Entscheidungsdatum
24.11.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W192 2248035-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geboren am XXXX , StA. Gambia, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2021, Zahl: 1279707902-210852317, zu Recht:
A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i. d. g. F., § 9 BFA-VG i. d. g. F. und §§ 52, 55 FPG i. d. g. F. als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 24.06.2021 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Anlässlich seiner am 25.06.2021 durchgeführten niederschriftlichen Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, er sei Staatsangehöriger von Gambia, gehöre der Volksgruppe der Mandingo an, bekenne sich zum islamischen Glauben und habe im Herkunftsstaat noch seine Eltern, seine beiden minderjährigen Geschwister, seine Ehefrau und seine Söhne im Alter von vier Jahren und einem Jahr. Den Entschluss zur Ausreise habe er zu Jahresbeginn gefasst und er habe seinen Herkunftsstaat tatsächlich am 05.06.2021 legal auf dem Luftweg verlassen. Er sei mit einem Visum über Brüssel in die Niederlande gereist, von wo er nach einem zweiwöchigen Aufenthalt mit dem Zug über eine unbekannte Route nach Österreich gelangt sei. Seinen Reisepass, seinen Personalausweis sowie die Flugunterlagen habe er unterwegs verloren. Nach Holland wolle der Beschwerdeführer nicht zurück, da sein Onkel in Österreich lebe und er hier seinen Beruf als Designer ausüben wolle. Zum Grund seiner Flucht führte der Beschwerdeführer aus, man habe sein Bekleidungsgeschäft in Gambia ausrauben wollen. Seine Schneidermaschine und Bekleidungen seien gestohlen worden. Sein im Geschäft anwesender Cousin sei mit dem Messer gestochen worden und später im Krankenhaus verstorben. Die Diebe seien von der Polizei gefasst worden und für nur einen Monat in Haft gewesen. Danach hätten sie ihn verfolgt. Sie hätten ihn erwischt und geschlagen, er habe jedoch flüchten können. Ein namentlich bezeichneter Mann, der ihm Visum und Ticket organisiert hätte, habe ihn in Kontakt mit einer Frau aus Holland gebracht. Diese sei nach Gambia gekommen und habe die Arbeit des Beschwerdeführers als Modedesigner gesehen, von welcher sie begeistert gewesen wäre. Sie habe ihm dann eine Einladung gegeben, um nach Holland zu kommen. Die Einladung habe der Beschwerdeführer nie in die Hände bekommen, sondern es habe der zuvor erwähnte Mann seinen Reisepass verlangt und für ihn das Visum organisiert. Im Fall einer Rückkehr könnte es sein, dass die Leute, welche seinen Cousin getötet hätten, auch ihn töten würden.
Durch die niederländische Dublin-Behörde wurde in Antwort auf ein vom Bundesamt gestelltes Aufnahmegesuch gemäß Art. 12 Abs. 2 oder 3 Dublin III-Verordnung mit Schreiben vom 27.07.2021 mitgeteilt, dass einer Aufnahme des Beschwerdeführers nicht zugestimmt werde, da dieser in den Niederlanden nicht bekannt wäre und ein Visum an ihn nicht ausgestellt worden sei. Ein solches hätte in Dakar, Senegal beantragt werden müssen und die Abgabe der Fingerabdrücke vorausgesetzt.
Am 21.09.2021 wurde der Beschwerdeführer nach erfolgter Zulassung seines Verfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen.
Der Beschwerdeführer gab zusammengefasst an, er lebe in Österreich von der Grundversorgung und habe keine familiären oder privaten Bindungen. Zu seinem in der Erstbefragung erwähnten Onkel habe er den Kontakt verloren. Vor Kurzem habe er erfahren, dass auch sein „Cousin-Bruder“ in Österreich sei. Er sei gesund und benötige keine medizinische Behandlung. Er besitze keine Dokumente, die seine Identität belegen, da er die Tasche, in der sich die Dokumente befunden hätten, im Zug vergessen hätte. In seinem Herkunftsstaat habe er zwölf Jahre lang eine Schule besucht. Er sei seit April 2019 traditionell verheiratet, seine Frau sei 19 Jahre alt. Er habe einen 2016 oder 2017 und einen 2020 geborenen Sohn. Seine Eltern hätten ihn gezwungen, seine Freundin zu heiraten, als diese mit dem ersten Kind schwanger geworden wäre. Sie hätten nach der Eheschließung in Babode gelebt, wo seine Ehefrau gemeinsam mit den Kindern nunmehr bei seinen Eltern leben würde. Er stehe mit ihr in Kontakt, dieser ginge es gut, sie fühle sich jedoch einsam und habe Geldprobleme. Im gleichen Haushalt würden auch der jüngere Bruder und die jüngere Schwester des Beschwerdeführers leben. Zudem habe er noch eine verheiratete Schwester, welche weiter weg leben würde. Der Beschwerdeführer sei im Herkunftsstaat in die Schule gegangen, zudem habe er einen eigenen Shop gehabt, er habe Kleidungsstücke sowie Schuhe und Taschen hergestellt. Dadurch habe er seinen Schulbesuch finanziert und seine Familie finanziell unterstützt. Seine Mutter habe ein kleines Second-Hand-Geschäft, welches jedoch nicht so gut laufe.
Zum Grund seiner Flucht führte der Beschwerdeführer aus, es habe ein Problem mit einem bewaffneten Raubüberfall in seinem Geschäft gegeben. Er habe dort zwei Jugendliche unterrichtet, einer davon hätte im Geschäft übernachtet. Dieser habe den Beschwerdeführer angerufen und ihm mitgeteilt, dass jemand einbrechen wolle. Sie hätten alles kaputt gemacht und alles mitgenommen. Der Jugendliche habe sich ihnen entgegenstellen wollen und sei mit einem Messer attackiert worden, in der Folge sei er im Spital gestorben. Der Beschwerdeführer habe den Vorfall bei der Polizei angezeigt. Es habe eine Untersuchung gegeben. Die Räuber seien gefasst, vor Gericht gestellt und eingesperrt worden, sie seien jedoch nach einem Monat schon wieder freigelassen worden. Der Beschwerdeführer habe das überhaupt nicht verstanden und sei deshalb immer wieder zur Polizei gegangen und habe nachgefragt. Eines nachts sei er von diesen Räubern angegriffen worden. Jedes Mal, wenn er außer Haus gegangen wäre, habe er befürchtet, dass dies wieder passieren könnte. Daher habe er beschlossen, das Land zu verlassen. Er habe einen Freund gehabt, welcher ihn mit einer Frau aus den Niederlanden bekanntgemacht hätte. Der Beschwerdeführer habe Kleidung für diese genäht und sei dann in die Niederlande eingeladen worden. Der Mann habe gemeint, er könne ihm gegen eine Zahlung von EUR 600,- helfen, ein Visum zu bekommen. Bevor er Gambia verlassen hätte, habe er erfahren, dass diese Frau gestorben sei.
Der Raubüberfall habe sich im vergangenen Jahr in der Regenzeit, ungefähr im August, ereignet. Als der Beschwerdeführer am Tatort eingetroffen sei, habe er nur seinen bewusstlos am Boden liegenden Mitarbeiter, bei dem es sich zugleich um einen Cousin gehandelt hätte, wahrgenommen und diesen sogleich mit einem Taxi ins Spital gebracht, wo er drei Tage später gestorben sei. Die Räuber seien ungefähr Ende Dezember festgenommen worden. Einen Monat später sei es zu einer Gerichtsverhandlung gekommen, es habe jedoch keine Zeugen gegeben, einzig die bei den Angeklagten aufgefundenen Kleider der Kunden des Beschwerdeführers. Einen weiteren Monat später habe der Beschwerdeführer die Leute wieder draußen gesehen; die Polizei habe ihm mitgeteilt, dass es keine Beweise gegeben hätte, um sie länger festzuhalten. In der Folge hätten diese Leute den Beschwerdeführer immer, wenn sie ihn getroffen hätten, bedroht und attackiert. Es sei insgesamt zu zwei näher beschriebenen versuchten Angriffen gegen ihn gekommen. Bei einer Rückkehr fürchte er einerseits, neuerlich von diesen Leuten angegriffen zu werden. Andererseits besitze er nichts mehr in Gambia und wisse nicht, wie er neu anfangen solle. Es sei die Armut und auch seine Familie sei von ihm abhängig.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2021 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Gambia (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Gambia gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt VI.).
In der Entscheidungsbegründung führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in Gambia einer Verfolgung durch staatliche Organe oder Privatpersonen unterliege. Dessen Ausführungen hinsichtlich eines Raubüberfalls und nachfolgender Verfolgung durch die Täter hätten sich als nicht glaubhaft erwiesen. So habe dieser sich dahingehend widersprochen, ob sein Cousin während des Raubüberfalls mit einem Messer oder aber mit einem Schraubenzieher angegriffen worden sei. Sowohl in der freien Erzählphase am 21.09.2021 als auch im Zuge der polizeilichen Erstbefragung habe der Beschwerdeführer lediglich einen einzigen Angriff durch die mutmaßlichen Räuber nach deren Entlassung aus dem Gefängnis genannt, später habe er jedoch einen weiteren Vorfall am Strand geschildert. Zudem habe der Beschwerdeführer einerseits davon gesprochen, dass er nach dem Vorfall mit seinem Cousin zwei Tage lang im Spital geblieben wäre, an anderer Stelle jedoch gemeint, dass er, nachdem er den Cousin ins Spital gebracht hätte, weggeeilt wäre, um zur Polizeistation zu gehen. Ebenso habe der Beschwerdeführer erst auf Nachfrage erwähnt, dass er die Anzahl der Täter von seinem Cousin erfahren hätte. Der Beschwerdeführer habe überdies widersprüchlich davon berichtet, ob er nach der Entlassung der Räuber aus dem Gefängnis immer wieder oder lediglich einmal die Polizei aufgesucht hätte. Zudem sei es zu zeitlichen Diskrepanzen innerhalb der Schilderungen des Beschwerdeführers gekommen, welcher einerseits angegeben hätte, dass sich der Raubüberfall im August 2020 ereignet hätte, andererseits jedoch davon gesprochen hätte, dass die Räuber zwei Monate nach dem Überfall, ungefähr im Dezember, festgenommen worden wären.
Auch sonst habe keine Gefährdung des Beschwerdeführers im Fall einer Rückkehr festgestellt werden können. Bei diesem handle es sich um einen jungen, gebildeten, arbeitsfähigen Mann mit Berufserfahrung, der in der Lage sein werde, seinen Lebensunterhalt in Gambia zu bestreiten. Zudem verfüge er über ein familiäres Netz, welches ihm unterstützend zur Seite stehen könnte.
Der Beschwerdeführer habe während seines erst kurzen Aufenthalts keine relevanten Bindungen im Bundesgebiet begründet und habe seine engsten familiären und privaten Bindungen nach wie vor in Gambia, sodass eine Rückkehrentscheidung keinen unzulässigen Eingriff in dessen nach Art. 8 EMRK geschützte Rechte begründe.
3. Gegen den dargestellten Bescheid brachte der Beschwerdeführer durch die nunmehr bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation am 03.11.2021 fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde ein, in welcher begründend ausgeführt wurde, dem Beschwerdeführer drohe wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Opfer von Verbrechen Verfolgung durch Private in seinem Heimatland. Dieser habe keine Familienangehörigen, die ihn im Fall einer Rückkehr nach Gambia unterstützen könnten und habe keine Möglichkeit, bei einer Rückkehr Fuß zu fassen. Seine Mutter sei schwer krank, könne selbst nicht mehr arbeiten und benötige die Unterstützung des Beschwerdeführers. Gleiches treffe auf seinen psychisch kranken Vater zu. Auch die Ehefrau und die beiden minderjährigen Kinder des Beschwerdeführers seien auf dessen Hilfe angewiesen. In Österreich weise der Beschwerdeführer eine fortschreitende Integration auf, er habe hier einen Onkel sowie einen Cousin und einen Freundeskreis. Die Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt, da sie der Entscheidung keine hinreichend einzelfallbezogenen Länderberichte zugrunde gelegt hätte. Es würden Berichte zur Schutzfähigkeit des Staates und zur konkreten Lage des Beschwerdeführers im Fall einer Rückkehr fehlen. Bereits die herangezogenen Berichte würden die weit verbreitete Korruption sowie die prekären wirtschaftlichen Lebensbedingungen in Gambia aufzeigen. Die Behörde habe es zudem unterlassen, die vom Beschwerdeführer auf seinem Mobiltelefon vorzeigten Fotos von seinem Geschäft in Gambia zum Akt zu nehmen. Die Feststellung der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers beruhe auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung. So habe der Beschwerdeführer bei den auf Englisch durchgeführten Befragungen das Wort „stabbed“ benutzt, ohne die Tatwaffe weiter zu konkretisieren. Es handle sich bei der Protokollierung, dass es sich um ein Messer gehandelt hätte, um einen Übersetzungsfehler, welcher erst bei späterer detaillierter Befragung korrigiert worden wäre. Der Beschwerdeführer sei nie nach der genauen Anzahl der Angriffe gefragt worden, sodass ihm die späte Schilderung des Vorfalls am Strand nicht entgegengehalten werden könne. Der Beschwerdeführer habe die Polizei zweimal, nämlich gleich nachdem er seinen Cousin ins Spital gebracht hätte, sowie zwei Tage später nach dessen Tod zur Erstattung einer ausführlichen Aussage aufgesucht. Dass der Beschwerdeführer zunächst nicht erwähnt hätte, dass sein Cousin ihm auch die Anzahl der Täter genannt hätte, könne dem Beschwerdeführer nicht zum Vorwurf gemacht werden. Die Angaben des Beschwerdeführers, ob er die Polizei immer wieder oder aber nur einmal aufgesucht hätte, seien in verschiedenen Kontexten erfolgt, sodass ein Widerspruch nicht zu erkennen sei. Der Beschwerdeführer habe zudem ausdrücklich angegeben, dass er den Zeitpunkt des Raubüberfalls nicht mehr genau wisse und dieser sich zwischen Juni und Oktober ereignet hätte. Soweit sich die Beweiswürdigung auf Widersprüche zwischen der Erstbefragung und weiteren Einvernahme stütze, sei festzuhalten, dass sich die Erstbefragung nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen habe und auch die Verfassung des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Erstbefragung Berücksichtigung finden müsse. Da das Fluchtvorbringen als glaubhaft zu werten sei und eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht vorliege, wäre diesem aufgrund der Verfolgung durch private Akteure aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe der Status des Asylberechtigten zu gewähren. Dem Beschwerdeführer drohe unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung durch die anhaltende Verfolgung durch die Täter, ebenso wie durch die schlechte Versorgungslage in Gambia. Entgegen der Ansicht des Bundesamtes stehe dem Beschwerdeführer keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Es wurde beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und in dieser den in Österreich lebenden Cousin des Beschwerdeführers als Zeugen zu befragen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer führt die im Spruch ersichtlichen Personalien, ist Staatsangehöriger von Gambia, Angehöriger der Volksgruppe der Mandingo und bekennt sich zum islamischen Glauben. Seine Identität steht nicht fest.
Der Beschwerdeführer wuchs in Gambia (Babode) im Familienverband mit seinen Eltern, zwei jüngeren Geschwistern sowie einer älteren Schwester auf, absolvierte dort eine zwölfjährige Schulbildung und arbeitete als Schneider in einem eigenen Geschäft. Der Beschwerdeführer war vor seiner Ausreise in der Lage, eigenständig für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Seinen unbelegten Angaben zufolge ist er traditionell verheiratet und Vater zweier in den Jahren 2016/2017 und 2020 geborener Kinder. Die Ehefrau, die beiden Kinder, die Eltern und zwei jüngere Geschwister des Beschwerdeführers halten sich nach wie vor in Gambia auf und leben gemeinsam im Elternahaus des Beschwerdeführers. Seine ältere verheiratete Schwester lebt in einem anderen Ort Gambias.
Im Juni 2021 reiste der Beschwerdeführer mit einem zuvor entgeltlich erworbenen gefälschten niederländischen Visum auf dem Luftweg von Gambia in die Niederlande. Nach einem rund zweiwöchigen Aufenthalt reiste er mit dem Zug illegal nach Österreich, wo er am 24.06.2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Seither hält er sich durchgehend im Bundesgebiet auf.
1.2. Der Beschwerdeführer reiste nach Europa um seine wirtschaftlichen Lebensbedingungen zu verbessern. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Gambia aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Gambia einer Verfolgung durch kriminelle Privatpersonen unterliegt, welche er infolge eines Einbruchs in sein Geschäft polizeilich angezeigt hätte. Ebensowenig kann festgestellt werden, dass diesem im Hinblick auf eine solche Bedrohung kein Schutz durch die Behörden Gambias zu Teil werden würde.
1.3. Es besteht für den Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Gambia keine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit. Dieser liefe auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Dem Beschwerdeführer ist es im Fall einer Rückkehr nach Gambia möglich, selbstständig für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Es ist ihm möglich, entweder neuerlich in seinem Elternhaus Unterkunft zu nehmen oder in einem anderen Ort Gambias eine neue Existenz aufzubauen.
Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden körperlichen oder psychischen Erkrankungen und hat im Bundesgebiet keine Behandlung in Anspruch genommen. Der Beschwerdeführer gehört keiner Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Infektion an.
1.4. Der unbescholtene Beschwerdeführer hat im Bundesgebiet keine Familienangehörigen oder sonst enge soziale Bindungen. Seinen Angaben zufolge lebt im Bundesgebiet ein Onkel, zu welchem er keinen Kontakt hat, sowie ein Cousin, von dessen Aufenthalt er erst nach seiner Einreise erfahren hätte. Der Beschwerdeführer steht zu seinem Cousin in keinem besonderen Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis und lebt mit diesem nicht im gemeinsamen Haushalt.
Der Beschwerdeführer hat sich keine nachgewiesenen Deutschkenntnisse angeeignet, ging im Bundesgebiet keiner legalen Erwerbstätigkeit und ist in keinem Verein Mitglied. Dieser ist nicht selbsterhaltungsfähig und bestreitet seinen Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung. Von August 2021 bis Oktober 2021 engagierte er sich durch die Verrichtung von freiwilligen Tätigkeiten in seiner Wohngemeinde. Er hat keine Kurse oder Ausbildungen in Österreich absolviert und keine konkreten persönlichen Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet respektive hier erfolgte Integrationsbemühungen genannt.
1.5. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Politische Lage
Letzte Änderung: 24.6.2020
Gambia ist eine Präsidialrepublik mit starker Stellung des direkt gewählten Staatspräsidenten. Dieser ist gleichzeitig Regierungschef (ÖB 12.2019). Staatsoberhaupt und Regierungschef ist seit 2017 Adama Barrow von der United Democratic Party - UDP (AA 15.10.2018; vgl. ÖB 12.2019). Bei den Präsidentschaftswahlen vom 1.12.2016, die als weitgehend frei und fair bezeichnet wurden (FH 4.3.2020; vgl. ÖB 12.2019), gewann Barrow gegen den 22 Jahre autoritär regierenden Amtsinhaber Jammeh (WB 22.3.2020), der nach einer knapp zweimonatigen innenpolitischen Krise schließlich zur Aufgabe seines Amtes bereit war (AA 5.8.2019; vgl. ÖB 12.2019, FH 4.3.2020).
Seither befinden sich im Auftrag der CEDEAO/ECOWAS und auf Bitten der neuen Regierung Militärtruppen in Gambia, um die Sicherheit des Transformationsprozesses des Sicherheitssektors zu unterstützen und politischer Instabilität vorzubeugen (FH 4.3.2020).
Barrow kündigte ein ambitioniertes Reformprogramm an, das ab Mitte 2017 auch initiiert wurde. Der Namenszusatz „Islamische Republik“ wurde gestrichen, ein Moratorium zur Abschaffung der Todesstrafe wurde erlassen, Meinungs- und Pressefreiheit gewährleistet und die Stärkung von Institutionen und wirtschaftlicher Aufschwung versprochen (KAS .24.1.2020). Zwei weitere Wahlen konnten friedlich und transparent abgehalten und somit der politische Umbruch konsolidiert werden (ÖB 12.2019; vgl UNSC 29.6.2018, FH 4.3.2020).
Im Oktober 2018 wurde unter der Leitung des Ministeriums für Justiz die „Truth, Reconciliation and Reparation Commission“ eingerichtet, welche an der Aufklärung der unter der Regierung Jammeh verübten Menschenrechtsverletzungen arbeitet (AA 5.8.2019; vgl. FH 4.3.2020). Die Arbeit der Kommission ist noch nicht abgeschlossen. Zeugenaussagen bestätigen weit verbreitete Misshandlungen und Folterungen durch die Sicherheitskräfte und ein außergerichtliches Killerkommando, sowie Misshandlungen durch Jammeh selbst. Es kam jedoch bislang noch zu keiner Strafverfolgung und die Freilassung einiger Täter war umstritten (FH 4.3.2020).
Obschon es zahlreiche, wichtige außen- und innenpolitische Veränderungen gibt, nimmt die Kritik an Barrows Regierungsführung mittlerweile zu. Die junge Bevölkerung äußert ihre Unzufriedenheit über die schleppende Umsetzung von Reformen und erwartet rasche Ergebnisse bei der Schaffung von Arbeitsplätzen. Die wirtschaftliche Situation verbesserte sich für die meisten Gambier nach dem Regimewechsel nicht. Auch der 2018 verabschiedete Entwicklungsplan konnte die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bisher nicht verbessern (KAS 24.1.2020).
Barrow versprach als Präsidentschaftskandidat öffentlich, dass er drei Jahre als Übergangspräsident fungieren würde und im Dezember 2019 Neuwahlen abhalten ließe, ohne dabei selbst erneut anzutreten. Damit sollte eine Übergangsphase von der Diktatur Jammehs hin zu einer Demokratie eingeläutet werden. Im Dezember 2019 fanden allerdings keine Präsidentschaftswahlen statt und Barrow erklärte, sich an die verfassungsmäßige Amtszeit von fünf Jahren für Präsidenten zu halten. Nicht erst seit dieser Entscheidung nehmen Stimmen zu, die einen zunehmend autoritären Führungsstil des Präsidenten konstatieren (KAS 24.1.2020).
Das Kabinett wurde im März 2019 umgebildet, da der Vizepräsident zusammen mit zwei weiteren prominenten Mitgliedern der UDP abgesetzt wurde. Im Dezember 2019 gründete Präsident Barrow eine neue politische Partei, die Nationale Volkspartei, wodurch es ihm ermöglicht wird, bei den Wahlen 2021 für eine zweite Amtszeit zu kandidieren (WB 20.3.2020; vgl. FH 4.3.2020, KAS 24.1.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (15.10.2018): Gambia: Überblick, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/gambia-node/gambia/213610, Zugriff 17.6.2020
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (5.8.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Gambia (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014284/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Gambia_%28Stand_Juli_2019%29%2C_05.08.2019.pdf, Zugriff 23.6.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - The Gambia, https://freedomhouse.org/country/gambia/freedom-world/2020, Zugriff 15.6.2020
- KAS - Konrad-Adenauer-Stiftung (24.1.2020): „Too small to fail“? - Gambias Demokratisierungsprozess - zwischen Fortschritt und Frustration, https://www.kas.de/de/laenderberichte/detail/-/content/too-small-to-fail, Zugriff 22.6.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Dakar (12.2019): Asylländerbericht Gambia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2032127/Asyll%C3%A4nderbericht+Gambia+2019+-+Erstentwurf.docx, Zugriff 22.6.2020
- UNSC - UN Security Council (29.6.2018): Report of the Secretary-General on the activities of the United Nations Office for West Africa and the Sahel, https://www.ecoi.net/en/file/local/1438086/1226_1531382798_n1817627.pdf, Zugriff: 23.6.2020
- WB - the World Bank (20.3.2020): The Gambia - Overview, https://www.worldbank.org/en/country/gambia/overview, Zugriff 22.6.2020
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 24.6.2020
Das staatliche Gewaltmonopol ist im gesamten Staatsgebiet gewährleistet. Es gibt keine Gruppen, die die staatliche Integrität in Frage stellen (BS 29.4.2020). Gambia blieb bisher von terroristischen Anschlägen verschont (AA 18.6.2020). Das Risiko von Entführungen, sporadischen bewaffneten Angriffen und Raubüberfällen durch Casamance-Rebellen im Süden des Landes nimmt weiter ab. Die Kriminalitätsrate in Gambia ist relativ niedrig (Garda 5.4.2019; vgl. BS 29.4.2020). Gambia wird zunehmend zu einem Transitland für Geldwäsche und den Handel mit Waffen, Drogen, Diamanten und gestohlenen Gütern (Garda 5.4.2019). Demonstrationen und Proteste finden inzwischen wieder häufiger statt. Am 26.1.2020 kam es bei einer Demonstration in Kanifing/Serrekunda zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften (AA 18.6.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.6.2020): Gambia: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/gambia-node/gambiasicherheit/213624, Zugriff 16.6.2020
- BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Gambia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029565/country_report_2020_GMB.pdf, Zugriff 27.5.2020
- Garda World (5.4.2019): Gambia Country Report, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/gambia, Zugriff 26.5.2020
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 24.6.2020
Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor und die Regierung respektiert die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz (USDOS 11.3.2020; vgl. EASO 12.2017). Die Justiz wird durch Korruption und Ineffizienz behindert und die Exekutive dominiert die gerichtlichen Verfahren (FH 4.3.2020; vgl. PFD 3.12.2019, ÖB 12.2019). Justizmitarbeiter sind eingeschüchtert und unzureichend ausgebildet, es fehlt an Arbeitsmaterialien und Infrastruktur, wodurch die Unabhängigkeit der Justiz infrage gestellt wird (PFD 3.12.2019). Die verfassungsmäßigen Garantien für einen fairen Prozess werden nur schwach umgesetzt (ÖB 12.2019).
Seit dem Machtwechsel ist allgemein ein Reformwille zu verzeichnen. Die Regierung hat Maßnahmen zur Stärkung bestehender und zur Schaffung neuer Institutionen unternommen. Rechtsstaatlichkeit war unter Jammeh nach Ansicht internationaler Beobachter lediglich formal gesichert. Durch die neue Regierung wurde die Unabhängigkeit der Justiz gestärkt. Des Weiteren wurde die Judicial Service Commission, welche Empfehlungen über die Bestellung von Richterposten und zur Effizienzsteigerung ausspricht, wieder eingesetzt (ÖB 12.2019; vgl. FH 4.3.2020).
Eine verfassungsgebende Kommission hat im Mai 2018 ihre Arbeit aufgenommen (AA 5.8.2019). Ein Verfassungsentwurf wurde am 15.11.2019 vorgelegt. Elemente sind unter anderem die klare Begrenzung auf zwei Amtszeiten (inkl. für den dzt. Präsidenten) oder die Abschaffung der Todesstrafe. Der Entwurf liegt nun zur Kommentierung durch die Öffentlichkeit vor und soll letztendlich durch ein Referendum angenommen werden (ÖB 12.2019).
Die Regierung Barrow ernennt mehr gambische Staatsbürger ins Richteramt, dennoch bleibt die Jurisdiktion von ausländischen Richtern abhängig (ÖB 12.2019; vgl. FH 4.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (5.8.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Gambia (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014284/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Gambia_%28Stand_Juli_2019%29%2C_05.08.2019.pdf, Zugriff: 23.6.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - The Gambia, https://freedomhouse.org/country/gambia/freedom-world/2020, Zugriff 15.6.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Dakar (12.2019): Asylländerbericht Gambia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2032127/Asyll%C3%A4nderbericht+Gambia+2019+-+Erstentwurf.docx, Zugriff 22.6.2020
- PFD - the Point for Freedom and Democracy (3.12.2019): UN rapporteur urges Gambia to reform judicial system, http://thepoint.gm/africa/gambia/article/un-rapporteur-urges-gambia-to-reform-judicial-system, Zugriff: 23.6.2020
- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: The Gambia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/GAMBIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff: 23.6.2020
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 24.6.2020
Die zivilen Behörden behalten zwar wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 11.2.2020), jedoch fehlen noch weitere zivile Überwachungsmechanismen für die Sicherheitskräfte (ÖB 12.2019). Das Militärpersonal der ECOWAS bleibt weiterhin im Land (USDOS 11.3.2020; vgl. ÖB 12.2019, FH 4.3.2020).
Die Gambia Armed Forces – GAF (Streitkräfte) sind für die externe Verteidigung zuständig und stehen unter der Aufsicht des Verteidigungsministers; der Präsident ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (USDOS 11.3.2020; vgl. ÖB 12.2019). Der Nationale Geheimdienst untersteht direkt dem Präsidenten (ÖB 12.2019). Das Innenministerium ist für die Gambia Police Force (GPF) verantwortlich, die die innere Sicherheit gewährleistet (USDOS 11.3.2020; vgl. ÖB 12.2019). Sie besitzt sowohl eine Menschenrechts- und Beschwerdeabteilung, sowie eine Kinderfürsorge- und „Gefährdete Personen“- Abteilung (ÖB 12.2019).
Im Februar 2017 wurde die National Intelligence Agency (NIA), die unter der früheren Regierung Folter und willkürliche Inhaftierung praktizierte, in State Intelligence Services (SIS) umbenannt und ihre Haftbefugnisse wurden aufgehoben (AI 22.2.2018; vgl. ÖB 12.2019). Eine Reihe von Führungspersönlichkeiten der NIA unter dem Vorgängerregime sollen ausgewechselt worden sein und sich nun entweder vor Gericht oder im Ausland befinden. Einige Mitarbeiter haben jedoch ihre Stellen behalten (ÖB 12.2019). Auch die Leiter von Polizei, Gefängnis und Militär wurden ausgetauscht (AI 22.2.2018).
Die Regierung hat effektive Mechanismen, um bei Missbrauch zu ermitteln und zu bestrafen in Kraft gesetzt, jedoch kommen Straflosigkeit und inkonsistente Durchsetzung vor (USDOS 11.3.2020). Die Ausübung illegitimer Gewalt durch Sicherheitskräfte ist unter der Regierung Barrow seltener geworden (FH 4.3.2020). Im Gegensatz zu den vorangegangenen Jahren wurde 2018 kein Fall von Straflosigkeit im Zusammenhang mit den Sicherheitskräften gemeldet (ÖB 12.2019).
Quellen:
- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Gambia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425363.html, Zugriff: 23.6.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - The Gambia, https://freedomhouse.org/country/gambia/freedom-world/2020, Zugriff 15.6.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Dakar (12.2019): Asylländerbericht Gambia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2032127/Asyll%C3%A4nderbericht+Gambia+2019+-+Erstentwurf.docx, Zugriff 22.6.2020
- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: The Gambia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/GAMBIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff: 23.6.2020
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 24.6.2020
Der neue Präsident Adama Barrow machte deutlich, dass ein vorrangiges Ziel der neuen Regierung darin bestehen würde, die Achtung der Menschenrechte zu gewährleisten (EASO 12.2017). Zu den bedeutendsten Menschenrechtsproblemen gehören: harte und potenziell lebensbedrohliche Haftbedingungen; mangelnde Rechenschaftspflicht in Fällen von Gewalt gegen Mädchen und Frauen, einschließlich Vergewaltigung und weit verbreiteter weiblicher Genitalverstümmelung; Menschenhandel; und die Kriminalisierung einvernehmlichen gleichgeschlechtlichen Sexualverhaltens zwischen Erwachsenen, obwohl das Gesetz nicht durchgesetzt wird (USDOS 11.3.2020).
Die Grundrechte, einschließlich der Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit, haben sich seit dem Amtsantritt von Präsidenten Barrow verbessert, aber die Konsolidierung der Rechtsstaatlichkeit geht nur langsam voran (FH 4.3.2020). Mitglieder des Jammeh-Regimes werden nicht systematisch verfolgt (EASO 12.2017; vgl. VA 19.6.2020).
Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit werden durch die Verfassung garantiert und seit Amtsübernahme der Regierung durch Barrow werden diese staatlicherseits respektiert und gewährleistet (AA 5.8.2019; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020). Die neue Regierung unternahm mehrere bedeutende Anstrengungen, um ein günstigeres Umfeld für die Meinungsfreiheit zu schaffen. Die Verfassung und das Gesetz sehen die Meinungsfreiheit, auch für die Presse, vor, und die Regierung respektierte dieses Recht (HRW 18.1.2018; vgl. ÖB 12.2019). Die Selbstzensur ist zurückgegangen und mehr Menschen ergreifen den Beruf des Journalisten. Journalisten kehren vermehrt aus dem Exil zurück (FH 4.3.2020; vgl. AI 22.2.2018, ÖB 12.2019). Dennoch bleiben restriktive Mediengesetze zumindest am Papier erhalten und es gibt vereinzelte Berichte über Verhaftungen und Polizeiübergriffe gegen Journalisten (FH 4.3.2020; vgl. JA 26.1.2020, AN 28.1.2020). Radioprogramme, Nachrichten-Websites und Fernsehsender sind in Gambia online zugänglich. Internationale Sender wie die BBC, Voice of America und Nachrichten-Websites aus der Diaspora, die der Regierung Jammeh sehr kritisch gegenüberstanden, bleiben eine wichtige Informationsquelle (EASO 12.2017).
Die gesetzlichen Regelungen aus der Jammeh-Ära, welche die Pressefreiheit stark eingeschränkt haben, wurden im Mai 2018 vom Obersten Gerichthof weitestgehend für verfassungswidrig erklärt. Die Barrow-Regierung hat das Gesetz seit Amtsantritt nicht angewendet. Seit dem Regierungswechsel liegen auch keine Hinweise auf Einschränkungen der Medienfreiheit vor. Die Regierung sucht den Austausch mit Journalisten und der „Gambia Press Union“. In Kooperation mit der Menschenrechts-NGO Article 19 erarbeitet die Regierung aktuell ein neues Mediengesetz (AA 5.8.2019; vgl. ÖB 12.2019). Für öffentliche Versammlungen muss eine Genehmigung vom Generalinspektor der Polizei eingeholt werden (FH 4.3.2020). Die Regierung verpflichtete sich zur Reform mehrerer repressiver Mediengesetze (AI 22.2.2018).
Im Juli 2019 wurden bei größeren Protesten in Serrekunda und Brikama zahlreiche Personen nach einem Einschreiten der Polizei verletzt und verhaftet (FH 4.3.2020). Im Zuge von Protestveranstaltungen gegen Präsident Barrow im Jänner 2020 wurden ca. hundert Personen verhaftet, einige Medienunternehmen gesperrt und die Oppositionsgruppe „Three Years Jotna“ verboten. Bei der Auflösung der Demonstrationen wurde Tränengas eingesetzt (AN 27.1.2020, AN 28.1.2020, JA 26.1.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (5.8.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Gambia (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014284/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Gambia_%28Stand_Juli_2019%29%2C_05.08.2019.pdf, Zugriff 23.6.2020
- AN - AfricaNews (27.1.2020): Gambia govt bans protests, silences critical media, https://www.africanews.com/2020/01/27/gambia-govt-bans-protests-silences-critical-media/, Zugriff 23.6.2020
- AN - AfricaNews (28.1.2020): Unpacking Gambia's three-year pact: Constitution vs. Coalition MoU, https://www.africanews.com/2020/01/28/unpacking-gambia-s-three-year-pact-constitution-vs-coalition-mou/, Zugriff 23.6.2020
- EASO - European Asylum Support Office (12.2017): The Gambia - Country Focus, https://www.ecoi.net/en/file/local/1419801/90_1513324824_easo-201712-coi-report-gambia.pdf, Zugriff 23.6.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - The Gambia, https://freedomhouse.org/country/gambia/freedom-world/2020, Zugriff 15.6.2020
- JA - Jeune Afrique (26.1.2020): Gambie : le gouvernement durcit le ton face à la contestation anti-présidentielle, https://www.jeuneafrique.com/886852/politique/gambie-le-gouvernement-durcit-le-ton-face-a-la-contestation-anti-presidentielle/, Zugriff 23.6.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Dakar (12.2019): Asylländerbericht Gambia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2032127/Asyll%C3%A4nderbericht+Gambia+2019+-+Erstentwurf.docx, Zugriff 22.6.2020
- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: The Gambia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/GAMBIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.6.2020
- VA - Vertrauensanwalt der Österreichischen Botschaft Dakar in Gambia (19.6.2020): Antwortschreiben, per E-Mail.
Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 24.6.2020
Schätzungsweise sind 95,7% der rund 2,1 Millionen Einwohner Gambias Muslime, die meisten davon sind Sunniten. Die christliche Gemeinde, zum größten Teil römisch-katholisch, macht 4,2% der Bevölkerung aus. Kleinere religiöse Gruppen sind unter anderem Ahmadi-Muslime, Bahai, Hindu, und Eckankar. Eine kleine Zahl von Personen vermischt indigene Glaubenselemente mit Islam und Christentum (USDOS 10.6.2020).
Die Regierung Barrow erklärte Gambia zu einer säkularen Gesellschaft, in der alle Religionen frei praktizieren können (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 10.6.2020). Religionsfreiheit ist in der Verfassung verankert (ÖB 12.2019). Die Verfassung verbietet religiöse Diskriminierung, das Einrichten einer Staatsreligion und auf Religion basierende politische Parteien (USDOS 10.6.2020; vgl. FH 4.3.2020, ÖB 12.2019). Im 2019 veröffentlichten Entwurf zur neuen Verfassung ist jedoch der Punkt, dass Gambia ein säkularer Staat sei, weggefallen (FH 4.3.2020).
Es bestehen keine eigenen Bestimmungen für die Anmeldung von religiösen Vereinen – diese müssen die gleichen Voraussetzungen wie NGOs erfüllen (ÖB 12.2019). Heiraten zwischen Muslimen und Christen sind üblich. Sowohl was das ethnische als auch religiöse Zusammenleben anbelangt, ist Gambia durch eine friedliche Koexistenz der diversen Ethnien und Religionen gekennzeichnet (USDOS 10.6.2020; vgl. ÖB 12.2019, BS 29.4.2020).
Präsident Barrow hat sich mehrmals öffentlich für Religionsfreiheit ausgesprochen. Manche Diskriminierungen bleiben jedoch weiter bestehen. Muslime der Ahmadiyya-Gemeinschaft sind von Festlichkeiten der übrigen Muslime ausgeschlossen und durch eine Fatwa des Obersten Islamischen Rates aus dem Jahr 2015 wird Ahmadis die Beerdigung auf muslimischen Friedhöfen weiterhin verwehrt (ÖB 12.2019; vgl. FH 4.3.2020).
Quellen:
- BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Gambia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029565/country_report_2020_GMB.pdf, Zugriff 27.5.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - The Gambia, https://freedomhouse.org/country/gambia/freedom-world/2020, Zugriff 15.6.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Dakar (12.2019): Asylländerbericht Gambia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2032127/Asyll%C3%A4nderbericht+Gambia+2019+-+Erstentwurf.docx, Zugriff 22.6.2020
- USDOS - U.S. Department of State (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom - The Gambia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/06/GAMBIA-2019-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 15.6.2020
Ethnische Minderheiten
Letzte Änderung: 24.6.2020
In Gambia leben zahlreiche westafrikanischen Ethnien (AA 5.8.2019) und viele Gambier sind gemischter ethnischer Herkunft (EASO 12.2017). Der Volkszählung aus dem Jahr 2017 zufolge hat Gambia 2.051.363 Einwohner. 34% gehören der Volksgruppe der Mandinka an, 22,4% den Fula/Fulbe, 12,6% den Wolof, 10,7% den Jola/Diola, 6,6% den Serahuli, 3,2% den Serer, 2,1% der Manjago, 1% der Bambara u.a. (CIA 10.6.2020). Die Amtssprache ist Englisch, die wichtigsten Umgangssprachen sind Mandinka, Wolof, Diola und Fula (CIA 10.6.2020).
Eine diskriminierende Gesetzgebung oder Verwaltungspraxis besteht nicht (AA 5.8.2019; vgl. BS 29.4.2020). Gambia ist durch eine friedliche Koexistenz der diversen Ethnien und Religionen gekennzeichnet (ÖB 12.2019; vgl. USDOS 10.6.2020, BS 29.4.2020). Es gibt jedoch Anzeichen, dass die gambische Politik vermehrt ethnisiert wird und Konflikte zwischen der ethnischen Gruppe der Mandinka und anderer Gruppen häufiger werden (FH 4.3.2020). Präsident Barrow ist Mitglied der größten ethnischen Gruppe, der Mandinka. Ex-Präsident Jammeh stammt aus der ethnischen Gruppe der Jola (EASO 12.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (5.8.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Gambia (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014284/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Gambia_%28Stand_Juli_2019%29%2C_05.08.2019.pdf, Zugriff 23.6.2020
- BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Gambia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029565/country_report_2020_GMB.pdf, Zugriff 27.5.2020
- CIA - Central Intelligence Agency (10.6.2019): The World Factbook - Gambia, The - People and Society, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ga.html, ZZugriff 23.6.2020
- EASO - European Asylum Support Office (12.2017): The Gambia - Country Focus, https://www.ecoi.net/en/file/local/1419801/90_1513324824_easo-201712-coi-report-gambia.pdf, Zugriff 23.6.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - The Gambia, https://freedomhouse.org/country/gambia/freedom-world/2020, Zugriff 15.6.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Dakar (12.2019): Asylländerbericht Gambia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2032127/Asyll%C3%A4nderbericht+Gambia+2019+-+Erstentwurf.docx, Zugriff 22.6.2020
- USDOS - U.S. Department of State (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom - The Gambia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/06/GAMBIA-2019-INTERNATIONAL-RELIGIOUS-FREEDOM-REPORT.pdf, Zugriff 15.6.2020
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 24.6.2020
Die Verfassung und Gesetze ermöglichen die Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung. Die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 11.3.2020). Jedoch wird die Bewegungsfreiheit durch häufige Sicherheitskontrollen beeinträchtigt (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hat Gambia am 23.3.2020 bis auf Weiteres den Luftraum und die Landgrenzen geschlossen. Der Ausnahmezustand wurde bis 1.7.2020 verlängert, seit 4.6.2020 werden die Einschränkungen schrittweise gelockert (USEMB 11.6.2020; vgl. Garda 11.6.2020). Einschränkungen der Passagierzahl im privaten und öffentlichen Personenverkehr auf die Hälfte des Fassungsvermögens des Fahrzeuges bleiben bis auf Weiteres in Kraft (Garda 11.6.2020)
Quellen:
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - The Gambia, https://freedomhouse.org/country/gambia/freedom-world/2020, Zugriff 15.6.2020
- Garda World (11.6.2020): Gambia: COVID-19 state of emergency extended until July 1 /update 3, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/349821/gambia-covid-19-state-of-emergency-extended-until-july-1-update-3, Zugriff 15.6.2020
- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: The Gambia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/GAMBIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.6.2020
- USEMB - U.S. Embassy in The Gambia (11.6.2020): COVID-19 Information, https://gm.usembassy.gov/u-s-citizen-services/covid-19-information/, Zugriff 15.6.2020
Grundversorgung
Letzte Änderung: 24.6.2020
Gambia ist im internationalen Vergleich eines der ärmsten und am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Lediglich ein Drittel der Bevölkerung verfügt über eine garantierte Ernährungssicherheit. Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren zwischen 2014 und 2016 über 200.000 Gambier gezwungen, sich auf humanitäre Hilfe zu verlassen (EASO 12.2017). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist v.a. in ländlichen Gegenden nur beschränkt gewährleistet (EASO 12.2017). Die wirtschaftliche Situation verbesserte sich für die meisten Gambier auch nach dem Regierungswechsel nicht, die Preise für Grundnahrungsmittel sind gestiegen (KAS 24.1.2020).
Zwar betrug das Wirtschaftswachstum 2019 offiziell 6%, doch bleibt die Lebenswirklichkeit der Bevölkerungsmehrheit äußerst schwierig. Die Inflation stieg auf knapp 7% und allein 80% des Haushalts 2020 dürften in die Schuldentilgung fließen. Für dringend notwendige Investitionen in das marode Bildungs- und Gesundheitssystem bleibt wenig Spielraum. Auch die Energieversorgung bleibt problematisch und der 2018 verabschiedete Entwicklungsplan konnte die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bisher nicht verbessern (KAS 24.1.2020).
Die Arbeitslosigkeit ist nach europäischer Berechnung hoch, doch gibt es keine verlässlichen Zahlen. Der Großteil der Bevölkerung ist entweder im Agrarsektor tätig (wo sie nicht von offiziellen Statistiken erfasst wird) oder im informellen Wirtschaftssektor. Der formelle Wirtschaftssektor ist nur schwach ausgeprägt und beschränkt sich meist auf den öffentlichen Sektor und im Land tätige ausländische Unternehmen (ÖB 12.2019).
Zudem ist die Landwirtschaft anfällig für Überschwemmungen und Dürren (EASO 12.2017; vgl. ÖB 12.2019). Die schlechte landwirtschaftliche Ernte führte 2016/2017 zu Ausfällen (KAS 16.5.2018; vgl. ÖB 12.2019). Der Landwirtschaftssektor ist nicht vielfältig genug aufgestellt, 91% der Landbevölkerung sind Kleinbauern, mehrheitlich durch Subsistenzwirtschaft geprägt. Das Land ist stark importabhängig, praktisch alle Güter des täglichen Gebrauchs werden importiert. Die Preise sind entsprechend hoch (KAS 16.5.2018; vgl. ÖB 12.2019).
Negativ wirkte sich auch die politische Krise des Jahres 2017 aus. Der Länderbericht des Internationalen Währungsfonds schätzt, dass die Tourismuseinnahmen im ersten Quartal 2017 aufgrund der politischen Turbulenzen um rund ein Drittel (8,8 Mio. USD) gesunken sind (EASO 12.2017) und sich nur zögerlich erholten (KAS 16.5.2018). Die Überweisungen (Geldtransfers) von Auswanderern in ihr Heimatland werden auf rund 10% des BIP geschätzt. Im internationalen Handel haben China und Indien die EU (insbesondere Frankreich und Großbritannien) als Hauptexporteur teilweise abgelöst (EASO 12.2017).
Eine zerstörte Wirtschaft, ausgebeutete Staatsressourcen, eine ineffiziente Infrastruktur, enorme soziale Herausforderungen sowie ein Mangel an Möglichkeiten für die junge Bevölkerung waren die Rahmenbedingungen, unter denen Barrow seine Präsidentschaft angetreten hat (KAS 16.5.2018). Als Jammeh Anfang 2017 ins Exil nach Äquatorialguinea ging, nahm er Vermögenswerte mit unbekanntem Wert mit (EASO 12.2017). Der systematische Diebstahl von Staatseigentum wurde rückwirkend seit 2014 auf 4% des BIP jährlich geschätzt (KAS 16.5.2018).
Das Land ist auf finanzielle Unterstützung aus dem Ausland angewiesen. Nach Angaben der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) machten die Hilfen ausländischer Geber 2013 11% des BIP aus (EASO 12.2017). Ausländische Geber versprachen der Barrow-Regierung finanzielle Unterstützung unter der Bedingung, dass die Entwicklung der Demokratie gefördert und die Menschenrechte geachtet werden (EASO 12.2017).
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden nicht lebenswichtige Handels- und andere Aktivitäten, die mit der lokalen Wirtschaft verbunden sind, aber dazu neigen, große Menschenmengen anzuziehen, bis auf weiteres untersagt, was den Lebensunterhalt zahlreicher Personen gefährdet (APA 2.4.2020). Die Regierung stellte 14,7 Millionen US-Dollar zur Verfügung, um Haushalte mit Grundnahrungsmitteln (u.A. Reis, Öl, Zucker) zu versorgen (Gentilini et al 12.6.2020: 185).
Quellen:
- APA - Agence de Presse Africaine (2.4.2020): Gambia: Livelihoods affected by anti-COVID-19 restrictions, https://apanews.net/en/news/anger-follows-gambia-covid-19-lockdown, Zugriff 27.4.2020
- EASO - European Asylum Support Office (12.2017): The Gambia - Country Focus, https://www.ecoi.net/en/file/local/1419801/90_1513324824_easo-201712-coi-report-gambia.pdf, Zugriff 23.6.2020
- Gentilini, Ugo; Mohamed Almenfi, Pamela Dale, Ana Veronica Lopez, Ingrid Veronica Mujica, Rodrigo Quintana, Usama Zafar (12.6.2020): Social Protection and Jobs Responses to COVID-19: A Real-Time Review of Country Measures - “Living paper” version 11 (June 12, 2020), http://documents.worldbank.org/curated/en/590531592231143435/pdf/Social-Protection-and-Jobs-Responses-to-COVID-19-A-Real-Time-Review-of-Country-Measures-June-12-2020.pdf, Zugriff 22.6.2020
- KAS - Konrad-Adenauer-Stiftung (16.5.2018): Ein Jahr Demokratie in Gambia, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52476-544-1-30.pdf?180516145500, Zugriff 23.6.2020
- KAS - Konrad-Adenauer-Stiftung (24.1.2020): „Too small to fail“? - Gambias Demokratisierungsprozess – zwischen Fortschritt und Frustration, https://www.kas.de/de/laenderberichte/detail/-/content/too-small-to-fail, Zugriff 22.6.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Dakar (12.2019): Asylländerbericht Gambia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2032127/Asyll%C3%A4nderbericht+Gambia+2019+-+Erstentwurf.docx, Zugriff 22.6.2020
Sozialleistungen
Letzte Änderung: 24.6.2020
Das soziale Sicherheitsnetz Gambias ist schwach. Alterspensionen stehen nur einem kleinen Prozentsatz der Bevölkerung zur Verfügung (Personen mit mehr als zehn Jahren Beschäftigung in einer staatlichen Einrichtung oder einer teilnehmenden privaten Einrichtung) und werden vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer finanziert. Andere Sozialleistungen wie Entschädigung für Arbeitsunfälle, Arbeitslosenversicherung oder Mutterschutz stehen entweder gar nicht oder nur einem kleinen Teil der Bevölkerung zur Verfügung. Soweit vorhanden, handelt es sich überwiegend um vom Arbeitgeber finanzierte Barzahlungen (BS 29.4.2020; vgl. USSSA 9.2019).
Das staatliche „Social Welfare Service“ bietet für bedürftige Frauen und Kinder Unterbringung, Nahrung und Kleidung. Nach Angaben der Weltbank sind knapp 40% der Kinder unter 5 Jahren akut unterernährt. Sozialhilferegelungen etc. bestehen nicht (AA 5.8.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (5.8.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Gambia (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014284/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Gambia_%28Stand_Juli_2019%29%2C_05.08.2019.pdf, Zugriff 23.6.2020
- BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Gambia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029565/country_report_2020_GMB.pdf, Zugriff 27.5.2020
- USSSA - United States Social Security Administrazion (9.2019): Social Security Programs Throughout the World: Africa, 2019 - Gambia, https://www.ssa.gov/policy/docs/progdesc/ssptw/2018-2019/africa/gambia.pdf, Zugriff 27.5.2020
Rückkehr
Letzte Änderung: 24.6.2020
Staatliche Einrichtungen zur Aufnahme von Rückkehrerinnen und Rückkehrern existieren nicht (AA 5.8.2019). Abgeschobene Personen werden von der Einwanderungsbehörde in Empfang genommen, kurz vernommen bzw. deren Daten aufgenommen (ÖB 12.2019). Rückkehrer werden in der Regel wieder von ihrer (Groß-) Familie aufgenommen. Zwischen der International Organisation of Migration (IOM) und der EU wurde eine Vereinbarung zum Schutz und zur Wiedereinbürgerung von Migranten getroffen (EU-IOM Initiative on Migrant Protection and Reintegration), welche Unterstützung für freiwillig oder zwangsweise zurückgekehrte Gambier vorsieht (AA 5.8.2019; vgl. ÖB 12.2019). Der erhebliche Rückstau bei den Reintegrationsmaßnahmen wegen unerwartet hohen Rückkehrerzahlen v.a. aus Libyen und Anlaufschwierigkeiten des 2017 eingerichteten IOM-Büros konnte seit Mitte 2018 in etwa halbiert werden. Zum Stand März 2019 erhielten knapp 2.500 von insgesamt ca. 4.100 Rückkehrern Reintegrationsunterstützung. Des Weiteren gibt es zahlreiche NGOs, die in Gambia tätig sind, hauptsächlich im Grundbildungsbereich (AA 5.8.2019).
Rückkehrer bzw. wiedereingebürgerte Personen unterliegen keiner besonderen Behandlung. Fälle von Misshandlung oder Festnahmen sind nicht bekannt. Bei Rückkehr muss nicht mit staatlichen Maßnahmen aufgrund der Asylantragstellung gerechnet werden (AA 5.8.2019; vgl. ÖB 12.2019). Der „Social Welfare Service“ unterhält eine Einrichtung zur Unterbringung von Minderjährigen, dürfte sich aber eher an Kinder jüngeren Alters richten. Ob eine Unterbringung von abgeschobenen Minderjährigen dort möglich ist, muss im Einzelfall geklärt werden (AA 5.8.2019).
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie unterliegen alle Einreisenden - entweder per Flugzeug oder auf dem Landweg - unabhängig von ihrer Nationalität, die in oder durch ein "Hotspot"-Land reisen, einer 14-tägigen verpflichtenden Quarantäne in staatlich verwalteten Einrichtungen, wo sie auf Kosten der Regierung Unterkunft, Nahrung, Wasser und medizinische Versorgung erhalten (USEMB 11.6.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (5.8.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Gambia (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014284/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Gambia_%28Stand_Juli_2019%29%2C_05.08.2019.pdf, Zugriff 23.6.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Dakar (12.2019): Asylländerbericht Gambia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2032127/Asyll%C3%A4nderbericht+Gambia+2019+-+Erstentwurf.docx, Zugriff 22.6.2020
- USEMB - U.S. Embassy in The Gambia (11.6.2020): COVID-19 Information, https://gm.usembassy.gov/u-s-citizen-services/covid-19-information/, Zugriff 15.6.2020
Derzeit herrscht weltweit die als COVID-19 bezeichnete Pandemie. COVID-19 wird durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursacht. In Ihrem Herkunftsstaat, Gambia, wurden bisher 9934 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei bisher 338 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden (https://coronavirus.jhu.edu/map.html, abgerufen am 30.09.2021).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, dem vorgebrachten Fluchtgrund und zur Rückkehrsituation:
2.1.1. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, seiner Staatsbürgerschaft und Religionszugehörigkeit ergeben sich aus seinen dahingehenden Angaben vor dem BFA. Da dieser keine Identitätsdokumente im Original vorgelegt hat, steht seine genaue Identität nicht zweifelsfrei fest.
Die Feststellungen zu den Lebensumständen des Beschwerdeführers in Gambia und seinen dort lebenden Familienangehörigen beruhen auf den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers.
Die Feststellung zu seiner Ausreise aus Gambia und seiner Reise nach Europa resultieren aus seinen Angaben sowie dem Schreiben der niederländischen Dublin-Behörde vom 27.07.2021, welchem sich entnehmen lässt, dass es sich beim vom Beschwerdeführer erwähnten niederländischen Visum (so er tatsächlich auf dem von ihm beschriebenen Weg aus dem Herkunftsstaat ausreiste) um eine Fälschung gehandelt haben muss.
2.1.2. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat keiner Gefährdung von staatlicher Seite ausges