TE Vfgh Erkenntnis 2021/9/22 E612/2021

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Veröffentlicht am 22.09.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen von Afghanistan; keine ausreichende Auseinandersetzung mit aktuellen Länderberichten des EASO zu Personen, die lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Er wurde als schiitischer Moslem geboren, bezeichnet sich aber mittlerweile als konfessionslos. Er gab an, im Iran geboren zu sein, dort den Großteil seines Lebens bis zu seiner Ausreise verbracht zu haben und lediglich im Kindesalter (von ca vier bis sechs Jahren) für ca zwei Jahre in Afghanistan gelebt zu haben. Im Alter von 15 bzw 16 Jahren reiste der Beschwerdeführer ins Bundesgebiet ein und stellte am 23. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 16. Mai 2018 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen, ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegenüber dem Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen gesetzt.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 4. Jänner 2021 als unbegründet ab.

3.1. Der Beschwerdeführer habe weder das ursprüngliche Fluchtmotiv seiner Familie noch die erst nachträglich vorgebrachte Bedrohung durch die Familie seines Schwagers glaubhaft machen können. Mangels einer schlüssigen, lebensnahen wie auch widerspruchsfreien und detaillierten Darlegung könne eine asylrelevante Verfolgung nicht angenommen werden. Das Desinteresse des Beschwerdeführers an Religion stelle noch keinen Abfall vom Islam dar und auch dessen behauptete und primär durch Tätowierungen und Alkoholgenuss manifestierte westliche Orientierung habe nicht in einem Ausmaß objektiv festgestellt werden können, welches auch nur ansatzweise in die Nähe einer tatsächlichen Asylrelevanz kommen könnte. Ebenso wenig drohe dem Beschwerdeführer eine Gefahr aus anderen, vom Asylwerber nicht dezidiert vorgebrachten Gründen. Selbst bei Wahrunterstellung der als unglaubwürdig gewürdigten Fluchtgründe stünde dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Kabul und Mazar-e Sharif offen.

3.2. In Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen könne und nicht in eine ausweglose bzw existenzbedrohende Situation geraten würde.

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zum Spruchpunkt subsidiärer Schutz führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen Folgendes aus:

"Es ist nicht ersichtlich, dass dem BF im Fall seiner Abschiebung nach Afghanistan dort die notdürftigste Lebensgrundlage fehlte. Aus den vom erkennenden Gericht in das Verfahren eingebrachten aktuellen Länderfeststellungen, welchen von Seiten des Genannten nicht substantiiert entgegengetreten wurde, ist zu entnehmen, dass die Grundversorgung der Bevölkerung in Afghanistan gewährleistet ist und ist diesbezüglich zum Entscheidungszeitpunkt auch keine Verschlechterung bekannt.

Der BF ist ein gesunder junger Mann, der in Afghanistan – konkret in KABUL sowie MAZAR-E-SHARIF – nach allgemeiner Lebenserfahrung bei einer Rückkehr selbsterhaltungsfähig ist. Er spricht die Sprache DARI auf muttersprachlichem Niveau. Im Übrigen war der BF bereits als Kfz-Mechaniker über mehrere Jahre hindurch berufstätig. Auch steht es dem Asylwerber frei, beispielsweise in KABUL oder MAZAR-E-SHARIF, eine Beschäftigung respektive zumindest Gelegenheitsarbeiten anzunehmen, was dieser selbst im Zuge seiner Einvernahmen explizit einräumte. Es bestehen keine Hinweise dafür, dass er nach seiner Rückkehr nicht in der Lage sein sollte, beruflich Fuß fassen zu können. Es ist daher nicht ersichtlich, aus welchem Grund dem BF eine Existenzsicherung in Afghanistan, gegebenenfalls auch an anderen Orten beziehungsweise in anderen Landesteilen, zumindest durch Gelegenheitsarbeiten, nicht möglich und zumutbar sein sollte. Darüber hinaus ist es dem BF unbenommen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und sich im Falle der Bedürftigkeit an eine im Herkunftsstaat karitativ tätige Organisation zu wenden.

Aus den getroffenen Länderfeststellungen ergibt sich, dass die Grundversorgung der Bevölkerung in Afghanistan sehr wohl gesichert ist. Der BF ist nach allgemeiner Lebenserfahrung arbeitsfähig und ist daher davon auszugehen, dass er ohne jedes substantiierte Vorbringen nicht als im Sinne der EMRK gefährdet anzusehen ist. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nicht, dass sich die wirtschaftliche Situation in Afghanistan schlechter darstellt als in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union respektive in Österreich, aus den Berichten geht aber keinesfalls hervor, demzufolge das existentielle Überleben gefährdet wäre. Wiederum ist festzuhalten, wonach zum Entscheidungszeitpunkt keine Umstände notorisch sind, aus denen sich eine ernste Verschlechterung der allgemeinen (alle unterschiedslos treffenden) Sicherheitslage oder der wirtschaftlich-sozialen Lage in Afghanistan ergeben würde; auch hierzu ist seitens des Genannten kein inhaltlich konkretes Vorbringen erfolgt.

Die aktuelle Lage nach Afghanistan stellt sich derzeit nicht dergestalt dar, dass nun bereits ein generelles Abschiebehindernis bzw eine generelle Gefährdung aus Sicht der EMRK (Art3) gegeben wäre. Gegenteiliges ist auch dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 18.05.2020 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan nicht zu entnehmen.

Auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ergibt sich somit kein 'reales Risiko', dass es derzeit durch die Rückführung des BF in seinen Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde. Es kam im Verfahren nicht hervor, dass konkret für den Asylwerber im Falle einer Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat die reale Gefahr bestünde, als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt zu sein. Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des BF ist in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass er im Fall seiner Abschiebung nach Afghanistan in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden."

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses sowie für den Fall der Abweisung oder Ablehnung die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Erwägungen

A. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und der Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie auch begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:

2.1. Der Beschwerdeführer brachte im gesamten Verfahren stets gleichlautend vor, im Iran geboren zu sein, dort nahezu sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise verbracht zu haben und lediglich im Kindesalter (von ca vier bis sechs Jahren) für ca zwei Jahre in Afghanistan gelebt zu haben. Dies stellt das BFA in seinem Bescheid vom 16. Mai 2018 auch fest. Das Bundesverwaltungsgericht trifft dazu zwar keine Feststellungen, legt dieses Vorbringen des Beschwerdeführers jedoch implizit seiner Entscheidung zugrunde, indem es in weiterer Folge begründend darauf verweist, dass der Beschwerdeführer den Großteil seines bisherigen Lebens im Iran verbracht habe.

2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl etwa VfSlg 20.296/2018, 20.358/2019; VfGH 6.10.2020, E2406/2020; vgl im vorliegenden Zusammenhang zuletzt insbesondere VfGH 12.12.2019, E2692/2019; 21.9.2020, E4673/2019; 7.10.2020, E3110/2019; 24.2.2021, E4208/2020).

2.3. Im vorliegenden Fall legt das Bundesverwaltungsgericht seiner Entscheidung Auszüge aus einem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zugrunde, wobei die aktuellsten in den wiedergegebenen Textpassagen enthaltenen Nachweise mit Juni 2019 datiert sind. In Bezug auf die Situation von Rückkehrern zieht das Bundesverwaltungsgericht insbesondere Informationen der Staatendokumentation des BFA auf dem Stand April 2018 heran.

2.4. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht, dass aktuelle und spezifische Informationen betreffend Fälle wie jenen des Beschwerdeführers vorliegen, der den Großteil seines bisherigen Lebens im Iran verbracht hat. Die "Country Guidance: Afghanistan – Guidance note and common analysis" des EASO auf dem Stand Juni 2018 (im Folgenden: EASO-Country-Guidance; ebenso nach dem Stand der im Zeitpunkt der Entscheidung aktuellen Fassung aus Juni 2019) enthält eine spezifische Beurteilung für jene Gruppe von Rückkehrern, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben:

Aus diesem Bericht des EASO geht hervor, dass für die genannte Personengruppe eine innerstaatliche Fluchtalternative dann nicht in Betracht komme, wenn am Zielort der aufenthaltsbeendenden Maßnahme kein Unterstützungsnetzwerk für die konkrete Person vorhanden sei, das sie bei der Befriedigung grundlegender existenzieller Bedürfnisse unterstützen könne, und dass es einer Beurteilung im Einzelfall unter Heranziehung der folgenden Kriterien bedürfe: Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person bzw Verbindungen zu Afghanistan sowie sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund, insbesondere Bildungs- und Berufserfahrung einschließlich Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans (vgl VfGH 12.12.2019, E3369/2019; 7.10.2020, E1728/2020).

Derartigen Länderberichten, wie insbesondere auch den Richtlinien des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (United Nations High Commissioner for Refugees – UNHCR), ist bei der Beurteilung der Situation im Rückkehrstaat bei der Prüfung, ob dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist, besondere Beachtung zu schenken (vgl VfGH 12.12.2019, E3369/2019; 12.12.2019, E2692/2019; 4.3.2020, E4399/2019 jeweils mwN; vgl auch VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533; 17.12.2019, Ra 2019/18/0278 ua). Das bedeutet insbesondere, dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit den aus diesen Länderberichten hervorgehenden Problemstellungen im Hinblick auf eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan, und zwar in Bezug auf die konkrete Situation des Beschwerdeführers, auseinanderzusetzen hat.

2.5. Das Bundesverwaltungsgericht lässt im Rahmen der rechtlichen Beurteilung, ob eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig ist, sowohl die in der EASO-Country-Guidance enthaltene spezifische Berichtslage als auch den Umstand gänzlich unberücksichtigt, dass der Beschwerdeführer die längste Zeit seines Lebens außerhalb Afghanistans verbracht hat. Es verkennt damit, dass nach den Ausführungen der EASO-Country-Guidance hinsichtlich jener Rückkehrer, die außerhalb Afghanistans geboren wurden und/oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben, qualifizierte Umstände erforderlich sind, insbesondere im Hinblick auf Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person sowie Bildungs- und Berufserfahrung einschließlich Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans, um von einer im Hinblick auf Art2 und 3 EMRK zumutbaren Rückkehrsituation ausgehen zu können.

2.6. Indem das Bundesverwaltungsgericht von einer zumutbaren Rückkehrsituation ausgeht, dabei die aktuellen Länderberichte in Bezug auf das spezifische Personenprofil des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt und sich damit mit dessen konkreter Situation nicht auseinandersetzt, hat es in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen und damit sein Erkenntnis – soweit es sich auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und daran anknüpfend auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, auf die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise bezieht – mit Willkür belastet (vgl VfGH 6.10.2020, E1728/2020; 26.11.2020, E1385/2020; 26.11.2020, E2292/2020; 18.1.2021, E967/2020).

B. Im Übrigen, soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2. Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Schlagworte

Asylrecht, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E612.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.12.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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