TE Vwgh Erkenntnis 2021/11/11 Ra 2021/21/0224

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Veröffentlicht am 11.11.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §56
AVG §59 Abs1
BFA-VG 2014 §18 Abs3
BFA-VG 2014 §18 Abs5
FrPolG 2005 §67 Abs1
FrPolG 2005 §70 Abs3
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §28 Abs2
VwGVG 2014 §28 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11. Mai 2021, G313 2233038-1/4E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (mitbeteiligte Partei: S F, unbekannten Aufenthaltes), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Nachdem der Mitbeteiligte, ein ungarischer Staatsangehöriger, in Deutschland rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt und in Strafhaft angehalten worden war, wurde er von dort am 27. Februar 2020 zur Strafverfolgung nach Österreich ausgeliefert, wo er am selben Tag festgenommen und dann über ihn die Untersuchungshaft verhängt wurde.

2        Mit rechtskräftigem Urteil vom 5. Mai 2020 wurde der Mitbeteiligte durch das Landesgericht Linz wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch unter Bedachtnahme auf ein näher bezeichnetes Urteil des Amtsgerichtes München vom 30. Mai 2018 zu einer Zusatzfreiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr verurteilt. Dem Schuldspruch zufolge hatte der Mitbeteiligte am 30. Oktober 2017 in L gemeinsam mit zwei Komplizen anderen Personen in insgesamt fünf Angriffen gewerbsmäßig durch Einbruch in Wohnstätten verschiedene Gegenstände und Bargeld im Wert von zusammen ca. € 6.250,-- gestohlen sowie weitere Objekte zu stehlen versucht. Die verhängte Freiheitsstrafe wurde - unter Anrechnung der Vorhaft - in der Zeit vom 27. Februar 2020 bis zum 26. Februar 2021 in österreichischen Justizanstalten vollzogen.

3        Mit Bescheid vom 2. Juni 2020 hatte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Mitbeteiligten wegen seiner Straftaten gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihm kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

4        In Erledigung der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten behob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den bekämpften Bescheid des BFA und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Das BVwG sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Über die gegen diesen Beschluss erhobene Amtsrevision des BFA hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6        Die Amtsrevision macht ein Abweichen des BVwG von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen einer Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Hinweis u.a. auf das grundlegende Erkenntnis VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063) geltend. Das trifft - wie die weiteren Ausführungen zeigen - zu, weshalb sich die Revision unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig und auch als berechtigt erweist.

7        Das BVwG begründete seine Entscheidung in tragender Weise vor allem damit, dass sich das BFA bei der Prüfung, ob gegen den Mitbeteiligten ein Aufenthaltsverbot erlassen werden könne, auf keinen bestimmten Gefährdungsmaßstab festgelegt habe. Das BFA sei nämlich - so lassen sich die Ausführungen des BVwG zusammenfassen - im Rahmen der Begründung von Spruchpunkt I. vom Vorliegen einer „erheblichen“ Gefahr im Sinne des § 67 Abs. 1 zweiter Satz FPG ausgegangen. Es habe dabei abschließend jedoch überdies angenommen, dass auch „das Tatbestandsmerkmal der Nachhaltigkeit erfüllt“ sei, was auf die Maßgeblichkeit des Gefährdungsmaßstabs nach dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG schließen lasse, dessen Anwendung einen Aufenthalt im Bundesgebiet seit zehn Jahren voraussetze. Das BFA habe sich aber „auf eine weniger oder mindestens zehnjährige Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet“ nicht festgelegt. Bei der Begründung von Spruchpunkt II. sei dann vom BFA auf eine „schwerwiegende“ Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit abgestellt worden, somit auf den dazwischen liegenden Gefährdungsmaßstab, der allerdings gemäß § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG nur für EWR-Bürger mit Daueraufenthaltsrecht maßgeblich sei. Da aus dem Bescheid des BFA nicht hervorgehe, dass der Mitbeteiligte ein Daueraufenthaltsrecht im Sinne von § 53a Abs. 1 NAG erworben habe, könne dieser Gefährdungsmaßstab nicht zur Anwendung kommen und die Schlussfolgerung des BFA auf das Vorliegen einer solchen Gefährdung sei daher verfehlt.

8        Mit dieser Begründung lässt sich die vorgenommene Aufhebung des Bescheides des BFA vom 2. Juni 2020, dessen Inhalt vom BVwG nicht ausreichend berücksichtigt wurde, nicht rechtfertigen. Es ist zwar richtig, dass das BFA in seinem Bescheid, und zwar schon bei der Begründung des Aufenthaltsverbotes (vgl. Seite 8 oben), einerseits vom Vorliegen einer tatsächlichen, gegenwärtigen und „schwerwiegenden“ Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, die dem Grundinteresse an einer Verhinderung der Eigentumskriminalität massiv zuwiderlaufe, und anderseits vom Vorliegen einer solchen, bloß „erheblichen“ Gefahr (vgl. Seite 10 Mitte und Seite 13 oben) ausgegangen ist. In diesem Zusammenhang sind aber die Feststellungen des BFA zu sehen, wonach der Mitbeteiligte in Österreich weder eine Meldung noch einen Wohnsitz und auch keine familiären, privaten oder beruflichen Bindungen aufweise und sein Verhalten insgesamt dem eines „Kriminaltouristen“ entspreche. Er sei an einer näher genannten Adresse in Ungarn wohnhaft und - so das BFA an mehreren Stellen - in das Bundesgebiet nur eingereist, um Einbruchsdiebstähle in Wohnhäuser bzw. Wohnungen zu begehen.

9        Angesichts dessen bestehen überhaupt keine Anhaltspunkte, dass der Mitbeteiligte das einen rechtmäßigen und ununterbrochenen fünfjährigen Aufenthalt voraussetzende Daueraufenthaltsrecht erworben haben könnte. Das erkannte im Übrigen auch das BVwG. Umso weniger liegen für einen durchgehenden (rechtmäßigen) zehnjährigen Aufenthalt des Mitbeteiligten vor Erlassung des Aufenthaltsverbotes (siehe zu dessen Maßgeblichkeit für die Anwendung des fünften Satzes des § 67 Abs. 1 FPG etwa VwGH 18.1.2021, Ra 2020/21/0511, Rn. 13, mwN) irgendwelche Hinweise vor. Vielmehr wurde auch in der Beschwerde vorgebracht, der Mitbeteiligte habe in Ungarn seinen Lebensmittelpunkt.

10       Es konnte somit - wie vor diesem Hintergrund auch in der Amtsrevision zutreffend geltend gemacht wird - für das BVwG kein Zweifel bestehen, dass für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Mitbeteiligten das Vorliegen einer Gefährdung im Sinne des ersten und zweiten Satzes des § 67 Abs. 1 FPG genügt, wonach dessen persönliches Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, darstellen muss. Diesen Gefährdungsmaßstab nahm das BFA aber jedenfalls als gegeben an. Dass das BFA darüber hinaus auch vom Vorliegen einer solchen „schwerwiegenden“ Gefahr ausging, war zwar inkonsistent, bewirkte aber für sich genommen keinen relevanten Begründungsmangel.

11       Soweit das BVwG überdies die Meinung vertrat, das BFA habe „keine hinreichend begründete Beurteilung der Gefährdungsprognose vorgenommen“, wird dies ebenfalls dem Inhalt des Bescheides des BFA nicht gerecht. So trifft schon der in diesem Zusammenhang vom BVwG erhobene Vorwurf nicht zu, das BFA habe keine ausreichenden Feststellungen zu den der strafgerichtlichen Verurteilung vom 5. Mai 2020 zugrundeliegenden Straftaten getroffen. Fallbezogen genügte dafür die im Bescheid vorgenommene Wiedergabe des Inhalts des Schuldspruchs in Verbindung mit der Anführung der Milderungs- und Erschwerungsgründe samt einer (im Rahmen der Beweiswürdigung vorgenommenen) Auseinandersetzung mit den Beeinträchtigungen öffentlicher Interessen durch den „Kriminaltourismus“ und dem Hinweis auf drei einschlägige Vorstrafen des Mitbeteiligten in Ungarn und Deutschland. Insofern liegt jedenfalls keine nur „dürftige“ Begründung vor (siehe in diesem Zusammenhang im Übrigen auch VwGH 25.9.2018, Ra 2017/21/0253, Rn. 17, wonach selbst eine dürftige Begründung keine Zurückverweisung rechtfertigt, solange brauchbare, vom BVwG allenfalls zu vervollständigende Ermittlungsergebnisse vorliegen).

Richtig ist zwar, was das BVwG aber gar nicht konkret bemängelte, dass auch nähere Feststellungen zu den Vorstrafen des Mitbeteiligten zu treffen gewesen wären, was jedenfalls durch Beischaffung zumindest des Urteils des Amtsgerichtes München vom 30. Mai 2018 möglich gewesen wäre. Das hätte aber ebenfalls nicht die Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG gerechtfertigt (vgl. dazu etwa VwGH 15.2.2021, Ra 2020/21/0399, Rn. 10).

12       Auf den vom BVwG schließlich noch herangezogenen Gesichtspunkt der „nicht hinreichenden“ Begründung der Spruchpunkte II. und III. des BFA-Bescheides konnte die angefochtene Entscheidung schon deshalb nicht gestützt werden, weil es sich dabei nur um zum Aufenthaltsverbot akzessorische Nebenaussprüche handelt, deren allfällige Unzulänglichkeit nicht zur Aufhebung in der Hauptsache führen kann. Im Übrigen scheint der Mitbeteiligte nach der Aktenlage im Anschluss an die Entlassung aus dem Strafvollzug am 26. Februar 2021 das Bundesgebiet verlassen zu haben, sodass sich im Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG die Frage nach der Gewährung eines einmonatigen Durchsetzungsaufschubs nicht mehr stellte. In Bezug auf die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung hätte das BVwG außerdem schon vor dem Hintergrund des grundsätzlich eine einwöchige Entscheidungsfrist vorsehenden § 18 Abs. 5 BFA-VG jedenfalls selbst (zeitnah zur Erhebung der Beschwerde) in der Sache entscheiden müssen.

13       Da das BVwG somit insgesamt zu Unrecht mit einer Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgegangen ist, war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 11. November 2021

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Trennbarkeit gesonderter Abspruch Verfahrensbestimmungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210224.L00

Im RIS seit

20.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.12.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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