TE Vwgh Erkenntnis 1996/10/29 95/07/0189

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Veröffentlicht am 29.10.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
81/01 Wasserrechtsgesetz;

Norm

AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
WRG 1959 §111;
WRG 1959 §60 Abs2;
WRG 1959 §72;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Bumberger, Dr. Pallitsch und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Rose, über die Beschwerde der Gemeinde N, vertreten durch den Bürgermeister, dieser vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom z. August 1995, Zl. 513.225/02-15/94, betreffend wasserrechtliche Bewilligung und Aberkennung aufschiebender Wirkung einer Berufung (mitbeteiligte Parteien: 1) A und 2) J, beide in N und beide vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in I), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Am 12. und 27. Mai 1993 führte der Landeshauptmann von Tirol (LH) über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung für die Tagwasserkanalisation N.-Dorf die Verhandlung durch. In dieser Verhandlung wandten sich die mitbeteiligten Parteien des nunmehrigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (MP) gegen die von der Beschwerdeführerin beantragte wasserrechtliche Bewilligung mit dem Vorbringen, daß das Vorhaben eine Belastung ihres Grundstückes darstelle, weil durch die Inanspruchnahme ihres Grundstückes für den beabsichtigten Regenwasserkanal eine künftige Bauführung auf diesem Grundstück erheblich erschwert und eingeschränkt würde, was den MP im Hinblick auf die hohen Grundstückspreise, in Anbetracht der Knappheit des Baulandes allgemein und wegen ihrer Kinder nicht zuzumuten sei. Die Kanalführung erfolge "slalomähnlich", was unüblich sei und zu Bedenken hinsichtlich einer allfälligen Verlegung etwa durch eingeschwemmte Holzteile Anlaß gebe, weil sich daraus eine Überflutungsgefahr für das Grundstück der MP ergeben würde. Weshalb der Eigentümer des nördlichen Nachbargrundstückes, über welches bereits ein Kanal verlaufe, geschont werde, während bei den MP ein zweiter Kanal wesentlich größerer Dimension verlegt werden solle, sei nicht einzusehen. Ebensowenig sei einsichtig, daß die MP nunmehr die Nachteile aus einer verfehlten Planung und Projektsdurchführung bei der Kanalisation des N.-Dorfbaches tragen sollten. Durch das Vorhaben erfahre das Grundstück der MP insgesamt eine starke Entwertung, welche über den unmittelbaren Dienstbarkeitsstreifen hinausreiche.

Der beigezogene Amtssachverständige für Kulturbautechnik stellte Betrachtungen zu denkmöglichen Alternativtrassen des Regenwasserkanales an und legte dar, daß Trassen, welche die Zustimmung der MP fänden, mit erheblichen Mehrkosten für die Beschwerdeführerin verbunden wären. Die projektierte Leitungsführung des Kanales im Bereiche des Grundstückes der MP quere dieses in der Mitte und stelle eine wesentliche Beanspruchung dar, ersetze allerdings einen vorhandenen, sanierungsbedürftigen Schmutzwasserkanal in einer Weise, welche die Beanspruchung des Grundstückes im Verhältnis zum bisherigen Kanal geringer halte. Aus technischer Sicht sei die projektierte Kanalführung als die günstigste anzusehen. Die Beschwerdeführerin beantragte die Einräumung von Zwangsrechten für Verlegung und Betrieb des projektierten Kanales. Ein vom LH beigezogener Amtssachverständiger für Hochbau erstattete ein Gutachten über die aus der Inanspruchnahme u.a. des Grundstückes der MP als angemessen resultierenden Entschädigungsbeträge, wobei er in seinem Gutachten zur Auffassung gelangte, daß die bestehende Situation auf dem Grundstück der MP sich eher noch verbessern würde, wobei unter Berücksichtigung der Bestimmungen der Tiroler Bauordnung sich gegenüber der derzeit bestehenden Situation eine Einschränkung der Nutzungsmöglichkeit des Restgrundstückes nicht ergäbe. Die MP erklärten, dieses Gutachten nicht anzuerkennen. Eine Bauführung werde jedenfalls erheblich erschwert und zwei Kanäle auf dem Grundstück seien unzumutbar. Die Beschwerdeführerin beantragte, einer allfälligen Berufung gegen den wasserrechtlichen Bewilligungsbescheid die aufschiebende Wirkung abzuerkennen, da bei sommerlichen Starkregen- und winterlichen Tauregenwetterereignissen Wässer aus den Schächten und den Zuleitungen austräten und auf die Straße oder in Keller eindrängen, sodaß Gefahr im Verzug bestehe. Zu dieser Frage hielt der Amtssachverständige für Kulturbautechnik noch eine weitere Begutachtung für erforderlich. Das dazu nachträglich erstattete Gutachten, welches Gefahr im Verzug bejahte, wurde vom LH mit Schreiben vom 24. Juni 1993 den Verfahrensparteien bekanntgegeben.

Mit Bescheid vom 25. Juni 1993 erteilte der LH der Beschwerdeführerin die beantragte wasserrechtliche Bewilligung, räumte über das Grundstück der MP die Dienstbarkeit der Verlegung und des Betriebes des Regenwasserkanales nach dem projektsgemäß vorgesehenen Verlauf zwangsweise ein und setzte die den MP dafür gebührende Entschädigung fest. In der Begründung seines Bescheides legte der LH die Gründe dar, aus denen die Einräumung des Zwangsrechtes sowohl unter dem Gesichtspunkt einer Betrachtung der öffentlichen Interessen als auch der Nachteiligkeiten der Alternativtrassen als gerechtfertigt anzusehen sei. Eine Bebauung des Grundstückes der MP in offener Bauweise sei nach den Ausführungen des Amtssachverständigen für Hochbau weiterhin als möglich anzusehen; die Schwere des Eingriffes in das Grundeigentum relativiere sich dadurch, daß eine wesentliche Veränderung in der Nutzbarkeit und Bebaubarkeit des Grundstückes gegenüber dem gegenwärtigen Zustand durch die eingeräumte Dienstbarkeit nicht bewirkt werde. Die Entscheidung über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer allfälligen Berufung bleibe gesonderter Erledigung vorbehalten.

Die MP nahmen Stellung zu dem ihnen übermittelten Gutachten zur Frage des Vorliegens von Gefahr im Verzug, beriefen gegen den wasserrechtlichen Bewilligungsbescheid des LH vom 25. Juni 1993 und erhoben Berufung auch gegen den als "Ergänzungs-Bescheid" bezeichneten Bescheid des LH vom 9. Juli 1993, in welchem einer gegen den wasserrechtlichen Bewilligungsbescheid vom 25. Juni 1993 erhobenen Berufung wegen Gefahr im Verzug die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde. Die behördliche Vorgangsweise, den wasserrechtlichen Bewilligungsbescheid noch vor Ablauf der Frist zur Äußerung zum Ermittlungsergebnis zur Frage der aufschiebenden Wirkung einer Berufung zu erlassen, verletze die Verfahrensrechte der MP in grober Weise. Das Grundstück der MP werde total entwertet, weil weder ein neues Bauwerk errichtet noch das alte in irgendeiner Weise vergrößert werden könnte. Andere im Verfahren diskutierte Trassenvarianten seien günstiger und würden die MP nicht belasten. Der Ausspruch über den Ausschluß der aufschiebenden Wirkung einer Berufung hätte in den Spruch des wasserrechtlichen Bewilligungsbescheides aufgenommen werden müssen, ein Ergänzungsbescheid sei unzulässig. Von Gefahr im Verzug könne im übrigen nicht die Rede sein, weil drei andere alternative Projektsvarianten kostengünstiger und effizienter ausgeführt werden könnten, ohne daß für die Beschwerdeführerin Nachteile entstünden. Der von der belangten Behörde beigezogene Amtssachverständige für Wasserbautechnik beantwortete die ihm gestellte Frage nach dem Vorliegen von Gefahr im Verzug mit Ausführungen über das Vorliegen einer bereits erheblichen hydraulischen Überlastung des derzeitigen Kanalnetzes der Beschwerdeführerin. Damit im Zusammenhang stehende Mißstände (Kellerüberflutungen) hätten auch den Grund für die Inangriffnahme des vorliegenden Projektes gebildet. Würden die projektierten Anlagen nicht errichtet, wäre jedenfalls mit einer stärkeren Gefährdung zumindest von Sachwerten zu rechnen, als dies bei Anlagen gemäß dem Stand der Technik der Fall wäre. Zur Sache selbst äußerte der Amtssachverständige der belangten Behörde, daß die projektsgemäße Führung der Kanaltrasse über das Grundstück der MP, rein technisch gesehen, nicht unbedingt erforderlich sei, aber kostenmäßige Vorteile im Ausmaß von mehreren S 100.000,-- bringe. Die im Verfahren diskutierten Alternativtrassen brächten Mehrkosten in diesem Umfang unter näher dargestellten Gesichtspunkten mit sich. Auf diese, den MP, nicht aber der Beschwerdeführerin bekanntgegebene Äußerung des Amtssachverständigen erwiderten die MP mit der Vorlage von Stellungnahmen eines Zivilingenieurs für Bauwesen und eines Geologen. Der Zivilingenieur stellte die Mehrkosten dreier Alternativtrassen dar und faßte zusammen, daß andere Trassenführungen durchaus möglich gewesen wären, welche für die Allgemeinheit zwar Mehrkosten, jedoch geringere Belastungen des Einzelnen und Einschränkungen seines Eigentums zur Folge gehabt hätten. Der Geologe bestritt das Vorliegen von Gefahr im Verzug, weil befürchtete Kellerüberschwemmungen nicht mehr eingetreten seien, behauptete eine willkürliche Aussteckung der Trasse und erklärte, daß die schonendste Variante im geringen Abstand parallel zur Grundgrenze verlaufen wäre, für welche die MP sogar bereit gewesen wären, ihr Gartenhaus abzutragen. Die bewilligte Trasse entwerte das Grundstück der MP vollkommen, weil die für die drei Söhne der Familie vorgesehene Verbauung nun nicht mehr möglich sei. Die Behörde habe die MP vor vollendete Tatsachen gestellt und alternative Trassenführungen nicht ins Auge gefaßt. Die MP wiederholten ihrerseits ihr Berufungsvorbringen, verwiesen darauf, daß sich aus der Bekundung des Amtssachverständigen der belangten Behörde ergebe, daß die Kanaltrasse über ihr Grundstück, rein technisch gesehen, nicht erforderlich sei, und verwiesen auf die Bekundungen der von ihnen beigezogenen Sachverständigen. Der Amtssachverständige der belangten Behörde erklärte, daß und weshalb die Bekundungen der Privatsachverständigen der MP am Ergebnis der ersten Stellungnahme nichts ändern würden. Eine der vom Zivilingenieur für Bauwesen dargestellten Varianten sei hinsichtlich der damit verbundenen Mehrkosten allerdings zu niedrig beurteilt worden; diese würden zumindest um das Zweibis Dreifache ansteigen.

Ohne die Beschwerdeführerin von der Stellungnahme der MP, den Bekundungen der von diesen beigezogenen Sachverständigen und der Erwiderung des Amtssachverständigen für Wasserbautechnik in Kenntnis zu setzen, erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid, mit welchem sie den wasserrechtlichen Bewilligungsbescheid des LH vom 25. Juni 1993, "sofern das Gst. 176/1, KG N., berührt wird, sowie die diesbezüglich bescheidmäßig festgesetzte Entschädigung" gemäß § 66 Abs. 2 AVG unter Verweisung an die Erstbehörde zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides behob und den Bescheid des LH vom 9. Juli 1993 gemäß § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos behob. Begründend führte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nach Darstellung des Verfahrensganges aus, daß sich in der Gegendarstellung der MP, welche ihre Einwände auch sachgutächtlich belegt hätten, ergebe, daß andere Varianten durchaus möglich seien, ohne daß das Grundstück der MP durch den projektierten Kanal derart massiv in Anspruch genommen werde. Die MP wären zusätzlich bereit, ihr Gartenhaus abzutragen, um eine andere Variante zu ermöglichen. Durch die bescheidmäßig vorgeschriebene Trassenführung sei eine beabsichtigte Verbauung nicht mehr möglich. Aus diesem Vorbringen sei im Zusammenhang mit den Ausführungen in der Berufungsschrift für die belangte Behörde erkennbar, daß das Grundstück der MP durch die projektierte Kanalverlegung massiv in Anspruch genommen werde. Wie sich auf Grund des Ermittlungsverfahrens ergeben habe, sei die bewilligte Trassenverlegung deshalb gewählt worden, weil sich diese für die Beschwerdeführerin als die kostengünstigste Variante darstelle, wobei jedoch das entgegenstehende Interesse der MP außer acht gelassen bzw. nicht ausreichend berücksichtigt worden sei, daß ein beabsichtigtes Bauvorhaben der MP auf diesem Grundstück erschwert bzw. nicht durchführbar sei. Andererseits sei jedoch auf Grund der vorliegenden gutächtlichen Stellungnahme sowohl des wasserbautechnischen Amtssachverständigen als auch des von den MP beigezogenen Zivilingenieurs klar hervorgekommen, daß eine andere Verlegung des Kanales durchaus möglich sei und unter Umständen auch die Zustimmung der MP finde. Durch die Erstbehörde sei eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Kanalverlegung und dem entgegenstehenden Interesse der MP nicht in ausreichendem Maße vorgenommen und seien diesbezüglich Ermittlungen zum Teil überhaupt nicht gemacht worden. Die Abführung einer mündlichen Verhandlung vor der Erstbehörde sei unvermeidlich, weil die Variante, welche auf Grund der gutächtlichen Stellungnahme des von den MP beigezogenen Zivilingenieurs der Behörde zur Kenntnis gebracht worden sei, mit den Parteien erörtert werden müsse, da je nach Variante auch andere Grundstückseigentümer in unterschiedlichem Ausmaß betroffen sein könnten und überdies im Zuge der mündlichen Verhandlung auch auf eine gütliche Übereinkunft hinzuwirken sein werde. Durch die aus diesem Grunde gebotene Aufhebung des wasserrechtlichen Bewilligungsbescheides nach § 66 Abs. 2 AVG sei der Bescheid über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Berufung, soweit er das Berufungsvorbringen betreffe, gegenstandslos geworden, weshalb sich eine Erörterung über die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides erübrigt habe. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Beschwerdeführerin die Aufhebung des angefochtenen Bescheides aus dem Grunde der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes mit der Erklärung begehrt, durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Sachentscheidung durch die Berufungsbehörde und in ihrem Recht auf Wahrung des Parteiengehörs im Berufungsverfahren verletzt zu sein. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift ebenso wie die MP die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin macht geltend, es habe die belangte Behörde von der Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG in einer dem Gesetz nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht und sie sei zu ihrer behebenden Entscheidung darüber hinaus in einem Berufungsverfahren gelangt, in welchem sie das Recht der Beschwerdeführerin auf Parteiengehör verletzt habe. Beide Vorwürfe sind berechtigt. Ob das von den MP im Berufungsverfahren unter Vorlage der Bekundungen des Zivilingenieurs für Bauwesen und des Geologen erstattete Sachvorbringen nach der Vorschrift des § 65 AVG zu beurteilen war, wie die Beschwerdeführerin meint und die belangte Behörde in der Gegenschrift bestreitet, ist im Beschwerdefall ohne jede Bedeutung, weil die belangte Behörde mit der von ihr gewählten einseitigen Gestaltung des Berufungsverfahrens den auch im Berufungsverfahren uneingeschränkt geltenden Grundsatz des Parteiengehörs nach § 37 AVG dadurch verletzt hat, daß sie unter Mißachtung der Vorschrift des § 45 Abs. 3 AVG dem angefochtenen Bescheid Sachverhaltselemente zugrunde gelegt hat, die sie der Beschwerdeführerin nicht bekanntgegeben hatte. Damit hat die belangte Behörde der Beschwerdeführerin nicht nur das ihr im 45 Abs. 3 AVG gesetzlich gewährleistet Recht genommen, den aus den Bekundungen des Zivilingenieurs und des Geologen der MP von der belangten Behörde gezogenen Schlußfolgerungen sachlich zu erwidern, sondern hat durch die Verwertung dieser in einem gesetzwidrig geführten Berufungsverfahren gewonnenen "Ermittlungsergebnisse" im angefochtenen Bescheid nicht zuletzt auch gegen das im Verwaltungsverfahren anerkannte Überraschungsverbot verstoßen (vgl. für viele etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 1993, 93/10/0019). Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, daß die Bekundungen des von den MP beigezogenen Geologen über die Unmöglichkeit einer Bautätigkeit auf dem Grundstück der MP infolge der bewilligten Kanaltrasse jegliche sachliche Auseinandersetzung mit den Argumenten des wasserrechtlichen Bewilligungsbescheides erster Instanz zu dieser Frage vermissen lassen und sich als bloße Wiedergabe des dem Vorhaben entgegentretenden Standpunktes der MP bar einer fachlichen Aussagekraft erweisen, was die belangte Behörde freilich nicht gehindert hat, diese als "fachkundig belegt" beurteilten Bekundungen der MP als Sachverhaltsgrundlagen des angefochtenen Bescheides heranzuziehen.

Die daraus schon resultierende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften wird im Beschwerdefall überlagert durch die inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides, welche aus dem gesetzwidrigen Gebrauch der Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG durch die belangte Behörde resultiert. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf die Berufungsbehörde eine kassatorische Entscheidung nur dann

treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt derart mangelhaft ist, daß die Durchführung oder Wiederholung der - nach § 66 Abs. 3 AVG auch vor der belangten Behörde möglichen Verhandlung vor der Behörde erster Instanz unvermeidlich ist

(vgl. die hg. Erkenntnisse etwa vom 28. März 1996, 95/07/0028, vom 28. März 1996, 95/07/0025, vom 20. Juli 1995, 95/07/0041, und vom 15. November 1994, 93/07/0002). Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen kann im Beschwerdefall nicht die Rede sein. Der ZH hatte die in Rede stehenden Trassen für die Verlegung des Kanals der Abwasserbeseitigungsanlage der Beschwerdeführerin einer Begutachtung unterzogen und hatte auch im vor der belangten Behörde bekämpften Erstbescheid die Zwangsrechtseinräumung in der vorgenommenen Weise unter Beurteilung der für die MP damit verbundenen Nachteile in Gegenüberstellung mit den Nachteilen anderer Trassenvarianten und unter Bedachtnahme auf die öffentlichen Interessen dargelegt. Erwuchsen der belangten Behörde auf Grund des Berufungsvorbringens der MP an der Rechtmäßigkeit der in erster Instanz vorgenommenen Zwangsrechtseinräumung rechtliche Zweifel, dann oblag es ihr, solche durch das Berufungsvorbringen entstandene Zweifel zum Anlaß dafür zu nehmen, das Verfahren in einer von ihr als geboten erachteten Weise zu ergänzen, wozu es ihr frei stand, erforderlichenfalls eine mündliche Verhandlung selbst durchzuführen. Für eine Behebung des vor ihr bekämpften Bescheides nach § 66 Abs. 2 AVG bot der von der Erstbehörde ermittelte Sachverhalt ebensowenig einen rechtlich tragenden Grund, wie die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid geäußerte Vermutung der wieder entstandenen Möglichkeit einer gütlichen Einigung sie zur Bescheidaufhebung aus diesem Grunde nicht berechtigen konnte.

Es hat die belangte Behörde damit die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Sachentscheidung nach § 66 Abs. 4 AVG verletzt. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, welche Entscheidung sich zwangsläufig auch auf die im angefochtenen Bescheid verfügte ersatzlose Behebung jenes erstbehördlichen Bescheides erstrecken mußte, mit welchem einer Berufung gegen den wasserrechtlichen Bewilligungsbescheid des LH vom 25. Juni 1993 die aufschiebende Wirkung aberkannt worden war, weil die Behebung des Bescheides nach § 64 Abs. 2 AVG durch die belangte Behörde in der rechtswidrigen Behebung des wasserrechtlichen Bewilligungsbescheides nach § 66 Abs. 2 AVG ihre ausschließliche Begründung gefunden hatte.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 4161994; die Abweisung des Kostenmehrbegehrens beruht auf überhöht verzeichnetem Stempelgebührenaufwand deswegen, weil der angefochtene Bescheid in lediglich einfacher Ausfertigung vorzulegen war.

W i e n , am 29. Oktober 1996

Schlagworte

Inhalt der Berufungsentscheidung Anspruch auf meritorische Erledigung (siehe auch Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verfahrensrechtliche Entscheidung der Vorinstanz)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995070189.X00

Im RIS seit

30.09.2002

Zuletzt aktualisiert am

06.07.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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