TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/13 W147 2194231-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.10.2021
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Entscheidungsdatum

13.10.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W147 2194231-1/40E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KANHÄUSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Dr. Wolf-Georg SCHÄRF, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10. April 2018, Zl. 831094603-150234551, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 6. Oktober 2021 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV. bis VI. wird stattgegeben, eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 9 BFA- Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, auf Dauer für unzulässig erklärt und XXXX gemäß §§ 54 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, 55 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, und § 58 Abs. 2 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2020, der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 22/2018, nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig, reiste am 29. Juli 2013 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer eingangs an, er habe seine Heimat gemeinsam mit seiner Mutter XXXX (Beschwerdeführerin zu GZ W147 2194234-1) aufgrund seiner Probleme mit den „Russen“ verlassen. Sein Vater habe im ersten Tschetschenienkrieg gegen die Russen gekämpft und sei im Jahre 1995 getötet worden. Danach seien die Russen immer wieder zu ihnen gekommen und hätten seinen Bruder XXXX mehrmals mitgenommen, geschlagen und verhört. Daraufhin sei sein Bruder 2003 nach Österreich geflüchtet. Anschließend seien die „Russen“ auf ihn aufmerksam geworden. Im Jahre 2010 und 2011 sei er von diesen mitgenommen, ebenfalls verhört und geschlagen worden. Dabei habe er einen Nasenbeinbruch erlitten; die Narbe und die Krümmung könne man heute noch sehen. Bei dem einen Mal sei er einen Tag festgenommen worden und bei dem anderen Mal zwei Tage und Nächte. Da sein Vater gegen die Russen gekämpft habe, habe der Beschwerdeführer keinen Arbeitsplatz erhalten. Durch die finanzielle Unterstützung der Verwandten sei der Beschwerdeführer zusammen mit seiner Mutter nach Österreich gereist.

3. Am 9. August 2013 wurde nach Konsultationen mit Polen das Verfahren nach der Dublin II Verordnung eingeleitet.

4. Im Rahmen einer Einvernahme im Asylverfahren vor dem Bundesasylamt am 27. August 2013 gaben der Beschwerdeführer und seine Mutter im Wesentlichen an, dass der Vater des Beschwerdeführers im Krieg gefallen sei und er und sein Bruder aufgrund dessen im Herkunftsstaat verfolgt worden seien. Sein Bruder sei bereits in Österreich und sei in der Justizanstalt XXXX inhaftiert. Der Beschwerdeführer und seine Mutter würden im Herkunftsstaat als Banditen angesehen werden und bekämen keine Arbeitsstelle.

5. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13. November 2013, Zl. 13 10.946 – EAST-WEST wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 29. Juli 2013 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Absatz 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, als unzulässig zurückgewiesen. Für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz sei gemäß Artikel 16 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Polen zuständig (Spruchpunkt I.).

Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 1 AsylG wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Polen gemäß § 10 Absatz 4 AsylG für zulässig befunden (Spruchpunkt II.).

6. Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 14. November 2013 Beschwerde und stellte den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

7. Mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes, Zln. S25 438.904-1/2013-2E, S25 438.905-1/2013-2E vom 4. Dezember 2013 wurden die Beschwerden des Beschwerdeführers und seiner Mutter gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

8. Am 5. März 2015 stellte der Beschwerdeführer einen Folgeantrag auf internationalen Schutz und wurde durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes befragt. Im Wesentlichen gab er an, dass er in Tschetschenien von den staatlichen Organen aufgrund seines verstorbenen Vaters gesucht werde und daher nicht zurückkehren könne. Es existiere noch ein weiterer Fluchtgrund, welchen er bei seiner letzten Asylbefragung nicht angegeben habe. Der Beschwerdeführer sei von seinen Verwandten telefonisch informiert worden, dass die staatlichen Organe ihn und seinen Bruder suchen würden und nach ihnen gefragt hätten. Im Falle der Rückkehr würde man ihn festnehmen. Derzeit rekrutiere man junge Tschetschenen für den Krieg in der Ukraine und setze diese gegen ihren Willen für Kriegshandlungen ein.

9. Im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 20. März 2018 gab der Beschwerdeführer an, dass sowohl sein Vater als auch sein Bruder im Krieg gegen die Russen gekämpft hätten. Auf die Frage warum er behaupte sein Vater sei 1996 verstorben während sein Bruder behaupte der Vater sei 2002 verstorben, antwortete der Beschwerdeführer er wisse es nicht genau, seine Mutter habe die Sterbeurkunde, dort könne man nachschauen. Der Vater sei entweder im ersten oder zweiten Krieg gestorben, er wisse es nicht so genau. Nach seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, sein Vater habe 2001 oder 2002 im Krieg gekämpft. Auch sein Bruder habe mitgekämpft. Durch den Regierungswechsel seien die Probleme entstanden, denn unter der Regierung von Dudaev Maskchadov habe die Familie keine Probleme gehabt. Als sein Bruder geflüchtet sei, seien der Beschwerdeführer und seine Mutter immer wieder befragt worden. Im Jahre 2010 gegen 3.00 Uhr seien maskierte Männer in ihr Haus gekommen, um nach dem Bruder zu fragen. Der Beschwerdeführer habe nichts sagen wollen und sei deswegen bedroht worden. Auch seine Mutter sei gestoßen worden. Der Beschwerdeführer habe sich mit den Männern geschlagen, um seine Mutter zu beschützen. Dabei sei ihm die Nase gebrochen worden. Anfang Juli 2013 sei der Beschwerdeführer mitgenommen worden. Dabei sei ihm ein Sack über den Kopf gezogen worden. Er sei in einen Keller verbracht und dort geschlagen worden. Danach habe man ihm Kabel angelegt und ihn mit Strom gefoltert. Drei Tage habe man ihn in einem Keller angehalten, ihm neuerlich die Nase gebrochen und in der Nähe des Dorfes in einem Wald freigelassen. Auf die Frage, warum der Beschwerdeführer in der Erstbefragung angegeben habe, 2010 und 2011 festgenommen worden zu sein und von einer Festnahme 2013 damals keine Rede gewesen sei, gab der Beschwerdeführer an, er habe damals nicht genug Zeit gehabt, alles zu erzählen. Im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat befürchte der Beschwerdeführer umgebracht zu werden.

10. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I). Weiters wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.), sondern gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Rückkehr mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

In der Entscheidungsbegründung wurde seitens der belangten Behörde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer eine ihm im Herkunftsstaat drohende asylrelevante Gefährdung nicht habe glaubhaft machen können.

Der Beschwerdeführer sowie seine Mutter hätten selbst angeben, legal ausgereist zu sein. Zudem habe das unbeständige und sich widersprechende Aussageverhalten des Beschwerdeführers und die unterschiedlichen Ausreisezeitpunkte des Bruders und des Beschwerdeführers zu einem insgesamt unglaubhaften und nicht logisch nachvollziehbaren Geschehnisverlauf geführt, weshalb die belangte Behörde zu dem Schluss gekommen sei, dass die Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers nicht glaubhaft und daher unwahr sei.

11. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Absatz 1 BFA-VG vom 16. April 2018 wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die „ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien“ als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

12. Mit Schriftsatz vom 2. Mai 2018 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht verfahrensgegenständliche Beschwerde gegen den genannten Bescheid und focht diesen wegen inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften in vollem Umfang an.

13. Mit Schreiben vom 28. August 2018 übermittelte die belangte Behörde die Verständigung der Behörde über eine rechtskräftige Verurteilung.

14. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX , XXXX , vom XXXX wurde ein Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen § 15 StGB, § 127 StGB gemäß §§ 199, 203 Abs. 4 StPO eingestellt.

15. Am 30. Jänner 2019 fand zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher der Beschwerdeführer im Beisein seines damaligen Rechtsvertreters zu seinem Gesundheitszustand, seinem Leben im Heimatland sowie seinem Familienleben in Österreich und Alltag befragt wurde. Nach Aufruf der Rechtssache wurde festgestellt, dass die Mutter des Beschwerdeführers wegen eines stationären Krankenanstaltenaufenthalts nicht erschienen ist.

16. Mit Schriftsatz vom 27. Februar 2019 erstatteten der Beschwerdeführer und seine Mutter eine Äußerung und legten eine Ambulanzkarte vor.

17. Mit Schriftsatz vom 3. Juli 2019 erstatteten der Beschwerdeführer und seine Mutter eine weitere Urkundenvorlage.

18. Mit Schriftsatz vom 3. Juni 2020 gab RA XXXX bekannt, dass das Vollmachtsverhältnis zum Beschwerdeführer und seiner Mutter erloschen ist.

19. Am 30. Juni 2020 fand zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertretung zu seinem Gesundheitszustand, seinem Leben im Heimatland sowie seinem Familienleben in Österreich und Alltag befragt wurde. Die Mutter des Beschwerdeführers wurde ebenfalls einvernommen.

20. Mit Schriftsatz vom 7. Juli 2020 wurde durch die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers die Urkunde über die bedingte Strafnachsicht des Beschwerdeführers vorgelegt.

21. Mit Schriftsatz vom 31. August 2020 legte der Beschwerdeführer und seine Mutter ein Ansuchen vor.

22. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 9. Oktober 2020, W147 2194231-1/23E, wurde dessen Beschwerde gemäß §§ 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2016, 8 Abs. 1 AsylG 2005 und 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, 57 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, und §§ 46 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, 52 Abs. 9 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr 110/2019, 55 Abs. 1 bis 3 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.

23. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 7. Juni 2021, E 3852/2020-16, wurde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer durch das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, soweit damit seine Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK verletzt wurde. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts wurde insoweit aufgehoben.

24. Am 6. Oktober 2021 fand zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher der Beschwerdeführer im Beisein seines nunmehrigen Rechtsvertreters neuerlich zu seinem Gesundheitszustand, seinem Leben im Heimatland sowie seinem Privat- und Familienleben in Österreich und Alltag befragt wurde. Seine Mutter wurde ebenfalls neuerlich einvernommen.

25. Mit Urkundeübermittlung vom 7. Oktober 2021 legte Beschwerdeführer die Anmeldung zur Ausstellung einer Geburtsurkunde seines in Österreich geborenen Kindes vor.

Das Bundesverwaltungsgericht hat zur vorliegenden Beschwerde wie folgt erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage der Verwaltungsakte der belangten Behörde und der herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Russischen Föderation wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, der Volksgruppe der Tschetschenen zugehörig, muslimischen Glaubens und stellte am 5. März 2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner akuten oder lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankung, welche ein Hindernis für eine Rückführung in die Russische Föderation darstellen würde.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 2013 durchgehend im Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer hat sich die deutsche Sprache auf dem Niveau A2 angeeignet und einen Integrationskurs besucht.

Für den Beschwerdeführer scheint im österreichischen Strafregister folgende Verurteilung auf:

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX , rechtskräftig am XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen § 84 Abs. 4 StGB, § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen.

Gegen den Beschwerdeführer ergingen insgesamt zwei Straferkenntnisse wegen Verwaltungsübertretungen.

Der Beschwerdeführer hat neben seiner subsidiär schutzberechtigten Mutter einen Bruder im Bundesgebiet, der nach seiner Ausweisung in die Russische Föderation erneut in das österreichische Bundesgebiet eingereist ist, einen Folgeantrag gestellt hat und dessen Verfahren rechtskräftig negativ abgeschlossen ist. Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer Vater einer in Österreich geborenen Tochter. Zu dessen Mutter besteht eine Lebensgemeinschaft, jedoch derzeit kein gemeinsamer Haushalt.

Der Beschwerdeführer hat seit dem Jahre 2013 zwei 2 Jahre bei XXXX , sechs Monate in XXXX und zwei Monate als Lieferant gearbeitet. Der Beschwerdeführer ist weder in Vereinen noch ehrenamtlich tätig. Derzeit bezieht der Beschwerdefüher Transferleistungen der öffentlichen Hand.

1.2. Mit Erkenntnis vom heutigen Tag wurde der Mutter des Beschwerdeführers (W147 2194234-1/37E) infolge ihrer Zugehörigkeit zur Covid-Risikogruppe (ihrer postoperativen Krebsbehandlung, ihrer arteriellen Hypertonie und des Umstandes, wonach sie nicht gegen den Covid-Sars2- Virus geimpft ist) der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihr eine Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt.

Der Beschwerdeführer selbst war zum Zeitpunkt der Antragstellung auf internationalen Schutz bereits volljährig, weshalb er nicht unter die Bestimmungen des Familienverfahrens im Sinne des § 34 AsylG 2005 fällt.

Die Mutter des Beschwerdeführers lebt in Österreich mit dem Beschwerdeführer zwar in keinem gemeinsamen Haushalt, trotzdem kommt dem Beschwerdeführer in seiner Familie eine zentrale Funktion zu, weil er die Hauptbezugsperson für seine Mutter darstellt. Der Beschwerdeführer unterstützt seine Mutter etwa durch tägliche Besuche und Pflege sowie bei ihren regelmäßigen Arztbesuchen sowie bei den Kontrollen in Ambulanzen. Der Beschwerdeführer hat eine besondere und außergewöhnliche Beziehung zu seiner Mutter und besteht ein Abhängigkeitsverhältnis. Die Mutter des Beschwerdeführers kann nur eingeschränkt für sich selbst sorgen und ist auf die Unterstützung ihres Sohnes (des Beschwerdeführers) angewiesen.

Der Beschwerdeführer pflegt freundschaftlichen Kontakt zu österreichischen Bekannten.

1.3. Hinsichtlich der relevanten Situation in der Russischen Föderation, insbesondere Tschetschenien, wird auf die im Akt einliegenden und dem Beschwerdeführer im Rahmen der Beschwerdeverhandlung vorgehaltenen Länderfeststellungen verwiesen (Länderinformation der Staatendokumentation Russische Föderation Stand 17. Juni 2021, Version 3).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt der belangten Behörde, die Einvernahmen des Beschwerdeführers und seiner Mutter im Rahmen der öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung, in welcher auch die zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat gelangenden Berichte zur Kenntnis gebracht wurden, sowie Sichtung der im Laufe des gesamten Verfahrens vorgelegten und eingeholten Urkunden, Dokumente sowie sonstigen Schriftstücke.

2.1. Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus den im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegten Identitätsnachweisen.

Die Feststellungen zum Familien- und Privatleben einschließlich allfälliger Aspekte einer Integration in Österreich ergeben sich aus den Angaben im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung und den vorgelegten Unterlagen.

Die Feststellungen zur Verurteilung des Beschwerdeführers ergeben sich aus einem aktuellen Strafregisterauszug.

Die Feststellungen zur verwaltungsstrafrechtlichen Bestrafung ergeben sich aus den im Verwaltungsakt aufliegenden Straferkenntnissen.

Die Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ergeben sich aus den jeweils darunter namentlich genannten aktuellen Berichten diverser anerkannter staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen bzw. Organisationen und bieten ein in inhaltlicher Hinsicht grundsätzlich übereinstimmenden und ausgewogenes Bild, sodass insgesamt kein Grund besteht, an deren Richtigkeit zu zweifeln.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche – zulässige und rechtzeitige – Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFAVG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder einzustellen ist.

3.2. Zu Spruchteil A) Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung und Aufenthaltstitel:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt.

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten erfolgte im gegenständlichen Verfahren nicht gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 und ist auch keine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ergangen, wie aus dem Verfahrensgang ersichtlich ist.

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der Beschwerdeführer ist kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

„(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.“

Zu prüfen ist gemäß § 9 BFA-VG, ob durch die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in das nach Art. 8 EMRK geschützte Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen wird.

Hierbei hat eine Abwägung nach den in § 9 Abs. 2 BFA-VG demonstrativ aufgezählten Kriterien zu erfolgen.

Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR und VfGH auf die besonderen Umstände des Einzelfalls einzugehen. Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Der Ermessensspielraum der zuständigen Behörde und die damit verbundene Verpflichtung, allenfalls von einer Aufenthaltsbeendigung Abstand zu nehmen, variiert nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei sind Beginn, Dauer und Rechtsmäßigkeit des Aufenthalts, wobei bezüglich der Dauer vom EGMR keine fixen zeitlichen Vorgaben gemacht werden, zu berücksichtigen; das Ausmaß der Integration im Aufenthaltsstaat, die sich in intensiven Bindungen zu Dritten, in der Selbsterhaltungsfähigkeit, Schul- und Berufsausbildung, in der Teilnahme am sozialen Leben und der tatsächlichen beruflichen Beschäftigung; Bindung zum Heimatstaat; die strafrechtliche Unbescholtenheit bzw bei strafrechtlichen Verurteilungen auch die Schwere der Delikte und die Perspektive einer Besserung/Resozialisierung des Betroffenen bzw die durch die Aufenthaltsbeendigung erzielbare Abwehr neuerlicher Tatbegehungen; Verstöße gegen das Einwanderungsrecht.

Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z.B. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl EGMR 8.3.2008, Nnyanzi v. The United Kingdom, Appl. 21.878/06; 4.10.2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.6.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554).

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.

Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13. 6. 1979, Marckx, EuGRZ 1979).

Für den konkreten Fall von Bedeutung ist, dass vom Prüfungsumfang des Begriffes des „Familienlebens“ in Artikel 8 EMRK nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern beispielsweise auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben im Sinne des Artikels 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Artikel 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 2013 durchgehend im Bundesgebiet. Er hat sich die deutsche Sprache auf dem Niveau A2 angeeignet und einen Integrationskurs besucht.

Der Beschwerdeführer hat seit dem Jahre 2013 zwei Jahre bei XXXX , sechs Monate in XXXX und zwei Monate als Lieferant gearbeitet. Der Beschwerdeführer ist weder in Vereinen noch ehrenamtlich tätig. Derzeit bezieht der Beschwerdeführer Transferleistungen der öffentlichen Hand.

Der Beschwerdeführer hat neben seiner subsidiär schutzberechtigten Mutter einen Bruder im Bundesgebiet, der nach seiner Ausweisung in die Russische Föderation erneut in das österreichische Bundesgebiet eingereist ist, einen Folgeantrag gestellt hat und dessen Verfahren rechtskräftig negativ abgeschlossen ist. Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer Vater eines in Österreich geborenen Kindes. Zu dessen Mutter besteht eine Lebensgemeinschaft, jedoch derzeit kein gemeinsamer Haushalt.

Mit Erkenntnis vom heutigen Tag wurde der Mutter des Beschwerdeführers (W147 2194234-1/37E) infolge ihrer Zugehörigkeit zur Covid-Risikogruppe (ihrer postoperativen Krebsbehandlung, ihrer arteriellen Hypertonie und des Umstandes, wonach sie nicht gegen den Covid-Sars2- Virus geimpft ist) der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihr eine Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt.

Wie bereits im Vorverfahren festgestellt, lebt die Mutter des Beschwerdeführers in Österreich mit dem Beschwerdeführer zwar in keinem gemeinsamen Haushalt, trotzdem kommt dem Beschwerdeführer in seiner Familie eine zentrale Funktion zu, weil er die Hauptbezugsperson für seine Mutter darstellt. Der Beschwerdeführer unterstützt seine Mutter etwa durch tägliche Besuche und Pflege sowie bei ihren regelmäßigen Arztbesuchen sowie bei den Kontrollen in Ambulanzen. Der Beschwerdeführer hat eine besondere und außergewöhnliche Beziehung zu seiner Mutter und besteht ein Abhängigkeitsverhältnis. Die Mutter des Beschwerdeführers kann nur eingeschränkt für sich selbst sorgen und ist auf die Unterstützung ihres Sohnes (des Beschwerdeführers) angewiesen.

Es wird demgegenüber nicht verkannt, dass sich der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ausschließlich auf das Asylgesetz stützt und er auch strafrechtlich in Erscheinung trat. Auch wenn aber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt (z.B. VwGH 07.09.2016, Ra 2016/19/0168), überwiegen im gegenständlichen Fall aufgrund der dargestellten exzeptionellen Umstände in einer Gesamtabwägung dennoch die familiären Interessen des Beschwerdeführers und seiner subsidiär schutzberechtigten Mutter an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung, für die sich in der vorliegenden Konstellation keine begründeten Rechtfertigungen erkennen lässt.

Da somit das Interesse an der Aufrechterhaltung des Familienlebens des Beschwerdeführers im konkreten Fall die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen überwiegt, war in Erledigung der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid eine den Beschwerdeführer betreffende Rückkehrentscheidung für unzulässig zu erklären.

Zur Erteilung des Aufenthaltstitels:

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Sowohl die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung als auch die inhaltliche Berechtigung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 hängen jeweils vom Ergebnis der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG ab. Da die Frage der Erteilung des Aufenthaltstitels vom Prüfungsgegenstand einer angefochtenen Rückkehrentscheidung mitumfasst ist, hat das Bundesverwaltungsgericht in einem zu entscheiden. (vgl. dazu VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0103)

Eine "Aufenthaltsberechtigung plus" ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag gemäß der ab 01.10.2017 geltenden Fassung des § 55 Abs. 2 AsylG zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBI. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBI. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

Gemäß § 55 Abs. 2 AsylG ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. I Z 1 vorliegen.

Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist gemäß § 9 Abs. 4 IntG erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1. einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,

2. einen gleichwertigen Nachweis gemäß § 11 Abs. 4 über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung vorlegt,

3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBI. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,

4. einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder

5. als Inhaber eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung - Künstler" gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBI. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.

Gemäß § 11 Abs. 2 IntG umfasst die Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1 Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolg ist mit "Bestanden" oder "Nicht bestanden" zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen werden. Wiederholungen von nicht bestandenen Prüfungen sind zulässig. Die Wiederholung von einzelnen Prüfungsinhalten ist nicht zulässig.

Gemäß § 54 Abs. 2 AsylG sind Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen. Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 Z 1 und 2 sind nicht verlängerbar.

Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies:

Der Beschwerdeführer hat die Integrationsprüfung am 23. Februar 2019 bestanden. Bei dem ausgestellten Zeugnis handelt sich um ein anerkanntes Zeugnis über den Erwerb aus Sprachkompetenzen und zu Werte- und Orientierungswissen.

Damit hat der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt.

Da die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 im Falle des Beschwerdeführers in Folge des Ausspruchs der dauerhaften Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gegeben sind, war spruchgemäß zu entscheiden und dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten zu erteilen.

Obiter ist festzuhalten, dass die belangte Behörde im Rahmen eines allfälligen Verlängerungsantrages nicht nur auf das Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Mutter abzustellen hat. Auch der Umstand, wonach der Beschwerdeführer Vater eines in Österreich aufhältigen Kindes ist, wird im Rahmen eines neuerlichen Ermittlungsverfahrens zu beachten sein.

3.3. Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2017, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich stets auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und der europäischen Höchstgerichte stützen; diesbezügliche Zitate finden sich in der rechtlichen Beurteilung. Sofern die oben angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu (zum Teil) alten Rechtslagen erging, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf inhaltlich gleichlautende Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Deutschkenntnisse individuelle Verhältnisse Integration mangelnde Asylrelevanz non refoulement Pandemie Rechtsanschauung des VfGH Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W147.2194231.1.00

Im RIS seit

17.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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