anhingen. Dabei hat die Idee einer Vereinigung der paschtunisch besiedelten Gebiete zu einem "Groß-Paschtunistan" unter den pakistanischen Paschtunen aufgrund der schlechten Wirtschaftslage in Afghanistan kaum noch Anhänger (DW 20.3.2017).

Im Zuge des Kampfes gegen islamistische Aufständische kam es seitens der Sicherheitskräfte zu einem ethnischen Profiling von Paschtunen, insbesondere von Angehörigen einkommensschwacher Gruppen (DW 20.3.2017). Im Rahmen des "Kriegs gegen den Terrorismus" kam es zu Übergriffen an sowie zu Verschleppungen und außergerichtlichen Tötungen von Paschtunen (EASO 10.2018).

Im Jahr 2018 erlebte Pakistan den Aufstieg des Pashtun Tahafuz Movement (Pashtun Protection Movement / PTM). Diese Bürgerrechtsbewegung fordert Schutz und Rechte für die paschtunische Minderheit im Land. Hierzu gehören etwa die Aufklärung von außergerichtlichen Tötungen, ein Ende willkürlicher Angriffe und Misshandlungen, die Rückkehr verschwundener Personen und die Räumung von Landminen in den ehemaligen Stammesgebieten (EASO 10.2019; vgl. HRCP 3.2019).

Die Behörden versuchen, Sympathisanten durch Verhaftungen, Einschüchterungen und Schikanen an der Teilnahme friedlicher Veranstaltungen zu hindern (HRCP 3.2019). Seit Bestehen der PTM wurden hunderte ihrer Aktivisten verhaftet (Euronews 7.2.2019). Ab Frühjahr 2019 haben die pakistanischen Behörden ihr Vorgehen gegen die PTM intensiviert (AI 27.5.2019). Die Behörden setzen ihre Maßnahmen gegen Mitglieder der PTM fort. Es kam mitunter zur Folterung und zur Tötung von Führungsmitgliedern der PTM. In einem Fall, namentlich am 26.5.2019 in Nord-Waziristan, kam es bei einer Demonstration auch zur Tötung von 13 PTM-Demonstranten. Nach diesem Ereignis ging die Regierung hart gegen die PTM vor und verhaftete viele Führungskräfte der Gruppe sowie Unterstützer der Basis. PTM-Aktivisten konnten zwar viele dieser Verhaftungen vor Gericht erfolgreich anfechten; allerdings werden einige der danach Freigelassenen seither vermisst (USDOS 11.3.2020).

Grundsätzlich anerkennt die Regierung, dass einige der von der PTM gemachten Vorwürfe legitim sind. Gleichzeitig behauptet sie aber, dass externe Kräfte die PTM als Instrument zur Schürung ethnischer Spaltungen im Land einsetzen (USDOS 11.3.2020).

[Beweisquelle: LIB Februar 2021 mwN]

Geschätzt 15,4 % der Bevölkerung Pakistans sind Paschtunen, womit sie nach den Punjabis die zweitgrößte ethnische Gruppe des Landes bilden. Paschtunen leben traditionell unter sich in ihren eigenen Stämmen und Unterstämmen in Khyber Pakhtunkhwa und der ehemaligen FATA, auch wenn viele Paschtunen in städtische Gebiete migriert sind. Die größten Paschtunen-Gemeinschaften leben in Karatschi, wo sich die größte Paschtunenpopulation in der Welt befindet, gefolgt von Peschawar. Paschtunen leben auch in Belutschistan, Islamabad, Lahore und anderen städtischen Gebieten.

Paschtunen sind in allen Gesellschaftsschichten in Pakistan vertreten. Historisch gesehen haben Paschtunen die Beschäftigung im Verkehrssektor in Pakistan und Afghanistan bestimmt. Paschtunen sind gut in den pakistanischen Sicherheitskräften vertreten. Die PTI hat eine starke Unterstützungsbasis in der von den Paschtunen bestimmten Provinz Khyber Pakhtunkhwa.

Die Sicherheitslage hat sich in ganz Pakistan, für alle Pakistani, die Pashtunen eingeschlossen, verbessert. Paschtunen, die innerhalb Pakistans umziehen, vor allem nach Karachi und Lahore, berichten über „ethnic profiling“ und Belästigungen durch Sicherheitsbeamte, auch Bestechung sei ein Thema. Paschtunen wird auch oft ihre National Identity Card (CNIC) gesperrt, wenn sie umziehen, was den Zugriff auf Vermögenswerte und Eigentum behindert. Als Ergebnis der Schwierigkeiten bevorzugen es Paschtunen sich dort wiederanzusiedeln, wo sie familiäre Verbindungen habe, also in Khyber Pakhtunkhwa oder im Sindh (ausgenommen Karachi), und vermeiden, sich im Punjab niederzulassen.

Nach der Bewertung von DFAT sind Paschtunen einem mittleren Risiko ausgesetzt, Diskriminierungen durch offizielle Stellen in Form von terror-bezogenem und „racial profiling“ durch Sicherheitskräfte in Gebieten, in denen sie die Minderheit darstellen, insbesondere im Punjab, zu erleiden. Paschtunen in Gebieten, in denen die Paschtunen die Mehrheit bilden oder wo familiäre oder andere soziale Verbindungen bestehen, sind einem niedrigen Risiko ausgesetzt, durch offizielle Stellen diskriminiert zu werden.

[Beweisquelle: Australian Government, Department of Foreign Affairs and Trade (DFAT), Country Information Report Pakistan 20.02.2019].

Rechtsschutz, Justizwesen

Das Gesetz garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 11.3.2020). Nach der Verfassung ist die politische Gewalt zwischen Legislative, Exekutive und Judikative aufgeteilt. In der Praxis wird diese Aufteilung in Pakistan jedoch nicht strikt eingehalten (BS 2020). Die pakistanische Verfassung und die gesamte pakistanische Rechtsordnung basieren weitgehend auf dem britischen Rechtssystem. Wenngleich gemäß Art. 227 der Verfassung alle Gesetze grundsätzlich im Einklang mit der Scharia stehen müssen, ist deren Einfluss auf die Gesetzgebung trotz Bestehens des Konsultativorgans Council of Islamic Ideology jedoch eher beschränkt, abgesehen von bestimmten Bereichen wie beispielsweise den Blasphemiegesetzen (ÖB 5.2020).

Der Supreme Court ist das pakistanische Höchstgericht und kann sich in Fällen von öffentlichem Interesse auch der Rechtsdurchsetzung bei Grundrechtsverletzungen, die gemäß Verfassung in die Zuständigkeit der High Courts fällt, annehmen. Die fünf High Courts fungieren u.a. als Berufungsinstanz gegen Beschlüsse und Urteile von Special Courts sowie als Aufsichts- und Kontrollorgane für alle ihnen unterstehenden Gerichte. Ferner bestehen Provinz- und Bezirksgerichte, Zivil- und Strafgerichte sowie spezialisierte Gerichte für Steuern, Banken und Zoll. Des Weiteren existiert gemäß Verfassung ein Federal Shariat Court, der zur Prüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Islam angerufen wird und diesbezüglich auch von sich aus tätig werden kann. Er fungiert zusätzlich zum Teil als Rechtsmittelinstanz in Delikten nach den Hudood Ordinances von 1979, die eine v.a. Frauen stark benachteiligende Islamisierung des Strafrechts brachten und durch den Protection of Women (Criminal Law Amendment) Act 2006 in Teilen etwas entschärft wurden. In Azad Jammu und Kaschmir (AJK) sowie in Gilgit-Baltistan gibt es eigene Justizsysteme (ÖB 5.2020).

Die oberen Gerichte und der Supreme Court werden allerdings als glaubwürdig eingestuft (USDOS 11.3.2020).

Im Zivil-, Straf- und Familienrecht gibt es öffentliche Verhandlungen, es gilt die Unschuldsvermutung, und es gibt die Möglichkeit einer Berufung. Angeklagte haben das Recht auf Anhörung und auf Konsultation eines Anwalts. Die Kosten für die rechtliche Vertretung vor den unteren Gerichten muss der Angeklagte übernehmen, in Berufungsgerichten kann auf öffentliche Kosten ein Anwalt zur Verfügung gestellt werden (USDOS 11.3.2020). Das National Accountability Bureau (Antikorruptionsbehörde) kann Verdächtige 15 Tage lang ohne Anklageerhebung festhalten (mit gerichtlicher Zustimmung verlängerbar) und ihnen vor der Anklageerhebung den Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigern. Für Straftaten im Rahmen dieser Behörde kann keine Kaution hinterlegt werden, und nur dessen Vorsitzender ist befugt, über die Freilassung von Gefangenen zu entscheiden (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 2020).

Die Justiz verteidigt ihre nach Ende der Militärherrschaft zurückgewonnene Unabhängigkeit und bemüht sich, den Rechtsstaat in Pakistan zu stärken. Gleichzeitig steht sie weiterhin unter dem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee. Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind hochgradig ineffizient (AA 29.9.2020). Zudem ist die Justiz in der Praxis oft von externen Einflüssen beeinträchtigt: Korruption, Einschüchterung und Unsicherheit; einem großen Rückstau an Fällen und niedrigen Verurteilungsquoten bei schweren Straftaten; von Angst vor Repressionen durch extremistische Elemente bei Fällen von Terrorismus, Blasphemie oder öffentlichkeitswirksamen politischen Fällen (USDOS 11.3.2020; vgl. HRCP/FIDH 10.2019; HRW 14.3.2020). Viele Gerichte unterer Instanzen bleiben für Korruption und den Druck von wohlhabenden Personen und einflussreichen religiösen und politischen Akteuren anfällig. Es gibt Beispiele, wo Zeugen, Staatsanwälte oder ermittelnde Polizisten in High Profile Fällen von unbekannten Personen bedroht oder getötet wurden. Verzögerungen in zivilen und Kriminalfällen sind auf ein veraltetes Prozessrecht, unbesetzte Richterstellen, ein schlechtes Fallmanagement und eine schwache rechtliche Ausbildung zurückzuführen. Der Rückstand sowohl in den unteren als auch in den höheren Gerichten beeinträchtigt den Zugang zu Rechtsmitteln oder eine faire und effektive Anhörung (USDOS 11.3.2020). Zivile Streitigkeiten, insbesondere wegen Eigentum und Geld, sind ein häufiger Grund für Mordfälle in Pakistan. Die oftmals Jahrzehnte dauernden Verzögerungen bei Urteilen durch Zivilgerichte können zu außergerichtlicher Gewaltanwendung zwischen den Streitparteien führen (JPP 4.10.2018). De facto spielt in weiten Landesteilen das staatliche Recht für die meisten Pakistaner kaum eine Rolle. Rechtsstreitigkeiten werden nach Scharia-Recht oder nach lokalen Rechtsbräuchen gelöst. Im WJP Rule of Law Index belegt Pakistan Platz 120 von 128 untersuchten Staaten (AA 29.9.2020). Neben dem bisher dargestellten staatlichen Justizwesen bestehen also vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. Hier drohen vor allem Frauen menschenunwürdige Bestrafungen (ÖB 5.2020).

Polizei

Die Effizienz der Arbeit der Polizeikräfte variiert von Bezirk zu Bezirk und reicht von gut bis ineffizient (USDOS 11.3.2020). In der Öffentlichkeit genießt die vor allem in den unteren Rängen schlecht ausgebildete, gering bezahlte und oft unzureichend ausgestattete Polizei kein hohes Ansehen. So sind u.a. die Fähigkeiten und der Wille der Polizei im Bereich der Ermittlung und Beweiserhebung gering. Staatsanwaltschaft und Polizei gelingt es häufig nicht, belastende Beweise in gerichtsverwertbarer Form vorzulegen (AA 29.9.2020). Zum geringen Ansehen der Polizei tragen Korruptionsanfälligkeit, unrechtmäßige Übergriffe und Verhaftungen sowie Misshandlungen von in Polizeigewahrsam Genommenen ebenso bei (AA 29.9.2020; vgl. HRCP 4.2020).

Mangelnde Bestrafung von Übergriffen, begangen von Angehörigen der Sicherheitskräfte, trägt zu einem Klima der Straflosigkeit bei. Interne Ermittlungen und Strafen können bei Übergriffen bzw. Misshandlungen vom Generalinspektor, den Bezirkspolizeioffizieren, den District Nazims, Provinzinnenministern oder Provinzministerpräsidenten, dem Innenminister, dem Premierminister und den Gerichten angeordnet werden. Die Exekutive und Polizeibeamte sind ebenfalls dazu befugt, in solchen Fällen eine strafrechtliche Verfolgung zu empfehlen, die gerichtlich angeordnet werden muss. Das Gerichtssystem bleibt das einzige Mittel, um Missbrauch durch Sicherheitskräfte zu untersuchen (USDOS 11.3.2020).

Grundversorgung und Wirtschaft

Derzeit macht der landwirtschaftliche Sektor ca. ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, der industrielle Sektor trägt zu einem Viertel des BIP bei und der größte Sektor für Handel und Dienstleistung trägt bis zu über 50 % des BIP bei. Trotz des geringsten Anteils am BIP ist der landwirtschaftliche Sektor immer noch sehr wichtig, weil mehr als 40 % der Bevölkerung in diesem Sektor direkt beschäftigt sind und die Existenz von mehr als 60 % der ländlichen Bevölkerung direkt oder indirekt von diesem Sektor abhängt. Neben den verheerenden Wettereinflüssen, wie Flut auf der einen und Dürre auf der anderen Seite, führt u.a. der Mangel an modern-technologischem Feldmanagement und Weiterverarbeitungsmöglichkeiten zu einer verhältnismäßig niedrigen Produktivität in diesem Sektor. Gepaart mit anderen soziopolitischen Faktoren führt dies zudem zu einer unsicheren Nahrungsmittelversorgung im Land (GIZ 9.2020).

Die Arbeitslosigkeit lag mit Stand 2017 offiziell bei etwa 7,8 % (CIA 24.9.2020). Kritisch ist vor allem die Situation von jungen erwerbslosen/arbeitslosen Männern zwischen 15 und 30 Jahren. Eine hohe Arbeitslosigkeit gepaart mit einer Verknappung natürlicher Ressourcen - vor allem auf dem Land - führte zur verstärkten Arbeitsmigration in große Städte und traditionell auch in die Golfstaaten. Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten und Gastarbeitern nach Pakistan belaufen sich gegenwärtig auf ca. 5 % des BIP (GIZ 9.2020).

Das Tameer-e-Pakistan-Programm ist eine Armutsbekämpfungsmaßnahme, um Einkommensquellen für Arme zu verbessern und Arbeitsplätze im Land zu schaffen (IOM 2019). Das Kamyab Jawan Programm, eine Kooperation des Jugendprogramms des Premierministers und der Small and Medium Enterprises Development Authority (SMEDA), soll durch Bildungsprogramme für junge Menschen im Alter zwischen 15 und 29 die Chancen am Arbeitsmarkt verbessern (Dawn 11.2.2019).

Sozialbeihilfen

Es gibt keine Arbeitslosenunterstützung (ILO 2017). Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern bezahlen das Gehalt der letzten 30 Tage des Dienstverhältnisses multipliziert mit der Dauer des Dienstverhältnisses in Jahren als Abfindung (USSSA 3.2019; vgl. ILO 2017).

Der staatliche Wohlfahrtsverband überprüft anhand spezifischer Kriterien, ob eine Person für den Eintritt in das Sozialversicherungssystem geeignet ist. Die Sozialversicherung ist mit einer Beschäftigung im privaten oder öffentlichen Sektor verknüpft (IOM 2019).

Das Benazir Income Support Program und das Pakistan Bait-ul-Mal vergeben ebenfalls Unterstützungsleistungen (USSSA 3.2019). Pakistan Bait-ul-Mal ist eine autonome Behörde, die finanzielle Unterstützung an Notleidende, Witwen, Waisen, Invalide, Kranke und andere Bedürftige vergibt. Dabei liegt der Fokus auf Rehabilitation, Bildungsunterstützung, Unterkunft und Verpflegung für Bedürftige, medizinische Versorgung für mittellose kranke Menschen, Aufbau kostenloser medizinischer Einrichtungen, berufliche Weiterbildung sowie finanzielle Unterstützung für den Aufbau von selbständigen Unternehmen (PBM o.D).

Das Benazir Income Support Programme zielt auf verarmte Haushalte insbesondere in abgelegenen Regionen ab. Durch Vergabe von zinsfreien Krediten an Frauen zur Unternehmensgründung, freie Berufsausbildung, Versicherungen zur Kompensation des Verdienstausfalles bei Tod oder Krankheit des Haupternährers und Kinderunterstützungsgeld sollen insbesondere Frauen sozial und ökonomisch gestärkt werden (ILO 2017).

Die Edhi Foundation ist - nach eigenen Angaben - die größte Wohlfahrtstiftung Pakistans. Sie gewährt u.a. Unterkunft für Waisen und Behinderte, eine kostenlose Versorgung in Krankenhäusern und Apotheken, sowie Rehabilitation von Drogenabhängigen, kostenlose Heilbehelfe, Dienstleistungen für Behinderte sowie Hilfsmaßnahmen für die Opfer von Naturkatastrophen (Edhi o.D.).

Die pakistanische Entwicklungshilfeorganisation National Rural Support Programme (NRSP) bietet Mikrofinanzierungen und andere soziale Leistungen zur Entwicklung der ländlichen Gebiete an. Sie ist in 70 Bezirken der vier Provinzen – inklusive Azad Jammu und Kaschmir – aktiv. NRSP arbeitet mit mehr als 3,4 Millionen armen Haushalten zusammen, welche ein Netzwerk von ca. 217.000 kommunalen Gemeinschaften bilden (NRSP o.D).

Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen fällt vorwiegend in die Zuständigkeit der Provinzen. In der Organisation wird zwischen Primär-, Sekundär- und Tertiärversorgung unterschieden. Die Primärversorgung erfolgt in Basic Health Units (BHU) und Rural Health Centers mit einem Einzugsbereich von 25.000 bis 100.000 Menschen. Die Sekundärversorgung erfolgt in Tehsil Head Quarters und District Head Quarters mit einem Einzugsbereich von 500.000 bis 3 Millionen Menschen. Diese Einrichtungen bieten eine große Zahl ambulanter und stationärer Behandlungen an. Der tertiäre Sektor bietet eine hoch spezialisierte stationäre Versorgung (IJARP 10.2017). Im Verhältnis gibt es einen Arzt für 957 Personen, ein Krankenhausbett für 1.500-1.600 Personen und einen Zahnarzt für 9.730 Personen. Das relative Verhältnis des medizinischen Personals zur Bevölkerungszahl hat sich in den vergangenen Jahren leicht verbessert (HRCP 3.2019; vgl. HRCP 18.4.2018).

In staatlichen Krankenhäusern, die i.d.R. europäische Standards nicht erreichen, kann man sich bei Bedürftigkeit kostenlos behandeln lassen. Da Bedürftigkeit offiziell nicht definiert ist, reicht die Erklärung aus, dass die Behandlung nicht bezahlt werden kann. Allerdings trifft dies auf schwierige Operationen, z.B. Organtransplantationen, nicht zu. Hier können zum Teil gemeinnützige Stiftungen die Kosten übernehmen. Die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten ist sichergestellt (AA 29.9.2020). In Punjab erklärte der Gesundheitsminister im Februar 2019, dass die Verteilung von Krankenversicherungskarten in 36 Distrikten der Provinz gestartet wurde und bis Ende des Jahres 2019 abgeschlossen sein wird. Die Krankenversicherung umfasst die Behandlung von acht Krankheiten (z.B Kardiologie, Neurologie usw.) bis zu einem Grenzwert von 720.000 PKR (ca. 3.800 EUR; Anm.). Die Krankenversicherung gilt sowohl für die öffentlichen und privaten Krankenhäuser (HRCP 4.2020).

Es gibt staatliche Sozialleistungen für Angestellte in Betrieben mit mehr als fünf Mitarbeitern und bis zu einem Gehalt von 18.000 PKR (ca. 96 EURO) pro Monat (22.000 PKR in Punjab) sowie für von ihnen abhängige Personen. Ausgenommen von den Sozialleistungen sind Mitarbeiter in Familienbetrieben und Selbständige. Für Mitarbeiter im öffentlichen Dienst und der Eisenbahn sowie Mitglieder der Armee, der Polizei und der örtlichen Verwaltung gibt es eigene Systeme. Begünstigte erhalten allgemeinmedizinische Leistungen, Medikamente, Krankenhausbehandlungen und Krankentransporte. Während der Krankheit wird 75 % des Gehalts weiterbezahlt (100 % bei Tuberkulose und Krebs; in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa generell 50 % Gehaltsfortzahlung). Die Begünstigung setzt sich bei Beendigung des Dienstverhältnisses für sechs Monate oder für die Dauer der Krankheit (je nachdem, welcher Zeitpunkt früher eintritt) fort (USSSA 3.2019). Das staatliche Wohlfahrts-Programm Bait-ul-Mal vergibt Unterstützungsleistungen und fördert die Beschaffung von Heilbehelfen (PBM o.D.). Die nichtstaatliche Entwicklungshilfeorganisation Aga Khan Development Network betreibt landesweit 450 Kliniken, fünf Krankenhäuser sowie ein Universitätskrankenhaus in Karatschi und fördert zahlreiche Projekte auf lokaler Ebene, um den Zugang zur Grundversorgung zu verbessern (AKDN o.D.).

Die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten ist sichergestellt, wobei diese für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich sind. In den modernen Krankenhäusern in den Großstädten kann - unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit - eine Behandlungsmöglichkeit für die meisten in Rede stehenden Krankheiten festgestellt werden. Auch die meisten Medikamente, wie z.B. Insulin, können in den Apotheken in ausreichender Menge und Qualität erworben werden (AA 29.9.2020).

In Punjab erklärte der Gesundheitsminister im Februar 2019, dass die Verteilung von Krankenversicherungskarten in 36 Distrikten der Provinz gestartet wurde und bis Ende des Jahres 2019 abgeschlossen sein wird. Die Krankenversicherung umfasst die Behandlung von acht Krankheiten (z.B. Kardiologie, Neurologie usw.) bis zu einem Grenzwert von 720.000 PKR. Die Krankenversicherung gilt sowohl für die öffentlichen und privaten Krankenhäuser (HRCP 4.2020).

Mehr als 15 Millionen Menschen in Pakistan leiden an einer psychischen Erkrankung (BBC 29.9.2016; vgl. Dawn 13.5.2019), jedoch gibt es nur etwa 500 qualifizierte Psychiater, vorwiegend in den Großstädten. In konservativen Regionen ist eine psychische Erkrankung mit einem sozialen Stigma verbunden (Dawn 13.5.2019; vgl. BBC 29.9.2016). Der Mangel an Psychiatern in peripheren Regionen sowie die Kosten der Behandlung sind für durchschnittliche Menschen unleistbar (Dawn 13.5.2019; vgl. Dawn 15.7.2019). Die Telefonseelsorge Talk2Me ist kostenlos und rund um die Uhr erreichbar und führt 75-90 psychologische Beratungen pro Woche durch (Dawn 13.5.2019).

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährleistet Bewegungsfreiheit im Land sowie uneingeschränkte internationale Reisen, Emigration und Repatriierung. Die Regierung schränkt den Zugang zu bestimmten Gebieten der ehemaligen FATA und Belutschistan aufgrund von Sicherheitsbedenken ein (USDOS 11.3.2020). Die starke Militärpräsenz in den Gebieten Azad Jammu and Kashmir (AJK) sowie Gilgit-Baltistan (GB) und die Gefahr von Beschuss und anderer Gewalt entlang der Grenzkontrolllinie schränken die Bewegungsfreiheit der Zivilbevölkerung im Land ein (FH 4.3.2020a). Es gibt einige rechtliche Beschränkungen für Reisen und die Möglichkeit, den Wohnsitz, die Beschäftigung oder die Hochschuleinrichtung zu wechseln. In einigen Teilen des Landes behindern die Behörden aus Sicherheitsgründen routinemäßig die interne Mobilität (FH 4.3.2020b).

Meldewesen

Pakistan verfügt über eine der weltweit umfangreichsten Bürger-Registrierungssysteme. Die zuständige Behörde ist die National Database & Registration Authority (NADRA) (PI 1.2019). Die Provinzen Belutschistan, Khyber Pakhtunkhwa, Punjab und Sindh sowie das Hauptstadtterritorium Islamabad haben ein System für die Registrierung der Bewohner. In den Provinzen Azad-Jammu und Kaschmir, Gilgit-Baltistan und den ehemaligen FATA konnten laut IRBC keine Infos über solche Registrierungssyteme gefunden werden. In allen vier Provinzen besteht jedoch eine Meldepflicht. Die Gesetze werden allerdings nur lückenhaft umgesetzt, aber Vergehen werden in allen Provinzen streng geahndet. Die zuständige Behörde zur Erhebung der Meldedaten ist die Polizei. Die Bezirksleiter der Polizei sind für die lückenlose Erfassung der Bewohner in ihren Bezirken verantwortlich (IRBC 23.1.2018).

Bei gemieteten Räumlichkeiten ist es die Pflicht des Mieters oder Vermieters oder auch des Immobilienhändlers, der Polizei zusammen mit dem Mietvertrag vollständige Angaben über den Mieter zu machen. In den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa müssen zusätzlich noch zwei Referenzpersonen genannt werden, die den Bewohner identifizieren können. Hotels sind verpflichtet, Informationen über ihre Gäste zu übermitteln sowie diese Informationen zu archivieren und für die Polizei jederzeit einsehbar zu halten (IRBC 23.1.2018).

Um als Wähler in einem Wahlkreis registriert zu werden, muss man mittels Digitaler Nationaler Identitätskarte (NIC) nachweisen, Bewohner dieses Wahlkreises zu sein (ECP o.D.). Auf der NIC ist neben der permanenten Adresse auch die derzeitige Wohnadresse der Person angeführt (VB 4.11.2018).

Dokumente

Pakistan verfügt über eines der weltweit umfangreichsten Bürger-Registrierungssysteme. Die zuständige Behörde ist die National Database & Registration Authority (NADRA) (PI 1.2019). NADRA ist für die Ausstellung unterschiedlicher Ausweisdokumente zuständig (NADRA o.D.). Über 96 % der Bürger Pakistans verfügen über biometrische Personalausweise (PI 1.2019). Die National Identity Card (NIC) wird für Staatsbürger über 18 Jahre ausgestellt und ist mit einer einzigartigen 13-stelligen Personennummer versehen (NADRA o.D.). Die 2012 eingeführte Smart National Identity Card (SNIC) hat auf einem Chip zahlreiche biometrische Merkmale gespeichert und soll bis 2020 die älteren Versionen der NIC vollständig ersetzen (PI 1.2019). Eine SNIC wird benötigt, um beispielsweise Führerschein oder Reisepass zu beantragen, ein Bankkonto zu eröffnen und eine SIM-Karte oder Breitbandinternet zu erhalten (PI 1.2019; vgl. NADRA o.D.).

Weitere durch NADRA ausgestellte Dokumente sind die Pakistan Origin Card (POC) für ausländische Staatsbürger, die früher pakistanische Staatsangehörige waren bzw. deren Eltern oder Großeltern pakistanische Staatsbürger sind oder waren; National Identity Card for Overseas Pakistanis (NICOP) für Pakistani im Ausland, Emigranten oder Personen mit Doppelstaatsbürgerschaft; Child Registration Certificates (CRC) für alle Personen unter 18 Jahren (NADRA o.D.).

Dokumentenfälschungen sind in Pakistan ein weit verbreitetes Phänomen, v.a. von manuell angefertigten Dokumenten. Um gefälschte Dokumente zu erlangen, werden meist Bestechungsgelder bezahlt und/oder politischer Einfluss bzw. Kontakte von Familie und Freunden genutzt. Manche Dokumente sind sogar online oder in Märkten erhältlich. Folgende Dokumente werden regelmäßig gefälscht: Zeugnisse, akademische Titel, Empfehlungsschreiben, Geburts-, Todes-, Heirats- und Scheidungsurkunden, finanzielle Belege/Bestätigungen bzw. Kontoauszüge, Besitzurkunden, polizeiliche Dokumente (u.a. First Information Reports / FIRs), Einreise- und Ausreisestempel in Reisepässen sowie ausländische Visa (ÖB 5.2020).

Angesichts weit verbreiteter Korruption und des unzureichenden Zustands des Zivilstandswesens ist es einfach, fiktive oder verfälschte Standesfälle (Geburt, Tod, Eheschließung) in ein echtes Personenstandsregister eintragen zu lassen und auf der Basis dieser Eintragung formal echte Urkunden ausgestellt zu bekommen. Merkmale auf modernen Personenstandsurkunden und Reisepässen zur Erhöhung der Fälschungssicherheit können bereits bei der Dateneingabe durch korruptionsanfällige Verwaltungsbeamte mühelos unterlaufen werden. Es ist in Pakistan problemlos möglich, ein (Schein-)Strafverfahren gegen sich selbst in Gang zu bringen, in dem die vorgelegten Unterlagen (z.B. „First Information Report“, FIR) dann formal echt sind. Ebenso ist es ohne große Anstrengungen möglich, Zeitungsartikel, in denen eine Verfolgungssituation geschildert wird, gegen Bezahlung oder dank Beziehungen veröffentlichen zu lassen (AA 29.9.2020).

[Beweisquelle: LIB Februar 2021 mwN]

Zugang zu psychiatrischer Versorgung

Anfragebeantwortung zu Pakistan: Lage von Personen mit psychischen Erkrankungen [a-11252] vom 30. April 2020:

Allgemeiner Überblick: psychiatrische Versorgung in Pakistan, gesellschaftliche Wahrnehmung und Deutungsmuster von psychischen Erkrankungen

Ein Artikel von BBC News vom September 2016 berichtet unter Bezugnahme auf Schätzungen der Non-Profit-Organisation Pakistan Association for Mental Health, dass über 15 Millionen PakistanerInnen an einer psychischen Krankheit leiden würden. Der Artikel fährt fort, dass in dem Land mit circa 180 Millionen EinwohnerInnen nur fünf von der Regierung betriebene psychiatrische Spitäler zur Verfügung stünden und weniger als 300 qualifizierte PsychiaterInnen praktizieren würden.

„More than 15 million people in Pakistan suffer from some form of mental illness, according to the latest estimate by the Pakistan Mental Health Association. But there are only five government-run psychiatric hospitals for a population of 180 million. And there are fewer than 300 qualified psychiatrists practising in Pakistan.“ (BBC News, 29. September 2016)

Die englischsprachige pakistanische Tageszeitung Dawn zitiert in einem bereits 2014 erschienenen Artikel zum Thema Vernachlässigung psychisch Erkrankter Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und geht davon aus, dass zehn bis 16 Prozent der Bevölkerung Pakistans von psychischen Erkrankungen betroffen seien, die große Mehrheit davon Frauen. Es gebe nur 400 PsychiaterInnen und fünf psychiatrische Spitäler, was ein alarmierendes Verhältnis von einem oder einer PsychiaterIn pro 500.000 EinwohnerInnen ergebe:

„The most shamefully neglected health field in Pakistan, mental illness afflicts 10 – 16 per cent of the population; with a large majority of those affected being women. According to the WHO, only 400 psychiatrists and 5 psychiatric hospitals exist within the entire country for a population exceeding 180 million. This roughly translates to an alarming psychiatrist-to-person ratio of 1 to half a million people.“ (Dawn, 20. September 2014)

Detaillierte Informationen zur Situation des pakistanischen Gesundheitssystems im Hinblick auf psychische Erkrankungen finden sich in einem bereits 2009 von der WHO und dem pakistanischen Gesundheitsministerium herausgegebenen Bericht:

WHO – World Health Organisation, Ministry of Health Pakistan: WHO-AIMS Report on Mental Health System in Pakistan, 2009. https://www.who.int/mental_health/pakistan_who_aims_report.pdf

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) veröffentlichte am 17. Juni 2018 eine Schnellrecherche zum Thema Zugang zu psychiatrischer Versorgung in Pakistan:

SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe: Pakistan: Zugang zu psychiatrischer Versorgung, 27. Juni 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/2018164/180627-pak-soins-psychiatriques-d.pdf

In einem Beitrag des Routledge Handbook of Psychiatry in Asia zu Pakistan, das 2016 herausgegeben wurde, beruft sich der Autor Rizwan Taj auf eine Quelle aus dem Jahr 2004 und beschreibt, dass in der pakistanischen Gesellschaft, verstärkt durch den Glauben traditioneller Wunderheiler („faith healers“), weithin angenommen werde, dass psychische Erkrankungen durch übernatürliche Kräfte wie Inbesitznahme durch Geister oder durch eine Prüfung Gottes verursacht würden. Familien von Betroffenen würden normalerweise als erstes religiöse Heiler aufsuchen. PakistanerInnen würden großes Vertrauen in religiöse Heiler und die von ihnen verwendeten koranischen Texte haben, was die Heiler in eine mächtige Position bringen würde, den Menschen bei der Lösung ihrer psychologischen Probleme zu helfen. Die traditionellen Heiler würden Talismane verwenden und sie den Familien der PatientInnen geben. Der Autor berichtet von einer Studie aus dem Jahr 2000, die ergeben habe, dass Heiler („faith healers“) eine Klassifizierung verwenden würden, die auf der Unterscheidung nach den unterschiedlichen mystischen Ursachen einer Störung basiere, wie etwa die Verursachung der Störung durch einen bösen Fluch („saya“), durch die Besessenheit von einem bösen Geist („jinn“) oder einer Hexe („churail“):

„It is widely perceived by members of the community, reinforced by the beliefs of traditional faith healers, that mental illness is caused by supernatural forces such as spirit possession or testing by God [...]. Religious healers are usually the first group of practitioners sought out by families of the mentally ill. Pakistani people have strong faith in religious healers and the Quranic texts used by them, which places these healers in a powerful position to help people solve their psychosocial problems. The traditional healers use talismans and give them to the families of the patients. [...] In a study that investigated mental disorders among attenders at faith healers, it was found that the classification used by faith healers was based on the mystic cause of disorders: saya (27 per cent), jinn possession (16 per cent) or churail possession (14 per cent). Jinn or churail are considered supernatural creatures.“ (Taj, 2016, S. 113)

The News on Sunday ist ein wöchentlich erscheinendes Magazin der englischsprachigen pakistanischen Tageszeitung The News International. The News on Sunday veröffentlichte am 16. Februar 2020 einen Artikel zum Thema Mythen über psychische Gesundheit, in dem es heißt, dass psychische Erkrankungen oft mit übernatürlichen Kräften wie Hexerei, Besessenheit und schwarzer Magie assoziiert würden. Es gebe viele Mythen über psychisch Erkrankte. So würden etwa Menschen mit Psychosen gemieden, weil sie für gewalttätig gehalten würden. Es werde auch geglaubt, dass psychische Störungen ansteckend seien, in dem Sinn, dass der im Patienten befindliche böse Geist auch mit diesem interagierende Personen plagen könne. Viele Menschen würden das Gefühl haben, dass Schreine die beste Chance auf Genesung von einer solchen Erkrankung bieten würden. Nachdem ein funktionierendes formelles Gesundheitswesen fehle, würden traditionelle spirituelle Heiler in Pakistan das Sagen haben. Gemeinhin bekannt als Baba, Pir oder Sufi, seien die spirituellen Heiler in der Gemeinschaft sehr angesehen. Sie würden in ihren Residenzen, Kliniken, Schreinen oder Moscheen praktizieren und psychische Erkrankungen mit Besessenheit von bösen Geistern oder von Feinden ausgehende magische Einflüssen erklären:

„Mental illness is often associated with supernatural forces such as witchcraft, possession, and black magic. [...] There are many myths regarding the mentally ill. People who have psychosis are shunned as violent. Secondly, it is believed that mental disorders are communicable, that is, the evil spirit of the patient can afflict the persons interacting with the patient. Thirdly, many people feel that shrines offer the best chance of recovery from the affliction. [...] In the absence of a formal functioning health system that is adequate for the needs of the population, traditional spiritual healers call the shots in Pakistan. Popularly known as baba, pir, or Sufi, the spiritual healers are well respected i

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten