TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/22 W103 1263457-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.09.2021
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Entscheidungsdatum

22.09.2021

Norm

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs3a
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z6

Spruch


W103 1263457-2/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.05.2018, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., und III. wird gemäß §§ 7 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4, 57 AsylG 2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass dieser zu lauten hat: „Gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 wird Ihnen der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt“.

III. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass dieser zu lauten hat: „Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I. NR. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen“.

IV. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. wird mit der Maßgabe stattgegeben, dass dieser zu lauten hat: „Gemäß § 8 Abs. 3a iVm §9 Abs. 2 AsylG2005 und § 52 Abs. 9 FPG ist eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation unzulässig“.

V. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass er zu lauten hat: „Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 6 FPG idgF, wird gegen Sie ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen“.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) reiste spätestens am 13.11.2004 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte an ebendiesem Tag beim Bundesasylamt einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 27.03.2007, Zl.: XXXX wurde dem BF in Österreich Asyl gewährt.

2. Aufgrund einer Mitteilung des LVT XXXX , aus der hervorging, dass der BF aufgrund einer gerichtlichen Anordnung am 27.08.2015 in XXXX wegen des Verdachtes nach § 278b StGB festgenommen worden war, nachdem gegen ihn bereits seit Monaten Ermittlungen wegen der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung getätigt worden waren, wurde von der belangten Behörde ein Verfahren Asylaberkennungsverfahren eingeleitet.

3. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 14.03.2016, Zl XXXX , wurde der BF zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Jahren, wegen §§ 278a 278b Abs. 2 StGB, verurteilt. Mit Urteil des Oberlandesgerichtes XXXX vom 01.09.2017, XXXX , wurde der Berufung der Staatsanwaltschaft Folge gegeben und die unbedingte Freiheitsstrafe auf 5 Jahre, 5 Monate und 15 Tage angehoben. Die gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wurde mit Beschluss des OGH vom 23.05.2017, Zl.: XXXX zurückgewiesen.

4. Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt, aufgenommen in der JA XXXX am 08.02.2018 gab der BF vor einem Organwalter des Bundesamtes zu wesentlichen Punkten Folgendes an:

„[…]

Ich wurde über den Ablauf des Ermittlungsverfahrens (Wahrheits- und Mitwirkungspflicht, vertrauliche Behandlung, Konsequenzen von Falschaussagen, Rechtsberater, Ablauf der Niederschrift, Meldepflichten, etc.) informiert.

Ich habe die Information verstanden und bin mir der damit verbundenen Rechte und Pflichten bewusst.

Mir wird zur Kenntnis gebracht, dass ich aufgrund der von mir begangenen Straftat als Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich angesehen werde:

Ich habe das verstanden.

Mir wird zur Kenntnis gebracht, dass mein Verhalten und die Verurteilung zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe einen Aberkennungstatbestand darstellt. Mir ist daher das mir gewährte Asyl abzuerkennen.

Ich kann dazu nichts sagen, mein Anwalt wird dazu was sagen. Ich kann nicht mehr sagen, als dass ich nach Russland nicht zurückkehren darf.

Weshalb haben Sie sich terroristisch betätigt?

Ich habe mich nicht terroristisch betätigt. Ich habe hier in Österreich nie eine Strafe bekommen.

Was ist dann mit der nunmehrigen Strafe?

Es gab keinen Grund mich zu verurteilen, es war die Meinung des Staatsanwaltes. Ich bin dorthin gefahren, um zwei Burschen nach Österreich zu holen. Die beiden sind nun in Österreich frei und ich bin in Haft. Ich habe niemanden umgebracht und habe auch nichts gesprengt.

Mir wird zur Kenntnis gebracht, dass mein Verhalten in Österreich jedenfalls einen Ausschlussgrund für Asyl darstellt. Mir ist der internationale Schutz daher schon deswegen abzuerkennen!

Würde Ihnen im Falle der Rückkehr in Ihrem Herkunftsland Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohen?

Ich würde umgebracht. Ich habe gegen Russland gekämpft und was wird mich da schon erwarten.

Ich habe in Österreich kein Interesse, mich terroristisch zu betätigen. Es ist einfach so zu dieser Strafe gekommen. Gegen mich wurde wegen dieser beiden Burschen ein Verfahren eingeleitet und ich wurde mit den anderen Personen gemeinsam angeklagt und verurteilt. Ich habe mit diesen Personen nichts zu tun.

Weshalb und von wem würden Sie in Russland umgebracht?

Die Leute von Kadyrov haben meinen Bruder mitgenommen und mit Strom gefoltert. Ich habe damals hier in Admont gelebt und ich erhielt einen Anruf, dass ich nach Russland kommen solle, sonst würde man meinen Bruder umbringen. Die ältesten konnten meinen Bruder jedoch freibekommen und mein Bruder ist mittlerweile nach Deutschland geflüchtet. Er wurde dort als Flüchtling anerkannt.

Wie heißt dieser Bruder?

XXXX Wann hat Ihr Bruder Russland verlassen?

Ich weiß es nicht mehr genau, es war vermutlich 2007. Er war zuerst nach Polen, dann kam er nach Österreich und wurde wieder nach Polen abgeschoben. Jetzt befindet er sich in Deutschland.

Weshalb befürchten Sie, dass man Ihnen in Russland etwas antun wird?

In Österreich wurde ein Auftragskiller gefasst, der jetzt in der Ukraine sitzt. Er hatte eine Liste bei sich, auf der auch mein Name stand und ich wurde von der Polizei gefragt, ob ich Personenschutz brauche. Dieser Killer hat hier in Österreich auf einen Tschetschenen geschossen, der Tschetschene hat zurückgeschossen und so konnte der Killer gefasst werden.

Wann war das? Um wen handelte es sich?

Das war glaube ich 2009 oder 2010. Ich kenne aber keinen Namen.

Wer hat Ihnen Personenschutz angeboten?

Hr. XXXX von der Polizei in XXXX .

Ich möchte noch angeben, dass ein Tschetschene aus Linz in Tschetschenien war und er wurde dort von Kadyrovs Leuten gefragt, ob er wisse, wo ich mich aufhalte und ober jemanden, der nach Österreich kommen wird, zeigen könne, wo man mich findet.

Um wen handelt es sich bei diesem Tschetschenen aus Linz?

Es ist ein Mann aus meinem Dorf. Er heißt XXXX , glaube ich.

Mir wird zur Kenntnis gebracht, dass eine Person mit diesem Namen im ZMR nicht gefunden werden kann!

Vielleicht steht in seinem Pass was anderes, wir nennen ihn Isa.

Mit mir werden nun die Feststellungen zur Situation in meinem Herkunftsland erörtert, insbesondere dahingehend, dass ich mich überall in Russland aufhalten kann und ich nicht zwingend nach Tschetschenien zurückkehren muss. Ich gebe dazu an:

Das ist lächerlich, was hier behauptet wird. Russland und Tschetschenien ist dasselbe. Ich bin in derselben Situation wie jener Tschetschene, der in Wien umgebracht wurde. Er heißt XXXX . Der einzige Unterschied ist, dass er gegen Kadyrov vor Gericht in Straßbourg gegangen ist und ich nicht.

Ich möchte noch angeben, dass ich in ständigem Kontakt mit Hr. XXXX stehe und er besucht mich auch hier. Er kann bestätigen, dass ich in Russland in Gefahr bin.

Wollen Sie Gründe geltend machen, die gegen eine Rückkehrentscheidung sprechen? Haben Sie besondere Bindungen zu Österreich? Haben Sie hier Verwandte? Sind Sie erwerbstätig oder besuchen Sie eine Schule? Sind Sie in anderer Form integriert, z.B. Vereinsmitgliedschaften, etc.?

Haben Sie in Österreich Familie?

Ich bin verheiratet und habe vier Kinder.

Haben Sie mit Frau und Kinder noch Kontakt?

Ja, sie besuchen mich hier dreimal pro Woche. Hätten wir in Russland keine Probleme, wäre meine Familie auch schon nach Russland gefahren, aber meine Familie hat das aus den genannten Gründen nie gemacht.

Vor eineinhalb Jahren wurde mein Vater vom FSB mitgenommen und man hat die Daten meiner Frau und meiner Kinder aufgenommen. Danach hat man ihn wieder frei gelassen.

Waren Sie in Österreich berufstätig?

Nein, wegen meiner Hände hat mich niemand angestellt. Hier in der Haft arbeite ich jedoch als Buchbinder.

Gehören Sie irgendwelchen Vereinen an?

Nein.

Ist Ihre Gattin berufstätig?

Ebenfalls nicht.

Gehen Ihre Kinder hier zur Schule?

Ja.

Wollen Sie noch weitere Angaben machen?

Ich habe in Österreich von der jetzigen Verurteilung nie eine Straftat begangen und auch hier in Haft wurde über mich noch nie eine Disziplinarstrafe verhängt. Ich weiß, dass ich in Tschetschenien große Probleme habe.

Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie Gelegenheit alles vorzubringen, was Ihnen wichtig erscheint oder wollen Sie noch etwas hinzufügen?

Ich habe dazu nichts mehr zu sagen.

Haben Sie die Dolmetscherin einwandfrei verstanden?

Ja.

Mir wird nun die Niederschrift rückübersetzt und ich habe danach die Möglichkeit noch etwas richtig zu stellen oder hinzuzufügen.“

5. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 14.05.2018, wurde dem BF der mit Bescheid vom 27.03.2007 zuerkannte Status eines Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Weiters erkannte das BFA dem BF gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.) und wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF gemäß § 52 Abs. 2 Z 1 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 6 FPG wurde gegen den BF ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).

Zusammenfassend wird im Bescheid begründend ausgeführt, dass der BF wegen § 278b Abs. 2 StGB im Bundesgebiet zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Jahren, 5 Monaten und 15 Tagen verurteilt worden und dies als besonders schweres Verbrechen anzusehen sei. Es müsse von einer negativen Zukunftsprognose und einer anhaltenden Gemeingefährlichkeit für die Sicherheit der Republik Österreich ausgegangen werden. In der Regierungsvorlage zum FrÄG 2015 führe der Gesetzgeber zu § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG aus, dass der Begriff der nationalen Sicherheit und Ordnung auch für Fälle gelte, in denen ein Fremder einer Vereinigung angehöre, die den internationalen Terrorismus unterstütze oder eine derartige Vereinigung unterstütze. Der BF habe sowohl den Asylausschlussgrund des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG, als auch jenen des § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG erfüllt. Subsidiärer Schutz sei dem BF nicht zu gewähren, weil ein „real risk“ einer Verletzung von Art. 2 oder Art. 3 ERMK nicht erkannt werden könne, die Gefahr einer Doppelbestrafung nicht vorliege und keine Anhaltspunkte ersichtlichen wären, dass der BF in eine aussichtslose Lage geraten würde. Der BF habe ein schützenswertes Familienleben im Bundesgebiet, weil er verheiratet sei und mit seiner Frau vier Kinder habe. Vor dem Hintergrund seiner strafgerichtlichen Verurteilung, der Einschränkung des persönlichen Kontakts mit seiner Familie durch seine Inhaftierung und der fehlenden Selbsterhaltungsfähigkeit sei eine Rückkehrentscheidung gegen den BF dennoch zulässig. Gründe für die Unzulässigkeit der Abschiebung hätten sich nicht ergeben und sei aufgrund der Verurteilung des BF nach § 278b StGB die Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbots möglich und gerechtfertigt.

Beweiswürdigend wurde hinsichtlich der Rückkehrsituation des BF ausgeführt, dass der BF selbst in der Terrorgruppe „Emirat Kaukasus“ tätig gewesen und Terrorismusfinanzierung betrieben habe, wie aus einem Bericht des LVT hervorgehe, doch seien keine Hinweise hervorgekommen, dass der BF diesfalls in der Russischen Föderation einer Gefährdungslage ausgesetzt sein könnte. Zwar sei der BF in Österreich aus diesem Grund angezeigt worden, doch sei es zu keinem Gerichtsverfahren gekommen und sei auch nicht anzunehmen, dass dem BF in der Russischen Föderation ein Gerichtsverfahren drohe. Selbst für den Fall einer Gerichtsverhandlung sei davon auszugehen, dass sich die Russische Föderation an die gesetzlichen Bestimmungen im Rahmen eines Strafverfahrens halte. Hinsichtlich seiner Verurteilung in Österreich sei nicht davon auszugehen, dass der BF einer Überwachung in der Russischen Föderation unterliege und habe es keine Berichte über die Verurteilung des BF in den Medien gegeben. Die Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 ERMK sei daher nicht ersichtlich.

5.1. Hinsichtlich des Weiterbestandes bzw. des eventuellen Wegfalles der Fluchtgründe (Zuerkennungsgründe: Die Umstände, dass der Berufungswerber mehrere Jahre als Funker für die tschetschenischen Widerstandskämpfer tätig gewesen ist, diese auch nach seiner Verletzung weiterhin unterstützt hat und mehrfach von Sicherheitskräften nach ihm gesucht wurde, lassen ihn in erheblichem Maße gefährdet erscheinen. In seinem Fall liegt wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung vor.) Siehe Seite 14 des UBAS Bescheides vom 27.03.2007, machte die belangte Behörde keinerlei Angaben.

6. Gegen den oben angeführten Bescheid vom 14.05.2018 wurde durch den rechtsfreundlichen Vertreter des BF fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des beschwerdegegenständlichen Verfahrens in Folge von Verletzung von Bestimmungen des formellen, sowie von Bestimmungen des materiellen Rechts, erhoben. Begründend wurde zusammenfassend ausgeführt, dass der BF in seinem Strafverfahren bedeutend zur Wahrheitsfindung beigetragen und der Republik im Kampf gegen den Terror, sowie den Dschihadismus geholfen habe, wie von einem Beamten des Verfassungsschutzes vor Gericht bestätigt. Der BF habe gegenüber den Behörden geheime Informationen preisgegeben, obwohl er sich dadurch selbst in höchste Gefahr begeben habe. Der BF habe die ihm zu Last gelegten Taten stets bestritten und prüfe derzeit die Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens, weil er der Überzeugung sei, nicht gegen das StGB verstoßen zu haben. Der BF sei im Falle einer Abschiebung in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben bedroht. Jeder Regimegegner laufe Gefahr liquidiert zu werden und führe die belangte Behörde selbst aus, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Das gelte insbesondere für Personen, die sich gegen gegenwärtige Machthaber engagiert hätten, oder denen ein solches Engagement unterstellt werde, oder im Verdacht stünden fundamentalistischen Islam zu propagieren. Das treffe eins zu eins auf den BF zu. Tatsächlich wäre der BF auch durch eine Wohnsitzannahme außerhalb Tschetscheniens nicht sicher. Der BF habe ab dem Jahr 1999 der tschetschenischen Armee gedient und habe gegen die Russische Föderation gekämpft. Sein Kommandant sei XXXX gewesen, der später, offenbar von russischer Seite, vergiftet worden sei. Dieser habe den BF als Spion in die russische Armee eingeschleust, in welcher Kadyrow bereits eine führende Rolle gehabt habe. Der Beginn der Tätigkeit des BF für die Tschetschenen sei 2003 erfolgt und sei die russische Armee damals mit äußerster Härte vorgegangen. Mehrere Kameraden des BF seien gefoltert worden, um die Namen eingeschleuster Spione preiszugeben. Daraufhin sei der BF nach Österreich geflüchtet. Sogar der Bruder des BF sei gefoltert worden, um den Aufenthaltsort des BF herauszufinden, obwohl dieser in keinster Weise politisch aktiv gewesen sei. Nicht richtig sei, dass der BF Mitglied des Emirates Kaukasus gewesen sei. Außerdem habe der BF ein schützenswertes Privat- und Familienleben in Österreich. Seine Ehefrau und vier Kinder des BF würden in Österreich leben und habe sich der BF auch bestens integriert. Er verfüge über zahlreiche Freunde und habe sich stets loyal Österreich gegenüber verhalten. Der BF wolle in Ruhe mit seiner Familie leben und arbeiten, politische Ziele verfolge er nicht. Derzeit arbeite er in der JA in der Buchbinderei und plane der BF diesen Beruf auch nach seiner Entlassung auszuüben. Aufgrund seiner körperlichen Behinderung habe der BF Schwierigkeiten einen passenden Arbeitsplatz zu finden, mit seiner Ausbildung als Buchbinder könne sich das geändert haben. Selbst wenn man davon ausginge, dass der BF ein schweres Verbrechen begangen habe, könne eine Abschiebung in die Russische Föderation aufgrund menschenrechtlicher Erwägungen nicht in Frage kommen, weil der BF dort einem extremen Risiko ausgesetzt sei. Darüber hinaus stelle der BF keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar.

7. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 20.06.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

8. Das gegenständliche Verfahren wurde der Gerichtsabteilung W103 aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.06.2021 zugewiesen und langte am 06.07.2021 samt dem bezughabenden Verwaltungsakt bei der erkennenden Gerichtsabteilung ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, der tschetschenischen Volksgruppe und dem muslimischen Glauben zugehörig. Seine Identität steht fest. Dem Beschwerdeführer wurde mit rechtskräftigem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 27.03.2007, Zl.: XXXX in Österreich in Stattgabe seines 13.11.2004 gestellten Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

1.2. Mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX vom 14.03.2016 XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 278a, 278b Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 5 Jahren verurteilt. Mit rechtskräftigem Urteil des OLG XXXX wurde der Berufung der Staatsanwaltschaft Folge gegeben, als die Freiheitsstrafe des BF auf fünf Jahre und fünfeinhalb Monate angehoben wurde.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass sich der BF als Mitglied an den terroristischen Vereinigungen Jabhat al Nusra und dem Islamischen Staat im Irak und Syrien (ISIS), die auf die Errichtung eines nach radikal-islamistischen Grundsätzen, mithin weder auf die Herstellung oder Wiederherstellung demokratischer und rechtsstaatlicher Verhältnisse, noch auf die Ausübung oder Wahrung von Menschenrechten ausgerichteten Gottesstaates auf dem Gebiet des Irak und Syrien abzielen, beteiligte, im Wissen dadurch terroristischen Vereinigungen und deren strafbaren Handlungen zu fördern, indem er sich

1. im Mai 2013 zur psychischen Unterstützung und Stärkung der Bereitschaft drei namentlich genannter Männer im syrischen Bürgerkrieg für die terroristischen Vereinigungen Jabhat al Nusra und ISIS zu kämpfen, zum Flughafen begab und jene Männer auf ihrer über Istanbul nach Gaziantep in die Türkei führenden Flugreise und über Kilis an der türkisch-syrischen Staatsgrenze nach Azaz in Syrien führenden Busreise begleitete, wo sich jene drei Männer an der für die beiden genannten terroristischen Vereinigungen kämpfenden Truppe Jaish Al-Muhajirin Wal-Ansar (JAMWA) anschlossen und bis zu ihrer Tötung bei Kampfhandlungen im Juni oder Juli 2013, kämpften;

2. Anfang oder Mitte September 2013 erneut über jenen Reiseweg nach Syrien begab, um den Leiter des Waffen- und Verpflegungslagers der für die genannten terroristischen Vereinigungen kämpfenden Truppe JAMWA bei seiner Tätigkeit zu unterstützen, indem der BF in Zusammenwirken mit dem Leiter des Waffenlagers die Lager dieser Truppe aufsuchte und den Nachschub an Waffen und Verpflegung organisierte.

Dadurch hat sich der BF von Mai 2013 bis Mitte September 2013 den auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindungen einer größeren Anzahl von Personen, nämlich den internationalen agierenden terroristischen Vereinigungen Jabhat al Nusra und ISIS als Mitglied beteiligt, die wenn auch nicht ausschließlich auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, ausgerichtet sind, indem sie unter Anwendung besonderer Grausamkeit durch terroristische Straftaten iSd §278c Abs. 1 StGB durch ihre Kämpfer die Zerstörung des syrischen Staates und des irakischen Staates betreiben, sowie in den eroberten Gebieten in Syrien und im Irak, die sich nicht ihren Zielen unterordnende Zivilbevölkerung töten oder vertreiben, sich deren Vermögen aneignen, durch Geiselnahme große Geldsummen erpressen, die vorgefundenen Kunstschätze veräußern, Bodenschätze zu ihrer Bereicherung ausbeuten und dadurch eine Bereicherung im größeren Umfeld anstreben, darüber hinaus andere durch angedrohte, sowie ausgeübte Terroranschläge in Syrien und im Irak einschüchtern und sich auf besondere Weise , nämlich Geheimhaltung ihres Aufbaus, ihrer Finanzierungsstruktur, der personellen Zusammensetzung, der Organisation und der internen Kommunikation gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen suchen, wobei der BF wusste, dass er dadurch diese Verbindungen in ihrem Ziel, in Syrien und im Irak einen radikal-islamistischen Gottesstaat zu errichten und deren strafbare Handlungen, nämlich die zur Erreichung dieses Zieles als erforderlich angesehenen terroristischen Straftaten, förderte.

Das Zusammentreffen von vier Verbrechen, seine Verurteilung in Polen wegen Schlepperei und die Ausrichtung der Terrororganisation auf die Begehung terroristischer Straftaten gegen die nach dem fehlenden Kriterium des sunnitischen Glaubens definierte Gruppe wurde dabei als erschwerend gewertet, als mildernd hingegen die Mitwirkung an der Tataufklärung und die Überschreitung der Urteilsausfertigungsfrist. Als schulderhöhend wurde die Fortsetzung der Unterstützung der Terrororganisationen nach der erstmaligen Vernehmung des BF als Ausdruck einer erheblichen Verfestigung seiner gegenüber rechtlich geschützten Werten gleichgültigen Einstellung gewertet.

Der BF befand sich von 28.08.2015 bis 17.04.2019 in Haft. Am 17.04.2019 wurde der BF bedingt, unter Anordnung der Bewährungshilfe, entlassen.

Der BF ist in Polen wegen Schlepperei vorbestraft.

Der BF stellt eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar.

1.3. Der BF hat im zweiten Tschetschenienkrieg gekämpft, wo er mehrere Finger und sein Gehör am linken Ohr verloren hat. Der BF gehörte in den Jahren 2008 bis 2012 zur Führungsstruktur der Terrorgruppierung „Emirat Kaukasus“. Im März 2008 wurde der BF gemeinsam mit XXXX , der damaligen Nr. 1 des tschetschenischen Widerstands im Ausland, und Aslambek IDRISSOV, ebenfalls der Führungsstruktur des „Emirat Kaukasus“ zugehörig, in Schweden festgenommen, weil bei einer KFZ Kontrolle von schwedischen Beamten im Reservereifen zwischen Felge und Reifen verbaut, Faustfeuerwaffen gefunden wurden. Der BF befand sich wegen dieser Vorfälle zwei Monate in Schweden in Untersuchungshaft, die Hintergründe des Sachverhalts konnten nicht geklärt werden. Von 2008 bis 2010 sammelte der BF Gelder für die Separatisten in Tschetschenien, womit Kleidung, Nachtsicht- und Funkgeräte gekauft wurden, um mit diesen Gegenständen die Separatisten zu unterstützen. Der BF wurde damals wegen Terrorismusfinanzierung nach § 278d StGB angezeigt, zu einer Verurteilung ist es nicht gekommen.

Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der BF bei seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

1.4. Der Beschwerdeführer ist mit XXXX verheiratet und hat mit ihr fünf gemeinsame Kinder, wobei mit vier seiner Kinder ein gemeinsamer Haushalt besteht. Der älteste Sohn des BF, geb. am XXXX , lebt seit 01.03.2021 an einer vom BF1 und der übrigen Familie verschiedenen Adresse. Die weiteren Kinder des BF sind am XXXX , am XXXX , am XXXX und am XXXX geboren. Die Ehefrau des BF und deren gemeinsame Kinder sind ebenfalls russische Staatsangehörige und in Österreich asylberechtigt. Der Beschwerdeführer spricht mäßig gut Deutsch, hat, keinen Beruf erlernt und ist nicht selbsterhaltungsfähig. In Haft hat der BF als Buchbinder gearbeitet. Nach seiner Haftentlassung war der BF von 02.06.2020 - 07.10.2020 erwerbstätig. Darüber hinaus ist er im Bundesgebiet keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Von 18.04.2019 - 04.09.2019 hat der BF Arbeitslosengeld bezogen, von 05.09.2019 - 01.06.2020 hat der BF Notstandshilfe bezogen und bezieht er auch derzeit seit 14.10.2020 Notstandshilfe.

Er ist nicht ehrenamtlich tätig, weder Mitglied in einem Verein, noch einer sonstigen Organisation. Er hat einen Freundeskreis im Bundesgebiet.

1.5. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 1.6.2016b).

Russland hat den IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das "Kaukasus-Emirat", das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen. Aus dem Pankisi-Tal in Georgien, das mehrheitlich von einer tschetschenischen Volksgruppe bewohnt wird, stammen einige Teilnehmer an den Kämpfen in Syrien - so Umar al-Shishani (eigentl. Tarkhan Batiraschwili), der dort prominenteste Milizen-Führer aus dem Kaukasus (SWP 10.2015).

Seit Ende 2014 mehren sich Meldungen über Risse im bewaffneten Untergrund und Streitigkeiten in der damaligen Führung des Emirats, die vor allem mit der Beteiligung nordkaukasischer Kämpfer am Jihad des IS in Syrien zu tun haben. Eine wachsende Zahl von Feldkommandeuren (Emiren) aus Dagestan, Tschetschenien und anderen Teilen des Nordkaukasus haben IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi den Treueid geschworen (SWP 4.2015). Nach Dokku Umarows Tod 2013 wurde Aliaschab Kebekow [aka Ali Abu Muhammad] zum Anführer des Kaukasus Emirates. Dieser ist im Nordkaukasus bei einem Einsatz russischer Spezialkräfte im Frühling 2015 getötet worden (Zeit Online 20.4.2015). Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov) wurde zum Nachfolger (Open Democracy 29.6.2015). Im August 2015 erlitt der Rest des noch bestehenden Kaukasus Emirat einen erneuten harten Rückschlag. Drei der Top-Kommandanten wurden im Untsukul Distrikt in Dagestan von Regierungskräften getötet, darunter der neue Anführer des Emirates Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov) (Jamestown 14.8.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Der russische Generalstaatsanwalt erklärte im November 2015, dass 650 Strafverfahren aufgrund der Beteiligung in einer illegalen bewaffneten Gruppierung im Ausland eröffnet wurden. Laut Chef des FSB (Inlandsgeheimdienst) sind davon 1.000 Personen betroffen. Zusätzlich wurden 770 Aufständische und ihre Komplizen inhaftiert und 156 Kämpfer wurden im Nordkaukasus 2015 getötet, einschließlich 20 von 26 Anführern, die dem IS die Treue geschworen hatten. Mehr als 150 Rückkehrer aus Syrien und dem Irak wurden zu Haftstrafen verurteilt. 270 Fälle wurden eröffnet, um vermeintliche Terrorfinanzierung zu untersuchen; 40 Rekrutierer sollen allein in Dagestan verhaftet und verurteilt worden sein. Vermeintliche Rekrutierer wurden verhaftet, da sie Berichten zufolge junge Personen aus angesehenen Familien in Tschetschenien, aber auch aus Moskau, St. Petersburg, Jekaterinburg, der Stavropol Region und der Krasnodar Region für den IS gewinnen wollten (ICG 14.3.2016).

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Nordkaukasus allgemein

Die patriotische Begeisterung, mit der in Russland die Annexion der Krim einherging, rückte die Sicherheitslage im Nordkaukasus in ein trügerisch positives Licht. Dieser Landesteil ragt in der nachsowjetischen Periode aus dem regionalen Gefüge der Russischen Föderation wie kein anderer hervor, bedingt durch die zwei Kriege in Tschetschenien, anhaltende Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und einem bewaffneten islamistischen Untergrund in weiteren Teilen der Region sowie mannigfache sozial-ökonomische Probleme. Bis vor kurzem rangierte der Nordkaukasus in der Gewaltbilanz des gesamten post-sowjetischen Raumes an oberster Stelle, fielen den bewaffneten Auseinandersetzungen doch jährlich mehrere Hundert Menschen zum Opfer - Zivilisten, Sicherheitskräfte und Untergrundkämpfer. 2014 wurde der Nordkaukasus in dieser Hinsicht von der Ostukraine überholt. Zugleich stufen auswärtige Analysen die Sicherheitslage im Nordkaukasus aber weiterhin mit ‚permanent low level insurgency' ein. Im Unterschied zum Südkaukasus mit seinen drei unabhängigen Staaten (Armenien, Aserbaidschan, Georgien) haben externe Akteure und internationale Organisationen kaum Zugang zum Nordkaukasus, dessen Entwicklung als innere Angelegenheit Russlands gilt (SWP 4.2015).

2015 wurden aus dem Nordkaukasus weniger Angriffe bewaffneter Gruppen gemeldet als in den Vorjahren. Die Strafverfolgungsbehörden setzten bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen weiterhin vor allem auf Operationen der Sicherheitskräfte. Es bestand nach wie vor der Verdacht, dass diese mit rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen sowie Verschwindenlassen einhergingen (AI 24.2.2016).

Während sich die Situation im westlichen Nordkaukasus in den letzten Jahren stabilisiert hat, gibt es immer wieder Meldungen über gewaltsame Vorfälle mit Toten und Verletzten in der Region. Besonders betroffen ist weiterhin die Republik Dagestan. Aber auch in Tschetschenien, Kabardino-Balkarien und Inguschetien kommt es regelmäßig zu gewaltsamen Zwischenfällen, so dass von einer Normalisierung nicht gesprochen werden kann. Anschlagsziele der Aufständischen sind vor allem Vertreter der Sicherheitskräfte und anderer staatlicher Einrichtungen sowie den Extremisten nicht genehme muslimische Geistliche. Auf Gewalt durch islamistische Aufständische oder im Zuge von Auseinandersetzungen zwischen Ethnien und Clans reagieren die regionalen und föderalen Behörden weiterhin mit Repression. Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt dreht sich dadurch weiter, wobei manche Repressalien - etwa gegen Angehörige angeblicher Islamisten, wie z.B. die Zerstörung ihrer Wohnhäuser - zu einer Radikalisierung der Bevölkerung beitragen und damit die Sicherheitslage weiter eskalieren lassen könnten.

Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass im Nordkaukasus Recht und Gesetz auf beiden Seiten missachtet werden und für Täter aus den Reihen der Sicherheitskräfte ein Klima der Straflosigkeit herrsche (AA 5.1.2016).

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Im Mai 2014 wurde ein neues Ministerium für die Angelegenheiten des Nordkaukasus geschaffen und der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Nordkaukasischen Föderalbezirk Alexander Chloponin, durch den früheren Oberbefehlshaber der Vereinigten Truppen des Innenministeriums im Nordkaukasus, Generalleutnant Sergej Melikov, ersetzt. Insbesondere in Dagestan, wo es immer wieder zu blutigen Zusammenstößen zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften kommt, ist die Lage weiterhin kritisch.

In Tschetschenien hat Ramzan Kadyrov die Rebellen mit Gewalt und Amnestieangeboten dezimiert bzw. zum Ausweichen auf die Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan gezwungen. Anschläge auf den Expresszug nach St. Petersburg im November 2009, die Moskauer Metro im April 2010, den Moskauer Flughafen Domodedovo im Jänner 2011 (mit zwei österr. Staatsbürgern unter den Opfern) sowie im Oktober und Dezember 2013 in Wolgograd zeigten, dass die Gefahr des Terrorismus auch Zentralrussland betrifft (ÖB Moskau 10.2015).

Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar, sowie die Extremisten im Nordkaukasus, die ihre Loyalität gegenüber dem IS bekundet haben. Der Generalsekretär des russischen Nationalen Sicherheitsrats Nikolai Patrushev sprach von rund 1.000 russischen Staatsangehörigen, die an der Seite des IS kämpfen würden, der Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB Alexander Bortnikov hingegen sprach von mehreren Tausend Kämpfern). Laut einem rezenten Bericht der regierungskritischen Zeitschrift "Novaya Gazeta" nehmen die russischen Sicherheitsdienste diese Abwanderung nicht nur stillschweigend zur Kenntnis, sondern unterstützen sie teilweise auch aktiv, in der Hoffnung, die Chance auf eine Rückkehr der Extremisten aus den Kampfgebieten in Syrien und dem Irak zu reduzieren. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresbeginn 2015 liefen rund 60 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf Art. 58 StGB (Teilnahme an einer terroristischen Handlung), Art. 205.3 StGB (Absolvierung einer Terror-Ausbildung) und Art. 208 StGB (Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme in ihr). Im nordkaukasischen Kreismilitärgericht wurde Ende August 2015 ein 26-jähriger Mann aus Dagestan wegen Absolvierung einer Terror-Ausbildung, Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Gruppierung und illegalen Waffenbesitzes zu 14 Jahren Straflager verurteilt. Der Nordkaukasus ist und bleibt trotz anhaltender politischer wie wirtschaftlicher Stabilisierungsversuche ein potentieller Unruheherd innerhalb der Russischen Föderation. Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Extremisten, teils ohne Rücksicht auf Verluste innerhalb der Zivilbevölkerung, trägt zur Bildung neuer Konflikte und Radikalisierung der Bevölkerung bei. Das Risiko einer Destabilisierung steigt darüber hinaus aufgrund der allfälligen Rückkehr von Kämpfern aus Syrien und dem Irak bzw. aufgrund des steigenden Einflusses des IS im Nordkaukasus selbst (ÖB Moskau 10.2015).

Im Jahr 2015 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 258 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2014: 525 Opfer). 209 davon wurden getötet (2014: 341), 49 verwundet (2014: 184) (Caucasian Knot 8.2.2016). Im ersten Quartal 2016 gab es im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 48 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 20 davon getötet, 28 davon verwundet (Caucasian Knot 10.5.2016).

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Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten prorussischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, vor allem jedoch an der derzeit prominentesten und brutalsten Jihad-Front in Syrien und im Irak (SWP 4.2015).

2015 gab es in Tschetschenien 30 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2014: 117), davon 14 Tote und 16 Verwundete (Caucasian Knot 8.2.2016).

Im Dezember 2014 ist Tschetschenien von den schwersten Gefechten zwischen islamistischen Kämpfern und Sicherheitskräften seit Jahren erschüttert. Dabei wurden am Donnerstag, den 4.12.2014, in der Hauptstadt Grosny mindestens 10 Angreifer und 10 Beamte getötet sowie 20 weitere Personen verletzt (NZZ 4.12.2014).

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Rechtsschutz/Justizwesen

Mehrere aufsehenerregende Prozesse machten 2015 die gravierenden und weit verbreiteten Mängel der russischen Strafjustiz deutlich. Dazu zählten Verstöße gegen den Grundsatz der "Waffengleichheit" und der Einsatz von Folter und anderen Misshandlungen in der Ermittlungsphase. Außerdem wurden unter Folter erpresste "Geständnisse", Aussagen geheimer Zeugen und andere geheime Beweise, die die Verteidigung nicht anfechten konnte, vor Gericht zugelassen und Angeklagten das Recht auf einen Rechtsbeistand ihrer Wahl verweigert. Weniger als 0,5% der Verfahren endeten mit einem Freispruch (AI 24.2.2016).

Im November 2013 ist in Russland ein neues Gesetz verabschiedet worden, mit denen man die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen erreichen wolle und die darauf abzielen würden, die "harte Form" des Kampfes gegen den Aufstand, die bereits in mehreren Republiken im Nordkaukasus praktiziert wird, zu legalisieren. Die neue Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, die Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien dazu zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, die durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Die durch sie erlaubten Kollektivbestrafungen werden von den Behörden im Nordkaukasus bereits angewendet (CACI 11.12.2013, vgl. US DOS 13.4.2016).

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher als für vergleichbare Delikte in Deutschland, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Im März 2011 wurde aber bei 68 eher geringfügigen Delikten Freiheitsentzug als höchste Strafandrohung durch Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeiten ersetzt. Auch wurde das Strafprozessrecht seit April 2010 dahingehend geändert, dass Angeklagte für Wirtschaftsdelikte bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr in Untersuchungshaft genommen werden sollen. In der Praxis werden die neuen Regeln jedoch bisher nur begrenzt angewendet. Bemerkenswert ist die unverändert extrem hohe Verurteilungsquote im Strafprozess. Für zu lebenslange Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Auch eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Immer wieder legen einzelne Strafprozesse in Russland den Schluss nahe, dass politische Gründe hinter der Verfolgung stehen. Trotz der Entlassung von Michail Chodorkowski und den Mitgliedern der Punk-Aktionsgruppe Pussy Riot aus der Haft - bezeichnenderweise nicht durch die Justiz selbst, sondern durch Amnestie bzw. Begnadigung - bleiben deren Haftstrafen Beispiele für politisch motivierte Urteile. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen".

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Tschetschenien

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Präsident Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islam und der tschetschenischen Tradition. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014a). Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art ‚alternativer Justiz'. Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015).

Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen ist weiterhin verbreitet, trotz der rund 200 diesbezüglichen Entscheidungen des EGMR. Diese Verletzungen beziehen sich auf ungerechtfertigte Gewaltanwendung, rechtswidrige Inhaftierungen, Verschwindenlassen, Folter und Misshandlungen, die Unterlassung effektiver Untersuchungen dieser Verbrechen und das Fehlen eines effektiven Rechtmittels, Versagen in der Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof und unrechtmäßige Durchsuchungen, Festnahmen und Zerstörung von Eigentum (CoE 12.11.2013). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist in Tschetschenien völlig unzureichend. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen (AA 5.1.2016).

Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenen, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien (AA 5.1.2016).

Grundsätzlich können Personen, die den Widerstand in Tschetschenien unterstützen - sei es mit Lebensmitteln, Kleidung oder Unterschlupf für Rebellen oder sei es durch Waffen - in der Russischen Föderation strafrechtlich verfolgt werden. Es kommt regelmäßig zu Verhaftungen aufgrund von Hilfeleistung an die Rebellen. Ob Personen, die unter diesem Vorwurf vor Gericht gestellt werden mit einem fairen Verfahren rechnen können, ist aufgrund der im Justizbereich verbreiteten Korruption und der bekannten Einflussnahme der Exekutive auf richterliche Entscheidungen fraglich. Das Strafmaß beträgt 8 bis 20 Jahre Freiheitsentzug (BAA/Staatendokumentation 20.4.2011).

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Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium, der Föderale Sicherheitsdienst FSB und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Die Regierung verabsäumte es angemessene Schritte zu setzen, um die meisten Behördenvertreter, welche Missbräuche begingen, zu verfolgen oder zu bestrafen, wodurch ein Klima der Straffreiheit entstand. Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungstruppen, Aufständischen, islamischen Militanten und Kriminellen zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen führt, einschließlich Morde, Folter, körperliche Misshandlung und politisch motivierte Entführungen. Die Regierung untersucht und verfolgt Missbräuche nicht adäquat, besonders wenn regionale Behörden involviert waren. Tschetschenische Sicherheitsbehörden unter direkter Kontrolle von Ramzan Kadyrow können mit Straffreiheit rechnen, sogar bei Drohungen gegen russische Sicherheitsbehörden, die versuchen in Tschetschenien tätig zu werden (US DOS 13.4.2016).

Russland wird die bisherigen Truppen des Innenministeriums in eine Nationalgarde umwandeln. Neben den 170.000 Soldaten der Innentruppen sollen auch 40.000 Mann der Sonderpolizeitruppe Omon und andere Spezialkräfte in die Nationalgarde eingegliedert werden. Die Garde solle im Kampf gegen Terror, Drogen und organisiertes Verbrechen eingesetzt werden. Putin stärkte das Innenministerium auch, indem er ihm die bisher eigenständigen Behörden für Drogenbekämpfung und Migration wieder unterstellte. Damit sollten doppelte Zuständigkeiten vermieden werden, sagte ein Vertreter des Sicherheitsapparates der Agentur Interfax. Der Föderale Migrationsdienst ist unter anderem für Passangelegenheiten, Flüchtlinge und Arbeitsmigration zuständig (Standard 6.4.2016). Leiter der künftigen Elitetruppe im Kampf gegen Terror und organisierte Kriminalität wird sein Ex-Leibwächter Wiktor Solotow sein - der Mann also, der Putin jahrelang am nächsten stand. Interessant ist, dass Solotow zugleich als das Bindeglied im Kreml zu Tschetschenenoberhaupt Ramsan Kadyrow gilt (Standard 7.4.2016).

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Von russischer Seite werden die meisten Operationen im Nordkaukasus gegen Terroristen heute nicht mehr vom Militär, sondern von Einheiten des Innenministeriums und des Geheimdienstes durchgeführt. Diese sind zwar nicht weniger schwer bewaffnet, nur soll so der Eindruck eines Krieges vermieden werden (Zenithonline 10.2.2014). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnender Weise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen dürften (Rüdisser 11.2012).

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Folter und unmenschliche Behandlung

Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland gesetzlich verboten. Dennoch werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten basieren, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern oft nicht untersucht (ÖB Moskau 10.2015).

Der Folter verdächtigte Polizisten werden meist nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet. Das Gesetz verlangt von Verwandten von Terroristen, dass sie die Kosten, die durch einen Angriff entstehen übernehmen. Menschenrechtsverteidiger kritisieren dies als Kollektivbestrafung (USDOS 13.4.2016).

Die Strafverfolgungsbehörden setzten bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen weiterhin vor allem auf Operationen der Sicherheitskräfte. Es bestand nach wie vor der Verdacht, dass diese mit rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen sowie Verschwindenlassen einhergingen (AI 24.2.2016).

Medien und NGOs berichten über Exekutivkräfte und Gefängnispersonal, die in Folter verwickelt sind. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung sind verbreitet und lassen darauf schließen, dass dies vor allem im Strafsystem regelmäßig vorkommt. Schlechte Ausbildung und eine Kultur der Straffreiheit tragen zu dieser Situation bei. Die russische NGO Committee Against Torture zeigt Folter durch Exekutivkräfte im Nordkaukasus auf und arbeitet daran, dass diese für ihre Vergehen bestraft werden (UK FCO 12.3.2015).

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Korruption

Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet. Aufgrund der zunehmend mangelhaften Übernahme von Verantwortung in der Regierung können Bürokraten mit Straffreiheit rechnen. In einigen Fällen scheint der Kreml Signale an die Beamten auszusenden, dass die Korruption aufgrund der wachsenden wirtschaftlichen Probleme eingeschränkt werden muss (FH 27.1.2016).

Korruption ist auch im Nordkaukasus ein alltägliches Problem (IAR 31.3.2014, AI 9.2013). Die auf Clans basierte Korruption hält die regionalen Regierungen zusammen und die Zuschüsse haben den Zweck, die Loyalität der lokalen Elite zu erkaufen. Putins System der zentralisierten Kontrolle bevorzugt Loyalität und lässt Bestechung und Gesetzlosigkeit gedeihen (IAR 31.3.2014).

Die Korruption ist in Tschetschenien sogar noch größer als in Russland. Vor allem geht in Tschetschenien die Korruption auch in einer ganz offenen Weise von statten. Während man in Russland noch versucht, dies zu verheimlichen, macht man es in Tschetschenien ganz offen (Gannuschkina 3.12.2014). In Tschetschenien hat die Korruption enorme Ausmaße angenommen (DIS 1.2015).

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Allgemeine Menschenrechtslage

Tschetschenien

NGOs beklagen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. So geriet zum Beispiel die sog. "joint mobile defence group", die von der NGO "Komitee gegen Folter" koordiniert wird, in letzter Zeit vermehrt in die Zielscheibe von pro-Kadyrov-Anhängern. 2014 wurde das Büro der Gruppe in Grozny niedergebrannt und im Juni 2015 erneut von einer Gruppe maskierter Personen angegriffen. Der Leiter der NGO "Komitee gegen Folter" Igor Kalyapin wurde von Kadyrov der Zusammenarbeit mit amerikanischen Geheimdiensten und der Kollaboration mit Extremisten beschuldigt. Im Juli 2015 erklärte das Komitee nach Androhung der Eintragung in das Register der ausländischen Agenten durch das Justizministerium seine Auflösung; der Leiter des Komitees Kalyapin kündigte jedoch an, dass man die Arbeit in anderer Form fortsetzen werde (ÖB Moskau 10.2015, vgl. AI 25.2.2015).

Nach dem Angriff auf Grosny im Dezember 2014 verfügte Ramzan Kadyrow, dass die Häuser der Familien von Terroristen niedergebrannt werden und die Angehörigen des Landes verwiesen werden (Tagesspiegel 19.12.2014, vgl. HRW 28.1.2016).

2015 wurden aus dem Nordkaukasus weniger Angriffe bewaffneter Gruppen gemeldet als in den Vorjahren. Die Strafverfolgungsbehörden setzten bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen weiterhin vor allem auf Operationen der Sicherheitskräfte. Es bestand nach wie vor der Verdacht, dass diese mit rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen sowie Verschwindenlassen einhergingen. Es gab deutlich weniger Informationen über die Menschenrechtslage in dem Gebiet, weil die Behörden mit aller Härte gegen Menschenrechtsverteidiger und unabhängige Journalisten vorgingen. Die Betreffenden wurden ständig schikaniert, bedroht und tätlich angegriffen, zum Teil von Ordnungskräften und regierungstreuen Gruppen. In der tschetschenischen Hauptstadt Grosny wurde am 3. Juni 2015 das Gebäude, in dem die Menschenrechtsorganisation Joint Mobile Group ihren Sitz hat, von einer aggressiven Menschenmenge umstellt. Vermummte Männer drangen gewaltsam in die Büroräume ein, zerstörten das Mobiliar und zwangen die Mitarbeiter, das Gebäude zu verlassen. Bis zum Jahresende war noch kein Tatverdächtiger ermittelt worden (AI 24.2.2016, vgl. HRW 27.1.2016).

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Rebellentätigkeit / Unterstützung von Rebellen

Im August 2014 meldete der Inlandsgeheimdienst FSB Erfolge bei der Bekämpfung von Terrorismus im Nordkaukasus, was in Expertenkreisen jedoch auf Zweifel stieß. Die Rede war von 328 potentiellen Terroristen, die im ersten Halbjahr 2014 verhaftet wurden. Da die Sicherheitskräfte im Nordkaukasus aber nach dem Prinzip kollektiver Bestrafung vorgehen, handelte es sich hierbei möglicherweise weniger um aktive Untergrundkämpfer als um Personen aus deren sozialem und verwandtschaftlichem Umfeld. Im Januar 2015 berichtete das russische Innenministerium, 2014 sind 259 Rebellen, darunter 36 Kommandeure, von Sicherheitskräften getötet und 421 Untergrundkämpfer verhaftet worden (SWP 4.2015).

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren, Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer, als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnappings werden von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

Im November 2013 wurden in Russland neue Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müsse

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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