TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/12 W284 2202718-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.11.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

12.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §28 Abs2 Z1

Spruch


W284 2202718-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. WAGNER-SAMEK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.08.2021, Zl. 1163229006-210823473, betreffend Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG iVm. § 68 Abs. 1 AVG hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte II. bis VII. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG iVm. § 68 Abs. 1 AVG behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Verfahren über den ersten Antrag auf internationalen Schutz:

1.1. Der Beschwerdeführer stellte am 08.08.2017 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz und wurde hierzu am 09.08.2017 erstbefragt und am 16.05.2018 einer niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (kurz: BFA) unterzogen.

1.2. Dieser erste Antrag des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid vollinhaltlich abgewiesen, indem dieser sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt und eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen wurde. Die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan wurde für zulässig erklärt, die Frist für seine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

1.3. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.07.2020, Zl. W218 2202718-1/11E, wurde die fristgerecht gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

2. Verfahren über den zweiten (gegenständlichen) Antrag auf internationalen Schutz:

2.1. Der Beschwerdeführer reiste nicht nach Afghanistan aus, sondern begab sich nach Frankreich, wo er im September 2020 ebenfalls einen Asylantrag stellte. Schließlich stellte er in Österreich am 20.06.2021 einen weiteren, den gegenständlich abzuhandelnden Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag). Diesen begründete er bei Antragstellung damit, dass seine alten Fluchtgründe aufrecht seien.

2.2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 11.08.2021 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides) zurückgewiesen.

Ebenfalls wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde der Antrag hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides).

Dem Beschwerdeführer wurde keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz erteilt (Spruchpunkt III.). Zudem wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Festgestellt wurde, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.). Außerdem wurde ein Einreiseverbot auf die Dauer von 2 Jahren gegen den Beschwerdeführer erlassen (Spruchpunkt VII.).

Auch gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde und wies darauf hin, dass aufgrund der maßgeblich verschlechterten Sicherheitslage ein Sachverhalt vorliege, der nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens entstanden sei. Die belangte Behörde habe sich im angefochtenen Bescheid auf das LIB mit Stand vom 11.06.2021 gestützt, welches jedoch zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung am 11.08.2021 nicht mehr hinreichend aktuell gewesen sei. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei undenkbar. Mittlerweile sei auch die gesamte Familie des Beschwerdeführers aus Afghanistan geflüchtet und verfüge er in Afghanistan über kein Netzwerk mehr. Mangelhaft seien auch die Ermittlungen der Behörde zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers, der an Depressionen leide.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.09.2021, wurde der Beschwerde unter hg. Zl. W284 2202718-2/3Z gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt, weil eine reale Gefahr einer EMRK-Verletzung nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen habe werden können, die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan nicht nur angespannt, sondern überdies im (täglichen) Umbruch begriffen sei sowie internationale Truppen weitestgehend abgezogen und die Taliban mit der Regierungsbildung begonnen, diese aber noch nicht abgeschlossen hätten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der 2000 geborene und demnach 21-jährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans und Paschtune. Er lebte bis zu seiner Ausreise in der Provinz Kunar. Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Der Beschwerdeführer spricht die Sprache Paschtu, hat im Herkunftsstaat die Schule bis zur 12. Klasse besucht und war als Arbeiter tätig.

Der Beschwerdeführer führt in Österreich seit 2018 eine Beziehung mit einer afghanischen Staatsangehörigen. Sie haben sich vor rund zwei Jahren verlobt und sind traditionell (nicht standesamtlich) verheiratet. Seit 29.06.2021 besteht ein gemeinsamer Haushalt.

Den ersten Asylantrag stellte der Beschwerdeführer nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet im August 2017. Dieser Asylantrag wurde mit in Rechtskraft erwachsenem hg. Erkenntnis des BVwG vom 28.07.2020 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen.

Der Beschwerdeführer kehrte nicht nach Afghanistan zurück, sondern setzte sich von August 2020 bis 20.06.2021 nach Frankreich ab. Dort suchte er ebenfalls um internationalen Schutz an.

Am 20.06.2021 stellte er in Österreich den gegenständlichen Folgeantrag. Die zur Begründung seines Folgeantrags behauptete Bedrohung entspricht den aus dem bereits im vorangegangenen Verfahren geprüften Gründen.

Dass sein Vater in Afghanistan für die afghanische Polizei gearbeitet hätte und dem Beschwerdeführer von Seiten der Taliban Spionage unterstellt worden wäre, als dieser sich für Impfungen engagiert habe, weshalb der Beschwerdeführer bedroht worden sei und dorthin nicht zurückkehren könnte, bezieht sich auf einen bereits vor seinem ersten Asylverfahren verwirklichten Sachverhalt und ist daher vom Prüfungsumfang des vorangegangenen – und rechtskräftig abgeschlossenen – Verfahrens umfasst.

Andere, „neue“ Fluchtgründe für das Verlassen des Herkunftsstaates Afghanistan liegen nicht vor. Einer neuerlichen Überprüfung der Fluchtgründe steht die Rechtskraft des Vorverfahrens entgegen.

1.2. Die im nunmehr angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen über die Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Allfällige Auswirkungen des notorisch mit Mai 2021 erfolgten Abzuges der Koalitionstruppen und Sicherheitskräfte und der seither intensivierten Offensive von regierungsfeindlichen Kräften in Afghanistan, insbesondere des gewaltsame Vormarsches durch die Taliban und ihre Machtübernahme zahlreicher, weiterer strategisch wichtiger Städte und Stützpunkte (insbesondere auch Grenzübergänge), wurden im angefochtenen Bescheid lediglich pauschal und mit Bezug auf einige näher genannte Distrikte von Afghanistan getroffen. Die Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides über die Sicherheitslage in Balkh mit der Hauptstadt Mazar-e Sharif, in Herat, sowie in Kabul stützen sich dagegen auf Quellen aus den Jahren 2015 bis 2020 und weisen daher keine Aussagekraft darüber aus, ob dem Beschwerdeführer im Hinblick auf die jeweilige Sicherheitslage tatsächlich im Entscheidungszeitpunkt eine Rückkehr in seine Herkunftsregion oder (wie alternativ angenommen) nach Mazar-e Sharif in Afghanistan zumutbar bzw. ob diese infolge der geänderten Machtverhältnisse auch erreichbar ist.

Fest steht somit, dass sich die Sicherheits- und Versorgungslage jener Städte, auf die im rechtskräftig abgeschlossenen ersten Verfahren verwiesen wurde, drastisch verändert/verschlechtert hat, weshalb diesbezüglich ein neuer Sachverhalt vorliegt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur persönlichen Situation des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben in den Verfahren über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Seine Identität steht mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nach wie vor nicht fest und liegt weiterhin Verfahrensidentität vor.

Dass er im Bundesgebiet bloß traditionell, nicht aber standesamtlich verheiratet ist (s. OZ 4) und seit 29.06.2021 mit seiner traditionell geehelichten Frau XXXX im gemeinsamen Haushalt lebt, lässt sich einem aktuellen Auszug aus dem ZMR (Stand: 03.09.2021) entnehmen und deckt sich dies mit seinen Angaben im gegenständlichen Verfahren (Akt II, AS 95).

Die Feststellungen über den rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens betreffend den ersten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ergeben sich aus den hierzu eingesehenen Verwaltungs- und Gerichtsakten (Akt I, AS 277, 581). Diesen ersten Antrag begründete er mit der Tätigkeit seines Vaters beim Geheimdienst, der ein paar Mal von den Taliban bedroht worden sei; auch der Beschwerdeführer sei von den Taliban aufgrund seiner eigenen Tätigkeit als Beobachter für Impfungen mittels Drohbrief mit der Tötung bedroht worden, da diese ihn für einen Spion hielten.

Dass sich der Beschwerdeführer von August 2020 bis 20.06.2021 in Frankreich aufhielt, lässt sich seinen Angaben sowie dem zu Frankreich erzielten EURODAC-Treffer, der zudem über die in Frankreich erfolgte Antragstellung auf internationalen Schutz am 11.09.2020 Aufschluss gibt, entnehmen (Akt II, AS 43 und 95).

Der Beschwerdeführer stützt sich zur Geltendmachung seines Folgeantrages im Wesentlichen auf seine bisherigen Gründe und gab bei der Erstbefragung dementsprechend an: „Der alte Fluchtgrund bleibt aufrecht“ (Akt II, AS 43). Auch in seiner Einvernahme vor dem BFA bestätigte er diese Angaben und führte an, dass er von den Taliban aufgrund seiner Tätigkeit beim Roten Mond im Rahmen der Aufklärungsarbeit für Impfungen mittels Drohbrief mit der Tötung bedroht wurde, weil ihn diese für einen Spion seines Vaters hielten (Akt II, AS 97). Zu Recht wurde demnach im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, dass hierüber bereits – infolge Rechtskraft des Vorverfahrens – rechtsverbindlich abgesprochen wurde. Darüber hinaus machte der Beschwerdeführer kein weiteres Vorbringen geltend, weshalb sich im Vergleich zum bereits rechtskräftig abgeschlossenen ersten Verfahren kein geänderter asylrelevanter Sachverhalt erkennen lässt.

Der schlüssigen Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides ist die Beschwerde ansonsten nicht konkret entgegengetreten.

2.2. Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf das im angefochtenen Bescheid zitierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes und die darin zitierten Quellen. Herangezogen wurden zudem die mit Erhebung der Beschwerde dargelegte Quellen, insbesondere www.faz.net/aktuell/politik/ausland/taliban-käaempfen-nur-in-afghanistan-17430314.html, www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2111924-Taliban-Kontrollieren-85-Prozent-von-Aghnaitsan.html, beide mit Stand vom 09.07.2021; daraus ergibt sich, dass die Taliban an vielerlei Orten und strategisch wichtigen Punkten die Kontrolle übernommen haben und die Regierungstruppen überrannt wurden; Einsicht genommen wurde auch in die Website unmissions.org.; wenngleich die belangte Behörde „letzte Änderungen“ vom 11.06.2021 in den Bescheid einfließen ließ, fielen mit Blick auf den zum damaligen Zeitpunkt bereits eingeleiteten (und nunmehr vollständig erfolgten) Abzug der internationalen Truppen weitere Distrikte in den Provinzen Herat und Balkh an die Taliban und konnte auch zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht von vornherein und ohne genaue Prüfung gesagt werden, dass sich dadurch keine für den Beschwerdeführer geänderte Lage ergibt. Die Versorgungs- und Sicherheitslage war zum Entscheidungszeitpunkt der Behörde am 11. August 2021 nämlich im täglichen Umbruch begriffen und hätte die Behörde insbesondere bis dahin als „sicher“ erachtete Städte, welche nacheinander an die Taliban fielen, hinsichtlich der Frage des subsidiären Schutzstatus nicht wegen entscheidender Sache zurückweisen dürfen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mangels abweichender Regelung im AsylG, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 6 BVwGG durch Einzelrichter.

Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 Z1 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist.

Im gegenständlichen Fall wurde der Folgeantrag des Beschwerdeführers wegen entschiedener Sache hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Zuerkennung des Status des Asylberechtigten) vom BFA zurückgewiesen und waren im Übrigen die Spruchpunkte II.-VII. des angefochtenen Bescheides in Stattgabe der Beschwerde aufzuheben, weshalb die Voraussetzungen für den Entfall der mündlichen Verhandlung gegeben sind.

Die Verhandlungspflicht im Zulassungsverfahren - wozu auch Beschwerden gegen eine vor Zulassung des Verfahrens ausgesprochene Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach § 68 AVG zählen - folgt besonderen Verfahrensvorschriften, nämlich § 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA-VG (zur Auslegung dieser Sondervorschriften vgl. VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072; 25.8.2017, Ra 2017/18/0243; 5.3.2018, Ra 2018/20/0062).

Im gegenständlichen Fall hat das Bundesverwaltungsgericht keinerlei neue Beweismittel beigeschafft und sich in seiner Beurteilung der Richtigkeit der von der Behörde vorgenommenen Zurückweisung des Folgeantrages des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG ausschließlich auf die nachvollziehbaren Ausführungen im angefochtenen Bescheid gestützt, welche in der Beschwerde nicht konkret in Zweifel gezogen wurden.

Die Behörde hat im angefochtenen Bescheid dargetan, dass das nunmehrige Vorbringen des Beschwerdeführers keine Neuerung hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten darstellt. Demgegenüber liegt die mangelnde Aktualität der Feststellungen des angefochtenen Bescheids zur Lage im Herkunftsstaat hinsichtlich der Frage der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten angesichts der notorischen Entwicklungen (siehe etwa: unmissions.org; eingesehen zuletzt am 09.08.2021) auf der Hand.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte daher im vorliegenden Fall von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG ausgehen; es war nach den oben dargestellten Kriterien nicht verpflichtet, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

Zu A)

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG geregelt. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, anzuwenden.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

1. Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Status des Asylberechtigten):

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung bzw. Beschwerde nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 und 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Verschiedene Sachen im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG liegen vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgebend erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren (abgesehen von Nebenumständen, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind) abweicht (VwGH 10.06.1998, Zl. 96/20/0266). Liegt keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vor und ist in dem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt keine Änderung eingetreten, so steht die Rechtskraft des ergangenen Bescheides dem neuerlichen Antrag entgegen und berechtigt die Behörde zu seiner Zurückweisung. Ist also eine Sachverhaltsänderung, die eine andere rechtliche Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (VwGH 21.09.2000, Zl. 98/20/0564).

Auch Bescheide, die - auf einer unvollständigen Sachverhaltsbasis ergangen - in Rechtskraft erwachsen sind, sind verbindlich und nur im Rahmen des § 69 Abs. 1 AVG einer Korrektur zugänglich. Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des über den ersten Antrag absprechenden Bescheides entgegen (VwGH 10.06.1998, Zl. 96/20/0266 mit Hinweis auf VwGH 24.3.1993, Zl. 92/12/0149).

§ 68 Abs. 1 AVG soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage) verhindern. Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die "entschiedene Sache", also durch die Identität der Verwaltungssache, über die bereits mit einem formell rechtskräftigen Bescheid abgesprochen wurde, mit der im neuen Antrag intendierten bestimmt. Identität der Sache liegt dann vor, wenn einerseits weder in der Rechtslage noch in den für die Beurteilung des Parteibegehrens maßgeblichen tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist und sich andererseits das neue Parteibegehren im Wesentlichen (von Nebenumständen, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, abgesehen) mit dem früheren deckt. Dabei kommt es allein auf den normativen Inhalt des bescheidmäßigen Abspruches des rechtskräftig gewordenen Vorbescheides an. In Bezug auf wiederholte Asylanträge muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den die positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Danach kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtliche Relevanz zukäme. Die Behörde hat sich mit der behaupteten Sachverhaltsänderung bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit der (neuerlichen) Antragstellung insoweit auseinander zu setzen, als von ihr - gegebenenfalls auf der Grundlage eines durchzuführenden Ermittlungsverfahrens - festzustellen ist, ob die neu vorgebrachten Tatsachen zumindest einen (glaubhaften) Kern aufweisen, dem für die Entscheidung Relevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (VwGH 19.02.2009, Zl.2008/01/0344 mit Hinweisen auf VwGH 29.01.2008, Zl. 2005/11/0102 mwN; und VwGH 16.02.2006, Zl. 2006/19/0380, mwN; VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0025; 25.4.2017, Ra 2016/01/0307).

Diese Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat – von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen – im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen (vgl. VwGH 24.6.2014, Ra 2014/19/0018). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht somit nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0025; 24.5.2018, Ra 2018/19/0234).

Da das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit dem angefochtenen Bescheid den Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen hat, ist Gegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung, nicht aber der zurückgewiesene Antrag selbst. Zu prüfen ist demnach, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0198, mwN).

Die belangte Behörde ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich im vorliegenden Fall kein anderer, „neuer“ asylrelevanter Sachverhalt aufgetan hat und wurde über das Vorbringen des Beschwerdeführers bereits im vorangegangenen Verfahren formell rechtskräftig abgesprochen. Der Folgeantrag ist daher zurecht hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zurückgewiesen worden, weshalb die dagegen erhobene Beschwerde spruchgemäß abzuweisen ist.

Anders verhält es sich dagegen in Bezug auf die Frage nach Gewährung subsidiären Schutzes:

2. Behebung der Spruchpunkte II.-VII. des angefochtenen Bescheides (Status des subsidiär Schutzberechtigten):

Nach der österreichischen Rechtsordnung kommt dem Asylwerber nach dem AsylG 2005 ein Antragsrecht in Bezug auf den subsidiären Schutz zu, das in seinem Antrag auf internationalen Schutz mit enthalten ist. Ein gesonderter Antrag auf subsidiären Schutz ist im Gesetz hingegen nicht vorgesehen [vgl. Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, 73, und Putzer/Rohrböck, Leitfaden Asylrecht (2005), 73, Rz 153]. Da sich der Antrag auf internationalen Schutz daher auch auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten richtet, sind auch Sachverhaltsänderungen, die ausschließlich subsidiäre Schutzgründe betreffen, bei den Asylbehörden geltend zu machen, zumal nur sie dem Asylwerber diesen Schutzstatus zuerkennen können. Somit sind für Folgeanträge nach dem AsylG 2005 die Asylbehörden auch dafür zuständig, Sachverhaltsänderungen in Bezug auf den subsidiären Schutzstatus einer Prüfung zu unterziehen (VwGH 19.02.2009, Zl.2008/01/0344).

Der angefochtene Bescheid enthält jedoch keine – hinreichend aktuellen - Feststellungen über die allgemeine Sicherheitslage im Herkunftsstaat (vgl. Pkt. 1.2. und 2.2.), insbesondere betreffend die als innerstaatliche Fluchtalternative angenommene Stadt Mazar-e Sharif, wo er zufolge der rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.07.2020 Sicherheit finden kann, zumal letztere mittlerweile von den Taliban erobert wurde. Es wird zwar nicht verkannt, dass die belangte Behörde „letzte Änderungen“ aus Mitte Juni 2021 in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation aufnahm, jedoch beziehen sich die für den Beschwerdeführer als Rückkehroption angenommenen Gebiete/Städte Informationen auf die Berichtslage (Quellen) aus den Jahren 2018-2020, weshalb diese die aktuelle Situation, mit welcher der Beschwerdeführer bei nunmehriger Rückkehr konfrontiert wäre, nicht aussagekräftig widerspiegeln. Der Bescheid vermag daher den Abspruch nicht zu tragen, dass hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten kein neuer Sachverhalt eingetreten sei, weil die jüngsten notorischen Entwicklungen mit dem Abzug der internationalen Sicherheitskräfte, dem Voranschreiten der Einnahme strategische wichtiger Städte und Grenzübergänge durch die Taliban bis zum rasanten Sturz der Regierung sowie den jedenfalls bis zur Vollendung einer neuen Regierungsbildung durch die Taliban vorherrschenden bürgerkriegsartigen Zuständen nicht berücksichtigt wurden (vgl. etwa VfGH v. 05.10.2021, E 2996/2021-12, Rz15).

Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist daher zu beheben und hat dies zur Folge, dass auch die weiteren Spruchpunkte (III.-VII.) des angefochtenen Bescheids, die dessen Bestehen voraussetzen, zu beheben sind.

Vollständigkeitshalber sei zur Behebung der Spruchpunkte III.-VII. angemerkt, dass das Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang über den Antrag nicht selbst meritorisch entscheiden kann (vgl. VwGH 21.01.2020, Ra 2019/01/0393). Gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass nicht von entschiedener Sache auszugehen ist, sondern aufgrund des Vorliegens neuer Sachverhaltselemente eine inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz stattfinden hätte müssen, hat es den zurückweisenden Bescheid auf Grundlage des für zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren anzuwendenden § 21 Abs. 3 BFA-VG zu beheben (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0025), wodurch das Verfahren vor der Behörde zugelassen ist und eine neuerliche Zurückweisung des Antrages gemäß § 68 AVG unzulässig wird (vgl. hg. W231 2203773-2/3E).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung mit der umfassend zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes übereinstimmt.

Schlagworte

aktuelle Länderfeststellungen Behebung der Entscheidung Einreiseverbot aufgehoben Folgeantrag Identität der Sache meritorische Entscheidung non-refoulement Prüfung Prozesshindernis der entschiedenen Sache Rückkehrentscheidung behoben Sicherheitslage wesentliche Änderung Zulassungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W284.2202718.2.01

Im RIS seit

17.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten