TE Vwgh Erkenntnis 1996/10/29 94/11/0129

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Veröffentlicht am 29.10.1996
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art7 Abs1;
KDV 1967 §35 Abs1 litf;
KDV 1967 §35 Abs1 liti;
KDV 1967 §35 Abs3;
KDV 1967 §35 Abs5;
KFG 1967 §69 Abs1 litb;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des P in E, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in E, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 8. November 1993, Zl. VerkR-391.016/3-1993/Au, betreffend Erteilung einer befristeten Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde (in Bestätigung des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Eferding vom 29. Juni 1993) dem Beschwerdeführer gemäß § 65 Abs. 2 KFG 1967 iVm § 35 Abs. 3 KDV 1967 eine bis 13. Juli 1998 befristete Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B erteilt; das Mehrbegehren auf Erteilung einer unbefristeten Lenkerberechtigung über den genannten Zeitpunkt hinaus wurde abgewiesen.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluß vom 28. Februar 1994 die Behandlung der dagegen an ihn erhobenen Beschwerde abgelehnt und sie mit Beschluß vom 25. April 1994, B 36/94, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, die sich ausschließlich gegen die Abweisung des Mehrbegehrens betreffend Erteilung einer unbefristeten Lenkerberechtigung über den 13. Juli 1998 hinaus richtet, macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; er beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 65 Abs. 2 KFG 1967 ist die Lenkerberechtigung, soweit dies aufgrund des ärztlichen Gutachtens (§ 69 Abs. 1 lit. b) nach den Erfordernissen der Verkehrssicherheit nötig ist, unter den entsprechenden Befristungen, Auflagen oder zeitlichen, örtlichen oder sachlichen Beschränkungen der Gültigkeit zu erteilen.

Nach § 35 Abs. 1 KDV 1967 gilt eine Person als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Gruppe hinreichend frei von Gebrechen, wenn bei ihr nicht eines der in den lit. a bis j genannten Gebrechen festgestellt wurde. Zu diesen Gebrechen zählen u.a. (lit. f) Fehlen oder praktische Blindheit eines Auges oder manifestes Schielen sowie (lit. i) mangelhafte Sehschärfe.

Nach § 35 Abs. 3 KDV 1967 gelten Personen, bei denen ein Auge fehlt oder praktisch blind ist oder bei denen funktionelle Einäuigkeit gegeben ist (Abs. 1 lit. f), zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A, B, C, E, F oder G jeweils für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren geeignet, wenn durch einen augenärztlichen Befund bestätigt wird, daß beim normal sehenden Auge ein normales Gesichtsfeld und eine Sehschärfe von mindestens 0,75 ohne oder mit Korrektur vorhanden ist.

Aufgrund eines amtsärztlichen Gutachtens vom 20. August 1993, dem insoweit ein augenärztlicher Befund vom 26. Juni 1993 zugrundeliegt, ging die belangte Behörde davon aus, daß beim Beschwerdeführer funktionelle Einäugigkeit bestehe. Im Zusammenhang mit der hochgradigen Sehschwäche (Amblyopie) des linken Auges sei kein Binocularsehen und kein Stereosehen gegeben. Da beim sehenden rechten Auge ein normales Gesichtsfeld und eine Sehschärfe von 1,25 vorhanden seien, gelte der Beschwerdeführer gemäß § 35 Abs. 3 KFG 1967 für einen Zeitraum von maximal fünf Jahren als geeignet. Die Lenkerberechtigung sei daher entsprechend zu befristen.

Im Vordergrund des Beschwerdevorbringens steht die Meinung des Beschwerdeführers, § 35 Abs. 3 KDV 1967 komme bei gesetzeskonformer Auslegung dieser Bestimmung bei ihm gar nicht zum Tragen. Sie sei nämlich im Lichte des § 69 Abs. 1 lit. b KFG 1967 auszulegen, der eine Befristung der Lenkerberechtigung nur in zwei Fällen vorsehe. § 35 Abs. 3 KDV 1967 könne daher richtigerweise nur Personen erfassen, die entweder eine Brille oder einen anderen Behelf benötigen (§ 69 Abs. 1 lit. b erste Alternative) oder deren Sehkraft sich beim nicht blinden Auge aufgrund gewisser Umstände verschlechtern werde (§ 69 Abs. 1 lit. b zweite Alternative). Eine andere Auslegung hieße, eine im Gesetz nicht vorgesehene Alternative für die Erteilung einer befristeten Lenkerberechtigung zu schaffen und damit der Verordnung einen gesetzwidrigen Inhalt zu unterstellen. Beim Beschwerdeführer sei keiner der beiden Fälle des § 69 Abs. 1 lit. b KFG 1967 gegeben. Er weise seit Geburt eine Sehschwäche auf dem linken Auge auf. Mit dem rechten Auge sehe er jedoch überdurchschnittlich gut. Er benötige weder eine Brille noch sonstige Behelfe. Es gäbe auch keinen Hinweis auf eine zu erwartende Verschlechterung seines Sehvermögens.

§ 69 Abs. 1 lit. b KFG 1967 regelt, bei welchen Befunden das ärztliche Gutachten "bedingt geeignet" zu lauten hat, und die darin anzuführenden Nebenbestimmungen. Diese Bestimmung enthält keine Verordnungsermächtigung. Eine solche findet sich vielmehr in § 69 Abs. 3 KFG 1967 (davon ging auch der Verfassungsgerichtshof in seinen im Ablehnungsbeschluß angeführten Entscheidungen Slg. 7587/1975 und 9997/1984 aus). Danach können durch Verordnung nach den Erfordernissen der Verkehrs- und Betriebssicherheit, dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft und der Technik entsprechend, die näheren Bestimmungen über die ärztliche Untersuchung und die Erstellung des ärztlichen Gutachtens (Abs. 1) festgesetzt werden; hiebei ist auch festzusetzen, daß Personen, bei denen bestimmte Leiden oder Gebrechen vorliegen, als zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht geeignet oder nur unter bestimmten Voraussetzungen im Sinne des Abs. 1 lit. b als geeignet zu gelten haben.

Diese Bestimmung enthält auch die Ermächtigung, durch Verordnung festzusetzen, daß Personen mit bestimmten Leiden oder Gebrechen generell nur für einen bestimmten maximalen Zeitraum als geeignet zu gelten haben, sodaß spätestens nach dessen Ende eine neuerliche Untersuchung vorzunehmen und insoweit vom Arzt nur zu prüfen ist, ob es bei der betreffenden Person nach Lage des Falles schon in kürzeren Abständen einer Nachuntersuchung bedarf. Die Festlegung einer Maximalfrist von 5 Jahren, innerhalb welcher jedenfalls eine Nachuntersuchung stattzufinden hat, hält der Verwaltungsgerichtshof im Interesse der Verkehrssicherheit bei Personen, die eines der im § 35 Abs. 3 KDV 1967 genannten Gebrechen aufweisen, unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes für unbedenklich. Daß der Beschwerdeführer, der sich insoweit nicht einmal auf ein ärztliches Gutachten stützen kann, meint, aufgrund des bei ihm seit Geburt unverändert bestehenden Zustandes wäre eine periodische Nachuntersuchung nicht erforderlich, vermag keine Bedenken gegen § 35 Abs. 3 KDV 1967 unter dem genannten Gesichtspunkt zu erwecken. Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich daher nicht veranlaßt, der Anregung des Beschwerdeführers entsprechend beim Verfassungsgerichtshof die Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der genannten Verordnungsstelle zu beantragen.

Mit den korrespondierenden Bestimmungen des § 35 Abs. 1 lit. f und Abs. 3 KDV 1967 werden offensichtlich die Gebrechen der tatsächlichen und der funktionellen Einäugigkeit erfaßt, also zum einen der tatsächliche Ausfall eines Auges (infolge Fehlens oder völliger Blindheit) und zum anderen der durch schwere Anomalien eines Auges bewirkte faktische Ausfall der Sehkraft dieses Auges für die Sehfunktion des Betreffenden, sodaß diese letztlich auf der Sehkraft nur eines Auges beruht und daher so wie beim Fehlen oder bei völliger Blindheit eines Auges kein Binokularsehen bzw. Stereosehen vorhanden ist. Die KDV 1967 nennt in diesem Zusammenhang zwei Anomalien, nämlich besonders hochgradige Sehschwäche (praktische Blindheit) und hochgradige Fehlstellung eines Auges (manifestes Schielen). Funktionelle Einäugigkeit ist demnach der übergeordnete Begriff, die beiden anderen Begriffe bezeichnen zwei Gebrechen, die funktionelle Einäugigkeit bewirken. Die in Rede stehenden Verordnungsbestimmungen sind daher insofern legistisch mißlungen, als einerseits der zweifellos von § 35 Abs. 3 KDV 1967 auch erfaßte Fall der völligen Blindheit eines Auges nicht erwähnt wird und andererseits in der lit. f zwei Gebrechen, die funktionelle Einäugigkeit bewirken, angeführt werden, in der korrespondierenden Bestimmung des Abs. 3 aber nur eines dieser Gebrechen genannt und daneben auch der beide Gebrechen umfassende übergeordnete Begriff der funktionellen Einäugigkeit gebraucht wird. Aus dem dargelegten Inhalt dieses Begriffes folgt, daß es für die an die Feststellung funktioneller Einäugigkeit geknüpften Rechtsfolgen nicht darauf ankommt, ob dieses Gebrechen im Einzelfall durch praktische Blindheit eines Auges oder manifestes Schielen bewirkt wird oder allenfalls auf das Zusammenwirken von hochgradiger Sehschwäche eines Auges und Schielen zurückzuführen ist.

Was die strittige Frage der funktionellen Einäugigkeit des Beschwerdeführers anlangt, ist der Beschwerdeführer dem ärztlichen Gutachten, auf welches sich diese Annahme der belangten Behörde stützt, nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Mit dem bloßen Bestreiten der Richtigkeit dieser Beurteilung vermag er das ärztliche Gutachten nicht zu erschüttern. In diesem Gutachten begründete der Amtsarzt seine Annahme, beim Beschwerdeführer sei kein Binokularsehen bzw. Stereosehen und damit funktionelle Einäugigkeit gegeben, in nicht als unschlüssig zu erkennender Weise mit der beim Beschwerdeführer festgestellten hochgradigen Sehschwäche (Amblyopie) des linken Auges iVm den Ergebnissen der orthoptischen Befundung ("im Covertest keine eindeutige Einstellbewegung festzustellen"; "Worth patholog."; "Stereoteste negativ"). Da funktionelle Einäugigkeit im Sinne des § 35 Abs. 3 KDV 1967 auch durch hochgradige Sehschwäche iVm Schielen bewirkt sein kann, steht entgegen der Meinung des Beschwerdeführers der Anwendung des § 35 Abs. 3 KDV 1967 auf ihn der Umstand nicht entgegen, daß im ärztlichen Gutachten nicht ausdrücklich von praktischer Blindheit des linken Auges oder von manifestem Schielen die Rede ist.

Im übrigen trifft seine Behauptung, das ärztliche Gutachten stelle fest, daß bei ihm manifestes Schielen nicht gegeben sei, nicht zu. Weder das ärztliche Gutachten noch der augenärztliche Befund enthalten eine solche Feststellung.

Da beim Beschwerdeführer nicht das - von tatsächlicher oder funktioneller Einäugigkeit zu unterscheidende - Gebrechen der "mangelhaften Sehschärfe" (§ 35 Abs. 1 lit. i KDV 1967) angenommen wurde, geht das Vorbringen ins Leere, es sei bei ihm, weil das rechte Auge einen visus von 1,25 aufweise, die im § 35 Abs. 5 KDV 1967 normierte Mindestgrenze der Sehschärfe (mit beiden Augen mindestens 0,5) überschritten. Das Fehlen des besagten Gebrechens schließt das Vorliegen eines Gebrechens nach § 35 Abs. 1 lit. f KDV 1967 nicht aus. Ein Ausgleich der mangelhaften Sehschärfe der Augen im Sinne des § 35 Abs. 5 KDV 1967 setzt voraus, daß die betreffende Person tatsächlich mit beiden Augen "sieht", was bei funktioneller Einäugigkeit gerade nicht der Fall ist.

Die gerügten Begründungsmängel sind nicht wesentlich, weil die belangte Behörde auf dem Boden der dargelegten Rechtslage auch bei deren Vermeidung zu keinem anderen Bescheid hätte kommen können.

Aus diesen Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1994110129.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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