Entscheidungsdatum
25.11.2021Norm
BFA-VG §22a Abs1 Z3Spruch
W282 2213444-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Florian KLICKA, BA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit: Slowakei, vertreten durch RA Mag. Ute SVINGER als Erwachsenenvertreterin, gegen den Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 2018, Zl. XXXX und wegen der Anhaltung in Schubhaft von XXXX 2018 bis 11.12.2018 zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft von XXXX 2018 bis 13.12.2018 wird stattgegeben und die Anhaltung in diesem Zeitraum gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 28 Abs. 6 VwGVG für rechtswidrig erklärt.
II. Gemäß § 35 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 1 Z 1 VwG-AufwErsV hat der Bund (Bundesministerium für Inneres) dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von € 737,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Feststellungen:
Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in Folge: BF), ein Staatsangehöriger der Slowakei, hält sich seit 2012 im Bundesgebiet auf und wurde hier mehrmals straffällig.
2. Mit dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA bzw. Bundesamt) vom XXXX 2015 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf 5 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot verhängt. Einer Beschwerde wurde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde dem Beschwerdeführer kein Durchsetzungsaufschub erteilt. Begründend wurde im Wesentlichen auf die zu diesem Zeitpunkt vorliegende strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers verwiesen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer durch seine zum damaligen Zeitpunkt einstweilige Sachwalterin Beschwerde.
3. Im Auftrag des Bezirksgerichtes Leopoldstadt zur Zahl XXXX erstattete eine Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie sowie Psychotherapeutin, ein psychiatrisch-neurologisch Gutachten. Demnach besteht beim BF eine psychiatrische Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis mit symptomatischem Alkoholabusus in der Vorgeschichte. Er benötige die Unterstützung durch einen Sachwalter für den Verkehr mit Ämtern, Behörden, Gerichten, Sozialversicherungsträgern, privaten Vertragspartnern, zur Vermögensverwaltung und Einteilung seiner finanziellen Mittel. Die freie Testierfähigkeit sei nicht gegeben.
4. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom XXXX 2016 wurde RAin Mag. Ute SVINGER zur Sachwalterin (nunmehr Erwachsenenvertreterin) des BF bestellt.
5. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes G311 2127248-1/10E vom 08.11.2016, zugestellt am 10.11.2016, wurde der in Punkt 2 genannten Beschwerde Folge gegeben und der Bescheid des BFA vom XXXX 2015 behoben, da im Entscheidungszeitpunkt keine gegenwärtige Gefahr vorlag, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt hätte.
6. Der BF verblieb im Bundesgebiet und wurde am XXXX 2018 einer polizeilichen Kontrolle unterzogen, in deren Zuge er festgenommen und ein Polizeianhaltezentrum verbracht wurde. Dort wurde der BF in Abwesenheit seiner Erwachsenenvertreterin einvernommen und mit verfahrensgsggst. Mandatsbescheid vom XXXX 2018 über ihn die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG zur Sicherung des Verfahrens über die Erlassung einer aufenthaltsbeenden Maßnahme sowie der Abschiebung verhängt.
7. Festgestellt wird, dass der in Punkt 6. bezeichnete Mandatsbescheid lediglich dem BF am XXXX 2018 ausgefolgt wurde. Der Mandatsbescheid wurde erst hiernach vom BFA postalisch der Erwachsenenvertreterin übersandt, der der Bescheid erst am 12.12.2018 zuging.
8. Mit Bescheid des BFA vom XXXX 2018, vom Beschwerdeführer am XXXX 2018 persönlich übernommen, der gesetzlichen Erwachsenenvertreterin ebenfalls am 12.12.2018 zugestellt, wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf 5 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot verhängt. Einer Beschwerde wurde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde dem Beschwerdeführer kein Durchsetzungsaufschub erteilt. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, es sei bereits 2015 ein Aufenthaltsverbot erlassen worden, dem zuwider sei er 2015 und 2016 in das Bundesgebiet eingereist. Er sei völlig mittellos und habe keine Angehörigen in Österreich. Zu den Gründen für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes wurde auf 19 Eintragungen im Kriminalpolizeilichen Aktenindex, es handle sich dabei um Diebstahl, Sachbeschädigungen und Suchtgiftdelikte, verwiesen. Er begehe diese um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Er weise keinen ordentlichen Wohnsitz, sondern nur eine Obdachlosenmeldung im Bundesgebiet auf. Zur gesundheitlichen Situation des Beschwerdeführers wurden keine Feststellungen getroffen. In der rechtlichen Beurteilung wurde festgehalten, dass aufgrund des Gesamtfehlverhaltens eine erhebliche, schwerwiegende und gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vorliege. Die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung seien höher zu bewerten als die individuellen Interessen des Beschwerdeführers.
8. Der BF wurde in Folge am 13.12.2018 in die Slowakei abgeschoben, wodurch die ggst. Schubhaft faktisch und rechtlich beendet wurde. Am 22.01.2019 langte die ggst. Schubhaftbeschwerde beim BVwG ein. Das Bundesamt teilte am 23.01.2019 ausdrücklich mit, dass im ggst. Verfahren keine Stellungnahme abgeben werde. Mit Schreiben vom Dezember 2020 teilte die ARGE Rechtsberatung / Diakonie mit, dass im Zuge der Errichtung der BBU GmbH die Vertretungsvollmacht zurückgelegt werde.
9. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses 22.03.2021 wurde das ggst. Verfahren der Gerichtsabteilung W140 abgenommen und der Gerichtsabteilung W281 neu zugewiesen. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 29.06.2021 wurde das ggst. Verfahren der Gerichtsabteilung W281 abgenommen und der Gerichtsabteilung W282 neu zugewiesen.
Zum BF selbst:
10. Der BF leidet an einer schweren psychischen Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis mit symptomatischen Alkoholabusus in der Vorgeschichte.
11. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom XXXX 2016, Zahl XXXX , zugestellt am XXXX 2016, wurde Rechtsanwältin Mag. U.S. zur Sachwalterin gemäß § 268 Abs. 3 Z 2 ABGB (nunmehr gesetzliche Erwachsenenvertreterin) für folgende Angelegenheiten bestellt: Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern; Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten; Vertretung bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen; weiters kann der Beschwerdeführer seinen letzten Willen nur mündlich vor Gericht oder einem Notar erklären. Die Erwachsenenvertretung ist auch zum ggst. Entscheidungszeitpunkt nach wie vor aufrecht.
12. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom XXXX 2015, rechtskräftig am XXXX 2015, Zahl XXXX , wurde der BF wegen schwere Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 StGB, versuchtem Widerstand gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 StGB, Diebstahl nach § 127 StGB und Urkundenunterdrückung nach § 229 Absatz 1 StGB zu einer Freiheitstrafe von 12 Monaten verurteilt, wovon 8 Monate bedingt nachgesehen wurden.
II. Beweiswürdigung
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt des Bundesamtes und in die bezughabenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichts sowie durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden, an deren Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel bestehen, durch Einsichtnahme im die Anhaltedatei des BMI.
Die Feststellungen zum bisherigen Verfahrensablauf ergeben sich insoweit aus widerspruchsfrei aus dem Verwaltungsakt des Bundesamtes und dem angefochtenen Bescheid sowie aus den Niederschrift der Einvernahmen des BF vor dem Bundesamt und den in den Feststellungen zitierten Erkenntnissen des BVwG. Dass das Bundesamt keine Stellungahme abgeben wollte ergibt sich aus dessen Schreiben vom 23.01.2019 (OZ 4).
Die Feststellungen zur psychischen Erkrankung des BF, die zur einem Ausschluss seiner Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit führen, ergeben sich aus dem Beschluss des BG Leopoldstadt vom XXXX 2016 über die Bestellung der Erwachsenenvertreterin (damals: Sachwalterin), sowie aus den im Verfahren des BVwG zur GZ. G311 2127248-1 einliegenden Gutachten. Dass der BF in Abwesenheit seiner Erwachsenenvertreterin am XXXX 2018 einvernommen wurde, ergibt sich aus der Niederschrift dieser Einvernahme im Verwaltungsakt, ebenso wie die Tatsache, dass der Schubhaftbescheid am XXXX 2018 nur dem BF persönlich ausgefolgt wurde. Dass der Erwachsenenvertreterin der Bescheid über das Aufenthaltsverbot und der Schubhaftbescheid erst am 10.12.2018 übersandt wurden und diese Bescheide ihr erst am 12.12.2018 zugingen, wird vom Bundesamt auch nicht bestritten.
Die Feststellung zu der (vor der Verhängung der Schubhaft erfolgten) einzigen strafrechtlichen Verurteilung des BF konnte aufgrund eines Strafregisterauszugs getroffen werden.
Weitere Feststellungen waren wegen entscheidungsreife nicht vorzunehmen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A):
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG erkennt das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG.
Gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG hat der Fremde das Recht das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides anzurufen, wenn gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde. Für diese Beschwerden gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.
Gemäß § 22a Abs. 2 leg. cit. hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.
Nach § 22a Abs. 3 leg. cit hat, sofern die Anhaltung noch andauert, das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
Gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG ist im Verfahren wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, wenn eine Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, vom Verwaltungsgericht die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls aufzuheben. Dauert die für rechtswidrig erklärte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt noch an, so hat die belangte Behörde unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Zustand herzustellen.
3.1. Rechtsgrundlagen:
§§ 76 und 77 Fremdenpolizeigesetz (FPG), § 22a Abs 4 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Verfahrensgesetz (BFA-VG) und Art. 28 VO (EU) 604/2013 lauten auszugsweise:
Schubhaft (FPG)
„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“
Gelinderes Mittel (FPG)
§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.
(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.
(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
2. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;
(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird
(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.
(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.
(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.
(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.
Dauer der Schubhaft (FPG)
§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich,
1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt
(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.
(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil,
1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint
kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.
Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (BFA-VG)
§ 22a (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.
Artikel 28
Haft
„(1) Die Mitgliedstaaten nehmen eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt.
(2) Zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren, dürfen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dieser Verordnung, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen und nur im Falle dass Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.
(3) Die Haft hat so kurz wie möglich zu sein und nicht länger zu sein, als bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung gemäß dieser Verordnung durchgeführt wird.
Wird eine Person nach diesem Artikel in Haft genommen, so darf die Frist für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs einen Monat ab der Stellung des Antrags nicht überschreiten. Der Mitgliedstaat, der das Verfahren gemäß dieser Verordnung durchführt, ersucht in derartigen Fällen um eine dringende Antwort. Diese Antwort erfolgt spätestens zwei Wochen nach Eingang des Gesuchs. Wird innerhalb der Frist von zwei Wochen keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.
Befindet sich eine Person nach diesem Artikel in Haft, so erfolgt die Überstellung aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat, sobald diese praktisch durchführbar ist und spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der stillschweigenden oder ausdrücklichen Annahme des Gesuchs auf Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person durch einen anderen Mitgliedstaat oder von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung gemäß Artikel 27 Absatz 3 keine aufschiebende Wirkung mehr hat.
Hält der ersuchende Mitgliedstaat die Fristen für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs nicht ein oder findet die Überstellung nicht innerhalb des Zeitraums von sechs Wochen im Sinne des Unterabsatz 3 statt, wird die Person nicht länger in Haft gehalten. Die Artikel 21, 23, 24 und 29 gelten weiterhin entsprechend.
(4) Hinsichtlich der Haftbedingungen und der Garantien für in Haft befindliche Personen gelten zwecks Absicherung der Verfahren für die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat, die Artikel 9, 10 und 11 der Richtlinie 2013/33/EU.“
3.1.2. Zur Judikatur allgemein:
Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).
Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). In einem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).
Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FPG ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Der Behörde kommt aber dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043).
Gemäß § 80 Abs. 4 FPG darf die Anhaltung in Schubhaft nur bei Vorliegen der dort in den Z 1 bis 4 genannten alternativen Voraussetzungen höchstens achtzehn Monate dauern. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so beträgt die Schubhaftdauer - wie in § 80 Abs. 2 Z 2 FPG als Grundsatz normiert - nur sechs Monate. Mit § 80 Abs 4 FPG soll Art. 15 Abs. 6 RückführungsRL umgesetzt werden, sodass die Bestimmung richtlinienkonform auszulegen ist. In diesem Sinn ist auch der Verlängerungstatbestand des § 80 Abs. 4 Z 4 FPG dahingehend auszulegen, dass der Verlängerungstatbestand nur dann vorliegt, wenn das Verhalten des Beschwerdeführers kausal für die längere (mehr als sechsmonatige) Anhaltung ist. Wenn kein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Drittstaatsangehörigen und der Verzögerung der Abschiebung festgestellt werden kann, liegen die Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft gemäß § 80 Abs 4 Z 4 FPG über die Dauer von sechs Monaten nicht vor (VwGH vom 15.12.2020, Ra 2020/21/0404).
Gemäß § 22a Abs. 4 dritter Satz BFA-VG gilt mit der Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA eine Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - einen neuen Hafttitel dar. Über vor (oder nach) der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen (VwGH vom 29.10.2019, Ra 2019/21/0270; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111).
3.2 Zum konkreten Fall:
3.2.1 Zur Stattgabe der Beschwerde:
Schubhaftbescheide – egal als Mandatsbescheide iSd § 57 AVG oder als „ordentliche“ Bescheid erlassen – erfordern zur ihrem rechtlichen Wirksamwerden wie alle anderen Bescheide auch einer rechtswirksamen Zustellung. Diese ist für den Anhaltezeitraum von XXXX 2018 bis 12.12.2018 jedenfalls schon a limine nicht gegeben:
Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom XXXX 2016, wurde Rechtsanwältin Mag. U.S. zur Sachwalterin gemäß § 268 Abs. 3 Z 2 ABGB (nunmehr gesetzliche Erwachsenenvertreterin) für folgende Angelegenheiten bestellt: Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern; Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten; Vertretung bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen. Dies hat in rechtlicher Hinsicht zur Folge, dass iSd Zustellgesetzes (ZuStG) die Erwachsenenvertreterin die Stellung eines gesetzlichen Vertreters für den Verkehr mit Gerichten und Behörden einnimmt. Zustellungen iSd ZustG können daher mit Rechtskraft des Bestellungsbeschlusses nur noch an den/die Erwachsenenvertreter(in) (damals noch: Sachwalterin) erfolgen, da einem vertreten Erwachsenen die Prozessfähigkeit iSd § 9 AVG fehlt. Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH (vgl. die Erkenntnisse vom 23. April 1996, Zl. 95/11/0365, 20. Februar 2002, Zl. 2001/08/0192, 19. September 2000, Zl. 2000/05/0012) wirkt eine Sachwalter Bestellung insofern konstitutiv, als ab ihrer Wirksamkeit die Prozess- und Handlungsfähigkeit im dort umschriebenen Ausmaß keinesfalls mehr gegeben ist.
Dass die Erwachsenenvertretung des BF dem Bundesamt nicht bekannt war, ist nicht ersichtlich, da diese schon seit dem Jahr 2016 bestand und seit dem Erkenntnis des BVwG vom 08.11.2016 beim Bundesamt jedenfalls aktenkundig sein musste.
Die Bestimmung des § 11 Abs. 8 BFA-VG ist in diesem Fall ebenfalls nicht einschlägig, da es ggst. nicht um die Zustellung an einen Zustellbevollmächtigten geht, wobei der BF durch die aufrechte Erwachsenenvertretung gar nicht rechtlich in der Lage wäre, eine solche Zustellvollmacht zu erteilen, sondern um die Zustellung an die (damalige) Sachwalterin als bestellte gesetzliche Vertreterin. Somit ändert auch diese Bestimmung im ggst. Fall nichts.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der Schubhaftbescheid dem BF bis 12.12.2018 nicht rechtswirksam zugestellt wurde, da er erst an diesem Tag der Erwachsenenvertreterin des BF nach Übersendung durch das BFA postalisch zugestellt wurde. Daraus resultiert schon dem Grunde nach die Rechtswidrigkeit der der Anhaltung des BF in Schubhaft von XXXX 2018 bis 12.12.2018, da bis zu diesem Zeitpunkt kein rechtswirksam zugestellter Schubhaftbescheid vorlag.
Somit verbleibt lediglich der Anhaltezeitraum am 13.12.2018, dem Tag an dem der BF in die Slowakei abgeschoben wurde, zu beurteilen:
Fest steht, dass der BF vom Bundesamt zur Verhängung der Schubhaft am XXXX 2018 niederschriftlich einvernommen wurde, die Angaben des BF bei dieser Einvernahme auch maßgeblich in den Schubhaftbescheid eingeflossen sind und dass die Erwachsenenvertreterin des BF weder von der Festnahme in Kenntnis gesetzt wurde, noch bei der Einvernahme des BF anwesend war. Das Bundesamt stützt den ggst. Schubhaftbescheid somit mitunter auf die Angaben des BF bei seiner Einvernahme, obwohl die mangelnde Prozessfähigkeit iSd § 9 AVG (siehe oben) des BF für das Bundesamt ersichtlich war bzw. aufgrund der bekannten Erwachsenenvertretung des BF ersichtlich sein hätte müssen. Schon allein dadurch belastet das Bundesamt den ggst. Mandatsbescheid mit formeller Rechtswidrigkeit, da die Angaben des BF in Abwesenheit seiner gesetzlichen Vertretung und mangels eigener Prozessfähigkeit iSd § 9 AVG nicht verwertbar sind. Es spielt im Falle einer bestehenden Erwachsenenvertretung auch keine Rolle mehr, ob der Fremde bei der Einvernahme luzid wirkt und dieser möglicherweise folgen kann oder nicht, wirkt der Wegfall der Prozessfähigkeit iSd oben zitierten Judikatur des VwGH doch konstitutiv. Es wäre dem Bundesamt auch ein Leichtes gewesen, den BF im Stande der max. 72stündigen Anhaltung nach Festnahme zu belassen und zeitnah die Erwachsenenvertretung des BF von der Festnahme und der beabsichtigen Schubhaftverhängung zu verständigen. Da dies unterblieben ist, der BF im Status der mangelnden Prozessfähigkeit iSd § 9 AVG ohne seine gesetzliche Vertretung einvernommen wurde und diese Angaben auch dem ggst. Mandatsbescheid zu Grunde gelegt wurden, erweist sich dieser – und damit auch die Anhaltung des BF in Schubhaft am 13.12.2018 - als rechtswidrig.
Es war daher der Beschwerde stattzugeben und der Schubhaftbescheid vom XXXX 2018 als auch die Anhaltung in Schubhaft von XXXX 2018 bis 13.12.2018 gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 28 Abs. 6 VwGVG für rechtswidrig zu erklären.
3.3 Zur Kostenentscheidung (Spruchpunkt III.):
Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).
Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.
Im gegenständlichen Verfahren ist der Beschwerdeführer die obsiegende Partei, weshalb ihm Aufwandersatz im beantragten Umfang für den Schriftsatzaufwand gemäß § 1 Z 1 VwG-AufwErsV iHv € 737,60 zuzusprechen war. Das Bundesamt hat – mangels Stellungnahme - keinen Antrag auf Aufwandsersatz gestellt.
4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 Abs. 4 VwGVG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. In der Beschwerde wurde eine mündliche Verhandlung beantragt.
Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist. Gegenständlich ergab sich bereits aus der Aktenlage, dass die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären war, weshalb die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen konnte.
Zu B):
Zur Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen (jeweils in der Begründung zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Abschiebung Aufenthaltsverbot Einvernahme Erwachsenenvertreter Mittellosigkeit öffentliche Interessen Prozessfähigkeit psychiatrische Erkrankung Rechtswidrigkeit Schubhaft Straffälligkeit strafrechtliche Verurteilung Zustellmangel ZustellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W282.2213444.1.00Im RIS seit
16.12.2021Zuletzt aktualisiert am
16.12.2021