TE Bvwg Beschluss 2021/10/1 W240 2246744-1

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Veröffentlicht am 01.10.2021
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Entscheidungsdatum

01.10.2021

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W240 2246744-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Feichter über die Beschwerde von XXXX StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.09.2021, Zl.: 1086392607/210772275, beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Absatz 3, 2. Satz BFA-VG stattgegeben, das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz wird zugelassen und der bekämpfte Bescheid behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge auch BF), eine afghanische Staatsangehörige, stellte nach ihrer Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 10.06.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz. Ihr erster Asylantrag, den sie in Österreich gestellt hatte zusammen mit ihrer Familie ist im Jahr 2019 rechtskräftig negativ entschieden worden.

Der Abgleich der Fingerabdrücke ergab, dass die BF in Frankreich am 03.09.2019 anlässlich ihrer Asylantragstellung erkennungsdienstlich behandelt worden sind.

Im Rahmen ihrer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 10.06.2021 brachte die Beschwerdeführerin insbesondere vor, sie habe Österreich Anfang 2019 verlassen und sei nach Frankreich, wo sie auch einen Asylantrag gestellt habe, der ebenfalls negativ entschieden worden sei. In Frankreich sei sie in einem Zeltlager untergebracht gewesen, sie habe ein Nervenleiden, weder in Afghanistan noch in Frankreich habe sie eine Familie. Sie sei auf die medizinische Behandlung in Österreich angewiesen. Frauen würden in Afghanistan keine Rechte haben, daher fürchte sie sich vor der Abschiebung nach Afghanistan.

Das BFA richtete am 14.06.2021 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Frankreich.

Am 21.06.2021 lehnte Frankreich das Ansuchen Österreichs mit dem Hinweis des Verbots einer Trennung von Familien ab, da die BF in Frankreich gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Sohn Mohammad einen Asylantrag gestellt hätte und diese beiden im Wiederaufnahmeersuchen Österreichs nicht erwähnt worden seien.

Am 12.07.2021 wurde Frankreich mitgeteilt, dass die BF in Österreich allein einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe und die österreichischen Behörden keine Kenntnis vom Aufenthaltsort ihres Ehemannes und Sohnes hätten.

Mit Schreiben vom 26.07.2021 stimmte Frankreich gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO der Rückübernahme der Beschwerdeführerin zu.

Am 13.08.2021 wurde die Beschwerdeführerin vom BFA niederschriftlich einvernommen. Die Einvernahme gestaltete sich im Wesentlichen wie folgt:

„(…)

L: Haben Sie Beweismittel oder identitätsbezeugende Dokumente, die Sie vorlegen können und welche Sie bisher noch nicht vorgelegt haben?

A: Nein ich habe keine Dokumente. Ich bin etwas vergesslich, ich habe mir Stichworte aufgeschrieben. Ich habe nur medizinische Befunde.

L: Was meinen Sie mit Stichworten? Was haben Sie aufgeschrieben?

A: Ich bin vergesslich.

L: Was haben Sie noch aufgeschrieben?

A: Dass ich 2015 eine Hand OP hatte, wie die Lage in Frankreich ist, meine Medikamente.

L: Ich weiß nicht wer diesen Zettel verfasst hat und was darauf steht, deswegen legen Sie den Zettel bitte weg, sie können diese Informationen nicht in der Einvernahme verwenden

AW legt vor:

Befund vom 11.08.2021

Befunde vom 20.07.2021

Befund vom 18.07.2021

Befund vom 12.06.2021

Befund 29.06.2021

Medikamente:

Baldrian. Psychopax, Mexalen, Paracetamol, Diclostad Creme für meine Hand

L: Leiden Sie an schwerwiegenden Krankheiten?

A: Nein.

L: Wie lange haben Sie das schon?

A: Die letzten 2-3 Jahre habe ich immer wieder Probleme. Ich spüre diese Atemprobleme.

L: Waren Sie in Frankreich auch in Behandlung?

A: Ja.

Zur Person:

XXXX in Kabul. Die A ist afghanische Staatsangehörige. Die A ist verheiratet.

Sie sind Muslimin sunnitischer Strömung und gehören der Volksgruppe der Tajiken an.

L: Wo befindet sich Ihr Ehemann?

A: Mein Mann und mein Sohn waren in Frankreich, mein Sohn ging einfach weg. Mein Mann ist in Frankreich geblieben, aber ich weiß nicht wo er jetzt ist. Meine Tochter ist in Österreich.

L: Warum wissen Sie nicht wo ihr Mann ist?

A: Es ist wegen meiner Krankheit. Ich habe es vergessen. Es gibt Dinge, die ich einem Mann nicht erzählen kann, vielleicht einer weiblichen Ärztin.

L: Haben Sie keinen Kontakt zu Ihrem Mann?

A: Nein.

L: Hat das etwas mit Frankreich zu tun?

A: Wir haben einen negativen Bescheid bekommen, wir hatten einen Streit und er ist nie wieder gekommen. Wir haben in einem Flüchtlingslager gelebt.

L: Haben Sie in der EU bzw. in Österreich, in Norwegen, der Schweiz, in Liechtenstein oder in Island aufhältige sonstige Verwandte?

A: Meine Tochter lebt in Österreich: 1086392901 XXXX (asylberechtigt)

L: Wann haben Sie Ihre Tochter das letzte Mal vor der Einreise gesehen?

A: Ich muss das ablesen, wann ich eingereist bin, das war vor 2 Monaten.

L: Wann haben Sie Ihre Tochter, bevor Sie in Ö eingereist sind, gesehen.

A: Seitdem wir in Frankreich waren, habe ich sie nicht gesehen.

L: Stehen Sie in irgendwelchen Abhängigkeiten zu Ihrer Tochter?

A: Ich bin psychisch krank, ich habe Probleme, meine Tochter kann mir helfen.

L: Wie meinen Sie psychisch krank?

A: Ich bin müde und vergesslich, ich kann nicht essen, ich beginne zu weinen, ich kann in der Früh nicht aufstehen. Ich bekomme keine Luft. Die letzten 3 Jahre waren schwer für mich, es sollte ein Ende geben, damit ich endlich wo bleiben kann.

L: In der Erstbefragung am 10.06.2021 gaben Sie zu Protokoll, dass Sie seit 2019 in Frankreich aufhältig waren?

A: AW liest auf Ihrem Zettel. 2019 habe ich in Österreich eine negative Entscheidung bekommen, danach sind wir nach Frankreich gegangen.

L: In welchem Stadium befindet sich Ihr Asylverfahren in Frankreich?

A: Ich habe einen negativen Bescheid belkommen.

L: Sie haben am 02.08.2021 eine Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gem. §29/3/4 AsylG 2005 übernommen, in welcher Ihnen die beabsichtigte Vorgehensweise des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl mitgeteilt wurde, Ihren Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen und worin Sie auch über das Führen von Dublin Konsultationen mit Frankreich informiert wurden. Am 18.06.2021 hat Frankreich die Zustimmung für die Führung Ihres Asylverfahrens erteilt. Es ist daher beabsichtigt, Ihre Außerlandesbringung aus Österreich nach Frankreich zu veranlassen. Möchten Sie dazu eine Stellungnahme abgeben?

A: Ich bin eine kranke Frau, ich brauch Hilfe, ich will bei meiner Tochter bleiben, die mir helfen kann. Das einzige was mir bleibt, ist dort Medikamente zu nehmen und mich umzubringen. Meine Krankheit wird schlimmer. Ich habe in einem Zelt gelebt, ich hatte Angst dort etwas allein zu machen. Ich konnte nicht gut schlafen, weil ich diese Zeit in Frankreich im Kopf habe. Ich glaube immer mir attackiert jemand von hinten.

L: Gab es in Frankreich einen Vorfall?

A: Alles wegen den negativen Sachen, nachgefragt: ich meine den negativen Bescheid.

L: Möchten Sie zur Lage in Frankreich oder zu den Länderfeststellungen eine Stellungnahme abgeben?

A: Die Flüchtlinge sind dort nicht willkommen, wir haben keine Unterkunft. Wir haben Medikamente bekommen und im Zelt schlafen müssen. In Österreich kommt eine Psychiaterin, dadurch bin ich ruhiger. Es kommt eine Frau und beruhigt mich. Es gibt einige Sachen, die ich vor einem Mann nicht sagen kann.

L: Wollen Sie eine weibliche Dolmetscherin, um diese Sachen erzählen zu können?

A: Nein es geht um medizinische Sachen, es geht nicht um das Verfahren.

Der AW wird erklärt, dass es in der Einvernahme um eine Überstellung nach Frankreich geht. AW wird gefragt, ob Sie etwas im Verfahren sagen möchte und das nur mit einem weiblichen Team gemacht werden soll.

A: Es geht um Dinge betrf. meinen Mann. Er war schlecht.

Es wird nochmals geklärt was die AW möchte. Eine Ärztin kann der EV nicht beigezogen werden, die AW kann nur Befund einbringen.

L: Was wollen Sie nun? Haben Sie gesundheitliche Probleme die Sie mit einer weibl. Ärztin abklären wollen, dann müssen Sie zur Ärztestation.

A: AW kann sich nicht erklären.

AW erhält eine Ladung zur PSY III Untersuchung.

L: Was werden Sie tun, wenn Ihr Asylantrag negativ beschieden wird?

A: Ich bitte sie helfen sie mir. Meine Tochter lebt hier und kann mir helfen. Ich bin in einem Alter, in dem ich Hilfe brauche und nicht allein leben kann.

L: Inwieweit würden aufenthaltsbeendende Maßnahmen in Ihr Familien- und Privatleben eingreifen?

Anmerkung: Der A wird die Fragestellung näher erläutert, insbesondere dass im Rahmen einer Ausweisungsprüfung verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte in Österreich, Aufenthaltsberechtigungen in Österreich, gewichtige private Interessen an einem Verbleib in Österreich, sonstige gewichtige Bezugspunkte zu Österreich u. udgl. berücksichtigt werden.

A: Meine Tochter lebt hier und fragt nach wie es mir geht. Sie besucht mich auch. Ich kann in keine Menschenmenge gehen, ich habe Angst. Ich habe alles von Frankreich im Kopf. Ich wurde hier erschreckt durch junge Leute im Haus. Deswegen musste ich ins Krankenhaus. In Frankreich gibt es nur Zelte, ich bin krank. Ich möchte nur so viel damit ich hier leben kann.

L: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie Gelegenheit alles vorzubringen, was Ihnen wichtig erscheint?

A: Ich bitte sie, dass sie mir mit meiner Krankheit helfen können.

(…)“

LA: Fühlen Sie sich heute psychisch und physisch in der Lage, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten?

VP: Mir geht es psychisch nicht wirklich gut. Ich nehme Medikamente.

LA: Fühlen sie sich in der Lage am PG teilzunehmen, oder sollen wir auf einen anderen Termin verschieben?

VP: Ich könnte Panikattacken bekommen und dann müsste ich den Raum verlassen. Derzeit geht es mir gut und ich kann die Fragen beantworten.

LA: Bitte sagen Sie es sofort, wenn Sie sich schlecht fühlen.

VP: In Ordnung

LA: Leiden Sie an irgendwelchen schwerwiegenden Krankheiten? Benötigen Sie Medikamente?

VP: Ja. Ich habe seit etwa 3 Jahren psychische Probleme. Depressionen, Angstzustände und Panikattacken. Seit etwa 1 Jahr bekomme ich auch schlecht Luft. Ich denke da immer, dass ich sterben muss. Ich hatte eine schlimme Vergangenheit und seit ich in Europa bin wirkt sich das bei mir aus. Ich will hier bei meiner Tochter bleiben und wenn ich daran denke, dass ich wieder nach Frankreich muss, dann bekomme ich Panikattacken

Anm.: VP legt 7 Bündel med. Unterlagen vor. Kopie zum Akt.

LA: Sie wurden laut den Unterlagen nur ambulant behandelt. Waren Sie jemals in Österreich stationär in einem Krankenhaus aufhältig?

VP: Nein. Wenn ich die Medikamente nehme, dann wirken sie und es geht mir wieder besser. Es kommt aber immer wieder. Nachts bin ich ruhiger und am Vormittag und im Laufe des Tages wird es schlechter.

LA: Wurden noch weitere Untersuchungstermine vereinbart?

VP: Ich muss regelmäßig zur Kontrolle zum Arzt und um meine Medikamente zu holen. Die Ärzte sagten, dass ich Ruhe brauche. Nachgefragt bekomme ich in der Früh zwei Medikamente. Die habe ich nicht bei mir. Die bekomme ich von den Betreuern im Camp. Ich bekomme zusätzlich Medizin für einen ruhigen Schlaf. Anm. VP legt Fläschchen PSYCHOFAX für ruhigen Schlaf vor, weiters PARACETAMOL ACCORD 500mg gegen die Schmerzen (Ursache psychischer Hintergrund laut VP), weiters 3 Salben und mehrere Tabletten vor.

LA: Die Medikamente könnten auch von einer anderen Person stammen.

VP: Ich habe alles vorgelegt.

Aufforderung: Sie werden aufgefordert, sämtliche sich in Ihrem Besitz befindlichen bzw. die sich in Zukunft in Ihrem Besitz befindlichen med. Unterlagen selbstständig und ohne weitere Aufforderung der ho. Behörde in Vorlage zu bringen.

LA: Entsprechen Ihre Angaben, die Sie im Rahmen der Erstbefragung am 10.06.2021 vorgebracht haben der Wahrheit, halten Sie diese aufrecht, oder möchten Sie Korrekturen vorbringen?

VP: Ich habe die Wahrheit gesagt. Ich möchte korrigieren, dass wir 2015 bis 2019 in Ö waren. Nachgefragt Ich mein Mann und meine Kinder. Bei der Polizei sagte ich, dass ich nach 4 negativen Entscheidungen Ö verlassen hatte, aus Angst vor eine Abschiebung.

Meine Tochter hat das Protokoll gelesen und mir später gesagt, dass dort steht, dass ich nur eine negative Entscheidung hatte. Ich hatte aber 4. In Frankreich hatte ich auch 2 negative Entscheidungen, es steht aber 1 dort. Nach der negativen Entscheidung hat mein Sohn Frankreich verlassen, ich weiß nicht wohin. Später habe ich mit meinem Mann heftig gestritten und ich sagte ihm, dass ich zu meiner Tochter nach Ö gehe. Wir lebten damals in einem Zelt. Nachgefragt weiß ich nicht, wo mein Mann jetzt ist. Wir haben heftig gestritten und wir reden nichts mehr miteinander. Nachgefragt sind wir noch immer verheiratet.

LA: Haben Sie noch Angehörige in Frankreich?

VP: Eigentlich nicht. Wir waren dort zu dritt. Mein Mann, ich und mein jüngerer Sohn. Ich weiß nicht, wo mein Sohn hingegangen ist. Ich war dort dann krank und benötigte Behandlung. Mein Mann hatte dafür kein Verständnis.

LA: Wurden Sie medizinisch behandelt?

VP: Ja. Ich hatte keine Gesprächstherapie, aber ich bekam Medikamente. Ich hatte diese Angstzustände seit wir in dem Zelt lebten.

LA: Haben Sie in Österreich, oder in einem anderen Staat in Europa, Verwandte oder sonstige Personen, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung besteht?

VP: Meine Tochter lebt in Wien. Sie arbeitet als Krankenschwester. Ich habe 3 Schwestern in Ö. Eine Schwester in Deutschland und ein Bruder in Griechenland

LA: Wie heißt Ihre Tochter und wann ist sie geboren?

VP: XXXX

LA: Warum hat die Tochter einen anderen Nachnamen als Sie?

VP: Sie hat den Namen meines Mannes. Das ist bei uns üblich. Die Ehefrau behält den Namen, aber die Kinder übernehmen den Namen des Vaters.

LA: Wie lautet die Adresse?

VP: Ich habe den Pass meiner Tochter vorgelegt.

LA: Wie lautet die Adresse?

VP: In Wien. Früher wohnten wir in der Steiermark und sie zog dann nach Wien.

LA: Haben Sie die Tochter schon in Wien besucht?

VP: Nein. Sie kam einmal zum Camp und hat mich besucht. Nachgefragt weiß ich nicht wie oft. Wenn Sie nicht gekommen ist, dann haben wir telefoniert.

LA: Seit wann lebt Ihre Tochter nun schon in Österreich?

VP: Wir kamen gemeinsam 2015. Wir bekamen alle negative Entscheidungen. Meine Tochter bekam vom Gericht Asyl. Wir nicht. Das wurde von 2 weiteren Gerichten ohne Verhandlung bestätigt.

LA: Wurden bzw. werden Sie derzeit von Ihrer Tochter unterstützt?

VP: Ich benötige keine finanzielle Hilfe. Sie ist aber immer für mich da. Wenn ich etwas nicht verstehe, dann kommt sie sofort. Sie hat im Iran studiert und in Ö wurde das anerkannt. Deswegen arbeitet sie hier als Krankenschwester.

LA: Ist das Ihre Tochter? Anm.: VP wird Bild von 1086392901 XXXX gezeigt.

VP: Ja

LA: Frankreich hat dem Wiederaufnahmeersuchen der Republik Österreich zugestimmt. Daher wird beabsichtigt, Ihren in Österreich gestellten Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen und die Außerlandesbringung nach Frankreich zu veranlassen.

Eine Verfahrensanordnung gem. §29 Abs.3 Asylgesetz 2005 und gem. §52a Abs.2 BFA-VG haben Sie bereits erhalten.

LA: Wollen Sie nun konkrete Gründe nennen, die dem entgegenstehen?

VP: Ich habe in Frankreich niemanden mehr, ich habe ernsthafte Probleme mit meinem Mann. Ich habe große psych. Probleme und habe mich deswegen selbst gehasst. Ich habe deswegen meine Haare kurz geschnitten, weil ich meine Weiblichkeit verstecken wollte. Wenn mein Mann sexuelle Bedürfnisse hatte, habe ich das abgelehnt und wir hatten heftigen Streit. Deswegen war die Beziehung kalt und kompliziert. Ich hatte kein Problem mit meinem Mann, sondern mit mir. Ich bin eine gebrochene Frau und weine dauernd. Ich habe mich nicht unter Kontrolle. Meine Familie ist getrennt und ich fühle mich schuldig. Ich habe an Selbstmord gedacht, weil ich meine Familie nicht zusammenhalten konnte. Ich habe alles gemacht um meine Kinder zur erziehen und jetzt sind sie alle irgendwo. Ich schaffte es im Iran, trotz der Umstände, dass meine Kinder studieren konnten. Alle haben gearbeitet. (Anm.: VP weint und bittet sich ans offene Fenster stellen zu dürfen- Wird bejaht) Ich hatte Glück, dass mein Vater ein Intellektueller war. Ich konnte die Schule besuchen. Ich habe aber in Afghanistan nur 2 Jahre gearbeitet, weil ich dann mein Kind bekommen habe und dann daheim bleiben musste.

LA: Wie lange waren Sie in Frankreich aufhältig?

VP: Seit 2019 bis vor Kurzem. Ich weiß das genaue Datum nicht.

LA: Gab es während Ihres Aufenthalts in Frankreich konkret Sie betreffende Vorfälle?

VP: Nein

LA: Geht es Ihnen wieder besser?

VP: Ja. Danke. Ich bleibe aber hier am Fenster stehen.

LA: Möchten Sie jetzt noch etwas erwähnen, das nicht zur Sprache gekommen ist und Ihnen wichtig erscheint?

VP: Ich habe in Frankreich mit niemand Probleme. Ich bin mit meinem Mann seit 30 Jahren verheiratet. Er ist ein guter Mann. Wir hatten zuletzt nur noch gestritten. Ich war das Problem. Ich habe ernsthafte Probleme. Ich bin auf der Suche nach meiner Identität und fühle mich völlig leer. Ich kann nicht mehr in Frankreich bei meinem Mann sein.

LA: Ihnen wurden mit der Ladung das Länderinformationsblatt zu Frankreich ausgehändigt. Das Bundesamt beabsichtigt diese Unterlagen zur Entscheidungsfindung in Ihrem Asylverfahren heranzuziehen.

LA: Möchten Sie jetzt zu dem Ihnen ausgefolgten aktuellen Länderinformationsblatt zu Frankreich Stellungnahme abgeben?

VP: Ich habe es erhalten und gelesen. Ich will nicht nach Frankreich. Dort würde ich wieder im Zelt schlafen und mit meinem Mann streiten. Das schaffe ich psychisch nicht mehr. Ich will hierbleiben. Meine Tochter versteht mich gut. Wenn ich zurück muss, werde ich mich umbringen. Ich kann meine Tochter nicht verlassen.

LA: Haben Sie den Dolmetscher während der gesamten Befragung einwandfrei verstanden?

VP: Ja

(…)“

Betreffend die Beschwerdeführerin wurden wiederholt Konvolute an medizinischen Unterlagen vorgelegt.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11.09.2021 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß
§ 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Frankreich gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG eine Abschiebung nach Frankreich zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Im Bescheid wurde insbesondere festgestellt:

„(…)

Sie sind volljährig. 

Sie sind Staatsangehöriger von Afghanistan.

Sie sind verheiratet und haben 3 Kinder. Ihre volljährige Tochter lebt in Österreich. Der Rest ihrer Familie hält sich nicht in Österreich auf.

Sie leiden an keinen lebensbedrohenden oder überstellungshinderlichen Krankheiten.

Sie gehören nicht zur SARS-CoV-2 Risikogruppe

Am 26.07.2021 stimmte Frankreich ihrer Rückübernahme gem. Art. 18 (1) (d) VO (EU) 604/2013 zu.

In Österreich lebt Ihre Tochter XXXX

Weitere Angehörige oder Verwandte in Österreich haben Sie nicht.

Des Weiteren konnten keine engen privaten Anknüpfungspunkte bzw. Abhängigkeiten zu in Österreich aufenthaltsberechtigten Personen festgestellt werden.

Sie haben in Österreich keine sozialen Kontakte, die Sie in Österreich binden.

Die Feststellung zu Ihrer Gesundheit ergibt sich aus Ihren Angaben im Verfahren und dem Akteninhalt. Dass Sie an lebensbedrohenden Krankheiten leiden, ist nicht aus der Aktenlage ersichtlich.

Eine stationäre Betreuung war aufgrund Ihrer Beschwerden nicht notwendig.

Wären Ihre Probleme tatsächlich lebensbedrohlich gewesen, hätten die Ärzte dementsprechend agiert bzw. agieren müssen und Sie wären nicht entlassen worden.

Anderslautende medizinische Unterlagen legten Sie nicht vor.

Zusätzlich wird angeführt, dass Sie selbst angegeben haben, dass Sie die Notwendigen Medikamente auch in Frankreich erhalten haben

(…)“

4. Gegen den zitierten Bescheid erhob die Beschwerdeführerin binnen offener Frist die vorliegende Beschwerde, verbunden mit dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Darin werden im Wesentlichen folgende Passagen vorgebracht:

„(…)

Die BF lebt aktuell bei ihrer Tochter - die BF leidet an starken Depressionen, Angst und Panik und besteht eine akute Suizidalität - auf eine umfassende emotionale als auch finanzielle Unterstützung durch ihre Tochter und eine engmaschige medizinische Betreuung angewiesen ist. In Frankreich lebte die BF mit ihrem Ehemann. Zwischen den Eheleuten kam es- unter anderem aufgrund des psychischen Zustandes der BF - vermehrt zum Streit und auch zu körperlichen Auseinandersetzungen, vor allem weil die BF ihrem Ehemann den Geschlechtsverkehr verweigerte. In Frankreich verfügt die BF über keine familiären Anknüpfungspunkte mehr.

Die BF lebte zunächst in zwei Unterkünften im Rahmen der Grundversorgung. Dies war allerdings aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht möglich. Nachdem die BF mehrmals – aufgrund von Panikattacken und Suizidalität - in das Landesklinikum Baden, als auch in das Landeskrankenhaus in Villach eingeliefert wurde, zog die BF zu ihrer Tochter. Zwischen der BF und der Tochter besteht ein tiefgreifendes Abhängigkeitsverhältnis. Die BF ist derzeit nicht fähig ihr Leben selbstständig zu meistern.

Die BF leidet an starken Depressionen, Angst- und Panikattacken und ist akut suizidal. Die BF äußerte bereits des Öfteren sich das Leben nehmen zu wollen. Ihre Tochter – bei der die BF aktuell lebt – ist bemüht auf ihre Mutter aufzupassen. Aktuell besteht akute Selbstmordgefahr. (siehe Beilage II. aktuelle, psychologische Testuntersuchung vom 17.09.2021) Derzeit ist die BF auf eine engmaschige Betreuung angewiesen. Sie nimmt täglich mehrere Medikamente –Passedan, Escitalopram, Ciraplex, Trittico, Quetiapin, Psychopax– ein. (siehe Beilage III.) Außerdem erhielt sie kürzlich eine Überweisung und wurde ihr empfohlen, sich einer klinisch psychologischen Behandlung zu unterziehen. (Beilage IV.) Aus einem Schreiben der behandelnden Ärztin ergibt sich, dass die Tochter – als ausgebildete Krankenschwester – in der Lage ist, ihre Mutter im Fall wiederauftretenden Panikattacken – Hilfe zu leisten und die Auswirkungen zu mindern. (siehe Beilage V.)

In Frankreich ging es der BF zunehmend schlechter, die Umstände – Leben in einem Zelt, Gewalt in der Ehe – führten dazu, dass die BF zunehmend mit dem Gedanken spielte ihrem Leben ein Ende zu setzen.

Eine Abschiebung nach Frankreich würde bei der BF zu einer erheblichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes führen, die BF wäre in Frankreich alleine – zu ihrem Ehemann könnte sie keinesfalls zurückkehren – und würde sich in einer Aussichtslosen Lage wiederfinden, was in Anbetracht des Gesundheitszustandes, schwerwiegende Folgen hätte. Die Behörde stellt im gegenständlich angefochtenen Bescheid mehrmals fest, dass die BF gesund sei und unter keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen leiden würde. Die Behörde ignorierte dabei völlig die Befunde, die die BF im Rahmen der Einvernahme vorlegte, aus denen sich, nach der Gesamtbetrachtung – insbesondere der mehrmaligen ambulanten Aufenthalte wegen Panikattacken- eindeutig der vulnerable Zustand der BF ergibt. (siehe S. 17 ff des nun angefochtenen Bescheides) Die Behörde setzt sich völlig unzureichend mit dem Inhalt der vorgelegten Befunde auseinander.

Zum Beweis:

-        beantragt wird ein neurologisch, psychiatrisches Gutachten durch eine*n Fachärztin, einem Facharzt der Psychiatrie, hinsichtlich der BF, zum Beweis des vulnerablen Zustandes der BF und hinsichtlich der Auswirkungen, die eine Rückkehr nach Frankreich auf den Zustand der BF hätte

-        Es wird daher beantrag, das BVwG möge XXXX , Sta Afghanistan wohnhaft in XXXX , im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zeugenschaftlich einvernehmen. Dies zum Beweis dafür, dass zwischen der BF und ihrem Kind ein ausgeprägtes Familienleben besteht sowie die BF auf die Unterstützung ihrer Tochter im Alltag angewiesen ist.

Die Tochter der BF ist asylberechtigt in Österreich. Sie lebt in Wien und beendete kürzlich die Ausbildung als Krankenschwester. Die Behörde verkennt im gegenständlich bekämpften Bescheid die enge Beziehung zwischen der BF und ihrer Tochter. Auch als sich die BF in Frankreich aufhielt, hielten die beiden Frauen Kontakt. Die BF hat aktuell nur noch zu ihrer Tochter Kontakt. Ihrem Ehemann, hat sie aufgrund der Vorfälle den Rücken gekehrt und über den Aufenthalt der Söhne oder des Ehemannes sind unbekannt.

Gegenständlich hätte die Behörde zu dem Schluss kommen müssen, dass eine Abschiebung der BF nach Frankreich einen unzulässigen Eingriff in ihr schützenswertes Privat- und Familienleben und damit in Art 8 EMRK, der BF bedeuten würde.

(…)“

Zusammen mit der Beschwerde wurde eine Medikamentenliste sowie wurden neben bereits vorgelegten insbesondere folgende Unterlagen vorgelegt:

-        Psychologische Testuntersuchung vom 17.09.2021, wonach bei der BF ua. deutliche Hinweise auf starke Depression mit Angst und Panik vorliegen würden, es würden vor allem starke Hinweise auf eine Suizidalität vorliegen. Diagnostiziert wurde neben starker Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses, des Langzeitgedächtnisses und des Auffassungsvermögens sowie eine reduzierte Wahrnehmung. Es wurde ein stark ausgeprägtes depressives Syndrom F 32.2 mit akuter Selbstmordgefahr festgestellt.

-        Überweisung zu einer klinischen Psychologin am 17.09.2021

-        Ein Arztbrief vom 16.09.2021 mit den Diagnosen Depressio, Angstzustände und Panikattacken, diese Zustände würden sich sehr vermindern, wenn die BF bei ihrer in Österreich asylberechtigten Tochter ist, diese ist ausgebildete Diplomkrankenschwester. Für die BF ist es laut Einschätzung der Allgemeinärztin ein großer Vorteil bei ihrer Tochter zu leben.

-        Befunde über den ambulanten Aufenthalt in einem Landeskrankenhaus

-        Überweisung zur Physiotherapie aufgrund der Handverletzung

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF ist eine afghanische Staatsangehörige und stellte nach ihrer Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 10.06.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Abgleich der Fingerabdrücke ergab, dass die BF in Frankreich am 03.09.2019 anlässlich ihrer Asylantragstellung erkennungsdienstlich behandelt worden sind.

Das BFA richtete am 14.06.2021 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Frankreich.

Am 21.06.2021 lehnte Frankreich das Ansuchen Österreichs mit dem Hinweis des Verbots einer Trennung von Familien ab, da die BF in Frankreich gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Sohn Mohammad einen Asylantrag gestellt hätten und diese beiden im Wiederaufnahmeersuchen Österreichs nicht erwähnt worden seien.

Am 12.07.2021 wurde Frankreich mitgeteilt, dass die BF in Österreich allein einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe und die österreichischen Behörden keine Kenntnis vom Aufenthaltsort ihres Ehemannes und Sohnes hätten.

Mit Schreiben vom 26.07.2021 stimmte Frankreich gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO der Rückübernahme der Beschwerdeführerin zu.

In Österreich lebt die asylberechtigte Tochter der BF, mit dieser lebt die BF im gemeinsamen Haushalt.

Die Beschwerdeführerin leidet unter gesundheitlichen Beschwerden, insbesondere wurden zusammen mit der Beschwerde neben bereits vorgelegten medizinischen Befunden Unterlagen übermittelt über eine psychologische Testuntersuchung vom 17.09.2021, wonach bei der BF ua. deutliche Hinweise auf starke Depression mit Angst und Panik vorliegen würden, es würden vor allem starke Hinweise auf eine Suizidalität vorliegen. Diagnostiziert wurde neben starker Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses, des Langzeitgedächtnisses, des Auffassungsvermögens sowie eine reduzierte Wahrnehmung. Es wurde ein stark ausgeprägtes depressives Syndrom F 32.2 mit akuter Selbstmordgefahr festgestellt. Weiters wurde insbesondere ein Arztbrief vom 16.09.2021 mit den Diagnosen Depressio, Angstzustände und Panikattacken, vorgelegt, laut Einschätzung der Allgemeinärztin würden sich diese Zustände würden sehr vermindern, wenn die BF bei ihrer in Österreich asylberechtigten Tochter ist, diese ist ausgebildete Diplomkrankenschwester. In der Beschwerde wurde darauf verwiesen, dass die BF auf die Unterstützung durch ihre Tochter und eine engmaschige medizinische Betreuung angewiesen sei.

Die belangte Behörde hat keine abschließende Beurteilung zum Gesundheitszustand, zum Familienleben sowie zu allfällig bestehen Abhängigkeitsverhältnissen sowie zur Pflegebedürftigkeit der Beschwerdeführerin mit dem Ziel vorgenommen, eine Grundlage für ihre Entscheidung zu schaffen.

2.       Beweiswürdigung:

Der für die gegenständliche Zurückverweisung des Bundesverwaltungsgerichtes relevante Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage zweifelsfrei.

Aus der Aktenlage ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die erstinstanzliche Behörde eine abschließende Beurteilung des Familienlebens, des Gesundheitszustandes und eine allenfalls bestehende Abhängigkeit bzw. Pflegebedürftigkeit der Beschwerdeführerin in Österreich nicht für erforderlich gehalten hat und aus welchen Gründen ohne eine solche Beurteilung der gegenständliche nunmehr angefochtene Bescheid erlassen wurde.

Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Aufhebung des angefochtenen Bescheides:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lauten:

„§ 5. (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2)      [...]

(3)      Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird, 2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3.-5. […] und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

(2)-(3) […]

§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.“

§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) lautet:

„§ 61. (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1.       dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2.       […]

(2)      Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3)      Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4)      Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.“

Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin III-VO lauten:

"Art. 3 Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1)      Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2)      Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3)      Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.
Art. 7 Rangfolge der Kriterien

(1)      Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2)      Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3)      Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl

16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

Art. 16 Abhängige Personen

(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.

(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.

(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.

(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Art. 17 Ermessensklauseln

(1)      Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen

Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2)      Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.

Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.

Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

Gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG ist das Verfahren zugelassen, wenn der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben ist. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Zunächst ist vorauszuschicken, dass das BFA im gegenständlichen Verfahren unter Zugrundelegung des Ergebnisses des Konsultationsverfahrens zutreffend davon ausgegangen ist, dass in materieller Hinsicht die Zuständigkeit Frankreichs zur Prüfung des Antrages der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vorliegt. Die Verpflichtung Frankreich zur Aufnahme der Beschwerdeführerin ergibt sich aus Art. 18. Abs. 1 lit. d Dublin III-VO, Frankreich hat mit Schreiben vom 26.07.2021 seine Zuständigkeit gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO zuerkannt.

Dennoch geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass zum Entscheidungszeitpunkt eine Überstellung der Beschwerdeführerin nach Frankreich nicht zulässig ist, da in casu die gegenständliche Entscheidung des BFA auf Basis eines insgesamt qualifiziert mangelhaften Verfahrens ergangen sind, weshalb eine Behebung und Zurückverweisung nach
§ 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG zu erfolgen hatte. Dies aus folgenden Erwägungen:

Hinsichtlich des Vorbringens der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit ihrem Gesundheitszustand ist auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zu
Art. 3 EMRK im Zusammenhang mit der Abschiebung von Kranken zu verweisen. Demnach haben im Allgemeinen Fremde kein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn sie an einer schweren Krankheit leiden oder selbstmordgefährdet sind. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver sei, sei unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gebe. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führe die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche lägen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben. Bei der Ausweisung und Abschiebung Fremder in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union werde auch zu berücksichtigen sein, dass dieser zur Umsetzung der Aufnahmerichtlinie verpflichtet sei. Gemäß Art. 15 dieser Richtlinie haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass Asylwerber die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst bzw. dass Asylwerber mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe erlangen. Dennoch könnte der Transport vorübergehend oder dauernd eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, etwa bei fortgeschrittener Schwangerschaft oder der Erforderlichkeit eines ununterbrochenen stationären Aufenthalts (EGMR 22.06.2010, 50068/08, Al-Zawatia; EGMR Große Kammer, 27.05.2008, 26565/05, N./Vereinigtes Königreich, Rn. 42ff; EGMR 03.05.2007, 31246/06, Goncharova & Alekseytsev; 07.11.2006, 4701/05, Ayegh; 04.07.2006, 24171/05, Karim; 10.11.2005, 14492/03, Paramsothy; VfGH 21.09.2009, U 591/09; 06.03.2008, B 2400/07; VwGH 31.03.2010, 2008/01/0312; 23.09.2009, 2007/01/0515).

In seiner Entscheidung im Fall „Paposhvili vs. Belgium“ (EGMR, Große Kammer, 13.12.2016, 41738/10) hat der EGMR das Vorliegen von „ganz außergewöhnlichen Fällen“ näher präzisiert. Demnach ist der Gerichtshof der Ansicht, dass die Abschiebung eines schwer kranken Menschen auch dann vom nach Art. 3 EMRK geschützten Bereich umfasst sein könnte - auch wenn dieser sich nicht in unmittelbarer Lebensgefahr befindet - wenn wegen des Fehlens einer geeigneten Heilbehandlung im Zielstaat oder wegen des mangelnden Zugangs zu einer solchen Heilbehandlung eine ernste, schnelle und irreversible Verschlechterung des Gesundheitszustands, die ein starkes Leid zur Folge hätte, oder diese Person eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zu erfahren hätte, einer realen Gefahr ausgesetzt wäre (RN 183). Weiters stellt der Gerichtshof fest, dass es hier um die negative Verpflichtung, Personen nicht der Gefahr einer durch Art. 3 EMRK verbotenen Behandlung auszusetzen, handelt (RN 188). Was die zu berücksichtigten Faktoren betrifft, müssen die Behörden des abschiebenden Staates im Einzelfall prüfen, ob die im Zielstaat allgemein verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten in der Praxis ausreichend und geeignet für die Behandlung der Krankheit des Betroffenen sind, um zu verhindern, dass dieser einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wird. Dabei gehe es jedoch nicht darum, zu ermitteln, ob die Heilbehandlung im Zielstaat gleichwertig oder schlechter wäre als die durch das Gesundheitswesen des abschiebenden Staates zur Verfügung gestellte Heilbehandlung (RN 189). Jedenfalls muss der abschiebende Staat, wenn nach Prüfung der relevanten Informationen ernsthafte Zweifel über die Auswirkungen der Abschiebung der betreffenden Person bestehen bleiben, sei es wegen der allgemeinen Lage im Zielstaat oder wegen der individuellen Situation der Betroffenen, als Vorbedingung der Abschiebung, vom Zielstaat eine individuelle und ausreichende Zusicherung einholen, das eine geeignete medizinische Versorgung für die betroffene Person verfügbar und zugänglich sein wird, sodass sie sich nicht in einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Situation befindet (RN 191).

Zur Beurteilung der Frage, ob bei der Beschwerdeführerin eine solche ganz außergewöhnliche Situation gegeben ist, die einer Überstellung nach Frankreich widersprechen würde, hat die belangte Behörde keine hinreichenden Beweiserhebungen zur Feststellungen des Sachverhalts getroffen, sondern die abschließende Beurteilung ihres Gesundheitszustandes und ihrer Beziehung zu ihrer in Österreich asylberechtigten Tochter auch hinsichtlich der Pflegebedürftigkeit der BF unterlassen.

Im nunmehr angefochtenen Bescheid wurde zusammengefasst lediglich ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin verheiratet sei und drei Kinder habe. Ihre volljährige Tochter lebe in Österreich, die restliche Familie halte sich nicht in Österreich auf. Sie leide an keinen lebensbedrohenden oder überstellungshinderlichen Krankheiten. Die Feststellung zu ihrer Gesundheit ergebe sich aus ihren Angaben im Verfahren und dem Akteninhalt. Dass die BF an lebensbedrohenden Krankheiten leide, sei nicht aus der Aktenlage ersichtlich. Eine stationäre Betreuung war aufgrund ihrer Beschwerden nicht notwendig. Wären ihre Probleme tatsächlich lebensbedrohlich gewesen, hätten die Ärzte dementsprechend agiert bzw. agieren müssen und sie wäre nicht entlassen worden. Anderslautende medizinische Unterlagen seien von der BF nicht vorgelegt worden. Zusätzlich wurde im Bescheid angeführt, dass die BF selbst angegeben habe, dass sie Medikamente auch in Frankreich erhalten habe.

In der Beschwerde gegen nunmehr angefochtenen Bescheid wurde ausgeführt, dass die BF an starken Depressionen, Angst- und Panikattacken leide und akut suizidal sei. Die BF habe bereits des Öfteren geäußert, sich das Leben nehmen zu wollen. Ihre Tochter – bei der die BF aktuell lebe – sei bemüht auf ihre Mutter aufzupassen. Aktuell bestehe akute Selbstmordgefahr, verwiesen wurde auf die übermittelte psychologische Testuntersuchung vom 17.09.2021. Derzeit sei die BF auf eine engmaschige Betreuung angewiesen. Sie nehme täglich mehrere Medikamente, nämlich Passedan, Escitalopram, Ciraplex, Trittico, Quetiapin, Psychopax. Außerdem habe die BF kürzlich eine Überweisung erhalten und sei ihr empfohlen worden, sich einer klinisch psychologischen Behandlung zu unterziehen. Aus einem Schreiben der behandelnden Ärztin, welches auch übermittelt wurde, ergebe sich, dass die Tochter – als ausgebildete Krankenschwester – in der Lage sei, ihre Mutter im Fall wiederauftretenden Panikattacken – Hilfe zu leisten und die Auswirkungen zu mindern. In Frankreich sei es der BF zunehmend schlechter gegangen, die Umstände – Leben in einem Zelt, Gewalt in der Ehe – hätten dazu geführt, dass die BF zunehmend mit dem Gedanken gespielt habe, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Eine Abschiebung nach Frankreich würde bei der BF zu einer erheblichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes führen, die BF wäre in Frankreich alleine – zu ihrem Ehemann könnte sie keinesfalls zurückkehren – und würde sich in einer aussichtslosen Lage wiederfinden, was in Anbetracht des Gesundheitszustandes, schwerwiegende Folgen hätte. Die Behörde habe im gegenständlich angefochtenen Bescheid mehrmals festgestellt, dass die BF gesund sei und unter keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen leiden würde. In der Beschwerde wurde moniert, dass die Behörde dabei völlig die Befunde ignoriere, die die BF im Rahmen der Einvernahme vorgelegt habe, aus denen sich, nach der Gesamtbetrachtung – insbesondere der mehrmaligen ambulanten Aufenthalte wegen Panikattacken - eindeutig der vulnerable Zustand der BF ergebe. Die Behörde setze sich völlig unzureichend mit dem Inhalt der vorgelegten Befunde auseinander. Die Tochter der BF sei asylberechtigt in Österreich, sie lebe in Wien und habe kürzlich die Ausbildung als Krankenschwester beendet. Die Behörde verkenne im gegenständlich bekämpften Bescheid die enge Beziehung zwischen der BF und ihrer Tochter. Auch als sich die BF in Frankreich aufgehalten habe, hätten die beiden Frauen Kontakt gehalten. Die BF habe aktuell nur noch zu ihrer Tochter Kontakt gehalten. Ihrem Ehemann habe sie aufgrund der Vorfälle den Rücken gekehrt und der Aufenthalt der Söhne oder des Ehemannes sei unbekannt.

Zusammen mit der Beschwerde wurden neben bereits vorgelegten medizinischen Befunden insbesondere Unterlagen übermittelt über eine psychologische Testuntersuchung vom 17.09.2021, wonach bei der BF ua. deutliche Hinweise auf starke Depression mit Angst und Panik vorliegen würden, es würden vor allem starke Hinweise auf eine Suizidalität vorliegen. Diagnostiziert wurden starke Beeinträchtigungen des Kurzzeitgedächtnisses, des Langzeitgedächtnisses und des Auffassungsvermögens sowie eine reduzierte Wahrnehmung. Es wurde ein stark ausgeprägtes depressives Syndrom F 32.2 mit akuter Selbstmordgefahr festgestellt. Weiters wurde insbesondere ein Arztbrief vom 16.09.2021 mit den Diagnosen Depressio, Angstzustände und Panikattacken, vorgelegt, laut Einschätzung der Allgemeinärztin würden sich diese Zustände sehr vermindern, wenn die BF bei ihrer in Österreich asylberechtigten Tochter ist, diese ist ausgebildete Diplomkrankenschwester und lebt mit der BF im selben Haushalt.

Somit bedarf es im gegenständlichen Fall aktueller Feststellungen zum psychischen und physischen Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin, um eine Grundlage für eine Entscheidung zu schaffen, ob eine Überstellungsfähigkeit der Beschwerdeführerin nach Frankreich gegeben ist und um eine Gefährdung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Beschwerdeführerin ausschließen zu können. Dem Bundesverwaltungsgericht ist es zum Entscheidungszeitpunkt jedoch nicht möglich, aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen zu beurteilen, ob außergewöhnliche Umstände vorliegen, die bei einer Überstellung der Beschwerdeführerin zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen könnten.

Das Bundesamt wird daher im fortgesetzten Verfahren hinsichtlich der Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung aktueller ärztlicher Befunde allenfalls durch die Veranlassung der Einholung entsprechender weiterer medizinischer Gutachten, welche aufgrund einer persönlichen Untersuchung zu erstellen sind, abzuklären haben, ob bei ihr tatsächlich eine ganz außergewöhnliche Fallkonstellation vorliegt, die im Falle einer Überstellung nach Frankreich – auch wenn sich diese nicht in unmittelbarer Lebensgefahr befindet – eine ernste, schnelle und irreversible Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes, die ein starkes Leid zur Folge hätte. Im Besonderen wird der erforderliche medizinische Behandlungsbedarf der Beschwerdeführerin konkret festzustellen sein und festzustellen sein, ob die konkret erforderlichen Medikamente und die Behandlungen (insbesondere die genaue weitere Behandlung der Beschwerdeführerin, welche laut Beschwerdeausführungen derzeit eine engmaschige Behandlung benötigt, und die tatsächliche Verfügbarkeit der erforderlichen Medikamente sowie der ärztlichen Versorgung in Wohnnähe) in Frankreich gesichert vorhanden ist.

Im v

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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