TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/28 L510 2197779-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.07.2021
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Entscheidungsdatum

28.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L510 2197779-1/13E

Schriftliche Ausfertigung des am 01.06.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Irak, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.04.2018, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.06.2021 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 Abs 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, §§ 52 Abs 2 Z 2 und Abs 9, 46, 55 FPG idgF, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrenshergang

1. Die beschwerdeführende Partei (bP), ein Staatsangehöriger des Irak, stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 16.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge ihrer Erstbefragung am 17.12.2015 gab die bP zu ihrem Fluchtgrund an, dass sie am 10.11.2015 zuhause in Bagdad von fünf maskierten und bewaffneten Personen bedroht worden sei. Diese seien in ihr Haus gekommen und hätten von ihr verlangt, sich ebenfalls einer militanten Einheit anzuschließen. Es sei ihr ein Ultimatum von sieben Tagen zur Entscheidungsfindung gestellt worden, negativenfalles habe ihr „etwas“ geschehen sollen. Um die Drohung zu untermauern, sei ihr mit einer Schusswaffe auf den Kopf geschlagen worden. Fünf Tage später habe sie sich entschlossen, ihre Heimat zu verlassen. Im Falle einer Rückkehr befürchte sie, von der militanten Gruppe getötet zu werden.

Die niederschriftliche Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 14.03.2018 gestaltete sich im Wesentlichen folgend:

„…

F. Wie heißen Sie?

A: Ich heiße XXXX

Anmerkung: Der Name wird laut vorgelegtem Personalausweis korrigiert.

F. Wann und wo sind Sie geboren?

A: Ich bin am XXXX Bagdad geboren.

F: Haben Sie immer in Bagdad gelebt?

A: Ich habe immer in Bagdad gelebt, aber als ich die Probleme hatte musste ich öfter den Wohnort wechseln.

F: Geben Sie die letzten Wohnadressen Ihres Heimatstaates an.

A: Bagdad, XXXX

XXXX .

F: Wo war der Hauptwohnsitz in Bagdad?

A: In Bagdad, XXXX .

F: Lebten Sie in Bagdad in einem schiitischen, sunnitischen, oder gemischten Viertel?

A: Es war ein schiitisches Viertel.

F. Welche Sprachen sprechen Sie?

A: Arabisch und ein wenig Deutsch.

F. Welcher Volksgruppe / Religion gehören Sie an?

A. Araber, Moslem, Ich bin als Schiit geboren. Meine Eltern sind auch Schiiten.

Jetzt habe ich die Religion gewechselt.

F: Welche Religion haben Sie jetzt?

A: Sunnit.

F: Wann haben Sie die Religion gewechselt.

A: Vor ca. 4 Jahren.

F: Wie hat der Religionswechsel stattgefunden?

A: Ich bin selber in die sunnitische Moschee gegangen und dort dem Imam gesagt, dass ich die Religion wechseln will. Er hat mir Ratschläge gegeben und gesagt, dass ich mich frei entscheiden kann.

F: Haben Sie eine Bestätigung für den Religionswechsel?

A: Ich kann eine Bestätigung vom Irak besorgen.

Anmerkung: AW bringt einen Nachweis innerhalb von 2 Wochen.

F: An wen glaubt man als Sunnit? Wo liegt der Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten?

A: Bei den Sunniten gibt es 4 Nachfolger vom Propheten die lauten XXXX , Osman, Afan und Ali. Bei den Schiiten gibt es 4 Nachfolgerpropheten und die heißen Ali Bin Abi Tahlib, Al Hussein Bin Ali Bin Abi Tahlib, Al Hassan Bin Ali Bin Tahlib, Jawad Bin Ali Bin Abi Tahlib.

F: Nennen Sie Moscheen der Sunniten im Irak, die Sie besuchen würden!

A: XXXX .

….

F.: Können Sie bitte einen kurzen Lebenslauf bezüglich Ihrer Person schildern? Z.B.: Wo sind Sie aufgewachsen, welche Schulausbildung haben Sie absolviert, welchen Beruf haben Sie ausgeübt etc.?

A: Ich bin am XXXX in Bagdad geboren. Von 2000-2007 hab ich die Schule in Bagdad besucht. 2007 habe ich die Schule abgebrochen und dann habe ich in einem Handy Reparaturgeschäft gearbeitet, als Bäcker, als Installateurgehilfe und Schlosser und andere Hilfsarbeitertätigkeiten. Ich habe gearbeitet bis ich das Land verlassen habe.

F: Wann genau haben Sie zuletzt gearbeitet?

A: Das war ca. August oder September 2015.

F: Als was haben Sie gearbeitet bevor Sie ausgereist sind?

A: Als Schlosser.

F: Lebten Sie im Heimatland in einer Mietwohnung oder in einem Haus, mit wem lebten Sie dort, wie groß war die Wohnung bzw. das Haus, Anzahl der Zimmer?

A: Im Eigentumshaus meines Onkels. Ich habe dort gewohnt mit meiner Großmutter väterlicherseits, 5 Onkeln und 2 Tanten gewohnt. Meine Eltern sind geschieden und mein Vater hat einige Zeit auch bei uns gewohnt und später in einem eigenen Haus.

F.: Wurden die Daten der Eltern sowie die Daten Ihrer Geschwister in der Erstbefragung richtig protokolliert? Wo leben Ihre Eltern und Geschwister und wovon leben sie?

A: Es wurde richtig protokolliert.

Meine Eltern leben in Bagdad. Sie leben getrennt, da geschieden. Mein Vater hat ein Second Hand Geschäft. Meine Mutter ist wieder verheiratet.

Meine Schwester lebt in Bagdad und ist verheiratet.

Meine zwei Stiefschwestern leben auch in Bagdad und sie sind noch klein ( XXXX ist 2 Jahre alt und XXXX ist ca. 1 Jahr alt)

F: Wie viele Onkel bzw. Tanten väterlicherseits haben Sie und wo leben diese?

A: 5 Onkel und 5 Tanten leben in Bagdad.

F: Haben Sie Geschwister von der Mutter, Onkel und Tanten mütterlicherseits und wo leben diese?

A: 2 Tanten und 6 Onkel leben auch in Bagdad.

F: Wie ist die finanzielle Lage der Verwandten im Irak?

A: Mittel.

F: Wie hatten Sie zuletzt Kontakt mit Ihren Familienangehörigen, Eltern, Geschwister?

A: Mit meinem Onkel XXXX mit dem ich im selben Haus gewohnt habe über Messanger vor ca. 3 Monaten.

F: Wann sind Sie aus ihrem Herkunftsstaat ausgereist?

A: legt lange. Ca. am 10.11.2015.

F: Sind Sie legal oder illegal aus ihrem Herkunftsstaat ausgereist?

A: Legal per Flugzeug.

F: Was war das ursprüngliche Ziel Ihrer Flucht?

A: Ich wollte in die Türkei. Nachgefragt: Ich hatte kein Zielland, aber ich wollte nach Europa.

F: Weshalb wollten Sie nach Europa?

A: Es war kein Leben im Irak und ich bin vom Stammvolk verfolgt.

F: Wann genau haben Sie sich entschlossen den Irak zu verlassen?

A: Ca. September oder Oktober 2015. Genau weiß ich es nicht mehr.

F.: Wo waren Sie den letzten Tag vor Ihrer Ausreise aus dem Irak und was haben Sie gemacht?

A: Bei einem Freund in XXXX in Bagdad habe ich übernachtet.

F: Wann war Ihr letzter Arbeitstag?

A: Ich kann mich nicht mehr erinnern. Nachgefragt: Es war Sommer 2015. Ich glaube im Mai oder Juni 2015.

F.: Sind Sie schlepperunterstützt nach Österreich gereist?

A.: Ja.

F. Wie viel haben Sie für die Reise bezahlt?

A: 1800 US Dollar ca.

F. Woher stammte das Geld für den Schlepper?

A.: Von meinem ersparten Geld.

F. Wer hat die Reise organisiert?

A: Ich selber.

Info an AW: Beantworten Sie die nachstehenden Fragen mit „Ja“ oder „Nein“. Sie haben später noch die Gelegenheit, sich ausführlich zu diesen Fragen zu äußern:

F.: Sind Sie im Heimatland vorbestraft?

A: Nein.

F: Waren Sie im Heimatland inhaftiert?

A: Nein.

F: Hatten Sie Probleme mit den Behörden im Heimatland?

A: Nein.

F.: Bestehen gegen Sie aktuelle staatliche Fahndungsmaßnahmen wie Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbrief, etc.?

A: Nein.

F.: Sind oder waren Sie politisch tätig?

A: Nein.

F.: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei?

A: Nein.

F: Waren Familienangehörige Mitglied einer politischen Partei?

A: Ja.

F.: Hatten Sie in ihrem Herkunftsstaat aufgrund Ihres Religionsbekenntnisses bzw. Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit irgendwelche Probleme?

A: Ja, weil ich ein Sunnit bin.

F.: Hatten Sie gröbere Probleme mit Privatpersonen (Blutfehden, Racheakte etc.)?

A: Ja. Ich habe Probleme mit meinen Verwandten und auch mit meinem Stammvolk.

F.: Nahmen Sie in Ihrem Heimatland an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teil?

A.: Nein.

F.: Schildern Sie die Gründe, warum Sie Ihr Heimatland verlassen und einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, von sich aus vollständig, detailliert und wahrheitsgemäß.

Sie werden darauf hingewiesen, dass falsche Angaben die Glaubwürdigkeit Ihres Vorbringens beeinträchtigen können.

Soweit Sie auf Ereignisse Bezug nehmen, werden Sie auch aufgefordert, den Ort und die Zeit zu nennen, wann diese stattfanden und die Personen, die daran beteiligt waren.

Sie haben jetzt auch Gelegenheit, sich zu den Fragen, die von ihnen mit „Ja“ oder „Nein“

antwortet wurden, zu äußern.

A: Ich bin dem sunnitischen Glauben beigetreten und meine Verwundeten haben dies zuerst nicht gewusst, aber wie sie darauf gekommen sind kam mein Onkel zu mir und hat mich gefragt warum ich das gemacht habe und ich habe zu ihm gesagt, dass ich mit meinen Augen sehe, dass was die machen Unrecht ist. Als ich das zu ihm gesagt habe, hat er mich mit seiner Waffe, einer Kalaschnikow, auf den Kopf geschlagen. Er hat mich auf die linke Seite meines Kopfes geschlagen. - AW zeigt auf die Stelle und man sieht eine kleine Narbe am Kopf. Er hat mich zwei Tage eingesperrt im Zimmer ohne Essen und nachher habe ich versucht wegzulaufen. Zu meinen Tanten habe ich gesagt, dass sie mich rauslassen sollen damit ich auf das WC gehen kann und bin dann weggelaufen. Ich bin zu meinem Freund und von dort an habe ich mich versteckt und woanders geschlafen bis ich ausgereist bin. Ich bekam dann später Anrufe von meiner Familie und meinem Stammvolk und sie haben mich telefonisch mit dem Umbringen bedroht. Dann habe ich das Land verlassen. Sie haben mich verfolgt in die irakisch- türkische Grenze, da ich mit dem Bus gefahren bin. Ich habe mich im Bus unter einem Sessel versteckt. Das ist mein Fluchtgrund.

F.: Gibt es noch andere Gründe, warum Sie ihren Herkunftsstaat verlassen haben?

A.: Nein.

F: Wer genau hat Sie telefonisch bedroht?

A: Einer von meinem Stammvolk namens XXXX . Er hat mich angerufen und wollte fragen wo ich mich befinde. Ich habe aber aufgelegt, da ich wusste, dass es eine Falle ist. XXXX , der ebenfalls von meinem Stammvolk ist hat mich auch angerufen und wollte wissen wo ich bin. Ebenso XXXX und XXXX . Alle wollten wissen wo ich mich befinde.

F: Wann war die erste Bedrohung?

A: Als mich mein Onkel auf den Kopf geschlagen hat und mich eingesperrt hat. Nachgefragt: Das war 2015.

Anmerkung: AW überlegt sehr lange.

Ehrlich gesagt kann ich mich nicht mehr erinnern wann das war.

F: Was hatte Ihr Onkel gesagt als er ihnen auf den Kopf geschlagen hat?

A: Er hat mich gefragt weshalb ich dem sunnitischen Glauben beigetreten bin.

F: Was war sonst noch?

A: Sonst war nichts.

F: Wer waren diese Leute namens XXXX , XXXX , XXXX …usw.?

A: XXXX und XXXX waren meine Cousins und XXXX war der Scheich der Schiiten. Nachgefragt: XXXX ist mein Onkel.

F: Ist sonst noch etwas vorgefallen, außer den telefonischen Anrufen?

A: XXXX hat den nationalen Geheimdienst verständigt und mich angezeigt.

F: Sie haben dann das Land per Bus verlassen?

A: Ja.

F: In der Erstbefragung gaben Sie aber angegeben per Flugzeug das Land verlassen zu haben?

A; Nein, das habe ich nicht gesagt.

F: Wer ist Ihnen an die Grenze gefolgt?

A: Ich habe XXXX gesehen und ihre Fahrzeuge.

F: Was ist an der Grenze passiert?

A: Als ich sie am Fenster sah, habe ich mich unter dem Sitz versteckt. Nachgefragt: Sie haben nur die PKW’ s kontrolliert und nicht die Busse,

F: Ist sonst noch etwas vorgefallen?

A: Nein. Ich habe aber vorher in einem Horrorszenario gelebt.

F: Sie reisten durch sichere Länder aus wie die Türkei und Griechenland, diese sind sicher Länder. Warum haben sie dort keinen Asylantrag gestellt und warum blieben Sie nicht in einem dieser Länder?

A: In der Türkei habe ich keinen Antrag gestellt, da ich von der Mafia entführt worden bin.

F: Weshalb sollte man Sie von der Mafia entführen?

A: Ich habe keine Ahnung. Der Schlepper hat uns Flüchtlinge an den anderen Schlepper der Mafia verkauft. Mit Gottes Hilfe ist es uns gelungen dass wir von dort weggekommen sind.

F: Hat man Sie festgehalten?

A: Sie haben uns mitgenommen mit einem Fahrzeug und wir sind mitgefahren da uns der Schlepper dies gesagt hat und wir waren dort 2 Tage ohne Essen eingesperrt. Danach haben wir unsere Schlepper nicht mehr gesehen. Nachher konnten wir von dort weg und per Taxi nach Izmir gefahren.

F. Sie sagten dass Sie vor dem Vorfall in einem Horrorszenario gelebt habe Was meinen Sie damit

A: Meine Eltern haben sich scheiden lassen als ich 5 Jahre war und ich habe bei meiner Großmutter und meinen Onkel gelebt. Mein Vater hatte im Haus nichts zu sagen. Ich wollte einige Dinge nicht machen, aber mein Onkel hat mich dazu gezwungen. Zum Beispiel hätte ich ganz früh am Morgen das Auto waschen sollen. Im Haus meines Onkels hat keiner was gemacht. Ich habe alles machen müssen. In der Stadt einkaufen usw.

F. Was ist Ihrer Familie passiert seit Sie das Land verlassen haben?

A: Mit meinem Vater habe ich keinen Kontakt und mit meiner Mutter hatte ich Kontakt. Meiner Mutter geht es gut. Ich habe mit ihr telefoniert.

F.: Was würde Sie konkret erwarten, wenn Sie jetzt in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

A: Ich werde sterben müssen, weil ich dem sunnitischen Glauben beigetreten bin und weil ich von meiner Familie bedroht wurde.

F.: Arbeiten Sie in Österreich bzw. haben Sie in der Vergangenheit in Österreich gearbeitet?

A.: Ich habe stundenweise in Österreich gearbeitet, aber eine richtige Beschäftigung habe ich nicht. Als Security in XXXX habe ich gearbeitet und bei Events ausgeholfen.

F.: Wovon leben Sie in Österreich?

A.: Von der Caritas.

F: Haben Sie Deutschkurse besucht bzw. positive Prüfungen abgelegt, können Sie Bestätigungen vorlegen?

A: Ich habe den A1 Kurs absolviert und heute eine Bestätigung hierfür.

F: Gehen Sie einer ehrenamtlich Tätigkeit nach, helfen Sie bei einer Organisation oder einer kirchlichen Gemeinschaft mit, können Sie darüber Bestätigungen vorlegen?

A: Nein.

F.: Wie sieht Ihr soziales Umfeld in Österreich aus?

A.: Ich trainiere in der Früh, weil ich Fußballer bin. Ich gehe spazieren und spiele mit meinem Handy. Ich habe österreichische Freunde und wir trinken gemeinsam Bier.

F: Haben Sie eine Freundin/Lebensgefährtin in Österreich?

A: Nein.

F. Wie stellen Sie sich die Zukunft in Österreich vor?

A: Ich möchte arbeiten und eine Familie gründen und möchte meinen Sohn anders großziehen als ich großgezogen worden bin.

F: Sind Sie in Österreich mit dem Gesetz in Konflikt geraten?

A: Nein.

F.: Ich beende jetzt die Befragung, haben Sie sämtliche Gründe, die Sie veranlasst haben, Ihr Heimatland zu verlassen, vollständig geschildert?

A.: Ja. Ich habe alles erzählt.

F.: Wurde Ihnen ausreichend Zeit eingeräumt, Ihre Probleme vollständig und so ausführlich, wie Sie es wollten, zu schildern?

A.: Ja.

F.: Wollen Sie noch etwas angeben, was Ihnen besonders wichtig erscheint.

A.: Nein. Ich habe sonst nicht zu sagen. Das über meinen Fluchtgrund habe ich schon erzählt.

F.: Sind Sie, falls notwendig, mit amtswegigen Erhebungen vor Ort unter Wahrung Ihrer Anonymität, eventuell unter Beiziehung der Österreichischen Botschaft und eines Vertrauensanwaltes/Vertrauensperson einverstanden?

A.: Ja.

F: Wie heißt Ihr Onkel, der Ihnen auf den Kopf geschlagen hat?

A: XXXX .

F: Was genau meinten Sie damit als Sie zu Ihren Onkel gesagt haben, dass es unrecht ist was mit den Leuten gemacht wird?

A: Ich habe gesagt weshalb sie von den Leuten Schutzgeld verlassen und sie die Leute vertreiben lassen.

F: Wer hat Schutzgelder verlangt bzw. die Leute vertrieben?

A: Das schiitische Stammvolk ist so wie die Milizen. Sie halten die Leute auf und verlangen Schutzgeld.

F: Hat das von Ihrer Familie jemand gemacht?

A: Ja. XXXX hat das gemacht. Er hat jemanden festgenommen und auch Schutzgeld verlangt.

F: XXXX gehört ja nicht zu Ihrer Familie, oder?

A: XXXX hat ea auch gemacht gemeinsam mit dem Stammvolk.

F: Definieren Sie den Begriff Stammvolk.

A: Unser Stammvolk nennt sich XXXX .

Anmerkung: Es wird nun rückübersetzt, und dem AW mitgeteilt, auf eventuelle Unrichtigkeiten hinzuweisen.

F.: Haben Sie den Dolmetscher während der g e s a m t e n Einvernahme einwandfrei verstanden?

A.: Ja.

F.: Hat der Dolmetscher das rückübersetzt, was Sie gesagt haben?

A.: Ja.

…“

2. Mit Bescheid vom 25.04.2018, Zahl XXXX , wies das BFA den Antrag (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (AsylG) bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak ab. Das BFA erteilte (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ (IV.) gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG, stellte (V.) gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (VI.) aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Das BFA gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Ein relevantes, die öffentlichen Interessen übersteigendes, Privat- und Familienleben würde nicht vorliegen.

Mit Verfahrensanordnung vom 25.04.2018 wurde der bP ein Rechtsberater von Amts wegen zur Seite gestellt.

3. Gegen den genannten Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Dabei wurde insbesondere ausgeführt, dass sich die Widersprüche zwischen Erstbefragung und behördlicher Einvernahme daraus ergeben würden, dass die Erstbefragung sehr kurz gehalten wurde und sich nicht näher auf die Fluchtgründe zu beziehen habe. Anzumerken sei auch, dass in der Erstbefragung ein kurdischer Dolmetscher beigezogen worden sei und es daher nicht auszuschließen sei, dass es bei der Übersetzung zu Missverständnissen gekommen sei. Die bP wolle nun klarstellen, dass ihr Onkel und die Verwandten, die sie bedroht hätten, der in der Erstbefragung erwähnten militanten Gruppe angehören würden. Darüber hinaus wurde auf die schlechte Sicherheitslage im Irak verwiesen und vorgebracht, dass die bP eine Arbeitsstelle habe. Eine Kopie des Dienstausweises wurde der Beschwerde beigefügt.

4. Am 01.06.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch. Die bP ist unentschuldigt nicht zur Verhandlung erschienen und entsandte auch keinen Vertreter. Das BFA blieb entschuldigt fern. Es erfolgte der Aufruf zur Sache um 08:30 Uhr. Es wurde anschließend zugewartet und die Sache erneut um 09:00 Uhr noch einmal aufgerufen. Nach erneutem Aufruf zur Sache, ordnete der Richter aufgrund des unentschuldigten Nichterscheinens der bP die Verhandlung in Abwesenheit der bP an.

Mit der Ladung wurde die beschwerdeführende Partei bereits umfassend auf ihre Mitwirkungsverpflichtung im Beschwerdeverfahren hingewiesen und sie zudem auch konkret aufgefordert, insbesondere ihre persönlichen Fluchtgründe und sonstigen Rückkehrbefürchtungen durch geeignete Unterlagen bzw. Bescheinigungsmittel glaubhaft zu machen, wobei eine demonstrative Aufzählung von grundsätzlich als geeignet erscheinenden Unterlagen erfolgte.

Zugleich mit der Ladung wurden der beschwerdeführenden Partei ergänzend Berichte zur aktuellen Lage im Irak übermittelt bzw. namhaft gemacht, welche das BVwG in die Entscheidung miteinbezieht. Eine schriftliche Stellungnahmefrist bis zum Verhandlungstermin oder eine Stellungnahmemöglichkeit in der Verhandlung wurden dazu eingeräumt. Eine schriftliche Stellungnahme wurde nicht abgegeben.

Das Erkenntnis wurde nach Schluss des Beweisverfahrens mündlich verkündet.

Mit 10.06.2021 stellte die beschwerdeführende Partei den Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses und erklärte, dass ihr zwar seitens des Bundesverwaltungsgerichts Länderberichte übermittelt worden seien, sie jedoch darin keine Ladung vorgefunden habe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Die bP ist irakische Staatsangehörige, führt den im Spruch angeführten Namen und das dort angeführte Geburtsdatum, gehört der arabischen Volksgruppe und der muslimischen Glaubensgemeinschaft schiitischer Glaubensausrichtung an. Sie stammt aus Bagdad, Stadtteil XXXX , Bezirk XXXX . Ihre Identität steht fest. Die bP ist ledig und hat keine Kinder.

In Bagdad lebte die bP zusammen mit ihrer Großmutter väterlicherseits, fünf Onkeln und zwei Tanten in einem Haus. Die bP besuchte sieben Jahre lang die Schule, brach diese im Jahr 2007 ab und ging anschließend verschiedenen Tätigkeiten nach. Sie arbeitete in einem Handy-Reperaturgeschäft, als Bäcker, als Installateurgehilfe, als Schlosser und verrichtete noch weitere Hilfsarbeitertätigkeiten. Die bP war bis zur Ausreise aus dem Irak in der Lage, im Herkunftsstaat ihre Existenz zu sichern. Die bP reiste am 15.11.2015 legal mit dem Flugzeug aus dem Irak aus und Mitte Dezember 2015 in Österreich ein. Die Reise finanzierte die bP von ihrem im Irak ersparten Geld.

Die bP verfügt im Herkunftsstaat noch über ein familiäres bzw. verwandtschaftliches Netz. Ihre Eltern, ihre Großmutter, ihre Schwester, zwei Stiefschwestern sowie 11 Onkel und 7 Tanten leben noch im Herkunftsort. Ihre Eltern sind geschieden. Ihr Vater hat ein Second-Hand Geschäft. Ihre Mutter hat wieder geheiratet. Ihre Schwester ist ebenfalls verheiratet. Die finanzielle Lage der Verwandten im Irak war mittelmäßig. Die bP hält zwar keinen regelmäßigen Kontakt zu ihren Familienangehörigen, mit ihrer Mutter und einem Onkel hatte sie aber nach ihrer Ausreise aus dem Irak telefonischen Kontakt.

Im März 2018 war die bP aufgrund einer Hautallergie in Behandlung. Aktuell liegen keine relevanten behandlungsbedürftigen Krankheiten vor. Die bP ist arbeitsfähig.

Die bP geht in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nach und ist zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes in Österreich seit ihrer Ankunft beinahe durchgängig auf staatliche Zuwendungen angewiesen. Die bP war im Besitz einer Gewerbeberechtigung „Hausbetreuung“ und hat damit kurzfristig selbstständig gearbeitet. Am 15.06.2018 erfolgte eine Abmeldung der bP aus der Grundversorgung aufgrund ihrer selbstständigen Erwerbstätigkeit. Am 26.07.2018 ersuchte die bP wieder um einen Quartierplatz aufgrund der Beendigung der selbstständigen Erwerbstätigkeit. Seither bezieht die bP laufend Leistungen aus der Grundversorgung.

Die bP hat am 07.11.2017 eine Deutschprüfung des Österreichischen Integrationsfonds auf dem Niveau A1 bestanden.

Die bP hat keine Familienangehörigen oder Verwandten in Österreich. Sie befindet sich aktuell in keiner Beziehung. Die bP hat österreichische Freunde, mit welchen sie gemeinsam Bier trinkt. Ansonsten verbringt sie ihre Freizeit damit Fußball zu spielen, spazieren zu gehen und mit ihrem Handy zu spielen. Besonders enge Freundschaften wurden im Verfahren nicht vorgebracht, ebenso wenig wie Unterstützungsschreiben. Mitgliedschaften in Vereinen wurden keine vorgebracht und auch keine ehrenamtlichen Tätigkeiten der bP. Strafrechtliche Verurteilungen liegen in Österreich nicht vor.

Die bP verletzte im Verfahren ihre Mitwirkungspflichten und erschien unentschuldigt nicht zur mündlichen Verhandlung.

1.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates:

Die von der bP vorgebrachten Fluchtgründe werden den Feststellungen nicht zugrunde gelegt.

Die bP hat nicht glaubhaft dargelegt und kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass sie vor ihrer Ausreise aus ihrer Heimat in dieser einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder sie im Falle ihrer Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wäre oder in eine lebens- bzw. existenzbedrohliche Notlage geraten würde.

Weiters kann nicht festgestellt werden, dass die Familienangehörigen der bP dieser ablehnend bzw. feindselig gegenüberstehen.

1.3. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ

1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a). An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018). Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a). Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.03.2020).

Die im Irak anhaltenden sektiererischen Spannungen führten zum Aufstieg von Da'esh (auch als islamischer Staat bekannt), einer militanten Salafi Dschihadistengruppe, die einer fundamentalistischen Version des sunnitischen Islam folgt. Der IS besetze große Teile des Irak im Jahr 2014. Auf seinem Höhepunkt besaß der IS ungefähr 40 Prozent des irakischen Territoriums. Während seiner Besatzung verübte er zahlreiche Gräueltaten, insbesondere gegen Minderheitengruppen, einschließlich Massenmord und sexuelle Versklavung. Der IS besiegte die irakischen Sicherheitskräfte in mehreren Schlachten und kam 50 Kilometer bis an Bagdad heran, bevor er von den regulären irakischen Streitkräften gestoppt werden konnte, unterstützt von einer durch die USA geführten Internationalen Koalition und irregulärer Volksmobilisierungskräfte (PMF). Nach drei Jahren Konflikt erklärte die Regierung im Dezember 2017 den endgültigen Sieg über den IS, nachdem die letzten vom IS kontrollierten Gebiete entlang der syrischen Grenze zurückerobert worden waren. Der Konflikt mit dem IS hat die irakische Wirtschaft erheblich geschädigt und der IS stellt weiterhin eine Sicherheitsbedrohung innerhalb des Landes dar (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 17.08.2020, S. 9).

Demografische Daten für den Irak sind unzuverlässig, aber die meisten Schätzungen gehen davon aus, dass die Bevölkerung des Landes zwischen 38 und 40 Millionen liegt. Das geschätzte Bevölkerungswachstum des Landes liegt bei rund 2,8 Prozent pro Jahr und liegt damit in den Top 20 der am schnellsten wachsenden Länder weltweit. Der Irak ist ein junges Land: Fast 60 Prozent der Iraker sind den Berichten zufolge unter 25 Jahre alt. Ungefähr 70 Prozent der Iraker leben in städtischen Gebieten. Der Irak hat eine 3-prozentige jährliche Urbanisierungsrate. Bagdad ist die Hauptstadt und größte Stadt mit einer Bevölkerung zwischen 6 und 7 Millionen Einwohner. Die Städte Basra und Mosul haben beide mehr als 2 Millionen Einwohner, während Erbil, Kirkuk, Sulaymaniyah und Hilla jeweils mehr als 1 Million Einwohner haben. Die irakische Bevölkerung ist stark konzentriert im Norden, in der Mitte und im Osten des Landes, mit vielen größeren städtischen Ballungsräumen entlang der ausgedehnten Teile des Tigris und des Euphrat. Ein Großteil der westlichen und südlichen Gebiete des Irak ist Wüste und dünn besiedelt oder unbewohnt (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 17.08.2020, S. 10).

Die irakische Verfassung garantiert grundlegende Menschenrechten einschließlich Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Chancengleichheit, Privatsphäre, Unabhängigkeit der Justiz, Versammlungsfreiheit, Freiheit der Religionsausübung und Schutz der Kultstätten, Vereinigungs- Gedanken- und Meinungsfreiheit. Zahlreiche Gesetze schützen diese verfassungsmäßige Freiheiten. Artikel 2 Absatz 1 der Verfassung besagt, dass der Islam die offizielle Religion des Staates ist. Der zweite Teil von Artikel 2 garantiert das Recht auf Glaubens- und Religionsfreiheit, insbesondere unter Erwähnung von Christen, Jesiden und Sabäer-Mandäer (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 17.08.2020, S. 18, 26).

Artikel 102 der Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der irakischen Hohen Kommission für Menschenrechte (IHCHR), die vom Repräsentantenrat überwacht wird. Das Gesetz über die Tätigkeit des IHCHR sieht 12 Vollzeitkommissare und drei Reservekommissare mit einer Laufzeit von vier Jahren vor. Das Gesetz überträgt der IHCHR eine breite Befugnis, einschließlich des Rechts auf Empfang und Untersuchung von Menschenrechtsbeschwerden, Durchführung unangekündigter Besuche in Justizvollzugsanstalten und Überprüfung der Gesetzgebung. Die Unabhängige Menschenrechtskommission der Region Kurdistan (IHRCKR) führt ein ähnliches Verfahren durch. Beide Organisationen veröffentlichen regelmäßig Berichte zu Menschenrechtsfragen und führen Schulungen für staatliche Sicherheitsbehörden durch (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 17.08.2020, S. 18, 19).

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt. Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen. Im Juli 2019 begann die „Operation Will of Victory“, an der irakische Streitkräfte (ISF), Popular Mobilizations Forces (PMF), Trival Mobilization Forces (TMF) und Kampfflugzeuge der US-geführten Koalition teilnahmen. Die mehrphasige Operation hat die Beseitigung von IS-Zellen zum Ziel. Die zivilen Todesopfer im gesamten irakischen Gebiet belaufen sich im Jahr 2017 auf 13.183, im Jahr 2018 auf 3.319 und von Jänner bis inkl. September 2019 auf 1.542. Es handelt sich dabei im vorläufige Zahlen, andere sind nicht verfügbar.

Der IS hat im April 2020 eine neue Gewaltoffensive gestartet, die in der dritten Woche des Mai ihren Höhepunkt erreichte. Es wurden dabei die gleich hohe Anzahl von Attacken wie zuletzt zur selben Zeit 2018. In der vierten Mai-Woche gingen die Attacken wieder zurück (Musings on Iraq, 01.06.2020).

Die Gewalt im Irak erreichte in der vierten Juniwoche einen Tiefpunkt. Die Angriffe des Islamischen Staates waren dort einstellig. Vom 22. bis 28. Juni 2020 wurden in den Medien im Irak insgesamt 10 Sicherheitsvorfälle gemeldet. Einer davon war ein Raketenangriff auf den Internationalen Flughafen Bagdad von pro-iranischen Gruppen, die hoffen, inmitten der amerikanisch-irakischen Verhandlungen um eine neue Sicherheitsvereinbarung, eine Nachricht an die USA zu senden. Das waren nur 9 Vorfälle des Islamischen Staates. Dies war die niedrigste Zahl seit 8 Vorfällen in der zweiten Woche im November 2019.

Gewalt trat nur in vier Provinzen auf. Es gab jeweils einen Vorfall in Kirkuk und Salahaddin, zwei in Bagdad und sechs in Diyala. 8 Menschen starben und 13 wurden verwundet. Das waren 2 Hashd al-Shaabi und 6 Polizisten, die ihr Leben verloren haben, zusammen mit 5 Polizisten und 8 Hashd, die verletzt wurden. Die Sicherheitskräfte waren weiterhin das Hauptziel der Militanten. Jetzt versucht der IS, seine militärische Dominanz über die ländlichen Gebiete, in denen er arbeitet, durch Einschüchterung der Armee, Polizei und Hashd zu behaupten. Alle Opfer gab es in Salahaddin mit 10 und Diyala mit 11. Anbar bleibt ein Schwerpunkt der Regierung. In der vergangenen Woche gab es 7 Sicherheitsoperationen. In der folgenden Woche gab es gerade eine in der Wüstenregion Nukhaib im Süden an der Grenze zu Nadschaf. Die Provinz sieht relativ wenig aufständische Aktivitäten, ist aber die Hauptschmuggelroute des IS.

Es gab zwei Zwischenfälle in Bagdad. Neben dem Raketenangriff warf ein Polizist zwei Granaten auf sein Haus im Adhamiya Distrikt im Norden. Im Juni wurden fast alle Angriffe, 8 von 10, im Gouvernement der Hauptstadt von proiranischen Gruppen durchgeführt, die Raketen in Bereichen abfeuerten, in denen amerikanisches Personal untergebracht ist. Dies führte dazu, dass die Regierung die Büros der Kataib Hisbollah überfiel, die dafür verantwortlich gemacht wurde.

Diyala ist die Hauptbasis für den Aufstand im Irak. Es war diesen Monat relativ ruhig, weil die Regierungstruppen anwesend waren. Während der Woche gab es sechs Vorfälle, die meisten in diesem Monat. Dazu gehörten zwei Städte im Waqf-Becken, welche von Mörsern getroffen wurden, zwei Angriffe auf Kontrollpunkte, ein Angriff auf ein Dorf und es wurde ein Polizist erschossen. All dies geschah im Muqdadiya Bezirk in der Mitte. Die Regierung startete außerdem sechs Operationen im Norden, Süden, Nordosten und Zentrum. Die Hälfte davon war auf wenige Dörfer beschränkt, während die anderen größere Regionen abdeckten. Die Kerngebiete des Islamischen Staates in Muqdadiya und Khanaqin wurden jede Woche durchsucht, was erklärt, warum die Vorfälle relativ gering waren. Die stetigen Operationen in letzter Zeit haben dazu geführt, dass nicht so viele Angriffe wie üblich ausgeführt werden konnten.

Im südlichen Makhmour-Distrikt von Erbil gab es eine Sicherheitsoperation. Seit einigen Monaten trifft der IS diesen Bereich, weil es ein umstrittenes Gebiet ist und es Lücken in der Berichterstattung zwischen den irakischen Streitkräften und Peshmerga gibt.

Die dritte Phase der Heroes of Iraq-Kampagne begann Anfang der Woche in Salahaddin. Vier verschiedene Bereiche in der Mitte und im Osten waren betroffen. Es wurden mehrere IEDs entdeckt, die 2 Hashd töteten und 8 weitere verwundeten.

Es gab keine Zwischenfälle in Kirkuk oder Ninewa und keine Regierungsaktivitäten. Dies war ein weiteres Zeichen dafür, dass sich der IS im Juni reduzierte. Der Rückgang der Ereignisse im Juni zeigt, dass der Aufstand militärisch immer noch sehr begrenzt ist und große Operationen nicht lange aufrechterhalten werden können. Die Regierung war auch sehr aggressiv (Musings on Iraq, 30. Juni 2020).

Die Gewalt im Irak ist auf ein sehr niedriges Niveau zurückgekehrt. In der dritten Woche in Folge gab es kaum Vorfälle. Das kam nachdem der Islamische Staat von April bis Mai eine neue Offensive angekündigt hatte, bei der die Angriffe auf das Niveau von 2018 stiegen. Die Regierung startete auch eine aggressive Reihe von Sicherheitsmaßnahmen, die auch die Operationen der Aufständischen niedrig gehalten haben.

Vom 15. bis 21. Juni wurden in den Medien nur 16 Sicherheitsvorfälle gemeldet. Das war die gleiche Zahl wie in der Woche zuvor. Zwei von den Vorfällen waren pro-iranische Gruppen, die Raketen auf Ziele in Bagdad abfeuerten, in denen Amerikaner untergebracht waren, sowie ein Dritter, bei welchem Raketen entdeckt wurden, bevor sie ins Leben gerufen wurden. Diese Art von Angriffen entstand, als die irakische Regierung Gespräche über eine neue Sicherheitsvereinbarung mit den Vereinigten Staaten aufgenommen hat. Teheran versucht die Botschaft zu senden, dass die Amerikaner jederzeit ins Visier genommen werden können und das Land verlassen sollten. Damit blieben 13 Vorfälle durch den IS wahrscheinlich, gegenüber 12 in der Woche zuvor und 17 in der ersten Juniwoche.

Die Vorfälle verteilten sich auf nur fünf Provinzen, eine in Kirkuk, vier in Bagdad und Diyala, zwei in Ninewa und fünf in Salahaddin. Diese führten zu 11 Todesfällen und 19 Verwundeten. 1 Zivilist, 4 irakische Sicherheitskräfte (ISF) und 6 Hashd al-Shaabi kamen ums Leben, weitere 5 Sicherheitskräfte, 7 Zivilisten und 7 Hashd wurden verletzt. Salahaddin hatte mit 19 die meisten Verluste, gefolgt von 6 in Diyala, 4 in Ninewa und 1 in Bagdad. Obwohl die Verluste gering waren, litten die Sicherheitskräfte mehr als die Zivilbevölkerung darunter, was in den letzten zwei Monaten eine entscheidende Veränderung war. Es scheint, dass der IS versucht, die militärische Überlegenheit gegenüber den ländlichen Gebieten, in denen sie tätig sind, zu etablieren, indem sie danach streben die Polizei, Armee und Hashd einzuschüchtern. Seit der IS letztes Jahr sein letztes Stück Territorium in Syrien verloren hat, zieht er Männer und Material aus dem Land in den Irak, weitgehend über Anbar. Als Reaktion darauf tätigt die Regierung ständige Sicherheitsoperationen in den großen unbewohnten Gebieten der Provinz. Dort gab es sieben solche während der Woche durch die Wüstengebiete, die Grenze und das Hit-Viertel.

In Diyala gab es während der Woche vier Zwischenfälle. Eine Militärpatrouille wurde von einem IED getroffen, eine Gruppe von Zivilisten wurde angegriffen, ein IS-Scharfschütze tötete einen Hashd und verwundete einen Soldaten, alles im Bezirk Muqdadiya im Zentrum. Ein Infiltrationsversuch wurde im Bezirk Khanaqin im Nordosten vereitelt. Diese Provinz ist das Zentrum der IS-Aktivitäten im Irak, weshalb es regelmäßig zu einer hohen Anzahl von Vorfällen kommt.

3 Personen, die Wochen zuvor entführt worden waren, wurden von den Sicherheitskräften in einem Dorf im Bezirk Daquq im Süden von Kirkuk gerettet. Der IS wurde nie aus der südlichen Region des Gouvernements vertrieben, weshalb sich dort fast alle Vorfälle ereignen. In Ninewa führten zwei IEDs, die sich gegen Zivilisten richteten, zu insgesamt vier Verwundeten. Beide ereigneten sich im Bezirk Qayara südlich von Mosul. Salahaddin war das gewalttätigste Gebiet im Irak. Es gab fünf Vorfälle, darunter IEDs, die auf einen Armeekonvoi und eine Hashd-Patrouille abzielten. Der Anführer von Hashd wurde ermordet und es wurde auf einen Kontrollpunkt geschossen. Das größte Ereignis war jedoch ein Angriff auf ein Hashd-Hauptquartier im Samarra Bezirk, der 6 Opfer hinterließ. Der IS hat in den letzten Wochen seine Aktivitäten in der Provinz stark aufgenommen. Als Antwort gab es eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen, drei im Osten, eine im Westen von Samarra im Zentrum und die letzte in Yathrib im Süden (Musings on Iraq, 23. Juni 2020).

Die Winterruhe setzte sich bis März fort. Von 08. bis 14. März wurden insgesamt nur 12 Vorfälle gemeldet. Zwei davon waren von pro-iranischen Gruppen, die nur 10 vom Islamischen Staat. Seit November sind IS-Vorfälle im einstelligen Bereich. Mit dem Iran verbündete Fraktionen trafen zwei Konvois, die Vorräte für die USA transportierten. Einer war in Anbar und der andere in Diwaniya. Es war das erste Mal, dass ein IED-Angriff in Anbar stattfand. Dies zeigte, dass pro-iranische Gruppen ihre Operationen auf den Irak ausweiten. Die 10 IS-Vorfälle ereigneten sich in Bagdad (1), Kirkuk (2), Ninewa (2), Salahaddin (2) und Diyala (3). 13 Menschen wurden getötet, bestehend aus 1 Hashd al-Shaabi, 4 irakischen Sicherheitskräften und 8 Zivilisten. Weiter 15 wurden verwundet, bestehend aus 7 Zivilisten und 8 ISF. Salahaddun hatte mit 10 die meisten Opfer. In Bagdad wurde eine Granate auf eine Menschenmenge auf einer Brücke in Khadimiya geworfen, wo sich ein schiitischer Schrein befindet. 1 Person wurde getötet und drei wurden verletzt. Es ist unklar, wer dafür verantwortlich war, aber wenn es der IS war, wäre es das zweite Mal, dass er einen Angriff innerhalb der Stadt in den letzten Wochen durchgeführt hat. Normalerweise trifft es nur die Städte am Rande der Provinz. Es gab 3 Vorfälle in Diyala. Ein Anwalt überlebte ein Attentat, ein Soldat wurde von einem Scharfschützen getötet und wurde eine Granate auf ein Haus geworfen. In Kirkuk verwundete ein IED 7 Polizisten. Die Militanten griffen auch einen Armee-Regimestützpunkt an und ließen 1 Soldaten tot und 1 verletzt zurück. Der IS hat ein Lager im Süden des Gouvernements, aber es war ruhig in den letzten Monaten. Es gab einen IED und eine Schießerei mit der Armee in Ninewa, als eine Gruppe von IS-Kämpfern versuchte, aus Syrien zu infiltrieren. Wie Kirkuk hat auch diese Provinz einen dramatischen Rückgang der Gewalt erlebt. In Salahaddin drang eine Gruppe von ISF-Kämpfern in ein Haus ein und massakrierte 7 Menschen, tötete einen Polizisten und verletzte einen weiteren. Ein Hashd-Kämpfer wurde ebenfalls von einem Scharfschützen getötet (Musings on Iraq, 16.März 2021).

ACLED weist im aktuellsten Bericht vom 28.10.2020 betreffend das 2. Quartal für das Gouvernement Bagdad, mit seinen ca. 11.8 Millionen Einwohner insgesamt 71 sicherheitsrelevante Vorfälle auf, wobei über 19 Todesopfer berichtet wurde. Folgende Gebiete waren betroffen: Al Wahdah, Al Yusufiyah, Ar Rashidiyah, At Tarmiyah, Az Zaydan, Baghdad, Baghdad - Adhamiya, Baghdad - Al Rashid, Baghdad - Kadhimiya, Baghdad - Karadah, Baghdad - Karkh, Baghdad - Mansour, Baghdad - Rusafa, Baghdad - Sadr City, Baghdad International Airport, Madain, Nahrawan, Taji, Zawbaa.

EASO, Country of Origin Information Report, Iraq: Security situation, v. Oktober 2020, führt nachfolgende Anzahl an Vorfälle im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten und zivilen Opfern im Gouvernorat auf: Jänner-Dezember 2019: 42 Vorfälle, 37 Tote, 13 Verletzte. Jänner-Juli 2020: 4 Vorfälle, 3 Tote, 5 Verletzte.

Wenn man vor allem die hohe Bevölkerungszahl der Stadt (ca. 7,6 Millionen) bzw. Provinz (ca. 11,8 Millionen) zu der Anzahl der Vorfälle in Bezug setzt, ist die Wahrscheinlichkeit von Angriffen betroffen zu sein, auch unter Berücksichtigung einer lebensnahen Dunkelziffer von nicht bekannt gewordenen Vorfällen, ohne Hinzukommen qualifizierender bzw. exponierender Umstände, im Regelfall als nicht sehr hoch einzuschätzen.

Aus dem ecoi.net-Themendossier zu Schiitische Milizen im Irak, Stand 02.10.2020, ergibt sich, dass Quellen auf mehrere Wirkungsfelder der Milizen in Bagdad hindeuten. Sie konkurrieren mit offiziellen Sicherheitskräften, haben Mitglieder beziehungsweise Verbündete in wichtigen politischen Ämtern und sind teilweise für Übergriffe auf StadtbewohnerInnen verantwortlich:

Laut dem EASO-Bericht zur Sicherheitslage im Irak vom März 2019 befinden sich die Stadt Bagdad und ihre Vororte generell unter staatlicher Kontrolle, in der Praxis teilen sich jedoch die Behörden die Bereiche Verteidigung und Strafverfolgung mit den zumeist schiitischen PMF, was zu unvollständiger oder sich mit den Milizen überschneidender Kontrolle führt (EASO, März 2019, S. 75xxi).

Dem Country Fact Sheet Iraq 2019 der IOM zufolge führt die irakische Regierung Berufsbildungsprogramme durch, um die Arbeitslosigkeit zu senken, das Qualifikationsniveau zu heben und „den Bedarf des entstehenden Privatsektors“ zu decken. Rückkehrer können beim Ministerium für Arbeit und Soziales Unterstützung beantragen; hierzu müssen sie ihre Identitätskarte und ihre Lebensmittelkarte sowie verschiedene andere Dokumente vorlegen, um sich beim Ministerium registrieren zu lassen (EASO, Irak, Zentrale sozioökonomische Indikatoren für Bagdad, Basra und Erbil, Sept 2020).

Im November 2019 berichtete REACH über offizielle Pläne und Strategien für den Schutz und die Förderung der Beschäftigung von Frauen. Hierzu zählten der nationale Aktionsplan für die Umsetzung der Resolution 1325 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, die nationale Strategie zur Verbesserung des Status irakischer Frauen für den Zeitraum 2014 bis 2018 und das irakische Arbeitsgesetz aus dem Jahr 2015. REACH gelangte zu dem Schluss, das ungeachtet dieser Bemühungen insbesondere im Privatsektor erhebliche Diskrepanzen bei der Umsetzung dieser Strategien zu beobachten waren. Im nationalen Entwicklungsplan 2018–2022 des Irak wurden zahlreiche Probleme genannt, die einer wirksamen Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt entgegenstehen. Hierzu zählten die „unzureichende Durchführung der Gesetze zur Befähigung von Frauen zur Selbstbestimmung“ aufgrund gesellschaftlicher und kultureller Faktoren, die Abschaffung der Ministerien für Frauen und Menschenrechte und die zahlreichen gegen das Personenstandsgesetz verstoßenden Praktiken, wie beispielsweise die Kinderehe. Als weitere Hindernisse für die Beschäftigung von Frauen wurden die unzureichende Berücksichtigung geschlechterspezifischer Aspekte im Staatshaushalt, die Diskriminierung von Frauen im Zusammenhang mit ihren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rollen, die steigende Zahl der Witwen und Waisen sowie das niedrige Bildungsniveau und die unzureichenden Qualifikationen von Frauen genannt.

Zu den im Plan festgelegten Zielsetzungen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Frauen zählten unter anderem die Steigerung der Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt durch Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen und die Erleichterung der Kreditaufnahme.

Mit Blick auf den Privatsektor wurde das Ziel vorgegeben, die Vergabe von Kleinkrediten an Frauen zu fördern und verstärktes Augenmerk auf die Durchführung des Frauen betreffenden Kapitels des irakischen Arbeitsgesetzes Nr. 37/2015 zu legen. Die UNAMI stellte fest, dass sich Faktoren wie Gewalt, Unsicherheit, die gesellschaftlichen Ansichten über Frauen und die unzureichende Wahrnehmung der staatlichen Aufgaben nachteilig auf „die Rolle der irakischen Frauen beim Wiederaufbau des Landes“ ausgewirkt haben. Darüber hinaus waren irakische Frauen in der Regel stark von der unzuverlässigen Stromversorgung betroffen, die „das Einkommen und die Produktivität der von Frauen geführten kleinen Unternehmen beeinträchtigt und [...] Frauen davon abhält, sich weiterzubilden oder einer Erwerbstätigkeit nachzugehen“. In einer von der Weltbank in der RKI durchgeführten Erhebung gaben mehr als 70 % der befragten Männer und Frauen an, dass die Beschäftigung von Frauen im Privatsektor akzeptabel sei. Zudem erklärten mehr als 50 % der befragten arbeitslosen Frauen, arbeiten zu wollen. Was die Art der Beschäftigung betrifft, so waren in der Stadt Erbil 82,3 % der erwerbstätigen Frauen im öffentlichen Sektor und 10,5 % im privaten Sektor beschäftigt, 2,9 % waren selbstständig und 1,9 % verdienten ihren Lebensunterhalt als Tagelöhnerinnen. Dem Ausblick 2020 für die RKI zufolge sind etwa 80 % der erwerbstätigen Frauen in der RKI im öffentlichen Sektor beschäftigt. Weiter wurde eingeräumt, dass „kulturelle Aspekte den gleichberechtigten Zugang von Frauen zu Ressourcen und Führungspositionen in der Gesellschaft nach wie vor einschränken“. Dem Ausblick zufolge gab die Mehrheit der Frauen in der RKI an, nicht über die für eine Beschäftigung erforderliche Qualifikation zu verfügen. Als Zielsetzung für die KRG wurde festgelegt, „das Geschlechtergefälle bei der Lese- und Schreibkompetenz und den Schulbesuchsquoten zu verringern“ und „die Gleichberechtigung der Frauen bei allen gesellschaftlichen Aktivitäten zu gewährleisten“ (EASO, Irak, Zentrale sozioökonomische Indikatoren für Bagdad, Basra und Erbil, Sept 2020).

Stammeszugehörigkeit – sonstige Unterstützungsnetzwerke:

Im Irak gibt es ungefähr 150 Stämme, die unterschiedlich groß und einflussreich sind. Die traditionellen Stammesstrukturen im Irak sind grds. durch gesellschaftliche und politische Loyalitäten bestimmt. Irakische Stämme sind soziale Institutionen, die ihren Mitgliedern helfen können Arbeit zu finden, sich staatliche Dienstleistungen zu sichern, und sie vor externen Bedrohungen schützen. Solidarität, Loyalität und Schutz gehen jedoch auch mit Verpflichtungen gegenüber dem Stamm einher. Stämme haben ihre eigenen Mechanismen der Konfliktregelung (innerhalb des Stammes und zwischen zwei oder mehreren Stämmen) und eigene Konzepte von Ehre, Versöhnung und Reintegration (BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Stammeszugehörigkeit, Stammesausschluss, Strafe wegen Alkoholverkauf, 7. November 2018 (https://www.ecoi.net/en/file/local/1450510/5818_1542179189_irak-mr-min

stammeszugehoerigkeit-stammesausschluss-strafe-wegen-alkoholverkaufs-2018-11-07-ke.doc).

In einer Anmerkung zu dem 2019 veröffentlichten Bericht des EASO über die zentralen sozioökonomischen Indikatoren im Irak erklärte Dr. Chatelard, dass Patronage oder Klientelismus eine strukturierende Kraft in der irakischen Gesellschaft ist und die Inanspruchnahme nichtstaatlicher Unterstützungsnetzwerke die häufigste Bewältigungsstrategie darstellt, die sich alle Schichten der Bevölkerung zu eigen machen, um Zugang zu sozialem Schutz und wirtschaftlichen Ressourcen zu erhalten. Aufgrund des Fehlens von Rechtsstaatlichkeit und eines gerechten Systems für die Verteilung öffentlicher Güter (einschließlich der Gewährleistung der persönlichen Sicherheit) erfordert der Zugang zu diesen Gütern die Vermittlung politischer Machthaber, religiöser Persönlichkeiten und anderer einflussreicher Personen, die die Interessen ihrer Anhängerschaft vertreten und als Gegenleistung Loyalität einfordern. „Familiäre Bindungen (die sich auf Stammesebene fortsetzen), Verbindungen innerhalb der Religionsgemeinschaften, politischen Parteien, bewaffneten Gruppen oder Milizen sowie alle anderen Beziehungen, die Menschen mit einem gewissen Maß an Vertrauen (zu Nachbarn, Arbeitskollegen, früheren Klassenkameraden oder Angehörigen der ethnisch-religiösen Gemeinschaft) aufbauen, können genutzt werden, um eine Stelle zu finden, Verwaltungsverfahren zu vereinfachen, einen Antrag auf Sozialhilfe zu beschleunigen, Zugang zu einer besseren Gesundheitsversorgung zu erhalten, sich Geld zu leihen usw.“

„Wasta“ ist ein System, bei dem „unterschiedliche Akteure, die außerhalb des formalen politischen Systems Einfluss ausüben, wie etwa Geschäftsleute, in die Regierungsführung einbezogen werden“, wobei Loyalitäten und Verbindungen Geltung verschafft wird. Das Stammesdenken spielt landesweit im Rahmen des Wasta-Systems eine komplexe Rolle. Nach Angaben des Thinktank „The Conversation“ kam das Wasta-System, „innerhalb dessen man jenen Gefälligkeiten erweist, denen man wohlgesonnen ist und nahesteht, wie etwa Freunden und Familienangehhörigen“, weiterhin den irakischen Eliten zugute, die sich dieses System zulasten der Mehrheit der Bevölkerung, die nach wie vor zu kämpfen hatte, zunutze machten. REACH berichtete, dass in den zuvor vom ISIL kontrollierten Gebieten 407 der 499 an den Erhebungen und Fokusgruppendiskussionen beteiligten Frauen „angaben, Freunde, Familienangehörige und Netzwerke bei der Suche nach Arbeit um Hilfe gebeten zu haben“. Beziehungen waren unverzichtbar, um sich einen Arbeitsplatz im öffentlichen Sektor zu sichern, wobei Binnenvertriebene eher auf Freunde und Verwandte zurückgriffen als auf politische Verbindungen. In einem am 23. Oktober 2019 veröffentlichten Bericht, für den mehr als 1 250 Haushalte in Mossul und Tal Afar befragt wurden, stellte der DRC fest, dass der Aufbau von Unterstützungsnetzwerken, unter anderem mit Familienangehörigen, Verwandten, Freunden, kulturellen/religiösen Gruppen und den örtlichen Unternehmen, wichtig war, „um die grundlegenden Bedürfnisse zu decken, oftmals durch kleine Barkredite oder Kredite für den Erwerb von Waren und Dienstleistungen“. Weiter heißt es in dem Bericht, dass die Pflege dieser Netzwerke die Einhaltung gewisser gesellschaftlicher Konventionen voraussetzte, wie etwa die Teilnahme an gesellschaftlichen Veranstaltungen, die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Pflichten und das Erbringen von Gegenleistungen. Die Pflege dieser Netzwerke durch gesellschaftliche Kontakte war zudem Voraussetzung für den Zugang zu Krediten. Jedoch stellte die Humanitarian Policy Group fest, dass in Mossul „die Netzwerke, in deren Rahmen Vertriebene oder die unter der ISIL-Herrschaft lebende Bevölkerung unterstützt wurden, mittlerweile aufgelöst und Berichten zufolge durch eine Atmosphäre des Misstrauens ersetzt wurden“. Darüber hinaus waren Vetternwirtschaft und Korruption bei der Arbeitsplatzsuche und im Rahmen der Entschädigungsverfahren an der Tagesordnung, und sel

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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