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90/01 Straßenverkehrsordnung;Norm
KFG 1967 §66 Abs2 litf;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des F in G, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 14. Juli 1994, Zl. I/7-St-F-949, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren betreffend Stempelgebühren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A und B wegen Verkehrsunzuverlässigkeit gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 vorübergehend (bis zum 16. Oktober 1994) entzogen.
In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; er beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 (in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung vor der 17. KFG-Novelle, BGBl. Nr. 654/1994) gilt als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1, wenn jemand als Lenker eines Kraftfahrzeuges unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat.
Die belangte Behörde ging davon aus, daß der Beschwerdeführer am 12. April 1994 Übertretungen gemäß § 46 Abs. 4 lit. a und b StVO 1960 begangen habe. Er sei mit dem von ihm gelenkten Pkw bei Schneefall und Vorhandensein einer Schneefahrbahn auf der Autobahn A 21 umgekehrt und in der Folge auf dem Pannenstreifen auf einer Länge von mindestens 1.613 m entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung gefahren. Dadurch habe er im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 gegen die für das Lenken von Kraftfahrzeugen maßgebenden Vorschriften unter besonders gefährlichen Verhältnissen verstoßen.
Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen einer bestimmten Tatsache nach der genannten Gesetzesstelle. Von besonders gefährlichen Verhältnissen könne hier keine Rede sein. Zur Tatzeit sei der Verkehr auf der betreffenden Richtungsfahrbahn infolge eines Staus bereits zum Erliegen gekommen. Um dem Stau zu entkommen sei er - wie zuvor schon zahlreiche andere Kfz-Lenker - umgekehrt und sodann auf dem Pannenstreifen bis zur nächsten Ausfahrt gefahren.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht hat, erfolgt das Befahren einer Autobahn entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung (§ 46 Abs. 4 lit. a StVO 1960) grundsätzlich unter besonders gefährlichen Verhältnissen (vgl. die Erkenntnisse vom 7. April 1992, Zl. 91/11/0116, und vom 17. November 1992, Zl. 92/11/0158). Ausgenommen davon sind nur besondere Situationen und Verhaltensweisen, die von der typischen Gefährlichkeit des "Geisterfahrens" erheblich abweichen, wie etwa das Zurückschieben auf dem Pannenstreifen mit niedriger Geschwindigkeit (vgl. das Erkenntnis vom 21. Oktober 1994, Zl. 94/11/0280). Dies muß umsomehr dann gelten, wenn infolge eines Staus der Verkehr auf den Fahrstreifen der betreffenden Richtungsfahrbahn bereits zum Erliegen gekommen ist. In einer solchen Situation kann - ungeachtet der Strafbarkeit eines solchen Verhaltens - nicht ohne weiteres angenommen werden, das Befahren des Pannenstreifens entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung erfolge in dem betreffenden Bereich unter besonders gefährlichen Verhältnissen.
Davon ausgehend hätte es im Beschwerdefall der Feststellung bedurft, ob der Verkehr auf der betreffenden Richtungsfahrbahn infolge eines Staus in dem hier maßgebenden Bereich bereits zum Stillstand gekommen ist. Eine dahingehende Behauptung hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren aufgestellt (in der Berufung und im Schriftsatz vom 21. Juli 1994). Das Fehlen einer solchen Feststellung bildet einen wesentlichen Verfahrensmangel. Sollte nämlich die besagte Behauptung des Beschwerdeführers zutreffen, was nach der Aktenlage nicht ausgeschlossen werden kann, so läge keine seine Verkehrsunzuverlässigkeit indizierende bestimmte Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 (iVm § 46 Abs. 4 StVO 1960) vor. Der aufgezeigte Mangel ist (wie insbesondere die Gegenschrift erkennen läßt) offensichtlich auf die unzutreffende Rechtsansicht der belangten Behörde zurückzuführen, das Befahren einer Autobahn entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung sei AUSNAHMSLOS als ein unter besonders gefährlichen Verhältnissen begangener Verstoß gegen § 46 Abs. 4 lit. a StVO 1960 anzusehen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf das übrige Beschwerdevorbringen.
Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebührenersatz war nur in dem zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Ausmaß zuzusprechen (das sind hier S 360,-- für drei Beschwerdeexemplare und S 120,-- für eine Kopie des angefochtenen Bescheides).
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1994110251.X00Im RIS seit
12.06.2001