Entscheidungsdatum
09.11.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W254 2224314-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Iran, vertreten durch das ZEIGE Zentrum für Europäische Integration u. Globalen Erfahrungsaustausch, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.09.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG in Verbindung mit §§ 3, 8, 10, 57 Asylgesetz 2005, § 9 BFA-VG und §§ 46, 52, 55 FPG 2005 mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass das Datum der Asylantragstellung in Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheides zu lauten hat: XXXX .2019.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX (im Folgenden kurz „BF“ genannt), ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am XXXX .2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen seiner Erstbefragung am XXXX 2019 brachte er u.a. vor, dass er Christ sei. Zu seinem Fluchtgrund befragt, gab er an, dass er vor ca. drei Jahren zum Christentum konvertiert sei und sich taufen habe lassen. Vor ca. einem Jahr sei in seinem Freundeskreis bekannt geworden, dass er Christ sei. Wiederum vor ca. sechs Monaten sei er von Angehörigen der „Ettelaat“ fast zu Tode geprügelt worden, ein paar Tage danach hätten sie die Fenster seines Wohnhauses eingeschlagen. Nach Verständigung der Polizei habe ein netter Polizist seinem Vater nahegelegt, dass der BF den Iran verlassen solle. Sein Bruder sei ebenfalls verprügelt worden und befinde sich seither auf der Flucht.
2. Am XXXX .2019 sowie am XXXX .2019 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: „BFA“ oder „belangte Behörde“) niederschriftlich einvernommen. Der BF gab zusammengefasst Folgendes an: Er sei als schiitischer Moslem geboren und auch so erzogen worden. Nunmehr sei er Protestant, er habe sich in der Türkei durch die armenische XXXX in einem Hotel taufen lassen. Davor habe er sieben oder acht Mal die entsprechende Taufvorbereitung besucht. Gegenwärtig würde der BF in Österreich die Kirche besuchen, die Bibel lesen und sich mit Freunden über die Heilige Schrift austauschen. Näher befragt zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, dass er vor ca. drei Jahren nahstehenden Freunden mitgeteilt habe, dass er den Islam nicht akzeptieren würde. Andererseits sei er dem Christentum zugeneigt gewesen und habe sich manchmal mit einem Freund unterhalten, welcher Christ gewesen sei. Vor ca. 14 Monaten (gerechnet von der zweiten Einvernahme) sei er zu einem Freund eingeladen worden, wobei er zu diesem Treffen alkoholisiert erschienen sei. Es seien hierbei Freunde vom BF sowie auch andere Personen anwesend gewesen und sei im Zuge dessen zu einer Diskussion über Religion gekommen, in deren Verlauf der BF den Koran und den Islam beleidigt habe. Dieser Vorfall habe sich in der Ortschaft herumgesprochen und der BF wäre daraufhin ständig auf der Straße und in der Öffentlichkeit beleidigt worden. Vor ungefähr acht Monaten (gerechnet von der zweiten Einvernahme) sei der BF auf den Geistlichen getroffen, welcher das Freitagsgebet in der Ortschaft abhalte. Dieser habe den BF erniedrigend gegrüßt und beschimpft, woraufhin der BF den Islam beleidigt habe. Nachgefragt führte der BF aus, dass dies der fluchtauslösende Moment gewesen sei. Wenige Tage später wäre der BF auf dem Heimweg von vier Personen angegriffen und verprügelt worden. Wiederum ein paar Tage später sei zuhause beim BF in der Nacht die Glasscheibe zerschmettert worden. Nach Verständigung der Polizei habe einer der Polizeibeamten dem Vater des BF geraten, dass der BF die Stadt verlassen solle, woraufhin der BF nach XXXX zu Verwandten gereist sei. Als diese den Hintergrund des Aufenthaltes des BF in Erfahrung gebracht hätten, hätten sie den BF durch ihr Verhalten zur Weiterreise bewegt, dieser habe dann ständig seinen Aufenthaltsort gewechselt. In dieser Zeit sei zudem sein Bruder aufgesucht und seine Eltern befragt worden. Weiters sei sein Bruder von zwei Personen misshandelt worden, der Bruder habe diesen Vorfall auch angezeigt. Die beiden Personen hätten sodann den Bruder bedroht und von ihm die Rücknahme der Anzeige gefordert. Jedoch selbst nach Zurückziehung der Anzeige hätten sie die Familie nicht in Ruhe gelassen und die Stellung des BF gefordert. Der BF hätte in diesem Zeitraum beschlossen das Land zu verlassen, der betreffende Bruder des BF sei auf der Flucht innerhalb des Landes. Der Vater des BF sei danach auch mehrmals – von der Etelaat, wie der BF vermute - angerufen worden.
Der BF legte folgende Beweismittel (OZ 1 AS 135 ff) vor: Gefälligkeitsschreiben ohne Datum in Kopie, Gefälligkeitsschreiben vom 02.07.2019 im Original, Bestätigung der Gemeinde XXXX im Original, „Certificate of Baptism“ vom XXXX 2019 in Kopie, Fotokopie eines iranischen Personalausweises, Fotokopie eines iranischen Führerscheines, Fotokopie einer iranischen Geburtsurkunde.
3. Mit im Spruch bezeichneten Bescheid wurde der gegenständliche Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Unter einem wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Iran zulässig sei sowie eine Frist für seine freiwillige Ausreise bestimmt.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass seine christliche Religionszugehörigkeit nicht festgestellt werden habe können. Es habe keine wie auch immer geartete, sonstige besondere Gefährdung der Person des BF bei einer Rückkehr in den Iran festgestellt werden können. Zudem habe nicht festgestellt werden können, dass er im Iran Verfolgungshandlungen durch iranische Regierungsstellen ausgesetzt gewesen sei oder solche in Zukunft zu befürchten seien. Daher sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Situation geraten könnte. Seine Angaben seien in höchstem Maße vage, widersprüchlich und auch in keiner Weise plausibel. Im Wesentlichen hat die belangte Behörde das Fluchtvorbringen des BF als „reine Erfindungen“ verworfen.
4. Mit am 08.10.2019 bei der belangten Behörde einlangendem Schriftsatz wurde gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde erhoben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF den christlichen Glauben angenommen habe und auf keinen Fall bereit sei, seinen christlichen Glauben zu verleugnen und schon gar nicht zum Islam zurückzukehren. Eine Ausübung christlicher Glaubenspraxis im Iran sei unmöglich, daher befürchte er aufgrund seines Glaubenswechsels im Iran asylrelevante Verfolgung. Die Vermutung der belangten Behörde, dass es sich um eine Scheinkonversion handeln würde, sei aufgrund von Verfahrensmängel nicht hinreichend tragfähig. Der BF habe außerdem die Repressalien im Iran tatsächlich – wie geschildert – erlebt. Sein rebellisches Fehlverhalten habe ihn in den Fokus der Religionswächter gebracht. Die belangte Behörde sei in Bezug auf die Ermittlung der Sachlage, bezüglich der Frage asylrelevanter Verfolgung, als auch bezüglich der Frage des Refoulementschutzes nicht mit der gebotenen Genauigkeit und Sorgfalt vorgegangen. Das BFA habe die maßgebliche Sachlage nicht festgestellt und sich in der Bescheidbegründung nur äußerst mangelhaft mit den Angaben und den individuellen Umständen des BF auseinandergesetzt.
5. Die Beschwerde wurde samt dem bezugnehmenden Verwaltungsakt am 11.10.2019 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
6. Am 09.03.2021 erstattete der BF eine Stellungnahme, in der im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass aus der Ausgabe des Länderinformationsblattes Iran – Gesamtaktualisierung vom 19.06.2020 – keine Verbesserung der allgemeinen Lage im Iran ersichtlich sei. Eine christliche Religionsausübung für unter Beobachtung stehende Personen im Iran sei zur Gänze unmöglich. Eine wegen des Verdachtes der Apostasie unter Beobachtung gestellte Person würde durch Ausübung christlicher Glaubenspraxis im Iran auf jeden Fall ihre Existenz, wie auch ihre körperliche und seelische Unversehrtheit riskieren. Der BF sei keinesfalls bereit, zum Islam zurückzukehren. Seinen christlichen Glauben wolle er nicht aufgeben und auch nicht verleugnen. Der Stellungnahme wurden noch Integrationsunterlagen des BF beigefügt.
7. Mit Ladung vom 15.01.2021 für eine mündliche Beschwerdeverhandlung am XXXX .2021 teilte das Bundesverwaltungsgericht mit, dass es beabsichtigt, das LIB der Staatendokumentation vom 20.11.2020 seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
Am XXXX .2021 wurde vom Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit der rechtsfreundlichen Vertretung des BF, einer Zeugin und unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi durchgeführt. Er wurde ausführlich zu seinen Fluchtgründen, den persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und der aktuellen Situation in Österreich befragt. Der BF legte eine Bestätigung der Freikirche XXXX vom 10.03.2021 (Beilage ./A), ein Unterstützungsschreiben (Beilage ./B) sowie eine Bestätigung der Einschreibung ins Fitnessstudio (Beilage ./C) vor.
Die erkennende Richterin brachte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 19.06.2020 unter Einbeziehung der neuen Webseite der COI-CMS als Beilage I., die Kurzinformation der Staatendokumentation, Zone Russische Föderation/Kaukasus und Iran, COVID-19 Informationen als Beilage II. und die Accord-Anfragebeantwortung zum Iran: Überwachung von Aktivitäten im Ausland (exilpolitische Aktivitäten, Konversion) [a-11025] vom Juli 2019, als Beilage III. in das Verfahren ein.
Dem BF sowie seiner Rechtsvertretung wurde die Möglichkeit eingeräumt, zu den Länderberichten eine Stellungnahme abzugeben. Der Rechtsvertreter verwies auf die Stellungnahme vom 09.03.2021 und ersuchte das erkennende Gericht, dem BF Asyl und die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die rechtzeitige und zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens folgende Beweismittel der Beurteilung zugrunde gelegt:
- Der Akt der Behörde, insbesondere darin die Erstbefragung vor der Polizei, die niederschriftlichen Einvernahmen vor der belangten Behörde,
- die in der mündlichen Verhandlung vom XXXX .2021 eingebrachten Länderberichte, auf die bereits teilweise mit der Ladung hingewiesen wurden, welche im Verfahrensgang beschrieben sind,
- der Inhalt der mündlichen Verhandlung am XXXX .2021,
- sämtliche vorgelegte Beweismittel
- Einsichten in den Datenbanken (Zentrales Melderegister, Grundversorgungs-Informationssystem, Strafregisterauskunft etc.).
1.1. Der volljährige BF ist iranischer Staatsangehöriger, trägt den im Spruch angeführten Namen und ist an dem dort angegebenen Datum geboren worden. Der BF gehört der türkischen Volksgruppe an und spricht Farsi als Muttersprache. Der BF wurde als schiitischer Moslem geboren. Er ist ledig und kinderlos. Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Der BF ist rechtswidrig nach Österreich eingereist und hat – von seinem asylrechtlichen Status abgesehen – kein Aufenthaltsrecht in Österreich, ihm kam ein solches Aufenthaltsrecht niemals zu.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig.
1.2. Der BF hat den Iran legal verlassen. Er stammt aus der Stadt XXXX und wuchs dort gemeinsam mit seiner Familie auf. Vor seiner Ausreise lebte er im Haushalt seines Onkels in XXXX .
Der BF verfügt über eine zwölfjährige Schulbildung und leistete vollständig seinen Militärdienst ab. Weiters besuchte er an der Universität zwei Jahre lang ein Studium der Mechanik. Neben seinem Studium arbeitete er als Installateur und Taxifahrer. Zudem war er in XXXX als Schweißer tätig.
Der BF verfügt über Familienangehörige (Eltern, Bruder) in Iran, zu seiner Mutter hat er auch Kontakt.
Das Herkunftsgebiet des BF wird von den iranischen Behörden kontrolliert, es liegen dort keine kriegs- oder bürgerkriegsähnliche Zustände vor. Im Herkunftsgebiet des BF ist die Grundversorgung und die medizinische Versorgung gesichert.
Dem BF droht wegen der legalen Ausreise aus dem Iran, der gegenständlichen Antragstellung bzw. dem Aufenthalt im Ausland nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine behördliche Verfolgung.
1.3. Der BF hat am XXXX .2019 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der mit im Spruch bezeichneten Bescheid hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde; unter einem wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Genannten in den Iran zulässig sei. Schließlich wurde über die Frist für die freiwillige Ausreise entschieden. Der Bescheid wurde am 12.09.2019 zugestellt.
Dagegen richtet sich die am 08.10.2019 bei der Behörde eingebrachte Beschwerde.
1.4. Der BF ist in Iran vor seiner Ausreise religiös unauffällig gewesen und hat sich in Iran nicht islamkritisch oder abfällig über den Islam, bzw. positiv über das Christentum geäußert. Demnach war weder er noch seine Familie in diesem Zusammenhang Bedrohungen oder Verfolgungshandlungen in Iran ausgesetzt.
Der BF wurde am XXXX 2019 von der XXXX (Türkei) getauft.
Am 24.07.2019 hat er den Austritt aus der islamischen Religion gegenüber der BH XXXX angezeigt.
Der BF ist Mitglied mit außerordentlichem Status in der Freikirche XXXX . Er ist aber nicht ernstlich und aus innerem Entschluss zum Christentum konvertiert, bei der vorgebrachten Konversion handelt es sich um eine Scheinkonversion. Da die christlichen bzw. protestantischen Glaubenslehren kein wesentlicher Bestandteil seiner Identität geworden sind, hat er in diesem Zusammenhang im Falle einer Rückkehr in den Iran keine Verfolgungshandlungen zu befürchten.
Der BF hat einen öffentlichen Instagram-Account, lautend auf XXXX . Er hat Berichte und Fotos zu christlichen Inhalten gepostet, wobei er damit im XXXX 2020 begonnen hat. Diese Beiträge hat der BF nur gepostet, um seine Erfolgsaussichten im Asylverfahren zu erhöhen und wurden diese Beiträge nicht aus einer ernstlichen Hinwendung zum Christentum heraus gepostet.
Die iranischen Behörden wissen von den festgestellten christlichen Aktivitäten des BF in Österreich nicht Bescheid.
1.5. Der BF verfügt über keine familiären oder sonstigen verwandtschaftlichen bzw. familienähnlichen sozialen Bindungen in Österreich und lebt hier in keiner Lebensgemeinschaft.
Der BF besuchte Deutschkurse und absolvierte eine Prüfung auf dem Niveau A1. Des Weiteren besuchte er den Kurs „Basisbildung“ des Österreichischen Roten Kreuzes XXXX .
Der BF gab an, für sechs Tage im Monat in seiner Unterkunft als Koch zu arbeiten, er bezieht aber weiterhin Leistungen aus der Grundversorgung.
Im Ausmaß von insgesamt zwölf Stunden leistete der BF gemeinnützig Aushilfsarbeiten in der Gemeinde XXXX . Er ist auch Mitglied in einem Fitnessstudio.
Er besucht regelmäßig die Gottesdienste der Freikirche XXXX . Den Glaubenskurs der Kirche besucht er derzeit nicht.
Seine wichtigsten Bezugspersonen sind zwei Freundinnen. Einer seiner Freundinnen gehört ein Stall, in welchem der BF bis vor kurzem freiwillig mitgeholfen hatte, die weitere Freundin hat er ebenfalls dort kennengelernt.
Diese Beziehungen haben sich jedenfalls zu einem Zeitpunkt entwickelt, zu dem die Beteiligten um den prekären aufenthaltsrechtlichen Status des BF wussten.
1.6. Situation im Herkunftsstaat:
Aus dem ins Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Iran vom 19.06.2020 (LIB) ergibt sich wie folgt:
Sicherheitslage
Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latenten Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gerechnet werden sowie mit Straßenblockaden. Zum Beispiel haben im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 4.5.2020).
Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte (EDA 4.5.2020; vgl. AA 4.5.2020b). 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan (AA 4.5.2020b).
In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 4.5.2020). In diesen Minderheitenregionen kommt es unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 4.5.2020b).
In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 4.5.2020b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 4.5.2020).
In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 4.5.2020b). Im iranisch- irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften (EDA 4.5.2020). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 10.2019).
Quellen: […]
Folter und unmenschliche Behandlung
Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Dennoch sind seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, durchaus üblich (AA 26.2.2020; vgl. US DOS 11.3.2020, DIS 7.2.2020). Dies betrifft vorrangig nicht registrierte Gefängnisse, aber auch „offizielle“ Gefängnisse, insbesondere den berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht (AA 26.2.2020; vgl. US DOS 11.3.2020). Die Justizbehörden verhängen und vollstrecken weiterhin grausame und unmenschliche Strafen, die Folter gleichkommen. In einigen Fällen werden die Strafen öffentlich vollstreckt (AI 18.2.2020; vgl. US DOS 13.3.2019, FH 4.3.2020). Zahlreiche Personen wurden wegen Diebstahls oder Überfällen zu Peitschenhieben verurteilt, aber auch wegen Taten, die laut Völkerrecht nicht strafbar sind, wie z. B. Beteiligung an friedlichen Protesten, außereheliche Beziehungen, Alkoholkonsum oder Teilnahme an Feiern, bei denen sowohl Frauen als auch Männer anwesend waren. (AI 18.2.2020).
Bei Delikten, die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 10.2019). Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, manchmal während die Häftlinge mit dem Kopf nach unten an der Decke aufgehängt waren, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen (davon wissen praktisch alle politischen Gefangene aus eigener Erfahrung zu berichten), Vergewaltigungen
– teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, und die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 12.2018; vgl. US DOS 11.3.2020).
Folter und andere Misshandlungen passieren häufig in der Ermittlungsphase (HRC 8.2.2019; vgl. DIS 7.2.2020), um Geständnisse zu erzwingen. Dies betrifft vor allem Fälle von ausländischen und Doppelstaatsbürgern, Minderheiten, Menschenrechtsverteidigern und jugendlichen Straftätern (HRC 8.2.2019). Obwohl unter Folter erzwungene Geständnisse vor Gericht laut Verfassung unzulässig sind, legt das Strafgesetzbuch fest, dass ein Geständnis allein dazu verwendet werden kann, eine Verurteilung zu begründen, unabhängig von anderen verfügbaren Beweisen (HRC 8.2.2019; vgl. HRC 28.1.2020). Es besteht eine starke institutionelle Erwartung, Geständnisse zu erzielen. Dies wiederum ist einem fairen Verfahren nicht dienlich (HRC 8.2.2019; vgl. HRW 14.1.2020, HRC 28.1.2020). Frühere Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 4.3.2020).
Quellen: […]
Allgemeine Menschenrechtslage
Die iranische Verfassung (IRV) vom 15. November 1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Art. 4 IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene „Hohe Rat für Menschenrechte“ untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten „Pariser Prinzipien“ (AA 26.2.2020).
Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:
- Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
- Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte - Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung
- Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit islamischem Recht)
- Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie
- Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
- Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes
- UNESCO Konvention gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen
- Konvention über die Rechte behinderter Menschen
- UN-Apartheid-Konvention
- Internationales Übereinkommen gegen Apartheid im Sport (AA 26.2.2020) Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:
- Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe
- Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention
- Zweites Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe
- Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau
- Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen
- Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (AA 26.2.2020).
Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Lage der Menschenrechte, die jedoch besser ist als in der Mehrzahl der Nachbarländer (ÖB Teheran 10.2019). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition (GIZ 2.2020a). Zu den wichtigsten Menschenrechtsfragen gehören Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard der "schwersten Verbrechen" entsprechen und ohne einen fairen Prozess, zahlreiche Berichte über rechtswidrige oder willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte, harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen, systematische Inhaftierungen, einschließlich Hunderter von politischen Gefangenen (US DOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020, FH 4.3.2020, HRW 14.1.2020). Weiters gibt es unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre, erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere der Revolutionsgerichte, Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets, einschließlich Gewalt, Androhung von Gewalt sowie ungerechtfertigter Festnahmen und Strafverfolgung gegen Journalisten, Zensur, Blockieren von Webseiten und Kriminalisierung von Verleumdungen; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit, wie z.B. die restriktiven Gesetze für Nichtregierungsorganisationen (NGO); Einschränkungen der Religionsfreiheit, Beschränkungen der politischen Beteiligung durch willkürliche Kandidatenprüfung, weit verbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen, rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien, Menschenhandel, Gewalt gegen ethnische Minderheiten, strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten, Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten, Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen Angehörige sexueller Minderheiten beinhalten, und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften (US DOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020, HRW 14.1.2020). Die Regierung unternahm wenige Schritte, um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Viele dieser Missstände sind im Rahmen der Regierungspolitik zu verantworten. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet (US DOS 11.3.2020).
Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände (vgl. Art. 279 bis 288 iStGB sowie Staatsschutzdelikte, insbesondere Art. 1 bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 26.2.2020). Die Tätigkeit als Frauen- und Menschenrechtsaktivist wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt (Vorwurf der Propaganda gegen das Regime o.ä.) und hat oft die Verurteilung zu Haft- oder auch Körperstrafen zur Folge (ÖB Teheran 10.2019). Auch Umweltaktivisten müssen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen (HRW 14.1.2020; vgl. BTI 2020).
Quellen: […]
Meinungs- und Pressefreiheit
Die iranische Verfassung garantiert zwar Meinungs- und Pressefreiheit, aber nur insoweit Aussagen nicht „schädlich“ für die grundlegenden Prinzipien des Islams oder die „Rechte der Öffentlichkeit“ sind (ÖB Teheran 10.2019; vgl. US DOS 11.3.2020). In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert (AA 26.2.2020; vgl. BTI 2020, AI 18.2.2020, US DOS 11.3.2020) und Behörden nutzen das Gesetz, um Personen, die die Regierung direkt kritisieren oder menschenrechtliche Probleme ansprechen, einzuschüchtern und strafrechtlich zu verfolgen (US DOS 11.3.2020). Der staatliche Rundfunk wird streng von Hardlinern kontrolliert und vom Sicherheitsapparat beeinflusst. Nachrichten und Analysen werden stark zensiert (FH 4.3.2020). Die iranischen Justiz- und Sicherheitsbehörden verwenden weiterhin vage definierte Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, um Aktivisten wegen freier Meinungsäußerung zu verhaften und strafrechtlich zu verfolgen (HRW 14.1.2020).
Die iranische Presselandschaft spiegelt eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums wider, geprägt wird sie dennoch von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter „roter Linien“ des Revolutionsführers, die in erheblichem Maß auch zu Selbstzensur führen. Bei Verstößen gegen ungeschriebene Regeln drohen Verwarnungen, Publikationsverbote, strafrechtliche Sanktionen etwa wegen „Propaganda gegen das System“ bis hin zum Verbot von Medien, sowohl von reformorientierten als auch von konservativen Zeitungen (AA 26.2.2020). „Propaganda gegen den Staat“ ist mit einer einjährigen Freiheitsstrafe sanktioniert, wobei „Propaganda“ nicht definiert ist. Zeitungen und Medien sind daher stets der Gefahr ausgesetzt, bei regierungskritischer oder für hohe Regimevertreter unliebsamer Berichterstattung geschlossen zu werden – dies gilt auch für Regimemedien. Oft werden in diesem Zusammenhang die Zeitungsherausgeber verhaftet (ÖB Teheran 10.2019). Mitarbeiter von ausländischen Presseagenturen (insbesondere kritische farsisprachige Medien wie BBC, DW oder Voice of America) sowie unabhängige Journalisten sind Berichten zufolge oft mit Verzögerungen bei der Gewährung der Presselizenz durch die iranischen Behörden, Verhaftungen, körperlicher Züchtigung sowie Einschüchterung ihrer Familienmitglieder konfrontiert (ÖB Teheran 10.2019; vgl. AA 26.2.2020, FH 4.3.2020). Insbesondere im Zusammenhang mit politischen Ereignissen, wie z.B. Wahlen, war in den letzten Jahren immer wieder ein verstärktes Vorgehen gegen Journalisten zu beobachten. Meist werden dabei unverhältnismäßig hohe Strafen wegen ungenau definierter Anschuldigungen wie etwa „regimefeindliche Propaganda“ verhängt (ÖB Teheran 10.2019).
Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol. Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weit verbreitet. Die Behörden versuchen, dies durch den Einsatz von Störsendern (sogenanntes Jamming) zu unterbinden (AA 26.2.2020; vgl. FH 4.3.2020). Die Polizei durchsucht regelmäßig Privathäuser und beschlagnahmt Satellitenschüsseln (FH 4.3.2020). Ebenso werden oppositionelle Webseiten und eine Vielzahl ausländischer Nachrichtenseiten sowie soziale Netzwerke durch iranische Behörden geblockt (AA 26.2.2020; vgl. FH 4.3.2020). Ihr Empfang ist jedoch mithilfe von VPN (Virtual Private Networks) möglich, wird aber „gefiltert“ bzw. mitgelesen und regelmäßig auch gestört. Das Vorgehen der Behörden gegen reformorientierte Medien erstreckt sich auch auf das Internet. Jeder, der sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen „Cyber- Krieg“ gegen das Land führen zu wollen. Die Überwachung persönlicher Daten ist ohne Gerichtsanordnung grundsätzlich verboten. Wenn die nationale Sicherheit bedroht zu sein scheint, wird hiervon jedoch abgesehen (AA 26.2.2020).
Die Behörden gestatten es nicht, das Regierungssystem, den Obersten Führer oder die Staatsreligion öffentlich zu kritisieren. Sicherheitsbehörden bestrafen jene, die diese Einschränkungen verletzen oder den Präsidenten, das Kabinett oder das Parlament öffentlich kritisieren (US DOS 11.3.2020).
Die 1997 unter Khatami gegründete „Association of Iranian Journalists“ wurde 2009 unter Staatspräsident Ahmadinedschad von den Sicherheitskräften geschlossen und hat seitdem trotz pressefreundlicher Wahlkampfversprechen von Rohani ihre Tätigkeit nicht wieder aufgenommen. Im Ausland lebende Journalisten von BBC Farsi berichten von gezielter Verfolgung und Einschüchterungsversuchen. Maßnahmen wie Überwachung, wiederholte Befragungen und das Einfrieren von Konten erstrecken sich dabei auch auf Familien der Betroffenen. Familienangehörige werden unter Druck gesetzt, auf die Beendigung der journalistischen Tätigkeit für BBC Farsi hinzuwirken. Inhaftierte Journalisten sind in Iran – wie alle politischen Gefangenen – besorgniserregenden Haftbedingungen ausgesetzt. Unter politischen Gefangenen und Journalisten kommt es regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen, unter anderem gegen die hygienischen Bedingungen und die mangelhafte medizinische Versorgung (AA 26.2.2020). Auch gegen Personen, die ihre Meinung oder Nachrichten online publizieren (Blogger), wird massiv vorgegangen. Die elektronischen Medien und der Internet-Verkehr sowie Internet-Cafés (obligatorische Personenidentifikation und Überwachungskameras) stehen unter intensiver staatlicher Kontrolle. Millionen Internetseiten sind gesperrt. Regimefeindliche oder
„islamfeindliche“ Äußerungen werden auch geahndet, wenn sie in elektronischen Kommunikationsmedien, etwa auch in sozialen Netzwerken, getätigt werden. Vor allem junge Menschen, welche diese Kommunikationsmittel zum Meinungsaustausch nutzen, laufen Gefahr, wegen ihrer geäußerten regimekritischen Meinung verfolgt zu werden (ÖB Teheran 10.2019).
Ebenso unter Druck stehen Filmemacher und bildende Künstler, vor allem dann, wenn ihre Kunst als „unislamisch“ oder regimekritisch angesehen wird, oder sie ihre Filme an ausländische Filmproduktionsfirmen verkaufen oder auch nur im Ausland aufführen (dazu wurde eine Genehmigungspflicht verhängt). Über zahlreiche Künstler wurden Strafen wegen zumeist
„regimefeindlicher Propaganda“ und anderen Anschuldigungen verhängt. Viele sind regelmäßig in Haft bzw. zu langjährigen Tätigkeits- und Interviewverboten verurteilt (ÖB Teheran 10.2019).
Präsident Rohani hatte in seiner Wahlkampagne eine Lockerung der Zensurpolitik versprochen. Zeitweise wurden einige soziale Netzwerke wieder freigegeben. Rohani bezeichnete den Zugang zum Internet als „Bürgerrecht“ und ist selbst auf Twitter und Facebook aktiv (beide aktuell in Iran gesperrt, wobei dies durch viele Iraner mittels VPN umgangen wird). Trotz seiner vielversprechenden Aussagen und einer (teils heftig geführten) öffentlichen Diskussion insbesondere zum Thema „Cyberspace“ hat sich die Situation aber nicht signifikant verbessert, im Gegenteil: Im ersten Halbjahr 2018 wurde die überaus beliebte Messenger App „Telegram“ gesperrt. Es gibt weiterhin Polizeiaktionen gegen auf Instagram erfolgreichen Frauen, die „unsittliche“ Inhalte (Fotos ohne Kopftuch, Make-up-Videos, Tanzvideos, usw.) teilen (ÖB Teheran 10.2019). Die Messenger App Telegram hatte in Iran mehr als 40 Millionen Nutzer. Auch Facebook und Twitter bleiben blockiert, genauso wie hunderte andere Webseiten (HRW 17.1.2019).
In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen hat sich Iran um sechs Plätze verschlechtert und liegt nun an Position 173 (2019: 170) von 180. Reporter ohne Grenzen bezeichnet Iran als eines der größten Gefängnisse für Journalisten. Verhaftungen von professionellen Journalisten und nicht professionellen Journalisten, vor allem solche, die in sozialen Netzwerken posten, haben sich im Jahr 2018 gesteigert (ROG 2019).
Nahezu jede iranische Familie besitzt eine Satellitenantenne, auch wenn diese offiziell verboten sind. Internet ist weit verbreitet, die Zahl der Internetcafés (Cofee Net) nimmt stetig zu, chatten (und zunehmend auch bloggen) ist eine Art Volkssport unter jungen Iranern. Zudem ist die Zahl an Handys gerade unter jungen Iranern hoch, auch wenn SIM-Karten sehr teuer sind (GIZ 12.2019c).
Quellen: […]
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Die Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit steht für öffentliche Versammlungen unter einem Genehmigungsvorbehalt. Demonstrationen der Opposition sind seit den Wahlen 2009 nicht mehr genehmigt worden, finden jedoch in kleinem Umfang statt. Demgegenüber stehen Demonstrationen systemnaher Organisationen, zu deren Teilnahme Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sowie Schüler und Studenten teilweise verpflichtet werden. Ebenfalls ist eine unabhängige gewerkschaftliche Betätigung nicht möglich, denn auch gewerkschaftliche Aktivitäten werden zum Teil mit dem Vorwurf der „Propaganda gegen das Regime“ und „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“ verfolgt. Das Streikrecht hingegen ist prinzipiell gewährleistet (AA 26.2.2020), jedoch können streikende Arbeiter von Entlassung und Verhaftung bedroht sein. Mehrere inhaftierte Arbeiteraktivisten wurden 2019 zu schweren Haftstrafen von 14 Jahren oder mehr verurteilt (FH 4.3.2020). Nach den Ende Dezember 2017 ausgebrochenen Protestdemonstrationen im ganzen Land nahmen Behörden zahlreiche Menschen fest. Berichten zufolge gingen Sicherheitskräfte mit Schusswaffen und anderer exzessiver Gewaltanwendung gegen Protestierende vor und verletzten und töteten unbewaffnete Demonstrierende. Zahlreiche friedliche Regierungskritiker (Oppositionelle, Journalisten, Blogger, Studierende etc.) wurden aufgrund von vage formulierten Anklagen, die sich auf die nationale Sicherheit bezogen, inhaftiert (AA 12.1.2019). Seit diesen Protesten im Dezember 2017 haben die Behörden das Recht auf friedliche Versammlung systematisch verletzt (HRW 17.1.2019). Die Sicherheitskräfte, insbesondere die Geheimdienstorganisation der Revolutionsgarden (IRGC), unterdrücken weiterhin Aktivisten der Zivilgesellschaft und behalten friedliche Versammlungen, besonders arbeitsbedingte Proteste fest im Griff (HRW 14.1.2020).
Vereinigungen auf Arbeitnehmerseite werden misstrauisch beobachtet. Es gibt keine Betätigungsmöglichkeit für unabhängige Gewerkschaften (ÖB Teheran 10.2019; vgl. FH 4.3.2020). Erlaubt sind nur „Islamische Arbeitsräte“ unter der Aufsicht des „Haus der Arbeiter“ (keine unabhängige Institution). Mitglieder und Gründer unabhängiger Gewerkschaftsgruppierungen wie etwa die Teheraner Busfahrergewerkschaft, die Zuckerrohrarbeitergewerkschaft oder die Lehrergewerkschaft wurden in den letzten Jahren zunehmend häufig verhaftet, gefoltert und bestraft. Proteste gegen zu geringe oder gar nicht ausbezahlte Löhne mehren sich seit Anfang 2018, auch dabei kommt es immer wieder zu Festnahmen. Es kommt auch vermehrt zu Protesten im Zusammenhang mit zunehmendem Wassermangel in manchen Teilen des Landes. Seit Anfang 2018 sind auch Umweltaktivisten von Verfolgung bedroht. Unter dem Vorwurf der (mitunter
„unbewussten“) Spionage im Umfeld von atomaren Einrichtungen wurden seit Jänner 2018 mehrere Dutzend Personen inhaftiert (ÖB Teheran 10.2019).
Die iranischen Behörden unterdrückten brutal landesweite Proteste, die nach dem Anstieg der Kraftstoffpreise am 25. November 2019 ausbrachen. Videomaterial und Augenzeugenberichte, die nach einer fast vollständigen Schließung des Internets durch die Regierung im Land entstanden waren, zeigen Sicherheitskräfte, die sich direkt gegen Demonstranten richteten. Es sollen über 200 Menschen bei diesen Protesten getötet worden sein und laut Schätzungen ca. 7.000 Personen verhaftet worden sein (HRW 14.1.2020; vgl. DIS 7.2.2020).
In Iran gibt es keine politischen Parteien mit vergleichbaren Strukturen westlich-demokratischer Prägung (ÖB Teheran 10.2019; vgl. GIZ 2.2020a). Auch im Parlament existiert keine, mit europäischen Demokratien vergleichbare, in festen Fraktionen organisierte parlamentarische Opposition. Bei Wahlen (sowohl bei Präsidenten- als auch Parlamentswahlen) nimmt der Wächterrat die Auswahl der Kandidaten vor. Kandidaten werden unter fadenscheinigen Gründen aussortiert – dabei wurden auch schon ehemalige Präsidenten als „nicht geeignet“ ausgeschlossen. Die entscheidenden Konfliktlinie im iranischen Parlament liegt oft zwischen den Rohani-Loyalen (Reformern und Moderaten) einerseits und den Anhängern der Revolutionstreuen (Parlamentspräsident Ali Larijani, Oberster Führer Khamenei) andererseits, bisweilen kommen aber auch andere Gegensätze zum Tragen. Der Spielraum für die außerparlamentarische Opposition wird vor allem durch einen Überwachungsstaat eingeschränkt, was die Vernetzung oppositioneller Gruppen extrem riskant macht (Einschränkung des Versammlungsrechts, Telefon- und Internetüberwachung, Spitzelwesen, Omnipräsenz von Basij-Vertretern u.a. in Schulen, Universitäten sowie Basij-Sympathisanten im öffentlichen Raum, etc.) (ÖB Teheran 10.2019; vgl. AA 26.2.2020). Viele Anhänger der Oppositionsbewegungen wurden verhaftet, haben Iran verlassen oder sind nicht mehr politisch aktiv. Ohne entsprechende Führung und angesichts umfassender Überwachung der Kommunikationskanäle spielen die verbleibenden Oppositionellen kaum eine Rolle. Das Fehlen oppositioneller Führungspersonen zeigte sich auch bei den Unruhen zum Jahreswechsel 2017/18 und den Protesten im November 2019 (AA 26.2.2020). Die Verfassung lässt die Gründung politischer Parteien, von Berufsverbänden oder religiösen Organisationen so lange zu, als sie nicht gegen islamische Prinzipien, die nationale Einheit oder die Souveränität des Staates verstoßen und nicht den Islam als Grundlage des Regierungssystems in Frage stellen. Hinzu kommen immer wieder verhängte drakonische Strafen aufgrund diffuser Straftatbestände („regimefeindliche Propaganda“, „Beleidigung des Obersten Führers“ etc.). Darüber hinaus werden Angehörige der außerparlamentarischen Opposition immer wieder unter anderen Vorwürfen festgenommen. An sich gäbe es ein breites Spektrum an Ideologien, die die Islamische Republik ablehnen, angefangen von den Nationalisten bis hin zu Monarchisten und Kommunisten. Eine markante Führungspersönlichkeit fehlt bei sämtlichen oppositionellen Gruppierungen (ÖB Teheran 10.2019).
Die Oppositionsführer Mehdi Karroubi und Mir Hossein Mussawi sowie dessen Ehefrau Zahra Rahnavard stehen noch immer ohne Anklage oder Gerichtsverfahren unter Hausarrest, der 2011 gegen sie verhängt worden war (AI 18.2.2020; vgl. BTI 2020, ÖB Teheran 10.2019, AA 26.2.2020).
Quellen: […]
Todesstrafe
Die Todesstrafe steht auf Mord (wobei die Familie des Opfers gegen Zahlung von Blutgeld auf die Hinrichtung verzichten kann), Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel (nur mehr bei besonders schweren Vergehen), schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, „Moharebeh“ („Waffenaufnahme gegen Gott“) und homosexuelle bzw. außereheliche Handlungen (ÖB Teheran 10.2019; vgl. HRW 14.4.2020, AA 26.2.2020). Des weiteren terroristische Aktivitäten, Waffenbeschaffung, Hoch- und Landesverrat, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islams oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit), Vergewaltigung und Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslimen mit einer Muslimin (AA 26.2.2020). Auch der Abfall vom Islam (Apostasie) kann mit der Todesstrafe geahndet werden (AA 26.2.2020; vgl. ÖB Teheran 10.2019). In den letzten 20 Jahren ist es jedoch zu keiner Hinrichtung aus diesem Grund gekommen (AA 26.2.2020).
Der größte Anteil der Hinrichtungen entfällt mittlerweile auf Verurteilungen wegen Mord (ÖB Teheran 10.2019; vgl. AA 26.2.2020) und Sexualdelikten. Die Hinrichtungen werden regelmäßig durch Erhängen, selten durch Erschießen, z.T. öffentlich durchgeführt (ÖB Teheran 10.2019) und auch (selten) gegen zum Tatzeitpunkt Minderjährige (ÖB Teheran 10.2019; vgl. AA 26.2.2020, HRW 14.4.2020, FH 4.3.2020, HRC 28.1.2020, AI 18.2.2020). Das Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Buben liegt bei 15 und für Mädchen bei 9 Jahren (ÖB Teheran 12.2018; vgl. AA 26.2.2020) und kann bei Eintritt der Volljährigkeit vollstreckt werden. 2018 wurden mindestens vier zur Tatzeit minderjährige Täter/innen hingerichtet. Mehreren weiteren zur Tatzeit Minderjährigen droht aktuell die Hinrichtung. 2019 wurden erstmals auch zwei zum Zeitpunkt der Hinrichtung Minderjährige verzeichnet (AA 26.2.2020). In der Vergangenheit konnten einige Hinrichtungen von Jugendlichen aufgrund von großem internationalen Druck (meist in letzter Minute) verhindert werden (ÖB Teheran 10.2019). Hinrichtungen erfolgen weiterhin regelmäßig ohne rechtlich vorgeschriebene vorherige Unterrichtung der Familienangehörigen, die Herausgabe des Leichnams wird teilweise verweigert oder verzögert (AA 26.2.2020). In Bezug auf die Anzahl der jährlichen Hinrichtungen befindet sich Iran nach China weltweit an zweiter Stelle (FH 4.3.2020).
Im Jänner 2018 trat eine Gesetzesänderung zur Todesstrafe bei Drogendelikten in Kraft. Wer Drogenstraftaten aufgrund von Armut oder Arbeitslosigkeit begeht, wird nicht mehr zum Tode verurteilt. Über gewalttätige Drogenstraftäter und solche, die mehr als 100 Kilo Opium oder zwei Kilo industrielle Rauschgifte produzieren oder verbreiten, wird weiterhin die Todesstrafe verhängt (ÖB Teheran 10.2019). Diese Gesetzesänderungen führten zu einer Überprüfung der Todesstrafe für Tausende von Häftlingen (FH 4.3.2020) und die Anzahl der bekannt gewordenen Hinrichtungen sank (AI 10.4.2019; vgl. HRW 14.1.2020, FH 4.3.2020, HRC 8.2.2019). Das neue Gesetz gilt rückwirkend, sodass dadurch etwa 2.000 bis 5.000 bereits zum Tode Verurteilte von der Todesstrafe verschont bleiben könnten (AA 26.2.2020). Nichtsdestotrotz hat Iran im Laufe des Jahres 2019 fast 300 Menschen hingerichtet, darunter mindestens zwei jugendliche Straftäter (FH 4.3.2020).
Viele Todesurteile werden nach internationalen Verfahrensstandards widersprechenden Strafverfahren gefällt: Es wird immer wieder von durch Folter erzwungenen Geständnissen oder fehlenden Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Verteidiger bzw. fehlender freier Wahl eines Verteidigers berichtet, insbesondere bei „politischen“ oder die „nationale Sicherheit“ betreffenden Fällen. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom
„Geschädigten“ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Zwar wurde im Jahr 2002 ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, jedoch wurde dies im Jahr 2009 vom damaligen Justizsprecher für nicht bindend erklärt. Es befinden sich noch mehrere Personen beiderlei Geschlechts auf der „Steinigungsliste“. Seit 2009 sind jedoch keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2019).
Quellen: […]
Religionsfreiheit
In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA Analyse 23.5.2018). Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten „Buchreligionen“ (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als „mohareb“ (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden. Auch unterliegen Vertreter religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 26.2.2020; vgl. ÖB Teheran 10.2019).
Anerkannte religiöse Minderheiten – Zoroastrier, Juden, (v.a. armenische und assyrische) Christen – werden diskriminiert. Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Baha‘i, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Vertreter von anerkannten religiösen Minderheiten betonen immer wieder, wenig oder kaum Repressalien ausgesetzt zu sein. Sie sind in ihrer Religionsausübung – im Vergleich mit anderen Ländern der Region – nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Darüber hinaus haben sie gewisse anerkannte Minderheitenrechte, etwa – unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke – eigene Vertreter im Parlament (ÖB Teheran 10.2019). Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten (BFA Analyse 23.5.2018; vgl. FH 4.3.2020). Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane, oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (BFA Analyse 23.5.2018; vgl. FH 4.3.2020) und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 4.3.2020).
Auch in einzelnen Aspekten im Straf-, Familien- und Erbrecht kommen Minderheiten nicht dieselben Rechte zu wie Muslimen. Es gibt Berichte von Diskriminierung von Nichtschiiten aufgrund ihrer Religion, welche von der Gesellschaft/Familien ausgeht und eine bedrohliche Atmosphäre kreiert. Diskriminierung geht jedoch hauptsächlich auf staatliche Akteure zurück (ÖB Teheran 10.2019).
Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwingen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Wichtige politische Ämter stehen ausschließlich schiitischen Muslimen offen. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt (AI 18.2.2020).
Anerkannten ethnisch christlichen Gemeinden ist es untersagt, konvertierte Christen zu unterstützen. Gottesdienste in der Landessprache Farsi sind verboten, ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden (AA 26.2.2020).
Schiitische Religionsführer, welche die Regierungspolitik nicht unterstützen, sind weiterhin Einschüchterungen und Verhaftungen ausgesetzt (US DOS 21.6.2019).
Laut der in den USA ansässigen NGO „United for Iran“ waren 2018 mindestens 272 Angehörige religiöser Minderheitengruppen aufgrund des Praktizierens ihrer Religion inhaftiert, 165 Gefangene wegen „Feindschaft gegen Gott“, 34 wegen „Beleidigung des Obersten Führers und Ayatollah Khomeini“ und 20 wegen „Korruption auf Erden“ (US DOS 21.6.2019).
Personen, die sich zum Atheismus bekennen, können willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt werden. Sie laufen Gefahr, wegen "Apostasie" (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden (AI 18.2.2020). In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie jedoch sehr selten (wenn überhaupt noch vorhanden), bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 10.2019).
Quellen: […]
Christen
Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran, von denen der Großteil den armenischen Christen angehört. Diese leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan. Die armenischen Christen gehören zu den anerkannten religiösen Minderheiten, die in der Verfassung genannt werden. Ihnen stehen zwei der 290 Sitze im iranischen Parlament zu. Laut den konsultierten Quellen können armenische Christen – solange sie sich an die Gesetze der Islamischen Republik Iran halten – ihren Glauben relativ frei ausüben. Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind. Sie haben das Recht, religiöse Riten und Zeremonien abzuhalten, Ehen nach den eigenen religiösen Gesetzen zu schließen und auch Privatschulen zu betreiben. Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden. Es gibt aber auch Einschränkungen, mit denen auch anerkannte religiöse Minderheiten zu leben haben, beispielsweise Nachteile bei der Arbeitssuche, islamische Bekleidungsvorschriften und Benachteiligungen insbesondere im Familien- und Erbrecht. Eine wichtige Einschränkung ist das Proselytismusverbot, das für alle religiösen Minderheiten gilt. Missionierung kann im Extremfall mit dem Tod bestraft werden (BFA Analyse 23.5.2018). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS/DRC 23.2.2018).
Das Christentum ist in der iranischen Verfassung als Religion anerkannt. Den historisch ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) wird eine besondere Stellung zuerkannt. Religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt; christliche Gottesdienste auf Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten (ÖB Teheran 10.2019; vgl. AA 26.2.2020), ebenso die Verbreitung christlicher Schriften (AA 26.2.2020). Sonstige zahlenmäßig bedeutende Gruppen stellen Katholiken und Protestanten, die ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes haben. Die Mitglieder sind meist Konvertiten aus dem Islam. Grundrechtlich besteht „Kultusfreiheit“ innerhalb der Mauern der Gemeindezentren und der Kirchen. Jedoch haben Nichtmuslime weder Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit, noch Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit. Jegliche missionarische Tätigkeit inklusive des öffentlichen Verkaufs von werbenden Publikationen und der Anwerbung Andersgläubiger ist verboten (Proselytismusverbot) und wird streng bestraft. Das Strafgesetz sieht für Proselytismus die Todesstrafe vor, wobei es in den letzten Jahren zu keinem derartigen Urteil kam. Infolge des Proselytismusverbots wird gegen evangelikale Gruppen („Hauskirchen“) oft hart vorgegangen (Verhaftungen, Beschlagnahmungen, vor ein paar Jahren auch angeblich vollstreckte Todesurteile). Autochthone Kirchen halten sich meist penibel an das Verbot (ÖB Teheran 10.2019).
Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur armenische oder assyrische Christen an [abgesehen von Juden und Zoroastriern], da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren, bzw. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Sabäer-Mandäer werden auch als Christen geführt, obwohl sie sich selbst nicht als Christen bezeichnen. Staatsbürger, die nicht den anerkannten Religionsgemeinschaften angehören, oder die nicht beweisen können, dass ihre Familien schon vor der Islamischen Revolution Christen waren, werden als Muslime angesehen. Mitglieder der anerkannten Minderheiten müssen sich registrieren lassen (US DOS 21.6.2019).
Im Weltverfolgungsindex 2020 von Christen von Open Doors befindet sich Iran, wie im letzten Jahr, auf dem neunten Platz. Im Beobachtungszeitraum (November 2018 – Oktober 2019) wurden 169 Christen verhaftet, 114 von ihnen in einer einzigen Woche Ende 2018 (Open Doors 2020).
Quellen: […]
Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen
Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist im Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 10.2019). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel
„mohareb“ („Waffenaufnahme gegen Gott“), „mofsid-fil-arz/fisad-al-arz“ („Verdorbenheit auf Erden“), oder „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie sehr selten, wenn überhaupt noch vorhanden. Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war. Hingegen gab es mehrere Exekutionen wegen „mohareb“ (ÖB Teheran 10.2019; vgl. DIS/DRC 23.2.2018). Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen, keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt (DIS/DRC 23.2.2018). Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen (Open Doors 2020; vgl. AA 26.2.2020). Anklagen lauten meist auf „Gefährdung der nationalen Sicherheit“, „Organisation von Hauskirchen“ und
„Beleidigung des Heiligen“, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (AA 26.2.2020). Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Fälle von Konversion gelten daher als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt. Nach anderen Quellen wurden im Jahr 2017 gegen mehrere christliche Konvertiten hohe Haftstrafen (zehn und mehr Jahre) verhängt [Anmerkung der Staatendokumentation: Verurteilungsgrund unklar] (AA 12.1.2019). Laut Weltverfolgungsindex 2020 wurden im Berichtszeitraum viele Christen, besonders solche mit muslimischem Hintergrund, vor Gericht gestellt und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt bzw. warten noch auf ihren Prozess. Ihre Familien sind während dieser Zeit öffentlichen Demütigungen ausgesetzt (Open Doors 2020).
Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 26.2.2020). In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder