TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/28 W196 1317040-3

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Veröffentlicht am 28.09.2021
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Entscheidungsdatum

28.09.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch


W196 1317040-3/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.02.2021, Zl. XXXX , den Beschluss gefasst:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der russischen Föderation, stellte am 11.08.2007 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.01.2008 wurde dieser Antrag vollinhaltlich abgewiesen und gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 16.07.2010 als unbegründet abgewiesen.

2. Am 13.10.2011 brachte der Beschwerdeführer einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz ein. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.03.2013 wurde auch dieser vollinhaltlich abgewiesen und der Beschwerdeführer wurde abermals in die Russische Föderation ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.04.2013 gemäß § 3, 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen und gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 wurde das Verfahren insoweit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

3. In der Folge wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.03.2019 den Beschwerdeführer betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 FPG 2005 gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und gemäß § 58 Abs. 2 und 3 AsylG 2005 iVm § 57 und 55 AsylG 2005 wurde ihm eine Aufenthaltsberechtigung plus gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 erteilt; diese lief jedoch am 24.04.2020 ab.

4. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX , GZ: XXXX , rechtskräftig seit 22.07.2019, wurde der (wiederholt wegen Straffälligkeit in Erscheinung getretene) Beschwerdeführer, wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs. 4 StGB zu 2 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

5. Am 16.03.2020 brachte der Beschwerdeführer einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK ein.

6. Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.01.2021 wurde der Beschwerdeführer vom Ergebnis der Beweisaufnahme zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung verständigt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme binnen der von der Behörde gesetzten Frist eingeräumt. Der Beschwerdeführer hat fristgerecht eine Stellungnahme hierzu eingebracht.

7. Am 26.01.2021 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Dabei führte der Beschwerdeführer aus, im Jahr 2014 eine österreichische Staatsangehörige geheiratet zu haben, von welcher er seit 2018 geschieden sei. Er sei mit dieser noch gut befreundet, gemeinsame Kinder gebe es aber nicht. Seine nunmehrige Lebensgefährtin lebe in XXXX . Mit dieser sei er seit etwa zweieinhalb Jahren in einer Beziehung; ihre genaue Adresse sei ihm aber nicht bekannt. Im Übrigen würden in Österreich seine Tante und deren Kinder leben. Diese seien für ihn die einzigen „nahen“ Verwandten und mit der Tante und einem seiner beiden Cousins würde er sogar im selben Haushalt wohnen. Er habe zuletzt die Deutschprüfung auf dem Niveau B1 absolviert und er spreche „akzentfrei“ Deutsch. Vor seiner Inhaftierung sei er (Vollzeit) als Küchengehilfe beschäftigt gewesen, er habe eine Lehre als Bäcker abgeschlossen sowie eine Lehrabschlussprüfung absolviert, und er habe auch mehrere Freunde in Österreich. Zur strafgerichtlichen Verurteilung äußerte sich der Beschwerdeführer dahingehend, ein Aggressionsproblem zu haben. Er gehe aber zur psychologischen Betreuung und er wolle ein Antigewalttraining machen. Er sei mit dreizehn Jahren als Flüchtling nach Österreich gekommen und er lebe mittlerweile seit über elf Jahren hier, wo er sein Leben aufgebaut habe. Er habe keinen Kontakt zu Tschetschenien, keine dort aufhältigen Freunde und keinen Plan, was er mit seinen mangelhaften tschetschenischen Sprachkenntnissen in Tschetschenien, respektive Russland machen könne.

8. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.02.2021, Zahl: XXXX , wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt III.). Des Weiteren wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen ihn ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt V.). Begründend wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Erlassung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG 2005 nicht vorliegen würden und dass die Gesamtbeurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers, seiner Lebensumstände sowie seiner familiären und privaten Anknüpfungspunkte im Rahmen der von der Behörde vorgenommenen Abwägungsentscheidung ergeben habe, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbotes gerechtfertigt und notwendig sei, um die von ihm ausgehende schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern. Die Abschiebung des Beschwerdeführers sei zulässig, da bereits im rechtskräftigen Asylverfahren keine maßgebliche Gefährdung im Herkunftsstaat festgestellt werden habe können; und weil sich - ausgehend von den Länderfeststellungen zur Lage im Zielstaat – bis zum jetzigen Zeitpunkt auch keine Änderungen diesbezüglich ergeben hätten.

In der Entscheidung finden sich keine Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers.

9. Dagegen erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung am 04.03.2021 vollinhaltlich Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Zu den Beschwerdegründen wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Behörde nicht alle Aspekte des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers ermittelt habe, und dass sie bei vollständiger und gewissenhafter Überprüfung dieser Umstände, zu einem anderen Ergebnis im Zuge der Verhältnismäßigkeitsprüfung gelangt wäre. Die Behörde habe ferner eine unzureichende Gefährlichkeitsprognose den Beschwerdeführer betreffend durchgeführt, denn sie hätte dabei auch seine Teilnahme an einem therapeutischen Angebot entsprechend würdigen müssen. Der Beschwerdeführer bereue sein Verhalten sehr und wünsche sich einen ordentlichen Lebenswandel. Die Erlassung eines achtjährigen Einreiseverbotes stehe jedenfalls nicht in einem angemessenen Verhältnis zum persönlichen Verhalten des Beschwerdeführers und es finde sich auch keine nachvollziehbare Begründung, warum die Erlassung eines solchen in der angegebenen Dauer nötig wäre. Im Übrigen habe die Behörde ihrer Entscheidung keine aktuellen Länderfeststellungen zugrunde gelegt, was angesichts der Tatsache, dass im gegenständlichen Verfahren auch über die Zulässigkeit einer Abschiebung in die Russische Föderation entschieden worden sei, jedenfalls erforderlich gewesen wäre. Hätte die belangte Behörde aktuelle und ausgewogene Berichte berücksichtigt, so hätte sie zu dem Schluss kommen müssen, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation Verletzungen seiner durch Art. 2 und 3 EMRK garantierten Rechte drohen würden.

10. Die Beschwerdevorlage langte am 22.07.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde der Gerichtsabteilung W196 zugewiesen.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Zunächst wird der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang festgestellt.

Ergänzend dazu wird festgestellt, dass sich das Verfahren der belangten Behörde als grob mangelhaft erweist.

2.       Beweiswürdigung

Die Feststellungen zum unter Punkt I. angeführten Verfahrensgang ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Feststellung der Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergibt sich aus folgenden Gründen:

In der angefochtenen Entscheidung des BFA befinden sich keine Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers.

Zu den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat ist dem angefochtenen Bescheid nur – in wörtlicher Wiedergabe - zu entnehmen: „Die Staatendokumentation des BFA wurde hinreichend im Hinblick auf Ihre Rückkehr geprüft und als Beweismittel herangezogen, bei Bedarf kann jederzeit beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , Einsicht genommen werden.“

Auch sonst ist dem Akt nicht zu entnehmen, dass mit dem Beschwerdeführer die Lage im Herkunftsstaat in irgendeiner Form erörtert wurde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A.) Behebung und Zurückverweisung zur Erlassung eines neuen Bescheides:

3.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

3.2. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht präzisierend wie folgt festgehalten (VwGH vom 06.07.2016, Ra 2015/01/0123):

"In § 28 VwGVG 2014 ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg cit vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (Hinweis E vom 17. Dezember 2014, Ro 2014/03/0066, mwN). Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Hinweis E vom 27. Jänner 2015, Ra 2014/22/0087, mwN). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (Hinweis E vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, mwN)."

Des Weiteren hat der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer- Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).

3.3. Das von der belangten Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahren erweist sich in wesentlichen Punkten als mangelhaft:

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

Aus den zitierten Rechtsnormen zu § 50 FPG ist ersichtlich, dass die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in Hinblick auf die (aktuelle) Situation in seinem Herkunftsstaat zu prüfen ist.

Im angefochtenen Bescheid der belangten Behörde finden sich demgegenüber keine Ermittlungsschritte in Form von Länderberichten oder dergleichen in Bezug auf den Herkunfts- und Ausweisestaat.

Im angefochtenen Bescheid wurden keine Länderfeststellungen zu der Situation in der Russischen Föderation, respektive Tschetschenien getroffen. Es wurde zwar auf S. 16 des angefochtenen Bescheides ausgeführt: "Die Staatendokumentation des BFA wurde hinreichend im Hinblick auf Ihre Rückkehr geprüft und als Beweismittel herangezogen, bei Bedarf kann jederzeit beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , Einsicht genommen werden." Diese Feststellungen erweisen sich jedoch als unzureichend für die darauf gestützte rechtliche Begründung.

Im gegenständlichen Fall wird sohin schon infolge des gänzlichen Fehlens von für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation, respektive Tschetschenien, der Anforderung, dass jedenfalls die wesentlichen Punkte der diesbezüglichen Feststellungen in der Begründung der Entscheidung der belangten Behörde selbst enthalten sein müssen, nicht entsprochen. Damit wird es dem Bundesverwaltungsgericht verunmöglicht, die angefochtene Entscheidung in der vom Gesetz geforderten Weise der nachprüfenden Kontrolle zu unterziehen (vgl. hierzu VwGH vom 16.06.2015, GZ: RA 2015/19/0036).

Wenn nun die Behörde ausführt, dass bereits im rechtskräftigen Asylverfahren des Beschwerdeführers keine maßgebliche Gefährdung im Falle einer Rückkehr festgestellt werden konnte, so ist anzumerken, dass - unabhängig der Frage, ob die Behörde auf die in diesem Verfahren enthaltenen Feststellungen hätte verweisen dürfen – das diesbezügliche Verfahren mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.04.2014 beendet wurde, und die dieser Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichte somit bereits mehr als sechs Jahre alt sind; was jedenfalls nicht mehr als „aktuell iSd Rechtsprechung betrachtet werden kann. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen. (vgl etwa VfSlg 19.466/2011; VfGH 21.9.2012, U1032/12; 26.6.2013, U2557/2012; 11.12.2013, U1159/2012 ua; 11.3.2015, E1542/2014; 22.9.2016, E1641/2016; 23.9.2016, E1796/2016; 27.2.2018, E2124/2017).

Da im gegenständlichen Bescheid keinerlei aktuelle Länderfeststellungen getroffen wurden, ist es für das Bundesverwaltungsgericht aber auch nicht nachvollziehbar, wie die Behörde zu der Auffassung gelangt, dass sich seit der im Jahr 2014 getroffenen Entscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers tatsächlich keine wesentliche Veränderung der Lage ergeben hat.

Angesichts der aufgezeigten fehlenden Ermittlungsschritte im Hinblick auf die Rückkehrsituation des Beschwerdeführers in Bezug auf die Russische Föderation, respektive Tschetschenien und der sohin – rechtlich – nicht möglichen Beurteilung der Zulässigkeit der Abschiebung iS. §§ 52 Abs. 9 iVm 46 FPG, erweist sich die Entscheidung der belangten Behörde folglich als mangelhaft; der Bescheid der Verwaltungsbehörde ist insofern mit einem Mangel im Sinne obiger Judikatur - argum "bloß ansatzweise ermittelt" - gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG belastet.

Im Übrigen hat es die belangte Behörde während des gesamten Verfahrens unterlassen, dem Beschwerdeführer die aktuellen Länderfeststellungen zur Situation in der Russischen Föderation vorzulegen bzw. mit ihm zu erörtern, weshalb ihm auch kein Parteiengehör hinsichtlich der Beurteilung der Zulässigkeit der Abschiebung gewährt wurde.

Nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. dazu z. B. VfSlg. 8614/1979 und 9147/1981) wird ein Vorgehen, mit dem die Parteienrechte im Verwaltungsverfahren schlechthin missachtet werden, als willkürliche, das Gleichheitsrecht verletzende Gesetzeshandhabung (siehe insb. VfSlg. 12.924/1991) gewertet. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass durch die Unterlassung, der Partei ein Ermittlungsergebnis, das aus der Einsicht in und Wertung von Länderberichten gewonnen wurde, zur Kenntnis zu bringen, das Recht auf Parteiengehör verletzt.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt zwar nicht, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung die Verletzung des Rechts auf Parteiengehör geheilt werden kann, wenn die Verfahrenspartei im Rahmen eines Rechtsmittels eine Stellungnahme abgeben kann. Dies setzt aber voraus, dass in der Begründung des unterinstanzlichen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vollständig wiedergegeben werden (z. B. Hengstschläger/Leeb, AVG, § 46 Rz 40); was im Konkreten durch das gänzliche Fehlen von Länderfeststellungen jedoch nicht der Fall ist. Die Verletzung des Parteiengehörs stellt einen gravierenden Mangel im Verfahren dar und belastet den Bescheid somit ebenso mit Rechtswidrigkeit.

Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit eines effizienten fremdenrechtlichen Verfahrens hinsichtlich eines straffällig in Erscheinung getretenen Fremden und einer mit seinem Aufenthalt allfällig einhergehenden möglichen Gefahr für die Öffentliche Ordnung und Sicherheit, dürfen die Grundsätze des rechtsstaatlichen Verfahrens nicht außer Acht gelassen werden. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird sich daher im fortgesetzten Verfahren mit der allgemeinen Lage in der Russischen Föderation, respektive Tschetschenien auseinanderzusetzen haben und dem Beschwerdeführer die aktuellen Länderberichte zur Lage im Herkunftsstaat zur Kenntnis zu bringen bzw. zur Stellungnahme vorzulegen haben. Erst aufgrund der dadurch gewonnen Ermittlungsergebnisse wird eine entsprechende Würdigung der Zulässigkeit der Abschiebung erfolgen können.

Zumal der Beschwerdeführer den Großteil seines Lebens in Österreich verbracht hat und – seinen Angaben zufolge - keine Kontakte mehr zu Russland pflegt, wären allfällig damit einhergehende besondere Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung und beim Bestreiten seines Lebensunterhaltes im Herkunftsstaat, im Zuge der durchzuführenden Interessensabwägung bei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, ebenfalls mit Bezugnahme auf aktuelle Länderinformationen neu zu bewerten; und zwar im Hinblick der erforderlichen gesamtheitlichen Betrachtung aller relevanten Umstände. Aufgrund der Mangelhaftigkeit der Ermittlungen kann somit auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich unabhängig vom Vorbringen des Beschwerdeführers aus dieser Situation eine andere Beurteilung gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm § 55 AsylG 2005 ergibt.

3.4. Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist, und insbesondere deshalb, weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

3.5. Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, da aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, liegen vor.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

aktuelle Länderfeststellungen Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Rückkehrentscheidung Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W196.1317040.3.00

Im RIS seit

17.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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