TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/5 W254 2219156-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.11.2021
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Entscheidungsdatum

05.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W254 2219154-1/28E

W254 2219155-1/27E

W254 2219156-1/23E

W254 2219159-1/24E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1) XXXX , geb. XXXX , 2) XXXX , geb. XXXX , 3) XXXX , geb. XXXX und 4) XXXX , geb. XXXX , alle Staatsangehörigkeit Iran, alle vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.04.2019, 1) Zl. XXXX , 2) Zl. XXXX , 3) Zl. XXXX und 4) Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Die Beschwerden werden gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG in Verbindung mit §§ 3, 8, 10, 57 Asylgesetz 2005, § 9 BFA-VG und §§ 46, 52, 55 FPG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) stellte für sich und ihre beiden minderjährigen Söhne, den Drittbeschwerdeführer und den Viertbeschwerdeführer (im Folgenden: BF3 und BF4), alle iranische Staatsangehörige, am XXXX 2018 Anträge auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Erstbefragung am XXXX 2018 brachte die BF1 u.a. vor, dass sie ohne Bekenntnis und geschieden sei. Der Kindesvater, der Zweitbeschwerdeführer (im Folgenden: BF2), befinde sich vermutlich in der Türkei. Zu ihrem Fluchtgrund befragt, gab sie an, dass ihre Familie dem Lor-Stamm angehöre und sehr konservativ sei. Als die Familienangehörigen erfahren hätten, dass sich die BF1 vom Islam abgewandt hätte und aus dem Islam ausgetreten sei sowie sich von ihrem Mann getrennt hätte, habe ihr Bruder sie töten wollen. Ihr Leben sei in ihrer Heimat in Gefahr gewesen, weshalb sie geflüchtet sei.

2. Der BF2 - ebenso ein iranischer Staatsangehöriger - stellte am XXXX 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen seiner Erstbefragung am XXXX 2018 brachte er u.a. vor, dass er ohne Bekenntnis und geschieden sei. Zu seinem Fluchtgrund befragt gab er an, dass er damals bereits verheiratet gewesen sei und eine Zeit lang mit seiner Ex-Frau in der Schweiz gelebt habe. Bei seiner Rückkehr habe er durch die iranische Regierung Schwierigkeiten bekommen. Sie hätten eine Verstrickung seitens des BF2 vermutet und wissen wollen, wieso er in der Schweiz gewesen sei. Er sei auch vor ca. einem Jahr zur iranischen Botschaft in der Schweiz gegangen und jetzt wüsste die iranische Regierung, dass er in der Botschaft gewesen sei. Man habe Filmaufnahmen von ihm gemacht.

3. Am XXXX 2019 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: „BFA“ oder „belangte Behörde“) sowohl die niederschriftliche Einvernahme der BF1, als auch die des BF2 statt:

Die BF1 gab – soweit hier wesentlich – an, dass sie als schiitische Muslima geboren und erzogen worden sei. Sie glaube nur an Gott und gehöre keiner Religionsgemeinschaft an, sie wolle sich auch keiner anderen anschließen. Einer ihrer Brüder gehöre der Etelaat an und sei aber geistig und körperlich behindert. Dieser Bruder sei auch der Grund für ihre Scheidung vom BF2 gewesen, der Bruder habe den BF2 als Ungläubigen bezeichnet. Den BF2 habe sie nunmehr wieder nach islamischen Ritus in einer Moschee am XXXX 2019 geheiratet. Zu ihrem Fluchtgrund befragt, führte die BF1 aus, dass der vorhin genannte Bruder sie sechs Monate lang in der elterlichen Wohnung in XXXX eingesperrt habe. Beim Begräbnis ihres Schwiegervaters sei ihre Scheidung bekannt geworden und zum persischen Neujahr sei sie mit ihren Kindern unter einem Vorwand mitgenommen worden. Ab diesem Zeitpunkt habe die BF1 nicht mehr arbeiten und ihr Sohn nicht mehr in die Schule gehen dürfen. Ihr Bruder habe auch den BF2 geschlagen. Um Ruhe einkehren zu lassen, hätten sich die BF1 und der BF2 scheiden lassen. Der Bruder habe ein Verfahren gegen den BF2 anstreben wollen, woraufhin der BF2 in die Türkei gefahren sei. Um aus der Türkei herauszukommen habe der BF2 eine Frau mit schweizerischem Pass geheiratet und sei dann in die Schweiz gegangen. Die BF1 hätte gedacht, dass sie nach der Scheidung Ruhe hätte, jedoch sei es zu einer Verschlimmerung der Probleme gekommen. Der Bruder habe sie immer – auch als sie verheiratet gewesen sei – geschlagen und sogar gedroht, dass er den Kindern (BF3 und BF4) etwas antun würde. Um zu entkommen, habe die BF1 ihrem Bruder erzählt, sie müsse zwecks Verkauf von Gegenständen nach XXXX und würde wieder zurückkehren. Ein anderer Bruder von ihr und dessen Familie hätten die BF1 in der betreffenden Woche begleitet und die BF1 habe alle Vorkehrungen für ihre Flucht getroffen. In weiterer Folge habe sie dem Bruder gesagt, dass sie zu einer Freundin gehen wolle und sei stattdessen mit ihren Kindern mit dem Bus nach XXXX gefahren und ausgereist.

Der BF2 gab in seiner Einvernahme an, dass ihm sein Reisepass von der Etelaat abgenommen worden sei, da im Haus seiner Eltern eine Hausdurchsuchung stattgefunden habe, der BF2 habe die Beamten gesehen und sei nicht mehr ins Haus hineingegangen. Die Hausdurchsuchung stehe in Zusammenhang mit seinem Fluchtgrund. Die Tante der Frau, die der BF2 in der Schweiz geheiratet habe, sei eine Funktionärin der Kurdischen Partei gewesen. Bei einer Demonstration in der Schweiz vor der iranischen Botschaft sei der BF2 – seine (Ex-)Ehefrau sei auch dabei gewesen - weiter weggestanden und hätte nur Bilder aufgenommen, die schweizerische Polizei habe ihn jedoch auch festgenommen. Bei der obengenannten Hausdurchsuchung habe ein Mitarbeiter der Etelaat seine Eltern auf die Teilnahme des BF2 bei der Demonstration in der Schweiz angesprochen. Nach der Scheidung von seiner Frau in der Schweiz, sei er legal in den Iran zurückgegangen. Der BF2 sei als sunnitischer Moslem geboren und erzogen worden. Er gehöre jedoch keiner Religionsgemeinschaft an, zwar glaube er an Gott, wolle seine Religionszugehörigkeit jedoch nicht ändern. An eine Konversion denke er nicht. In Übereinstimmung zu den Angaben der BF1 führte der BF2 an, diese in einer Moschee in XXXX am XXXX 2019 geheiratet zu haben. Zu seinen Fluchtgründen befragt knüpfte der BF2 an die oben erwähnte Ex-Ehefrau an, diese sei Mitglied der Kurdischen Partei. Der BF2 habe – neben der bereits angeführten Demonstration - ein paar Mal an den Versammlungen dieser Partei in der Schweiz teilgenommen. Es sei ihm erzählt worden, der Etelaat würde ihn suchen. Sein Schwager habe davon erfahren und es sei dies eine Angelegenheit für ihn, dem BF2 etwas anzutun. Der Schwager habe ihn auch mal als Ungläubigen bezeichnet und ihm eine Ohrfeige verpasst. Zudem habe einer seiner Brüder nach der Ausreise des BF2 aus dem Iran einen Anruf der Etelaat erhalten. Die Behörde habe den Aufenthaltsort des BF2 wissen wollen.

4. Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden wies das BFA die Anträge der BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran ab (Spruchpunkt II.) und ereilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen sie wurden Rückkehrentscheidungen erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Fristen für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das BFA aus, dass die BF1 und der BF2 als Person nicht glaubwürdig seien. Es habe keine wie auch immer geartete, sonstige besondere Gefährdung ihrer Person bei einer Rückkehr in den Iran festgestellt werden können. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass sie im Iran Verfolgungshandlungen durch iranische Regierungsstellen ausgesetzt gewesen wären oder solche in Zukunft zu befürchten hätten.

5. Gegen die oben genannten Bescheide wurde fristgerecht eine gemeinsame Beschwerde erhoben, welche am 14.05.2019 bei der belangten Behörde einlangte. In dieser wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung ihre Heimat verlassen und in ihrem Verfahren mitgewirkt und alle Fragen beantwortet hätten. Die BF seien ihrer Mitwirkungspflicht nachgekommen, die belangte Behörde habe es jedoch verabsäumt, den vorgebrachten Hinweisen von Amts wegen weiter nachzugehen. Deswegen halten die BF ihre Aussagen inhaltlich aufrecht. Durch die Eheschließung der BF1 und des BF2 würden keinerlei Widersprüche entstehen, da der BF2 niemals vorgehabt habe, sich vom Islam abzuwenden. Der Umstand der Zugehörigkeit der BF1 zur sozialen Gruppe der Frauen und, dass sie von ihrem Bruder bedroht und misshandelt worden sei, ließe sie im Iran in erheblichen Maße gefährdet erscheinen. Insbesondere, weil Frauen, die ehelicher oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes nicht uneingeschränkt darauf vertrauen könnten, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird.

6. Die gegenständlichen Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom BFA vorgelegt und sind am 22.05.2019 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

7. Mit Schreiben vom 05.09.2019 legte der BF2 zur Untermauerung seines Vorbringens eine CD mit dem Video einer Überwachungskamera, eine Bestätigung im Namen des „ XXXX “, ein Vertragsanbot der Firma „ XXXX “, eine Protestbestätigung mit Unterschriften und Gerichtsunterlagen aus dem Iran vor.

8. Mit Schreiben vom 16.10.2020 übermittelten die BF ein Konvolut an Integrationsunterlagen, eine beglaubigte Übersetzung aus dem Persischen vom Urteil eines Gerichts im Iran betreffend den BF2 und eine englische Übersetzung des Diploms von der BF1. Außerdem wurde die Einvernahme der Zeugin XXXX zum Thema Integration beantragt.

9. Mit Schreiben vom 09.11.2020 übersandten die BF ein weiteres Konvolut an Integrationsunterlagen.

10. Am XXXX 2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung in Anwesenheit der BF und deren Vertretung sowie einer Vertrauensperson unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Kurdisch statt. Mit Beschluss wurden die Beschwerdeverfahren gemäß § 39 Abs. 2 AVG auf Grund der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Kostenersparnis zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Der BF2 wurde im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung ausführlich zu seinen Fluchtgründen, seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und seiner aktuellen Situation in Österreich befragt. Anschließend wurde die Verhandlung, aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten der BF1 mit der Dolmetscherin, auf unbestimmte Zeit vertagt.

11. Am XXXX 2021 wurde die am XXXX 2020 begonnene mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht fortgesetzt, die BF1 umfassend zu ihren Fluchtgründen und ihren Lebensverhältnissen in Österreich sowie im Iran befragt. Die BF legten ihre Vollmachten im Original vor, die als Beilage./A zum Akt genommen wurden. Weiters wurde die Geburtsurkunde des BF2 in Kopie vorgelegt, die als Beilage./B zum Akt genommen wurde. Ebenso wurden die Geburtsurkunden des BF3 und des BF4 in Kopie vorgelegt, welche als Beilage./C zum Akt genommen wurden. Der BF2 legte noch ein Dokument zu seiner Tätigkeit als Tischler in Kopie vor, welches als Beilage./D zum Akt genommen wurde.

Die erkennende Richterin brachte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 20.11.2020 als Beilage I. und die Kurzinformation der Staatendokumentation, Zone Russische Föderation/Kaukasus und Iran, COVID-19 Informationen vom 15.07.2020 als Beilage II. in das Verfahren. Als weitere Erkenntnisquellen wurden den BF die ACCORD Anfragebeantwortung zum IRAN: Überwachung von Aktivitäten im Ausland (exilpolitische Aktivitäten, Konversion) vom 05.07.2019 (Beilage III.), die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Iran, Meldung von Religionsaustritten, Social Media vom 14.06.2018 (Beilage IV.) und einen Bericht des Danish Immigration Service, Iranian Kurds, Consequenses of political activities in Iran and KRI, vom Februar 2020 (Beilage V.), genannt, deren Inhalt erörtert und den BF zur Stellungnahme vorgehalten sowie zum Akt genommen. Die Rechtsvertretung ersuchte um eine elektronische Übermittlung der Beilagen III. bis V.. Es wurde eine Frist von zwei Wochen eingeräumt, zu den Länderberichten eine Stellungnahme abzugeben.

12. Am 15.02.2021 erstatten die BF eine Stellungnahme, in welcher sie im Wesentlichen vorbrachten, dass der Bruder der BF1 gute Beziehungen zur iranischen Polizei habe, beim iranischen Geheimdienst tätig gewesen sei und eine rote Karte als Kriegsveteran habe. Es sei allgemein bekannt, dass Kriegsveteranen eine besonders angesehene Stellung in der iranischen Gesellschaft und aus ihrer Tätigkeit für den Staat, auch gute Beziehungen zu den iranischen Behörden und der iranischen Polizei hätten. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe der BF1 im Falle einer Rückkehr in den Iran somit nicht offen, da ihr Bruder sie durch seine hohe Stellung und seine guten Beziehungen zu den iranischen Behörden und der Polizei überall im Iran finden würde. Der Verfolgung der BF1 durch den Bruder komme schon deshalb Asylrelevanz zu, da der iranische Staat nicht gewillt sei, die BF1 vor Verfolgung durch Dritte (im gegebenen Fall ihren eigenen Bruder) zu schützen, da sie zur sozialen Gruppe der Frauen gehört. Die BF1 sowie auch der BF2 hätten zudem in den bisherigen Einvernahmen glaubhaft gemacht, dass sie vom islamischen Glauben abgefallen und nun keiner Religionsgemeinschaft mehr zugehörig seien. Die BF1 und der BF2 würden somit im Fall ihrer Rückkehr aufgrund ihres Abfalls vom Islam asylrelevante Verfolgung durch die traditionell islamisch geprägte Gesellschaft sowie durch die iranischen Behörden fürchten. Dem BF2 drohe im Falle einer Rückkehr in den Iran, aufgrund seiner Parteimitgliedschaft bei der Komala Partei, zusätzlich asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner politischen Gesinnung, die sich durch seine exilpolitischen Tätigkeiten äußern würde. Hinsichtlich des BF3 und des BF4 müsse jedenfalls eine eingehende Prüfung des Kindeswohls stattfinden, wobei die mögliche Verfolgung des BF3 und des BF4 miteinzubeziehen wären. Aufgrund einer Interessensabwägung unter Berücksichtigung des Kindeswohls müsse die Schlussfolgerung ergehen, dass eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu einer Verletzung des Art 8 EMRK führe.

13. Mit Schreiben vom 22.06.2021 wurde eine den BF2 betreffende Gewerbeberechtigung übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens folgende Beweismittel der Beurteilung zugrunde gelegt:

-        Der Verwaltungsakt der Behörde, insbesondere die Erstbefragung vor der Polizei, die niederschriftlichen Einvernahmen vor der belangten Behörde,

-        die in der mündlichen Verhandlung vom XXXX 2020 eingebrachten Länderberichte, auf die bereits teilweise mit der Ladung hingewiesen wurden, welche im Verfahrensgang beschrieben sind,

-        der Inhalt der mündlichen Verhandlungen am XXXX 2020 und XXXX 2021,

-        sämtliche vorgelegte Beweismittel

-        Einsichten in den Datenbanken (Zentrales Melderegister, Grundversorgungs-Informationssystem, Strafregisterauskunft etc.).

1.1.    Zu den Personen der BF:

Die BF führen die im Spruch genannten Namen und Geburtsdaten und sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Iran. Die BF1 gehört der Volksgruppe der Perser an, der BF2 gehört jener der Kurden an. Die Muttersprache der BF1 ist Lorisch, jene des BF2 ist Kurdisch Sorani. Beide sprechen auch ausgezeichnet Farsi. Die BF1 wurde als Muslima (Schiitin) geboren, der BF2 wurde als sunnitischer Moslem geboren. Die BF1 und der BF2 heirateten am XXXX 2019 nach islamischen Ritus in einer Moschee in XXXX . Der BF3 und der BF4 sind die leiblichen Kinder der BF1 und des BF2.

Die BF sind rechtswidrig nach Österreich eingereist und haben – von ihrem asylrechtlichen Status abgesehen – kein Aufenthaltsrecht in Österreich, ihnen kam ein solches Aufenthaltsrecht niemals zu.

Die BF sind gesund, die BF1 und der BF2 sind arbeitsfähig.

Die BF1, der BF2 und der BF4 sind in Österreich strafrechtlich unbescholten, der BF3 ist strafunmündig.

1.2. Die BF1 hat mit dem BF3 und dem BF4 den Iran aus Sicht der iranischen Behörden illegal verlassen. Ebenso hat der BF2 den Iran illegal verlassen.

Die BF1 wurde in XXXX geboren. Sie verfügt über eine zwölfjährige Schulbildung. In weiterer Folge studierte sie vier Jahre lang an der Universität in XXXX das Fach Kinderpsychologie und erlangte dabei einen Abschluss. Darauffolgend arbeitete sie ein Jahr lang in XXXX , weiters studierte sie dort zwei Jahre und erlangte zusätzlich einen Masterabschluss. Zuletzt arbeitete sie als Lehrerin für das Unterrichtsministerium in XXXX .

Der BF2 wurde in XXXX geboren und wuchs dort auf. Er besuchte sechs Jahre die Grundschule. Danach war er bis zu seiner Ausreise als Tischler tätig, hierbei hatte er mitunter zwei kleine Tischlereiläden und seine eigenen Mitarbeiter.

Die BF1 und der BF2 lebten gemeinsam im Haus der Eltern des BF2 in XXXX . Der BF3 und der BF4 wurden in XXXX geboren, der BF4 besuchte dort auch die Schule. Der BF2 verbrachte ca. ein Jahr in der Schweiz, wobei er dort eine kurdische Iranerin heiratete und sich wiederum von dieser scheiden ließ.

Die BF verfügen über Familienangehörige in Iran. Die BF1 steht mit ihrer Mutter in Kontakt, der BF2 hat Kontakt zu seiner Mutter und seinem Bruder.

Die Herkunftsgebiete der BF werden von den iranischen Behörden kontrolliert, es liegen dort keine kriegs- oder bürgerkriegsähnliche Zustände vor. In den Herkunftsgebieten der BF ist die Grundversorgung und die medizinische Versorgung gesichert.

Den BF droht wegen der illegalen Ausreise aus dem Iran, der gegenständlichen Antragstellung bzw. dem Aufenthalt im Ausland nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine behördliche Verfolgung.

1.3. Die BF1 stellte für sich sowie für den BF3 und den BF4 am XXXX 2018 Anträge auf internationalen Schutz. Der BF2 stellte am XXXX 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit den im Spruch angeführten Bescheiden wies das BFA die Anträge der BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran ab und ereilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen sie wurden Rückkehrentscheidungen erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Iran zulässig sei. Schließlich wurde über die Fristen für die freiwillige Ausreise entschieden.

1.4. Zu den Fluchtgründen der BF:

Die BF waren von Seiten des Bruders der BF1 keinen intensiven Übergriffen ausgesetzt. Der Bruder der BF1 ist kein Mitglied der Ethelaat. Die BF1, der BF3 und der BF4 wurden insbesondere nicht vom Bruder der BF1 für sechs Monate in XXXX festgehalten. Es droht den BF hieraus demnach keine asylrelevante Verfolgung im Falle einer Rückkehr in den Iran.

Der BF2 war weder im Iran, noch ist er in Österreich politisch aktiv. Der BF2 ist nicht Mitglied der Komala Partei. Der BF2 hat an keiner Demonstration dieser Organisation vor dem iranischen Konsulat in der Schweiz teilgenommen. Im Haus seiner Mutter fand auch keine Haudurchsuchung durch die iranischen Behörden statt. Seine Aktivitäten bezüglich dieser Organisation beschränken sich in Österreich auf das gelegentliche Besuchen von Veranstaltungen bzw. Festen. Im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat liefe der BF2 nicht ernstlich Gefahr, wegen dieser Aktivitäten oder seines geringen Engagements für die Komala-Organisation in der Schweiz, intensiven Übergriffen durch den Staat, andere Bevölkerungsteile oder sonstige Privatpersonen im Iran ausgesetzt zu sein.

Die BF1 und der BF2 haben sich nicht vom islamischen Glauben abgewandt.

Die BF laufen nicht ernstlich Gefahr, bei einer Einreise nach Iran, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung intensiven Übergriffen durch den Staat, andere Bevölkerungsteile oder sonstige Privatpersonen ausgesetzt zu sein.

1.5. Zum Privat- und Familienleben der BF in Österreich:

Die BF leben gemeinsam in einer Mietwohnung und beziehen Leistungen aus der Grundversorgung.

Die BF1 und der BF2 verfügen über Deutschkenntnisse und haben mehrere Deutschkurse bei unterschiedlichen Stellen besucht.

Sowohl die BF1 als auch der BF2 sind als freiwillige Helfer beim XXXX tätig. Der BF2 verfügt dabei im Falle eines positiven Verfahrensausganges über eine Einstellungszusage als Fahrer, er gab zudem an, noch zwei weitere Einstellungszusagen zu haben. Des Weiteren engagieren sich die BF1 und der BF2 freiwillig bei den Corona-Teststraßen der Stadtgemeinde XXXX .

Die BF1 nahm an mehreren Treffen - unter anderem regelmäßig am „Frauencafe“ - im Rahmen der XXXX teil und hat auch Informationsveranstaltungen des XXXX besucht. Der BF2 suchte Beratungsgespräche bei der XXXX auf.

Der BF2 verfügt über folgende Gewerbeberechtigung: Erzeugung von kunstgewerblichen Zier-und Schmuckgegenständen aus unedlen Metallen, Draht, Gips, Beton, Holz, Horn, Kunststoff, Leder, textilen Materialien, Stroh, Papier und Glaselementen, Gemüse und Obst sowie durch Fädeln von Edelsteinen, Silber-, Glas-, Kunststoff-und Filzelementen und das Bemalen und das Verzieren von Holz, Keramik, Porzellan, Seide, Textilien, Billets und Wachswaren.

Der BF3 besucht den XXXX in XXXX . Der BF4 besucht seit dem Schuljahr 2018/19 die XXXX . Er nahm darüber hinaus im Sommersemester 2020 an der XXXX teil.

Die BF legten zahlreiche Empfehlungsschreiben vor und nannten mehrere wichtige Bezugspersonen in Österreich, darunter die Vertrauensperson aus den mündlichen Verhandlungen. Dementsprechend verbringen die BF ihre Freizeit mit ihren sozialen Kontakten. Diese Beziehungen haben sich zu einem Zeitpunkt entwickelt, zu dem die Beteiligten um den unsicheren aufenthaltsrechtlichen Status der BF wussten.

1.6. Zur maßgeblichen Situation in Iran:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 20.11.2020 (Beilage I.):

Sicherheitslage

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latenten Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gerechnet werden sowie mit Straßenblockaden. Zum Beispiel haben im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 4.5.2020).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte (EDA 4.5.2020; vgl. AA 4.5.2020b). 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan (AA 4.5.2020b).

In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 4.5.2020). In diesen Minderheitenregionen kommt es unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 4.5.2020b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 4.5.2020b). Die Grenzzone Afghanistan,

östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 4.5.2020).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 4.5.2020b). Im iranischirakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften (EDA 4.5.2020). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 10.2019).

Folter und unmenschliche Behandlung

Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Dennoch sind seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, durchaus üblich (AA 26.2.2020; vgl. US DOS 11.3.2020, DIS 7.2.2020). Dies betrifft vorrangig nicht registrierte Gefängnisse, aber auch „offizielle“ Gefängnisse, insbesondere den berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht (AA 26.2.2020; vgl. US DOS 11.3.2020). Die Justizbehör- den verhängen und vollstrecken weiterhin grausame und unmenschliche Strafen, die Folter gleichkommen. In einigen Fällen werden die Strafen öffentlich vollstreckt (AI 18.2.2020; vgl. US DOS 13.3.2019, FH 4.3.2020). Zahlreiche Personen wurden wegen Diebstahls oder Überfällen zu Peitschenhieben verurteilt, aber auch wegen Taten, die laut Völkerrecht nicht strafbar sind, wie z. B. Beteiligung an friedlichen Protesten, außereheliche Beziehungen, Alkoholkonsum oder Teilnahme an Feiern, bei denen sowohl Frauen als auch Männer anwesend waren. (AI 18.2.2020).

Bei Delikten, die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 10.2019). Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit

Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, manchmal während die Häftlinge mit dem Kopf nach unten an der Decke aufgehängt waren, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen (davon wissen praktisch alle politischen Gefangene aus eigener Erfahrung zu berichten), Vergewaltigungen – teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, und die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 12.2018; vgl. US DOS 11.3.2020).

Folter und andere Misshandlungen passieren häufig in der Ermittlungsphase (HRC 8.2.2019; vgl. DIS 7.2.2020), um Geständnisse zu erzwingen. Dies betrifft vor allem Fälle von ausländischen und Doppelstaatsbürgern, Minderheiten, Menschenrechtsverteidigern und jugendlichen Straftätern (HRC 8.2.2019). Obwohl unter Folter erzwungene Geständnisse vor Gericht laut Verfassung unzulässig sind, legt das Strafgesetzbuch fest, dass ein Geständnis allein dazu verwendet werden kann, eine Verurteilung zu begründen, unabhängig von anderen verfügbaren Beweisen (HRC 8.2.2019; vgl. HRC 28.1.2020). Es besteht eine starke institutionelle Erwartung, Geständnisse zu erzielen. Dies wiederum ist einem fairen Verfahren nicht dienlich (HRC 8.2.2019; vgl. HRW 14.1.2020, HRC 28.1.2020). Frühere Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 4.3.2020).

Allgemeine Menschenrechtslage

Die iranische Verfassung (IRV) vom 15. November 1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Art. 4 IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene „Hohe Rat für Menschenrechte“ untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten „Pariser Prinzipien“ (AA 26.2.2020).

Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:

-        Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

-        Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte - Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung

-        Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit islamischem Recht)

-        Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie

-        Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

-        Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes

-        UNESCO Konvention gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen

-        Konvention über die Rechte behinderter Menschen

-        UN-Apartheid-Konvention

-        Internationales Übereinkommen gegen Apartheid im Sport (AA 26.2.2020) Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:

-        Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe

-        Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention

-        Zweites Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe

-        Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau

-        Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen

-        Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (AA 26.2.2020).

Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Lage der Menschenrechte, die jedoch besser ist als in der Mehrzahl der Nachbarländer (ÖB Teheran 10.2019). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition (GIZ 2.2020a). Zu den wichtigsten Menschenrechtsfragen gehören Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard der "schwersten Verbrechen" entsprechen und ohne einen fairen Prozess, zahlreiche Berichte über rechtswidrige oder willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte, harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen, systematische Inhaftierungen, einschließlich Hunderter von politischen Gefangenen (US DOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020, FH 4.3.2020, HRW 14.1.2020). Weiters gibt es unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre, erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere der Revolutionsgerichte, Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets, einschließlich Gewalt, Androhung von Gewalt sowie ungerechtfertigter Festnahmen und Strafverfolgung gegen Journalisten, Zensur, Blockieren von Webseiten und Kriminalisierung von Verleumdungen; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit, wie z.B. die restriktiven Gesetze für Nichtregierungsorganisationen (NGO); Einschränkungen der Religionsfreiheit, Beschränkungen der politischen Beteiligung durch willkürliche Kandidatenprüfung, weit verbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen, rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien, Menschenhandel, Gewalt gegen ethnische Minderheiten, strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten, Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten, Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen Angehörige sexueller Minderheiten beinhalten, und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften (US DOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020, HRW 14.1.2020). Die Regierung unternahm wenige Schritte, um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Viele dieser Missstände sind im Rahmen der Regierungspolitik zu verantworten. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet (US DOS 11.3.2020).

Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände (vgl. Art. 279 bis 288 iStGB sowie Staatsschutzdelikte, insbesondere Art. 1 bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 26.2.2020). Die Tätigkeit als Frauen- und Menschenrechtsaktivist wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt (Vorwurf der Propaganda gegen das Regime o.ä.) und hat oft die Verurteilung zu Haft- oder auch Körperstrafen zur Folge (ÖB Teheran 10.2019). Auch Umweltaktivisten müssen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen (HRW 14.1.2020; vgl. BTI 2020).

Meinungs- und Pressefreiheit

Die iranische Verfassung garantiert zwar Meinungs- und Pressefreiheit, aber nur insoweit Aussagen nicht „schädlich“ für die grundlegenden Prinzipien des Islams oder die „Rechte der Öffentlichkeit“ sind (ÖB Teheran 10.2019; vgl. US DOS 11.3.2020). In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert (AA 26.2.2020; vgl. BTI 2020, AI 18.2.2020, US DOS 11.3.2020) und Behörden nutzen das Gesetz, um Personen, die die Regierung direkt kritisieren oder menschenrechtliche Probleme ansprechen, einzuschüchtern und strafrechtlich zu verfolgen (US DOS 11.3.2020). Der staatliche Rundfunk wird streng von Hardlinern kontrolliert und vom Sicherheitsapparat beeinflusst. Nachrichten und Analysen werden stark zensiert (FH 4.3.2020). Die iranischen Justiz- und Sicherheitsbehörden verwenden weiterhin vage definierte Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, um Aktivisten wegen freier Meinungsäußerung zu verhaften und strafrechtlich zu verfolgen (HRW 14.1.2020).

Die iranische Presselandschaft spiegelt eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums wider, geprägt wird sie dennoch von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter „roter Linien“ des Revolutionsführers, die in erheblichem Maß auch zu Selbstzensur führen. Bei Verstößen gegen ungeschriebene Regeln drohen Verwarnungen, Publikationsverbote, strafrechtliche Sanktionen etwa wegen „Propaganda gegen das System“ bis hin zum Verbot von Medien, sowohl von reformorientierten als auch von konservativen Zeitungen (AA 26.2.2020). „Propaganda gegen den Staat“ ist mit einer einjährigen Freiheitsstrafe sanktioniert, wobei „Propaganda“ nicht definiert ist. Zeitungen und Medien sind daher stets der Gefahr ausgesetzt, bei regierungskritischer oder für hohe Regimevertreter unliebsamer Berichterstattung geschlossen zu werden – dies gilt auch für Regimemedien. Oft werden in diesem Zusammenhang die Zeitungsherausgeber verhaftet (ÖB Teheran 10.2019). Mitarbeiter von ausländischen Presseagenturen (insbesondere kritische farsisprachige Medien wie BBC, DW oder Voice of America) sowie unabhängige Journalisten sind Berichten zufolge oft mit Verzögerungen bei der Gewährung der Presselizenz durch die iranischen Behörden, Verhaftungen, körperlicher Züchtigung sowie Einschüchterung ihrer Familienmitglieder konfrontiert (ÖB Teheran 10.2019; vgl. AA 26.2.2020, FH 4.3.2020). Insbesondere im Zusammenhang mit politischen Ereignissen, wie z.B. Wahlen, war in den letzten Jahren immer wieder ein verstärktes Vorgehen gegen Journalisten zu beobachten. Meist werden dabei unverhältnismäßig hohe Strafen wegen ungenau definierter Anschuldigungen wie etwa „regimefeindliche Propaganda“ verhängt (ÖB Teheran 10.2019).

Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol. Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weit verbreitet. Die Behörden versuchen, dies durch den Einsatz von Störsendern (sogenanntes Jamming) zu unterbinden (AA 26.2.2020; vgl. FH 4.3.2020). Die Polizei durchsucht regelmäßig Privathäuser und beschlagnahmt Satellitenschüsseln (FH 4.3.2020). Ebenso werden oppositionelle Webseiten und eine Vielzahl ausländischer Nachrichtenseiten sowie soziale Netzwerke durch iranische Behörden geblockt (AA 26.2.2020; vgl. FH 4.3.2020). Ihr Empfang ist jedoch mithilfe von VPN (Virtual Private Networks) möglich, wird aber „gefiltert“ bzw. mitgelesen und regelmäßig auch gestört. Das Vorgehen der Behörden gegen reformorientierte Medien erstreckt sich auch auf das Internet. Jeder, der sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen „Cyber- Krieg“ gegen das Land führen zu wollen. Die Überwachung persönlicher Daten ist ohne Gerichtsanordnung grundsätzlich verboten. Wenn die nationale Sicherheit bedroht zu sein scheint, wird hiervon jedoch abgesehen (AA 26.2.2020).

Die Behörden gestatten es nicht, das Regierungssystem, den Obersten Führer oder die Staatsreligion öffentlich zu kritisieren. Sicherheitsbehörden bestrafen jene, die diese Einschränkungen verletzen oder den Präsidenten, das Kabinett oder das Parlament öffentlich kritisieren (US DOS 11.3.2020).

Die 1997 unter Khatami gegründete „Association of Iranian Journalists“ wurde 2009 unter Staatspräsident Ahmadinedschad von den Sicherheitskräften geschlossen und hat seitdem trotz pressefreundlicher Wahlkampfversprechen von Rohani ihre Tätigkeit nicht wieder aufgenommen. Im Ausland lebende Journalisten von BBC Farsi berichten von gezielter Verfolgung und Einschüchterungsversuchen. Maßnahmen wie Überwachung, wiederholte Befragungen und das Einfrieren von Konten erstrecken sich dabei auch auf Familien der Betroffenen. Familienangehörige werden unter Druck gesetzt, auf die Beendigung der journalistischen Tätigkeit für BBC Farsi hinzuwirken. Inhaftierte Journalisten sind in Iran – wie alle politischen Gefangenen – besorgniserregenden Haftbedingungen ausgesetzt. Unter politischen Gefangenen und Journalisten kommt es regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen, unter anderem gegen die hygienischen Bedingungen und die mangelhafte medizinische Versorgung (AA 26.2.2020). Auch gegen Personen, die ihre Meinung oder Nachrichten online publizieren (Blogger), wird massiv vorgegangen. Die elektronischen Medien und der Internet-Verkehr sowie Internet-Cafés (obligatorische Personenidentifikation und Überwachungskameras) stehen unter intensiver staatlicher Kontrolle. Millionen Internetseiten sind gesperrt. Regimefeindliche oder

„islamfeindliche“ Äußerungen werden auch geahndet, wenn sie in elektronischen Kommunikationsmedien, etwa auch in sozialen Netzwerken, getätigt werden. Vor allem junge Menschen, welche diese Kommunikationsmittel zum Meinungsaustausch nutzen, laufen Gefahr, wegen ihrer geäußerten regimekritischen Meinung verfolgt zu werden (ÖB Teheran 10.2019).

Ebenso unter Druck stehen Filmemacher und bildende Künstler, vor allem dann, wenn ihre Kunst als „unislamisch“ oder regimekritisch angesehen wird, oder sie ihre Filme an ausländische Filmproduktionsfirmen verkaufen oder auch nur im Ausland aufführen (dazu wurde eine Genehmigungspflicht verhängt). Über zahlreiche Künstler wurden Strafen wegen zumeist

„regimefeindlicher Propaganda“ und anderen Anschuldigungen verhängt. Viele sind regelmäßig in Haft bzw. zu langjährigen Tätigkeits- und Interviewverboten verurteilt (ÖB Teheran 10.2019).

Präsident Rohani hatte in seiner Wahlkampagne eine Lockerung der Zensurpolitik versprochen. Zeitweise wurden einige soziale Netzwerke wieder freigegeben. Rohani bezeichnete den Zugang zum Internet als „Bürgerrecht“ und ist selbst auf Twitter und Facebook aktiv (beide aktuell in Iran gesperrt, wobei dies durch viele Iraner mittels VPN umgangen wird). Trotz seiner vielversprechenden Aussagen und einer (teils heftig geführten) öffentlichen Diskussion insbesondere zum Thema „Cyberspace“ hat sich die Situation aber nicht signifikant verbessert, im Gegenteil: Im ersten Halbjahr 2018 wurde die überaus beliebte Messenger App „Telegram“ gesperrt. Es gibt weiterhin Polizeiaktionen gegen auf Instagram erfolgreichen Frauen, die „unsittliche“ Inhalte (Fotos ohne Kopftuch, Make-up-Videos, Tanzvideos, usw.) teilen (ÖB Teheran 10.2019). Die Messenger App Telegram hatte in Iran mehr als 40 Millionen Nutzer. Auch Facebook und Twitter bleiben blockiert, genauso wie hunderte andere Webseiten (HRW 17.1.2019).

In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen hat sich Iran um sechs Plätze verschlechtert und liegt nun an Position 173 (2019: 170) von 180. Reporter ohne Grenzen bezeichnet Iran als eines der größten Gefängnisse für Journalisten. Verhaftungen von professionellen Journalisten und nicht professionellen Journalisten, vor allem solche, die in sozialen Netzwerken posten, haben sich im Jahr 2018 gesteigert (ROG 2019).

Nahezu jede iranische Familie besitzt eine Satellitenantenne, auch wenn diese offiziell verboten sind. Internet ist weit verbreitet, die Zahl der Internetcafés (Cofee Net) nimmt stetig zu, chatten (und zunehmend auch bloggen) ist eine Art Volkssport unter jungen Iranern. Zudem ist die Zahl an Handys gerade unter jungen Iranern hoch, auch wenn SIM-Karten sehr teuer sind (GIZ 12.2019c).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Die Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit steht für öffentliche Versammlungen unter einem Genehmigungsvorbehalt. Demonstrationen der Opposition sind seit den Wahlen 2009 nicht mehr genehmigt worden, finden jedoch in kleinem Umfang statt. Demgegenüber stehen Demonstrationen systemnaher Organisationen, zu deren Teilnahme Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sowie Schüler und Studenten teilweise verpflichtet werden. Ebenfalls ist eine unabhängige gewerkschaftliche Betätigung nicht möglich, denn auch gewerkschaftliche Aktivitäten werden zum Teil mit dem Vorwurf der „Propaganda gegen das Regime“ und „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“ verfolgt. Das Streikrecht hingegen ist prinzipiell gewährleistet (AA 26.2.2020), jedoch können streikende Arbeiter von Entlassung und Verhaftung bedroht sein. Mehrere inhaftierte Arbeiteraktivisten wurden 2019 zu schweren Haftstrafen von 14 Jahren oder mehr verurteilt (FH 4.3.2020). Nach den Ende Dezember 2017 ausgebrochenen Protestdemonstrationen im ganzen Land nahmen Behörden zahlreiche Menschen fest. Berichten zufolge gingen Sicherheitskräfte mit Schusswaffen und anderer exzessiver Gewaltanwendung gegen Protestierende vor und verletzten und töteten unbewaffnete Demonstrierende. Zahlreiche friedliche Regierungskritiker (Oppositionelle, Journalisten, Blogger, Studierende etc.) wurden aufgrund von vage formulierten Anklagen, die sich auf die nationale Sicherheit bezogen, inhaftiert (AA 12.1.2019). Seit diesen Protesten im Dezember 2017 haben die Behörden das Recht auf friedliche Versammlung systematisch verletzt (HRW 17.1.2019). Die Sicherheitskräfte, insbesondere die Geheimdienstorganisation der Revolutionsgarden (IRGC), unterdrücken weiterhin Aktivisten der Zivilgesellschaft und behalten friedliche Versammlungen, besonders arbeitsbedingte Proteste fest im Griff (HRW 14.1.2020).

Vereinigungen auf Arbeitnehmerseite werden misstrauisch beobachtet. Es gibt keine Betätigungsmöglichkeit für unabhängige Gewerkschaften (ÖB Teheran 10.2019; vgl. FH 4.3.2020). Erlaubt sind nur „Islamische Arbeitsräte“ unter der Aufsicht des „Haus der Arbeiter“ (keine unabhängige Institution). Mitglieder und Gründer unabhängiger Gewerkschaftsgruppierungen wie etwa die Teheraner Busfahrergewerkschaft, die Zuckerrohrarbeitergewerkschaft oder die Lehrergewerkschaft wurden in den letzten Jahren zunehmend häufig verhaftet, gefoltert und bestraft. Proteste gegen zu geringe oder gar nicht ausbezahlte Löhne mehren sich seit Anfang 2018, auch dabei kommt es immer wieder zu Festnahmen. Es kommt auch vermehrt zu Protesten im Zusammenhang mit zunehmendem Wassermangel in manchen Teilen des Landes. Seit Anfang 2018 sind auch Umweltaktivisten von Verfolgung bedroht. Unter dem Vorwurf der (mitunter

„unbewussten“) Spionage im Umfeld von atomaren Einrichtungen wurden seit Jänner 2018 mehrere Dutzend Personen inhaftiert (ÖB Teheran 10.2019).

Die iranischen Behörden unterdrückten brutal landesweite Proteste, die nach dem Anstieg der Kraftstoffpreise am 25. November 2019 ausbrachen. Videomaterial und Augenzeugenberichte, die nach einer fast vollständigen Schließung des Internets durch die Regierung im Land entstanden waren, zeigen Sicherheitskräfte, die sich direkt gegen Demonstranten richteten. Es sollen über 200 Menschen bei diesen Protesten getötet worden sein und laut Schätzungen ca. 7.000 Personen verhaftet worden sein (HRW 14.1.2020; vgl. DIS 7.2.2020).

In Iran gibt es keine politischen Parteien mit vergleichbaren Strukturen westlich-demokratischer Prägung (ÖB Teheran 10.2019; vgl. GIZ 2.2020a). Auch im Parlament existiert keine, mit europäischen Demokratien vergleichbare, in festen Fraktionen organisierte parlamentarische Opposition. Bei Wahlen (sowohl bei Präsidenten- als auch Parlamentswahlen) nimmt der Wächterrat die Auswahl der Kandidaten vor. Kandidaten werden unter fadenscheinigen Gründen aussortiert – dabei wurden auch schon ehemalige Präsidenten als „nicht geeignet“ ausgeschlossen. Die entscheidenden Konfliktlinie im iranischen Parlament liegt oft zwischen den Rohani-Loyalen (Reformern und Moderaten) einerseits und den Anhängern der Revolutionstreuen (Parlamentspräsident Ali Larijani, Oberster Führer Khamenei) andererseits, bisweilen kommen aber auch andere Gegensätze zum Tragen. Der Spielraum für die außerparlamentarische Opposition wird vor allem durch einen Überwachungsstaat eingeschränkt, was die Vernetzung oppositioneller Gruppen extrem riskant macht (Einschränkung des Versammlungsrechts, Telefon- und Internetüberwachung, Spitzelwesen, Omnipräsenz von Basij-Vertretern u.a. in Schulen, Universitäten sowie Basij-Sympathisanten im öffentlichen Raum, etc.) (ÖB Teheran 10.2019; vgl. AA 26.2.2020). Viele Anhänger der Oppositionsbewegungen wurden verhaftet, haben Iran verlassen oder sind nicht mehr politisch aktiv. Ohne entsprechende Führung und angesichts umfassender Überwachung der Kommunikationskanäle spielen die verbleibenden Oppositionellen kaum eine Rolle. Das Fehlen oppositioneller Führungspersonen zeigte sich auch bei den Unruhen zum Jahreswechsel 2017/18 und den Protesten im November 2019 (AA 26.2.2020). Die Verfassung lässt die Gründung politischer Parteien, von Berufsverbänden oder religiösen Organisationen so lange zu, als sie nicht gegen islamische Prinzipien, die nationale Einheit oder die Souveränität des Staates verstoßen und nicht den Islam als Grundlage des Regierungssystems in Frage stellen. Hinzu kommen immer wieder verhängte drakonische Strafen aufgrund diffuser Straftatbestände („regimefeindliche Propaganda“, „Beleidigung des Obersten Führers“ etc.). Darüber hinaus werden Angehörige der außerparlamentarischen Opposition immer wieder unter anderen Vorwürfen festgenommen. An sich gäbe es ein breites Spektrum an Ideologien, die die Islamische Republik ablehnen, angefangen von den Nationalisten bis hin zu Monarchisten und Kommunisten. Eine markante Führungspersönlichkeit fehlt bei sämtlichen oppositionellen Gruppierungen (ÖB Teheran 10.2019).

Die Oppositionsführer Mehdi Karroubi und Mir Hossein Mussawi sowie dessen Ehefrau Zahra Rahnavard stehen noch immer ohne Anklage oder Gerichtsverfahren unter Hausarrest, der 2011 gegen sie verhängt worden war (AI 18.2.2020; vgl. BTI 2020, ÖB Teheran 10.2019, AA 26.2.2020).

Todesstrafe

Die Todesstrafe steht auf Mord (wobei die Familie des Opfers gegen Zahlung von Blutgeld auf die Hinrichtung verzichten kann), Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel (nur mehr bei besonders schweren Vergehen), schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, „Moharebeh“ („Waffenaufnahme gegen Gott“) und homosexuelle bzw. außereheliche Handlungen (ÖB Teheran 10.2019; vgl. HRW 14.4.2020, AA 26.2.2020). Des weiteren terroristische Aktivitäten, Waffenbeschaffung, Hoch- und Landesverrat, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islams oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit), Vergewaltigung und Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslimen mit einer Muslimin (AA 26.2.2020). Auch der Abfall vom Islam (Apostasie) kann mit der Todesstrafe geahndet werden (AA 26.2.2020; vgl. ÖB Teheran 10.2019). In den letzten 20 Jahren ist es jedoch zu keiner Hinrichtung aus diesem Grund gekommen (AA 26.2.2020).

Der größte Anteil der Hinrichtungen entfällt mittlerweile auf Verurteilungen wegen Mord (ÖB Teheran 10.2019; vgl. AA 26.2.2020) und Sexualdelikten. Die Hinrichtungen werden regelmäßig durch Erhängen, selten durch Erschießen, z.T. öffentlich durchgeführt (ÖB Teheran 10.2019) und auch (selten) gegen zum Tatzeitpunkt Minderjährige (ÖB Teheran 10.2019; vgl. AA 26.2.2020, HRW 14.4.2020, FH 4.3.2020, HRC 28.1.2020, AI 18.2.2020). Das Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Buben liegt bei 15 und für Mädchen bei 9 Jahren (ÖB Teheran 12.2018; vgl. AA 26.2.2020) und kann bei Eintritt der Volljährigkeit vollstreckt werden. 2018 wurden mindestens vier zur Tatzeit minderjährige Täter/innen hingerichtet. Mehreren weiteren zur Tatzeit Minderjährigen droht aktuell die Hinrichtung. 2019 wurden erstmals auch zwei zum Zeitpunkt der Hinrichtung Minderjährige verzeichnet (AA 26.2.2020). In der Vergangenheit konnten einige Hinrichtungen von Jugendlichen aufgrund von großem internationalen Druck (meist in letzter Minute) verhindert werden (ÖB Teheran 10.2019). Hinrichtungen erfolgen weiterhin regelmäßig ohne rechtlich vorgeschriebene vorherige Unterrichtung der Familienangehörigen, die Herausgabe des Leichnams wird teilweise verweigert oder verzögert (AA 26.2.2020). In Bezug auf die Anzahl der jährlichen Hinrichtungen befindet sich Iran nach China weltweit an zweiter Stelle (FH 4.3.2020).

Im Jänner 2018 trat eine Gesetzesänderung zur Todesstrafe bei Drogendelikten in Kraft. Wer Drogenstraftaten aufgrund von Armut oder Arbeitslosigkeit begeht, wird nicht mehr zum Tode verurteilt. Über gewalttätige Drogenstraftäter und solche, die mehr als 100 Kilo Opium oder zwei Kilo industrielle Rauschgifte produzieren oder verbreiten, wird weiterhin die Todesstrafe verhängt (ÖB Teheran 10.2019). Diese Gesetzesänderungen führten zu einer Überprüfung der Todesstrafe für Tausende von Häftlingen (FH 4.3.2020) und die Anzahl der bekannt gewordenen Hinrichtungen sank (AI 10.4.2019; vgl. HRW 14.1.2020, FH 4.3.2020, HRC 8.2.2019). Das neue Gesetz gilt rückwirkend, sodass dadurch etwa 2.000 bis 5.000 bereits zum Tode Verurteilte von der Todesstrafe verschont bleiben könnten (AA 26.2.2020). Nichtsdestotrotz hat Iran im Laufe des Jahres 2019 fast 300 Menschen hingerichtet, darunter mindestens zwei jugendliche Straftäter (FH 4.3.2020).

Viele Todesurteile werden nach internationalen Verfahrensstandards widersprechenden Strafverfahren gefällt: Es wird immer wieder von durch Folter erzwungenen Geständnissen oder fehlenden Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Verteidiger bzw. fehlender freier Wahl eines Verteidigers berichtet, insbesondere bei „politischen“ oder die „nationale Sicherheit“ betreffenden Fällen. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom

„Geschädigten“ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Zwar wurde im Jahr 2002 ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, jedoch wurde dies im Jahr 2009 vom damaligen Justizsprecher für nicht bindend erklärt. Es befinden sich noch mehrere Personen beiderlei Geschlechts auf der „Steinigungsliste“. Seit 2009 sind jedoch keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2019).

Religionsfreiheit

In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöseGruppierungen (BFA Analyse 23.5.2018). Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten „Buchreligionen“ (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als „mohareb“ (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden. Auch unterliegen Vertreter religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 26.2.2020; vgl. ÖB Teheran 10.2019).

Anerkannte religiöse Minderheiten – Zoroastrier, Juden, (v.a. armenische und assyrische) Christen – werden diskriminiert. Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Bahá‘í, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Vertreter von anerkannten religiösen Minderheiten betonen immer wieder, wenig oder kaum Repressalien ausgesetzt zu sein. Sie sind in ihrer Religionsausübung – im Vergleich mit anderen Ländern der Region – nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Darüber hinaus haben sie gewisse anerkannte Minderheitenrechte, etwa – unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke – eigene Vertreter im Parlament (ÖB Teheran 10.2019). Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten (BFA Analyse 23.5.2018; vgl. FH 4.3.2020). Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane, oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (BFA Analyse 23.5.2018; vgl. FH 4.3.2020) und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 4.3.2020).

Auch in einzelnen Aspekten im Straf-, Familien- und Erbrecht kommen Minderheiten nicht dieselben Rechte zu wie Muslimen. Es gibt Berichte von Diskriminierung von Nichtschiiten aufgrund ihrer Religion, welche von der Gesellschaft/Familien ausgeht und eine bedrohliche Atmosphäre kreiert. Diskriminierung geht jedoch hauptsächlich auf staatliche Akteure zurück (ÖB Teheran 10.2019).

Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwingen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt (AI 18.2.2020).

Anerkannten ethnisch christlichen Gemeinden ist es untersagt, konvertierte Christen zu unterstützen. Gottesdienste in der Landessprache Farsi sind verboten, ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden (AA 26.2.2020).

Schiitische Religionsführer, welche die Regierungspolitik nicht unterstützen, sind weiterhin Einschüchterungen und Verhaftungen ausgesetzt (US DOS 21.6.2019).

Laut der in den USA ansässigen NGO „United for Iran“ waren 2018 mindestens 272 Angehörige religiöser Minderheitengruppen aufgrund des Praktizierens ihrer Religion inhaftiert, 165 Gefangene wegen „Feindschaft gegen Gott“, 34 wegen ’Beleidigung des Obersten Führers und Ayatollah Khomeini’ und 20 wegen „Korruption auf Erden“ (US DOS 21.6.2019).

Personen, die sich zum Atheismus bekennen, laufen Gefahr, willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt oder wegen Apostasie (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden (AI 18.2.2020). In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie jedoch sehr selten (wenn überhaupt noch vorhanden), bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 10.2019).

Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen

Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist im Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 10.2019). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel „mohareb“ („Waffenaufnahme gegen Gott“), „mofsid-fil-arz/fisad-al-arz“ („Verdorbenheit auf Erden“), oder „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie sehr selten,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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