TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/28 L516 2169870-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.07.2021
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Entscheidungsdatum

28.07.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


L516 2169870-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch MigrantInnenverein St Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.08.2017, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.12.2020 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bangladesch und stellte am 25.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs 1 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.

Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache am 04.12.2020 eine mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer mit seiner Vertretung teilnahmen; die belangte Behörde erschien nicht.

1. Sachverhaltsfeststellungen:

[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; EB=Erstbefragung; EV=Einvernahme; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht; S=Seite; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich; SD=Staatendokumentation des BFA; LIB=Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA]

1.1 Zum Beschwerdeführer

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen und sowie die ebenso dort angeführten Geburtsdaten. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bangladesch; er gehört der Volksgruppe der Bengalen und der hinduistischen Glaubensgemeinschaft an. Mangels Vorliegen von Identitätsdokumenten konnte die Identität jedoch nicht abschließend festgestellt werden. Das Feststehen der Identität eines Fremden ist jedoch keine besondere gesetzliche Voraussetzung für die Gewährung von Asyl (VwGH 26.09.2007, 2007/19/0086).

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten. (Strafregister der Republik)

Der Beschwerdeführer stammt aus XXXX . Er besuchte keine Schule, ist Analphabet und machte auch keine Ausbildung. Er verließ Bangladesch im Alter von 6 Jahren und wurde nach Indien zu einem Onkel gebracht, nachdem sein Vater im Jahr 2005 in Bangladesch verstorben war. Der Beschwerdeführer kehrte nicht wieder nach Bangladesch zurück, sondern wuchs ohne Eltern in Indien auf der Straße auf und arbeite in Indien und später auch in Pakistan, im Iran, in der Türkei, Griechenland und anderen Ländern als Tagelöhner und Gelegenheitsarbeiter. Die Mutter lebt wieder in Bangladesch. (NS EB 25.08.2015 S 1, 3, 4; NS EV 27.06.2017 S 3, 5; VS 04.12.2020 S 5, 8, 9 ff)

1.2 Zum Fluchtgrund und zur Rückkehrbefürchtung

Der Beschwerdeführer ist homosexuell, lebt seine sexuelle Orientierung auch aus und möchte dies auch weiterhin tun können.

1.3 Zur Lage in Bangladesch

(Beweisquelle: Länderinformation der Staatendokumentation, Bangladesch, 18.11.2020, Version 3)

SOGI - Sexuelle Orientierung und Genderidentität

Letzte Änderung: 13.11.2020

Homosexuelle Handlungen sind illegal und können nach § 377 des „Bangladesh Penal Code, 1860“ (BPC) mit lebenslangem Freiheitsentzug (ILGA 3.2019), mit einer Haftstrafe von bis zu zehn Jahren, inklusive der Möglichkeit einer Geldstrafe, bestraft werden (ILGA 3.2019; vgl. AA 21.6.2020). Traditionell tendiert die Bevölkerung zu einer gemäßigten Ausübung des Islam, die Sexualmoral ist allerdings konservativ (ÖB 9.2020). Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft (Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender und Intersex) berichteten, dass die Polizei das Gesetz als Vorwand benutzt, um LGBTI-Personen sowie feminine Männer, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, zu schikanieren (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 21.6.2020).

Homosexualität ist gesellschaftlich absolut verpönt und wird von den Betroffenen nicht offen gelebt. Wo Homosexuelle als solche erkannt werden, haben sie mit gesellschaftlicher Diskriminierung, in Einzelfällen auch mit Misshandlungen bis hin zum Mord zu rechnen (ÖB 9.2020; vgl. HRW 14.1.2020). Jedes Jahr wird über dutzende Angriffe auf Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft berichtet (FH 2020). Bei einem durch das Human Rights Forum Bangladesh (HRFB) eingereichten Bericht beim UN-Ausschuss gegen Folter vom 29.6.2019 wurden für den Zeitraum 2013 bis 2018 insgesamt 434 Beschwerden wegen schikanöser Behandlungen oder Misshandlungen angeführt. Davon betrafen 294 Fälle Angriffe gegen Angehörige sexueller Minderheiten (HRFB 22.6.2019).

Eine besondere Rolle kommt dem „dritten Geschlecht“ zu, den sogenannten „Hijras“, Eunuchen und Personen mit unterentwickelten oder missgebildeten Geschlechtsorganen. Diese Gruppe ist aufgrund einer langen Tradition auf dem indischen Subkontinent im Bewusstsein der Gesellschaft präsent und quasi etabliert. Dieser Umstand schützt sie jedoch nicht vor Übergriffen und massiver gesellschaftlicher Diskriminierung (AA 21.6.2020), auch wenn viele Hijras in klar definierten und organisierten Gemeinschaften leben, die sich seit Generationen erhalten haben. Obwohl sie eine anerkannte Rolle in der Gesellschaft Bangladeschs innehaben, bleiben sie trotzdem marginalisiert (DFAT 22.8.2019). Die Regierung verabsäumte es, den Schutz der Rechte von Hijras ordnungsgemäß durchzusetzen (HRW 14.1.2020).

LGBT-Organisationen, insbesondere für Lesben, sind selten (USDOS 11.3.2020). Es gibt keine

NGO für sexuelle Orientierung und Geschlechteridentität in Bangladesch, dafür aber NGOs wie „Boys of Bangladesh“, die „Bhandu Social Welfare Society“ und Online-Gemeinschaften wie „Roopbaan“, das lesbische Netzwerk „Shambhab“ und „Vivid Rainbow“ (ILGA 3.2019).

2019 wurde erstmals eine Vertreterin der Hijras ins Parlament gewählt. Ein sog. drittes Geschlecht wird z.T. amtlich anerkannt (AA 21.6.2020).

Religionsfreiheit

Die Verfassung erklärt den Islam zur Staatsreligion, betont aber auch das säkulare Prinzip (USDOS 12.5.2021) und verbietet religiös begründete politische Parteien. Die Jamaat-i-Islami (JI)-Partei wurde aufgrund ihrer offen islamistischen Charta von der Teilnahme an den Wahlen 2014 und 2018 ausgeschlossen, auch wenn einige JI-Mitglieder als Unabhängige kandidierten (FH 3.3.2021).

Die Gesetzgebung verbietet Diskriminierung und schafft Gleichberechtigung für alle Religionen. Etwa 89 Prozent der Bevölkerung ist sunnitischen Glaubens, zehn Prozent werden dem Hinduismus zugerechnet. Darüber hinaus gibt es Christen, Theravada-Hinayana Buddhisten, kleine Gruppen schiitischer Moslems, Bahais, Animisten, Ahmadis, Agnostiker und Atheisten. Viele Anhänger religiöser Minderheiten sind gleichzeitig Vertreter ethnischer Minderheiten und konzentrieren sich in den Chittagong Hill Tracts (CHT) und in den nördlichen Distrikten des Landes (USDOS 12.5.2021; vgl. CIA 24.5.2021).

Traditionell gilt Bangladesch als ein religiös tolerantes, islamisches Land. Regierung und bedeutende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens setzen sich in der Regel für das friedliche Zusammenleben der Religionen ein. In den letzten Jahren sehen sich die religiösen Minderheiten allerdings zunehmendem Druck und gewalttätigen Übergriffen durch islamisch-fundamentalistische Gruppen ausgesetzt. Die Polizei scheint nicht in der Lage zu sein, die religiösen Minderheiten effektiv vor Übergriffen zu schützen. In den letzten Jahren wurden auch verstärkt (teils) tödliche Angriffe auf Vertreter nicht-muslimischer Gruppen verübt, zu denen sich der Islamische Staat (IS) bekannte (ÖB 9.2020).

Die Regierung ist bemüht, Übergriffe auf religiöse Minderheiten zu unterbinden. So werden religiöse Umzüge, Feste und Gotteshäuser durch Sicherheitskräfte geschützt (ÖB 9.2020; vgl. USDOS 10.6.2020). Wo es zu Übergriffen kommt, ist nicht generell von einem rein religiösen Hintergrund auszugehen. Oft sind es auch Übergriffe krimineller Banden, denen wirtschaftliche oder soziale Motive zugrunde liegen. Vor allem in den ländlichen Regionen steigen aber die Zahlen der religiös motivierten Übergriffe auf Nicht-Muslime. Ein effektiver Schutz für Angehörige von Minderheiten scheint hier nicht zu bestehen (ÖB 9.2020). Medienberichten zufolge sollen mehreren hundert, teils mehrere tausend Anhänger der oppositionellen BPN nahestehende Organisation Hefazat-e-Islam Häuser der hinduistischen Gemeinschaft im Dorf Noagaon im Distrikt Sunamganj im Nordosten Bangladeschs angegriffen und diese geplündert und zerstört haben. Dem Überfall vorausgegangen ist eine Nachricht eines hinduistischen Mannes des betroffenen Dorfes in den sozialen Medien, indem er Kritik an einer führenden Persönlichkeit der fundamentalistischen Organisation geübt hat, die eine stärkere Einhaltung islamischer Prinzipien fordert (BAMF 22.3.2021; vgl. OD 2021).

Obwohl religiöse Minderheiten das Recht auf freie Religionsausübung haben, kommt es zu sozialer Diskriminierung, Belästigungen, Strafverfolgung wegen Missionierung und manchmal zu gewalttätigen Übergriffen auf Gebetshäuser. Minderheitengruppen - darunter Hindus, Christen, Buddhisten sowie schiitische und Ahmadiyyas sind mit Schikanen und Gewalt konfrontiert (FH 3.3.2021). Extremistisch-islamische Gruppen, insbesondere Jamaatul Mujahedin Bangladesh (JMB), Jamaat-e-Islami, Hefazat-e-Islami (Beschützer des Islam) und Jamaat-e-Ahle Sunnat gehen aktiv gegen religiöse Minderheiten vor und konzentrieren sich auf ehemalige Muslime (OD 2021; vgl. ACN 2018).

Die "Hindu American Foundation" hält 2015 in einem Bericht fest, dass es sowohl eine sichtbare als auch eine versteckte Art der Diskriminierung von Hindus in Bangladesch gibt. Eine lange Geschichte von Unterdrückung und Gewalt hat zu einer dramatischen Reduktion des hinduistischen Bevölkerungsanteils geführt. Heutige Schätzungen gehen von einem Bevölkerungsanteil von acht bis neun Prozent, im Vergleich zu 23 Prozent im Jahr 1971 aus. Landenteignung ("land grabbing") und Umsiedlung waren/sind wohl eine der Hauptursachen für eine Abwanderung von Hindus (ÖB 9.2020) in das Nachbarland Indien, die seit Jahrzehnten erfolgt (AA 21.6.2020).

2. Beweiswürdigung

2.1 Zum Beschwerdeführer

2.1. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und zur Herkunft des Beschwerdeführers (oben II.2.1.) ergeben sich aus den von ihm im Verfahren getätigten Angaben, welche insofern stringent waren und an denen auf Grund seiner Sprachkenntnisse auch nicht zu zweifeln war.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit ergibt sich nach Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

Seine Ausführungen zu seinen Lebensverhältnissen in Bangladesch und anderen Ländern, zu seiner Schulbildung sowie zu seinen Familienangehörigen waren in der mündlichen Verhandlung kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei, sodass auch dieses Vorbringen als glaubhaft erachtet werden konnte.

2.2. Zum Fluchtgrund und zur Rückkehrbefürchtung

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes lässt sich alleine mit der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens zum Ausreisegrund nicht schlüssig begründen, dass alle im Zusammenhang mit dem neu erworbenen Glauben stehenden weiteren Aktivitäten eines Asylwerbers nur zum Schein mit dem (ausschließlichen) Ziel der Asylerlangung entfaltet worden seien (vgl VwGH, 02.09.2015, Ra 2015/19/0091). So kann ein asylerhebliches glaubhaftes Vorbringen auch neben unglaubhaftem Vorbringen bestehen.

Die Feststellungen zur Homosexualität des Beschwerdeführers (oben 1.3) waren nach Durchführung der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlungen am 04.12.2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht zu treffen.

Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren vor dem BFA bei der Einvernahme am 27.06.2017 als Fluchtgrund zunächst die Probleme seiner Familie in Bangladesch an, als er noch ein Kind im Alter von 6 Jahren gewesen sei. Er berichtete, dass sein Vater im Jahr 2005 getötet worden sei, seiner Familie das Haus gewaltsam weggenommen worden sei, die Polizei nicht geholfen habe und deshalb seine Mutter mit ihm nach Indien geflohen sei. Bei einer Rückkehr fürchte er Verfolgung, da er Hindu sei, Hindu in Bangladesch von Muslimen verfolgt und viele Häuser der Hindu zerstört worden seien. (NS EV 27.06.2017 S 5, 6; siehe dazu auch VS 04.12.2021 S 5) Erst auf Nachfrage des BFA, ob er in Österreich mit jemandem zusammenlebe, erwähnte der Beschwerdeführer, dass er mit seinem männlichen Partner zusammenlebe, denn er 2015 in Österreich kennengelernt habe. Dieser sei einen Monat jünger als er und habe damals in Wien gewohnt, der Beschwerdeführer in Linz. Der Beschwerdeführer sei damals fast jede Woche nach Wien gependelt, nun würden sie fix zusammenwohnen. Sie hätten auch vorgehabt, zu heiraten, doch das sei nicht gegangen. (NS EV 27.06.2017 S 7)

Demnach war es ursprünglich nicht die eigene Intention des Beschwerdeführers, die von ihm erst auf Nachfragen vorgebrachte gleichgeschlechtliche Beziehung von sich aus als anzuführen, sondern er beantwortete lediglich nebenbei eine Frage des BFA nach einem aktuellen Zusammenleben, erkennbar ohne Absicht, dies zur Erreichung eines positiven Ausgangs seines Asylverfahrens ins Treffen zu führen. Dieses Verhalten spricht für die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens.

XXXX

XXXX

Das Bundesverwaltungsgericht geht daher in Abweichung von der vom BFA im Jahr 2017 vertretenen Ansicht – aufgrund des Ergebnisses der durchgeführten Verhandlung – in Bezug auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachte sexuelle Orientierung von einem glaubhaften Vorbringen aus. Während des laufenden Beschwerdeverfahrens trat somit eindeutig zu Tage, dass der Beschwerdeführer homosexuell orientiert ist und seine Neigung auch weiterhin ausleben möchte.

2.3 Zur Lage von Homosexuellen in Bangladesch (oben 1.4)

Diese ergibt sich aus dem aktuellsten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch vom November 2020 und den darin enthaltenen Länderberichten. All diese Berichte zeigen ein im Wesentlichen übereinstimmendes Bild, sie stammen von seriösen staatlichen und unabhängigen Quellen, sodass auch kein Grund besteht, an diesen zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu A)

Zum Status eines Asylberechtigten (§ 3 AsylG 2005)

3.1 Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 07.11.2013, C-199/12, ausgesprochen, dass Art 9 Abs 1 in Verbindung mit Art 9 Abs 2 lit c der Qualifikations-Richtlinie dahin auszulegen ist, dass der bloße Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, als solcher keine Verfolgungshandlung darstellt. Dagegen ist eine Freiheitsstrafe, mit der homosexuelle Handlungen bedroht sind und die im Herkunftsland, welches eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird, als unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stellt somit eine Verfolgungshandlung dar. Art 10 Abs 1 lit d in Verbindung mit Art 2 Buchst c der Qualifikations-Richtlinie ist dahin auszulegen, dass vom Geltungsbereich der Richtlinie nur homosexuelle Handlungen ausgeschlossen sind, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten strafbar sind. Bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden von dem Asylbewerber auch nicht erwarten, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.

Der Verfassungsgerichtshof hat zudem jüngst in seiner Entscheidung vom 22.09.2020, E 423/2020-12, Rz 29 in Zusammenhang mit Bangladesch ausgesprochen, dass eine nicht bestehende strafrechtliche Verfolgung nicht schon zur Verneinung einer asylrechtlichen Verfolgung eines Beschwerdeführers führt. Für die Anerkennung eines für die Identität so bedeutsamen Merkmals wie der sexuellen Orientierung kann – wie der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat – vom Betroffenen aber nicht verlangt werden, diese Ausrichtung geheim zu halten oder in Zurückhaltung zu leben, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden (siehe VfSlg. 20.170/2017; VfGH 11.6.2019, E 291/2019 und 18.9.2014, E 910/2014). (VfGH 22.09.2020, E 423/2020-12, Rz 29)

Der Verfassungsgerichtshof hat ebenso in Bezug auf Bangladesch in seiner Entscheidung vom 27.02.2020, E 3349/2019-14 ausgesprochen, dass die Annahme, dass eine Homosexualität in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch keinen Fluchtgrund darstelle, im Widerspruch zu den vom Bundesverwaltungsgericht angezogenen Länderberichten stehe (VfGH 27.02.2020, E 3349/2019-14 Rz 13; zur Verfolgungssituation von Homosexuellen in Bangladesch siehe auch VfGH 07.06.2021, E959/2021)

Zum gegenständlichen Fall

3.2 Laut dem festgestellten Sachverhalt ist die Anwendung des § 377 Strafgesetzbuch von Bangladesch zwar extrem selten, sie wird jedoch angedroht, um Homosexuelle zu erpressen oder ihr Wohlverhalten zu erzwingen. Die Diskriminierung durch Sicherheitskräfte beruht zumeist auf einem Artikel des Strafrechts, der es erlaubt, Personen aufgrund verdächtigen Verhaltens festzunehmen. Ein offenes Bekenntnis zur Homosexualität ist in Bangladesch gesellschaftlich unmöglich und führt einerseits zur Ausgrenzung durch die dortige Gesellschaft und oft auch durch die Familie sowie andererseits auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu Verfolgungshandlungen. Die betroffene Person ist dann dabei häufig Einschüchterungen, Bedrohungen oder zum Teil brutalen gewalttätigen Übergriffen durch Polizeiangehörige oder Dritte ausgesetzt, ohne dagegen den erforderlichen Schutz erhalten zu können.

3.3 Nach der Judikatur des EuGH kann auch nicht erwartet werden, dass der Beschwerdeführer seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.

3.4 Es ist daher unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles objektiv nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer aus Furcht vor ungerechtfertigten Eingriffen von erheblicher Intensität aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen, und zwar aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgten sozialen Gruppe, nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes seines Herkunftsstaates zu bedienen, zumal auch eine inländische Ausweichmöglichkeit – die Lage gestaltet sich in allen Landesteilen gleichartig – nicht vorhanden ist.

3.5 Im Verfahren haben sich schließlich keine Hinweise auf die in Artikel 1 Abschnitt C und F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- und Ausschlussgründe ergeben.

3.6 Im vorliegenden Fall sind somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gegeben. Einer darüberhinausgehenden Beurteilung des übrigen Vorbringens des Beschwerdeführers bedurfte es angesichts des Spruchinhaltes nicht mehr.

3.7 Der Beschwerde wird daher spruchgemäß stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung verbunden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.8 Da der verfahrensgegenständliche Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15.11.2015 gestellt wurde, kommt dem Beschwerdeführer das dauernde Einreise- und Aufenthaltsrecht gem § 2 Abs 1 Z 15 AsylG 2005 idF vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr 24/2016 zu (§ 75 Abs 24 AsylG 2005).

Zu B)

Revision

3.9. Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des EuGH und des Verfassungsgerichtshofes geklärt ist.

3.10 Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung Flüchtlingseigenschaft sexuelle Orientierung soziale Gruppe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L516.2169870.1.00

Im RIS seit

21.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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