TE Bvwg Beschluss 2021/9/27 W144 2246585-1

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Veröffentlicht am 27.09.2021
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Entscheidungsdatum

27.09.2021

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W144 2246585-1/4E

W144 2246583-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Andreas Huber als Einzelrichter über die gemeinsame Beschwerde von 1. XXXX alias XXXX alias XXXX , XXXX alias XXXX geb., und 2. XXXX alias XXXX alias XXXX , XXXX alias XXXX geb., beide StA. von Somalia, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 01.09.2021, Zlen. XXXX (ad 1.) und XXXX (ad 2.), beschlossen:

A)       Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und die angefochtenen Bescheide werden behoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I.       Verfahrensgang

Die 1.-Beschwerdeführerin (1.-BF) ist die Mutter der minderjährigen (mj.) 2.-Beschwerdeführerin (2.-BF), beide sind Staatsangehörige von Somalia und haben ihr Heimatland im Jänner 2019 verlassen. Die BF reisten in der Folge über Äthiopien, Sudan, Jemen, Irak und die Türkei nach Griechenland, wo sie sich vom September 2019 bis Februar 2021 aufhielten und Asylverfahren (Anträge vom 16.09.2019) betrieben und mit Entscheidung der griechischen Behörde vom 20.03.2020 den Flüchtlingsstatus verbunden mit einer Aufenthaltsberechtigung vom XXXX 3.2020 bis XXXX 3.2023 zuerkannt erhielten.

Im Februar 2021 verließen sie Griechenland und reisten letztlich über ihnen unbekannte Länder am 08.06.2021 ins österreichische Bundesgebiet ein, wo sie am selben Tag die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.

Zu den BF liegen folgende EURODAC-Treffermeldungen vor:

?        Griechenland vom 16.09.2019 wegen Asylantragstellung

Der Beschwerde liegen folgende Verwaltungsverfahren zugrunde:

Im Verlauf ihrer Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 08.06.2021 gab die 1.- BF neben ihren Angaben zum Reiseweg lediglich an, dass die Situation in Griechenland sehr schlecht gewesen sei, sie habe mit ihrer Tochter auf der Straße schlafen müssen, dies sei sehr unsicher. Sie wisse nicht, in welchem Stadium sich ihr Asylverfahren dort befunden habe, sie könne weder lesen noch schreiben. Gegen eine Rückkehr nach Griechenland spreche, dass Griechenland kein sicheres Land sei, sie hätten - wie gesagt - auf der Straße schlafen müssen.

Eine gesonderte Einvernahme der 9-jährigen 2.-BF wurde altersbedingt unterlassen.

Das BFA richtete in der Folge am 22.06.2021 ein Informationsersuchen an die griechischen Behörden, sowie am 02.08.2021 ein diesbezügliches Erinnerungsschreiben.

Mit Schreiben vom 18.08.2021 teilten die griechischen Behörden mit, dass die BF am 16.09.2019 Anträge auf internationalen Schutz gestellt hätten und ihnen mit Entscheidung vom 20.03.2020 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei, verbunden mit einer Aufenthaltsberechtigung gültig bis XXXX 03.2023.

Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme vom 31.08.2021 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) brachte die 1.- BF im Wesentlichen vor, dass sie abgesehen von einem Hautausschlag gesund sei und zur Zeit keine Medikamente einnehmen. Die bisherigen Angaben im Verfahren würden der Wahrheit entsprechen, sie habe weder einen Reisepass noch eine Geburtsurkunde und könne auch sein sonst keine Identitätsdokumente vorlegen. Sie habe eine Schwester, die seit ca. fünf Jahren in Deutschland wohnhaft sei; es bestehe zu dieser Schwester telefonischer Kontakt. In Österreich lebe die mit ihr mitgereiste Tochter, die 2.-BF, die gesund sei. Andere Verwandte habe sie in Österreich nicht. In Griechenland hätten sie um Asyl angesucht und einen positiven Bescheid erhalten. Auch eine Aufenthaltsgenehmigungskarte hätten sie dort bekommen. Diese Dokumente seien jedoch gestohlen worden. Untergebracht worden seien sie nur in der ersten Woche in Griechenland, danach nicht mehr. Nach Vorhalt, dass Griechenland für ihre Anträge zuständig sei, zumal sie dort bereits Schutz erhalten hätten, gab die 1.-BF an, dass Griechenland kein sicheres Land sei. Sie hätten auf der Straße schlafen müssen, es sei dort für ihre Tochter nicht sicher. Sie „habe versucht“, die Regierung habe sich jedoch nicht um sie gekümmert. Sie wolle nicht nach Griechenland zurückkehren. Weiteres wolle sie nicht angeben oder ergänzen.

Das BFA wies sodann die Anträge auf internationalen Schutz der BF mit Bescheiden jeweils vom 01.09.2021 gemäß §4a AsylG 2005 idgF als unzulässig zurück und sprach aus, dass sich die BF nach Griechenland zurück zu begeben hätten (Spruchpunkt I.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen wurden ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung der BF gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG idgF angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG ihre Abschiebung nach Griechenland zulässig sei (Spruchpunkt III.).

In rechtlicher Hinsicht führte das BFA aus, dass die BF in Griechenland als Asylberechtigte anerkannt worden seien und gemäß § 4a Asylgesetz ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen sei, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat der Status des Asylberichtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden habe. Es bestehe kein Grund, daran zu zweifeln, dass Griechenland seine sich aus der Genfer Konvention und der Statusrichtlinie ergebenden Verpflichtungen erfülle, weshalb davon auszugehen sei, dass die BF dort Schutz vor Verfolgung gefunden habe.

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 1 AsylG sei die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu prüfen, wenn ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 4a Asyl zurückgewiesen werde. Die in § 57 AsylG genannten Voraussetzungen, unter denen im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf Antrag eine Aufenthaltsberechtigung besondere Schutz zu erteilen sei, lägen in casu nicht vor.

Im Hinblick auf das Privat- und Familienleben der BF sei auszuführen, dass in Österreich, abgesehen von der Tochter der 1.-BF, keine sonstigen Angehörigen aufhältig seien, sodass kein Eingriff in ihr Recht auf Familienleben erfolge, wenn die 1.-BF und die 2.-BF von derselben aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen seien. Hinsichtlich ihres Privatlebens erscheine die zeitliche Komponente ihrer Aufenthalte zu kurz, um Relevanz zu entfalten, zudem würden auch keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich vorliegen. Aus der Aktenlage sei nicht ersichtlich, dass die BF an schwerwiegenden Erkrankungen leiden, sodass die Anordnung zur Außerlandesbringung nach Griechenland zulässig sei.

Gegen diese am 02.09.2021 persönlich von der 1.-BF übernommenen Bescheide richtet sich die fristgerecht erhobene, gemeinsame Beschwerde, in welcher die BF im Wesentlichen geltend machten, dass die belangte Behörde nicht auf die massiven Mängel im griechischen Asylverfahren, in der Betreuung von Flüchtlingen sowie auf die konkret vorgebrachten Befürchtungen bezüglich einer Abschiebung sowie auf ihre gravierende Vulnerabilität eingegangen sei. Warum die Behörde vermeine, dass die 1.-BF als alleinstehende Frau mit einer 9-jährigen Tochter keine besonders vulnerable Person sei, sei völlig unverständlich. Die 1.-BF habe ausführlich erklärt, wie schrecklich ihre Lebensumstände in Griechenland gewesen seien. Diese Befürchtungen seien realistisch und glaubwürdig. Die 1.-BF sei Analphabetin und auch nicht der englischen Sprache mächtig und sei noch dazu für die junge Tochter, die 2.-BF verantwortlich. Die BF seien in der gegenwärtigen Situation gänzlich von Unterstützungsleistungen abhängig, die in Griechenland nicht oder nur äußerst mangelhaft existierten. Die BF hätten dort weder eine Wohnmöglichkeit, noch Lebensmittel oder Zugang zu adäquater Hygiene, sie wären unweigerlich einer existenziellen Notlage ausgesetzt, was eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Grundrechtecharta darstelle. Im Übrigen wurden allgemeine Berichte zur Situation von Schutzberechtigten in Griechenland ins Treffen geführt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der dargelegte Verfahrensgang, insbesondere der Umstand, dass den BF in Griechenland der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde.

Die BF machten anlässlich ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA geltend, dass sie in Griechenland nur eine Woche lang untergebracht worden seien und danach auf der Straße hätten schlafen müssen.

Ergänzende Ermittlungen zu den Lebensumständen der BF nach Zuerkennung des Flüchtingsstatus in Griechenland liegen nicht vor. Im angefochtenen Bescheid unterzieht das BFA die geltend gemachte Obdachlosigkeit nach Schutzgewährung in Griechenland keiner Würdigung, sondern führt im Allgemeinen lediglich aus, dass sich aus den Angaben der BF keine stichhaltigen Gründe für die Annahme ergeben haben, dass diese konkret Gefahr liefen, in Griechenland Folter oder unmenschlicher oder erniedrigende Behandlung unterworfen zu werden.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Verfahrensgang sowie zur Asylantragstellung der BF und deren Schutzstatus in Griechenland ergeben sich aus den Akten des BFA, ihr Schutzstatus insbesondere aus den Antwortschreiben der griechischen Behörden und dem eigenen Vorbringen der 1.-BF vor dem BFA.

Die Feststellungen zum Vorbringen der 1.-BF (in eigener Sache sowie als gesetzliche Vertreterin für die mj. 2.-BF) wurden dem Einvernahmeprotokoll vom 31.08.2021, die festgestellten Ausführungen des BFA aus dem angefochtenen Bescheid entnommen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde

Gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG ist der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Bei § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG handelt es sich um eine von § 28 Abs. 3 erster und zweiter Satz VwGVG abweichende Regelung, die auf die Besonderheiten des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens Bedacht nimmt, indem die Möglichkeit, aber auch die Verpflichtung zur Fällung einer zurückverweisenden Entscheidung im Fall einer Beschwerde gegen einen im asylrechtlichen Zulassungsverfahren erlassenen Bescheid allein an die in § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG genannten Voraussetzungen geknüpft ist. Mit einer solchen Entscheidung geht die Rechtsfolge der Zulassung des Asylverfahrens einher und diese Sonderbestimmung gelangt für sämtliche Beschwerden im Zulassungsverfahren zur Anwendung (vgl. VwGH 08.07.2021, Ra 2021/20/0074).

Den BF wurde im EU-Mitgliedstaat (und damit auch EWR-Staat) Griechenland der Flüchtlingsstatus zuerkannt, sodass ihre gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz gem. § 4a AsylG grundsätzlich zurückzuweisen sind, wenn sie in Griechenland Schutz vor Verfolgung gefunden haben und ihnen – aus verfassungsrechtlichen Erwägungen – keine Verletzung ihrer Rechte gem. Art. 3 oder 8 EMRK droht.

Im Urteil vom 19.03.2019, Rs C-297/17 ua, Ibrahim, leitete der Europäische Gerichtshof aus dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten ab, im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems müsse die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der EMRK steht (vgl. Rz 85), und führte zu Artikel 4 GRC im Hinblick auf Lebensbedingungen von subsidiär Schutzberechtigten in dem Schutz gewährenden Mitgliedstaat wie folgt aus:

„88 Daher ist das Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung befasst ist, mit der ein neuer Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abgelehnt wurde, in dem Fall, dass es über Angaben verfügt, die der Antragsteller vorgelegt hat, um das Vorliegen eines solchen Risikos in dem bereits subsidiären Schutz gewährenden Mitgliedstaat nachzuweisen, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (vgl. entsprechend Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C?163/17, Rn. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).

89 Insoweit ist festzustellen, dass die in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten Schwachstellen nur dann unter Art. 4 der Charta, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird, fallen, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt (Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C?163/17, Rn. 91 und die dort angeführte Rechtsprechung).

90 Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C?163/17, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung).

91 Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C?163/17, Rn. 93).

92 Im Hinblick auf die insoweit vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen ist festzustellen, dass unter Berücksichtigung der Bedeutung, die der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens für das Gemeinsame Europäische Asylsystem hat, Verstöße gegen Bestimmungen des Kapitels VII der Anerkennungsrichtlinie, die nicht zu einer Verletzung von Art. 4 der Charta führen, die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, ihre durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie eingeräumte Befugnis auszuüben.

93 Der vom vorlegenden Gericht ebenfalls genannte Umstand, dass subsidiär Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der dem Antragsteller diesen Schutz gewährt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, kann nur dann zu der Feststellung führen, dass dieser Antragsteller dort tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 der Charta verstoßende Behandlung zu erfahren, wenn dieser Umstand zur Folge hat, dass sich dieser Antragsteller aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die den in den Rn. 89 bis 91 des vorliegenden Urteils genannten Kriterien entspricht.

94 Jedenfalls kann der bloße Umstand, dass in dem Mitgliedstaat, in dem der neue Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist, die Sozialhilfeleistungen und/oder die Lebensverhältnisse günstiger sind als in dem bereits subsidiären Schutz gewährenden Mitgliedstaat, nicht die Schlussfolgerung stützen, dass die betreffende Person im Fall ihrer Überstellung in den zuletzt genannten Mitgliedstaat tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 der Charta verstoßende Behandlung zu erfahren (vgl. entsprechend Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C?163/17, Rn. 97).“

Mit rezentem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25.06.2021, E 599/2021, wurde eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts betreffend eine in Griechenland schutzberechtigte, junge, gesunde Frau ohne Betreuungspflichten, die über eine zwölfjährige Schulbildung, eine vierjährige universitäre Ausbildung und eine Berufsausbildung zur Dolmetscherin verfügte und zirka neun Monate in Griechenland aufhältig war, behoben und wie folgt ausgeführt:

„Vor dem Hintergrund dieser Berichtslage (wobei aktuellere Berichte eine wohl noch stärkere Gefährdungslage beschreiben, siehe nur die der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht beigelegte Stellungnahme der Stiftung Pro Asyl/RSA, Information zur Situation international Schutzberechtigter in Griechen-land, vom 9. Dezember 2020) ergibt sich ohne nähere Auseinandersetzung mit der konkreten Situation der Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf die Feststellungen in den Länderberichten nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr keine reale Gefahr einer Art. 3 EMRK verletzenden Behandlung drohen werde. Zwar trifft zu, dass anerkannten Schutzberechtigten nach Art. 20 ff. der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011 L 337, 9, grundsätzlich "nur" ein Anspruch auf Inländergleichbehandlung zusteht. Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich jedoch etwa nicht damit auseinander, ob die von Art. 34 der Richtlinie 2011/95/EU geforderten, über die Inländergleichbehandlung hinausgehenden Integrationsmaßnahmen angeboten werden (vgl. dazu das deutsche BVerfG 31.7.2018, 2 BvR 714/18, Rz 23). Insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Beschwerdeführerin für eine Übergangszeit auf staatliche Hilfe angewiesen sein wird, hätte es weiterer Feststellungen dazu bedurft, ob und wieweit für die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nach Griechenland zumindest in der ersten Zeit Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt wird.“

Auch wenn sich dieses Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes auf Länderinformationen der Staatendokumentation mit Stand vom 04.10.2019 und letzter Kurzinformation vom 19.03.2020 bezieht, ergeben sich aus der nunmehr aktualisierten und dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Länderinformation der Staatendokumentation betreffend Griechenland aus dem COI-CMS (Version 2) ähnliche Schwierigkeiten für Schutzberechtigte beim Zugang zu Unterkunft, Arbeit, Sozialleistungen, medizinischer Versorgung und Integrationsprogrammen. So wird etwa erwähnt:

?        „Eine Residence Permit Card (RPC) ist Voraussetzung für den Erhalt finanzieller Unterstützung, einer Wohnung, einer legalen Beschäftigung, eines Führerscheins und einer Steuer- bzw. Sozialversicherungsnummer, für die Teilnahme an Integrationskursen, für den Kauf von Fahrzeugen, für Auslandsreisen, für die Anmeldung einer gewerblichen oder geschäftlichen Tätigkeit und – abhängig vom jeweiligen Bankangestellten - oftmals auch für die Eröffnung eines Bankkontos (VB 19.3.2021). Der Erhalt einer RPC dauert jedoch in der Praxis Monate und die Behördengänge sind für Personen ohne Sprachkenntnisse und Unterstützung äußerst schwierig zu bewerkstelligen.“

?        „Bei HELIOS handelt sich um ein Projekt von IOM zur Integration von Schutzberechtigten, die in einer offiziellen Unterbringungseinrichtung leben (AIDA 6.2020; vgl. IOM o.D.). Helios ist das einzige aktuell in Griechenland existierende offizielle Integrationsprogramm für internationale Schutzberechtigte. Die Finanzierung erfolgt aus Mitteln des europäischen Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF); Umgesetzt wird das Programm von IOM in Zusammenarbeit mit verschiedenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Das Programm wurde im Juli 2019 gestartet und hat eine Laufzeit bis Juni 2021. […] Keinen Zugang zu Fördermaßnahmen aus dem HELIOS-Programm haben demzufolge international Schutzberechtigte, die entweder vor dem 1. Januar 2018 internationalen Schutz erhalten haben oder die zwar nach dem 1. Januar 2018 anerkannt wurden, jedoch zum Zeitpunkt ihrer Anerkennung nicht in einer offiziellen Unterkunft in Griechenland gelebt haben, oder die sich nicht innerhalb eines Jahres nach Anerkennung für HELIOS registriert haben. Somit besteht in aller Regel für Schutzberechtigte, die aus anderen Ländern nach Griechenland zurückkehren, keine Möglichkeit, von Helios zu profitieren (ProAsyl 4.2021).“

?        „Phase zwischen positivem Bescheid und dem tatsächlichen Erhalt der RPC-Card

Tatsächlich gibt es bis zum Erlangen der RPC oder bis zur Teilnahme am Helios Programm keinerlei finanzielle oder anderweitige Unterstützung. Ohne gültige Aufenthaltserlaubnis können international Schutzberechtigte keine Sozialversicherungsnummer (AMKA) erhalten und diese wiederum ist Voraussetzung für den Zugang zu Sozialleistungen, zum Arbeitsmarkt und zur Gesundheitsversorgung. Ärztliche Untersuchungen und Behandlungen sowie ggf. benötigte Medikamente müssen ohne Vorliegen einer Sozialversicherungsnummer privat bezahlt werden (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021).“

?        „In Griechenland existiert keine staatliche Unterstützung für international Schutzberechtigte beim Zugang zu Wohnraum, es wird auch kein Wohnraum von staatlicher Seite bereitgestellt (ProAsyl 4.2021). Auch gibt es keine Sozialwohnungen (VB 12.4.2021) und auch keine Unterbringung dezidiert für Schutzberechtigte. Laut einer Webseite der Stadt Athen gibt es vier Unterbringungseinrichtungen mit insgesamt 600 Plätzen, die jedoch bei weitem nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Viele Betroffene sind daher obdachlos, leben in besetzten Gebäuden oder überfüllten Wohnungen (AIDA 6.2020; vgl. VB 12.4.2021). Legale Unterkunft ohne RPC zu finden, ist fast nicht möglich. Da z.B. bei Arbeitssuche, Bankkontoeröffnung, Beantragung der AMKA usw. oftmals ein Wohnungsnachweis erforderlich ist, werden oft Mietverträge für Flüchtlinge gegen Bezahlung (300-600 Euro) temporär verliehen: d.h., der Mieter wird angemeldet, ein Mietvertrag ausgestellt und nach kurzer Zeit wieder aufgelöst. Wohnbeihilfe bekommt man erst, wenn man per Steuererklärung seinen Wohnsitz über mehr als 5 Jahre in Griechenland nachweisen kann (VB 1.3.2021). NGOs wie etwa Caritas Hellas bieten gemischte Wohnprojekte an. Die Zahl der Unterkünfte in Athen – auch der Obdachlosenunterkünfte - ist jedoch insgesamt nicht ausreichend (VB 1.3.2021). Dass trotz dieses Umstandes Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen in Athen kein augenscheinliches Massenphänomen darstellt, ist auf die Bildung von eigenen Strukturen und Vernetzung innerhalb der jeweiligen Nationalitäten zurückzuführen, über die auf informelle Möglichkeiten zurückgegriffen werden kann. Wo staatliche Unterstützung fehlt, ist die gezielte Unterstützung der NGOs von überragender Bedeutung für Flüchtlinge und Migranten, wenngleich auch diese Organisationen nicht in der Lage sind, die erforderlichen Unterstützungen flächen- und bedarfsdeckend abzudecken (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021).

?        „Auch die tägliche Lebenshaltung stellt viele Schutzberechtigte vor große Probleme. Da sie griechischen Staatsbürgern gleichgestellt sind, gibt es von offizieller Seite kaum Unterstützung für diesen Personenkreis. Einige NGOs in Athen (wie etwa KHORA, Network for Refugees, Hope Cafe,…) stellen kostenlos – aber bei weitem nicht in ausreichendem Maße, um alle Bedürftigen zu versorgen - Essen zur Verfügung. Die Bereitstellung von zB Hygiene- und Toilettenartikel gestaltet sich sehr schwierig; hierfür gibt es nur sehr wenige Anlaufstellen. Einige Gemeinden in Griechenland bieten anerkannten Schutzberechtigten auf freiwilliger Basis bzw. mittels Abkommen mit der griechischen Regierung monatliche Unterstützung für Essenszuteilungen an (nur Essen, kein Geld). Voraussetzungen hierfür sind das Vorliegen von RPC, AMKA-Nummer, Steuernummer, Bankkonto, Mietvertrag und Telefonvertrag für eine gültige SIM-Karte. Jede einzelne dieser Voraussetzungen ist schwierig zu erfüllen und mit mit großem Zeitaufwand verbunden. Somit kommen nur sehr wenige Berechtigte in den Genuss derartiger Unterstützungsleistungen (VB 12.4.2021).“

?        „Schutzberechtigte haben grundsätzlich Zugang zu medizinischer Versorgung wie griechische Staatsangehörige, in der Praxis schmälert aber der Ressourcenmangel im griechischen Gesundheitssystem diesen Zugang, was aber in gleichem Maße auch für griechische Staatsbürger gilt. Bei Flüchtlingen kommen jedoch auch Verständigungsschwierigkeiten und Probleme beim Erlangen der Sozialversicherungsnummer (AMKA) hinzu (AIDA 6.2020). Die AMKA kann bei der Gesundheitsbehörde (EKKA) elektronisch beantragt werden, man braucht dazu aber eine RPC und ein Jobangebot einer Firma. Ohne Jobangebot können Flüchtlinge eine PAAYPA (vorläufige AMKA für Fremde) beantragen. Mit AMKA ist voller Zugang zu öffentlichen Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, usw. möglich, mit PAAYPA hingegen nur beschränkt. Manche Einrichtungen akzeptieren eine PAAYPA nicht. Jene Personen wären dann auf Privatärzte oder NGOs angewiesen (VB 1.3.2021). Zudem gibt es in Athen einige „Sozial-Apotheken“ wo billige oder sogar kostenlose Medikamente und medizinische Artikel erhältlich sind – diese unterstützen auch einkommenslose Griechen (VB 12.4.2021). […] Durch die massiven Einsparungen am Gesundheitspersonal in den Jahren der Wirtschaftskrise kann der Zugang zum Gesundheitssystem mit langen Wartezeiten verbunden sein (AI 3.3.2021).“

?        „Anerkannte Schutzberechtigte und deren Familienangehörige mit gültiger Aufenthaltserlaubnis haben unter den gleichen Bedingungen wie griechische Staatsangehörige Zugang zu einer Beschäftigung im Angestelltenverhältnis, zur Erbringung von Dienstleistungen oder Arbeit sowie das Recht, eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben. Wichtig für eine legale Beschäftigung ist der Nachweis einer gültigen Aufenthaltserlaubnis. Allenfalls ist darauf zu achten, dass diese rechtzeitig verlängert wird (UNHCR o.D.). Voraussetzungen ist u.a. der Nachweis der Unterkunft: […] Eine weitere Voraussetzung ist das Vorliegen einer Sozialversicherungsnummer (AMKA). […] Tatsächlich aber behindern die hohe Arbeitslosigkeit, fehlende Sprachkenntnisse und bürokratische Hindernisse diesen Zugang, außer im informellen Sektor. Die meisten Schutzberechtigten sind daher auf Unterstützung angewiesen. Zugang zu Sozialhilfe ist gegeben, bürokratische Hürden stellen aber ein Problem dar (AIDA 6.2020).“

Wie sich aus diesen Länderinformationen ableiten lässt, sind Schutzberechtigte in Griechenland zwar rechtlich griechischen Staatsbürgern grundsätzlich gleichgestellt, sie können jedoch faktisch auf besondere Schwierigkeiten stoßen, die auf ihre herausfordernde Situation als Fremde ohne oder mit geringen Kenntnissen der Landessprache und der administrativen Vorgänge in einem Staat, dessen wirtschaftliche Lage allgemein bekannt angespannt ist, zurückzuführen sein können.

Wie bereits erwähnt, werden laut den vorliegenden Länderinformationen im angefochtenen Bescheid Schutzberechtigten in Griechenland im Rahmen des Programms HELIOS Unterstützungsmaßnahmen gewährt. Es sei das einzige in Griechenland existierende Integrationsprogramm für international Schutzberechtigte und biete neben Integrationskursen sowie einzelnen Maßnahmen zur Arbeitsintegration auch Unterstützung bei der Anmietung von Wohnraum. Mangels näherer Ermittlungen des BFA bleibt jedoch im vorliegenden Fall unklar, ob der BF an diesem Integrationsprogramm bereits teilgenommen hat bzw. im Falle einer Rückkehr tatsächlich Zugang dazu hätte. Insbesondere geht aus den Länderinformationen im angefochtenen Bescheid hervor, dass das Programm eine „Laufzeit bis Juni 2021“ habe. Auf einer öffentlich zugänglichen Website von UNHCR Griechenland wird demgegenüber eine Laufzeit bis Ende August 2021 erwähnt (siehe https://greece.iom.int/en/hellenic-integration-support-beneficiaries-international-protection-helios). In dieser Hinsicht erweisen sich die Länderinformationen als nicht hinreichend aktuell und insofern mangelhaft, als offen bleibt, ob dieses Integrationsprogramm fortgesetzt wird oder durch andere Programme, die Integrationsmaßnahmen für Schutzberechtigte bieten, ersetzt wurde.

Vor dem Hintergrund der vom BFA herangezogenen Länderinformationen und der schon im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide getroffenen Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 25.06.2021, E 599/2021, wäre das BFA im vorliegenden Fall - angesichts der von der 1.-BF behaupteten Obdachlosigkeit - auch gehalten gewesen, die Rückkehrsituation im vorliegenden Fall näher prüfen und hätte sich nicht auf die Feststellung beschränken dürfen, es würden keine Anhaltspunkte vorliegen, dass die BF im Falle ihrer Überstellung nach Griechenland in ihren Rechten gemäß Art. 3 EMRK verletzt werden würden.

Das Vorbringen der BF wurde damit im Ergebnis ignoriert und aus den angefochtenen Bescheiden geht nicht hervor, ob das BFA die diesbezüglichen Angaben der BF als glaubhaft erachtet oder nicht. Relevant für die Beurteilung ihrer Situation im Falle einer Rückkehr können im gegenständlichen Fall vorrangig die Lebensumstände der BF nach Zuerkennung des Schutzstatus und nach Verlassen der für Asylwerber bestehenden Unterkünfte sein.

Abgesehen von der behaupteten Obdachlosigkeit und fehlender finanzieller Unterstützung lässt sich aus dem vom BFA ermittelten Sachverhalt nicht entnehmen, wie die 1.-BF und ihre mj. Tochter trotz der behaupteten Mängel dennoch nach Gewährung des Schutzstatuts mehrere Monate in Griechenland verbleiben konnten. Die Lebensumstände der BF während der Zeit nach der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wurden seitens des BFA keiner näheren Prüfung unterzogen. Vor dem Hintergrund der vorliegenden Länderinformationen und der obzitierten Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes kommt dieser Frage aber Relevanz im Hinblick darauf zu, ob die BF – sollten ihnen in erster Zeit nicht von Seiten des griechischen Staates Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen ermöglicht werden – nach einer Rückkehr selbst oder mit Unterstützung durch nichtstaatliche Organisationen oder mithilfe von allenfalls bereits während ihres vormaligen Aufenthaltes in Griechenland aufgebauten sozialen Netzwerken in der Lage wäre, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Für die Beurteilung ihrer Rückkehrsituation können neben den bisherigen Lebensumständen in Griechenland unter Berücksichtigung der Dauer des vormaligen Aufenthalts in Griechenland als Schutzberechtigte auch eine etwaige auf dem griechischen Arbeitsmarkt verwertbare Ausbildung oder Arbeitserfahrung sowie Sprachkenntnisse der BF von Bedeutung sein, auch vorhandene eigene finanzielle Mittel oder familiäre bzw. soziale Unterstützung könnten in diese Bewertung miteinbezogen werden.

Aufgrund der mangelhaft ermittelten Sachverhaltsgrundlage unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung des VfGH kann im gegenständlichen Fall sohin nicht abschließend beurteilt werden, ob im Falle einer Überstellung der BF nach Griechenland die reale Gefahr einer Verletzung ihrer gemäß Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte bestünde, wobei zu betonen ist, dass die BF als Vulnerable Personengruppe einzustufen sind, insbesondere da die 1.-BF Analphabetin ist und sich zudem um ihre neunjährige Tochter, die 2.-BF kümmern muss..

Im fortgesetzten Verfahren bedarf es daher einer Abklärung zum aktuell bestehenden Angebot an Programmen, die Integrationsmaßnahmen für Schutzberechtigte anbieten, und zu deren Umfang (siehe dazu auch VfGH 25.06.2021, E 599/2021, Rz 21). Darüber hinaus sind weitere Erhebungen im gegenständlichen Fall zu den Fragen notwendig, ob dem BF im Fall einer Rückkehr nach Griechenland zumindest in erster Zeit von Seiten des Staates Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen zur Verfügung stünde und – sollte dies zu verneinen sein – ob der BF allenfalls mit Hilfe von nichtstaatlichen Einrichtungen oder durch Unterstützung von Angehörigen oder Bekannten seine elementaren Bedürfnisse befriedigen könnte, ohne einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt zu sein, aufgrund der Lebensumstände eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK oder Art. 4 GRC zu erfahren. Der Umstand, dass Personen, denen subsidiärer Schutz zuerkannt wird, in dem Mitgliedstaat keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne jedoch insofern anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, kann nur dann zu der Feststellung führen, dass dieser Antragsteller dort tatsächlich einer solchen Gefahr ausgesetzt wäre, wenn dieser Umstand zur Folge hat, dass sich dieser Antragsteller aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (vgl. EuGH 19.03.2019, Rs C-297/17 ua, Ibrahim).

Der vorliegende Sachverhalt erweist sich damit als im Sinne des § 21 Abs. 3, zweiter Satz BFA-VG als derart mangelhaft, dass grundlegende ergänzende Ermittlungen und damit einhergehend eine mündliche Verhandlung notwendig erschienen, sodass eine Zurückverweisung im Sinne dieser Bestimmung zu erfolgen hatte.

Der Verwaltungsgerichtshof geht - nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Erläuterungen zu § 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA-VG - davon aus, dass immer dann, wenn der Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Ermittlungsmängel anhaften, die nicht vom Bundesverwaltungsgericht in der für die Erledigung gebotenen Eile beseitigt werden können, der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattzugeben ist. Eine Verhandlung hat diesfalls zu unterbleiben. Ist hingegen davon auszugehen, dass das Bundesverwaltungsgericht die Ermittlungsmängel rasch und ohne größeren Aufwand selbst beseitigen kann, hat es von einer Beschwerdestattgebung nach § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG Abstand zu nehmen und die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens (samt der Feststellung allfällig fehlenden Sachverhaltes) selbst vorzunehmen. Dabei hat es sich bei der Beurteilung gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG im Rahmen der Ermessensübung, ob eine Verhandlung durchzuführen ist, auch davon leiten zu lassen, ob die vorhandenen Ermittlungsmängel zweckmäßigerweise durch im Rahmen der Verhandlung vorzunehmende Beweisaufnahmen beseitigt werden können (vgl. VwGH 08.07.2021, Ra 2021/20/0074, mit Verweis auf VwGH 15.05.2020, Ra 2020/14/0060).

Angesichts der notwendigen Ermittlungen zur Lage in Griechenland und der umfassenden Befragung XXXX kann das Bundesverwaltungsgericht die Ermittlungsmängel nicht in der für die Erledigung des im Rahmen des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens abzuwickelnden Beschwerdeverfahrens gebotenen Eile beseitigen. Gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden

Wirkung gemäß § 17 BFA-VG konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. In casu liegt die Entscheidung allein in der Bewertung, ob der im Aufnahmestaat schutzberechtigte BF dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat und nicht in seinen Rechten gem. Art 3 und 8 EMRK bedroht ist.

Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu A) wiedergegeben.

Schlagworte

Behandlungsmöglichkeiten Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W144.2246585.1.00

Im RIS seit

17.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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