TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/31 L516 2173392-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.08.2021
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Entscheidungsdatum

31.08.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


L516 2173392-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Iran, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.09.2017, Zahl 1098802408/151986667, nach mündlicher Verhandlung am 21.07.2021, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger und stellte am 14.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens mit Bescheid vom 27.09.2017 (I.) hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG sowie (II.) des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung in den Iran, Islamische Republik, gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.

Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache am 21.07.2021 eine mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer im Beisein eines Rechtsberaters als Vertreter teilnahm; die belangte Behörde erschien nicht.

1. Sachverhaltsfeststellungen:

[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: S=Seite; AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift; SN=schriftliche Stellungnahme; EG=Eingabe; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich; SD=Staatendokumentation des BFA; LIB=Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA]

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen im Iran

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Iran und gehört der Volksgruppe der Perser an. Früher gehörte er der Glaubensgemeinschaft der Schiiten an, inzwischen ist er ohne Bekenntnis. Seine Identität steht nicht fest. (NS EB 14.12.2015 S 1; EV 21.08.2017 S 3, 4)

Der Beschwerdeführer stammt aus der Stadt XXXX in der Provinz XXXX , wo er bis zu seiner Ausreise auch lebte. Er besuchte im Iran neun Jahre lang die Schule und arbeitete 17 Jahre lang als Tischler. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Im Iran leben nach wie vor die Eltern und die drei Schwestern des Beschwerdeführers. Ein Onkel lebt in Deutschland, der Beschwerdeführer hat aber keinen Kontakt zu ihm. Der Beschwerdeführer hat Kontakt zu seiner Familie. (NS EB 14.12.2015, S 1, 2; NS EV 21.08.2017 S 3, 4, 5; VS 21.07.2021 S 9)

Der Beschwerdeführer verließ den Iran Ende November 2015 und reiste über die Türkei, Griechenland und weitere Länder nach Österreich. (NS EV 21.08.2017 S 6))

1.2. Zu seiner Lebenssituation in Österreich

Der Beschwerdeführer reiste im Dezember 2015 in Österreich ein, wo er sich seither gestützt auf das vorläufige Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz ununterbrochen aufhält. Es handelt sich gegenständlich um seinen ersten und einzigen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer hat von Beginn seines Verfahrens an, sämtlichen Ladungen Folge geleistet und an seinem Verfahren mitgewirkt, weshalb ihm die bisherige Verfahrensdauer nicht anzulasten ist. (IZR, NS EB 14.12.2015 S 4)

Der Beschwerdeführer seit seiner Einreise in Österreich mit kurzen Unterbrechungen Leistungen aus der Grundversorgung. Er ist jedoch arbeitswillig und arbeitsfähig. Er hat Deutschkurse besucht, jedoch keine Prüfung abgeschlossen. Der Beschwerdeführer kann Deutsch gut verstehen und sich in einfachen Worten auch verständlich machen. Eine Berufsprüfung in seiner Unterkunft absolvierte der Beschwerdeführer als bester, konnte die Ausbildung jedoch nicht beginnen, da dafür eine Deutschprüfung auf dem Niveau B1 erforderlich gewesen wäre. (GVS; VS 21.07.2021 S 4, 5, 6; Integrationsbestätigung VS Beilage) Er führt Freundschaften mit österreichischen Staatsangehörigen. Seit vier Jahren führt er eine Beziehung und er lebt mit seiner Freundin, deren Antrag auf internationalen Schutz rechtskräftig abgewiesen wurde (hg. GZ L506 2187342-1/22E), in einer Flüchtlingsunterkunft zusammen.

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich mit seit 20.05.2019 rechtskräftigem Urteil eines Landesgerichtes vom 20.05.2019 wegen einer zuletzt am 04.05.2019 begangenen Tat gemäß §§ 27 (2a), 27 (3), 27 (5) SMG, § 15 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten bei einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. (Strafregister der Republik Österreich) Jener Verurteilung lag – zusammengefasst – der Sachverhalt zugrunde, dass der Beschwerdeführer Marihuana gewerbsmäßig anderen gegen Entelt überlassen hat, wobei er an Suchtmittel gewöhnt war und die Tat vorwiegend deshalb begangen hat, um sich für den eigenen Gebrauch Suchtmittel oder die Mittel zu dessen Erwerb zu verschaffen. Als mildernd wurde bei der Strafbemessung das Geständnis und der bisher ordentliche Lebenswandel gewertet, als erschwerend kam kein Umstand hervor. (PUV LG für Strafsachen XXXX 20.05.2019, OZ 14)

Mit seit 22.05.2019 rechtskräftigem Urteil vom 13.12.2018 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 83 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je EUR 4,00, im Nichteinbringungsfall zu 30 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt. (Strafregister der Republik Österreich)

Mit Bescheid des BFA vom 15.05.2019 sprach das BFA aus, dass der Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 2 Z 3 AsylG das Recht zum Aufenthalt ab 06.05.2019 verloren habe (OZ 11).

1.3 Zum Gesundheitszustand

Der Beschwerdeführer ist gesund, er nimmt keine Medikamente ein. (VS 21.07.2021 S 4)

1.4 Der Beschwerdeführer brachte zur Beründung seines Antrages auf internationalen Schutz zusammengefasst im Wesentlichen vor:

Der Beschwerdeführer begründete im Verfahren vor dem BFA seinen Antrag auf internationalen Schutz – zusammengefasst – damit, dass er mehrere Jahre eine Freundin gehabt habe und diese habe heiraten wollen, beide Familien jedoch dagegen gewesen seien, die Freundin dann am 07.05.2015 mit einem anderen Mann verlobt worden sei, er sich aber dann noch zwei weitere Jahre mit jener Freundin heimlich auf der Straße getroffen und mit ihr telefoniert habe, sie dann beschlossen hätten gemeinsam zu flüchten und auch schon in Orumiyeh gewesen seien, die Freundin dann von ihrer Familie angerufen und der Beschwerdeführer bedroht worden sei und sich die Freundin dann anders entschieden habe und zu ihrer Familie zurückgekehrt sei, während der Beschwerdeführer wegen den Drohungen aus dem Iran geflohen sei. (NS EV 21.08.2017 S 4, 5, 7, 8, 9)

Mit Schriftsatz vom 07.07.2021 brachte der Beschwerdeführer zu seinem bisherigen Vorbringen vor, dass der Ehemann seiner Schwester im Zuge einer zwei Jahre zuvor begonnenen Demonstrationswelle von der Polizei mit einem Metallstock am Kopf tödlich verletzt worden sei, die Schwester dann bei einer darauffolgenden Hausdurchsuchung Widerstand geleistet habe und deshalb als eine gefährliche Person für die nationale Sicherheit eingestuft und für acht Monate inhaftiert worden sei. Aufgrund jener Geschehnisse habe der Beschwerdeführer begonnen, sich in den sozialen Medien sehr aktiv und engagiert politisch zu betätigen, er veröffentliche Videos, in denen er kritisch über das iranische Regime, die Politik, die religiösen Führer und die Gesetze spreche. (OZ 22)

In der mündlichen Verhandlung am 21.07.2021 begründete der Beschwerdeführer seine Rückkehrbefürchtung zum aktuellen Zeitpunkt – zusammengefasst – zum einen damit, dass er eine unerlaubte sexuelle Beziehung mit einer Frau geführt habe, sowie zum anderen mit seiner politischen Tätigkeit in einem sozialen Netzwerk und den dadurch erhaltenen politischen Anfeindungen und Bedrohungen. (VS 21.07.2021 S 6 ff)

1.5 Zur Glaubhaftigkeit der vorgebrachten Antragsgründe und Rückkehrbefürchtung

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er wegen einer nicht erlaubten Beziehung zu einem Mädchen verfolgt werde, ist nicht glaubhaft.

Glaubhaft hingegen ist, dass sich der Beschwerdeführer aufgrund des Todes seines Schwagers und nach der mehrmonatigen Inhaftierung seiner Schwester politisch und vor allem explizit regimekritisch auf der populären und weitverbreiteten sozialen Plattform TikTok seit zumindest über einem Jahr betätigt. Der Beschwerdeführer benutzt dazu einen Account mit seinem richtigen Vornamen und die Initialen seines Familienamens und filmt sich dabei in verschiedenen Videobeiträgen selbst ohne Verschleierung seines Gesichts oder seiner Stimme, sodass er mit seinem Gesicht und seiner Stimme einwandfrei erkennbar und identifizierbar ist. Er beschimpft in verschiedenen Beiträgen mehrere Anhänger und Sympathisanten des iranischen Regimes, das iranische Regime selbst und mehrere höchste religiöse und politische Funktionäre namentlich in Farsi auf vulgärste Art und Weise. Daneben verbreitet er zusätzlich noch andere regimekritische Beiträge. Die Beiträge des Beschwerdeführers sind auch ohne Anmeldung und ohne Account über Suchmaschinen, wie zB Google, einfach auffindbar und abrufbar.

1.6 Zur Lage im Iran

Meinungs- und Pressefreiheit, Internet

Die iranische Verfassung garantiert zwar Meinungs- und Pressefreiheit, aber nur insoweit Aussagen nicht ’schädlich’ für die grundlegenden Prinzipien des Islams oder die ’Rechte der Öffentlichkeit’ sind (ÖB Teheran 10.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). In der Praxis sehen sich Meinungs und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert (AA 26.2.2020; vgl. BS 2020, AI 7.4.2021, USDOS 30.3.2021). Die Justiz- und Sicherheitsbehörden verwenden weiterhin vage definierte Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, um Aktivisten, Dissidenten und Menschenrechtsverteidiger wegen freier Meinungsäußerung zu verhaften und strafrechtlich zu verfolgen (HRW 13.1.2021), bzw. nutzen Behörden Gesetze, um Personen, die die Regierung direkt kritisieren oder menschenrechtliche Probleme ansprechen, einzuschüchtern und strafrechtlich zu verfolgen. Die Behörden dulden es nicht, das Regierungssystem, den Obersten Führer oder die Staatsreligion öffentlich zu kritisieren. Sicherheitsbehörden bestrafen jene, die diese Einschränkungen verletzen oder den Präsidenten, das Kabinett oder das Parlament öffentlich kritisieren (USDOS 30.3.2021).

Der staatliche Rundfunk wird von Hardlinern streng kontrolliert und vom Sicherheitsapparat beeinflusst. Nachrichten und Analysen werden stark zensiert (FH 3.3.2021). Insgesamt spiegelt die iranische Presselandschaft eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums wider, geprägt wird sie dennoch von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter ’roter Linien’ des Revolutionsführers, die in erheblichem Maß auch zu Selbstzensur führen. Bei Verstößen gegen ungeschriebene Regeln drohen Verwarnungen, Publikationsverbote, strafrechtliche Sanktionen etwa wegen ’Propaganda gegen das System’ bis hin zum Verbot von Medien, sowohl von reformorientierten als auch von konservativen Zeitungen (AA 26.2.2020). ’Propaganda gegen das System’ ist mit einer einjährigen Freiheitsstrafe sanktioniert, wobei ’Propaganda’ nicht definiert ist. Zeitungen und Medien sind daher stets der Gefahr ausgesetzt, bei regierungskritischer oder für hohe Regimevertreter unliebsamer Berichterstattung geschlossen zu werden. Dies gilt auch für Regimemedien. Oft werden in diesem Zusammenhang die Zeitungsherausgeber verhaftet (ÖB Teheran 10.2020). Mitarbeiter von ausländischen Presseagenturen (insbesondere kritische farsisprachige Medien wie BBC, DW oder Voice of America) sowie unabhängige Journalisten sind Berichten zufolge oft mit Verzögerungen bei der Gewährung der Presselizenz durch die iranischen Behörden, Verhaftungen, körperlicher Züchtigung sowie Einschüchterung ihrer Familienmitglieder konfrontiert (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020, FH 3.3.2021). Insbesondere im Zusammenhang mit politischen Ereignissen, wie z.B. Wahlen, war in den letzten Jahren immer wieder ein verstärktes Vorgehen gegen Journalisten zu beobachten. Meist werden dabei unverhältnismäßig hohe Strafen wegen ungenau definierter Anschuldigungen wie etwa ’regimefeindliche Propaganda’ verhängt (ÖB Teheran 10.2020).

Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol. Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weit verbreitet. Die Behörden versuchen, dies durch den Einsatz von Störsendern (sogenanntes Jamming) zu unterbinden (AA 26.2.2020; vgl. FH 3.3.2021). Die Polizei durchsucht regelmäßig Privathäuser und beschlagnahmt Satellitenschüsseln (FH 3.3.2021). Alle Arten von Medien unterliegen der Zensur (AI 7.4.2021). Andererseits besitzt nahezu jede iranische Familie eine Satellitenantenne, auch wenn diese offiziell verboten sind (GIZ 12.2020c).

Internet ist weit verbreitet, die Zahl der Internetcafés (Cofee Net) nimmt stetig zu, chatten (und zunehmend auch bloggen) ist eine Art Volkssport unter jungen Iranern. Zudem ist die Zahl an Handys gerade unter jungen Iranern hoch, auch wenn SIM-Karten sehr teuer sind (GIZ 12.2020c). Etwa 70% der iranischen Bevölkerung sind aktive Internetnutzer. Seit 2009 haben die iranischen Behörden erhebliche Mittel für den Ausbau der Infrastruktur, aber auch für die Kontrolle ihrer Nutzung aufgewendet. Zensur und Überwachung sind umfangreich. Eine Cyberpolizei wurde eingerichtet, und auch mehrere andere Regierungsbehörden haben Aufgaben im Zusammenhang mit der Überwachung des Internets und der sozialen Medien übernommen. Darüber hinaus haben die iranischen Behörden ein lokales, staatlich kontrolliertes Netzwerk entwickelt, das National Information Network (NIN). Die regimekritische Debatte findet vor allem in den sozialen Medien statt. Für illegale Oppositionsparteien ist das Internet der bevorzugte Kanal für den Informationsaustausch. Die iranischen Behörden konzentrieren sich insbesondere auf Personen, die die öffentliche Meinung in Iran beeinflussen können, wie beispielsweise diejenigen, die viele Anhänger in den sozialen Medien haben. Dies gilt auch für im Ausland lebende Iraner. Iranische Journalisten, die für internationale Medienhäuser arbeiten, werden streng überwacht (Landinfo 31.5.2021).

Gegen Personen, die ihre Meinung oder Nachrichten online publizieren (Blogger), wird massiv vorgegangen. Die elektronischen Medien und der Internet-Verkehr stehen unter intensiver staatlicher Kontrolle. Millionen Internetseiten sind gesperrt. Regimefeindliche oder ’islamfeindliche’ Äußerungen werden auch geahndet, wenn sie in elektronischen Kommunikationsmedien, etwa auch in sozialen Netzwerken, getätigt werden. Vor allem junge Menschen, welche diese Kommunikationsmittel zum Meinungsaustausch nutzen, laufen Gefahr, wegen ihrer geäußerten regimekritischen Meinung verfolgt zu werden (ÖB Teheran 10.2020). Ebenso werden oppositionelle Webseiten und eine Vielzahl ausländischer Nachrichtenseiten sowie soziale Netzwerke durch iranische Behörden geblockt (AA 26.2.2020; vgl. FH 3.3.2021, AI 7.4.2021). Ihr Empfang ist jedoch mithilfe von VPN (Virtual Private Networks) möglich, wird aber ’gefiltert’ bzw. mitgelesen und regelmäßig auch gestört. Das Vorgehen der Behörden gegen reformorientierte Medien erstreckt sich auch auf das Internet. Jeder, der sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen ’Cyber-Krieg’ gegen das Land führen zu wollen. Die Überwachung persönlicher Daten ist ohne Gerichtsanordnung grundsätzlich verboten. Wenn die nationale Sicherheit bedroht zu sein scheint, wird hiervon jedoch abgesehen (AA 26.2.2020).

Präsident Rohani hatte in seiner Wahlkampagne eine Lockerung der Zensurpolitik versprochen. Zeitweise wurden einige soziale Netzwerke wieder freigegeben. Rohani bezeichnete den Zugang zum Internet als ’Bürgerrecht’ und ist selbst auf Twitter und Facebook aktiv (beide in Iran gesperrt, wobei dies durch viele Iraner mittels VPN umgangen wird). Trotz seiner vielversprechenden Aussagen und einer (teils heftig geführten) öffentlichen Diskussion insbesondere zum Thema ’Cyberspace’ hat sich die Situation aber nicht signifikant verbessert, im Gegenteil: Im ersten Halbjahr 2018 wurde die überaus beliebte Messenger App ’Telegram’ gesperrt. Es gibt weiterhin Polizeiaktionen gegen auf Instagram erfolgreiche Frauen, die ’unsittliche’ Inhalte (Fotos ohne Kopftuch, Make-up-Videos, Tanzvideos, usw.) teilen. Seitdem seit Februar 2020 konservative und erzkonservative Kräfte im iranischen Parlament die Mehrheit der Abgeordneten stellen, ist der Druck auf den jungen Telekom-Minister für eine Filterung der noch nicht gefilterten sozialen Medien wie Instagram und WhatsApp und die Einführung des bereits nach chinesischem Vorbild vorbereiteten internen Internets gewachsen. Der junge Minister mit seiner Vergangenheit als Beamter des Geheimdienstes konnte sich bisher gegen diesen Druck wehren. Es ist aber zu erwarten, dass sich der Zugriff der Iraner auf die virtuelle Welt in Zukunft noch weiter einschränken wird (ÖB Teheran 10.2020). Die Internetseiten von Facebook, Telegram, Twitter und YouTube bleiben blockiert (AI 7.4.2021).

Die 1997 unter Khatami gegründete ’Association of Iranian Journalists’ wurde 2009 unter Staatspräsident Ahmadinedschad von den Sicherheitskräften geschlossen und hat seitdem trotz pressefreundlicher Wahlkampfversprechen von Rohani ihre Tätigkeit nicht wieder aufgenommen. Im Ausland lebende Journalisten von BBC Farsi berichten von gezielter Verfolgung und Einschüchterungsversuchen. Maßnahmen wie Überwachung, wiederholte Befragungen und das Einfrieren von Konten erstrecken sich dabei auch auf Familien der Betroffenen. Familienangehörige werden unter Druck gesetzt, auf die Beendigung der journalistischen Tätigkeit für BBC Farsi hinzuwirken. Inhaftierte Journalisten sind in Iran – wie alle politischen Gefangenen – besorgniserregenden Haftbedingungen ausgesetzt. Unter politischen Gefangenen und Journalisten kommt es regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen, unter anderem gegen die hygienischen Bedingungen und die mangelhafte medizinische Versorgung (AA 26.2.2020).

Ebenso unter Druck stehen Filmemacher und bildende Künstler, vor allem dann, wenn ihre Kunst als ’unislamisch’ oder regimekritisch angesehen wird, oder sie ihre Filme an ausländische Filmproduktionsfirmen verkaufen oder auch nur im Ausland aufführen (dazu wurde eine Genehmigungspflicht verhängt). Über zahlreiche Künstler wurden Strafen wegen zumeist ’regimefeindlicher Propaganda’ und anderen Anschuldigungen verhängt. Viele sind regelmäßig in Haft bzw. zu langjährigen Tätigkeits- und Interviewverboten verurteilt (ÖB Teheran 10.2020).

In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen hat sich Iran um einen Platz verschlechtert und liegt nun an Position 174 (2020: 173) von 180 (ROG 2021a). Iran bestätigt mit der weltweit ersten staatlichen Hinrichtung eines Journalisten seit 30 Jahren seine Stellung als einer der schlimmsten Unterdrücker der Pressefreiheit (ROG 2021b).

Hinsichtlich der Corona-Pandemie spielt die Islamische Republik die Opferzahlen herunter, verschärft die Einschränkungen für traditionelle Medien und soziale Netzwerke, verhört, verhaftet und verurteilt Medienschaffende für ihre unabhängige Berichterstattung (ROG 2021b). Die Behörden ergriffen im Jahr 2020 Maßnahmen, die eine unabhängige Berichterstattung über Covid-19 und jegliche Kritik am staatlichen Umgang mit der Pandemie unterbinden sollten. Das Ministerium für Kultur und islamische Führung wies Medien und Journalisten an, bei der Berichterstattung nur offizielle Quellen und Statistiken zu verwenden. Die Internetpolizei gründete eine spezielle Einheit, um gegen ’Internet-Gerüchte’ und ’Fake News’ über Corona in den sozialen Medien vorzugehen. Zahlreiche Journalisten, Nutzer Sozialer Medien, Mitarbeiter im Gesundheitswesen und andere Personen wurden festgenommen, verhört oder verwarnt. Im April 2020 erhoben die Behörden Anklage gegen einen Arzt aus Saqqez in der Provinz Kurdistan, wegen ’Verbreitung von Propaganda gegen das System’ und ’Störung der öffentlichen Meinung’, weil er auf Instagram Beiträge über Covid-19 veröffentlicht hatte (AI 7.4.2021).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Die Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit steht für öffentliche Versammlungen unter einem Genehmigungsvorbehalt. Demonstrationen der Opposition sind seit den Wahlen 2009 nicht mehr genehmigt worden, finden jedoch in kleinem Umfang statt. Demgegenüber stehen Demonstrationen systemnaher Organisationen, zu deren Teilnahme Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sowie Schüler und Studenten teilweise verpflichtet werden (AA 26.2.2020).

In den letzten drei Jahren haben die iranischen Behörden auf wiederholte und weit verbreitete Proteste im ganzen Land mit übermäßiger und tödlicher Gewalt und willkürlichen Verhaftungen von Tausenden von Demonstranten reagiert (HRW 13.1.2021). Nach den regierungskritischen Protesten im November und Dezember 2019, die aufgrund einer Benzinpreiserhöhung ausgelöst wurden (DW 29.12.2019; vgl. DIS 7.2.2020), wurden Tausende Personen festgenommen (DIS 7.2.2020). Zudem wurden laut inoffiziellen Zahlen zwischen 300 und 1.500 Demonstranten getötet (DW 29.12.2019; vgl. AI 7.4.2021), unter ihnen 180 ’Rädelsführer’, denen die Todesstrafe droht. Die iranische Regierung weist diese Zahlen als völlig übertrieben zurück (DW 29.12.2019). Mit einer zeitweisen Internetblockade sorgte Teheran damals dafür, dass kaum Informationen, Bilder und Videos der Proteste verbreitet werden konnten (DW 29.12.2019; vgl. HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021). Sicherheitskräfte setzten exzessive und rechtswidrige tödliche Gewalt gegen massive Proteste im ganzen Land ein, insbesondere gegen Demonstranten, die Straßen blockierten oder in einigen Fällen Steinewarfen und versuchten, öffentliche Gebäude zu übernehmen (HRW 13.1.2021). Auch mehr als ein Jahr nach den Protesten schüchtern die Behörden die Familien der Opfer weiter ein und behindern die Bemühungen, die Zahl der getöteten Demonstranten zu klären (FH 3.3.2021).

Vereinigungen auf Arbeitnehmerseite werden misstrauisch beobachtet. Es gibt keine Betätigungsmöglichkeit für unabhängige Gewerkschaften (ÖB Teheran 10.2020; vgl. FH 3.3.2021). Gewerkschaftliche Aktivitäten werden zum Teil unter dem Vorwurf der ’Propaganda gegen das Regime’ und ’Handlungen gegen die nationale Sicherheit’ verfolgt. Das Streikrecht hingegen ist prinzipiell gewährleistet (AA 26.2.2020), jedoch können streikende Arbeiter von Entlassung und Verhaftung bedroht sein. Mehrere inhaftierte Arbeiteraktivisten wurden 2019 zu Haftstrafen von 14 Jahren oder mehr verurteilt (FH 3.3.2021). Erlaubt sind nur ’Islamische Arbeitsräte’ unter der Aufsicht des ’Haus der Arbeiter’ (keine unabhängige Institution). Mitglieder und Gründer unabhängiger Gewerkschaftsgruppierungen wie etwa die Teheraner Busfahrergewerkschaft, die Zuckerrohrarbeitergewerkschaft oder die Lehrergewerkschaft wurden in den letzten Jahren zunehmend häufig verhaftet, gefoltert und bestraft. Proteste gegen zu geringe oder gar nicht ausbezahlte Löhne mehren sich seit Anfang 2018, auch dabei kommt es immer wieder zu Festnahmen. Seit Anfang 2018 sind auch Umweltaktivisten von Verfolgung bedroht. Eine Gruppe von Umweltaktivisten wurde aufgrund von Spionageverdacht verhaftet, unter dem Vorwurf der mitunter ’unbewussten’ Spionage im Umfeld von atomaren Einrichtungen. Inzwischen sind einige von diesen Aktivisten zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Und dies obwohl selbst die Regierung und auch der iranische Geheimdienst in den vergangenen zwei Jahren der Meinung waren, dass der Vorwurf der Spionage auf die verhafteten Aktivisten nicht zutreffe. Aber sowohl die Geheimdienstabteilung der Revolutionsgarden als auch die iranische Judikative bestanden darauf, dass diese Umweltaktivisten Spionage betreiben wollten (ÖB Teheran 10.2020).

In Iran gibt es keine politischen Parteien mit vergleichbaren Strukturen westlich-demokratischer Prägung (ÖB Teheran 10.2020; vgl. GIZ 12.2020a). Auch im Parlament existiert keine, mit europäischen Demokratien vergleichbare, in festen Fraktionen organisierte parlamentarische Opposition. Sowohl bei Präsidenten- als auch bei Parlamentswahlen nimmt der Wächterrat die Auswahl der Kandidaten vor. Kandidaten werden unter fadenscheinigen Gründen aussortiert – dabei wurden auch schon ehemalige Präsidenten als ’nicht geeignet’ ausgeschlossen. Der Spielraum für die außerparlamentarische Opposition wird vor allem durch einen Überwachungsstaat eingeschränkt, was die Vernetzung oppositioneller Gruppen extrem riskant macht (Einschränkung des Versammlungsrechts, Telefon- und Internetüberwachung, Spitzelwesen, Omnipräsenz von Basij-Vertretern u.a. in Schulen, Universitäten sowie Basij-Sympathisanten im öffentlichen Raum, etc.) (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020).

Die Verfassung lässt die Gründung politischer Parteien, von Berufsverbänden oder religiösen Organisationen so lange zu, als sie nicht gegen islamische Prinzipien, die nationale Einheit oder die Souveränität des Staates verstoßen und nicht den Islam als Grundlage des Regierungssystems in Frage stellen. Hinzu kommen immer wieder verhängte drakonische Strafen aufgrund diffuser Straftatbestände (’regimefeindliche Propaganda’, ’Beleidigung des Obersten Führers’ etc.). Darüber hinaus werden Angehörige der außerparlamentarischen Opposition immer wieder unter anderen Vorwürfen festgenommen (ÖB Teheran 10.2020). Viele Anhänger der Oppositionsbewegungen wurden also verhaftet, haben Iran verlassen oder sind nicht mehr politisch aktiv (AA 26.2.2020). Die Oppositionsführer Mehdi Karroubi und Mir Hossein Mussawi sowie dessen Ehefrau Zahra Rahnavard stehen noch immer ohne Anklage oder Gerichtsverfahren unter Hausarrest, der 2011 gegen sie verhängt worden war (AI 7.4.2021; vgl. BS 2020, ÖB Teheran 10.2020, AA 26.2.2020).

An sich gäbe es ein breites Spektrum an Ideologien, die die Islamische Republik ablehnen, angefangen von den Nationalisten bis hin zu Monarchisten und Kommunisten. Eine markante Führungspersönlichkeit fehlt bei sämtlichen oppositionellen Gruppierungen (ÖB Teheran 10.2020). Ohne entsprechende Führung und angesichts umfassender Überwachung der Kommunikationskanäle spielen die verbleibenden Oppositionellen kaum eine Rolle. Das Fehlen oppositioneller Führungspersonen zeigte sich auch bei den Unruhen zum Jahreswechsel 2017/18 und den Protesten im November 2019 (AA 26.2.2020).

Haftbedingungen

Die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen sind von massiver Überbelegung geprägt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. USDOS 30.3.2021, FH 3.3.2021, AI 7.4.2021). Berichten zufolge kommt es auch vor, dass bei Überbelegung der Zellen Häftlinge im Freien untergebracht werden (ÖB Teheran 10.2020), oder sie müssen auf Gängen oder am Boden schlafen (USDOS 30.3.2021). Die Haftbedingungen sind sehr oft auch gesundheitsschädigend. Berichtet wird über unzureichende Ernährung und Verweigerung notwendiger medizinischer Behandlung - in Einzelfällen mit tödlichen Folgen. Von mangelnden hygienischen Zuständen ist auszugehen (ÖB Teheran 10.2020; vgl. USDOS 30.3.2021, FH 3.3.2021, AI 7.4.2021). Im Allgemeinen verschlechterten sich die Haftbedingungen während der COVID-19-Pandemie erheblich (USDOS 30.3.2021). Politische Gefangene haben in den letzten Jahren wiederholt Hungerstreiks durchgeführt, um gegen Misshandlungen in Gewahrsam zu protestieren (FH 3.3.2021; vgl. USDOS 30.3.2021). Von Februar bis Mai 2020 ließen die Behörden als Reaktion auf die Corona-Pandemie etwa 128.000 Gefangene vorübergehend frei und begnadigten 10.000 weitere (AI 7.4.2021), um die Ausbreitung von COVID-19 in Gefängnissen zu verhindern. Berichten zufolge befanden sich nur sehr wenige politische Gefangene unter jenen, denen Urlaub gewährt wurde (FH 3.3.2021). Hunderte gewaltlose politische Gefangene waren von Begnadigungen und vorübergehenden Freilassungen ausgeschlossen (AI 7.4.2021). Mehrere Menschenrechtsverteidiger wurden unter der richterlichen Anordnung bezüglich COVID-19 freigelassen. In vielen anderen Fällen haben sich die Behörden trotz der Gesundheitsrisiken geweigert, Menschenrechtsverteidigern vorübergehende Freilassungen zu gewähren (HRW 13.3.2021). Die Zahl der Coronavirus-Infektionen in Gefängnissen dürfte höher sein als von den Behörden angegeben (FH 3.3.2021).

In den Gefängnissen wird auch von physischer und psychischer Folter berichtet. Dies gilt auch und gerade im Zusammenhang mit Häftlingen, die unter politischem Druck stehen, zu intensive Kontakte mit Ausländern pflegen, etc. (ÖB Teheran 10.2020). Folter und andere Misshandlungen sind nach wie vor weit verbreitet und werden systematisch angewendet - vor allem während Verhören (AI 7.4.2021). Neben Elektroschocks werden u.a. Schläge, Verbrennungen, Vergewaltigungen, Scheinhinrichtungen, Verhaftung der Familie, Einzelhaft und Schlafentzug verwendet. Dazu kommt vielfach der nicht oder nur ganz selten mögliche Kontakt mit der Außenwelt. Oft ist es Angehörigen während mehrerer Wochen oder Monate nicht möglich, Häftlinge zu besuchen. Politische Gefangene oder Minderjährige werden teils mit kriminellen Straftätern zusammengelegt, wodurch Übergriffe nicht selten sind (ÖB Teheran 10.2020).

Eines der berüchtigtsten Gefängnisse ist nach wie vor das im Norden Teherans gelegene, von den Amerikanern für den Schah (und den Geheimdienst SAVAK) errichtete Evin-Gefängnis. Von außen fällt auf, dass es weniger aus Gebäuden, sondern eher aus Hügeln besteht, zumal sich ein Großteil des Gefängnisses in unterirdischen Anlagen befindet. Dies verstärkt den psychischen Druck (Mangel an Tageslicht). Manche Trakte unterstehen nicht der Justiz/Polizei, sondern direkt den Nachrichtendiensten der Revolutionsgarden. Aber auch andere Gefängnisse, wie das neue ’Große Teheraner Gefängnis’ im Süden der Stadt sind für ihre Haftbedingungen berüchtigt (ÖB Teheran 10.2020).

Straflosigkeit bei Vergehen von Beamten ist weiterhin ein Problem. Berichten zufolge hat Folter zu mehreren Todesfällen in Gewahrsam geführt (AI 7.4.2021). Gefangene können Beschwerden bei den Justizbehörden einreichen, werden jedoch häufig mit Zensur oder Vergeltung in Form von Verleumdung, Schlägen, Folter und Verweigerung von medizinischer Versorgung und Medikamenten oder Urlaubsanträgen sowie Anklage wegen zusätzlicher Straftaten konfrontiert (USDOS 30.3.2021).

Die Haftbedingungen für politische und sonstige Häftlinge weichen stark voneinander ab. Dies betrifft in erster Linie den Zugang zu medizinischer Versorgung (einschließlich Verweigerung grundlegender Versorgung oder lebenswichtiger Medikamente) sowie hygienische Verhältnisse. Es kommt regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen (AA 26.2.2020), in der Regel entschließen sich politische Häftlinge dazu (ÖB Teheran 10.2020; vgl. FH 3.3.2021). Im März und April 2020 protestierten Gefangene im ganzen Land mit Hungerstreiks und Aufständen, weil die Behörden nicht in der Lage waren, sie vor Corona-Infektionen zu schützen. Die Behörden reagierten mit rechtswidrigen Mitteln. Sie schlugen die Inhaftierten und beschossen sie mit scharfer Munition, Metallkugeln und Tränengas, um die Proteste niederzuschlagen. Dies führte dazu, dass am 31. März 2020 im Sheiban-Gefängnis in Ahwaz in der Provinz Khuzestan mehrere Gefangene, die der arabischen Ahwazi-Minderheit angehörten, getötet und viele weitere verletzt wurden (AI 7.4.2021).

Die Grenzen zwischen Freiheit, Hausarrest und Haft sind in Iran manchmal fließend. Politisch als unzuverlässig geltende Personen werden manchmal in ’sichere Häuser’ gebracht, die den iranischen Sicherheitsbehörden unterstehen. Dort werden sie ohne Gerichtsverfahren Monate oder sogar Jahre festgehalten (ÖB Teheran 10.2020). Ein besonders prominentes Beispiel ist Oppositionsführer Mehdi Karroubi, der zusammen mit seiner Frau und zwei anderen Oppositionsführern seit 2011 unter Hausarrest steht (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AI 7.4.2021).

Rückkehr

Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus (AA 26.2.2020). In der iranischen Gesetzgebung gibt es kein Gesetz, das die Beantragung von Asyl im Ausland strafbar macht (Cedoca 30.3.2020). In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Trotzdem kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen. Bisher wurde kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden (AA 26.2.2020). Allerdings gibt es zum Thema Rückkehrer nach wie vor kein systematisches Monitoring, das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde. In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und Abstandnahme von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Rückkehrer keinen aktiven Botschaftskontakt pflegen, der ein seriöses Monitoring ihrer Situation zulassen würde. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglichen Fluchtgründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr. Australien zahlt Rückkehrhilfe an eine bislang überschaubare Gruppe an freiwilligen Rückkehrern in Teheran in Euro aus (ÖB Teheran 10.2020).

Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von den iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und nach Iran zurückkehren. Eine Einreise ist lediglich mit einem gültigen iranischen Reisepass möglich. Die iranischen Auslandsvertretungen sind angewiesen, diesen jedem iranischen Staatsangehörigen auf Antrag auszustellen (AA 26.2.2020).

Iraner, die im Ausland leben, sich dort öffentlich regime-kritisch äußern und dann nach Iran zurückkehren, können von Repressionen betroffen sein (AA 26.2.2020). Wenn Kurden im Ausland politisch aktiv sind, beispielsweise durch Kritik an der politischen Freiheit in Iran in einem Blog oder anderen Online-Medien, oder wenn eine Person Informationen an die ausländische Presse weitergibt, kann das bei einer Rückreise eine gewisse Bedeutung haben. Die Schwere des Problems für solche Personen hängt aber vom Inhalt und Ausmaß der Aktivitäten im Ausland und auch vom persönlichen Aktivismus in Iran ab (DIS/DRC 23.2.2018).

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf den Verwaltungsverfahrensakt des BFA, den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes und das Ergebnis der durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung jeweils in Klammer angeführt.

2.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen im Iran (1.1)

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, die er im Zuge des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, waren auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse nicht zu bezweifeln. Mangels Vorlage von unbedenklichen Identitätsdokumenten konnte seine Identität nicht abschließend festgestellt werden.

Seine Ausführungen zu seinem Glauben, seiner Schulbildung, seiner beruflichen Tätigkeit, seinen Familienangehörigen im Iran, seinem Onkel in Deutschland sowie zu seinem Aufenthalt in seinem Heimatort waren kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei, sodass auch dieses Vorbringen als glaubhaft erachtet werden konnte.

Die Feststellungen zu seiner Ausreise aus dem Iran, seiner Reiseroute und seiner Einreise nach Österreich beruhen auf seinen Angaben im Verfahren, welche insofern stringent waren und keine Anhaltspunkte für die Annahme boten, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich falsche Angaben gemacht hätte.

2.2 Zu seiner Lebenssituation in Österreich (1.2)

Seine Angaben zu seiner Einreise und seinem Aufenthalt in Österreich, zu seiner aktuellen Lebenssituation, seiner Beschäftigung, seinen sonstigen Aktivitäten und dem Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung erwiesen sich als widerspruchsfrei, sie wurden durch die von ihm vorgelegten Bescheinigungen zum Nachweis seiner bereits gesetzten Integrationsschritte belegt und stehen auch im Einklang mit den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszügen aus den behördlichen Datenregistern. Der Beschwerdeführer konnte sich in der mündlichen Verhandlung in deutscher Sprache mit einfachen Worten verständlich machen. Die strafrechtlichen Verurteilungen ergeben sich aus dem Strafregisterauszug der Republik Österreich sowie aus dem im Akt enthaltenen Protokolls- und Urteilsvermerk.

2.3 Zum Gesundheitszustand (oben 1.3)

Der Beschwerdeführer selbst gab in der mündlichen Verhandlung an, gesund zu sein und keine Medikamente einzunehmen. Anhaltspunkte für Zweifel an diesen Angaben kamen nicht hervor.

2.4 Zur Begründung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz und zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit (oben 1.4 und 1.5)

2.4.1 Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen beruhen auf seinen protokollierten Aussagen im Zuge der Einvernahmen vor dem BFA sowie im Rahmen der mündlichen Verhandlung und auf seinen schriftlichen Eingaben.

2.4.2 Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er wegen einer nicht erlaubten Beziehung zu einem Mädchen verfolgt werde, ist aus den folgenden Gründen nicht glaubhaft:

Gegenüber dem BFA gab der Beschwerdeführer an, dass seine Freundin nach etwa fünfjähriger Beziehung mit ihm, im Mai 2015 zwangsweise mit einem anderen Mann verlobt worden wäre. Danach sei die Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und jener Frau noch zwei Jahre lang heimlich weitergeführt worden, indem sie telefoniert und sich auf der Straße getroffen hätten (NS EV 21.08.2017 S 7, 8). Dazu ist zunächst auf die zeitlichen Ungereimtheiten im Vorbringen des Beschwerdeführers hinzuweisen, da er auch angab, im November 2015 aus dem Iran ausgereist zu sein (NS EB 14.12.2015 S 3; NS EV 21.08.2017 S 8). Eine zwei Jahre lange heimliche Beziehung nach der Verlobung mit dem anderen Mann im Mai 2015 kann somit nicht den Tatsachen entsprechen.

Der Beschwerdeführer sprach in der Einvernahme vor dem BFA stets nur davon, dass seine Freundin verlobt worden sei. Er gab damals auch an, dass die Verlobung am 07.05.2015 erfolgt wäre (NS 21.08.2017 S 7,8). Demgegenüber gab er in der Verhandlung im Jahr 2021 an, dass seine Freundin verheiratet worden sei und diese Heirat im Jahr 2014 erfolgt sei (VS 21.07.2021 S 7). Ein Übersetzungsfehler der Wörter für „verlobt“ und „verheiratet“ beim BFA konnte ausgeschlossen werden, da der in der Verhandlung herangezogene Dolmetscher verneinte, dass die Wörter „verlobt“ und „verheiratet“ verwechselt oder vertauscht werden könnten, was der Beschwerdeführer bestätigte (VS 21.07.2021 S 8). Es wäre daher zu erwarten gewesen, dass der Beschwerdeführer bereits vor dem BFA gesagt hätte, dass seine Freundin verheiratet worden wäre, hätte dies den Tatsachen entsprochen.
Nicht nachvollziehbar ist auch, dass der Beschwerdeführer das Datum „2014“ der angelblichen Heirat nur in gregorianischer Zeitrechnung angeben konnte, obwohl er mit der persischen Zeitrechnung aufgewachsen ist und auch zum damaligen Zeitpunkt im Iran gelebt hat. Dies erweist sich auch deshalb als unschlüssig, da er in der Verhandlung dann die später geschilderte Verhaftung seiner Schwester wieder in persischer Zeitrechnung anführte. (VS 21.07.2021 S 9) Auch dies spricht gegen die Glaubhaftigkeit seines Vorbingens.

Der Beschwerdeführer wurde beim BFA gefragt, wie er zwei Jahre lang heimlich die Beziehung geführt habe und der Beschwerdeführer antwortete darauf, dass sie sich nur telefonisch gesprochen und immer nur kurz auf der Straße getroffen hätten (NS EV 21.08.2021 S 8). Dagegen brachte er in der mündlichen Verhandlung vor, dass er ein sexuelles Verhältnis zu seiner verheirateten Freundin gehabt habe, er auch nach deren Heirat intime sexuelle Kontakte gehabt hätte (VS 21.07.2021 S 6, 8). Hätte der Beschwerdeführer tatsächlich ein sexuelles Verhältnis zu einer verheirateten Frau gehabt, wäre zu erwarten gewesen, dass er dies bereits beim BFA vorgebracht hätte und nicht nur gesagt hätte, dass sie sich nur telefonisch gesprochen und immer nur kurz auf der Straße getroffen hätten. Auch dies spricht gegen die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens.

Aus den soeben dargestellten Gründen gelangt das Bundesverwaltungsgericht in einer Gesamtbetrachtung aller Argumente insgesamt zu der Überzeugung, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgung aufgrund einer unerlaubten sexuellen Beziehung nicht glaubhaft ist.

2.4.3 Allerdings kann ein asylerhebliches glaubhaftes Vorbringen auch trotz eines zum Teil oder neben einem zum Teil unglaubhaften Vorbringen bestehen (vgl bspw VwGH, 02.09.2015, Ra 2015/19/0091: hier zu einer glaubhaften Konversion in Österreich trotz unglaubhaftem Vorbringen zum ursprünglichen Ausreisegrund).

Die Feststellung, wonach das im Beschwerdeverfahren vom Beschwerdeführer erstattete Vorbringen zu seiner regimekritischen politischen Betätigung in sozialen Medien und auch seine Motivation dafür glaubhaft ist, war aus den folgenden Gründen zu treffen:

Der Beschwerdeführer legte dar, dass er mit der Veröffentlichung seiner kritischen Haltung begann, da seine Schwester und deren Ehemann vom herrschenden Regime unrechtmäßig behandelt worden seien, da der Mann bei einer Protestdemonstration an den Folgen von Schlägen durch die iranische Polizei verstarb und seine Schwester nachfolgend zu Unrecht monatelang inhaftiert worden war, da sie Hausdurchsuchungen verweigerte. Dass diese Vorkommnisse den Beschwerdeführer dazu bewegten, öffentlich für seine Haltung einzustehen, ist nachvollziehbar und schlüssig und somit glaubhaft, zumal diesbezüglich auch keine Widersprüche vorliegen. Der Beschwerdeführer konnte auch darlegen, dass er seine regimekritische Meinung durch jene Videos bereits seit zumindest einem Jahr veröffentlicht. Dadurch wird die Glaubhaftigkeit seiner genannte Motivation untermauert und kann ausgeschlossen werden, dass die Videos nur aus Anlass und zum Zwecke der mündlichen Verhandlung erstellt und veröffentlicht worden wären. Ein opportunistisches Motiv für seine nunmehrige Betätigung kann damit ausgeschlossen werden.
In der mündlichen Verhandlung wurden nach dem Zufallsprinzip mehrere Videos des Beschwerdeführers gesichtet und der Dolmetscher fasste den Inhalt dieser Videos zusammen. Der Beschwerdeführer benutzt dazu einen Account mit seinem richtigen Vornamen und die Initialen seines Familienamens ( XXXX ) und filmt sich dabei in verschiedenen Videobeiträgen selbst ohne Verschleierung seines Gesichts oder seiner Stimme, sodass er mit seinem Gesicht und seiner Stimme einwandfrei erkennbar und identifizierbar ist. Er beschimpft in verschiedenen Beiträgen mehrere Anhänger und Sympathisanten des iranischen Regimes, das iranische Regime selbst und mehrere höchste religiöse und politische Funktionäre namentlich in Farsi auf vulgärste Art und Weise. Daneben verbreitet er zusätzlich noch andere regimekritische Beiträge. Die Beiträge des Beschwerdeführers sind auch ohne Anmeldung und ohne Account über Suchmaschinen, wie zB Google, einfach auffindbar und abrufbar. (S 21.07.2021 S 10) Der Beschwerdeführer bekennt sich damit öffentlich zu seinen politischen Überzeugungen, zumal er ansonsten einen anonymen Weg gewählt hätte, um seine Kritik auszudrücken.

Das Bundesverwaltungsgericht gelangt daher vor diesem Hintergrund der hier getroffenen Ausführungen und auch aufgrund des persönlich erlangten Eindrucks in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner regimekritischen politischen Gesinnung und Betätigung und zu seiner Motivation dazu glaubhaft ist.

2.5 Zur Lage im Iran (oben 1.6)

Die Feststellungen zur Lage im Iran ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zum Iran vom Juni 2021. Die Staatendokumentation des BFA berücksichtigt im Länderinformationsblatt Berichte verschiedener staatlicher Spezialbehörden, etwa des Deutschen Auswärtigen Amtes oder des US Department of State, ebenso, wie auch Berichte von Nichtregierungsorganisationen, wie etwa von Amnesty international, Human Rights Watch oder Freedom House. Angesichts der Ausgewogenheit und Seriosität der genannten Quellen sowie der Schlüssigkeit der weitestgehend übereinstimmenden Aussagen darin, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Den Länderinformationen wurde nicht entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zuerkennung des Status des Asylberechtigten

3.1 Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (VwGH 02.09.2015, Ra 2015/19/0143).

3.2 Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 05.09.2012, C-71/11 und C-99/11, in Zusammenhang mit der Auslegung der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie; neu gefasst durch die mit 09.01.2012 in Kraft getretene Richtlinie 2011/95/EU) ausgesprochen, dass Art 9 Abs 1 lit a der Richtlinie 2004/83/EG (nunmehr: Art 9 Abs 1 lit a der Richtlinie 2011/95/EU) dahin auszulegen, dass – nicht jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der gegen Art 10 Abs 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstößt, bereits eine „Verfolgungshandlung“ im Sinne dieser Bestimmung der Richtlinie darstellt; eine Verfolgungshandlung sich aus einem Eingriff in die öffentliche Ausübung dieser Freiheit ergeben kann und bei der Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der Art 10 Abs 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt, eine „Verfolgungshandlung“ darstellen kann, die zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Betroffenen prüfen müssen, ob er aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland ua tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art 6 der Richtlinie 2004/83/EG genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Art 2 lit c der Richtlinie 2004/83/EG (nunmehr: Art 2 lit d der Richtlinie 2011/95/EU) ist nach derselben Entscheidung des EuGH dahin auszulegen, dass eine begründete Furcht des Antragstellers vor Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen, wobei die Behörden bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling dem Antragsteller nicht zumuten können, auf diese religiösen Betätigungen zu verzichten.

3.3 Gemäß Artikel 10 Abs 1 lit e der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Artikel 6 genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

Zum gegenständlichen Fall

3.4 Fallbezogen ergibt sich die aktuelle asylrelevante Gefährdung des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr in den Iran aufgrund seiner tatsächlichen politisch oppositionellen Grundhaltung und Überzeugungen und Betätigungen. Der Beschwerdeführer produziert er Videos in welchen er jene sozialen Normen kritisiert und veröffentlicht diese, allgemein zugänglich auf der Plattform TikTok. Seine Kritik wird wiederum durch andere Benutzer dieser Plattform zurückgewiesen und der Beschwerdeführer wird wegen seiner ablehnenden Haltung kritisiert. Der Beschwerdeführer lehnt das politische Regime im Iran, die Religion und die Gesetze ab. Er spricht sich öffentlich und im Internet frei zugänglich gegen die Regierung, die Regierungsfirmen, den obersten Regierungsführer, die Revolutionsgarde, die Basij und das Grabmal des verstorbenen Revolutionsführers aus. Es ist dem Beschwerdeführer aufgrund der Inhaftierung seiner Schwester im Iran und des Todes seines Schwagers, der von der iranischen Polizei tödlich verletzt wurde, besonders wichtig, seine persönliche Überzeugung nicht für sich zu behalten, sondern diese zu veröffentlichen und öffentlich gegen das iranische Regime aufzutreten.

Zwar besteht im Iran grundsätzlich Meinungs- und Pressefreiheit, aber nur insoweit Aussagen nicht „schädlich“ für die grundlegenden Prinzipien des Islams oder die „Rechte der Öffentlichkeit“ sind. In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert. Die Justiz- und Sicherheitsbehörden verwenden weiterhin vage definierte Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, um Aktivisten, Dissidenten und Menschenrechtsverteidiger wegen freier Meinungsäußerung zu verhaften und strafrechtlich zu verfolgen bzw. nutzen Behörden Gesetze, um Personen, die die Regierung direkt kritisieren oder menschrechtliche Probleme ansprechen, einzuschüchtern und strafrechtlich zu verfolgen. Die Behörden dulden es nicht, das Regierungssystem, den Obersten Führer oder die Staatsreligion öffentlich zu kritisieren. Sicherheitsbehörden bestrafen jene, die diese Einschränkungen verletzen oder den Präsidenten, das Kabinett oder das Parlament öffentlich kritisieren. „Propaganda gegen das System“ ist mit einer einjährigen Freiheitsstrafe sanktioniert, wobei Propaganda nicht definiert ist. Meist werden dabei unverhältnismäßig hohe Strafen wegen ungenau definierter Anschuldigungen wie etwa „regimefeindliche Propaganda“ verhängt. Alle Arten von Medien unterliegen der Zensur. Im Iran wurde eine Cyberpolizei eingerichtet und mehrere andere Regierungsbehörden haben Aufgaben im Zusammenhang mit der Überwachung des Internets und der sozialen Medien übernommen. Dies gilt auch für im Ausland lebende Iraner. Gegen Personen, die ihre Meinung oder Nachrichten online publizieren (Blogger), wird massiv vorgegangen. Regimefeindliche oder „islamfeindliche“ Äußerungen werden auch geahndet, wenn sie in elektronischen Kommunikationsmedien getätigt werden. Die Blogger laufen Gefahr, wegen ihrer geäußerten regimekritischen Meinung verfolgt zu werden. Jeder der sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen „Cyber-Krieg“ gegen das Land führen zu wollen. (siehe oben Punkt 1.6. Zur Lage im Iran, Abschnitt Meinungs- und Pressefreiheit, Internet)

Es drohen dem Beschwerdeführer daher bei einer Rückkehr in den Iran mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Eingriffe von erheblicher Intensität in seine körperliche Integrität wegen seiner regimekritischen Haltung. Es ist dem Beschwerdeführer nicht zumutbar, bei einer Rückkehr in seine Heimat auf seine persönliche Einstellung in Bezug auf die politisch-religiöse Situation im Iran nur deshalb zu verzichten, damit ihm eine derartige Behandlung nicht widerfährt. Es besteht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative, da sich die Situation im ganzen Iran gleich darstellt.

Es ist daher objektiv nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer aus Furcht vor ungerechtfertigten Eingriffen von erheblicher Intensität aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes seines Herkunftsstaates zu bedienen.

3.5 Im Verfahren haben sich schließlich keine Hinweise auf die in Artikel 1 Abschnitt C und F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- und Ausschlussgründe ergeben. Die vorliegenden Verurteilungen in Österreich reichen dazu nicht aus.

3.6 Im vorliegenden Fall sind somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gegeben.

3.7 Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.8 Da der verfahrensgegenständliche Antrag auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, kommt dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs 4 AsylG damit eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu (§ 75 Abs 24 AsylG 2005).

B)

Revision

3.9 Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung geklärt. Der Beschwerdeführer veröffentlicht seine Wertehaltung seit etwa einem Jahr, weshalb dieser Umstand nicht bereits vom BFA, sondern erst im Beschwerdeverfahren berücksichtigt werden konnte.

3.10 Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asyl auf Zeit asylrechtlich relevante Verfolgung Flüchtlingseigenschaft politische Aktivität politische Gesinnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L516.2173392.1.00

Im RIS seit

21.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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