TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/17 W284 2191221-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.08.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

17.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §32 Abs1 Z2

Spruch


G305 2191221-4/7E

G305 2191221-5/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA.: Irak, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.02.2019 zu Recht:

A)       

I. Die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.03.2019, Zl. G305 2191221-1/11E, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens betreffend internationalen Schutz wird gemäß § 32 Abs. 1 Z. 2 VwGVG bewilligt.

II. Die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2018, Zl. XXXX , wird als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2.) Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA.: Irak, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2019, Zl. XXXX :

A)       Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)       Die weitere Beschwerde wird wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs 1 AVG zurückgewiesen.

C)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Am XXXX .2015 stellte der zum Aufenthalt im Bundesgebiet nicht berechtigte irakische Staatsangehörige, XXXX , geboren am XXXX (in der Folge: Beschwerdeführer oder kurz: BF), vor Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Am XXXX .2015 wurde er von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen.

Anlässlich dieser Einvernahme gab er zu seinen Fluchtgründen befragt, an, dass sein Bruder getötet worden sei und er aus Angst um sein Leben den Entschluss gefasst hätte, das Land zu verlassen. Bei einer Rückkehr fürchte er um sein Leben, nicht jedoch Sanktionen von staatlicher Seite.

Eine von den öffentlichen Sicherheitsorganen durchgeführte EURODAC-Abfrage verlief positiv.

1.3. Am XXXX .2017 wurde er ab 11:30 Uhr durch Organe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA oder belangte Behörde) einvernommen.

Im Rahmen dieser Einvernahme gab er als Fluchtgrund zusammengefasst an, dass sein Vater als General unter Saddam HUSSEIN tätig gewesen und im Krieg verstorben sei. Seine gesamte Familie habe aufgrund der Tätigkeit seines Vaters immer wieder Probleme gehabt. Anfang September 2013 habe er einen Anruf von einem Freund seines Vaters erhalten, der ihm zur Ausreise geraten hätte, da Mitglieder der Al Bard Miliz hinter ihm her gewesen wären. Sein Bruder habe es nicht getan und sei im Jahr 2014 umgebracht worden.

1.4. Mit Bescheid der belangten Behörde vom XXXX .2018, Zl. XXXX , wies das BFA den Antrag der beschwerdeführenden Partei hinsichtlich des Antrages auf Erteilung von internationalem Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt werde und dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiter wurde ausgesprochen, dass die Frist für seine freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Ihre Entscheidung begründete die belangte Behörde im Kern damit, dass es dem BF nicht gelungen sei, eine asylrelevante Bedrohung glaubhaft zu machen.

1.5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schreiben vom 07.03.2018 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Die Beschwerde verband er einerseits mit der Anfechtungserklärung, den Bescheid vollumfänglich anfechten zu wollen, andererseits mit den Anträgen 1.) eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen, 2.) den angefochtenen Bescheid dessen hinsichtlich Spruchpunkt I. abzuändern und ihm den Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen, 3.) in eventu möge ihm gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 4 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat zuerkannt werden 4.) in eventu festzustellen, dass die erlassene Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und dem BF eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, 5.) in eventu eine Aufenthaltsberechtigung im Sinne des § 57 AsylG zu erteilen und 6.) in eventu den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Erlassung eines Bescheides an das Bundesamt zurückzuverweisen. In der Beschwerde brachte er vor, dass er entgegen den Ausführungen des BFA sehr wohl asylrelevante Gründe genannt hätte. Das BFA habe mangelhafte Länderfeststellungen getroffen und es auch unterlassen, den gesamten Sachverhalt zu erheben. Auf Grund dessen sei es zu einer mangelhaften Beweiswürdigung gekommen und hätte dem BF sehr wohl internationaler Schutz gewährt werden müssen.

1.6. Mit Schreiben vom 08.02.2019 kam es zur Auflösung des Vollmachtsverhältnisses zur Rechtsvertretung des BF durch die Diakonie, weil eine Kontaktaufnahme mit dem BF nicht möglich erachtet wurde.

1.7. Die Beschwerde wurde durch das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.02.2019 in Abwesenheit des BF mit gekürztem Erkenntnis vom 11.03.2019, Zl 305 2191221-1/11E, als unbegründet abgewiesen. Nach ungenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist erwuchs das mündlich verkündete Erkenntnis in Rechtskraft.

2. Am XXXX .2019 stellte der BF einen Folgeantrag auf internationalen Schutz und begründete diesen damit, dass er von XXXX bis XXXX in Deutschland aufhältig gewesen sei. Diesmal gab er als Fluchtgrund an, dass er im Irak Polizist bzw. Leibwächter des Ex-Präsidenten Saddam Hussein gewesen sei und seine Heimat wegen der Al Badr Miliz verlassen habe. Im Zuge seiner Einvernahme vor dem BFA gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er diese bereits im Erstverfahren erwähnt habe. Sie seien aber schlimmer geworden. Die Al Badr Miliz sei in der Zwischenzeit noch stärker geworden. Sie hätten jetzt sehr viel Macht über den ganzen Staat Irak. Sie seien in mehreren Ministerien vertreten. Er wolle ein Schreiben eines Vereins in Deutschland vorlegen, worin sein Problem im Irak bestätigt werde. Bei einer weiteren Befragung vor dem BFA gab er an, dass die derzeitige Regierung seiner Familie zwei Häuser und ein Grundstück weggenommen habe, da sie Mitglieder der Baath-Partei seien.

2.1. Mit Bescheid vom XXXX .2019, Zl. XXXX wurde der Folgeantrag des BF auf internationalen Schutz abgewiesen und diesfalls ein Aufenthaltstitel nicht erteilt. Zusätzlich wurde über ihn ein auf zwei Jahre befristetes Einreiseverbot verhängt.

2.2. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 31.07.2019, Zl I405 2191221-2/3E, als unbegründet ab. Nach ungenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist erwuchs das Erkenntnis in Rechtskraft.

3. Unter der Geschäftszahl I408 2191221 langten mehrere Eingaben des BF ein, die gemäß § 5 AVG iVm § 17 VwGVG wegen Unzuständigkeit weitergeleitet wurden.

4. Mit Schreiben vom 17.10.2019 beantragte er die Wiederaufnahme des Verfahrens zu Zl G305 2191221-1 hinsichtlich des Bescheides vom XXXX .2018, Zl. XXXX , gemäß § 32 Abs. 1 Z. 2 VwGVG, dies mit der Begründung, dass er im XXXX während seines Aufenthalts in einem Flüchtlingslager ein neues Beweismittel von seiner Mutter erhalten habe. Hieraufhin habe er in Unkenntnis der Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens bereits am XXXX .2019 einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Hierbei handle es sich um ein Schriftstück, welches die politische Laufbahn seines Vaters bestätigen würde. Dieses Dokument wurde lediglich in arabischer Sprache vorgelegt.

4.1. Am 22.11.2019 langte auftragsgemäß eine beglaubigte Übersetzung des im Rahmen des Wiederaufnahmeantrags eingelangten Schriftstückes ein.

5. Bereits am XXXX .2019 hatte der BF abermals einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er dazu an, dass er seit dem Jahr 2013 im Irak zum Tode verurteilt sei. Es herrsche zwar kein Krieg im Irak, aber jeder, der unter Saddam HUSSEIN gedient hätte, werde umgebracht, weshalb auch sein Bruder im Jahr 2013 getötet worden sei. Er und seine Familie würden der Gruppe „Albad“ angehören und seien sie zudem Sunniten. Die Regierung sei gegen sie. Sein Bruder sei bereits getötet worden und sei auch seine schwangere Frau (Anm.: jene des BF) getötet worden. Er und seine Familie sollten ausgerottet werden. Im Jänner 2019 habe er von der Änderung seines Fluchtgrundes erfahren, da Milizen bei ihnen zu Hause gewesen seien und gedroht hätten, alle umzubringen, die zu seiner Gruppierung gehören. Er habe keine Perspektiven und zusätzlich große psychische Probleme.

5.1. Am 01.10.2019 wurde er durch Organe des BFA befragt. Die Fluchtgründe hätten sich im Vergleich zu jenen seines ersten Antrags auf internationalen Schutz nicht geändert, jedoch sei er mittlerweile im Besitz von Dokumenten, die die Funktion seines Vaters in der Baath-Partei bestätigten würden.

5.2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom XXXX 2019, Zl. XXXX wies das BFA den Antrag der beschwerdeführenden Partei hinsichtlich der Erteilung von internationalem Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) jeweils wegen entschiedener Sache ab. Schließlich wurde dem BF aufgetragen, ab dem XXXX .2019 Unterkunft in einem näher bezeichneten Quartier zu nehmen (Spruchpunkt III.). Da der BF sein Vorbringen auf Tatsachen stütze, über die bereits rechtskräftig entschieden worden sei liege kein neuer Sachverhalt vor, sondern vielmehr Identität der Sache. Eine inhaltliche Prüfung erfolge daher nicht.

5.3. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schreiben vom 03.11.2019 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Die Beschwerde verband er einerseits mit der Anfechtungserklärung, den Bescheid vollumfänglich anfechten zu wollen, andererseits mit den Anträgen 1.) den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Erlassung eines Bescheides an das Bundesamt zurückzuverweisen und 2.) der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. In der Beschwerde brachte er vor, dass aktuelle Ereignisse nicht berücksichtigt worden seien und deshalb ein neuer Sachverhalt vorliege. Die Behörde hätte daher inhaltlich entscheiden und dem BF internationalen Schutz zusprechen müssen.

5.4. Mit Eingabe vom 20.02.2020 wurde dem BVwG mitgeteilt, dass der BF wegen 24stündiger Abwesenheit aus der GVS-Betreuungsstelle West entlassen wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Identitätsfeststellungen

Der BF führt die im Spruch angegebene Verfahrensidentität und ist irakischer Staatsangehöriger. Er gehört der Ethnie der Araber an und ist sunnitischer Glaubensausrichtung. Seine Muttersprache ist Arabisch, er verfügt über rudimentäre Deutschkenntnisse. Er ist ledig und kinderlos.

Seit dem XXXX .2015 hatte er den Hauptwohnsitz im Bundesgebiet. Seit dem XXXX .2019 ist er unbekannten Aufenthalts.

Im Bundesgebiet hat er keine Verwandten.

1.2. Zur Ausreise, Reise, Einreise der beschwerdeführenden Partei in Österreich und ihrer darauffolgenden Asylantragstellung:

Vor seiner Ausreise aus dem Irak lebte er in seiner Heimatprovinz Al Anbar. Im September 2013 verließ er den Irak legal mittels Flugzeug in die Türkei, wo er in der Folge zwei Jahre lang gelebt hat. Im Oktober 2015 erreichte er im Zuge der damaligen Flüchtlingswelle Österreich.

Eine von den öffentlichen Sicherheitsbehörden durchgeführte EURODAC-Abfrage verlief positiv.

1.3. Zur individuellen Situation des Beschwerdeführers im Heimatstaat:

In seiner Heimat besuchte er insgesamt neun Jahre lang die Schule und erlernte danach den Beruf des Mechanikers.

Seine Familie, bestehend aus seiner Mutter und der Schwester, lebt nach wie vor in seinem Heimatstaat. Zu seinen Verwandten steht er in regelmäßigem Kontakt.

1.4. Zu den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Partei:

In seiner Heimat gehörte der Beschwerdeführer keiner politischen Bewegung an und hatte er weder mit der Polizei, noch mit den Verwaltungsbehörden, noch mit den Gerichten des Herkunftsstaates ein Problem. Er wurde zu keinem Zeitpunkt von staatlichen Organen oder von einer bewaffneten Gruppierung wegen seines Religionsbekenntnisses verfolgt.

Er konnte nicht glaubhaft machen, dass er von einer schiitischen Miliz, Al-Kaida oder öffentlichen Stellen wegen seiner Zugehörigkeit zu einem Polizeiwachkörper oder wegen des Dienstes als Leibwächter Saddam HUSSEINS verfolgt wird. Anhaltspunkte, dass von einer dieser Gruppen eine Bedrohung gegen ihn ausgegangen wäre bzw. eine solche gegenwärtig von diesen Gruppierungen ausgehen würde, bestehen nicht.

Dass er im Herkunftsstaat einer asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt gewesen wäre bzw. nach einer Rückkehr in diesen Herkunftsstaat einer solchen ausgesetzt sein könnte, vermochte er nicht darzutun.

1.5. Zu etwaigen Integrationsschritten des BF im Bundesgebiet:

Er hat nachweislich zwei Volkshochschulkurse „Deutsch für Asylwerbende“ besucht und ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Auf weitere integrationsverfestigende Merkmale konnte er nicht verweisen.

Er ist gesund, nicht erwerbstätig und seit dem XXXX .2020 von der GVS-Betreuungsstelle West abgemeldet; er bezieht daher keinerlei Leistungen von staatlicher Seite. Die vom BF vorgebrachten psychischen Probleme sind, soweit vorliegend, nicht von einer Schwere die seine Rückführung beeinträchtigen könnte.

1.6. Zur Lage im Irak wird festgestellt:

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), mit Unterstützung durch die alliierten ausländischen Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines „Kalifats“ in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze. Ab November 2016 wurden die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris sukzessive wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der sunnitische IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tal Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk.

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war durch die genannten Ereignisse im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, ebenso auch nicht in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.

Das Gouvernement Anbar, früher ein IS-Zentrum und Schwerpunkt der IS-Aktivitäten, wird nun hauptsächlich für den Transit von IS-Kämpfern zwischen dem Irak und Syrien genutzt. Die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Anbar hat bis Mitte 2019 stark fluktuiert und ab Mitte 2019 hat sich Anbar zu einem sekundären Schauplatz entwickelt, mit einem Rückgang der Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle im einstelligen Bereich.

Im November 2019 gab es im Gouvernement Anbar keine sicherheitsrelevanten Vorfälle. Im Dezember 2019 waren es fünf Vorfälle mit zwölf Toten und zwei Verletzten. Im Jänner 2020 war Anbar mit einer Steigerung von fünf Vorfällen im Dezember 2019 auf sieben im Jänner 2020, mit acht Toten und 76 Verletzten das einzige Gouvernement mit einer Zunahme an sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit einer Steigerung von fünf Vorfällen. Zu diesen Vorfällen zählen der iranische Raketenangriff auf die Militärbasis Ain Al-Assad, bei dem 64 amerikanische Soldaten verwundet wurden, ein Angriff mit einer Autobombe gegen einen Armeekonvoi, Entführungen und Angriffe mit Schusswaffen. Im Februar 2020 waren es fünf Vorfälle mit je zwei Toten und Verletzten.

Betrachtet man jedoch die Indikatoren, so lässt sich schlussfolgern, dass im Gouvernement Anbar willkürliche Gewalt stattfindet, jedoch nicht auf hohem Niveau, und dementsprechend ist ein höheres Niveau individueller Erfordernisse erforderlich, um stichhaltige Gründe für die Annahme zu belegen, dass ein Zivilist, der ins Hoheitsgebiet zurückgebracht wird, einer echten Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt wäre.

Der BF war im Herkunftsstaat keiner asylrelevanten Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt. Er hatte weder mit der Polizei, noch mit den Gerichten, noch mit den Verwaltungsbehörden des Herkunftsstaates Probleme. Er war auch nie Adressat einer gegen ihnen gerichteten strafgerichtlichen Verfolgung. Auch liegt keine strafgerichtliche Verurteilung gegen ihn vor. Er war nie Mitglied einer im Herkunftsstaat tätigen bewaffneten Gruppierung (Al-Kaida, IS bzw. Milizen) bzw. wurde er von einer bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates zu keinem Zeitpunkt angeworben, insbesondere für Kampfhandlungen. Anlassbezogen kam nicht hervor, dass er im Herkunftsstaat einer asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt gewesen wäre.

Quellen (Zugriff am 16.12.2021):

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges- amt- bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf

-        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/document/2021156.html

-        ACCORD-Anfragebeantwortung zur Sicherheitslage in Basra vom 10.06.2021 [a-11589-1], https://www.ecoi.net/de/dokument/2053521.html

-        BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Von schiitischen Milizen dominierte Gebiete (Ergänzung zum Länderinformationsblatt), 04.01.2018 https://www.ecoi.net/en/file/local/1422124/5618_1516263925_irak-sm-von-schiitischen-milizen-dominierte-gebiete-2018-01-04-ke.doc

-        Crisis Group (14.12.2018): Reviving UN Mediation on Iraq’s Disputed Internal Boundaries, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/194-reviving-un-mediation-iraqs-disputed-internal-boundaries

-        EASO – Security situation Iraq (Oktober 2020): https://www.ecoi.net/de/dokument/2043991.html

-        EASO – Country Guidance: Iraq (Stand Jänner 20219): https://www.ecoi.net/de/dokument/2045437.html

-        FPRI - Foreign Policy Research Institute (19.8.2019): The Future of the Iraqi Popular Mobilization Forces, https://www.fpri.org/article/2019/08/the-future-of-the-iraqi-popular-mobilization-forces/

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 12.02.2021

-        Rudaw (31.5.2019): Iraqi Security Forces ignore ISIS attacks on Kakai farmlands, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/31052019

-        Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf

-        UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf

-        UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12.04.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf

-        Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq

1.6.1. Sicherheitskräfte und Milizen

Der Irak verfügt über mehrere Sicherheitskräfte, die im ganzen Land operieren: Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) unter dem Innen- und Verteidigungsministerium, die dem Innenministerium unterstellten Strafverfolgungseinheiten der Bundes- und Provinzpolizei, der Dienst zum Schutz von Einrichtungen, Zivil- und Grenzschutzeinheiten, die dem Öl-Ministerium unterstellte Energiepolizei zum Schutz der Erdöl-Infrastruktur, sowie die dem Premierminister unterstellten Anti-Terroreinheiten und der Nachrichtendienst des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS). Neben den regulären irakischen Streitkräften und Strafverfolgungsbehörden existieren auch die Volksmobilisierungskräfte (PMF), eine staatlich geförderte militärische Dachorganisation, die sich aus etwa 40, überwiegend schiitischen Milizgruppen zusammensetzt, und die kurdischen Peshmerga der Kurdischen Region im Irak (KRI).

Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle.

Der Name „Volksmobilisierungskräfte“ (al-hashd al-sha‘bi, engl.: popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF oder popular mobilization units, PMU), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa 40 bis 70 Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen. Die PMF wurden vom schiitischen Groß-Ayatollah Ali As-Sistani per Fatwa für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) ins Leben gerufen und werden vorwiegend vom Iran unterstützt. PMF spielten eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung des IS. Die Niederlage des IS trug zur Popularität der vom Iran unterstützten Milizen bei.

Die verschiedenen unter den PMF zusammengefassten Milizen sind sehr heterogen und haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat. Sie werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Die pro-iranischen schiitischen Milizen, die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen, und die nicht schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen „Widerstandseinheiten Schingal“. Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien. Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere „Minderheiten-Einheiten“ der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig. In einigen Städten, vor allem in Gebieten, die früher vom IS besetzt waren, dominieren PMF die lokale Sicherheit. In Ninewa stellen sie die Hauptmacht dar, während die reguläre Armee zu einer sekundären Kraft geworden ist.

Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten, wie dem Iran oder Saudi-Arabien, unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mossul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt. Vertreter und Verbündete der PMF haben Parlamentssitze inne und üben Einfluss auf die Regierung aus.

Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des „Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak“ gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war [Anm. der „Oberste Rat für die Islamische Revolution im Irak“ wurde später zum „Obersten Islamischen Rat im Irak“ (OIRI), siehe Abschnitt „Politische Lage“]. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft der PMF. Sie ist besonders mächtig, weil sie die Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen.

Die Badr-Organisation besteht offiziell aus elf Brigaden, kontrolliert aber auch einige weitere Einheiten. Zu Badr und seinen Mitgliedsorganisationen gehören Berichten zufolge die 1., 3., 4., 5., 9., 10., 16., 21., 22., 23., 24., 27., 30., 52., 55. und 110. PMF-Brigade. Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und ist Miliz und politische Partei in einem. Bei den Wahlen 2018 bildete die Badr-Organisation gemeinsam mit Asa‘ib Ahl al-Haqq und Kata‘ib Hizbullah die Fatah-Koalition, die 48 Sitze gewann, 22 davon gewann die Badr-Organisation. Viele Badr-Mitglieder waren Teil der offiziellen Staatssicherheitsapparate, insbesondere des Innenministeriums und der Bundespolizei. Die Badr-Organisation strebt die Erweiterung der schiitischen Macht in den Sicherheitskräften an, durch Wahlen und durch Eindämmung sunnitischer Bewegungen. Badr-Mitglieder und andere schiitische Milizen misshandelten und misshandeln weiterhin sunnitisch-arabische Zivilisten, insbesondere Sunniten im ehemaligen IS-Gebiet.

Eine Rekrutierung in die PMF erfolgt ausschließlich auf freiwilliger Basis und aus wirtschaftlichen Gründen, Desertion aus den PMF kam zudem seltener vor als bei den irakischen Streitkräften

Quellen (Zugriff am 16.12.2021):

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amtbericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-20 18-12-01-2019.pdf

-        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/ document/2021156.html

-        Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-m onitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html

-        Al-Tamini - Aymenn Jawad Al-Tamimi (31.10.2017): Hashd Brigade Numbers Index, http://www.ay mennjawad.org/2017/10/hashd-brigade-numbers-index

-        Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (6.2018): Power in perspective:Four key insights into Iraq’s Al-Hashd al-Sha’abi, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-0 6/PB_Power_in_perspective.pdf

-        DIS/Landinfo - Danish Immigration Service; Norwegian Country of Origin Information Center (5.11.2018): Northern Iraq: Security situation and the situation for internally displaced persons (IDPs) in the disputed areas, incl. possibility to enter and access the Kurdistan Region of Iraq (KRI), https://www.ecoi.net/en/file/local/1450541/1226_1542182184_ iraq-report-security-idps-and-access-nov2018.pdf

-        ICG - International Crisis Group (30.7.2018): Iraq’s Paramilitary Groups: The Challenge of Rebuilding a Functioning State, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabia n-peninsula/iraq/188-iraqs-paramilitary-groups-challenge-rebuilding-functioning-state

-        FPRI - Foreign Policy Research Institute (19.8.2019): The Future of the Iraqi Popular Mobilization Forces, https://www.fpri.org/article/2019/08/the-future-of-the-iraqi-popular-mobilization-forces/

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/

-        GS - Global Security (18.7.2019): Hashd al-Shaabi / Hashd Shaabi, Popular Mobilisation Units / People’s Mobilization Forces, https://www.globalsecurity.org/military/world/para/hashd-al-shaabi.h

-        MEE - Middle East Eye (16.2.2020): Iran and Najaf struggle for control over Hashd al-Shaabi after Muhandis’s killing, https://www.middleeasteye.net/news/iran-and-najaf-struggle-control-over-hash d-al-shaabi-after-muhandis-killing

-        MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor toAl-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-hea d-as-successor-to-al-muhandis/

-        Posch, Walter (8.2017): Schiitische Milizen im Irak und in Syrien –Volksmobilisierungseinheiten und andere, per E-mail

-        Reuters (29.8.2019): Baghdad’s crackdown on Iran-allied militias faces resistance, https://www.re uters.com/article/us-iraq-militias-usa/baghdads-crackdown-on-iran-allied-militias-faces-resistance -idUSKCN1VJ0GS

-        Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf

-        TDP - The Defense Post (3.7.2019): Mahdi orders full integration of Shia militias into Iraq’s armed forces, https://thedefensepost.com/2019/07/03/iraq-mahdi-orders-popular-mobilization-units-integ ration/

-        USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html

-        USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html

-        Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/p art-2-pro-iran-militias-iraq

1.6.2. Berufsgruppen:

Aus den Länderinformationen zum Herkunftsstaat der bfP geht hervor, dass Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats besonders gefährdet seien.

Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird - fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen, Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten sowie medizinisches Personal seien ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen.

Der BF ist gelernter Mechaniker und als solcher keiner der Gruppen zuzuordnen, die einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt sind.

Quellen (Zugriff am 16.12.2021):

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf

-        USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html

1.6.3. Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben maximal eine Stunde vom nächstgelegenen Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche, wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 12.1.2019). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 12.2019). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser mit eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, doch haben viele aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.1.2019). Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Aus dem Umstand, dass der BF höchst mobil ist und derzeit auch unbekannten Aufenthalts, lässt sich schließen, dass die von ihm angegebenen psychischen Probleme den BF nicht in jenem Maße beeinträchtigen, dass eine etwaige Rückführung unmöglich wäre. Sämtliche Aspekte führen dazu, dass davon ausgegangen werden kann, dass keine gesundheitlichen Einschränkungen vorliegen, die einer etwaigen Rückführung entgegenstehen.

Quellen (Zugriff am 16.12.2021):

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/

-        IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2

-        UNAMI - United Nations Assistance Mission to Iraq (12.2016): Report on the Rights of Persons with Disabilities in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNAMI_OHCHR__Report_on_the_Rights_of_PWD_FINAL_2Jan2017.pdf

-        WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html

1.6.4. Dokumente

Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Zur Jahresmitte 2014 tauchten vermehrt gefälschte Visaetiketten auf. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind im Umlauf; zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden.

Quellen (Zugriff am 16.12.2021):

AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amtbericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-20

1.7. Aus den Angaben des BF lassen sich keine Anhaltspunkte dahin entnehmen, dass er mit den Behörden, der Polizei oder den Gerichten des Herkunftsstaates etwa wegen seines Religionsbekenntnisses, seiner ethnischen Zugehörigkeit zur arabischen Volksgruppe oder aus politischen Gründen Probleme gehabt hätte. Den Länderberichten lässt sich nicht entnehmen, dass Mechaniker einer Verfolgung ausgesetzt wären bzw. sein könnten. Es gibt auch keinerlei Hinweise in die Richtung, dass der Beschwerdeführer oder die Angehörigen seiner Kernfamilie darüber hinaus politisch exponiert aktiv gewesen wären oder als Mitglied einer politisch aktiven Bewegung oder einer bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates angehört hätten.

Mit den Angehörigen derselben Glaubensrichtung oder mit den Angehörigen einer anderen, im Herkunftsstaat beheimateten Glaubensrichtung hatte er keine Probleme.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang und die in der Folge getroffenen (sachverhaltsbezogenen) Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes, sowie aus den niederschriftlich protokollierten Angaben des BF anlässlich seiner Befragung durch die Organe der belangten Behörde.

2.2. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache zur Identität, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers Feststellungen getroffen wurden, beruhen diese im Wesentlichen auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, den vom BF vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, andererseits vor den Organen der belangten Behörde getätigten angaben. Sämtliche, vom BF im Erstverfahren zu Zl G305 2191221-1 vorgelegten Dokumente (Reisepass, Personalausweis, Staatsbürgerschaftsnachweis und Führerschein) sind nicht geeignet, seine Identität festzustellen. Der Reisepass konnte nicht beurteilt werden, die drei weiteren Dokumente wurden als totalgefälscht eingestuft. Aus diesem Grund konnte nur eine Verfahrensidentität festgestellt werden, keine „wahre Identität“.

Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

Die zu seiner Ausreise aus dem Irak, zur weiteren Reiseroute und zu seiner Einreise ins Bundesgebiet getroffenen Konstatierungen ergeben sich aus den Angaben des BF anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahmen vor den Organen der Sicherheitsbehörde, die im Wesentlichen unstrittig geblieben sind und der gegenständlichen Entscheidung daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu Grunde gelegt werden konnten.

2.3. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers:

Die zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates und zu seiner Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat getroffenen Feststellungen beruhen einerseits auf seinen Angaben vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde sowie auf den vor den Organen der belangten Behörde gemachten Angaben und auf seinen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde und den Beamten der belangten Behörde hatte der Beschwerdeführer zusammengefasst angegeben, dass er ob seiner Zugehörigkeit zum Machtapparat Saddam HUSSEINS verfolgt werde.

Hier verwickelte er sich insofern in einen Widerspruch, als er im Zuge seines Erstantrags (dem der Wiederaufnahmeantrag gewidmet ist) noch angegeben hatte, dass sein Vater General unter Saddam Hussein gewesen sei und die Familie deshalb verfolgt werde. In seinem Folgeantrag führte er jedoch aus, selbst Polizist bzw. Leibwächter Saddam Husseins gewesen zu sein, also selbst für den ehemaligen irakischen Diktator tätig gewesen zu sein. Zuletzt steigerte er sein Vorbringen im Zuge seines dritten Antrags auf internationalen Schutz dahingehend, dass auch seine schwangere Frau von schiitischen Milizen getötet worden sein soll. Dieses Vorbringen ist insofern bemerkenswert, als sich der BF im gesamten Verfahren als ledig bezeichnete. Eine Ehefrau fand zu keinem Zeitpunkt Erwähnung. Unklare Angaben machte er zudem zum Todeszeitpunkt seines Bruders. Bei seinem ersten Antrag auf internationalen Schutz vermeinte er noch, dass dieser im Jahr 2014 getötet wurde, bei seinem zweiten Folgeantrag datierte er dieses Ereignis mit dem Jahr 2013

Zwischenzeitig verließ der BF zudem das Bundesgebiet, um in Deutschland neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Die Behandlung dessen wurde jedoch unter Hinweis auf die „Dublin Verordnung“ abgelehnt.

Zuletzt stellte der BF auf Grund eines Schreibens, welches die Parteizugehörigkeit seines Vaters bestätigen soll, einerseits einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu Zl. G305 2191221-1, andererseits einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz zur GZ G305 2191221-5. Das lediglich als Kopie vorliegende Schreiben ist jedoch nicht geeignet, eine Verfolgung des BF oder seiner gesamten Familie zu belegen. Aus diesem ist laut Übersetzung zwar ersichtlich, dass eine Person mit den Namensangaben des Vaters des BF Märtyrer sei, die Echtheit des Schreibens ist jedoch genauso wie jene des angeblich „geleakten“ iranischen Schreibens (beide in OZ 3 zur GZ G305 2191221-4) insofern anzuzweifeln als aus den Länderberichten klar ersichtlich ist, dass jegliche Dokumente in ver- und gefälschter Art beschaffbar sind und auch auf eine qualifizierte Vorbeglaubigungskette nicht vertraut werden darf. Auch die Tatsache, dass drei der von BF vorgelegten Personaldokumente als Totalfälschung eingestuft wurden untermauert dies und bringen das Vorbringen des BF ins Wanken.

Insgesamt erscheint das Fluchtvorbringen des BF in Zusammenschau mit seinem gesamten Verhalten als nicht glaubwürdig und in sich inkonsistent.

Unter der Prämisse, dass eine Person tatsächlich wegen ihrer Parteizugehörigkeit (oder jener eines nahestehenden Familienmitgliedes) verfolgt wird, ist nicht nachvollziehbar, dass hierfür erst sehr spät im Verfahren stichhaltige Beweise vorgelegt werden können. Speziell die Tätigkeit für den ehemaligen irakischen Diktator ließe sich genauso wie die Parteimitgliedschaft schneller beweisen. Wenn man davon ausgeht, dass der BF wegen dieser Gründe geflohen ist so ist es unwahrscheinlich, dass das sein Ansinnen unterstützende Dokument erst auftauchen sollte, nachdem insgesamt zwei rechtskräftige Erkenntnisse gegen den BF erlassen wurden und knapp bevor der zuletzt gegen ihn ausgestellte Bescheid erlassen wurde. Zudem erhielt der BF das besagte Dokument zu einem Zeitpunkt, an welchem der das Bundesgebiet bereits hätte verlassen haben sollen und ein gegen ihn verhängtes, zweijähriges, Einreiseverbot rechtskräftig war.

Auch unlogisch ist in diesem Zusammenhang die Ausreise des BF nach Deutschland im Jahr 2018 und die dortige Antragstellung während eines laufenden Asylverfahrens in Österreich und mit in diesem Verfahren zusammenhängenden psychischen Problemen. Die in Österreich für Schutzsuchende gewährleistete Medizinische Versorgung bietet auch Hilfe bei psychischen Problemen. Es ist notorisch, dass diese Unterstützung mannigfach in Anspruch genommen wird.

Gegen eine, der Wahrheit entsprechende, Verfolgung spricht zudem, dass der BF seit mehr als einem Jahr nicht mehr in Österreich gemeldet ist und auch keinerlei Leistungen der staatlichen Grundversorgung bezieht. Bei einer tatsächlich bestehenden Bedrohung und dem Wissen, dass sein Antrag auf ein stabiles Fundament gebaut ist wäre ein Untertauchen nicht notwendig.

Abschließend ist zu bemerken, dass der BF während sämtlicher Verfahren (letztlich unsubstantiiert) lediglich eine Verfolgung durch die Al Badr Miliz vorbrachte, staatliche Verfolgung schloss er explizit aus. Die von ihm erwähnte Enteignung von Häusern und einem Grundstück ist ebenso nur von Dritter Hand berichtet wir die ursprüngliche Drohung, wegen welcher er 2013 den Irak verlassen hat.

Dem BF gelang es insgesamt nicht, die Mitgliedschaft zur Baath-Partei und eine daraus resultierende Verfolgung glaubhaft zu machen.

Von einer asylrechtlich relevanten Verfolgung ist daher nicht auszugehen.

Die getroffenen Feststellungen waren daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu treffen.

2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die länderkundlichen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak gründen auf dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes und auf den als notorisch zu qualifizierenden aktuellen Ereignissen im Herkunftsstaat des BF in Verbindung mit den dazu ergänzend eingesehenen länderkundlichen Informationsquellen. Diesen war auch kein über die oben erörterten, vom BF selbst dargebotenen Verfolgungsgründe hinausgehender Sachverhalt zu entnehmen, der allenfalls Anhaltspunkte für eine aus sonstigen Gründen drohende individuelle asylrelevante Gefährdung beinhaltet hätte.

Zudem konnten diese anhand rezenter Informationen der Staatendokumentation und der EASO – Country Guidance: Iraq mit Stand Jänner 2021 welche auch auf den EASO Sicherheitsbericht mit Stand Oktober 2020 zurückgreift getroffen werden. Die darin aufgelisteten Ergebnisse resultieren aus Research-Verfahren öffentlicher Einrichtungen, die ob ihres Wirkens hohen Standards unterliegen und zur Objektivität verpflichtet sind.

Auf Grund der nicht anzuzweifelnden Inhalte der Berichte war deren Inhalt zu Feststellungen zu erheben.

2.5. Zur Integration des BF in Österreich:

Die Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer in Österreich gesetzten Integrationsschritten ergeben sich aus den diesbezüglichen glaubhaften Nachweisen im Akt. Der Einstellung des Leistungsbezugs der Grundversorgung ergibt sich aus einem GVS-Auszug, seine strafrechtliche Unbescholtenheit aus einem von Amts wegen eingeholten Strafregisterauszug. Dass der BF derzeit keinen Wohnsitz im Bundesgebiet hat ergibt sich aus einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

2.6. Zur etwaigen Rückkehr in den Irak

Die Feststellung, dass es dem BF möglich und zumutbar ist, in den Irak (konkret in seine Heimatregion) zurückzukehren, basiert auf einer Zusammenschau der Feststellungen zur Situation dort und seinen persönlichen Umständen. Dabei sind sein Gesundheitszustand, die Arbeitsfähigkeit, die Berufserfahrung und die Sprachkenntnisse ebenso wie das familiäre Netzwerk im Irak und die bestehenden Kontakte zu seiner Familie hervorzuheben. Es gibt keine Hinweise auf eine existenzielle Gefährdung des BF, zumal er seinen Lebensunterhalt– wie schon vor seiner Ausreise – durch eigene Erwerbstätigkeit sichern und (zumindest vorübergehend) wieder bei seinen Angehörigen Unterkunft nehmen kann. Es ist davon auszugehen, dass es ihm möglich sein wird, in Al Anbar wieder Fuß zu fassen und dort seine Existenz zu sichern, zumal er als, gesunder Mann grundsätzlich keiner vulnerablen Personengruppe angehört und auch eine Verfolgung seiner Familie nicht anzunehmen ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil 1) A) .I:

Gemäß § 32 Abs. 1 Z. 2 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.

Nach § 32 Abs. 1 Z. 2 VwGVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel – also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen (VwGH 18.01.2017, Ra 2016/18/0197).

Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund (ungeachtet des Erfordernisses der Neuheit) nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das Bundesverwaltungsgerichtes entweder die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens bildende Entscheidung oder zumindest die zum Ergebnis dieser Entscheidung führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (VwGH 11.09.2017, Ra 2017/02/0046).

Fallbezogen hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis vom 11.03.2019, Zl. G305 2191221-1/11E, die Auffassung vertreten, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgung nicht feststellbar sei. Das Bundesverwaltungsgericht stützte sich mangels Erscheinens des BF und dessen damaligen Rechtsvertreters zur mündlichen Verhandlung am 13.02.2019 in seiner Beweiswürdigung auf die Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsakt und die eingeholten Länderinformationen, in Zusammenschau dieser Informationen wurde das Vorbringen in der Folge als nicht glaubhaft erachtet.

Da der Beschwerdeführer nunmehr die Ablichtung einer Urkunde in Vorlage bringt, die unvorgreiflich der Bewertung der Glaubwürdigkeit die abstrakte Eignung besitzt, eine Verfolgung nachzuweisen, ist ein tragendes Element der Beweiswürdigung des Erkenntnisses vom 11.03.2019, Zl. G305 2191221-1/11E, in Zweifel gezogen. Die Wiederaufnahme ist daher antragsgemäß nach § 32 Abs. 1 Z. 2 VwGVG zu bewilligen, da eine neuerliche Beweiswürdigung unter Einbeziehung der nachträglich hervorgekommenen Urkunde erforderlich ist.

Nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts hat die Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens zur Folge, dass die Entscheidung, mit der das wiederaufzunehmende Verfahren abgeschlossen wurde, außer Kraft tritt (VwGH 10.10.2016, Ro 2014/17/0079). Durch die Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens wird dieses in das Stadium vor der Erlassung der außer Kraft getretenen Entscheidung zurückversetzt wird und dass jedenfalls die neue (materielle) Entscheidung im wiederaufgenommenen Verfahren ex tunc wirkt (VwGH 21.11.2002, Zl. 2001/07/0027).

Da dem Wiederaufnahmeantrag das neu hervorgekommene Beweismittel – nämlich die Fotografie eines Schriftstückes in arabischer Sprache – samt einer von einem allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher im Bundesgebiet angefertigten Übersetzung beigefügt ist und über die Vorlage des Beweismittels und das Vorbringen zur Begründung des Wiederaufnahmeantrags hinaus kein weiteres Vorbringen in der Sache erfolgt, kann sogleich eine neuerliche Sachentscheidung erfolgen.

Zu Spruchteil 2) A.:

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen. Zusätzlich findet sich der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung im Bescheid vom XXXX .2019, Zl. XXXX nicht im Spruch, sondern lediglich in der am Ende des Bescheids befindlichen Rechtsmittelbelehrung. Da der Spruch einen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nicht enthält ist diese als nicht ausgeschlossen anzusehen.

Zu Spruchteil 1) A) II:

Da sich der Wiederaufnahmeantrag des BF hinsichtlich des Verfahrens zu Zl. G305 2191221-1 (behandelt in Zl. G305 2191221-4) und der Beschwerde zu Zl. G305 2191221-5 auf dasselbe Beweismittel stützen, können beide Vorbringen gemeinsam behandelt werden und gelten die folgenden Ausführungen auch für die Beschwerde gegen den Bescheid vom XXXX .2019.

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

3.1.1. Die gegen den Bescheid der belangten Behörde vom XXXX .2018 und vom XXXX .2019 erhobenen Beschwerden des BF sind rechtzeitig und legte die belangte Behörde die Beschwerdesachen dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF., entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.

3.1.2. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt die Entscheidung in der gegenständlichen Rechtssache dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte, mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gem

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten