Entscheidungsdatum
24.11.2021Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W169 2248461-1/2E
W169 2248460-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerden des 1.) XXXX , geb. XXXX und 2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA. Indien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.11.2021, Zlen. 1.) 1288101910-211627044, 2.) 1288101605-211627052, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerden werden gemäß § 33 Abs. 1 Z 2 iVm §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführer haben am 29.10.2021 am Flughafen Wien-Schwechat im Zuge einer Identitätsfeststellung gemäß § 12a des Grenzkontrollengesetzes (GrekoG) durch Organe der Bundespolizei Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 gestellt.
Am 30.10.2021 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes des Stadtpolizeikommandos Schwechat die niederschriftliche Erstbefragung der Beschwerdeführer statt.
Dabei führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass er aus Indien stamme und seit 11.08.2021 mit der Zweitbeschwerdeführerin traditionell verheiratet sei. In Indien würden sein Vater und seine Geschwister leben. Seine Mutter sei vor vier Monaten verstorben. Er habe seinen Wohnort am 11.08.2021 verlassen und sei legal über den Flughafen Amritsar ausgereist. Zu seinem Fluchtgrund brachte der Erstbeschwerdeführer vor, dass ihre Familien nicht damit einverstanden gewesen seien, dass sie eine Beziehung miteinander geführt hätten, weshalb sie von zuhause weggelaufen seien und heimlich geheiratet hätten. Ihre Familien und „die bezahlte Polizei“ habe nach ihnen gesucht, weshalb sie das Heimatland verlassen hätten. Im Falle einer Rückkehr hätten sie Angst, von ihren Familien getötet zu werden.
Die Zweitbeschwerdeführerin führte im Rahmen der Erstbefragung an, dass sie aus Indien stamme und den Erstbeschwerdeführer am 11.08.2021 in Indien geheiratet habe. In Indien würden ihre Eltern und ihre Geschwister leben. Sie habe den Wohnort am 11.08.2021 verlassen und sei legal aus Indien ausgereist. Zu den Fluchtgründen brachte die Zweitbeschwerdeführerin vor, dass sie und der Erstbeschwerdeführer am 11.08.2021 ohne Einverständnis ihrer Familien geheiratet hätten. Sie seien aus benachbarten Dörfern und die Familie ihres Ehemannes „war ein bisschen einverstanden“, aber ihre Familie sei gegen eine Heirat gewesen. Sie seien dann nach Chandigarh geflüchtet, weil ihre Familie und „die bezahlte Polizei“ sie beide töten hätte wollen. Aus diesem Grund hätten sie ihr Heimatland verlassen. Im Falle eine Rückkehr habe sie Angst, von ihren Familien getötet zu werden.
2. Nachdem die Einreise der Beschwerdeführer nicht gestattet worden war, wurden diese am 04.11.2021 im Rahmen eines Flughafenverfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle Flughafen, niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er gesund sei und keine Medikamente nehme. Er sei mit der Zweitbeschwerdeführerin seit 11.08.2021 verheiratet sei. Sie hätten in einem Sikh-Tempel traditionell geheiratet. Kinder hätten sie keine. In Indien würden sein Vater, sein Bruder und seine drei Schwestern leben. Die Schwestern seien verheiratet und würden bei ihren Familien wohnen. Sein Bruder und sein Vater würden in Mitla leben. Seine Mutter sei vor vier Monaten verstorben. Seine Familienmitglieder in Indien seien Landwirte und würden eigene Landwirtschaften besitzen. Er habe mit seiner Familie in der Provinz Punjab in einem namentlich genannten Dorf von seiner Geburt an bis ein Monat vor seiner Ausreise gelebt. Danach habe er sich in der Stadt Chandigarh aufgehalten. Nach der Heirat seien sie dorthin verzogen. Er habe im Heimatdorf mit seiner Familie in einem eigenen Haus gelebt, habe in Indien 12 Jahre die Schule besucht und diese mit Matura abgeschlossen. Auch er habe in der Landwirtschaft mitgearbeitet. Als er von Serbien weggeflogen sei, habe er alle seine Dokumente, auch seinen Reisepass, und serbische Dokumente weggeworfen. Er sei mit seiner Ehegattin von Amritsar nach Serbien geflogen. Indien hätten sie legal verlassen; bei der Ausreisekontrolle habe es keine Probleme gegeben. Zielland sei Serbien gewesen. Sie hätten dann aber entschieden, dass sie weiterreisen wollten. In Serbien hätten sie keinen Asylantrag gestellt, zumal er Angst gehabt habe „dass irgendeine Person aus Punjab mich kennen wird.“ Weiters gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er der Volksgruppe der Jat angehöre und sich zum Sikhismus bekenne. Auf die Frage, ob er aufgrund seiner Volksgruppe bzw. aufgrund seiner Religionszugehörigkeit in Indien Probleme gehabt habe, gab die Erstbeschwerdeführer an: „Da wir Khalistan fordern, gab es schon ein paar Probleme. Auf Nachfrage, die Regierung findet unsere Aktion nicht gut. Wir fordern unser Recht, wir fordern Khalistan und das findet die Regierung nicht gut.“ Diesbezüglich habe er aber keine persönlichen Probleme gehabt.
Sie seien in Indien von der Polizei gesucht worden; diese sei bestochen worden, sie umzubringen. Das habe ihm ein Freund erzählt. Die Familie seiner Frau habe der Polizei Geld gegeben. Als er seinen Freund von Serbien aus angerufen habe, habe ihm dieser davon erzählt. Danach habe er die SIM-Karte zerstört, damit die Polizei sie nicht finden könnte.
Zu seinen Fluchtgründen brachte der Erstbeschwerdeführer Folgendes vor (VP: nunmehriger Beschwerdeführer; LA: Leiter der Amtshandlung):
„(…)
LA: Kommen wir bitte jetzt nochmals zu allen Ihren Fluchtgründen. Sie haben schon etwas dazu angegeben. Warum haben Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen? Nennen Sie nun bitte detailliert und in Ihren eigenen Worten alle Ihre Fluchtgründe, sodass ich mir ein Bild davonmachen kann? Sie haben hierzu ausreichend Zeit.
VP: Seit 2 Jahren bin ich mit meiner Ehefrau befreundet. Dann haben wir beschlossen, dass wir heiraten wollen. Ich komme aus einer armen Familie. Mein Vater ist Alkoholiker. Vor ca. 4 ½ Monaten hat die Familie meiner Frau von der Beziehung erfahren. Ihre Familie war bei mir zu Hause und hat meine Mutter bedroht. Meine Mutter machte sich Sorgen und erlitt einen Herzinfarkt. Seit 4 Monaten ist meine Mutter verstorben. Meine Mutter war die einzige, die mich unterstützt hat und lebt nicht mehr. Ich will mein gesamtes Leben mit meiner Ehefrau verbringen, dass will ihre Familie nicht. Ihre Familie hat Gangstern Geld gegeben, damit diese uns umbringen. Wir haben uns danach in einem Hotel aufgehalten, so wollen wir aber unser Leben nicht verbringen. Es ist besser, wenn sie uns hier töten als in Indien. Ihre Familie ist sehr reich. Der Bruder von meiner Frau hat Kontakt zu Gangstern.
LA: Wann haben Sie Ihr Heimatdorf verlassen? Wo haben Sie gelebt?
VP: Am 11.08. habe ich mein Heimatdorf verlassen, dann habe ich geheiratet und bin nach Chandigarh gegangen. Auf Nachfrage, ich bin nach der Hochzeit nicht mehr nach Hause zurück.
LA: Wie haben Sie Ihre Beziehung gelebt? Welcher Kaste gehört Ihre Frau an?
VP: Wir waren befreundet. Sie hat dieselbe Kaste wie ich, JAT und Religion SIKH. Ihr Dorf ist nur 5 Minuten von mir entfernt. Nur durch ihr Dorf kann ich in mein Dorf kommen.
LA: Wie lebten Sie diese Beziehung in den 2 Jahren?
VP: Wir haben über Telefon unsere Beziehung gehabt und ab und zu haben wir uns in der Stadt Grudaspur und Batala getroffen. Auf Nachfrage, ihre Familie hat nichts mitbekommen. Auf Nachfrage, ich habe offiziell um ihre Hand angehalten. Danach habe ich Bedrohungen bekommen. Auf Nachfrage, das war vor 4 ½ Monaten. Mein Freund war bei der Familie meiner Frau und hat ihrer Familie mitgeteilt, dass ich sie heiraten möchte. Danach haben wir nur Bedrohungen bekommen.
LA: Wie waren diese Bedrohungen? Wie oft? Von wem?
VP: Die waren bei mir zu Hause. Auf Nachfrage, der Bruder von ihr. Auf Nachfrage, insgesamt 2 Mal.
LA: Haben Sie die Polizei aufgesucht?
VP: Ja, die Polizei hat nicht auf mich gehört.
LA: Wie wirkt sich Ihre Kastenzugehörigkeit zu der Polizei aus – Verhältnis?
VP: Mit der Kaste hat das nichts zu tun, die hören nur auf die welche, Geld haben.
LA: Weshalb war die Familie Ihrer Freundin gegen Sie?
VP: Weil wir arm waren und mein Vater trinkt Alkohol. Wir besitzen sehr wenig Landwirtschaft, damit können wir nur unser Essen leisten.
LA: Ihre Freundin ist volljährig?
VP: Ja.
LA: Wie hat sich Ihre Heirat zugetragen? Wie war es Ihrer Frau möglich, ihr Haus zu verlassen?
VP: Wir haben im Tempel geheiratet. Sie hat in der Nacht ihre Wohnung verlassen.
LA: Wie haben Sie sich verabredet?
VP: Telefonisch.
LA: Wann war der Bruder Ihrer Frau bei Ihnen zu Hause?
VP: Vor 4 ½ Monaten ist er zweimal gekommen.
LA: Vor wie vielen Monaten haben Sie ihr Heimatdorf verlassen?
VP: Am 11. August. Nachfrage, 2021.
LA: Wer hätte Sie und Ihre Frau umbringen sollen?
VP: Der Bruder meiner Ehefrau.
LA: Wer hätte es ausführen sollen?
VP: die sind sehr wohlhabend.
LA: WER hat Geld bekommen – der Bruder Ihrer Frau hätte jemand beauftragt?
VP: Der Bruder ist mit Gangstern befreundet. Er hat denen Geld gegeben.
LA: Als der Bruder Ihrer Frau zu Ihnen kam, war er alleine?
VP: Nein, auch mit den Freunden, die Gangster sind.
LA: Sie hätten die Polizei in Chandigarh aufsuchen können, wegen dem Bruder Ihrer Freundin?
VP: Wir hatten Angst vor der Polizei. Auf Nachfrage, Chandigarh ist ca. 160 km von meinem Heimatdorf entfernt.
LA: Das sind Ihre Fluchtgründe, weshalb Sie nun einen Asylantrag gestellt haben?
VP: Ja.
LA: Gibt es sonst noch ein Vorbringen oder Vorfälle zu Ihrem Fluchtgrund?
VP: Nein. Wir möchten nur hier leben. Wir möchten hier ein sicheres Leben führen.
LA: Wurden Sie von staatlicher Seite in Indien verfolgt oder bedroht?
VP: Mit Geld kann man alles kaufen.
LA: Frage wiederholt!
VP: VP wiederholt sich nochmals. Es ist die Kongresspartei an der Macht.
LA: Sie PERSÖNLICH!
VP: Ihre Familie kann alles machen.
LA: GAB ES ÜBERGRIFFE VON STAATLICHER SEITE GEGEN SIE?
VP: Nein.
LA: Sie befinden sich im Sondertransitbereich. Es besteht für Sie jederzeit die Möglichkeit freiwillig auszureisen.
VP: Ich möchte nicht.
LA an Rechtsberatung: Gibt es von Ihrer Seite noch offene Fragen oder Anträge?
RB: Nein, keine Fragen.
LA: Als Ergebnis der heutigen Einvernahme wird Ihnen mitgeteilt, dass Ihnen die Einreise in das Bundesgebiet NICHT gestattet wird.
Anmerkung: In einem allgemeinen Rechtsgespräch wird für die VP der weitere mögliche Ablauf eines Flughafenverfahrens erörtert, d.h. Einbindung von UNHCR – Zustimmung von UNHCR - Abweisung des Antrages mit Bescheid des BFA im Flughafenverfahren – Beschwerdemöglichkeit an Bundesverwaltungsgericht – abweisendes Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes – Zurückweisung der VP durch LPD - aber auch die jeweiligen Chancen für die VP im Flughafenverfahren - keine Zustimmung von UNHCR – Einreisegestattung – Weiterführung des Verfahrens im Inland – oder Stattgebung der Beschwerde durch Bundesverwaltungsgericht - Einreisegestattung - Weiterführung des Verfahrens im Inland.
VP wird in allgemeinem Rechtsgespräch auch über die Dauer der einzelnen Verfahrensschritte, die Umstände der Konfinierung, Möglichkeit der Unterstützung durch BBU, SWB des Wachzimmers, ärztliche Betreuungsmöglichkeiten, Telefonkontakte usw. – abermals in Kenntnis gesetzt.
LA: Haben Sie diese beabsichtigte Vorgehensweise verstanden?
VP: Ja.
LA: Wollen Sie am Ende dieser Einvernahme irgendetwas ergänzen?
VP: Wir wollen auf keinen Fall zurückkehren. Wir sind nirgendwo sicher, nur hier.
LA: Wie haben Sie die Dolmetscherin verstanden?
VP: Ich habe die Dolmetscherin gut verstanden.
LA: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt.
VP: Ja.
LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde alles richtig und vollständig protokolliert?
VP: Es hat alles gepasst.
(…)“
Die Zweitbeschwerdeführerin gab bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am selben Tag an, dass sie gesund sei und keine Medikamente nehmen müsse. Sie sei mit dem Erstbeschwerdeführer seit 11.08.2021 traditionell verheiratet. Sie hätten in einem Sikh-Tempel geheiratet; Fotos von der Eheschließung gebe es keine, auch keine Dokumente. Sie habe keine Kinder. In Indien, in der Provinz Punjab, würden ihre Eltern, zwei Brüder und zwei Schwestern leben. Diese würden eine eigene Landwirtschaft und auch ein Lebensmittelgeschäft besitzen und könnten dadurch den Lebensunterhalt sichern. Ein Monat vor der Ausreise habe sie mit ihrem Ehegatten in Chandigarh gewohnt, davor habe sie von ihrer Geburt an bis zur Hochzeit mit ihren Eltern und ihren Geschwistern in einem eigenen Haus in einem Dorf in der Provinz Gurdaspur gelebt. Sie habe in Indien 12 Jahre die Grundschule besucht und diese mit Matura abgeschlossen. Ihre Eltern hätten sie finanziell unterstützt; gearbeitet habe sie nicht. Den Reisepass habe sie im Flugzeug auf dem Weg von Belgrad nach Österreich zerrissen und im WC entsorgt. Sie habe Indien legal verlassen; bei der Ausreisekontrolle habe es keine Probleme gegeben. Ihr Zielland sei Serbien gewesen, doch dann hätten sie sich entschlossen, nach Österreich zu kommen. Auf Nachfrage gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass sie in Serbien keinen Asylantrag gestellt hätten, da sie sich dort nicht sicher gefühlt hätten. Weiters brachte die Zweitbeschwerdeführerin vor, dass sie der Volksgruppe der Jat und der Religionsgemeinschaft der Sikhs angehöre. Aufgrund ihrer Volksgruppen- bzw. Religionszugehörigkeit haben sie in Indien keine Probleme gehabt. Sie werde in Indien nicht gesucht und es gebe keinen Haftbefehl gegen sie.
Zu ihren Fluchtgründen brachte die Zweitbeschwerdeführerin Folgendes vor (VP: nunmehriger Beschwerdeführer; LA: Leiter der Amtshandlung):
„(…)
LA: Kommen wir bitte jetzt nochmals zu allen Ihren Fluchtgründen. Sie haben schon etwas dazu angegeben. Warum haben Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen? Nennen Sie nun bitte detailliert und in Ihren eigenen Worten alle Ihre Fluchtgründe, sodass ich mir ein Bild davonmachen kann? Sie haben hierzu ausreichend Zeit.
VP: Meine Familie ist unsere Beziehung. Sie haben der Polizei Geld gegeben, um uns zu töten. Wir sind in Indien nicht sicher. Anm. VP schweigt.
LA: Möchten Sie noch etwas erzählen?
VP: Nein.
LA: Warum ist Ihre Familie gegen Ihre Beziehung?
VP: Die Familie meines Mannes ist etwas niedriger als wir und der Vater von ihm trinkt. Deswegen wollte meine Familie nicht, dass ich heirate.
LA: Hat er um Ihre Hand angehalten bei Ihren Eltern?
VP: Ja, auf Nachfrage, vor ca. 4 ½ Monaten.
LA: Wer würde der Polizei Geld geben, damit diese Sie zu töten?
VP: Meine Eltern.
LA: Seit wann haben Sie diese Beziehung geführt? Wie haben Sie diese Beziehung gelebt?
VP: Seit 2 Jahren kennen wir uns. Wir haben uns in Gurdaspur, Batala getroffen. Auf Nachfrage, mehrmals haben wir uns dort getroffen.
LA: Weshalb kam Ihre Familie nicht früher auf die Beziehung drauf?
VP: Ich habe es gut verheimlichen können, ich habe immer gesagt. Ich gehe einkaufen.
LA: Welcher Kaste gehört Ihr Mann an?
VP: JAT und SIKH. Auf Nachfrage, es ist die gleiche wie meine.
LA: Dann haben Sie dieselbe Stellung?
VP: Ja.
LA: Woher wissen Sie, dass Ihre Eltern der Polizei Geld gegeben hat, damit diese Sie töten?
VP: Mein Ehemann hat es zuletzt von seinem Freund erfahren, das wir gesucht werden. Auf Nachfrage, in Chandigarh und auch als wir im Ausland waren haben wir davon erfahren. Auf Nachfrage, in Serbien.
LA: Hat es in Indien Vorfälle gegeben, als Ihre Beziehung bekannt wurde?
VP: Weil meine Familie ihn bedroht hat, ist seine Mutter an Sorge gestorben.
LA: Was hat es gegeben?
VP: Meine Familie hat gesagt, sie werden ihn umbringen. Auf Nachfrage, mein Bruder und mein Vater auch.
LA: Gab es Vorfälle gegen Ihren Mann?
VP: Ein paar Mal haben sie ihn ein wenig geschlagen. Auf Nachfrage, nachdem sie von unserer Beziehung erfahren haben. Auf Nachfrage, sie erfuhren von unserer Beziehung ein Freund war bei uns zu Hause.
LA: Haben Sie die Polizei aufgesucht?
VP: Die Polizei will uns selbst umbringen.
LA: Will Sie sonst noch jemand umbringen?
VP: Nein, nur die Polizei und meine Eltern.
LA: Das sind Ihre Fluchtgründe, weshalb Sie nun einen Asylantrag gestellt haben?
VP: Ja. Das ist alles.
LA: Wie war es Ihnen möglich, dass Sie Ihren Mann heiraten konnten? Wie haben Sie Ihr Elternhaus verlassen?
VP: Mein Mann wohnt im Nachbardorf. Er ist in der Nacht gekommen. Ich habe das Haus verlassen und wir sind gemeinsam gereist. Auf Nachfrage, es war an dem Tag als wir geheiratet haben.
Auf Nachfrage, ich habe ihn angerufen.
LA: Gibt es sonst noch ein Vorbringen oder Vorfälle zu Ihrem Fluchtgrund?
VP: Ich möchte nicht zurück nach Indien. Wir sind in Indien sehr gefährdet. Meine Familie würde uns umbringen. Wir möchten hier leben.
LA: Sie befinden sich im Sondertransitbereich. Es besteht für Sie jederzeit die Möglichkeit freiwillig auszureisen.
VP: Okay.
LA an Rechtsberatung: Gibt es von Ihrer Seite noch offene Fragen oder Anträge?
RB: Nein, keine Fragen.
LA: Als Ergebnis der heutigen Einvernahme wird Ihnen mitgeteilt, dass Ihnen die Einreise in das Bundesgebiet NICHT gestattet.
Im Falle der Nichtgestattung:
Anmerkung: In einem allgemeinen Rechtsgespräch wird für die VP der weitere mögliche Ablauf eines Flughafenverfahrens erörtert, d.h. Einbindung von UNHCR – Zustimmung von UNHCR - Abweisung des Antrages mit Bescheid des BFA im Flughafenverfahren – Beschwerdemöglichkeit an Bundesverwaltungsgericht – abweisendes Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes – Zurückweisung der VP durch LPD - aber auch die jeweiligen Chancen für die VP im Flughafenverfahren - keine Zustimmung von UNHCR – Einreisegestattung – Weiterführung des Verfahrens im Inland – oder Stattgebung der Beschwerde durch Bundesverwaltungsgericht - Einreisegestattung - Weiterführung des Verfahrens im Inland.
VP wird in allgemeinem Rechtsgespräch auch über die Dauer der einzelnen Verfahrensschritte, die Umstände der Konfinierung, Möglichkeit der Unterstützung durch BBU, SWB des Wachzimmers, ärztliche Betreuungsmöglichkeiten, Telefonkontakte usw. – abermals in Kenntnis gesetzt.
LA: Haben Sie diese beabsichtigte Vorgehensweise verstanden?
VP: Ja.
LA: Wollen Sie am Ende dieser Einvernahme irgendetwas ergänzen?
VP: Nein.
LA: Wie haben Sie die Dolmetscherin verstanden?
VP: Ich habe die Dolmetscherin gut verstanden.
LA: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt.
VP: Ja.
LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde alles richtig und vollständig protokolliert?
VP: Es hat alles gepasst.
(…)“
3. Am 05.11.2021 wurde das Büro des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge in Österreich (in der Folge UNHCR) gemäß § 33 Abs. 2 AsylG 2005 um Erteilung der Zustimmung zur Abweisung der gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz ersucht.
4. Mit Schreiben vom 09.11.2021 wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mitgeteilt, dass eine Zustimmung gemäß § 33 Abs. 2 AsylG 2005 erteilt werde, da die Vorbringen in Einklang mit Beschluss Nr. 30 des UNHCR-Exekutivkomitees als offensichtlich unbegründet eingestuft werden können.
5. Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 33 Abs. 1 Z 2 iVm § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Unter Spruchpunkt III. wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt.
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die von den Beschwerdeführern behaupteten Fluchtgründe offensichtlich nicht den Tatsachen entsprochen hätten. Diese Ansicht der Behörde sei letztlich auch vom UNHCR geteilt worden, was sich aus den in den Akten befindlichen Schreiben vom 09.11.2021 ergebe. Auch eine refoulementschutzrechtlich relevante Gefährdung im Falle einer Rückkehr nach Indien sei nicht gegeben. Zu Spruchpunkt III. wurde ausgeführt, dass eine Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG an dem Umstand scheitere, dass sich die Beschwerdeführer nicht im Bundesgebiet aufhalten würden.
6. Gegen diese Bescheide haben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben und auf ihre bisher im Verfahren getätigten Angaben verwiesen. Zudem wurde der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:
Die Beschwerdeführer sind Staatsangehöriger aus Indien aus dem Bundesstaat Punjab und gehören der Religionsgemeinschaft der Sikhs und der Volksgruppe der Jat an. Sie reisten am 29.10.2021 via Flug OS 740 aus Belgrad kommend am Flughafen Wien-Schwechat an und stellten die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin seit 11.08.2021 traditionell verheiratet. Der Erstbeschwerdeführer besuchte im Heimatland 12 Jahre die Grundschule und schloss diese mit Matura ab. Danach arbeitete er auf der familieneigenen Landwirtschaft. Er lebte mit seinen Eltern und seinen Geschwistern in einem eigenen Haus im Bundesstaat Punjab. In Indien leben der Vater des Erstbeschwerdeführers, sein Bruder und seine verheirateten Schwestern. Seine Angehörigen besitzen in Indien eigene Landwirtschaften und arbeiten als Landwirte. Seine Mutter ist vor vier Monaten verstorben. Der Erstbeschwerdeführer ist gesund und im erwerbsfähigen Alter.
Die Zweitbeschwerdeführerin besuchte im Heimatland ebenfalls 12 Jahre die Grundschule und schloss diese mit Matura ab. Sie hat in Indien nicht gearbeitet, sondern wurde von ihren Eltern unterstützt. Bis zur Hochzeit lebte die Zweitbeschwerdeführerin mit ihren Eltern und ihren Geschwistern in einem eigenen Haus in einem namentlich genannten Dorf in der Provinz Punjab. In Indien leben Ihre Eltern, ihre Brüder und ihre Schwestern in einem Dorf in der Provinz Punjab. Diese besitzen eigene Landwirtschaften und ein Lebensmittelgeschäft und können somit den Lebensunterhalt sichern. Die Zweitbeschwerdeführerin ist gesund im erwerbstätigen Alter.
Die Beschwerdeführer verließen Indien legal über den Flughafen Amritsar. Bei der Ausreisekontrolle gab es keine Probleme. Das Zielland der Beschwerdeführer war Serbien; dort stellten sie jedoch keine Anträge auf internationalen Schutz.
Die Angaben der Beschwerdeführer zu ihren Fluchtgründen sind nicht glaubhaft und werden dem Verfahren nicht zugrunde gelegt.
1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:
COVID-19
? Letzte Änderung: 21.05.2021
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind von coronabedingten Maßnahme wie Abriegelungen und sozialen Distanzierungen besonders betroffen. Der Zugangs zu medizinischer Versorgung und lebenswichtigen Gütern und der Ausübung sozialer Distanzierung, insbesondere für diejenigen, die persönliche Unterstützung für Aufgaben des täglichen Lebens erhalten (HRW 13.1.2021). Während der ersten Wochen der COVID-19 Pandemie, wurden Muslime für die Verbreitung des Coronavirus, auch von Vertretern der Regierungsparteien verantwortlich gemacht (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).
Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit COVID registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).
Die Lage in Indien, dass mit Bezug auf das Infektionsgeschehen (neben den USA und Brasilien) zu den am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Ländern weltweit zählt, hat sich sich gegenüber dem Sommer 2020 mit damals fast 100.000 Neuinfektionen pro Tag inzwischen etwas entspannt. Es erkranken offiziellen Angaben zufolge nach wie vor etwa 40.000 Menschen täglich am Virus. In den Ballungszentren kann die medizinische Versorgung weitestgehend aufrecht erhalten werden (GTAI 3.12.2020). Indiens Wirtschaft wurde durch die COVID-19-Pandemie stark beeinträchtigt (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Das Land rutschte im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2020-21 erstmals in eine wirtschaftliche Rezession (PRC 18.3.2021). Es wird allgemein erwartet, dass das Land ab 2021 zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren wird (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Nach dem zweimonatigen harten Lockdown im Frühjahr 2020 hat die indische Regierung das öffentliche Leben im Rahmen ihrer Unlock-Strategie schrittweise wieder hochgefahren. Die Bundesstaaten und Unionsterritorien haben dabei weitreichendere Entscheidungsbefugnisse, welche Lockerungen sie umsetzen und welche nicht. Mit den bestehenden Einschränkungen sollen vor allem Superspreader-Events wie religiöse Großveranstaltungen und Hochzeiten eingedämmt werden. Massentests, Kontaktnachverfolgung, Isolierung von Infizierten und die Abschottung von Gebieten mit hohen Fallzahlen (Containment Zones) sollen helfen, das Virus zurückzudrängen (GTAI 3.12.2020; vgl. WKO 13.1.2021). Es kann daher vereinzelt und regional sowie zeitlich begrenzt zu erneuten Lockdowns kommen. Eine Skizzierung in „Red Zone“, „Orange Zone“ und „Green Zone“ wird von der Regierung des Bundesstaates/Unionsterritoriums in Absprache mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Regierung entschieden (WKO 13.1.2021).
Gegen regierungskritische Äußerungen, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen der Regierung im Umgang mit der COVID-19 Pandemie wurden mittels aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzen zur Staatsverhetzung und dem im Jahr 2000 erlassenen IT-Gesetz vorgegangen (FH 3.3.2021). Medienvertreter sehen sich Drohungen, Verhaftungen, Strafverfahren oder körperlichen Angriffen durch Mobs oder der Polizei wegen der Berichterstattung über die Pandemie ausgesetzt (HRW 13.1.2021). Mehrere von der Regierung zur Eindämmung einer Verbreitung der Pandemie getroffenen Maßnahmen wurden von Menschenrechtsanwälten als invasiv angesehen (FH 3.3.2021).
Im ersten Quartal 2021 wird Indien mit einem Anstieg der Fallzahlen vor einer zweiten COVID-19 Welle erfasst (TOI 21.3.2021; vgl. TFE 20.3.2021) und verzeichnete im Zeitraum ab April/Mai 2021 die höchsten Zahlen an täglichen Todesfällen wegen des Coronavirus seit Beginn der Pandemie (BAMF 3.5.2021). Kritik äußert sich aus dem Umstand heraus, dass Indien, ob seiner Pharmaindustrie, als "Apotheke der Welt" durch die Lieferung von Covid-19-Impfstoffen an viele Länder der Welt genießt (FE 20.3.2021; vgl. TOI 21.3.2021), gleichzeitig jedoch bei der Durchimpfung der eigenen Bevölkerung landesweit lediglich einen Wert von rund zwei Prozent erreicht (HO 28.4.2021).
Auch der Umstand, dass im Zuge der Regionalwahlen in einigen Bundesstaaten große Kundgebungen mit zum Teil Zehntausender Besucher abgehalten wurden, wie auch die Durchführung des hinuistischen Festes Kumbh-Mela in Haridwar im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand, an dem im Zeitraum von Jänner 2021 bis zum 27. April knapp 25 Millionen Hindus vor Ort teilgenommen haben, attestieren der indischen regierung eine "praktizierte Sorglosigkeit". Die Aussage der BJP bei einer Wahlveranstaltung im Bundestaat Assam in der verkündet wurde, "Wahlveranstaltungen und religiöse Zusammenkünfte tragen nicht zur Verbreitung von Covid-19 bei", wird kritisiert (BAMF 3.5.2021; vgl. HO 28.4.2021).
Seit Mai 2021 sind alle Erwachsenen impfberechtigt, davor nur über 45-Jährige. In mehreren Bundesstaaten des Landes ist der Impfstoff ausgegangen, Hilfsgüter aus mehreren Ländern wie Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamente und Impfstoff werden Indien von der internationalen Staatengemeionschaft zur Verfügung gestellt. Medienberichten zufolge will Indien die eigene Impfstoffproduktion bis Juni 2021 erhöhen, von der staalichen indischen Eisenbahngesellschaft gab bekannt, 4.000 Waggons mit einer Kapazität von 64.000 Betten als provisorische Stationen für Corona-Patienten bereitzustellen (BAMF 3.5.2021).
Alle Experten davon aus, dass kurzfristig die Fallzahlen wie auch die Zahlen der Toten weiter ansteigen werden, da das staatliche Gesundheitssystem in vielen Landesteilen schon jetzt an seine Grenzen gestoßen ist. Eine mittelfristige Prognose ist noch unklar. Eine Hoffnung stellt, bedingt durch den bereits erfolgten sehr breiten Ansteckung der Bevölkerung das Erreichen einer Herdenimmunität dar (HO 25.4.2021).
Quellen:
? BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.5.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw18-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 7.5.2021
? BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.10.2020): https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw42-2020.pdf;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.internet572?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 12.10.2020
? DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 18.1.2021
? FE – Financial Express (20.3.2021): Coronavirus Lockdown 2021 News Highlights: Only partial relaxation from lockdown in Nagpur from Monday, https://www.financialexpress.com/lifestyle/health/coronavirus-lockdown-2021-live-news-coronavirus-india-latest-march-20-updates-narendra-modi-covid-lockdown-night-curfew-maharashtra-mumbai-pune-nagpur-uttar-pradesh-delhi-bengaluru-hyderabad-punjab-gu/2216571/, Zugriff 22.3.2021
? FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 22.3.2021
? GTAI – German Trade & Invest [Deutschland] (3.12.2020): Indien sieht erste Anzeichen einer Konjunkturbelebung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/indien/indien-sieht-erste-anzeichen-einer-konjunkturbelebung-234424, Zugriff 18.1.2021
? HO – Heise Online (25.4.2021): Telepolis: Corona in Indien: Sorglosigkeit, Mutanten und himmelschreiende Ungleichheit, https://www.heise.de/tp/features/Corona-in-Indien-Sorglosigkeit-Mutanten-und-himmelschreiende-Ungleichheit-6030218.html, Zugriff 7.5.2021
? HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043608.html, Zugriff 18.1.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien
? PRC – Pew Research Center (18.3.2021): In the pandemic, India’s middle class shrinks and poverty spreads while China sees smaller changes, https://www.pewresearch.org/fact-tank/2021/03/18/in-the-pandemic-indias-middle-class-shrinks-and-poverty-spreads-while-china-sees-smaller-changes/, Zugriff 22.3.2021
? TOI – Times of India (21.3.2021): Government failed to control Covid spread, must vaccinate all within months: Congress,
http://timesofindia.indiatimes.com/articleshow/81618736.cms?utm_source=contentofinterest&utm_medium=text&utm_campaign=cppst, Zugriff 22.3.2021
? WKO – Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (13.1.2021): Coronavirus: Situation in Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-indien.html, Zugriff 18.1.2021
Allgemeine Menschenrechtslage
? Letzte Änderung: 31.05.2021
Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 23.9.2020). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 9.2020). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 23.9.2020). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden. Es gibt glaubhafte Berichte über extralegale Tötungen (AA 23.9.2020).
Die Menschenrechtslage ist in Indien regional sehr unterschiedlich (BICC 1.2021). Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist für Indien kaum möglich: Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 23.9.2020). Während die Bürger-und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in den Regionen, dort wo es interne Konflikte gibt teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, aber auch den nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen, seien es separatisti-sche Organisationen oder regierungstreue Milizen, werden massive Menschenrechtsver-letzungen angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entfüh-rungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hin-richtungen vorgeworfen. Es gibt Befürchtungen, dass die neue, drakonische Anti-Terror-Gesetzgebung die Menschenrechtslage verschlimmern wird und dass diese Gesetze gegen politische Gegner missbraucht werden. Frauen, Mitglieder ethnischer undreligiöser Minderheiten sowie niedriger Kasten werden systematisch diskriminiert. Den Sicherheitskräften wird Parteilichkeit vorgeworfen, besonders hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten. Die Stimmung wird durch hindu-nationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 1.2021 vgl. USDOS 30.3.2021, FH 3.3.2021, ÖB 9.2020).
Menschenrechtsprobleme umfassen unter anderem Hinweise auf willkürliche Hinrichtungen, Verschleppung, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet. Gesellschaftliche Gewalt auf der Grundlage von Konfession und Kaste gibt nach wie vor Anlass zur Sorge. Muslime und Dalit-Gruppen aus den unteren Kasten sind auch weiterhin am stärksten gefährdet (USDOS 30.3.2021). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tief verwurzelte soziale Praktiken, nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 23.9.2020).
In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein (USDOS 10.6.2020), Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020
? BICC – Bonn International Centre for Conversion (1.2021): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf, Zugriff 11.5.2021
? FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 11.5.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020: Asylländerbericht Indien
? USDOS – US Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031372.html, Zugriff 22.7.2020
? USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff 11.5.2021
Bewegungsfreiheit
? Letzte Änderung: 31.05.2021
Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 23.9.2020), allerdings verlangen Zentralregierung und die Bundesstaatenregierungen vor Reiseantritt von indischen Staatsbürgern spezielle Genehmigungen, um bestimmte gesperrte Regionen bzw. Sperrzonen betreten zu dürfen (USDOS 30.3.2021). Darüber hinaus wird von Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für Angehörige der Dalits berichtet. Auch sind die Regierungen der Bundesstaaten angewiesen, die Bewegungsfreiheit der Rohingya auf bestimmte Orte zu beschränken (USDOS 30.3.2021).
Die Regierung kann jedem Antragsteller per Gesetz die Ausstellung eines Reisepasses verweigern, wenn der Antragsteller an Aktivitäten außerhalb des Landes teilnimmt, "die der Souveränität und Integrität der Nation abträglich sind". Der Trend, die Ausfertigung und Aktualisierung von Reisedokumenten für Bürger aus Jammu und Kaschmir zu verzögern, hält weiterhin an. Eine Bearbeitung kann bis zu zwei Jahre dauern. Berichten zufolge unterziehen die Behörden in Jammu und Kaschmir geborene Antragsteller, einschließlich der Kinder von dort stationierten Militäroffizieren, zusätzliche Sicherheitsüberprüfungen, bevor sie entsprechende Reisedokumente ausstellen (USDOS 30.3.2021).
Angesichts massiv gestiegener COVID-19-Infektionszahlen können nächtliche Ausgangssperren oder Lockdowns in allen Städten/Bundesstaaten ohne lange Vorankündigung verhängt werden (BMEIA 10.5.2021). Zunehmend werden Ausgangssperren orts- und lageabhängig verhängt. Viele Bundesstaaten führen zudem oft kurzfristig Einreisebeschränkungen und Kontrollmaßnahmen sowie sonstige einschränkende Maßnahmen ein. Das Verbindungsangebot des nationalen Eisenbahn- und Flugverkehrs ist gegenwärtig stark reduziert, die Einreise auf dem Landweg ist weiterhin nicht möglich (AA 30.4.2021).
Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem (DFAT 10.12.2020), sodass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss. Die Einführung der Aadhaar-Karte im Jahre 2009 hat hieran nichts geändert, da die Registrierung nach wie vor auf freiwilliger Basis erfolgt (AA 23.9.2020). In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, sodass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. Bekannte Persönlichkeiten ("high profile" persons) können nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil der Verfolgung entgehen, wohl aber weniger bekannte Personen ("low profile" people) (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.4.2021): Indien: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung) (gültig seit 27.4.2021), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/indiensicherheit/205998, Zugriff 30.4.2021
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020
? BMEIA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (10.5.2021): Indien (Republik Indien) Aktuelle Hinweise (Unverändert gültig seit: 3.5.2021), https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/indien/, Zugriff 10.5.2021
? DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 22.3.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien
? USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff 30.4.2021
Meldewesen
? Letzte Änderung: 31.05.2021
Noch gibt es in Indien kein nationales Melderegister bzw. Staatsbürgerschaftsregister (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020, DFAT 10.12.2021). Allerdings besteht für alle Einwohner (auch ausländische StaatsbürgerInnen) die freiwillige Möglichkeit, sich umfassend mittels Aadhaar (12-stellige, individuelle Nummer) registrieren zu lassen (ÖB 9.2020). Flüchtlinge sind von dieser Möglichkeit jedoch ausgeschlossen (USDOS 30.3.2021). Als Sicherheitsmaßnahme für die Registrierung dienen ein digitales Foto, Fingerabdrücke aller 10 Finger sowie ein Irisscan. Mittels Aadhaar ist es dann möglich, Sozialleistungen von der öffentlichen Hand zu erhalten. Auf Grund der umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen (Irisscan, Fingerabrücke) ist das System relativ fälschungssicher. Mittlerweile wurden über 1,2 Mrd. Aadhaar-Registrierungen vorgenommen, womit ein Großteil der indischen Bevölkerung erfasst ist (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020
? DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 22.3.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien
? USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff 28.4.2021
Grundversorgung und Wirtschaft
? Letzte Änderung: 31.05.2021
Die Anzahl jener Personen, die in Indien unter der absoluten Armutsgrenze (1,90 USD/Tag Kaufkraft) leben, konnte zwischen 2012 und 2019 von 256 Mio. auf 76 Mio. reduziert werden. Gemäß Schätzungen könnten durch die COVID-Krise allerdings bis zu 200 Millionen Menschen wieder in die absolute Armut zurückgedrängt werden (ÖB 9.2020).
Im Geschäftsjahr 2020/21 (1.April 2020 – 31.März 2021) brach Indiens BIP Wachstum mit einem Minus von sieben bis neun Prozent deutlich ein. Der massivste Wachstumsrückgang seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1947, verdeutlicht die Auswirkungen der strengen Lockdown Maßnahmen in der ersten sechs Monaten des Vorjahres (WKO 4.2021; vgl. TIE 26.1.2021). 80 Prozent der Arbeiterschaft im informellen Sektor während des Lockdown ihre Arbeit verloren (AAAI 8.2020). Hundertausende Wanderarbeiter flohen in den Wochen danach aus den Städten. Weil auch der Zug- und Bahnverkehr von der Regierung ausgesetzt wurde, müssten viele Arbeiter zum Teil auf den Autobahnen und Gleisen Hunderte Kilometer zu Fuß in ihre Dörfer zurücklegen. Hunderte starben dabei (HO 28.4.2021). Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen sind für die Armen besonders gravierend (SZ 25.1.2021; vgl. HO 28.4.2021).
Ab Oktober 2020 konnte wieder ein starker Wachstumsanstieg verzeichnet werden. Die Investitionsförderungsprogramm der Regierung und die Erleichterung der Vergabebedingungen für Investitionskredite haben sehr wesentlich zum Wiederanspringen der Konjunktur beigetragen (WKO 4.2021). Für 2021 wird ein Wirtschaftswachstum von mehr als sieben Prozent erwartet (TIE 26.1.2021).
Der indische Arbeitsmarkt wird durch den informellen Sektor dominiert. Er umfasst Familien- und Kleinbetriebe der Landwirtschaft, des produzierenden Gewerbes sowie des Dienstleistungsbereichs und unterliegt keiner Kontrolle oder Besteuerung des Staates. Infolgedessen bestehen in diesem Bereich keine rechtsverbindlichen Bestimmungen oder formal geregelte Arbeitsverhältnisse. Annähernd 90 Prozent der Beschäftigten werden dem informellen Sektor zugerechnet – sie sind weder gegen Krankheit oder Arbeitsunfälle abgesichert, noch haben sie Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung (Wienmann 2019; vgl. AAAI 8.2020).
Arbeitssuchende registrieren sich selbständig bei den Arbeitsagenturen und werden informiert sobald eine geeignete Stelle frei ist (BAMF 2020; vgl. PIB 23.7.2018). Einige Bundesstaaten geben Arbeitssuchenden eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von drei Jahren. Für weitere Informationen sollte die jeweilige lokale Vermittlungsagentur kontaktiert werden. Diese bieten auch Beratungen an, bei denen sie Informationen zu Verfügung stellen (BAMF 2020).
Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zumeist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an, die sich ebenfalls an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat). Das staatliche Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches es den Teilnehmern ermöglicht systematische Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (BAMF 2020).
Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz (AA 23.9.2020). Ein Programm, demzufolge 800 Mio. Menschen gratis Lebensmittelrationen erhalten (also etwa 2/3 der Bevölkerung) wurde bis November 2020 verlängert. Die Ausmaße dieses Programms verdeutlichen, wie hart Indien von der COVID-Krise und dem damit verbundenen Einbruch der Wirtschaft betroffen ist (ÖB 9.2020).
Im September 2018 bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit des biometrischen Identifikationsprojekts Aadhaar. Im Juli 2019 verabschiedete das Parlament Änderungen zum Aadhaar-Gesetz. Damit wird der Weg für den Einsatz der Daten durch private Nutzer frei. Die geplanten Änderungen gaben Anlass zur Besorgnis hinsichtlich der Privatsphäre und des Datenschutzes und wurden angesichts eines Entscheids des Obersten Gerichtshofs vom September 2018 vorgenommen, welcher eine Nutzung von Aadhaar für andere Zwecke als den Zugang zu staatlichen Leistungen und die Erhebung von Steuern beschränkt (HRW 14.1.2020). Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 rund 1,2 Milliarden indischer Bürger eine Aadhaar-ID ausgestellt (ORF 27.9.2018; vgl. DFAT 10.12.2020). Ursprünglich wurde das System eingeführt, um Steuerbetrug entgegenzuwirken. In den folgenden Jahren wurde der Umfang jedoch stark ausgeweitet: In einigen indischen Bundesstaaten werden mittels Aadhaar Pensionen, Stipendien und die Essensausgabe für arme Menschen abgewickelt (ORF 27.9.2018). Um eine Aadhaar-Karte zu erhalten, sind keine umfangreichen Unterlagen erforderlich, und es stehen mehrere Optionen zur Verfügung, wodurch sie auch für ärmere Bürger ohne Papiere zugänglich ist. Die Verwendung biometrischer Daten, einschließlich Gesichtsauthentifizierung, Iris und Fingerabdruck, soll die doppelte Vergabe von UIDs an ein und dieselbe Person reduzieren oder verhindern. Während es möglich sein kann, eine Aadhaar-Karte unter falschem Namen zu erhalten, ist es weniger wahrscheinlich, dass eine Person mit denselben biometrischen Daten eine zweite Aadhaar-Karte unter einem anderen Namen erhalten kann (DFAT 10.12.2020). Aadhaar stellt für den Großteil der Bevölkerung den einzigen Zugang zu einem staatlich anerkannten Ausweis dar. Diejenigen, die sich bei Aadhaar angemeldet haben, erhielten nach der Übermittlung ihrer Fingerabdrücke und Netzhautscans eine eindeutige zwölfstellige Identifikationsnummer (BBC 26.9.2018; vgl. DFAT 10.12.2020). Die Aadhaar-Karte selbst ist kein sicheres Dokument, da sie auf Papier gedruckt wird, und obwohl sie nicht wie ein Personalausweis behandelt werden sollte, ist sie es in der Praxis doch (DFAT 10.12.2020).
Menschenrechtsgruppen äußern Bedenken, dass die Bedingungen zur Registrierung für Aadhaar arme und marginalisierte Menschen daran hindern, wesentliche, verfassungsmäßig garantierte Dienstleistungen wie etwa Nahrung und Gesundheitsversorgung zu erhalten (HRW 13.1.2018).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020
? AAAI – Action Aid Association (India) (8.2020): Workers in the Time of Covid-19, https://www.actionaidindia.org/wp-content/uploads/2020/08/Workers-in-the-time-of-Covid-19_ebook1.pdf, Zugriff 7.5.2021
? BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (2020): Länderinformationsblatt Indien, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2019_India_DE.pdf, Zugriff 7.5.2021
? BBC - British Broadcasting Corporation (26.9.2018): Aadhaar: India top court upholds world's largest biometric scheme, https://www.bbc.com/news/world-asia-india-44777787, Zugriff 17.1.2019
? BICC - Bonn International Centre for Conversion (7.2020): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf, Zugriff 20.10.2020
? DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 7.5.2021
? FES – Friedrich-Ebert-Stiftung (9.2019): Feminist perspectives on the future of work in India, http://library.fes.de/pdf-files/bueros/indien/15719.pdf, (Zugriff 18.3.2020
? HO – Heise Online (25.4.2021): Telepolis: Corona in Indien: Sorglosigkeit, Mutanten und himmelschreiende Ungleichheit, https://www.heise.de/tp/features/Corona-in-Indien-Sorglosigkeit-Mutanten-und-himmelschreiende-Ungleichheit-6030218.html, Zugriff 7.5.2021
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022689.html, Zugriff 17.1.2020
? HRW - Human Rights Watch (13.1.2018): India: Identification Project Threatens Rights, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422175.html, Zugriff 17.1.2019
? ORF - Österreichischer Rundfunk [Österreich] (27.9.2018): Indiens Form der digitalen Überwachung, https://orf.at/stories/3035121/, Zugriff 17.1.2019
? ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien
? PIB - Press Information Bureau Government of India Ministry of Labour & Employment (23.7.2018): Modernisation of Employment Exchanges, http://pib.nic.in/newsite/PrintRelease.aspx?relid=180854, Zugriff 13.3.2020
? SZ – Süddeutsche Zeitung (25.1.2021): Globale Armut steigt dramatisch an, https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/armut-corona-oxfam-kinder-1.5183057, Zugriff 7.5.2021
? TIE – The Indian Express (26.1.2021): Indian economy estimated to contract by 9.6% in 2020, grow at 7.3% in 2021: UN, https://indianexpress.com/article/business/economy/indian-economy-estimated-to-contract-by-9-6-per-cent-in-2020-grow-at-7-3