TE Vfgh Erkenntnis 1994/12/3 G193/94, G194/94, G195/94, G196/94

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Veröffentlicht am 03.12.1994
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Index

L9 Sozial- und Gesundheitsrecht
L9440 Krankenanstalt, Spital

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Allg
B-VG Art140 Abs7 dritter Satz
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
KAG §3 Abs2 lita
Sbg KAO 1975 §5 Abs1 lita
Sbg KAO 1975 §7 Abs2
VfGG §19 Abs3 litd

Leitsatz

Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens hinsichtlich der - die Bedarfsprüfung für die Bewilligung zur Errichtung von Krankenanstalten anordnenden - Bestimmungen der Sbg KAO 1975; keine entschiedene Sache mangels Identität der bereits mit einem früheren Erkenntnis aufgehobenen Grundsatznorm und den in Prüfung gezogenen Ausführungsnormen; Aufhebung der geprüften Bestimmungen wegen Verstoß gegen die Erwerbsausübungsfreiheit infolge Bewirkung eines Konkurrenzschutzes für bereits bestehende private, erwerbswirtschaftlich geführte Krankenanstalten

Spruch

§5 Abs1 lita der Salzburger Krankenanstaltenordnung 1975 - KAO 1975, Anlage zur Kundmachung der Salzburger Landesregierung vom 16. Oktober 1975 über die Wiederverlautbarung der Salzburger Krankenanstaltenordnung, LGBl. für Salzburg Nr. 97/1975 idF LGBl. für Salzburg Nr. 62/1988, und §7 Abs2 der Salzburger Krankenanstaltenordnung 1975 idF LGBl. für Salzburg Nr. 30/1989 werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Landeshauptmann von Salzburg ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1014/93 eine Beschwerde gegen einen Bescheid der Salzburger Landesregierung anhängig, mit welchem das Ansuchen der beschwerdeführenden GmbH um Erteilung der Bewilligung zur Errichtung einer privaten Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums "Zahnärztliche Tagesklinik" mit Standort in der Stadt Salzburg gemäß §5 Abs1 lita der Salzburger Krankenanstaltenordnung 1975 (im folgenden: KAO 1975) wegen Fehlens des Bedarfes ebenso abgewiesen wurde wie gemäß §17 Abs1 lita leg.cit. das Ansuchen um Erteilung der Bewilligung zum Betriebe dieser beabsichtigten Krankenanstalt.

1.2. Beim Verfassungsgerichtshof ist weiters zu B1146/93 eine Beschwerde gegen einen Bescheid der Salzburger Landesregierung anhängig, mit welchem das Ansuchen einer anderen GmbH um Erteilung der Bewilligung zum Betriebe einer Knieambulanz in den Räumlichkeiten des Sanatoriums Ritzensee in Saalfelden gemäß §5 Abs1 lita KAO 1975 wegen Fehlens des Bedarfes abgewiesen wurde.

1.3. Zu B1562/93 ist beim Verfassungsgerichtshof die Beschwerde gegen einen Bescheid der Salzburger Landesregierung anhängig, mit welchem das Ansuchen eines praktischen Arztes um Erteilung der Bewilligung zur Errichtung und zum Betriebe einer privaten Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Allergieambulatoriums mit dem Standort in der Stadt Salzburg gemäß §5 Abs1 lita KAO 1975 wegen Fehlens des Bedarfes abgewiesen wurde.

1.4. Schließlich ist beim Verfassungsgerichtshof zu B1950/93 die Beschwerde einer weiteren GmbH gegen einen Bescheid der Salzburger Landesregierung anhängig, mit welchem das Ansuchen dieser Gesellschaft um Erteilung der Errichtungsbewilligung für ein Sanatorium in der Stadt Salzburg gemäß §5 Abs1 lita KAO 1975 wegen Fehlens des Bedarfes ebenso abgewiesen wurde wie das Ansuchen um Betriebsbewilligung gemäß §17 Abs1 lita leg.cit.

2. Aus Anlaß der Beratung über die genannten Beschwerden beschloß der Verfassungsgerichtshof am 15. Juni 1994 im Verfahren B1014/93 und am 20. Juni 1994 in den anderen Verfahren gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen die Einleitung von Verfahren zur Prüfung des §5 Abs1 lita der Salzburger Krankenanstaltenordnung 1975 - KAO 1975, Anlage zur Kundmachung der Salzburger Landesregierung vom 16. Oktober 1975 über die Wiederverlautbarung der Salzburger Krankenanstaltenordnung, LGBl. für Salzburg Nr. 97/1975 idF LGBl. für Salzburg Nr. 62/1988, und des §7 Abs2 der Salzburger Krankenanstaltenordnung 1975 idF LGBl. für Salzburg Nr. 30/1989.

3. Die Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

3.1. Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen der KAO 1975 lauten im Zusammenhang unter jeweiliger Hervorhebung der verfassungsrechtlich bedenklichen Gesetzesstellen wie folgt:

"Sachliche Voraussetzungen

§5

(1) Die Bewilligung zur Errichtung einer Krankenanstalt darf weiters nur erteilt werden, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

a) es muß Bedarf nach einer Krankenanstalt der vom Bewerber angegebenen Art (§2 Abs1) gegeben sein, wobei die im §2b festgelegte Höchstzahl für systemisierte Betten jedenfalls einzuhalten ist; der Bedarf ist nach der Anzahl und der Betriebsgröße der im Lande Salzburg gelegenen gleichartigen und verwandten Krankenanstalten und nach der Verkehrslage zu beurteilen, bei Allgemeinen Krankenanstalten, Sonderkrankenanstalten und Sanatorien (§2 Abs1 Z. 1, 2 und 6) insbesondere unter Bedachtnahme auf die bestehenden Sonderklassen der öffentlichen und privaten, gemeinnützigen und nicht gemeinnützigen Krankenanstalten und das Erfordernis der wirtschaftlichen Führung dieser Krankenanstalten, bei Ambulatorien (§2 Abs1 Z. 7) auch unter Bedachtnahme der im politischem Bezirk, in dem das Ambulatorium errichtet werden soll, niedergelassenen praktischen Ärzte und Fachärzte des oder der betreffenden Fachgebiete;

b) ...

...

(2) ...

..."

"Einholung von Stellungnahmen

§7

(1) Im Bewilligungsverfahren ist ein Gutachten des Landeshauptmannes einzuholen, das zu dem Antrag vom Standpunkt der sanitären Aufsicht Stellung nimmt. Außerdem kann der Landessanitätsrat angehört werden.

(2) Zur Frage des Bedarfes nach §5 ist die gesetzliche Interessenvertretung der privaten Krankenanstalten, im Verfahren zur Bewilligung der Errichtung eines selbständigen Ambulatoriums (§2 Abs1 Z. 7), sofern nicht §9 Abs3 anzuwenden ist, auch die Ärztekammer für Salzburg und im Verfahren zur Bewilligung der Errichtung eines selbständigen Zahnambulatoriums auch die Österreichische Dentistenkammer zu hören."

3.2. Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen der KAO 1975 stehen zu den nachfolgend wiedergegebenen Bestimmungen des Krankenanstaltengesetzes - KAG, BGBl. Nr. 1/1957 idF BGBl. Nr. 565/1985 und BGBl. Nr. 282/1988, im Verhältnis landesgesetzlicher Ausführungsbestimmungen zu bundesgesetzlichen Grundsatzbestimmungen:

"§3.(1) Krankenanstalten bedürfen sowohl zu ihrer Errichtung wie auch zu ihrem Betriebe einer Bewilligung der Landesregierung.

(2) Die Bewilligung zur Errichtung einer Krankenanstalt im Sinne des Abs1 darf nur erteilt werden, wenn insbesondere

a) der Bedarf im Hinblick auf den angegebenen Anstaltszweck (§2 Abs1) unter Beachtung der Höchstzahl an systemisierten Betten nach dem jeweiligen Landes-Krankenanstaltenplan (§10 a) gegeben ist;

b) ...

...

(3) Im Bewilligungsverfahren nach Abs2 ist ein Gutachten des Landeshauptmannes einzuholen, das zu dem Antrag vom Standpunkt der sanitären Aufsicht Stellung nimmt. Außerdem ist im Bewilligungsverfahren bei Prüfung des Bedarfes nach Abs2 lita die gesetzliche Interessenvertretung der privaten Krankenanstalten, bei Bewilligung der Errichtung eines selbständigen Ambulatoriums (§2 Abs1 Z7), sofern nicht Abs6 anzuwenden ist, auch die zuständige Ärztekammer und bei Bewilligung der Errichtung eines selbständigen Zahnambulatoriums auch die Österreichische Dentistenkammer zu hören."

3.3. Mit Erkenntnis VfSlg. 13023/1992 hob der Verfassungsgerichtshof u.a. §3 Abs2 lita KAG sowie die Wortfolge "die gesetzliche Interessenvertretung der privaten Krankenanstalten, bei Bewilligung der Errichtung eines selbständigen Ambulatoriums (§2 Abs1 Z7), sofern nicht Abs6 anzuwenden ist, auch die zuständige Ärztekammer und" in §3 Abs3 leg.cit. wegen Verstoßes gegen das durch Art6 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung auf. Diese Aufhebung trat mit Ablauf des 31. Jänner 1993 in Kraft.

3.4. Mit dem Bundesgesetz, mit dem das Krankenanstaltengesetz geändert wird, BGBl. Nr. 801/1993, wurden §3 Abs2 lita und Abs3 KAG neu gefaßt (ArtI Z7 und 8 des zitierten Bundesgesetzes). Diese Bestimmungen lauten wie folgt:

"a) nach dem angegebenen Anstaltszweck und dem in Aussicht genommenen Leistungsangebot im Hinblick auf das bereits bestehende Versorgungsangebot öffentlicher, privater gemeinnütziger und sonstiger Krankenanstalten mit Kassenverträgen sowie bei Errichtung einer Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums auch im Hinblick auf das Versorgungsangebot durch niedergelassene Kassenvertragsärzte, kasseneigene Einrichtungen und Vertragseinrichtungen der Kassen, bei Zahnambulatorien auch im Hinblick auf niedergelassene Dentisten mit Kassenvertrag, ein Bedarf gegeben ist;"

"(3) Im Bewilligungsverfahren nach Abs2 ist ein Gutachten des Landeshauptmannes einzuholen, das zu dem Antrag vom Standpunkt der sanitären Aufsicht Stellung nimmt."

Diese Novelle, die am 27. November 1993 in Kraft trat, ordnet in ihrem ArtIII Abs1 an, daß die Länder "die Ausführungsgesetze zu ArtI innerhalb eines Jahres zu erlassen" haben.

4. In seinen Einleitungsbeschlüssen ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, daß die - wohl eine sprachlich untrennbare, in sich zusammenhängende Regelung bildenden - in Prüfung gezogenen Bestimmungen der KAO 1975 bei Erlassung der angefochtenen Bescheide angewendet wurden und daß er sie bei der Beurteilung der an ihn gerichteten Beschwerden anzuwenden haben wird.

Seine Bedenken formulierte der Verfassungsgerichtshof wie folgt:

"Der Gesetzgeber ist nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 3968/1961, 4011/1961, 5871/1968, 9233/1981) durch Art6 StGG ermächtigt, die Ausübung der Berufe dergestalt zu regeln, daß sie unter gewissen Voraussetzungen erlaubt oder unter gewissen Umständen verboten ist (also auch den Erwerbsantritt behindernde Vorschriften zu erlassen), sofern er dabei den Wesensgehalt des Grundrechtes nicht verletzt und die Regelung auch sonst nicht verfassungswidrig ist.

Nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10179/1984, 10386/1985, 10932/1986, 11276/1987, 11483/1987, 11494/1987, 11503/1987) ist eine gesetzliche Regelung, die die Erwerbsausübungsfreiheit beschränkt, jedoch nur zulässig, wenn das öffentliche Interesse sie gebietet, sie zur Zielerreichung geeignet und adäquat ist und sie auch sonst sachlich gerechtfertigt werden kann (vgl. auch die in VfSlg. 10932/1986 zitierte Literatur). Errichtet das Gesetz eine Schranke schon für den Antritt einer unternehmerischen Tätigkeit, die der Betroffene, der alle subjektiven Voraussetzungen erfüllt, aus eigener Kraft nicht überwinden kann - eine Schranke, wie sie etwa eine Bedarfsprüfung darstellt -, so liegt grundsätzlich ein schwerer Eingriff in die verfassungsgesetzlich gewährleistete Erwerbsausübungsfreiheit vor, der nur angemessen ist, wenn dafür besonders wichtige öffentliche Interessen sprechen und wenn keine Alternativen bestehen, um den erstrebten Zweck in einer gleich wirksamen, aber die Grundrechte weniger einschränkenden Weise zu erreichen (vgl. zB VfSlg. 11483/1987, 12009/1989).

Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen dürften - gemessen an den Voraussetzungen, unter denen eine Bedarfsprüfung verfassungsmäßig zu beurteilen ist - aus den folgenden Gründen nicht gerechtfertigt sein:

In seinem Erkenntnis VfSlg. 13023/1992 hat der Verfassungsgerichtshof mehrere den hier in Prüfung gezogenen vergleichbare Bestimmungen mit der Begründung als verfassungswidrig aufgehoben, daß die Bedarfsprüfung in Fällen, bei denen es um das Verhältnis von privaten erwerbswirtschaftlich geführten Krankenanstalten zueinander geht, keine sachliche Rechtfertigung finde. Vor dem Hintergrund dieses Erkenntnisses scheint dem Verfassungsgerichtshof auch der Konkurrenzschutz, der durch die in den zu prüfenden Bestimmungen normierte Bedarfsprüfung bewirkt wird, für bestehende private erwerbswirtschaftlich geführte Krankenanstalten einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Erwerbsfreiheit darzustellen. Die Bedarfsprüfung dürfte bei derartigen privaten Ambulatorien auch im Hinblick auf den Bestandsschutz öffentlicher Krankenanstalten nicht zu rechtfertigen sein, weil diese ärztliche Behandlungen und Untersuchungen grundsätzlich in anderer Form durchführen als die - etwa in Form von Tageskliniken betriebenen - privaten Ambulatorien."

5.1. Die Salzburger Landesregierung hat eine - in den vier Gesetzesprüfungsverfahren gleichlautende - Äußerung erstattet, in der sie den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes entgegentritt und begehrt, die in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmungen nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Sie führt insbesondere aus:

"... Zur Zulässigkeit:

In diesem Zusammenhang wird die Meinung vertreten, daß im vorliegenden Fall eine Zurückweisung der Beschwerde wegen entschiedener Sache gemäß §19 Abs3 litd des VerfGG 1953 erfolgen müßte. Eine Zurückweisung wegen entschiedener Sache hat nach der Judikatur zur Voraussetzung, daß sowohl die Identität der geprüften Norm als auch die Identität der vorgebrachten Bedenken vorliegt. Dies deshalb, da über bestimmt umschriebene Bedenken gemäß Art140 B-VG nur ein einziges Mal entschieden werden soll.

Zur Frage, ob im vorliegenden Verfahren gegen die in Prüfung gezogenen Bestimmungen der Salzburger Krankenanstaltenordnung 1975 die selben Bedenken bestehen, die zur Aufhebung von §3 Abs2 lita und Teilen von Abs3 KAG geführt haben, wird auf den Wortlaut des Beschlusses verwiesen, mit dem das gegenständliche Gesetzesprüfungsverfahren eingeleitet worden ist. In diesem Beschluß geht der Verfassungsgerichtshof offenbar selbst davon aus, daß gegen die in Prüfung gezogenen Bestimmungen die selben Bedenken bestehen, die im Erkenntnis VfSlg 13023/1992 dargelegt worden sind. Es ist daher von der Identität der Bedenken auszugehen.

Zur Frage der Identität der Norm wird auf die besondere gegenseitige Abhängigkeit zwischen Grundsatznorm und Ausführungsnorm verwiesen, mit der sich der Verfassungsgerichtshof etwa in dem Erkenntnis VfSlg 5921/1969 befaßt hat. Diese gegenseitige Abhängigkeit ergibt sich daraus, daß die Wirksamkeit gesetzgeberischer Maßnahmen für den Bereich der Vollziehung zweier gesetzgeberischer Akte bedarf. Die Grundsatznorm richtet sich dabei nur an den Ausführungsgesetzgeber, nicht aber an die Vollziehung. Die Ausführungsnorm ist die für die Vollziehung bestimmte Rechtsgrundlage, kann sich jedoch nur innerhalb der von der Grundsatznorm gezogenen inhaltlichen Schranken verfassungskonform entfalten (Auckenthaler, Der Zusammenhang von Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung, ÖJZ 1984, Seite 57). Dieser untrennbare Zusammenhang zwischen Grundsatznorm und Ausführungsnorm bewirkt zB. auch, daß der Verfassungsgerichtshof immer dann, wenn er eine Grundsatznorm unter Setzung einer Frist aufgehoben hat, die Unangreifbarkeit der aufgehobenen Norm auch auf die (weiterbestehenden) Ausführungsnormen ausdehnt (VfSlg 7263/1974). Wenn einer Ausführungsnorm, ohne daß sie unmittelbar von der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof betroffen wäre, die selbe Unangreifbarkeit zuerkannt wird wie der aufgehobenen Grundsatznorm, kann dem nur die Beurteilung zugrunde liegen, daß Grundsatznorm und Ausführungsnorm bis zu einem gewissen Grad als Einheit aufzufassen sind, die keine getrennte Beurteilung erlaubt. Dies gilt auch für die Frage, ob im Sinne des §19 Abs3 litd VerfGG 1953 von einer Identität der Norm auszugehen ist. Eine andere Beurteilung ergebe sich nur dann, wenn der Sitz der Verfassungswidrigkeit nicht in der Grundsatznorm, sondern erst in der Ausführungsnorm zu finden wäre. In diesem Fall könnte nicht von einer Identität der Bedenken ausgegangen werden.

In diesem Zusammenhang wird nicht übersehen, daß die Aufhebung der Bestimmungen über die Bedarfsprüfung im Krankenanstaltengesetz bereits mit Ablauf des 31. Jänner 1993 wirksam geworden, die Ersatzregelung durch den Bund jedoch erst am 27. November 1993 in Kraft getreten ist. Diese Verzögerung durch den Grundsatzgesetzgeber hat dazu geführt, daß für die Regelung der Bedarfsprüfung durch den Landesgesetzgeber vom 1. Feber 1993 bis zum 26. November 1993 ein grundsatzfreier Raum gegeben war. Die Grundsatzgesetzgebung ist nicht Voraussetzung, sondern nur inhaltliche Schranke für die Landesgesetzgebung. Eine solche inhaltliche Schranke in der Form, daß überhaupt keine Bedarfsprüfung zulässig sei, ist den nach der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof verbliebenen Bestimmungen des Krankenanstaltengesetzes nicht zu entnehmen. Die weiterbestehenden Bestimmungen der Salzburger Krankenanstaltenordnung 1975 sind daher seit dem 1. Feber 1994 nicht aus dem Grund verfassungswidrig, daß sie gegen bestehende Grundsatznormen verstoßen. Dies gilt auch für den Zeitraum ab dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 801/1993, da die Frist für die Ausführungsgesetzgebung noch nicht abgelaufen ist.

... Zur Begründetheit:

Auf die in Prüfung gezogenen Bestimmungen treffen jedoch auch die vom Verfassungsgerichtshof vorgebrachten Bedenken im Hinblick auf die Verletzung des Grundrechtes auf Erwerbsausübungsfreiheit nicht zu.

§5 Abs1 lita KAO führt zwar die Grundsatzbestimmung des mit Erkenntnis VfSlg 13023/1992 aufgehobenen §3 Abs2 lita des Krankenanstaltengesetzes aus, er enthält jedoch nähere Bestimmungen zur Vornahme der Bedarfsprüfung, die den vom Verfassungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis vorgebrachten Bedenken Rechnung tragen. Zur Frage der Bedarfsprüfung ist dort ausgeführt, daß eine gesetzliche Regelung, die die Erwerbsausübungsfreiheit beschränkt, nur zulässig ist, wenn das öffentliche Interesse sie gebietet, sie zur Zielerreichung geeignet und adäquat ist und auch sonst sachlich gerechtfertigt werden kann. Dem öffentlichen Interesse an der medizinischen Versorgung der Bevölkerung durch gemeinnützige Einrichtungen, unabhängig davon, ob sie von einer Gebietskörperschaft, einem sonstigen Rechtsträger oder von Privatpersonen betrieben werden, wurde auch vom Verfassungsgerichtshof vorrangige Bedeutung zugemessen. Dies insbesondere auch deshalb, weil durch öffentliche Mittel eine für den einzelnen finanziell tragbare medizinische Behandlung sichergestellt wird.

Verneint wurde jedoch die sachliche Rechtfertigung der im Krankenanstaltengesetz getroffenen Regelung, da diese einen Konkurrenzschutz auch für bestehende private, erwerbswirtschaftlich geführte Krankenanstalten bewirkt hätte. Dies ergäbe sich aus der Annahme, daß die in Prüfung gezogenen Bestimmungen spezifisch auf die Bedarfprüfung von Errichtungen mit gleichartigem Anstaltszweck abzielen: So sei der Bedarf nach selbständigen Ambulatorien nur im Vergleich zu schon bestehenden selbständigen Ambulatorien, aber nicht im Verhältnis zu anderen (privaten oder öffentlichen Krankenanstalten) zu beurteilen. Das gleiche gelte auch für Sanatorien.

Da gegenwärtig von einem grundsatzfreien Raum auszugehen ist, braucht nicht so sehr auf die Bedeutung der Grundsatznorm des §3 Abs2 lita KAG in seiner aufgehobenen Form eingegangen zu werden. (Nach ha. Auffassung hat sich daraus die spartenweise Form der Bedarfsprüfung nicht zwingend ergeben. Darin war nämlich nur davon die Rede, daß der Bedarf im Hinblick auf den angegebenen Anstaltszweck unter Beachtung der Höchstzahl an systematisierten Betten zu prüfen ist.) §5 Abs1 lita KAO ordnet jedenfalls an, daß bei der Bedarfsprüfung unter anderem für Sanatorien insbesondere auf die bestehenden Sonderklassen der öffentlichen und privaten, gemeinnützigen und nicht gemeinnützigen Krankenanstalten und das Erfordernis der wirtschaftlichen Führung dieser Krankenanstalten Bedacht zu nehmen ist. Bei Ambulatorien gilt das gleiche in bezug auf die niedergelassenen praktischen Ärzte und Fachärzte des betreffenden Fachgebietes. Aus dem Hinweis, daß nur auf Krankenanstalten mit Sonderklassen Bedacht zu nehmen ist, ergibt sich, daß nur jene Krankenanstalten besondere Berücksichtigung finden, die verpflichtet sind, auch Anspruchsberechtigte der Sozialversicherungsträger aufzunehmen. Andernfalls wäre der besondere Hinweis auf die Sonderklasse dieser Krankenanstalten unverständlich, da es eine 'Sonder'klasse eben nur im Vergleich zu jenen Leistungen geben kann, die die Krankenanstalt Anspruchsberechtigten der Sozialversicherungsträger erbringt. Damit scheiden bestehende Sanatorien aus der Betrachtung aus, sie genießen keinen Konkurrenzschutz. Diese nähere ausführungsgesetzliche Bestimmung zur Bedarfsprüfung macht die eminente betriebswirtschaftliche Bedeutung der Führung von Sonderklassebetten in Krankenanstalten mit Betten der allgemeinen Gebührenklasse, ohne die auf Grund der nur teilweisen Kostenersätze der Sozialversicherungsträger solche Krankenanstalten offenkundigerweise nicht wirtschaftlich betrieben werden können, und auch das im Zusammenhang mit Sanatorien verfolgte Ziel des Gesetzgebers deutlich: Angestrebt wird nicht ein Konkurrenzschutz unter bestehenden privaten, betriebswirtschaftlich geführten Einrichtungen, sondern ein Konkurrenzschutz im Verhältnis zu den bestehenden Sonderklassen in gemeinnützigen oder nicht gemeinnützigen Krankenanstalten mit Betten der allgemeinen Gebührenklasse. Aus ähnlichem Grund wird bei den nicht bettenführenden Ambulatorien angeordnet, daß auf das Leistungsangebot niedergelassener Ärzte und Fachärzte Bedacht zu nehmen ist, die in aller Regel zu in Kassenverträgen festgelegten Tarifen Behandlungen durchführen. Die vom Verfassungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis geäußerten Bedenken gegen §3 Abs2 lita KAG, daß dieser nämlich die Bedarfsprüfung bei Ambulatorien und Sanatorien auf einen reinen Konkurrenzschutz der privatwirtschaftlich geführten Einrichtungen beschränke, bestehen daher gegenüber §5 Abs1 lita KAO 1975 nicht."

5.2. Im Verfahren G193/94 hat auch die Beschwerdeführerin im Anlaßfall (B1014/93) eine Äußerung erstattet und den Antrag gestellt, "das Gesetzesprüfungsverfahren im geplanten Umfange durchzuführen" und festzustellen, daß die in Prüfung gezogenen Bestimmungen nicht verfassungskonform sind.

6. Der Verfassungsgerichtshof hat in den - zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - Gesetzesprüfungsverfahren erwogen:

6.1. Zur Zulässigkeit:

6.1.1. Die beim Verfassungsgerichtshof zu B1014/93, B1146/93, B1562/93 und B1950/93 anhängigen Beschwerden sind zulässig. Die mit diesen angefochtenen Bescheide stützen sich in ihrem Spruch jeweils explizit auf §5 Abs1 lita KAO 1975 sowie in ihrer Begründung teils ausdrücklich, teils der Sache nach auf §7 Abs2 leg.cit. Auch bilden diese Bestimmungen eine sprachlich untrennbare Regelung. Die Annahmen des Verfassungsgerichtshofes hinsichtlich des untrennbaren Zusammenhanges und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmungen treffen somit zu.

6.1.2. Die Salzburger Landesregierung verneint in ihrer Äußerung die Zulässigkeit der Gesetzesprüfungsverfahren mit dem Argument, daß entschiedene Sache infolge Identität sowohl der geprüften Norm als auch der vorgebrachten Bedenken vorliege.

Die Salzburger Landesregierung ist mit dieser Auffassung nicht im Recht. Eine Identität zwischen den mit dem Erkenntnis VfSlg. 13023/1992 aufgehobenen Grundsatznormen und den in den gegenständlichen Gesetzesprüfungsverfahren in Prüfung gezogenen Ausführungsnormen besteht nicht. Wenn die Salzburger Landesregierung aus der unbestrittenermaßen bestehenden gegenseitigen Abhängigkeit von Ausführungsnorm und Grundsatznorm (vgl. VfSlg. 5921/1969) und der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, derzufolge landesausführungsgesetzliche Bestimmungen, die auf einer unter Fristsetzung aufgehobenen grundsatzgesetzlichen Norm beruhen, bis zum Ablauf der Frist nicht wegen des zur Aufhebung des Grundsatzgesetzes führenden Verstoßes gegen ein Verfassungsgebot aufgehoben werden können, unter Verweis auf das Erkenntnis VfSlg. 7263/1974 auf die Identität von Grundsatznorm und Ausführungsnorm schließt, so übersieht sie, daß der Verfassungsgerichtshof in eben diesem Erkenntnis unmißverständlich (auf Seite 63) ausgesprochen hat:

"Erst von dem Zeitpunkt an, in dem die Aufhebung der Grundsatznorm in Kraft tritt, können die Gründe, die zur Aufhebung der Grundsatznorm geführt haben, auch zur Aufhebung des Ausführungsgesetzes führen."

Hinsichtlich des in Prüfung stehenden §5 Abs1 lita der KAO 1975 hat der Verfassungsgerichtshof zudem in seinem Erkenntnis vom 4.12.1992 B761/92 (= VfSlg. 13284/1992) unter Bezugnahme auf die im aufhebenden Erkenntnis vom 7.3.1992 G198,200/90 ua. (= VfSlg. 13023/1992) angeordnete Fristsetzung ausgeführt, daß "einem nach Außerkrafttreten des §3 Abs2 lita KAG allenfalls gestellten (neuerlichen) Antrag auf Bewilligung der Errichtung eines selbständigen Ambulatoriums ... res judicata nicht entgegengehalten werden" kann. Es besteht keine Veranlassung dazu, von dieser Rechtsauffassung abzurücken. Entschiedene Sache iSd §19 Abs3 litd VerfGG liegt somit nicht vor.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind (vgl. auch oben Punkt 6.1.1.), sind die Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

6.2. In der Sache:

6.2.1. Die Salzburger Landesregierung bringt zur Rechtfertigung der in Prüfung gezogenen Regelungen vor, daß mit diesen kein Konkurrenzschutz unter bestehenden privaten, betriebswirtschaftlich geführten Einrichtungen angestrebt werde, sondern nur ein Konkurrenzschutz im Verhältnis zu Krankenanstalten mit bestehenden Sonderklassen in gemeinnützigen oder nicht gemeinnützigen Krankenanstalten mit Betten der allgemeinen Gebührenklasse. Aus ähnlichem Grund werde bei den nicht bettenführenden Ambulatorien angeordnet, daß auf das Leistungsangebot niedergelassener Ärzte und Fachärzte Bedacht zu nehmen ist, die in aller Regel zu in Kassenverträgen festgelegten Tarifen Behandlungen durchführen. §5 Abs1 lita KAO 1975 ordne jedenfalls an, daß bei der Bedarfsprüfung u.a. für Sanatorien insbesondere auf die bestehenden Sonderklassen der öffentlichen und privaten, gemeinnützigen und nicht gemeinnützigen Krankenanstalten und das Erfordernis der wirtschaftlichen Führung dieser Krankenanstalten Bedacht zu nehmen ist. Aus dem Hinweis, "daß nur auf Krankenanstalten mit Sonderklassen Bedacht zu nehmen ist", ergebe sich, daß nur jene Krankenanstalten besondere Berücksichtigung finden, die verpflichtet sind, auch Anspruchsberechtigte der Sozialversicherungsträger aufzunehmen.

6.2.2. Der Verfassungsgerichtshof vermag auch die zur Rechtfertigung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen vorgetragenen Argumente der Salzburger Landesregierung nicht zu teilen. Es trifft zwar zu, daß in §5 Abs1 lita KAO 1975 der Bedarf bei allgemeinen Krankenanstalten, Sonderkrankenanstalten und Sanatorien "insbesondere unter Bedachtnahme auf die bestehenden Sonderklassen der öffentlichen und privaten, gemeinnützigen und nicht gemeinnützigen Krankenanstalten und das Erfordernis der wirtschaftlichen Führung dieser Krankenanstalten" zu beurteilen ist. Entgegen der Auffassung der Salzburger Landesregierung besagt das Wort "insbesondere" aber nicht, daß nur auf Krankenanstalten mit Sonderklassen Bedacht zu nehmen ist, sondern lediglich, daß vor allem auf solche Bedacht zu nehmen ist. Diese Bedachtnahme auf Sonderklassen ist vom Wortlaut des Gesetzes her nur als besonderes, bei der Vornahme einer Bedarfsprüfung auch zu berücksichtigendes Kriterium vorgesehen. Ebenso kann die Formulierung in bezug auf die Ambulatorien "... auch unter Bedachtnahme der (gemeint wohl: auf die) ... niedergelassenen praktischen Ärzte und Fachärzte" in der zitierten Vorschrift nur so verstanden werden, daß hier ein besonderes, bei der Vornahme einer Bedarfsprüfung mit zu berücksichtigendes Kriterium festgelegt wird. Der Konkurrenzschutz, der durch die angeordnete Bedarfsprüfung für bereits bestehende private, erwerbswirtschaftlich geführte Krankenanstalten untereinander bewirkt wird, wird durch die genannten Formulierungen im Gesetzestext jedoch nicht ausgeschlossen.

Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes treffen - Argumente, die eine andere Beurteilung zulassen würden, sind im Verfahren nicht hervorgekommen - somit zu. Der Konkurrenzschutz stellt, soweit er durch die in den in Prüfung gezogenen Bestimmungen normierte Bedarfsprüfung für bestehende private, erwerbswirtschaftlich geführte Krankenanstalten untereinander bewirkt wird, einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Erwerbsfreiheit dar.

7. Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen waren daher als verfassungswidrig aufzuheben.

Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Salzburg zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und aus §64 Abs2 VerfGG.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

8. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Sachentscheidung Wirkung, VfGH / Aufhebung Wirkung, Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung, Krankenanstalten, Erwerbsausübungsfreiheit, Bedarfsprüfung, Rechtskraft, res iudicata, VfGH / Fristsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:G193.1994

Dokumentnummer

JFT_10058797_94G00193_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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