Entscheidungsdatum
02.11.2021Norm
B-VG Art130 Abs1 Z2Text
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch Dr. Flendrovsky als Einzelrichter in der Beschwerdesache des A in ***, ***, betreffend eine Anhaltung durch die Landespolizeidirektion Niederösterreich, den
BESCHLUSS:
1. Die von der Landespolizeidirektion als Beschwerde gedeuteten Schreiben des Einschreiters vom 20., 21. und 22. Juli 2021 werden gemäß § 17, § 28 Abs. 1 erster Halbsatz und § 31 Abs. 1 VwGVG iVm § 13 Abs. 3 AVG als mangelhaft zurückgewiesen.
2. Gegen diesen Beschluss ist eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 und 9 B-VG iVm § 25a Abs. 1 VwGG nicht zulässig.
Begründung:
I. Sachverhalt und Verfahrensgang
1. Der Einschreiter A befand sich im Zeitraum von 19. bis 22. Juli 2021 zum Zweck des Vollzuges von Ersatzfreiheitsstrafen im Polizeianhaltezentrum *** (in der Folge: PAZ), bei dem es sich um eine Dienststelle der Landespolizeidirektion Niederösterreich handelt.
2. In einem an die Direktion des PAZ gerichteten, mit „Psychische und Physische Folter eines Verwaltungshäftling[s]“ betitelten Schreiben vom 20. Juli 2021 wandte sich der Einschreiter zunächst gegen seine Unterbringung in „Einzelhaft“. Weiters sei ihm nur zweimal wöchentlich Duschen erlaubt, was im Zusammenhang mit durch Vorerkrankungen ausgelöste starke Schweißausbrüche „gegen die körperliche Hygiene“ verstoße. Aus diesen Gründen sehe er sich zur Erstattung einer Anzeige
gegen die verantwortlichen Organe sowie zum Antritt eines Hungerstreiks gezwungen.
In einem weiteren Schreiben vom 21. Juli 2021 forderte er die Direktion zur Klärung auf, ob eine vom Anstaltsarzt verordnete medikamentöse Therapie zur Behandlung eines näher bezeichneten Leidens geeignet sei.
In einem Schreiben vom 22. Juli 2021 teilte er der Anstaltsdirektion schließlich mit, er benötige wegen der möglichen Fehlbehandlung alle von ihm unterschriebenen Zettel. Außerdem werde ihm ein für die Behandlung seiner Herzbeschwerden benötigter Spray verweigert.
3. Diese Schreiben deutete die Landespolizeidirektion Niederösterreich als Beschwerde und übermittelte sie dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich in Form einer Beilage zu einem E-Mail vom 23. August 2021 „zur gefälligen Kenntnisnahme“.
Da die Schreiben zunächst nicht gelesen werden konnten, erfolgte am 17. September 2021 eine neuerliche Übermittlung.
4. Mit Schreiben des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 23. September 2021 wurde dem Einschreiter mitgeteilt, dass aus den Schreiben nicht hervorgehe, ob er Beschwerde wegen Verletzung in Rechten durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt habe erheben wollen. Sollte dies der Fall sein, so sei die Beschwerde im Hinblick auf die Anforderungen des § 9 VwGVG mangelhaft, weil sie nicht die Bezeichnung der angefochtenen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und außerdem kein Begehren (zB Akte für rechtswidrig zu erklären oder aufzuheben) beinhalte.
Gemäß § 17 VwGVG iVm § 13 Abs. 3 AVG wurde der Einschreiter aufgefordert, diese Mängel innerhalb einer Frist von zwei Wochen zu verbessern. Er wurde darauf hingewiesen, dass bei nicht vollständiger bzw. nicht fristgerechter Erfüllung des Verbesserungsauftrages das Anbringen (bestehend aus den drei Schreiben) zurückgewiesen werde.
Dieser Verbesserungsauftrag wurde an den aktuellen Hauptwohnsitz des Einschreiters adressiert und nach einem erfolglosen Zustellversucht am 28. September 2021 (erster Tag der Abholfrist) bei einem Postamt in *** hinterlegt. Eine Verständigung über die Hinterlegung wurde an der Abgabestelle zurückgelassen. Am 30. September 2021 behob der Einschreiter den Auftrag.
5. Der Einschreiter ist dem Verbesserungsauftrag bisher nicht nachgekommen.
6. Dieser Sachverhalt bzw. Verfahrensgang ergibt sich aus dem Gerichtsakt.
II. Rechtsvorschriften
1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG), BGBl. 1/1930 idF BGBl. I 51/2012, erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit. Gemäß Art. 132 Abs. 2 B-VG kann gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch sie in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.
2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrens-gesetzes (VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 109/2021, lauten:
„[…]
Inhalt der Beschwerde
§ 9. (1) Die Beschwerde hat zu enthalten:
1. die Bezeichnung […] der angefochtenen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt,
[…]
4. das Begehren […]
[…]
Anzuwendendes Recht
§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
[…]
Schriftsätze
§ 20. Die Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG und die sonstigen Schriftsätze im Verfahren über diese sind unmittelbar beim Verwaltungsgericht einzubringen.
[…]
Verhandlung
§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn
1. […] die Beschwerde zurückzuweisen ist […]
[…]
Erkenntnisse
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
[…]
Beschlüsse
§ 31. (1) Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.
[…]
Kosten im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt
§ 35. (1) Die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG) obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei.
(7) Aufwandersatz ist auf Antrag der Partei zu leisten. […]
[…]“
3. Nach § 13 Abs. 3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. 51 idF BGBl. I 5/2008, ermächtigen Mängel schriftlicher Anbringen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Vielmehr hat sie von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels innerhalb einer angemessenen Frist mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.
III. Rechtliche Beurteilung
1. Aus den von der Landespolizeidirektion vorgelegten, von dieser als Beschwerde nach Art. 130 Abs. 1 Z 2 iVm Art. 132 Abs. 2 B-VG gedeuteten Schreiben ergibt sich nicht eindeutig der Wille des Einschreiters, eine solche Beschwerde zu erheben. Die Schreiben waren auch nicht an das Landesverwaltungsgericht adressiert, bei dem gemäß § 20 Abs. 1 VwGVG eine solche Beschwerde einzubringen wäre, sondern an die (der LPD selbst zuzurechnende) Direktion des PAZ. Daher war der Einschreiter im Wege des § 17 VwGVG iVm § 13 Abs. 3 AVG zur Verbesserung im Sinne einer Klarstellung seines Anbringens aufzufordern (VwGH 29.05.2019, 2017/06/0122, mwN).
Abgesehen davon enthielten die Schreiben, mit denen der Einschreiter verschiedene Anliegen an die Direktion herantrug, keine Bezeichnung konkreter Befehls- oder Zwangsakte, gegen den sich eine allfällige Beschwerde richten soll, und kein (auf solche Akte bezogenes) Begehren. Die Schreiben entsprachen somit nicht § 9 Abs. 1 Z 1 und 4 VwGVG. Auch insoweit war der Einschreiter daher zur Verbesserung aufzufordern.
2. Der Verbesserungsauftrag wurde dem Einschreiter durch Hinterlegung am 28. September 2021 zugestellt, sodass die vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich für die Verbesserung festgesetzte Frist von zwei Wochen am 12. Oktober 2021 abgelaufen ist.
Der Einschreiter ist dem Verbesserungsauftrag bis heute nicht nachgekommen, sodass die Beschwerde nach § 17 VwGVG iVm § 13 Abs. 3 AVG mit Beschluss zurückzuweisen ist (vgl. dazu etwa VwGH 29.08.2017, Ra 2016/17/0197).
3. Eine mündliche Verhandlung wurde von keiner Partei beantragt und konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen.
4. Aufwandersatz wurde von der Landespolizeidirektion nicht begehrt, weshalb darüber nicht abzusprechen ist (vgl. § 35 Abs. 7 VwGVG).
IV. Zur Unzulässigkeit der Revision
Die Revision ist nicht zulässig, weil im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Insbesondere weicht die Entscheidung weder von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt eine solche Rechtsprechung noch wird die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes uneinheitlich beantwortet.
Die Lösung der Rechtsfrage ergibt sich vielmehr aus dem klaren Wortlaut der Art. 130 Abs. 1 Z 2 und 132 Abs. 2 B-VG, des § 9 Abs. 1 Z 1 und 4 VwGVG sowie des § 13 Abs. 3 AVG (vgl. zum Fehlen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung bei eindeutigem Wortlaut der anzuwendenden Bestimmungen etwa VwGH 23.5.2017, Ra 2017/05/0086) sowie aus der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Maßnahmenbeschwerde; Verfahrensrecht; Beschwerde; Inhalt; Verbesserungsauftrag; Zurückweisung;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.M.51.001.2021Zuletzt aktualisiert am
20.12.2021