TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/6 W137 2211302-26

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.10.2021
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Entscheidungsdatum

06.10.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77 Abs1

Spruch


W137 2211302-26/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter HAMMER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Dr. Wilfried WEH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.04.2021, Zl. 760627802/210519205, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 77 Abs. 1 FPG iVm § 76 FPG und § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet), ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste im Jahr 2006 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 05.09.2008 wurde ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als Bundesamt, BFA, oder Behörde bezeichnet) vom 22.02.2016 wurde dem BF der Status des Asylberechtigten wieder aberkannt und festgestellt, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme. Gleichzeitig wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist.

3. Am 08.11.2018 stellte der BF aus dem Stande der Strafhaft neuerlich einen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz in Österreich (Folgeantrag). Mit Bescheid des Bundesamtes vom 03.12.2018 wurde der faktische Abschiebeschutz aufgehoben, woraufhin das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 11.12.2018 feststellte, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes rechtmäßig sei. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichthofs vom 12.03.2019 abgelehnt. Die in weiterer Folge erhobene außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 09.05.2019 zurückgewiesen.

4. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 06.12.2018 wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme angeordnet. Der BF wurde von 07.12.2018 bis 03.06.2019 in Schubhaft angehalten.

5. Mit Bescheid vom 09.05.2019 wies das Bundesamt den (zweiten) Antrag des BF auf internationalen Schutz in Österreich wegen entschiedener Sache zurück und erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Unter einem wurde eine Rückkehrentscheidung getroffen und festgestellt, dass die Abschiebung des BF in die Russische Föderation zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde dem BF nicht gewährt.

6. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.04.2019, 30.04.2019 und 24.05.2019 wurde jeweils festgestellt, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrecht-haltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung verhältnismäßig war.

7. Am 03.06.2019 wurde der BF aus der Schubhaft entlassen und zwecks Vollziehung der mit Urteil eines Bezirksgerichtes über ihn verhängten unbedingten Freiheitsstrafe von einem Monat in eine Justizanstalt überstellt.

8. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 01.07.2019 wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sowie der Abschiebung angeordnet.

Nach Entlassung aus der Strafhaft am 03.07.2019 wurde der Schubhaftbescheid in Vollzug gesetzt.

9. Am 11.07.2019 erhob der BF Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid vom 01.07.2019, welche mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.07.2019 abgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorliegen.

10. Mit Bescheid vom 30.07.2019 erteilte das Bundesamt dem BF keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Unter einem erließ das Bundesamt gegen den BF ein unbefristetes Einreiseverbot und erkannte einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.09.2019 abgewiesen.

11. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.10.2019, 20.11.2019, 11.12.2019, 08.01.2020, 30.01.2020, 25.02.2020 und 23.03.2020 wurde jeweils festgestellt, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung verhältnismäßig ist.

12. Mit Schreiben vom 06.03.2020 stellte der BF durch seinen Rechtsvertreter Anträge auf Wiederaufnahme der mit den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen vom 09.04.2018 und 11.12.2018 abgeschlossenen asylrechtlichen Verfahren. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.03.2020, W182 1315471-7/2E, wurde dieser Antrag hinsichtlich des mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.12.2018 abgeschlossenen Verfahrens zurückgewiesen, mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.04.2020, W112 1315471-6/4E, wurde der Antrag hinsichtlich des mit Erkenntnis vom 09.04.2018 abgeschlossenen Verfahrens abgewiesen. Am 22.05.2018 wurde bei der Russischen Botschaft die Ausstellung eines Heimreisezertifikates (HRZ) erstmals beantragt. Am 01.03.2019 wurde der BF der Botschaftsdelegation vorgeführt, verweigerte jedoch seine Mitwirkung bei diesem Termin gänzlich und beantwortete keinerlei Fragen. Mit Schreiben des Innenministeriums der Russischen Föderation vom 11.3.2019 wurde mitgeteilt, dass mangels genauerer Angaben der BF nicht identifiziert werden konnte. Ein HRZ wurde nicht ausgestellt. Der BF wurde der Botschaft erneut am 31.01.2020 zur Ermittlung seiner Identität vorgeführt. Abermals verweigerte der BF die Beantwortung jeglicher Fragen der Botschaftsmitarbeiter.

13. Mit Schriftsatz vom 27.03.2020 erhob der BF Beschwerde gegen die Anhaltung in Schubhaft, welche mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.04.2020 abgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorliegen.

14. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.04.2020, 18.05.2020, 15.06.2020, 13.07.2020, 07.08.2020 und 02.09.2020 wurde wiederum festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig war.

15. Am 08.09.2020 langte eine negative Verbalnote der russischen Botschaft ein, weshalb der BF am 21.09.2020 aus der Schubhaft entlassen und über ihn das gelindere Mittel der periodischen Meldung (tägliche Meldung vormittags bis 1200 Uhr) an einer Polizeidienststelle verhängt wurde.

16. Am 11.11.2020 wurde durch die zuständige PI mitgeteilt, dass der BF sich nur teilweise an seine Meldeverpflichtung hält. Am 13.11.2020 wurde deshalb gegen ihn ein Festnahmeauftrag erlassen.

Der Festnahmeauftrag konnte nicht umgesetzt werden, da der BF nicht an seiner Meldeadresse angetroffen werden konnte. Am Abend des 13.11.2020 kontaktierte ein Vertreter des BF sowie einer der Brüder des BF telefonisch einen Behördenvertreter des BFA und wollten den Grund des Festnahmeversuches erfragen. Der Bruder bestätigte im Telefonat, dass der BF aufgrund der Befürchtung, dass das BFA ein Heimreisezertifikat für ihn erlangen konnte, „untergetaucht“ sei und sich unstet bei einem Freund in Vorarlberg aufhalten würde.

17. Am 18.11.2020 erschien der BF schließlich selbstständig auf der PI und wurde sodann auf Grundlage des Festnahmeauftrages gem. §§ 34 Abs. 3 Zi. 1 BFA-VG festgenommen, in Verwaltungsverwahrungshaft, in ein PAZ überstellt und am Folgetag über ihn bescheidmäßig die insgesamt dritte Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. In Erledigung dieser Beschwerde hat das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 09.12.2020, W171 2211302-24/6E, die Beschwerde gegen die Festnahme als unbegründet abgewiesen, jener gegen die Anordnung und Anhaltung in Schubhaft jedoch stattgegeben.

Begründend führte das Gericht in diesem Zusammenhang aus:

„Im vorliegenden Fall liegt eine rechtskräftige, durchsetzbare und durchführbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor und geht das Gericht auch weiterhin von Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf im Sinne des § 76 Abs. 3 Z. 1, 3, 7 und 9 FPG aus.

Der BF achtet die österreichische Rechtsordnung nicht, er ist nicht kooperativ und in keiner Weise vertrauenswürdig. Er konnte weder durch seine Familienangehörigen noch durch Strafhaften zu einem rechtskonformen Verhalten bewegt werden. Der BF weigert sich das österreichische Bundesgebiet freiwillig zu verlassen und bei der russischen Botschaft identitätsbezogene Fragen zu beantworten.

Sowohl das Vorverhalten als auch die vorzunehmende Verhaltensprognose haben bei dem BF ein Risiko des Untertauchens und daher Sicherungsbedarf ergeben. In diesem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).

Es liegt daher weiterhin Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 FPG vor. Sicherungsbedarf ist gegeben.

(…)

Das Bundesamt hat nach Rechtskraft der aufenthaltsbeendenden Maßnahme umgehend ein Heimreisezertifikatsverfahren gegen den BF eingeleitet. Es hat die Ausstellung eines Heimreisezertifikats regelmäßig urgiert und bisher auch versucht, auf eine besonders kurze Anhaltung in Schubhaft hinzuwirken. Darüber hinaus wurden vom Bundesamt zahlreiche weitere Verfahrenshandlungen zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF gesetzt.

Dennoch hat die russische Vertretungsbehörde bisher die Ausstellung eines Heimreisezertifikates bereits zweimal abgelehnt. Dies obwohl der BF seinerzeit als Kind im Reisepasse seiner Mutter miteingetragen wurde und es sich beim BF aus Sicht der Behörde zweifellos um einen Angehörigen der Russischen Föderation handelt. Im Zuge der zweiten Ablehnung mit einer Verbalnote, bei der Behörde am 08.09.2020 eingelangt und bisher im Verfahren trotz Ersuchen des Gerichts nicht vorgelegt, wurde die damals laufende Schubhaft am 21.09.2020 beendet und über den BF ein gelinderes Mittel (regelmäßige Meldepflicht auf einer PI) verhängt. Es zeigt sich daher, dass das BFA zu diesem Zeitpunkt selbst nicht mehr von einer baldigen zuverlässigen Ausstellung eines HRZ für den BF ausging und daher einen weit weniger intensiven Freiheitseingriff zur Sicherstellung einer möglichen Abschiebung (Zeitpunkt völlig ungewiss) zur Anwendung brachte.

(…)

Wie das gerichtliche Prüfungsverfahren ergeben hat, bestand zum Zeitpunkt der Festnahme und Anhaltung in Schubhaft (III) jedoch kein vernünftiger Grund für die Annahme, dass nunmehr in absehbarer Zeit die Ausstellung eines HRZ erfolgen könnte, da sich die Sachlage zum Zeitpunkt der gegenständlichen Festnahme am 18.11.2020 nicht von der Sachlage im Zeitpunkt der Beendigung der vorhergehenden Schubhaft und Verhängung eines gelinderen Mittels unterschieden hat. Die Behörde hat nach Ansicht des Gerichtes im September 2020 richtig erkannt, dass eine weitere Anhaltung in Schubhaft wohl nicht mehr zulässig gewesen wäre. Die per 19.11.2020 abermals verhängte Schubhaft (III) basiert jedoch auf den gleichen Entscheidungsgrundlagen wie die seinerzeitige Änderung der Schubhaft (II) in das gelindere Mittel, weshalb diese der Rechtsprechung des VwGH zur Folge als unzulässig anzusehen ist. Die Anhaltung in Schubhaft war daher aufgrund derzeit fehlender Effektuierbarkeit für rechtswidrig zu erklären.“

18. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt/BFA) vom 09.12.2020, 760627802/201232379, wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 77 Abs. 1 und 3 iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG das gelindere Mittel zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Diesbezüglich wurde eine tägliche Meldeverpflichtung (ab 11.12.2020) bei einer Polizeiinspektion verfügt.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung iVm einem Einreisverbot vorliege, welcher der Beschwerdeführer bisher nicht nachgekommen sei. Verwiesen wurde zudem auf das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers, die Begehung teils schwerer Straftaten – insbesondere qualifizierte Suchtmitteldelikte (2015) sowie Terrorismusdelikte (2017) – sowie einer größeren Anzahl an Verwaltungsübertretungen und die nur teilweise Einhaltung bisheriger Meldeverpflichtungen.

Fluchtgefahr sei vor diesem Hintergrund weiterhin gegeben. Auch die Ausstellung eines Heimreisezertifikats (und damit die Abschiebung) sei nach wie vor realistisch. Dieses sei bisher immer nur vorläufig und aufgrund bürokratischer Hindernisse gescheitert.

19. Mit Schriftsatz vom 06.01.2021 brachte der Beschwerdeführer durch seinen bevollmächtigten Vertreter eine Beschwerde gegen den oben bezeichneten Bescheid vom 09.12.2020 ein. Begründend wird darin im Wesentlichen ausgeführt, dass Russland die Rücknahme des Beschwerdeführers verweigere und ihm weder ein Heimreisezertifikat noch Identitätsdokumente ausstelle. Dies obwohl etwa der Reisepass der Mutter vorgelegt worden sei. Er könne daher nicht nach Russland abgeschoben werden. Dass weiter Sicherungsbedarf und Fluchtgefahr bestehe, sei eine „Scheinbehauptung“. Der Beschwerdeführer sei durch Eltern und Ehefrau finanziell abgesichert und sozial im Bundesgebiet verankert. Das angeordnete Gelindere Mittel sei daher auch unverhältnismäßig.

Beantragt werde daher a) eine mündliche Verhandlung durchzuführen; b) der Beschwerde Folge zu geben und den Bescheid ersatzlos aufzuheben.

20. Am 07.01.2021 langte der Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein. Nach Aufforderung durch das Bundesverwaltungsgericht legte das Bundesamt am 19.01.2021 eine Stellungnahme vor. In dieser wurde ausführlich das Betreiben des Bundesamtes hinsichtlich der Erlangung eines Heimreisezertifikats dargelegt. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass die Erlangung eines solchen weiterhin möglich sei und vorläufig – auch – an der mangelnden Mitwirkung des Beschwerdeführers scheitere.

Dieses Schreiben wurde dem Beschwerdeführer im Wege seines rechtsfreundlichen Vertreters übermittelt, der auf die Begründung der Aufhebung der Schubhaft durch das Bundesverwaltungsgericht verwies und die Verweigerung der Mitwirkung in Abrede stellte. Auch die Fluchtgefahr sei weiterhin nicht gegeben.

21. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt/BFA) vom 21.04.2021, 760627802/210519205, wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 77 Abs. 1 und 3 iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG das gelindere Mittel zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Diesbezüglich wurde eine Meldeverpflichtung (ab 26.04.2021) – jeweils Montag, Mittwoch und Freitag - bei einer Polizeiinspektion verfügt.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung iVm einem Einreisverbot vorliege, welcher der Beschwerdeführer bisher nicht nachgekommen sei. Verwiesen wurde zudem auf das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers, die Begehung teils schwerer Straftaten – insbesondere qualifizierte Suchtmitteldelikte (2015) sowie Terrorismusdelikte (2017) – sowie einer größeren Anzahl an Verwaltungsübertretungen und die nur teilweise Einhaltung bisheriger Meldeverpflichtungen.

Fluchtgefahr sei vor diesem Hintergrund weiterhin gegeben. Auch die Ausstellung eines Heimreisezertifikats (und damit die Abschiebung) sei nach wie vor realistisch. Dieses sei bisher immer nur vorläufig und aufgrund bürokratischer Hindernisse gescheitert. Mit Schreiben vom 06.04.2021 habe der Beschwerdeführer ersucht, die Meldeverpflichtung zu stornieren. Da eine Nachfrage bei der Polizeiinspektion ergeben habe, dass der Beschwerdeführer seiner Meldeverpflichtung nachgekommen sei, sei die Reduzierung der Meldeverpflichtung gerechtfertigt. Die hinreichende Sicherung der Abschiebung könne auch so erreicht werden. Eine grundsätzliche Zulässigkeit und Verhältnismäßigkeit bestehe allerdings weiter.

22. Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer mit Schreiben seines Vertreters vom 22.04.2021 Beschwerde erhoben und die Verbindung mit dem bereits anhängigen Beschwerdeverfahren (zur Zahl 2211302-25) angeregt.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass keine Fluchtgefahr des Beschwerdeführers vorliege und zudem weder eine Ausreise noch eine Abschiebung des Beschwerdeführers möglich sei. Vor dem Hintergrund zahlreicher erfolgloser Urgenzen um ein Heimreisezertifikat sei die aufgetragene Meldeverpflichtung unverhältnismäßig. Der Beschwerdeführer habe auch keine Motivation, aus Österreich zu fliehen. Im Übrigen werde auf das Beschwerdevorbringen im BVwG-Verfahren zur Zahl 2211302-25 (gelinderes Mittel vom 09.12.2020) verwiesen.

In einer Stellungnahme vom 26.04.2021 verwies das Bundesamt im Wesentlichen auf die Reduktion der Meldeverpflichtung sowie im März erfolgte Nachreichungen an die russischen Behörden.

23. Am 02.08.2021 wurde der Beschwerdeführer zur Durchführung einer Abschiebung festgenommen und anschließend in Verwaltungsverwahrungshaft angehalten. Gegen diese Festnahme und Anhaltung brachte er – am selben Tag – eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein. Ebenfalls am 02.08.2021 stellte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsanwalt einen Fristsetzungsantrag im Verfahren 2211302-25.

24. Am 05.08.2021 wurde der Beschwerdeführer im Rahmen einer begleiteten Abschiebung in seinen Herkunftsstaat überstellt.

25. Mit Erkenntnis vom 11.08.2021, W137 2211302-25/13E, hat das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen das mit Bescheid vom 09.12.2020 angeordnete gelindere Mittel abgewiesen. Gegen diese Entscheidung wurde kein außerordentliches Rechtsmittel eingebracht.

Aufgrund der Aktenlage wird folgender Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:

Der oben angeführte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger der russischen Föderation; sein 2008 zuerkannter asylrechtlicher Status wurde ihm 2016 rechtskräftig aberkannt und mit der ersten Rückkehrentscheidung in seinen Herkunftsstaat verbunden. Ein Asylfolgeantrag sowie zwei Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens blieben erfolglos.

Er verfügt in Österreich abseits der familiären Bindungen (Ehefrau, Eltern, Geschwister) über keine substanziellen sozialen Bindungen. Er ist in Österreich nie einer (legalen) Beschäftigung nachgegangen und verfügt selbst lediglich über geringe finanzielle Mittel. Unterkunft und die Finanzierung des täglichen Lebens, erfolgen im Wesentlichen durch die Eltern und die Ehegattin. Der Beschwerdeführer war nie ausreisewillig.

Hinsichtlich des Beschwerdeführers liegt eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung vor. Der genaue Zeitpunkt der Ausstellung eines Heimreisezertifikats war zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht abschätzbar; die realistische Möglichkeit der Ausstellung war allerdings stets gegeben. Die im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.12.2020, W171 2211302-24/6E, festgestellte Fluchtgefahr sowie der entsprechende Sicherungsbedarf bestanden auch zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung (21.04.2021) und von Beginn (26.04.2021) bis Ende der Rechtswirkung des gegenständlichen Bescheides. Die Rechtswirkung endete am 02.08.2021 durch Festnahme und Anordnung einer Verwaltungsverwahrungshaft.

Der Beschwerdeführer hat weder berufliche, noch familiäre oder soziale Verpflichtungen, die die völlig flexible Gestaltung der Tagesfreizeit im relevanten Zeitraum eingeschränkt hätten. Er ist grundsätzlich gesund und arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer wurde in Österreich insgesamt fünfmal strafrechtlich verurteilt, insbesondere wegen qualifizierter Suchtmitteldelikte (2015 – unbedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten) und wegen der Teilnahme an einer terroristischen Vereinigung sowie Ausbildung für terroristische Zwecke (2017 – unbedingte Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten). Der Beschwerdeführer wurde ab April 2015 (bis zur Erlassung des verfahrensgegenständlichen Bescheides) weitgehend in Justizanstalten und Polizeianhaltezentren angehalten. Davor war er als Unterstützer der Terrororganisation IS/DAESH auch im Ausland, insbesondere in Syrien, aufhältig.

Die Erlangung eines Heimreisezertifikats war zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides dem Grunde nach realistisch – wenn auch ein konkreter Zeitpunkt nicht prognostiziert werden konnte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

1.1. Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes zur Zl. 760627802/210519205 (gelinderes Mittel) sowie den vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes (insbesondere auch zu W171 2211302-24 und W112 1315471-2). In der Beschwerde wird vorrangig die fehlende Möglichkeit der Erlangung eines Heimreisezertifikats vorgebracht; zudem die fehlende Fluchtgefahr, also eine rechtliche Wertung – nicht jedoch der ihr zugrundeliegende Sachverhalt.

1.2. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Erkenntnis vom 21.04.2021 eine Fluchtgefahr des Beschwerdeführers ausdrücklich festgestellt. Dies begründete es (wie schon im Bescheid vom 09.12.2020) im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer nicht kooperativ sei und eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestehe. Zudem sei er den Verpflichtungen aus dem Gelinderen Mittel im Herbst 2020 nicht nachgekommen. Auch ergebe sich aus der sozialen Verankerung im Bundesgebiet kein Hinweis auf ein Fehlen der Fluchtgefahr, zumal der Beschwerdeführer die österreichische Rechtsordnung missachte und in keiner Weise vertrauenswürdig sei.

Diese Umstände bestehen nach wie vor fort. Die früheren Verstöße gegen das gelindere Mittel wurden nicht substanziell bestritten.

1.3. Die fehlende Ausreisewilligkeit des Beschwerdeführers ist evident und wurde mehrfach ausdrücklich bestätigt. Der im angefochtenen Bescheid umfassend begründeten Fluchtgefahr wurde in der gegenständlichen Beschwerde im Wesentlichen mit dem Argument entgegengetreten, dass der Beschwerdeführer keinen Grund habe „aus Österreich zu fliehen“. Es bestehe keine „Fluchtalternative“ und aufgrund der Pandemie keine „derartige Wanderalternative“. Auch seine Familie lebe hier und sein Unterhalt sei durch diese gesichert.

1.4. Die Feststellungen zu den fehlenden beruflichen, sozialen und sonstigen Verpflichtungen des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit der freien Dispositionsfähigkeit hinsichtlich seines Tagesablaufs ergeben sich aus der Aktenlage. Gegenteilige Behauptungen wurden nicht aufgestellt. Vielmehr ist unstrittig, dass der Beschwerdeführer bei Bescheiderlassung kinderlos war. Die fehlende Erwerbstätigkeit ergibt sich nicht zuletzt auch aus der Formulierung der Beschwerde im Verfahren 2211302-25 („eine schöne Wohnung der Familie, ausreichendes Familieneinkommen“), die der Vertreter ausdrücklich zum Gegenstand der gegenständlichen Beschwerde machte; eine legale Erwerbstätigkeit wurde auch nie behauptet. Zweifel an einer grundsätzlich bestehenden Gesundheit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers wurden nicht formuliert.

1.5. Das Bundesamt konnte im Verfahren – wie schon im vorhergehenden Verfahren zur Zahl 2211302-25 - belegen, dass seitens der russischen Behörden nie eine definitive Versagung eines Heimreisezertifikats erfolgte (oder eine grundsätzliche Weigerung, ein solches auszustellen). Vielmehr scheiterten HRZ-Ausstellungen zuvor immer an verwaltungstechnischen Erfordernissen zur Identitätsfeststellung - etwa Dokumente, geeignete Lichtbilder, etc.

2. Rechtliche Beurteilung

2.1. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: „Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein.“

Zu Spruchteil A)

2.2. Der mit „Gelinderes Mittel“ betitelte § 77 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 77. (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,

1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,

2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder

3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.“

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

2.3. Im angefochtenen Bescheid wurden – wie schon im Schubhaftbescheid vom November 2020 und dem BVwG-Erkenntnis vom 09.12.2020 – die Ziffern 1, 3 und 9 zur Begründung der Schubhaft herangezogen. Ziffer 7 entfiel, weil zuletzt die Auflagen aus dem gelinderen Mittel erfüllt wurden. Es wurde zudem davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer nach wie vor nicht vertrauenswürdig ist.

2.4. Es bestehen – wie schon in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom vom 09.12.2020, W171 2211302-24/6E, und im BVwG-Erkenntnis vom 11.08.2021 (W137 2211302-25) - keine Zweifel, dass eine Fluchtgefahr und der damit verbundene Sicherungsbedarf unverändert gegeben sind. Abseits des ohnehin berücksichtigten auflagenkonformen Verhaltens des Beschwerdeführers haben sich somit keine entscheidungsrelevanten Sachverhaltsänderungen seit den angeführten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ergeben.

Entgegen der Rechtsansicht des Vertreters bedeutet „Fluchtgefahr“ im hier relevanten Zusammenhang auch keineswegs, dass ein Betroffener aus dem Bundesgebiet „fliehen“ will oder dieses längerfristig/dauerhaft zu verlassen beabsichtigt. Vielmehr bedeutet die hier relevante „Flucht“ lediglich das Entziehen vor einem behördlichen Zugriff - etwa zur Vereitelung einer Abschiebung. Dafür kann auch ein von Familienangehörigen unterstützter Aufenthalt im Verborgenen ausreichend sein; das Verlassen des Bundesgebiets ist hierfür nicht erforderlich.

2.5. Das angeordnete gelindere Mittel erweist sich überdies auf die konkrete Situation bezogen auch als effektiv und verhältnismäßig. In einer regelmäßigen Meldeverpflichtung an drei Wochentagen – bei einem variablen Rahmen von zwei Stunden am jeweiligen Tag – kann keine nennenswerte Einschränkung der persönlichen Dispositionsfreiheit erkannt werden. Umso weniger, als der Beschwerdeführer ohnehin keiner geregelten Beschäftigung nachgeht oder andere Verpflichtungen (etwa Betreuungspflichten) hat. Auch Probleme der faktischen Erreichbarkeit wurden nicht thematisiert. Überdies erweist sich das konkret angeordnete gelindere Mittel als geradezu ideal um die hier relevante persönliche Greifbarkeit des Beschwerdeführers sicherzustellen.

2.6. Wie oben dargelegt, hat sich auch die Möglichkeit der Ausstellung eines Heimreisezertifikats als stets gegeben erwiesen. Die zeitliche Ungewissheit (tatsächlich erfolgte die Ausstellung im Juli 2021) ist im gegenständlichen Verfahren dabei von nur untergeordneter Bedeutung, da es sich nicht um eine freiheitsentziehende Maßnahme handelt.

Sie ist im gegenständlichen Fall daher vorrangig im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und der Eignung des gelinderen Mittels zu thematisieren. Substanzielle einschlägige Bedenken wurden in der angefochtenen Beschwerde allerdings nicht formuliert. Dass die Polizei „möglicherweise auch andere Aufgaben, als den Beschwerdeführer jeden Tag zu begrüßen“ hat – wie sein Anwalt, Dr. Wilfried Ludwig WEH, bestenfalls halblustig formuliert (siehe die in diese Verfahren vom Anwalt miteinbezogene Beschwerde im Verfahren 2211302-25) – wird im Übrigen den Tatsachen entsprechen. Allerdings ist diese Arbeit (samt Abzeichnen der Meldeliste) einerseits eine überschaubare Belastung der Diensthabenden, wobei die Inspektion im relevanten Zeitraum ohnehin besetzt sein muss. Andererseits dient sie der Sicherung einer allfälligen Abschiebung eines islamistischen Terroristen (um sich auf das schwerwiegendste Verbrechen des Beschwerdeführers zu beschränken) und stellt damit keineswegs eine „sinnlose bürokratische Vorschrift“ dar, sondern steht massiv im öffentlichen Interesse.

3. Aus den dargelegten Gründen erweist sich die gegenständliche Beschwerde als unbegründet.

4. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.

In der Beschwerde wird im Übrigen auch nicht konkret dargetan, in welchem Zusammenhang – also hinsichtlich welches Sachverhaltselements – eine mündliche Verhandlung erforderlich wäre. Insbesondere wurden die Angaben in der Beschwerde zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers ohnehin der Entscheidung zugrunde gelegt. Hinsichtlich des HRZ-Verfahrens erfolgte ein schriftliches Parteiengehör.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Fluchtgefahr Interessenabwägung öffentliche Interessen Schubhaft Schubhaftbeschwerde Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W137.2211302.26.00

Im RIS seit

17.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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