Entscheidungsdatum
24.06.2021Norm
AsylG 2005 §7Spruch
W123 1416071-3/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über den Antrag des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Proxauf Meyer Zeilinger Rechtsanwälte GmbH, StA. Afghanistan, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.05.2021, W123 1416071-2/13E, abgeschlossenen Verfahrens:
A)
Der Antrag auf Wiederaufnahme wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Antragsteller, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 22.02.2010 einen Antrag auf internationalen Schutz und gab in der Erstbefragung am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu seinem Fluchtgrund an, dass er von den Taliban bedroht worden sei, wenn er etwas habe lernen wollen. Er habe kein Radio und keinen Fernseher haben dürfen, nichts zu essen gehabt und keiner Arbeit nachgehen können. Sein Cousin sei von den Taliban ermordet worden.
2. Am 26.2.2010 fand eine Einvernahme des Antragstellers vor der belangten Behörde statt, in der er zu seinem Fluchtgrund angab, von den Taliban bedroht worden zu sein, weil er für sie hätte arbeiten sollen.
3. Am 06.05.2010 wurde der Antragsteller neuerlich vor der belangten Behörde einvernommen und zu einem eingeholten gerichtsmedizinischen Gutachten – laut dem der Antragsteller entgegen seiner Angaben bereits volljährig sei – befragt.
4. Am 17.06.2010 fand eine weitere Einvernahme des Antragstellers vor der belangten Behörde statt. Dabei gab er zu seinem Fluchtgrund an, die Taliban hätten seinen Cousin und weitere Jugendliche aus seiner Ortschaft in den Krieg mitgenommen und würden Schiiten umbringen. Er sei drei Mal von ihnen geschlagen worden: zweimal, weil er Radio gehört habe und einmal grundlos.
5. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 06.10.2010 wurde der Antrag des Antragstellers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Der Antragsteller wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen.
6. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 26.02.2013 wurde der Beschwerde des Antragstellers vom 27.10.2010 gegen den obgenannten Bescheid stattgegeben, dem Antragsteller gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
7. Der Antragsteller wurde am 19.02.2020 vom Landesgerichts Innsbruck zu einer bedingten Freiheitsstrafe und einer unbedingten Geldstrafe verurteilt.
8. Daraufhin leitete die belangte Behörde am 23.07.2020 von Amts wegen ein Aberkennungsverfahren gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ein.
9. Am 03.09.2020 fand eine Einvernahme vor der belangten Behörde statt, in der der Antragsteller zusammengefasst angab, dass er in seiner Heimat nicht sicher sei, die Taliban ihn als Kind geschlagen hätten und ihn überall finden könnten.
10. Mit dem Bescheid der belangten Behörde vom 08.09.2020 wurde gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 dem Antragsteller der ihm mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 26.02.2013 zuerkannte Status des Asylberechtigten aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 57 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG zulässig ist und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist für seine freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkte IV.-VI.).
11. Dagegen richtete sich die fristgerecht am 23.09.2020 eingebrachte Beschwerde, in der der Antragsteller zusammengefasst ausführte, er leide nach wie vor unter einer schweren psychischen Erkrankung und werde weiterhin auch in anderen Landesteilen bedroht. Die Sicherheitslage in Afghanistan habe sich verschlechtert. Sein Privatleben finde ausschließlich in Österreich statt, wo er in hohem Maß integriert und selbsterhaltungsfähig sei. Er spreche gut Deutsch und habe keine Familie mehr in Afghanistan.
12. Am 15.04.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.
13. Mit Schriftsatz vom 21.05.2021 erstattete der Antragsteller eine Stellungnahme und brachte zusammenfassend vor, dass Personen ohne einen Angehörigen selbst in Notfällen in psychiatrischen Krankenhäuser nicht stationär aufgenommen würden. Der Antragsteller habe konsistent angegeben, dass seine Familie in Pakistan sei. Aus dem Länderbericht gehe hervor, dass psychisch kranke Menschen und solche, die kein familiäres Netzwerk zur Verfügung haben, wenig bis kaum selbsterhaltungsfähig in Afghanistan seien. Das entspreche auch der Einschätzung des Asylgerichtshofes aus dem Jahr 2013 in Bezug auf den Antragsteller, als das Gericht befunden habe, dass er alleine in Afghanistan nicht lebensfähig wäre. Weiters stellte er einen Antrag auf Einholung eines psychiatrischen oder psychologischen Sachverständigengutachtens, in eventu Fristeinräumung zur Beibringung einer sachverständigen Stellungnahme, in eventu Aufforderung der belangten Behörde, Befund und Diagnose der Heilung des Antragstellers vorzulegen.
14. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.05.2021 wurde die Beschwerde des Antragstellers gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 08.09.2020 als unbegründet abgewiesen. Die Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung lauten auszugsweise wie folgt:
„2.1.2. Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer an keinen lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Krankheiten leidet, beruht auf seinen Angaben, – abgesehen von psychischen Problemen – keine gesundheitlichen Probleme zu haben.
Aus der vom Beschwerdeführer vorgelegten psychotherapeutischen Stellungnahme gehen die festgestellte psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung hervor. In diesem Zusammenhang ist jedoch anzuführen, dass die mehrjährige psychotherapeutische Behandlung im Jahr 2014 beendet wurde bzw. die kurzfristige psychiatrische Behandlung bereits 9 Jahre zurückliegt (vgl. Psychotherapeutischen Stellungnahme vom 12.04.2021, Beilage zur Verhandlungsniederschrift). Zwar soll sich der Beschwerdeführer auch im Jahr 2017 in psychiatrischer Behandlung befunden haben, jedoch wurden diesbezüglich keine Bestätigungen vorgelegt und läge eine solche Behandlung auch schon 4 Jahre zurück.
Auch aktuelle fachärztliche Befunde wurden seitens des Beschwerdeführers nicht vorgelegt. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Stellungnahme der Psychotherapeutin um keinen fachärztlichen Befund mit entsprechender Diagnose handelt. Von der Einholung eines psychologischen bzw. psychiatrischen Gutachtens (vgl. die jüngste Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 21.05.2021) konnte schon deshalb Abstand genommen werden, da es zunächst am Beschwerdeführer gelegen wäre, durch Übermittlung ärztlicher Befunde, seine Behauptung, an einer derart schweren psychischen Erkrankung zu leiden, die einer Abschiebung nach Afghanistan entgegenstünde, zu bescheinigen. Aufgrund der aktuell vorliegenden Unterlagen ist jedenfalls nicht davon auszugehen, dass der psychische Zustand des Beschwerdeführers ein relevantes Ausmaß im Sinne der Rechtsprechung aufweist (vgl. dazu ausführlich unten, 3.7.4.).
[..]
3.7.4. Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer angegebenen psychischen Probleme weist das Bundesverwaltungsgericht auf Folgendes hin:
Der Verfassungsgerichtshof führte zusammengefasst aus, dass sich aus den Entscheidungen des EGMR ergebe, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht habe, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leide oder selbstmordgefährdet sei. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver sei, sei unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gebe. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führe die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche würden etwa vorliegen, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt werden würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (EGMR 02.05.1997, 30.240/96, D. v. United Kingdom).
In Bezug auf psychische Erkrankungen, wie z.B. schweren Depressionen und Posttraumatische Belastungsstörungen mit suizidaler Einengung, haben nachfolgende, sich aus der Rechtsprechung des EGMR ergebende Überlegungen (vgl. auch VfGH 06.03.2008, B 2400/07 sowie Premiszl, Migralex 2/2008, 54ff, Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren" mwN auf die Judikatur des EGMR) für eine Art. 3-EMRK-konforme Entscheidung mit einzufließen:
Schwere psychische Erkrankungen erreichen solange nicht die erforderliche Gravität, als es nicht zumindest einmal zu einer Zwangseinweisung in eine geschlossene Psychiatrie gekommen ist. Sollte diese allerdings schon länger als ein Jahr zurückliegen und in der Zwischenzeit nichts Nennenswertes passiert sein, dürfte von keiner akuten Gefährdung mehr auszugehen sein. Die lediglich fallweise oder auch regelmäßige Inanspruchnahme von psychiatrischen oder psychotherapeutischen Leistungen einschließlich freiwilliger Aufenthalte in offenen Bereichen psychiatrischer Kliniken indiziert eine fehlende Gravität der Erkrankung.
Mentaler Stress, der durch eine Abschiebungsentscheidung hervorgerufen wird, rechtfertigt nicht die Abstandnahme von der Effektuierung dieser Entscheidung.
Auch wenn eine akute Suizidalität besteht, ist ein Vertragsstaat nicht dazu verpflichtet, von der Durchführung der Abschiebung Abstand zu nehmen, wenn konkrete risikominimierende Maßnahmen getroffen werden, um einen Selbstmord zu verhindern. Die Zusicherung von Garantien, welche von der die Abschiebung durchführenden Polizei zu beachten sind (zB die Charterung eines eigenen, mit einem ärztlichen Team ausgestatteten Flugzeuges), reiche hierzu aus. Dies gilt auch für den Fall bereits mehrerer vorangegangener Suizidversuche.
Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.
In Afghanistan ist jedenfalls eine medizinische Grundversorgung gewährleistet bzw. sind psychische Erkrankungen in Mazar-e Sharif bzw. Herat behandelbar. Dass die diesbezüglichen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland allenfalls schlechter sind als im Aufenthaltsland, und (allfällig) "erhebliche Kosten" verursachen, ist gemäß der Judikatur des EGMR nicht ausschlaggebend. Eine akute lebensbedrohende Krankheit des Beschwerdeführers, welche eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß der dargestellten Judikatur des EGMR unzulässig machen würde, liegt im konkreten Fall jedenfalls nicht vor.
Im gegenständlichen Fall mag es zwar sein, dass die Qualität und Anzahl an Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat hinter denen in Österreich zurückbleiben, aufgrund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens ist jedoch bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen festzustellen, dass hierdurch im gegenständlichen Fall die vom EGMR verlangten außerordentlichen Umstände nicht gegeben sind (vgl. hierzu insbesondere auch EGMR 06.02.2001, 44599, Bensaid v. United Kingdom, oder auch VwGH 07.10.2003, 2002/01/0379).“
15. Mit Schriftsatz vom 31.05.2021, eingelangt am 01.06.2021, stellte der Antragsteller den gegenständlichen Antrag auf Wiederaufnahme. Begründend führte er darin aus, es liege der Wiederaufnahmegrund nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG vor, weil ihm die – mit dem Antrag vorgelegte – „Bestätigung Psychotherapie“ erst am 25.05.2021 vorgelegen sei. Aus dieser gehe hervor, dass die im Rahmen des Verfahrens mögliche Abschiebung zu schweren Retraumatisierungssymptomatiken geführt habe. Die psychische Erkrankung des Antragstellers bestehe weiterhin fort und habe durchgehend bestanden. Die Stellungnahme widerlege damit, die laienhafte Annahme im Verfahren, dass der Antragsteller wieder gesund sei. Der Rechtsvertreter habe keinen Grund zur Annahme gehabt, dass das Gericht alle Anträge seines Schriftsatzes vom 21.05.2021 ignorieren und eine Entscheidung fußend auf einer laienhaften Annahme erlassen würde. Ein anderes Ergebnis sei wahrscheinlich, weil ein Nachweis der Krankheit vorliege und die Unzumutbarkeit der Rückkehr geprüft werden müsse.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Der oben unter I. wiedergegebene Sachverhalt wird festgestellt.
1.2. Der Antragsteller befindet sich derzeit auf der Warteliste für einen Einzelpsychotherapieplatz.
2. Beweiswürdigung
Der für diese Entscheidung maßgebliche Sachverhalt ergibt sich zweifelsfrei aus der Aktenlage.
Aus der mit dem Antrag vorgelegten „Bestätigung Psychotherapie“ ist ersichtlich, dass der Antragsteller auf der Warteliste für einen Einzelpsychotherapieplatz ist.
3. Rechtliche Beurteilung
Zu A)
3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 59 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, des AgrVG, und des DVG und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist. Mit Fuchs (in Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 32 VwGVG Anm. 13, Stand 1.10.2018, rdb.at) ist der Systematik des VwGVG folgend anzunehmen, dass sämtliche Entscheidungen über Wiederaufnahmeanträge - als selbstständige Entscheidungen - in Beschlussform zu erfolgen haben (ebenso Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahren der Verwaltungsgerichte2, 2017, § 32 VwGVG K 29).
3.2. § 32 VwGVG – Wiederaufnahme des Verfahrens lautet:
„(1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn
1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder
3. das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder
4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
(4) Das Verwaltungsgericht hat die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.
(5) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.“
3.3. Wie die Materialien zum Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte 2014 (RV 2009 Blg NR 24. GP, 7) erkennen lassen, sind die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG 2014 denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet. Auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe kann folglich zurückgegriffen werden (VwGH 28.06.2016, Ra 2015/10/0136).
Der gegenständliche Antrag zielt darauf ab, das mit dem oben angeführten Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts rechtskräftig abgeschlossene vorangegangene Verfahren des Antragsteller aufgrund neuer Tatsachen bzw. Beweismittel iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG wieder aufzunehmen.
Die Wiederaufnahme des Verfahrens setzt u.a. die Eignung der neuen Tatsachen oder Beweismittel voraus, dass diese allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Ergebnis herbeigeführt hätten. Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beantworten ist; ob tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zustande kommt, ist sodann eine Frage, die im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist (vgl. VwGH vom 19. April 2007, 2004/09/0159). Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund (ungeachtet des Erfordernisses der Neuheit) also nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das Bundesverwaltungsgericht entweder die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens bildende Entscheidung oder zumindest die zum Ergebnis dieser Entscheidung führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (vgl. VwGH vom 19. April 2007, 2004/09/0159).
Der Wiederaufnahmewerber hat den Grund, auf den sich das Wiederaufnahmebegehren stützt, in seinem Antrag aus eigenem Antrieb konkretisiert und schlüssig darzulegen. Sein Antrag kann nur dann zur Wiederaufnahme führen, wenn er Tatsachen vorbringt, auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit zutrifft, dass sie im wiederaufzunehmenden Verfahren zu einem anderen Bescheid geführt hätten (vgl. zu § 69 Abs. 1 Z 2 AVG VwGH 19.2.2014, 2013/08/0275; 26.4.2013, 2011/11/0051, mwN; zur Übertragbarkeit der zu § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergangenen Judikatur auf den wortgleichen § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG siehe VwGH 8.9.2015, Ra 2014/18/0089).
3.4. Daraus folgt für den gegenständlichen Sachverhalt:
Wie bereits aus der im Erkenntnis vom 27.05.2021 wiedergegeben – und im Verfahrensgang unter Pkt. 14 zitierten – Rechtsprechung hervorgeht, erreichen schwere psychische Erkrankungen solange nicht die erforderliche Gravidität, als es nicht zumindest einmal zu einer Zwangseinweisung in eine geschlossene Psychiatrie gekommen ist. Sollte diese allerdings schon länger als ein Jahr zurückliegen und in der Zwischenzeit nichts Nennenswertes passiert sein, dürfte von keiner akuten Gefährdung mehr auszugehen sein. Die lediglich fallweise oder auch regelmäßige Inanspruchnahme von psychiatrischen oder psychotherapeutischen Leistungen einschließlich freiwilliger Aufenthalte in offenen Bereichen psychiatrischer Kliniken indiziert eine fehlende Gravität der Erkrankung. Außerdem rechtfertigt mentaler Stress, der durch eine Abschiebungsentscheidung hervorgerufen wird, nicht die Abstandnahme von der Effektuierung dieser Entscheidung.
In Anbetracht dessen sind das vorgebrachte (Fort-)Bestehen einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie von Retraumatisierungssymptomatiken aufgrund der bevorstehenden möglichen Abschiebung nicht geeignet, zu einem anderslautenden Ergebnis zu führen, zumal der Antragsteller nicht einmal behauptete, mittlerweile in Behandlung zu stehen und sich bloß auf der Warteliste für einen Therapieplatz befindet.
Es bestehen auch sonst weiterhin keine Anhaltspunkte dafür, dass beim Antragsteller eine psychische Erkrankung vorliege, welche eine entscheidungsrelevante Intensität aufweise.
3.5. Die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG sind somit nicht erfüllt und war daher der Antrag auf Wiederaufnahme abzuweisen.
3.6. Da der Sachverhalt aus der Aktenlage als geklärt anzusehen ist und es sich bei der Einordnung, ob die Eignung eines vorgebrachten Wiederaufnahmegrundes vorliegt, um eine Rechtsfrage handelt (vgl. VwGH 19.04.2007, 2004/09/0159; Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 32 VwGVG Anm. 9), konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018; VfGH 14.03.2012, U 466/11 ua.).
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die unter A) zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Schlagworte
Voraussetzungen Wiederaufnahme Wiederaufnahmeantrag WiederaufnahmegrundEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W123.1416071.3.00Im RIS seit
21.12.2021Zuletzt aktualisiert am
21.12.2021