Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterin Dr. Gföllner als Vorsitzende, den Richter Mag. Koller sowie die Richterin Dr. Ganglberger-Roitinger in der Strafsache gegen A***** B***** wegen des Verdachts der Verbrechen nach § 3g VerbotsG über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis gegen den Beschluss der Einzelrichterin des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 12. August 2021, 11 HR 264/20z-20, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Laut Abschlussbericht der PI Ostermiething vom 9. Dezember 2020 (ON 2) ist die am 12. Dezember 2005 geborene A***** B***** verdächtig, Verbrechen nach § 3g VerbotsG begangen zu haben.
Demnach soll sie sich am 4. Februar 2020 in Riedersbach oder andernorts auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VerbotsG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn dadurch betätigt haben, dass sie nachstehende Sticker mit nationalsozialistischem Inhalt per WhatsApp in die Gruppe "Heiliger Imbus6 Schlüssel" unter Verwendung der Telefonnummer 0677 61691478 versandt habe und zwar
a) einen Sticker zeigend Bilder eines Penis in Form eines Hakenkreuzes sowie
b) einen Sticker zeigend eine Figur aus der Serie "South Park" mit einer Hakenkreuz Armbinde.
Die Staatsanwaltschaft bot der Beschuldigten am 24. Dezember 2020 eine diversionelle Erledigung im Sinne des Rücktritts von der Verfolgung gemäß § 7 Abs 1 JGG iVm §§ 198, 203 Abs 1 StPO unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr, der Anordnung der Bewährungshilfe während der Probezeit und der Weisung, die von Neustart in der KZ-Gedenkstätte angebotene Schulung bis Ende März 2021 zu absolvieren, an; von einem Pauschalkosten wurde abgesehen. Unter einem wurde der Beschuldigten und ihrer gesetzlichen Vertreterin das Formblatt „Zustimmung zur Übernahme von Pflichten“ übermittelt (S 5 ff in ON 1, ON 4 und 5).
Am 7. Jänner 2021 wurden die unterfertigten Zustimmungserklärungen der Beschuldigten und ihrer Mutter J***** B***** der Staatsanwaltschaft übermittelt (ON 8).
Aufgrund der von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen betreffend die SARS-CoV2-Pandemie und der damit verbundenen Verzögerung bei der Absolvierung der Schulung in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen trat die Staatsanwaltschaft am 2. Juni 2021 vor Absolvierung dieser Schulung von der weiteren Verfolgung der Beschuldigten wegen Verbrechen nach § 3g VerbotsG vorläufig unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr zurück; dies bei Anordnung der weiteren Betreuung durch die Bewährungshilfe während der Probezeit sowie der Weisung, die von Neustart angebotene Schulung in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen sobald als möglich, spätestens bis Ende August 2021, zu absolvieren (S 9 in ON 1, ON 12 und 13).
Am 2. Juli 2021 übermittelte Neustart Wels eine Bestätigung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, wonach die Beschuldigte am 7. Juni 2021 an einem begleiteten Rundgang in Mauthausen teilgenommen habe, sowie eine Rechnung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen für den begleiteten Rundgang in Höhe von EUR 75,00. Da die Beschuldigte als Schülerin nur ein Taschengeld in Höhe von ca. EUR 20,00 monatlich erhalte und beide Eltern derzeit arbeitslos seien, ersuchte Neustart um Übernahme dieser Kosten (ON 19).
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 12. August 2021 wies das Landesgericht Ried im Innkreis den Antrag der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis vom 2. August 2021 (S 11 ff in ON 1) auf Feststellung der Kostenersatzpflicht des Bundes betreffend die Rechnung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen vom 14. Juni 2021 und Erlassung einer Zahlungsanweisung in Höhe von EUR 75,00 ab (ON 20).
Die dagegen erhobene Beschwerde der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis (ON 21), zu welcher sich die Oberstaatsanwaltschaft Linz nicht äußerte, ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Zutreffend weist das Erstgericht darauf hin, dass die mit der Erfüllung einer Weisung einhergehenden Kosten (Kursgebühren, Ausbildungskosten etc) der Rechtsbrecher mangels einer entsprechenden allgemeinen gesetzlichen Ersatzregelung grundsätzlich selbst zu tragen hat. Hohe finanzielle Belastungen können daher die Zweckmäßigkeit einer die Resozialisierung intendierenden Maßnahme in Frage stellen (Schroll in WK2 StGB § 51 Rz 48). Für einzelne Verfahrensbereiche sieht das Gesetz hingegen unter bestimmten Bedingungen eine Übernahme der Kosten einer mit Weisung aufgetragenen oder im Zuge von diversionellen Maßnahmen vereinbarten medizinischen, psychotherapeutischen oder psychologischen Behandlung durch den Bund vor. So findet sich - hier relevant - in § 46 Abs 1 JGG eine Regelung für die Kosten der Behandlung eines jugendlichen oder noch nicht 21 Jahre alten (§ 46a Abs 2 JGG) Rechtsbrechers, dem die Weisung erteilt worden ist, sich einer Entwöhnungsbehandlung, einer psychotherapeutischen oder einer medizinischen Behandlung zu unterziehen. Gleiches gilt, wenn sich der noch nicht 21 Jahre alte Beschuldigte bereit erklärte, derartige Behandlungen als Pflichten iSd § 203 Abs 2 StPO zu übernehmen. Wird dem Rechtsbrecher eine Behandlungsweisung auferlegt oder übernimmt der Beschuldigte eine solche diversionelle Verpflichtung, so übernimmt der Bund diese Kosten bei fehlender Krankenversicherung ungeachtet einer finanziellen Bedürftigkeit des Rechtsbrechers selbst dann, wenn die Straftat außerhalb der Suchtmitteldelinquenz oder Beschaffungskriminalität lag (Schroll in WK2 StGB § 51 Rz 49 und 51).
Umfasst sind Entwöhnungsbehandlungen bei einem Suchtverhalten, jede medizinische Behandlung und alle Arten einer Psychotherapie. Zu letzteren zählen etwa eine Anti-Aggressionstherapie oder Therapien zu abweichendem Sexualverhalten. Nicht unter den Begriff einer Therapie fallen sonstige Ausbildungskurse oder Schulungen (insb eine Nachschulung zum Fahrverhalten), mögen auch deren Kosten beträchtlich sein (Schroll in WK2 JGG § 46 Rz 2).
Dem Beschwerdeeinwand der Anklagebehörde zuwider ist die gegenständliche Weisung, die von Neustart in der KZ-Gedenkstätte angebotene Schulung zu absolvieren, nicht mit einer Anti-Aggressionstherapie vergleichbar. Eine psychotherapeutische oder psychologische Intervention im Sinne einer Behandlung von psychischen Störungen findet beim Rundgang in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen nicht statt. Vielmehr soll den Beschuldigten bei einem (einmaligen) pädagogisch begleiteten Rundgang mit Vor- und Nachgespräch in der Dauer von 3,5 bis 4 Stunden die Chance geboten werden, sich an der Gedenkstätte mit dem Thema Nationalsozialismus, den gesellschaftlichen Auswirkungen und den Verbindungen zur Gegenwart auseinanderzusetzen. Wenngleich im Rahmen der Bewährungshilfe zumindest acht persönliche Kontakte durchgeführt werden, bevor der Rundgang stattfindet, handelt es sich bei dem von der KZ-Gedenkstätte Mauthausen angebotenen Rundgang (in sehr individualisierter Form) um eine pädagogische Bildungsmaßnahme (https://www.justiz.gv.at/lg-linz/landesgericht-linz/projekte/projekt-3g). Nach dem oben Dargestellten scheidet damit eine Kostentragung nach § 46 Abs 1 JGG (analog) aus. Mit Blick auf den Hinweis auf der zitierten Website zur Übernahme der Kosten bei Mittellosigkeit der Teilnehmer/innen am Rundgang bleibt anzumerken, dass eine allfällige Kostenübernahme durch eine andere Stelle (zB Neustart) im Rahmen dieser Entscheidung nicht zu prüfen ist.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).
Textnummer
EL0000299European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OLG0459:2021:0070BS00148.21W.0929.000Im RIS seit
17.12.2021Zuletzt aktualisiert am
17.12.2021