TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/30 L516 2173150-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.08.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

30.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch


L516 2173150-1/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Bangladesch, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.05.2017, Zahl XXXX , nach mündlicher Verhandlung am 18.06.2021 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF hinsichtlich Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 wird XXXX der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für 1 Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III und IV des angefochtenen Bescheides werden gemäß § 28 Abs 2 VwGVG ersatzlos aufgehoben.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bangladesch und stellte am 29.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens mit Bescheid vom 18.05.2017 (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.

Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache am 18.06.2021 eine mündliche Verhandlung durch. An der Verhandlung nahm der Beschwerdeführer mit seiner Vertretung teil, die belangte Behörde erschien nicht.

1. Sachverhaltsfeststellungen:

[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: S=Seite; AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich; SD=Staatendokumentation des BFA; LIB=Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA]

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen in Pakistan

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bangladesch und gehört der bengalischen Volksgruppe sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht nicht fest. (NS 29.07.2015 S 1; NS EV 08.06.2016 S 2)

Der Beschwerdeführer stammt aus dem Ort XXXX , und wuchs dort auch auf. Er hat in Bangladesch fünf Jahre lang die Schule besucht, hat in der familieneigenen Landwirtschaft und als Lebensmittelverkäufer im Geschäft eines seiner Brüder gearbeitet. (NS EV 08.06.2016 S 2, 7)

Seine Mutter sowie ein Bruder leben nach wie vor im Heimatort des Beschwerdeführers und betreiben dort eine Landwirtschaft und ein Geschäft. Seine Schwestern sind alle verheiratet und leben mit ihren eigenen Familien in Bangladesch, ein weiterer Bruder lebt in Katar. Der Vater ist bereits vor vielen Jahren verstorben, als der Beschwerdeführer noch sehr jung war. Der Beschwerdeführer hat manchmal Kontakt zu seiner Mutter. (NS 08.06.2016 S 2; VS 18.06.2021 S 6)

Der Beschwerdeführer verließ sein Heimatland ungefähr im März 2015 und reiste schlepperunterstützt über den Iran, die Türkei, Griechenland und weitere Länder nach Österreich. (NS 29.07.2015 S 3, 4; NS EV 08.06.2016 S 7,8)

1.2 Zu seiner Lebenssituation in Österreich

Im Juni 2015 reiste der Beschwerdeführer nach Österreich ein, wo er sich gestützt auf das vorläufige Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz seit nunmehr fünf Jahren ununterbrochen aufhält. Es handelt sich um gegenständlich um seinen ersten und einzigen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer hat von Beginn seines Verfahrens an sämtlichen Ladungen Folge geleistet und an seinen Verfahren mitgewirkt, weshalb ihm die bisherige Verfahrensdauer nicht anzulasten ist. Er ist nach wie vor auf Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde angewiesen. Er ist jedoch arbeitswillig und arbeitsfähig und verfügt bereits über eine Einstellungszusage für den Fall, dass er ein Aufenthaltsrecht erhält. Er hat verschiedene Deutschkurse besucht und im Juni 2021 an einer Integrationsprüfung für das Sprachniveau A2 teilgenommen. Er kann sich bereits verständlich in deutscher Sprache verständigen. Er verstand die ihm in der mündlichen Verhandlung ohne Dolmetscher in deutscher Sprache gestellten Fragen sofort und antwortete auf diese spontan und verständlich, wenn auch manchmal mit Fehlern, in der deutschen Sprache. (IZR; GVS; ZMR; NS EV 29.07.2015 S 2; VS 18.06.2021 S 5)

Er hat mittlerweile auch seinen Lebensmittelpunkt, seine Freunde, seine Bekannte und sein soziales Netz in Österreich. (VS 18.06.2021 S 4- 6)

Er ist strafrechtlich unbescholten. (Strafregister der Republik Österreich)

1.3 Zum Gesundheitszustand

Der Beschwerdeführer leidet an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten. Es besteht im Falle des Beschwerdeführers keine reale Gefahr, dass ihm in Bangladesch eine schwere, rapide und irreversible Gesundheitsverschlechterung droht, die mit intensivem Leiden oder mit einer signifikanten Verkürzung der Lebenserwartung verbunden ist. Beim Beschwerdeführer wurde zuletzt vor einem Jahr eine Operation in der Leistengegend durchgeführt, seither muss er für die Dauer von einem Jahr alle zwei bis drei Monate zu einer Kontrolluntersuchung. Klinisch besteht aktuell in erster Linie ein Verdacht auf eine chronische Leistenzerrung, zu deren Behandlung zuletzt am 11.06.2021 körperliche Schonung und eine Voltarensalbe empfohlen wurde (VS 18.06.2021 S 4; VS 18.06.2021 Beilage Befundbericht 11.06.2021)

1.4 Zum Ausreisegrund

Der Beschwerdeführer war zu keinem Zeitpunkt politisch tätig und auch nie Mitglied einer politischen Organisation. Angehörige einer anderen Familie verfolgen den Beschwerdeführer und trachten danach, Rache am Beschwerdeführer zu üben und diesen zu töten, da sie ihn für den Selbstmord ihrer Tochter bzw Schwester verantwortlich machen. Sie haben im Zuge dessen auch eine falsche Anzeige gegen den Beschwerdeführer bei den staatlichen bengalischen Behörden erstattet und gegen den Beschwerdeführer ist deshalb in Bangladesch ein Strafverfahren wegen Sachbeschädigung anhängig und deshalb besteht auch ein Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer.

1.5 Zur Lage in Bangladesch:

Politische Lage

Bangladesch ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Die Unabhängigkeit und der Übergang zur Demokratie brachten ein Einparteiensystem, mehrere Militärputsche (1975 und 1982), zwei Übergangsregierungen, Ausnahmezustände und Machtkämpfe zwischen den beiden großen Parteien, der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der Awami-Liga (AL). Die beiden Parteien regieren Bangladesch seit 1991 abwechselnd (OMCT 7.2019).

Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch. Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 9.2020). Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).

Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300 direkt gewählten Abgeordneten (ÖB 9.2020) sowie zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 30.3.2021; vgl. GIZ 11.2019a). Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der BNP und der AL als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 9.2020).

Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien AL und BNP bestimmt (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020, BS 29.4.2020). Klientelismus und Korruption sowie mafiöse Strukturen sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 21.6.2020). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit um die Führung des Landes konkurriert haben. Unterstützt werden die beiden Parteien von einem kleinen Kreis von Beratern (FH 3.3.2021). Wie in der Region üblich, geht es bei politischen Parteien weniger um Ideologie, als um einzelne Persönlichkeiten und deren Netzwerke, die im Falle eines Wahlsieges auch finanziell profitieren, in dem sie mit wichtigen Staatsposten versorgt werden (ÖB 9.2020).

Bei den Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die "Große Allianz" um die regierende AL einen überragenden Sieg (ÖB 9.2020) mit 96 Prozent der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitzen (Guardian 30.12.2018; vgl. DT 27.1.2019, DW 14.2.2019). Diese waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020).

Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist. Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a). Die rivalisierenden Parteien AL und BNP dominieren die Politik und schränken die politischen Handlungsmöglichkeiten für diejenigen ein, die parteiinterne Strukturen oder Hierarchien in Frage stellen oder alternative Parteien oder politische Gruppierungen gründen wollen, Animositäten zwischen den Parteispitzen von AL und BNP die sich bis in die Kader der unteren Ebenen ziehen, haben zu andauernder politischer Gewalt beigetragen (FH 3.3.2021).

Da die Politik in Bangladesch generell extrem korrupt ist, sind die Grenzen zwischen begründeter Strafverfolgung und politisch motivierter Verfolgung fließend. Sicherheitskräfte sind in jüngster Vergangenheit sowohl bei Demonstrationen von Anhängern der beiden Großparteien, als auch bei islamistischen oder gewerkschaftlichen Protesten mit Brutalität vorgegangen. Im Zuge des Wahlkampfes Ende 2018 wurden gegen Anhänger und KandidatInnen der oppositionellen BNP durch die Sicherheitsbehörden falsche Anzeigen verfasst (ÖB 9.2020).

Mehrere Menschenrechtsgruppen haben seit Anfang 2018 einen dramatischen Anstieg von fingierten Klagen gegen Gegner der Regierungspartei festgestellt. Unter den Verhafteten befinden sich prominente Führer des Oppositionsbündnisses (FIDH 29.12.2018). Die BNP-Vorsitzende, Khaleda Zia, war von März 2018 bis März 2020 aufgrund von Korruptionsvorwürfen im Gefängnis (AA 21.6.2020; vgl. NAU 25.3.2020). Seit diese auf freiem Fuß ist, sind praktisch keine Aktivitäten der BNP mehr wahrnehmbar (ÖB 9.2020).

Nachdem die oppositionelle BNP nunmehr nicht existent ist und im politischen Prozess kaum bis gar keine Rolle mehr spielt, ist eine Verfolgung, bzw. Unterdrückung ihrer AnhängerInnen aus Sicht der Regierung offenbar nicht mehr nötig. Anzumerken ist, dass seit März 2020 das politische Geschehen vollständig von der COVID-Krise überlagert wird (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021).

Von einer staatlichen Überwachung der politischen Opposition ist auszugehen (ÖB 9.2020).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Bangladesch ist volatil und kann sich kurzfristig deutlich verschlechtern (EDA 27.5.201; vgl. DFAT 22.8.2019). Zwischen religiösen beziehungsweise ethnischen Gemeinschaften bestehen latente Spannungen, die sich teilweise ohne grosse Vorwarnung in lokalen, gewaltsamen Zusammenstössen entladen können (EDA 27.5.2021). Terroristische Anschläge islamistischer Extremistengruppen verfügen über ein Gefährdungspotential gegenüber dem Staat (DFAT 22.8.2019). 2017 kam es im Land zu mehreren Selbstmordattentaten (SATP 26.5.2021a). Der "Islamische Staat" ruft zu weiteren Attentaten auf (BMEIA 27.5.2021).

Die Regierungen Bangladeschs stehen vor der Herausforderung, mit extremistischen islamistischen Gruppen umzugehen, die Gewalt gegen eine Vielzahl von staatlichen und zivilen Zielen planen oder ausführen können. Von den Behörden wurde auf solche Angriffe stets robust reagiert. Wichtige militante Gruppen wurden verboten und Hunderte von Kämpfern verhaftet. Menschenrechtsgruppen berichten, dass Sicherheitsoperationen gegen militante Gruppen zu einer hohen Zahl von außergerichtlichen Tötungen führen (DFAT 22.8.2019).

Es wird davon ausgegangen, dass Operationen gegen terroristische Gruppen, zusammen mit der sich allmählich verbessernden Koordination der Regierung bei der Terrorismusbekämpfung, die Fähigkeiten militanter Gruppen verringert haben. Trotzdem kann das Risiko weiterer Anschläge nicht ausgeschlossen werden (DFAT 22.8.2019). Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). Das South Asia Terrorism Portal (SATP) verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2019 insgesamt 99 Vorfälle terrorismusrelevanter Gewalt im Land. Im Jahr 2020 wurden 88 solcher Vorfälle, bis zum 26.5.2021 wurden insgesamt 35 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 28.5.2021b).

Bangladesch hat seine Ansprüche an den Seegrenzen zu Myanmar und Indien an den Internationalen Seegerichtshof herangetragen; der Besuch des indischen Premierministers Singh im September 2011 in Bangladesch führte zur Unterzeichnung eines Protokolls zum Landgrenzenabkommen zwischen Indien und Bangladesch von 1974, das die Beilegung langjähriger Grenzstreitigkeiten über nicht abgegrenzte Gebiete und den Austausch von territorialen Enklaven vorsah, aber nie umgesetzt wurde (CIA 4.5.2021). An der Grenze zu Indien kommt es immer wieder zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzsicherungsorganen. Regelmäßig werden dabei Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren oder sich im Nahbereich der Grenze befinden (DT 22.12.2020).

Der inter-ethnische Konflikt in Myanmar wirkt sich auf Bangladesch aus. Er hat politische und soziale Spannungen, insbesondere aufgrund der Ankunft von rund einer Million Rohingya-Flüchtlingen seit August 2017 verstärkt (EDA 27.5.2021; vgl. CIA 4.5.2021). Die Rohingya werden von den Behörden Bangladeschs als zusätzlichen Sicherheitsbedrohung in Cox's Bazar mit möglichen Auswirkungen auf kommunale Gewalt, Menschenschmuggel, Drogen- und Menschenhandel und einhergehenden möglichen Radikalisierungen wahrgenommen (DFAT 22.8.2019). Durch die myanmarischen Grenzbehörden wurde eine 200 km langer Drahtsperranlage, der illegale Grenzübertritte und Spannungen durch die militärische Aufrüstung entlang der Grenze verhindern soll, errichtet (CIA 24.5.2021).

Potential für Bedrohungen mit Bezug auf die Sicherheitslage haben ebeno politisch motivierte Gewalt (insbesondere im Vorfeld von Wahlen) (DFAT 22.8.2019). Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere der Awami League (AL) und der Bangladesh Nationalist Party (BNP), ist für den größten Teil der Gewalt im Land verantwortlich. Die Animositäten zwischen den beiden Parteien sowie zwischen den Kadern der unteren Ebenen haben zu andauernder politischer Gewalt beigetragen (HRW 13.1.2021; vgl. ACLED 9.11.2018). Die regierende AL hat ihre politische Macht durch anhaltende Schikanen gegenüber der Opposition und den als mit ihr verbündet wahrgenommenen Personen sowie gegenüber kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft gefestigt (FH 3.3.2021). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018). Im Jahr 2020 wurden 73 Tote und 2.883 Verletzte aufgrund politischer Gewalt sowie 2.339 Verletzte bei innerparteilichen Zusammenstößen registriert. Gewaltsame politische Proteste und wahlbezogene Gewalt hielten auch 2020 an (HRW 13.1.2021; vgl. ODHIKAR 25.1.2021).

Von nichtstaatlichen Akteuren (insbesondere der Opposition, Islamisten, Studenten) geht in vielen Fällen nach wie vor Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene "Studentenorganisationen". Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 21.6.2020).

Es kommt zu Fällen krimineller Gewalt, sowie zu sporadische Zusammenstößen in den Chittagong Hill Tracts (CHT) zwischen indigenen Gruppen und bengalischen Siedlern wegen Landbesitz und -nutzung (DFAT 22.8.2019). Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden und sich in gewalttätige Auseinandersetzungen entladen (UKFCO 27.5.2021; vgl. AA 28.7.2020, AI 1.4.2021). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie etwa Racheakte oder Landraub, Grund für solche Vorfälle sind (AA 21.6.2020).

Die Schutzfähigkeit staatlicher Behörden ist grundsätzlich gering. Die Behörden sind in der Regel keine neutralen Akteure, sondern unterstützen die politischen Ziele der jeweiligen Machthaber (ÖB 9.2020).

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Politisierung der Justiz und der Druck auf sie halten an (FH 3.3.2021). Seit die Awami-Liga (AL) im Jahr 2009 an die Macht kam, hat die von ihr geführte Regierung begonnen, erheblichen Einfluss auf die Justiz auszuüben (FIDH 25.1.2021). Vorwürfe des politischen Drucks auf Richter sind üblich, ebenso wie der Vorwurf, dass unqualifizierte AL-Loyalisten in Gerichtspositionen berufen werden (FH 3.3.2021). Wie die meisten Beobachter übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom Dezember 2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018). Strafanzeigen gegen Mitglieder der Regierungspartei werden regelmäßig aus "politischer Rücksichtnahme" zurückgezogen (FH 3.3.2021).

Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen Common Law. Die erstinstanzlichen Gerichte bestehen aus "Magistrates", die der Exekutive zuzurechnen sind, sowie Session und District Judges, die der Judikative angehören. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem High Court, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem Appellate Court, dessen Entscheidungen alle übrigen Gerichte, einschließlich des High Court, binden. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 9.2020).

Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des Öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden. Dennoch wird diese Unabhängigkeit der Justiz durch Überlastung, überlange Verfahrensdauern, Korruption und politische Einflussnahme behindert (ÖB 9.2020). Die Einflussnahme der Regierungspartei auf Parlament und Justiz haben deren Unabhängigkeit inzwischen weitgehend beseitigt (AA 21.6.2020).

Auf Grundlage des "Public Safety Act", des „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, “Women and Children Repression Prevention Act” sowie des "Special Powers Act" wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen – es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Speedy Trial Tribunals haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zu Tode verurteilt (ÖB 9.2020).

Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden (ÖB 9.2020). In ländlichen Gebieten kommt es zu Verurteilungen durch unbefugte Dorfälteste oder Geistliche nach traditionellem, islamischem "Scharia Recht". Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 9.2020). Nicht immer greifen die Behörden ein (AA 21.6.2020). Obwohl diese "Gerichte" eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch (ÖB 9.2020).
Sicherheitsbehörden

Das Militär hat sich seit der Unabhängigkeit mehrfach in die Politik eingemischt (DFAT 22.8.2019) und ist für die Landesverteidigung zuständig, jedoch auch für einige Aufgaben im Bereich der inneren Sicherheit verantwortlich (USDOS 30.3.2021). Nach einem gescheiterten Putschversuch im Jahr 2012 hat die Awami League (AL) Berichten zufolge das Militär von Regierungskritikern, Anhängern der Oppositionsparteien und Offizieren mit engen Kontakten zum pakistanischen Militär gesäubert. Die Regierung hat Berichten zufolge auch die Gehälter erhöht, mehr hochrangige Positionen geschaffen, hochrangigen Offizieren wertvolles Land zugewiesen und dem Militär erlaubt, seine Kontrolle über die Chittagong Hill Tracts (CHT) und die dort lebenden indigene Bevölkerung zu konsolidieren (DFAT 22.8.2019). Die Streitkräfte sind gegenwärtig mit UN-Einsätzen sowie lukrativen Wirtschaftsverflechtungen ruhig gestellt (AA 21.6.2020). Das Militär untersteht dem Verteidigungsministerium (USDOS 30.3.2021).

Die Sicherheitskräfte, die die nationale Polizei, den Grenzschutz und Antiterroreinheiten wie das Rapid Action Battalion umfassen, halten die innere und die Grenzsicherheit aufrecht. Zivilen Behörden behielten eine effektive Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 30.3.2021).

Die Polizei von Bangladesch ist die wichtigste Strafverfolgungsbehörde des Landes und spielt eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung im Land. Der Innenminister ist für das Ressort zuständig (DFAT 22.8.2019; vgl. USDOS 30.3.2021)

Das Wirken der Polizei ist gekennzeichnet durch einen Mangel an Ressourcen inklusive mangelhafter Infrastruktur, Mangel an Personal, Ausbildung und Arbeitsmaterialien, Ineffizienz und Korruption (AA 21.6.2020). Die Regierung unternimmt Schritte, um in der Polizei Professionalität, Disziplin, Ausbildung und Reaktionsfähigkeit zu verbessern und die Korruption zu verringern (ÖB 9.2020). Trotz dieser Bemühungen kommt es weiterhin zu Machtmissbrauch und unangebrachter Gewaltanwendung von Sicherheitskräften, insbesondere durch die Rapid Action Batallions (RAPs), die in weiterer Folge ungestraft bleiben (ÖB 9.2020).

Es gibt Hinweise auf willkürliche Festnahmen durch die Polizeikräfte, obwohl dies gesetzlich verboten ist, sowie auf willkürliche Nutzung der gesetzlich erlaubten präventiven Festnahmen. Die Festnahme ohne Angabe von Gründen ist für bis zu 30 Tagen zur Verhinderung von Taten, die die nationale Sicherheit, Verteidigung, Souveränität, öffentliche Ordnung oder auch wirtschaftliche Interessen des Landes gefährden, erlaubt. Die Arretierten haben kein Recht auf einen Verteidiger. Die hauptsächlich Betroffenen sind Aktivisten der politischen Parteien und NGO-Vertreter, die Kritik an der Regierung üben. Nach wie vor problematisch ist auch die in vielen Fällen unverhältnismäßig lange Untersuchungshaft. Als Gründe hierfür werden bürokratische Ineffizienz, limitierte Ressourcen und Korruption genannt. Gegenwärtig geht man von über zwei Millionen ausständigen Zivil- und Strafverfahren aus (ÖB 9.2020).

Die Sicherheitsbehörden bestehen zum Hauptteil aus der dem Innenministerium unterstellten "Bangladesch Police", die ca. 116.000 Mann zählt. Zur Unterstützung der Polizei stehen weitere Einheiten zur Verfügung (ÖB 9.2020).

Rapid Action Batallions (RABs): Es gibt etwa 15 RABs mit insgesamt ca. 9.000 Mann, die ebenfalls dem Innenministerium unterstellt sind. Ihre Aufgabe ist der Kampf gegen bewaffnete kriminelle Organisationen. Die RABs sind hauptsächlich in urbanen Zentren stationiert, rekrutieren sich hauptsächlich aus Polizei und Armee, sind gut ausgebildet und mit moderner Ausrüstung versehen (ÖB 9.2020). Ihnen werden schwere Menschenrechtsverstöße wie z.B. außergerichtliche Tötungen zugeschrieben (AA 21.6.2020). Die RABs verfolgen eine aggressive Strategie gegen bewaffnete "Gang"-Mitglieder, was zu zahlreichen Toten durch Schießereien führt. Sie werden auch bei Demonstrationen eingesetzt, wobei exzessive Gewalt, Gummigeschosse aber auch scharfe Munition gegen Demonstranten zum Einsatz kam, welche wiederholt Todesopfer forderten. Es kam trotz zahlreicher Verhaftungen noch zu keiner Verurteilung wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter oder willkürlicher Verhaftungen gegen Mitglieder der RABs (ÖB 9.2020).

Bangladesh Ansar: Gegründet im Jahr 1948 und ebenfalls dem Innenministerium unterstellt, gibt es aktuell ca. 23.000 leicht bewaffnete Ansars, die zur Unterstützung der Polizei im ländlichen Raum eingesetzt werden und auch Zivilschutz-Aufgaben übernehmen (ÖB 9.2020).

Border Guard Bangladesh (BGB) – ehem. Bangladesh RiflesRifles (BDRs): Diese ca. 40.000 Mann starke paramilitärische Truppe untersteht dem Home Ministry [Innenministrium], wird aber hauptsächlich von Armee-Offizieren geführt und dient in erster Linie dem Grenzschutz. Die BGB ist auch für die Verhinderung von Schmuggel und Menschenhandel zuständig (ÖB 9.2020).

Village Defence Parties (VDP): Gegründet 1976, sollte es in jedem Dorf des Landes je ein männliches und weibliches "Platoon" [Zug] mit jeweils 32 Personen geben, die der Unterstützung der Polizei bei der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie der Unterstützung der zivilen Behörden bei sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbauprogrammen und bei Naturkatastrophen dienen sollen. In Städten gibt es analog dazu sog. Town Defence Parties (ÖB 9.2020).

Special Branch of Police (SB): Sie ist beauftragt, die nationale Sicherheit zu gewährleisten, erfüllt die Funktion, nachrichtendienstliche Informationen zu sammeln und ist mit der Spionageabwehr betraut. Die SB ist überall in Bangladesch vertreten und besitzt die Fähigkeit, innerhalb und außerhalb des Landes zu agieren (AA 21.6.2020).

Die Sicherheitskräfte lassen Personen weiterhin routinemäßig „verschwinden“ (AI 30.1.2020). Betroffene sehen aus Angst vor Vergeltung in der Regel davon ab, Mitglieder der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsvergehen anzuzeigen, sodass diese straflos bleiben. Auch im Falle einer Beschwerde herrscht weitestgehend Straffreiheit. Wenn allerdings die Medien Polizeiversagen öffentlich anprangern, werden durch die politische Ebene die zuständigen Polizisten oft bestraft (AA 21.6.2020). Die Regierung streitet weiterhin das Verschwindenlassen von Personen und andere Verstöße durch Sicherheitskräfte, sowie außergerichtliche Tötungen ab (ODHIKAR 25.1.2021). Die Sicherheitskräfte versuchen, unrechtmäßige Tötungen zu vertuschen, indem sie behaupteten, dass es bei einem Schusswechsel oder im Kreuzfeuer zu Todesfällen gekommen ist. Hunderte Menschen wurden angeblich in solchen "Kreuzfeuern" getötet (ODHIKAR 25.1.2021).

Die Sicherheitskräfte exekutieren nahezu ungestraft außergerichtliche Tötungen. Nach der Tötung eines pensionierten Militäroffiziers, sahen sich die Behörden jedoch gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen, und die Zahl der "Opfer von Kreuzfeuern, Schießereien oder Begegnungsgefechten" - Euphemismen für außergerichtliche Tötungen - ging in einem hohen Ausmaß zurück. Dieser Faktor deutet darauf hin, dass die Behörden diesen Tötungen jederzeit ein Ende setzen können (HRW 13.1.2021).

Die Professionalität variiert innerhalb der Polizei. Das nationale System der Polizeiarbeit kann effektiv sein und die Polizei hat oftmals ihre Fähigkeiten unter Beweis gestellt, Verdächtige im ganzen Land aufzuspüren. Politische und bürokratische Einmischung stellen jedoch große Hindernisse für die Effizienz der Polizei dar. Mit der Regentschaft betraut, haben sowohl Awami League (AL) als auch die Bangladesh Nationalist Party (BNP) die Polizei benutzt, um oppositionelle Kräfte zu untergraben. Viele Politiker haben das stark bürokratisch geprägte Polizeiystem für die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen missbraucht. Während leitende Beamte relativ gut ausgebildet und gut bezahlt werden und wichtige Positionen innerhalb der Bürokratie einnehmen, sind die unteren Ränge oftmal schlecht bezahlt, nur in einem geringen Maß ausgebildet und mangelhaft ausgestattet. Die niedrigen Gehälter ermutigen einige Polizisten, ihr Einkommen durch die Forderung von Bestechungsgeldern von Bürgern aufzubessern. Das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Polizei und den Sicherheitsdiensten hält viele Bürger des Landes davon ab, sich an die staatlichen Stellen zu wenden, um Hilfe zu suchen oder kriminelle Vorfälle zu melden. Ermittlungen zu polizeilichem Fehlverhalten sind intern und es mangelt ihnen im Allgemeinen an Transparenz und Glaubwürdigkeit. Es wird davon ausgegangen, dass die meisten Bangladeschis, insbesondere diejenigen mit Verbindungen zu Oppositionsparteien, eine Zusammenarbeit mit der Polizei vermeiden (DFAT 22.8.2019).

Folter und unmenschliche Behandlung

Obwohl Folter und grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch die Verfassung und Gesetze verboten sind, gibt es weiterhin Vorwürfe von Misshandlungen durch Sicherheitskräfte und Geheimdienste (USDOS 30.3.2021). Im Fokus der Kritik bezüglich Folter wie auch extralegaler Tötungen stehen dabei insbesondere die Angehörigen der Rapid Action Battalions (RAB) (ÖB 9.2020; vgl. USDOS 30.3.2021, ODHIKAR 25.1.2021, OMTC 7.2019). Die Zahl der Todesopfer soll laut Angaben diverser NGOs in die Hunderte gehen, die meisten davon im Zuge von vorgeblichen Feuergefechten, bei denen es sich jedoch zumeist um Hinrichtungen handelt (ÖB 9.2020). Die Behörden gehen entsprechenden Anzeigen nur selten nach (USDOS 30.3.2021). Das Gesetz zur Verhinderung von Folter und Tod in Gewahrsam (Torture and Custodial Death Prevention Act) aus dem Jahr 2013 wird aufgrund mangelnden politischen Willens und Unkenntnis der Strafvollzugsbehörden unzureichend umgesetzt (ODHIKAR 25.1.2021; vgl. USDOS 30.3.2021). Missbrauch durch staatliche Akteure bleibt weitgehend straflos (USDOS 30.3.2021; vgl. AHRC 10.12.2020).

Per Gesetz ist es Richtern möglich, über Verdächtige Untersuchungshaft zu verhängen, während dieser Befragungen ohne Beisein eines Anwalts erfolgen können. Laut Menschenrechtsorganisationen fanden viele Fälle von Folter in dieser Phase statt. Sicherheitsbehörden wenden Drohungen, Schläge und verschiedenste Foltermethoden, manchmal Vergewaltigungen und andere sexuelle Übergriffe an, um Informationen von mutmaßlichen Aufständischen und Oppositionellen zu erlangen (USDOS 30.3.2021). Zahlreiche Fälle von Folter und unmenschlicher Behandlung erscheinen politisch motiviert (ÖB 9.2020), Sicherheitskräfte sollen Methoden von Folter - gelegentlich mit Todesfolge - anwenden, um Schmiergelder oder Geständnisse zu erpressen und Informationen von mutmaßlichen Militanten und Mitgliedern politischer Oppositionsparteien zu erhalten (USDOS 30.3.2021). Auch auch vulnerable Gruppen sind von Folter betroffen (OMCT 14.8.2019).

Sicherheitskräfte begehen ungestraft Verschleppungen, außergerichtliche Tötungen und Folter (AHRC 10.12.2020). Im Jahr 2020 wurden mutmaßlich 19 Personen zu Tode gefoltert. 17 Tötungen erfolgten durch die Polizei, eine durch Kräfte der RAB und eine von den Gefängnisbehörden. Etwa 225 Personen wurden 2020 in Bangladesch außergerichtlich getötet, zwei Personen waren Frauen (ODHIKAR 25.1.2021; vgl AI 7.4.2021), mindestens 45 Rohingya-Flüchtlinge wurden 2020 meist bei Einsätzen im Rahmen des "Kriegs gegen Drogen", einer 2018 gestarteten Regierungskampagne, offenbar von Angehörigen verschiedener Strafverfolgungsbehörden außergerichtlich hingerichtet (AI 7.4.2021; vgl. ODHIKAR 25.1.2021).

Von Jänner bis Dezember 2020 wurden landesweit 31 Personen verschleppt. Sechs von ihnen wurden bisher tot aufgefunden, 22 tauchten wieder auf, der Verbleib der restlichen Personen ist unklar (ODHIKAR 25.1.2021). Die meisten Opfer des Verschwindenlassens wurden als Oppositionsführer und Dissidenten identifiziert (TDPA 2.1.2021). Es wird behauptet, dass staatliche Sicherheitskräfte in diese Verschleppungen involviert sind, in einigen Fällen wurden Beweise dafür sichergestellt. Auch gibt es Vorwürfe, dass Mitglieder der Strafverfolgungsbehörden ihre eigene Identität verheimlichten und Menschen unter der Identität anderer Kräfte oder Behörden verschleppen (ODHIKAR 25.1.2021).

Die Regierung verfolgt Andersdenkende mit dem Digital Security Act-2018 (DSA), dem Special Powers Act-1974 und anderen Gesetzen (AHRC 10.12.2020) und ignoriert wichtige Empfehlungen der Vereinten Nationen und anderer Organisationen, bzw. weist zurück. Insbesondere im Hinblick auf das harte Durchgreifen gegen die freie Meinungsäußerung unter dem DSA und den zunehmenden Fällen von Verschleppungen und Tötungen (HRW 13.1.2021).

Trotz internationaler Verpflichtungen hat Bangladesch bisher keine Schritte zur Etablierung eines effektiven Opfer- und Zeugenschutzes getätigt und auch keine Prozeduren eingeleitet, die es Opfern ermöglicht, ihr Beschwerderecht ohne Angst vor Vergeltung wahrzunehmen. Folteropfer und deren Familien werden nach Anzeigen gegen Sicherheitsbeamte häufig bedroht und in vielen Fällen wird ihnen Geld angeboten, damit sie die Beschwerde zurückziehen. In den wenigen Fällen, die vor Gericht gelangen, sind die Opfer mit einem dysfunktionalen und parteiischen Justizsystem konfrontiert (OMCT 26.6.2018). Laut einer Studie der Organisation "The Death Penalty Project" seien selbst Richter in Bangladesch größtenteils der Ansicht, dass Folter ein legitimes Mittel sein könne, um zu Geständnissen zu gelangen. Lediglich in Einzelfällen kommt es aber zu Verurteilungen nach bewiesener Folter (AA 21.6.2020). Maßnahmen zur Verfolgung von Folter und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen sind als gering zu bezeichnen (OMCT 7.2019).

Trotzdem fällte im September 2020 ein Gericht in Dhaka erstmals ein Urteil nach dem "Torture and Custodial Death (Prevention) Act" (Gesetz zur Verhinderung von Folter und Gefangenentod) und verurteilte drei Polizeibeamte zu lebenslanger Haft und zwei weitere zu sieben Jahren Gefängnis wegen Todesfolge in Gewahrsam eines Festgenommenen im Jahre 2014 (USDOS 30.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).

Korruption

Korruption ist in Bangladesch weit verbreitet und hat alle Teile der Gesellschaft durchdrungen (AA 21.6.2020; vgl. ODHIKAR 25.1.2021, LIFOS 25.2.2019), die Bemühungen zur Korruptionsbekämpfung werden durch die politische Umsetzung geschwächt. Endemische Korruption und Kriminalität, schwache Rechtsstaatlichkeit, begrenzte bürokratische Transparenz und politische Polarisierung haben lange Zeit die staatliche Rechenschaftspflicht untergraben (FH 3.3.2021). Auf dem Korruptionsindex von Transparency International belegte Bangladesch im Jahr 2020 den 146. Rang unter 180 Staaten (vgl. 2019: 146/180) (TI 28.1.2021; vgl. TI 23.1.2020).

Das Strafgesetzbuch von 1860 verbietet es Beamten, Bestechungsgelder anzunehmen [Absatz 161, 165] oder Beihilfe zur Bestechung zu leisten [Absatz 165 A] (TI 1.2019), doch die Regierung setzt das Gesetz nicht effektiv um. Beamte verüben häufig ungestraft korrupte Praktiken (UDOS 30.3.2021). Als korrupteste Behörden werden die Migrationsbehörden, die Polizei sowie die Rechtspflege genannt. NGOs und Militär genießen den besten Ruf (AA 21.6.2020).

Aufgrund der weit verbreiteten Korruption in Justiz und Polizei ist es eine nahe liegende Vermutung, dass es auch zu ungerechtfertigten Anschuldigungen kommt, nicht notwendiger Weise auf staatliches Betreiben, sondern von Privatpersonen mit wirtschaftlichen oder persönlichen Motiven (ÖB 9.2020).

Vor allem im Bereich der erstinstanzlichen Gerichte, der Gerichtsbediensteten, der öffentlichen Ankläger, der Magistrate und der Anwälte wird Korruption als ein weit verbreitetes Problem angesehen. Wohlhabenden oder in den großen Parteien verankerten Personen stehen die Möglichkeiten des ineffizienten und korrupten Justizsystems offen. Das Ausmaß der Korruption stellt jedoch sicher, dass auch Opfer staatlicher Verfolgung davon profitieren können. Waren es während der Zeit des Ausnahmezustandes vor allem Angehörige der beiden politisch dominanten Parteien, die einer intensiven Antikorruptionskampagne durch Justiz und Polizei ausgesetzt wurden, sind seit den neuerlich von der Regierungspartei gewonnen Wahlen vom Dezember 2018 nun vornehmlich Angehörige der Oppositionsparteien gefährdet (ÖB 9.2020).

Als Korruptionsbekämpfungs- sowie Rechtsschutzinstrument besteht die Antikorruptionsbehörde (Anti Corruption Commission - ACC). Diese wird jedoch als "eher zahnloser Papiertiger" sowie "reines Aushängeschild" beurteilt (ÖB 9.2020). Die ACC darf der Korruption verdächtigte Beamte nur mit Erlaubnis der Regierung anklagen. Faktisch ist die "Anti Corruption Commission" machtlos (AA 21.6.2020; vgl. ODHIKAR 25.1.2021). Die Regierung nutzt die ACC für politisch motivierte Strafverfolgung oppositioneller Kräfte, während regierungsnahe Angeklagte freigesprochen werden (ODHIKAR 25.1.2021).

Die Regierung hat Schritte unternommen, um die weit verbreitete Polizeikorruption durch den weiteren Ausbau des Community-Policing-Programmes und durch Schulungen zu beheben (USDOS 30.3.2021).

Die Medien des Landes und die Zivilgesellschaft sehen sich mit restriktiven Maßnahmen konfrontiert und sind daher immer weniger in der Lage, die Korruption der Regierung aufzudecken (FH 3.3.2021). Nur wenige Fälle von Korruption werden öffentlich, weil durch die Regierung größere Anstrengungen zur Verhinderung des Durchickern von Korruptionsgeschichten erfolgen, als gegen die Korruption vorzugehen (USDOS 30.3.2021).

Haftbedingungen

Die Bedingungen in den staatlichen Haftanstalten bleiben hart und können bisweilen, wegen Überbelegung der Zellen und mangelhafter Sanitäranlagen, lebensbedrohlich sein (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 21.6.2020, ÖB 9.2020). Bis zu 200 Inhaftierte müssen auf ca. 40 m² zusammenleben. Dies führt zu Gewaltakten zwischen den Inhaftierten und es besteht zudem die Gefahr religiöser Radikalisierung (AA 21.6.2020). Die offizielle Gesamtkapazität aller 68 Gefängnisse in Bangladesch liegt etwa bei 42.450 Personen (WPB 3.2021). Im Dezember 2020 betrug die Gesamtanzahl der landesweit Inhaftierten 83.107 Personen (WPB 3.2021). Im Mai 2019 waren 81,3 Prozent aller Inhaftierten Untersuchungshäftlinge (WPB 3.2021), 3,9 Prozent der Häftlinge sind weiblich (WPB 3.2021). Die Haftanstalten des Landes waren zu etwa 196 Prozent der offiziellen Kapazität belegt, viele Gefangene sind gezwungen, in Schichten zu schlafen (WPB 3.2021; vgl. DFAT 22.8.2019).

Offiziellen Berichten zufolge versorgen nur elf Gefängnisärzte die 89.000 Insassen, was die Gefängnisse dazu veranlasst, Krankenschwester oder Apotheker für die medizinische Versorgung der Insassen einzusetzen (USDOS 30.3.2021).

Gefängnisinsassen sind oft mangelernährt und verstärkt Infektionskrankheiten ausgesetzt. Die medizinische Versorgung ist teilweise gegeben. Auch weibliche Gefangene werden von ausschließlich männlichen Ärzten untersucht (ÖB 9.2020). Gemäß der Menschenrechtsorganisation ODHIKAR sind im Jahr 2020 ingesamt 67 Personen in Haftanstalten verstorben (ODHIKAR 25.1.2021). Es wird berichtet, dass in einigen Fällen, in welchen festgenommene Personen in der Haft aufgrund von Folter umgekommen sind, dies als "Selbstmord" veröffentlicht wurde, um die Tat zu vertuschen (ODHIKAR 8.2.2020).

Obwohl das Gesetz eine gemeinsame Inhaftierung von jugendlichen und erwachsenen Straftätern verbietet, waren viele Minderjährige zusammen mit Erwachsenen inhaftiert (USDOS 30.3.2021; vgl. DFAT 22.8.2019). Trotz entsprechenden Gesetzen und Gerichtsurteilen wurden Kinder manchmal – gelegentlich zusammen mit ihren Müttern – inhaftiert. Die Behörden hielten weibliche und männliche Gefangene getrennt voneinander fest (USDOS 30.3.2021).

Die Bedingungen in den Gefängnissen, oft auch innerhalb eines Gefängniskomplexes, stellen sich zumeist sehr unterschiedlich dar. Das Gesetz erlaubt Personen, die von den Gefängnisbeamten als "sehr wichtige Personen" (VIP) bezeichnet werden, den Zugang zu "Abteilung A"-Gefängnissen mit besseren Lebensbedingungen und besserem Essen, häufigeren Besuchsrechten für die Familie und der Bereitstellung eines anderen Gefangenen ohne VIP-Status als Helfer in der Zelle. Andere Gefangene werden in Bereichen mit hohen Temperaturen, schlechter Belüftung und Überbelegung untergebracht (USDOS 30.3.2021). Oft werden Untersuchungshäftlinge mit verurteilten Gefangenen in einzelne Hafträume zusammengelegt (USDOS 30.3.2021).

Die Regierung von Bangladesch erlaubt keine Haftbesuche des "International Committee of the Red Cross" oder anderer Menschenrechtsorganisationen (ÖB 9.2020; vgl. DFAT 22.8.2019). Inspektionen werden durch Regierungsbehörden sowie NGOs, die der Regierungspartei nahestehen, durchgeführt, jedoch werden keine Berichte veröffentlicht (DFAT 22.8.2019).

2020 wurden in den Gefängnissen und Jugendstrafanstalten weiterhin Menschenrechtsverletzungen begangen, darunter verschiedene Formen der Folter. Es wird berichtet, dass viele Menschen aufgrund des dysfunktionalen Strafrechtssystems in Bangladesch ohne Gerichtsverfahren inhaftiert werden. Vorwürfe verschiedener Unregelmäßigkeiten und Korruption wurden auch gegen Beamte und Angestellte fast aller Gefängnisse im Land erhoben (ODHIKAR 25.1.2021).

Das Gesetz ermöglicht es den Gefangenen, aus religiösen Gründen zu fasten, garantiert jedoch keinen Zugang zu Geistlichen oder religiösen Dienstleistungen. Nur vor der Vollstreckung der Todesstrafe sind die Gefängnisbehörden verpflichtet, Zugang zu einem Geistlichen zu ermöglichen (USDOS 12.5.2021). Als ab März 2020 die ersten COVID-19-Fälle im Land registrirt wurden, leiteten die Bundesbehörden eine Richtlinie ein, die von den Gefängnisbehörden verlangte, alle ankommenden Insassen auf Symptome zu untersuchen und sie in einer kurzen Quarantäne zu halten. Die Gefängnisdirektoren vor Ort verfügten jedoch über keine Kapazitäten, um COVID-19 infizierte Insassen zu isolieren (USDOS 30.3.2021).

Nach wie vor problematisch ist die in vielen Fällen unverhältnismäßig lange Untersuchungshaft. Als Gründe hierfür werden bürokratische Ineffizienz, limitierte Ressourcen und Korruption genannt. Nach den letzten verfügbaren Zahlen waren circa zwei Millionen Zivil- und Strafverfahren ausständig (ÖB 9.2020).

Dokumente

Echte Dokumente unwahren Inhalts und Gefälligkeitsbescheinigungen von Behörden, Privatpersonen und Firmen sind problemlos gegen Zahlung erhältlich (AA 21.6.2020; vgl. ÖB 17.12.2018). Die Fälschung von Personenstandsurkunden ist eigentlich nicht notwendig, da jegliche Art von Standesfall sehr einfach (nach-)beurkundet werden kann. Beglaubigungen durch das Außenministerium erfolgen in der Regel ohne weitere Prüfung der Dokumente. Ihre Aussagekraft bezüglich Echtheit oder inhaltlicher Richtigkeit steht daher infrage (AA 21.6.2020).

Verfälschungen, Fälschungen und Handel mit jeder Art von Dokumenten sind weit verbreitet und mittels persönlicher Beziehungen oder Bestechung ohne größeren Aufwand zu beschaffen (AA 21.6.2020). Es ist üblich und oft nicht anders möglich, Dokumente über einen Agenten oder "Mittelsmann" zu erwerben. Diese Praxis stellt sich ebenfalls betrugsanfällig dar (DFAT 22.8.2019). Grundsätzlich werden alle Arten von Dokumenten gefälscht: Reisepässe, Geburts- und Heiratsurkunden, Schul- und Universitätszeugnisse (ÖB 9.2020). Es handelt sich nach lokaler Anschauung um Kavaliersdelikte, die strafrechtlich ungenügend verfolgt werden (AA 21.6.2020). Auch ist die Erlangung von Dokumenten mit der Zahlung von Bestechungsgeldern verbunden (DFAT 22.8.2019). Die Überprüfungspraxis ist schwierig, da es kaum Kooperation der Behörden in Bangladesch gibt. Außerdem verfügen die wenigsten Dokumente über ein einheitliches Layout (ÖB 9.2020).

Mit der Einführung des maschinenlesbaren Reisepasses sind Fälle von Passmanipulationen deutlich zurückgegangen. Von allen Passantragstellern werden Fingerabdrücke genommen (AA 21.6.2020; vgl. DFAT 22.8.2020).

Bei sonstigen Dokumenten, hauptsächlich Personenstandsurkunden, werden häufig Abweichungen der Bezeichnung der Behörde in Stempeln, Siegeln und Briefkopf, bei Unterschriften und Formpapier (AA 21.6.2020), sowie bei Rechtsanwälten fehlende Adressenangabe und Aktenzeichen festgestellt (ÖB 9.2020). In vielen Asylfällen legen Antragsteller die übersetzten Abschriften angeblicher justizieller Dokumente wie z.B. "First Information Report", "Charge Sheet" oder Haftbefehl vor (AA 21.6.2020). Beliebt ist die Anfertigung falscher oder unvollständiger Übersetzungen (ÖB 9.2020).

Nachdem erfahrungsgemäß in Bangladesch ein hoher Grad an Fälschungen besteht, ist davon auszugehen, dass die auch bis zu einem gewissen Ausmaß für FIRs zutrifft (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020).

Eine Echtheit von Dokumenten kann mit wenigen Einschränkungen überprüft werden, da ausgestellte Dokumente von der zuständigen Behörde als Original mittels Amtsstempel und Unterfertigung beglaubigt werden. Aufgrund von Gegenzeichnungsprozessen und der Tatsache, dass alle Dokumente mittels einer Datenbank geprüft werden können, sind Fälschungen von Polizei- oder Gerichtsdokumenten erschwert. Ein Fehlen von Amtsstempel und Unterschrift legt den Schluss nahe, dass es sich bei dem entsprechenden Dokument um eine Fälschung handeln könnte (ÖB 17.12.2018). Da Dokumente politischer Parteien nicht die Sicherheitsmerkmale anderer Dokumente enthalten, sind auch diese anfällig für Fälschungen (DFAT 22.8.2019).

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf den Verwaltungsverfahrensakt des BFA, den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes und das Ergebnis der durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung jeweils in Klammer angeführt.

2.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen in Pakistan (oben 1.1)

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, die er im Zuge des Verfahrens vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht gemacht hat, waren auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse nicht zu bezweifeln. Mangels Vorliegen von Identitätsdokumenten konnte die Identität jedoch nicht abschließend festgestellt werden.

Seine Ausführungen zu seinen Wohnorten, seiner Schulbildung und zu seinen Familienangehörigen in Pakistan waren in der mündlichen Verhandlung kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei, sodass auch dieses Vorbringen als glaubhaft erachtet werden konnte.

2.2 Zu seinen Lebensverhältnissen in Österreich (oben 1.2)

Seine Angaben zu seinem Aufenthalt in Österreich, zu seiner aktuellen Lebenssituation und zu seinen sozialen Kontakten erwiesen sich als widerspruchsfrei und stehen auch im Einklang mit den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszügen aus den behördlichen Datenregistern (IZR, ZMR, GVS, Strafregister). Der aktuelle Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung beruht ebenso auf dem Datenregisterauszug aus dem GVS. Die strafrechtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus dem unverdächtigen Strafregisterauszug.

2.3 Zum Gesundheitszustand (1.3)

Die Feststellungen zu seinem Gesundheitszustand ergeben sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung und aus dem in der Verhandlung vorgelegten Befundbericht.

2.4 Zum Vorbringen des Beschwerdeführers und dessen Glaubhaftigkeit (oben 1.4)

Der Beschwerdeführer begründete seine Flucht aus Bangladesch zusammengefasst im Wesentlichen damit, dass XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX (NS EB 29.07.2015 S 5; NS EV 08.06.2016 S 4, 5 ff; VS 18.06.2021 S 8 ff)

Das Bundesverwaltungsgericht gelangt – nach Durchführung der mündlichen Verhandlung – zu der Überzeugung, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers – in entscheidungswesentlichen Punkten – entgegen der Ansicht des BFA glaubhaft ist, aus den folgenden Gründen:

Das vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung erstattete Vorbringen zu den von ihm geschilderten privaten Verfolgung ist im hier dargestellten Umfang nach der durchgeführten mündlichen Verhandlung glaubhaft, zumal dieses auch von ihm im Verlauf des gesamten Verfahrens von Beginn an in seinem für den vorliegenden Fall relevanten Kernbereich als im Wesentlichen widerspruchsfrei und übereinstimmend, jedoch nicht gleichlautend dargestellt wurde, sodass auch ein einstudierter Vortrag auszuschließen ist. Der Beschwerdeführer legte in der Verhandlung seine Fluchtgründe nicht lediglich in wenigen Sätzen dar, sondern er in der mündlichen Verhandlung dazu in der Lage, von sich aus auch ausführlich Nebenumstände und Zusammenhänge in freier Erzählweise zu schildern. (VS 18.06.2021 S 8 ff) Konkret erklärte er beispielsweise nebenbei bei seiner Erzählung über die Verehelichungsabsichten der Familie des Mädchens, dass diese deshalb zu jenem Zeitpunkt begonnen hatten, nachdem die die ältere Schwester verheiratet war, und dass auch er das Mädchen zunächst gar nicht heiraten hätte können, da seine eigenen älteren Brüder noch ledig gewesen seien und der Beschwerdeführer habe warten müssen, bis er an der Reihe sei (NS 08.06.2016 S 5, 6) Er erwähnte auch von sich aus, wie jenes Mädchen Selbstmord begangen hat, in dem es sich an einem Ventilator erhängt hat (NS 08.06.2016 S 6). In der mündlichen Verhandlung schilderte er im Rahmen der freien Erzählung die Ereignisse mit konkreten Handlungsabläufen und erwähnte dabei beispielsweise nebenbei den Namen des Restaurants, in dem er gearbeitet habe, erwähnte dabei auch, dass er von seinem Chef immer wieder wegen seiner Konzentrationsschwierigkeiten geschimpft worden sei, erzählte auch davon, dass nun seine Brüder auch auf ihn wütend seien und ihm Vorwürfe machen, da er ihnen auch Probleme verursacht hätte (VS 18.06.2021 S 12f). Es handelt sich dabei auch nicht um eine Steigerung des Vorbringens im Sinne einer vergrößerten und übertreibenden Darstellung der Gefahr, sondern vielmehr um eine Schilderung von Umständen, die oftmals nicht erzählt werden, weil man ihnen keine Bedeutung beimisst und diese für unwichtig hält, was jedoch für die Glaubhaftigkeit des Vorbringens spricht. (vgl dazu bspw Hermanutz/Litzcke/Kroll, Adler, Polizeiliche Vernehmung und Glaubhaftigkeit3, S 42 ff)

Bereits das BFA erachtete den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Selbstmord als glaubhaft, erachtete jedoch die Involvierung des Beschwerdeführers als nicht nachvollziehbar. (Bescheid, S 31). Soweit es jedoch das BFA für nicht nachvollziehbar hielt, weshalb die Brüder des Mädchens dem Beschwerdeführer die Schuld hätten geben sollen, so ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers schlüssig, dass er der entscheidende Grund dafür war, dass sich jenes Mädchen umgebracht hat und die Familie des Mädchens deshalb wütend auf ihn war. (NS 08.06.2016 S 5: „Sie hat gesagt, wenn sie mich nicht heiraten darf, wird sie sich das Leben nehmen und das tat sie auch.“)

Dem Einwand des BFA, wonach die Familie des Mädchens schon viel früher etwas gegen die Beziehung getan hätten, wenn diese bereits seit 2011 bestanden hätte, konnte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung damit begegnen, indem er schlüssig erklären konnte, dass die Familie des Mädchens die Vorbehalte schon immer ein bisschen anklingen ließ, die Familie nun aber konkret die Verheiratung mit einer anderen Person ernsthaft vorhatte.

Soweit das BFA dem Beschwerdeführer vorhielt, dass sein Vorbringen, eines Nachts vor der Ausreise auf dem Heimweg von einem Restaurant überfallen worden zu sein, verwunderlich sei, da er angegeben hatte, sich seit dem Selbstmord des Mädchens versteckt gehalten zu haben (Bescheid S 31), ist bei Gesamtbetrachtung seinen Angaben schlüssig zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer zunächst versucht hat, durch Ausweichen in einer anderen Stadt ausreichend Sicherheit zu finden und nicht mehr zu seinem Elternhaus zurückgekehrt ist, er sich aber nicht etwa an einem abgelegenen Ort völlig isoliert versteckt hielt.

Soweit das BFA unter Bezugnahme auf einen medizinischen Befund in Österreich darauf verwies, dass diesem zufolge die Genitalbeschwerden des Beschwerdeführers bereits Jahre vor seiner Ausreise bestanden hätten (Bescheid S 32), kann dieser Umstand angesichts dessen, dass die Verständigung im Spital ohne professionellen Sprachmittler, sondern nur mit Hilfe eines nicht-deutschkundigen Freundes des Beschwerdeführers und nachweislich über drei Sprachen – Bengali-Englisch-Deutsch – erfolgte (AS 161), auf damals tatsächlich vorhandene Verständigungsschwierigkeiten zurückgeführt werden.

Soweit das BFA darauf verwies, dass die vorgelegte Anzeige über eine Sachbeschädigung nicht in ursächlichem Zusammenhang mit dem vom Beschwerdeführer geschilderten Sachverhalt stehe (Bescheid S 32), lässt das BFA jedoch die Erklärung des Beschwerdeführers außer Acht, wonach die Anzeige zu Unrecht erhoben wurde, um dem Beschwerdeführer in Ausübung der Rache Schaden zuzufügen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers zu der gegen ihn zu Unrecht erhobenen Strafanzeige lässt sich auch in Einklang mit den Länderfeststellungen bringen, wonach es laut der österreichischen Botschaft aufgrund der weit verbreiteten Korruption in Justiz und Polizei eine nahe liegende Vermutung ist, dass es auch zu ungerechtfertigten Anschuldigungen kommt, nicht notwendiger Weise auf staatliches Betreiben, sondern von Privatpersonen mit wirtschaftlichen oder persönlichen Motiven. (siehe oben 1.5)

Nicht glaubhaft ist jedoch ein politischer Zusammenhang mit der dem Beschwerdeführer drohenden Verfolgung. Der Beschwerdeführer selbst hat durchgehend angegeben, zu keinem Zeitpunkt politisch tätig und auch nie Mitglied einer politischen Organisation gewesen zu sein. (NS 08.06.2016 S 3, 4). Er gab zwar an, dass die Brüder des Mädchens in der Politik involviert seien und ein Verwandter von jenen ein höherer Funktionär bei der Awami League sei (NS 08.06.2016 S 5), doch er gab bei der Erstbefragung und bei der Einvernahme vor dem BFA als Grund für seine Verfolgung ausschließlich (NS 08.06.2016 S 5: „… Am 16.09.2014 hat sie sich das Leben genommen. Deshalb waren die Familienmitglieder wütend auf mich und wollten Rache ausüben, sie gaben mir die Schuld.“; S 9: „Sie sagten: „Wenn meine Schwester nicht mehr am Leben ist, darf auch ich nicht mehr am Leben sein, weil ich daran Schuld bin.“) Er gab beim BFA auch an, dass ihm mit der Anzeige vorgeworfen werde, dass er ein Fahrzeug demoliert, beschädigt hätte (NS 08.06.2016 S 4). Soweit in der Beschwerde erstmals vorgebracht wurde, dass die Brüder des Mädchens dem Beschwerdeführer eine Teilnahme an einer Demonstration bei der oppositionellen BNP unterstellt hätten und er daher mit einer Verfolgung aufgrund einer unterstellten politischen Gesinnung zu rechnen hätte (Beschwerde S 6), ist darauf zu verweisen, dass ein derartige Vorbringen vom Beschwerdeführer vor dem BFA nicht erstattet wurde und in der Beschwerde auch keine Erklärung für dieses erstmalige Vorbringen angeboten wurde, was jedoch zu erwarten gewesen wäre, würde dieses Vorbringen den Tatsachen entsprechen. Soweit in diesem Zusammenhang eine „lückenhafte“ Protokollierung bei der Einvernahme vor dem BFA behauptete wurde, finden sich dafür keine Anhaltspunkte, zumal eine Rückübersetzung in die Muttersprache des Beschwerdeführers erfolgte und dieser die Richtigkeit der Niederschrift mit seiner Unterschrift bestätigte. Ein Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer ist daher in Bangladesch nur deshalb anhängig und besteht auch nur deshalb ein Haftbefehl gegen ihn, da die Brüder des verstorbenen Mädchens allein aus dem Motiv der privaten Rache eine falsche Anzeige gegen den Beschwerdeführer bei den staatlichen bengalischen Behörden erstattet haben. Das Verfahren wird auch nicht wegen einer etwaigen oppositionellen Betätigung geführt, sondern nach Angaben des Beschwerdeführers wegen des Vorwurfs der Sachbeschädigung (NS 08.06.2021 S 4).

Bei Berücksichtigung sämtlicher soeben dargelegter Umstände des vorliegenden Falles gelangt das Bundesverwaltungsgericht, welches sich zudem in der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck verschafft hat, zu der Überzeugung, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen – abgesehen vom Bestehen eines politischen Zusammenhanges – im hier dargestellten Umfang glaubhaft ist.

2.5 Zur Lage in Bangladesch (oben 1.5)

Die Feststellungen zur Lage in Bangladesch ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand Juni 2021. Die Staatendokumentation des BFA berücksichtigt im Länderinformationsblatt Bangladesch Berichte verschiedener staatlicher Spezialbehörden, etwa des Deutschen Auswärtigen Amtes und des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder des US Department of State, ebenso, wie auch Berichte von Nichtregierungsorganisationen, wie etwa von ACCORD, Amnesty international, Human Rights Watch, oder der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Angesichts der Ausgewogenheit und Seriosität der genannten Quellen sowie der Schlüssigkeit der weitestgehend übereinstimmenden Aussagen darin, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Spruchpunkt I

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten