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L50009 Pflichtschule allgemeinbildend WienNorm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und den Hofrat Dr. Fasching sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Tscheließnig, über die Revision der Bildungsdirektion Wien in 1010 Wien, Wipplingerstraße 28, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 4. Mai 2021, Zl. VGW-101/050/5388/2021-5, betreffend eine Angelegenheit nach dem Schulpflichtgesetz und dem Wiener Schulgesetz (mitbeteiligte Partei: H T in W, vertreten durch Dr. Johannes Stowasser, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Führichgasse 6), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Bund und das Land Wien haben der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in Höhe von je € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid der Revisionswerberin vom 23. Februar 2021 wurde der schulpflichtigen mitbeteiligten Partei gemäß § 5 Abs. 1 Schulpflichtgesetz (SchPflG) iVm § 46 Abs. 2 Wiener Schulgesetz (WrSchG) ein Schulplatz an der A.-L.-G. zugewiesen (Spruchpunkt I.) und die Erziehungsberechtigten wurden gemäß § 24 Abs. 1 SchPflG verpflichtet, für den regelmäßigen Schulbesuch der minderjährigen mitbeteiligten Partei an dieser Schule und für die Mitnahme der erforderlichen Unterrichts-, Lern- und Arbeitsmittel spätestens ab 1. März 2021 zu sorgen (Spruchpunkt II.). Weiters wurde ausgesprochen, dass eine rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG keine aufschiebende Wirkung habe (Spruchpunkt III.). Diesem Bescheid lag zugrunde, dass dem Antrag auf Besuch einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht nicht stattgegeben worden war und die mitbeteiligte Partei daher ihre Schulpflicht an einer öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule zu erfüllen habe. Da von den Erziehungsberechtigten kein konkreter Schulplatz gewählt worden sei, habe ein solcher von Amts wegen zugewiesen werden müssen.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien (Verwaltungsgericht) vom 4. Mai 2021 wurde der dagegen von der mitbeteiligten Partei erhobenen Beschwerde stattgegeben und der bekämpfte Bescheid wegen Unzuständigkeit der bescheiderlassenden Revisionswerberin behoben. Gleichzeitig wurde eine (ordentliche) Revision gegen dieses Erkenntnis an den Verwaltungsgerichtshof gemäß § 25a Abs. 1 VwGG für unzulässig erklärt.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, jeder Zuteilungsbescheid sei im übereinstimmenden Zusammenwirken der Bildungsdirektion und der Gemeinde Wien zu erlassen. Im konkreten Fall sei die erforderliche Übereinstimmung der Meinungen der Revisionswerberin und der Gemeinde Wien nicht hergestellt worden, weshalb eine Unzuständigkeit der Revisionswerberin vorgelegen sei, die zur Bescheidaufhebung führe. Was die im Bescheid vorgeschriebene Pflicht der Erziehungsberechtigten betreffe, für den regelmäßigen Schulbesuch der minderjährigen mitbeteiligten Partei an dieser Schule und für die Mitnahme der erforderlichen Unterrichts-, Lern- und Arbeitsmittel spätestens ab 1. März 2021 zu sorgen, so komme dieser Anordnung keine selbstständige normative Wirkung zu, weshalb sie für die Beurteilung der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts außer Betracht bleibe.
4 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision der Bildungsdirektion Wien. Die Zulässigkeit der Revision wird mit fehlender Rechtsprechung zur Auslegung der in § 46 Abs. 2 WrSchG festgelegten Herstellung des Einvernehmens sowie mit der Verletzung des Parteiengehörs zu der Annahme des Verwaltungsgerichts, es läge kein Einvernehmen vor, begründet.
5 Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein, in dessen Rahmen die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung samt Antrag auf Aufwandersatz einbrachte.
6 In ihrer Stellungnahme vom 13. September 2021 zum Antrag, der Revision aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, brachte die mitbeteiligte Partei vor, die 7. Schulstufe in der Privaten Mittelschule A. N., einer Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht, erfolgreich abgeschlossen zu haben.
7 Der Verwaltungsgerichtshof forderte die Revisionswerberin mit Schriftsatz vom 15. September 2021 auf, zu diesem Vorbringen unter dem Aspekt des Vorliegens eines Rechtsschutzbedürfnisses Stellung zu nehmen, wovon kein Gebrauch gemacht wurde.
8 Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist eine Revision mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde.
9 Aus § 33 Abs. 1 VwGG lässt sich entnehmen, dass der Gesetzgeber das Rechtsschutzbedürfnis für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof als Prozessvoraussetzung versteht. Führt nämlich die Klaglosstellung einer revisionswerbenden Partei in jeder Lage des Verfahrens zu dessen Einstellung, so ist anzunehmen, dass eine Revision von vornherein als unzulässig betrachtet werden muss, wenn eine der Klaglosstellung vergleichbare Situation bereits bei Einbringung der Revision vorliegt. Eine derartige Revision ist mangels Rechtsschutzbedürfnis zurückzuweisen (vgl. etwa VwGH 21.4.2015, Ro 2014/01/0034, mwN).
10 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, ist § 33 Abs. 1 VwGG nicht nur auf die Fälle der formellen Klaglosstellung beschränkt. Ein Einstellungsfall (wegen Gegenstandslosigkeit) liegt insbesondere auch dann vor, wenn der Revisionswerber kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung des Gerichtshofes hat. Dies gilt auch für eine Revision der belangten Behörde gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG (vgl. etwa VwGH 20.5.2015, Ro 2015/10/0021, 24.6.2015, Ra 2015/10/0027, oder 20.12.2017, Ra 2017/10/0139).
11 Es ist nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes, in einer Revisionssache zu entscheiden, wenn der Entscheidung nach der Sachlage praktisch überhaupt keine Bedeutung mehr zukommt und letztlich bloß eine Entscheidung über theoretische Rechtsfragen ergehen könnte. Dies gilt auch dann, wenn die einem Revisionsfall zugrundeliegende Rechtsfrage für künftige Verwaltungsverfahren bzw. verwaltungsgerichtliche Verfahren von Interesse sein könnte (vgl. z.B. wiederum VwGH 24.6.2015, Ra 2015/10/0027, aber auch VwGH 3.10.2017, Ro 2017/07/0019, oder 6.9.2018, Ra 2017/20/0494, jeweils mwN).
12 Da die mitbeteiligte Partei nach ihrem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen das Schuljahr 2020/21 an der Mittelschule A. N., einer Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht, abgeschlossen hat, lag bei Einbringung der gegenständlichen Revision eine - mit dem Bescheid der Revisionswerberin vom 23. Februar 2021 bezweckte - Schulpflichterfüllung iSd § 5 SchPflG an einer mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule vor, sodass es für die Rechtsstellung der Revisionswerberin keinen Unterschied mehr macht, ob die angefochtene Entscheidung aufrecht bleibt oder aufgehoben wird. Der Beantwortung der in der Revision gestellten Rechtsfragen käme demnach für das vorliegende Revisionsverfahren nur mehr theoretische Bedeutung zu. Die Revision ist daher mangels Rechtsschutzbedürfnis zurückzuweisen. Im Fall der Zurückweisung einer Revision ist eine Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes (siehe zur Vollziehung des SchPflG unten Rz 13) vom Verwaltungsgerichtshof nicht von Amts wegen aufzugreifen (vgl. VwGH 7.5.2020, Ra 2019/10/0122 und 0123; 22.11.2017, Ra 2015/06/0055; 22.6.2016, Ra 2016/03/0039).
13 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Gemäß § 47 Abs. 5 VwGG ist der vom Revisionswerber zu leistende Aufwandersatz von jenem Rechtsträger zu tragen, in dessen Namen die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verwaltungsverfahren gehandelt hat. Die belangte Behörde ist in Vollziehung des WrSchG (Spruchpunkt I.) für das Land Wien und in Vollziehung des SchPflG (Spruchpunkt II.) für den Bund tätig geworden, sodass der der mitbeteiligten Partei zu leistende Aufwandersatz zu gleichen Teilen dem Bund und dem Land Wien aufzuerlegen war (vgl. VwGH 29.3.2021, Ra 2021/02/0023, mwN). Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts kommt der § 24 Abs. 1 SchPflG konkretisierenden Anordnung in Spruchpunkt II. nämlich normative Wirkung zu (vgl. dazu VwGH 24.4.2018, Ra 2018/10/0040).
Wien, am 25. November 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021100127.L00Im RIS seit
20.12.2021Zuletzt aktualisiert am
03.01.2022